Kitabı oku: «Winterwundernacht», sayfa 2
23 Kerzen für Fiete
Ein eisiger Wind wehte durch die Straßen Hamburgs. Der Winter kam früh in diesem Jahr. Fiete drückte sich an den Getreidespeichern herum, um ein wenig Schutz zu finden. In seinen durchlöcherten Taschen hatte er nur einige Kohlen, zwei Zündhölzer und ein Stück Brot für die Nacht. Nun hoffte er darauf, ein paar Holzscheite in der verlassenen Speicherstadt zu finden.
Kein gutes Jahr, dieses 1839. Im Januar war sein Vater auf See geblieben, bei einem Sturm um Kap Horn war sein Schiff untergegangen. Dann war auch noch die Mutter bei der Geburt der kleinen Schwester gestorben. Der Säugling hatte keine Chance gehabt zu überleben. Es gab niemanden in der Familie oder in der Nachbarschaft mehr, der sich um ihn und seinen großen Bruder Jan gekümmert hatte.
Eine Generation vorher war die Familie vom Land gekommen. Als der Gutsherr den Pachthof freigab, blieb nur genügend Land für den ältesten der Söhne. Fietes Vater zog in die Stadt. Aus der Landratte, die nichts so sehr wie den Duft der Erde liebte, war ein Seemann geworden. Die große Stadt versprach anfangs viel – und hielt dann wenig. Reichlich Arbeit für einen mageren Tageslohn. Und so kamen alle, für die es kein Land mehr zu bewirtschaften gab, in die Fabriken der Städte. Wer die Zwölfstundenschichten nicht durchhielt, wurde durch einen anderen Arbeiter ersetzt. Alle mussten ran, Frauen, Kinder, Alte. Der Wohnraum war knapp. Einige Arbeiter schliefen mit ihren Familien in den Maschinenhallen. Fietes Familie hatte ein Quartier in einem der Armenviertel gefunden. Die Mutter verdiente ein paar Kreuzer als Wäscherin. Hier war Fiete geboren worden. Das Leben auf dem Land, auf dem Bauernhof, die Namen der Großeltern und Verwandten kannte er nur vom Hörensagen. Er wusste nur zu gut, dass es für ihn und Jan dort nichts zu holen gab.
Nach dem Tod der Eltern war Jan und ihm nur die Straße geblieben. Ab und an hatten sie sich ein paar Groschen fürs Säckeschleppen verdienen können, wenn die Ladung eines Schiffs gelöscht wurde.
Aber vor zwei Wochen hatte er auch noch seinen großen Bruder verloren. Typhus.
Fiete war mit seinen acht Jahren ein dürres, blasses Bürschchen, das in seiner Filzhose und den viel zu großen Holzschuhen verloren aussah. Die Schuhe hatten Jan gehört. Bevor der Bestatter mit dem Sarg Jan abgeholt hatte, hatte Fiete seinem Bruder die Schuhe ausgezogen, denn seine waren ihm schon lange zu klein. „Im Himmel ist es weich und warm, da brauchst du keine Schuhe, Jan.“
Da war sich Fiete ganz sicher, und außerdem waren sie das einzige Andenken, das ihm von seinem großen Bruder geblieben war.
Ohne ihn fand Fiete keine Arbeit. „Verschwinde, du Laus!“, lachten diesselben Männer ihn aus, die ihn und seinen Bruder vor einigen Wochen noch hatten mitarbeiten lassen, wenn sie um Arbeit gefleht hatten.
An diesem Novemberabend war seine Schlafnische schon belegt. „Hau ab, oder es gibt was!“, riefen die großen Bengel hinter ihm her.
„Gott sei Dank! Sie haben meine Taschen nicht durchsucht!“, dachte Fiete erleichtert und spürte die Kohle, die Zündhölzer und das Brot zwischen seinen Fingern. Er probierte es an seiner zweiten Schlafstelle am Hafen. Zwischen den Salztonnen und Heringsfässern fand er Platz auf einer Holzkiste. Geschickt zündete er ein kleines Feuer an und aß das trockene Stück Brot zur Nacht. „Jetzt bloß schnell einschlafen, bevor das Feuer ausgeht“, dachte er sich. Kaum hatte er sich zusammengerollt, überkam ihn der Schlaf.
In dieser Nacht träumte Fiete etwas Seltsames; von einem wohlig warmen Haus. Jungen standen an Fenstern und lachten ihn an, als er dort an die Tür klopfte. Ein Mann öffnete ihm, gab ihm eine heiße Suppe und einen sauberen Strohsack für die Nacht. Und da war dieser Gesang. Fiete folgte ihm, die Treppe hinunter kam er in eine große Halle. Von einem großen Rad, das wie ein Kronleuchter unter der Decke hing, leuchteten viele Kerzen, und Knabenstimmen sangen: „Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn.“ Ein Mann nahm seine Hand und lächelte ihn an …
„He! Steh auf, du Wurm! Los jetzt! Hier schlafe ich!“ Unsanft hatte die Stimme des Einbeinigen Fiete aus seinen Träumen geweckt. „Kannst du nicht hören?“
„Bitte lass mich hierbleiben. Es sind meine Kohlen. Wir können doch zu zweit am Feuer sitzen.“
„Verschwinde oder ich erschlag dich mit meiner Krücke!“, drohte der Mann. Fiete wollte nicht weinen, aber Angst und Kälte trieben ihm die Tränen ins Gesicht. Gemäß dem Gesetz der Straße nahm der Stärkere mitleidlos seinen Platz am Feuer ein.
Der Schnee ließ nicht nach. Jeden Tag schneite es mehr. Müde und hungrig strauchelte Fiete durch die Straßen. Ihm war heiß, trotz der Kälte. Gegen Hunger und Durst aß er Schnee.
Am Ewigkeitssonntag brach er hustend vor einer Kirche zusammen. Im Pfarrhaus rang er mit dem Tod. Fiete hatte eine schwere Lungenentzündung. Pfarrer Lütke und seine Frau versuchten alles, um ihm das Leben zu retten. „Es ist noch zu früh für dich!“, hatte Jan ihm im Traum während der Krankheit gesagt. „Du wirst noch lange leben, Fiete!“ Fiete überlebte tatsächlich – dank der fürsorglichen Pflege, vieler Gebete und der kräftigen Hühnersuppe von Pfarrfrau Lütke.
„Fiete! Hier ist jemand, der dich kennenlernen möchte!“, sagte der Pfarrer eines Tages. Ein Mann war mit ihm ins Zimmer getreten. Er nahm Fietes Hand, und da erkannte er ihn: Es war der Mann aus dem Traum, der Mann, der seine Hand gehalten hatte. „Fiete, wie schön, dass es dir wieder besser geht. Ich bin Pfarrer Johann Hinrich Wichern. Ich wohne zusammen mit vielen Jungen in einem großen Haus. Du würdest gut zu uns passen. Wir brauchen so tapfere Jungen wie dich. Wir haben einen Bauernhof und einen kleinen Handwerksbetrieb. Bei uns gibt es eine Schule, auf der du lesen und schreiben lernen kannst, auch einen Beruf, wenn du möchtest.“
„Ich will Seemann werden wie mein Vater“, sagte Fiete mit schwacher Stimme. „Gibt es auch eine heiße Suppe und einen sauberen Strohsack bei Ihnen?“
„Auch das. Wir sind eine Lebens- und Glaubensgemeinschaft und nehmen Kinder auf, die ein Zuhause suchen, so wie du. Jetzt zur Adventszeit treffen sich alle Diakone und alle Kinder morgens in der großen Halle. Unter einem großen Rad mit 23 Kerzen hören wir Geschichten und singen Lieder. In Vorfreude auf das Weihnachtsfest zünde ich jeden Tag eine weitere Kerze an. 23 Kerzen sind es bis Weihnachten. Jeden Tag eine kleine und jeden Sonntag eine große. Das letzte große Licht ist dann der Tannenbaum.“
Wieder erinnerte sich Fiete an seinen Traum. Das Haus, die Jungen, dieser Mann und dieser große leuchtende Kranz mit all seinen Kerzen. Jetzt sollte alles wahr werden?
„Und, Fiete? Was sagst du?“, fragte Pfarrer Lütke. „Willst du mit Pfarrer Wichern nach Horn ins Rettungshaus? Dort sind viele Jungen, die wie du auf der Straße gelebt haben, die keine Eltern mehr haben und niemanden, der sich um sie kümmert. Sie alle haben im Rauhen Haus ein Zuhause gefunden.“
„Ich will den Kerzenkranz sehen! Wann fahren wir endlich?“, rief Fiete und sprang aus dem Bett.
Noch am selben Tag ging es los. Frau Lütke hatte ihm Hemd und Hose, Jacke und Schal von einem ihrer Söhne gegeben. In eine warme Decke gehüllt verließ Fiete das Pfarrhaus. Zum ersten Mal in seinem Leben fuhr er in einer Kutsche. Etwas wehmütig verließ er die große, graue Stadt, denn sie war sein ganzes Leben lang seine Heimat gewesen. Vor ihm lag das weite, weiße Land, eine unbekannte, neue Welt.
Als es dunkel wurde, erreichten sie ein kleines Dorf. Die Kutsche hielt vor einem beleuchteten Haus. In den Fenstern standen Kerzen, in deren Schein erkannte Fiete die Gesichter der Jungen, die dort ein Zuhause gefunden hatten. Ein Mann öffnete ihm die Tür. Alles war wie im Traum.
Im Laufe der Zeit gewöhnte sich Fiete an den Takt des Hauses. Wie der Schlag einer Uhr waren die Stunden des Tages eingeteilt. Manchmal sehnte Fiete sich nach der großen Freiheit, dem Hafen und dem Duft der weiten Welt.
Aber dann duftete es im ganzen Haus nach heißer Suppe.
Abends stand ein sauberes Bett nur für ihn bereit. Zum ersten Mal in seinem Leben durfte Fiete lernen und spielen. Im Frühling bestellte er mit den andern Jungen das Feld. Im Sommer brachten sie zusammen die Ernte ein. An den Herbstabenden wurden Geschichten aus der Bibel erzählt und im Kerzenschein Spielzeug geschnitzt. Das Schönste aber war der Advent und Pfarrer Wicherns großer Kranz mit den 23 Kerzen.
Eines Tages hatte Fiete aus dem Wald Tannenzweige mitgebracht. Er legte sie zwischen die Kerzen auf das große Holzrad.
„Was machst du da, Fiete?“, fragte Pfarrer Wichern und schmunzelte. „Tanne – das Zeichen der Ewigkeit. Was für eine gute Idee, mein Junge!“
Fiete strahlte ihn an. „Jetzt ist es ein richtiger Adventskranz, Herr Pfarrer!“
HANNELORE SCHNAPP
Als wir den geheimnisvollen Schlitten fanden
Hallo, ich bin Semmel. Eigentlich heiße ich ja Gustav, aber so nennt mich höchstens mal Großtante Lene, die oben in dem Haus neben unserem wohnt. Neulich habe ich sie mit meinen Freunden Polly und Ole besucht. Sie backt nämlich jedes Jahr vor Weihnachten die besten braunen Kuchen, die ich kenne. Sie heißen aber nur Kuchen, in Wirklichkeit sind das ganz flache, dunkle Weihnachtsplätzchen, und Polly, Ole und ich haben ihr geholfen, sie auszustechen. Als Tante Lene gerade den Zucker, Schmalz und Rübensirup in den Topf rührte, hat es unten im Hof ganz doll gerumpelt. Wir sind sofort zum Fenster gerannt und Polly hat gerufen: „Guckt mal, unten vor dem alten Schuppen steht ein Pferdeschlitten!“
„Nein, eine Kutsche!“, widersprach Ole.
Es war nämlich schon fast dunkel draußen, darum konnten wir nur Umrisse erkennen.
„Habt ihr eine Kutsche?“, fragte Ole. Ich schüttelte den Kopf: „Und auch keinen so großen Schlitten.“
Ich hatte das Fahrzeug auf unserem Hof noch nie gesehen.
Als die braunen Kuchen im Ofen waren, haben wir noch einmal aus Tante Lenes Fenster geschaut. Jetzt stand nichts mehr vor dem alten Schuppen, aber innen flackerte Licht. Nicht wie von einer Lampe, sondern nur dämmerig und zuckend wie von einer Kerze. Aber als wir später nach unten auf den Hof gingen, war nichts mehr davon zu sehen. Der alte Schuppen war wie immer verschlossen, der Schlitten oder die Kutsche blieb verschwunden.
„He, seht mal hier“, rief Ole und zeigte auf den Boden unter dem Schuppenfenster. Auf dem Lehmboden waren kleine Zweige und Stroh verteilt, als wären sie irgendwo herausgefallen.
„Wo kommen die denn her?“, fragte ich, aber natürlich hatten wir alle keine Ahnung.
„Sehr merkwürdig“, sagte Polly und legte ihren Zeigefinger nachdenklich auf ihre Lippen und sah ein bisschen wie eine Detektivin aus. „Ein großer Schlitten, ein seltsames Licht im alten Schuppen, der sonst nie benutzt wird, und Zweige auf dem Boden …“
„Der Weihnachtsmann!“, rief Ole aufgeregt. „Der Weihnachtsmann war hier! Vielleicht wollte er schon mal gucken, wo wir wohnen, oder er hat hier was gelagert, oder …“
„Ole!“, sagte Polly streng. „Der Weihnachtsmann?“
„Ja, also, vielleicht …“, stammelte Ole und schwieg.
„Vielleicht gibt’s ihn ja doch?“, sprang ich ein. Immerhin war das alles ziemlich seltsam. Polly schüttelte den Kopf, aber sie sagte nichts mehr. Wahrscheinlich hatte sie auch keine bessere Idee.
Ein paar Tage später schneite es und Polly, Ole und seine Schwester Frida kamen nach der Schule wieder zu uns und wir bauten Iglus im Hof und warfen Schneebälle. Polly und ich waren in einem Team und wir versuchten, Oles und Fridas Iglu zu treffen, den sie vor dem alten Schuppen gebaut hatten. Plötzlich rief Ole ganz aufgeregt: „Habt ihr das schon gesehen?“ Polly und ich dachten natürlich, er wolle uns bloß ablenken, damit er auf unser Iglu zielen konnte, aber Frida lief auch gleich hin und staunte: „Der muss aber große Füße haben!“
Auf dem kleinen Weg, der zwischen dem alten Schuppen und der Scheune entlangführt, sah man riesengroße Stiefelspuren , jeder Abdruck war vier- oder fünfmal so lang wie meine Hand und mindestens so breit wie mein ganzer Fuß. Die Spuren führten eine Weile den Weg entlang Richtung Waldstück und waren unter den Bäumen dann verweht. Wir sahen nach, ob sie weiter hinten noch einmal weiterführten, aber es war schon fast dunkel und wir fanden nichts.
„Der Weihnachtsmann hat nicht zufällig große Füße, oder?“, fragte Ole vorsichtig.
Polly und ich sahen uns nur an.
„Der Weihnachtsmann?“, fragte Frida ungläubig. Sie war ja nicht dabei gewesen, als wir den Schlitten oder die Kutsche und den Lichtschein gesehen hatten. Als wir ihr davon erzählten, wollte Frida unbedingt sehen, wo wir die Zweige und das Stroh gefunden hatten. Wir liefen zurück zum Schuppen, um sie ihr zu zeigen, und da sahen wir es schon von Weitem: das flackernde Licht! Aber als wir uns näherten, erlosch es, und als wir am Schuppen ankamen, war alles ruhig und dunkel.
„Das muss der Weihnachtsmann gewesen sein!“, sagte Frida überzeugt und rüttelte an der Schuppentür. Aber auch diesmal war sie fest verschlossen.
Plötzlich hörten wir ein Rascheln vorne neben den Hasenställen, die auf der anderen Seite vom Hof neben der Einfahrt stehen. Als wir aufblickten, huschte dort ein Mann mit einem Mantel und Bart durch die Hecke. Wir liefen ganz hoch bis zur Straße, aber wir konnten nichts mehr erkennen.
„Was ist hier los?!“, sagte Polly, als wir außer Atem auf der Straße standen, und stemmte ihre Arme in die Hüften.
„Ich habe eine Idee“, sagte ich. „Wir könnten einen Teller Kekse und Milch neben die Schuppentür stellen und sehen, ob sie morgen noch da sind oder ob der Weihnachtsmann wiedergekommen ist und sie gegessen hat!“
„Ja, oder aber euer Kater Klitschko futtert sie oder Tante Lene oder …“, sagte Polly spöttisch.
„Was ist mit mir?“, sagte eine Stimme hinter uns. Wir hatten gar nicht gemerkt, dass Tante Lene durch den Schnee gelaufen kam.
„Äh … nichts“, sagte Polly.
„Das wäre eine zu lange Geschichte, und die anderen müssen jetzt auch nach Hause“, sagte ich schnell, und Polly, Ole und Frida nickten und verabschiedeten sich höflich von Tante Lene. Ich sah zu Tante Lene hoch. Grinste sie?
Am nächsten Tag beschlossen wir, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Ole brachte seinen Hund Pudel mit, der gar kein Pudel ist, sondern ein grau-braun struppiger Mischlingshund mit spitzen Ohren.
„Vielleicht findet Pudel ja eine Spur!“, sagte Ole. Eigentlich ist Pudel natürlich kein echter Spürhund, aber manchmal bellt er, wenn er fremde Menschen wittert. Wahrscheinlich weil er sich freut, neue Menschen zu treffen. Und wenn er den Weihnachtsmann wittern könnte, würde ich mich auch freuen. Wir liefen mit ihm über den Hof zum alten Schuppen und ließen ihn schnuppern. Als er an dem kleinen Weg zwischen Schuppen und Scheune angekommen war, wo wir die Spuren gesehen hatten, fing er tatsächlich an zu bellen. Er blieb stehen, schaute sich um, ob Ole ihm folgte, und sprang dann bellend um die Ecke. Dort standen Schubkarren und Leitern und alte Bretter. Und halb versteckt ragten aus einem Stapel Autoreifen riesige dunkelgrüne Stiefel, vor denen Pudel stehen blieb und mit dem Schwanz wedelte. Dreckige Socken steckten in den Stiefeln und Polly hielt sich die Nase zu, als sie sie herausfischte. „Päh, wem gehören die denn?“ Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich die Stiefel weder bei Papa noch bei Opa jemals gesehen. Aber warum sollte der Weihnachtsmann – oder irgendjemand anderes – seine Stiefel hinter unserem Schuppen verstecken?
Wir beschlossen, noch einmal nachzuschauen, ob wir weitere Spuren fanden, aber es hatte morgens geschneit und bis auf ein paar Vogel- und Hasenspuren war der Schnee auf dem kleinen Weg noch unberührt. Auch in dem kleinen Waldstück, das wenig später beginnt, entdeckten wir nichts. Wir ließen Pudel unseren Schneebällen nachjagen und spielten Fangen mit ihm, bis es anfing zu dämmern.
„Hört mal“, sagte Frida plötzlich und blieb stehen. Vom Hof klang leise Musik herüber.
„Kommt!“, rief Polly und lief vor, Pudel bellend hinterher.
Als wir den Schuppen von Weitem sahen, konnten wir es kaum glauben: Der Schlitten stand wieder davor! Nur war es gar kein Schlitten, sondern ein riesiger Bollerwagen. Die Schuppentür stand auf, ein flackernder Lichtschein fiel durch das dreckige Fenster auf den Hof und Musik klang heraus.
Vorsichtig schlichen wir um die Schuppentür herum und blickten in den dämmrigen Raum. Selbst Pudel war still und blieb ein paar Meter vor dem Schuppen schwanzwedelnd stehen.
„Alle Jahre wieder, kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind …“, sangen Mama und Papa und Opa und Tante Lene, die nebeneinander standen und uns anlächelten. Aus einer alten Musikanlage spielte leise Musik dazu. Als wir hineingingen, sahen wir, dass überall auf dem Fensterbrett und auf den alten Kisten und Stühlen flackernde Kerzen standen. In der Mitte des Schuppens baumelte ein großer Stern von der Decke. Darunter, auf der alten Werkbank, war etwas mit einem großen roten Tuch abgedeckt.
„Kehrt mit seinem Segen, ein in jedes Haus, geht auf allen Wegen mit uns ein und aus“, sangen die Erwachsenen. „Steht auch mir zur Seite, still und unerkannt, dass es treu mich leite an der lieben Hand.“ Als das Lied zu Ende war, machte Papa einen Schritt nach vorn und lächelte uns vielsagend an.
„Ihr habt ja eine Menge entdeckt in den letzten Tagen“, sagte er. „Ich habe etwas vom Weihnachtsmann gehört …?“
Ich sah runter auf meine Handschuhe. Keiner von uns sagte etwas.
„Man sollte immer ganz genau hinsehen, was die Zeichen bedeuten.“
Jetzt trat Opa einen Schritt auf die Werkbank zu und nahm zwei Tuchzipfel in die Hand. Langsam hob er sie hoch. Als er die Decke zur Seite zog, tauchte darunter die größte und schönste Krippe aus Holz auf, die ich je gesehen hatte. An der Seite standen geschnitzte Kamele, auf denen Holzfiguren in bunter Kleidung und einem blauen Turban auf dem Kopf ritten. Auf der anderen Seite führten Holzschäfer mit winzigen Hüten auf dem Kopf und Stäben in der Hand ihre wolligen Schafe zum Stall. In der Mitte standen Josef und Maria hinter der Krippe und blickten auf ein geschnitztes Baby, das in einer Futterkrippe auf Stroh und kleinen Ästen lag.
„Wir feiern an Weihnachten, dass Jesus geboren wird,“ sagte Mama. „Und wenn wir genau hinsehen, finden wir noch heute seine Zeichen in der Welt.“
„Manchmal erkennen wir sie nur nicht gleich“, ergänzte Papa. „Oder sie sehen anders aus, als wir denken.“
„Der Schlitten war ein Bollerwagen“, murmelte ich.
„Ja, damit hat Opa das ganze Material geholt“, lachte Mama. „Und die Zweige hat nicht der Weihnachtsmann verloren, sondern sie sind Opa aus dem Korb gefallen, als er sich beeilen wollte, damit ihr ihn nicht erwischt.“
„Aber dann musste ich doch noch durch die Hecke fliehen, als ihr runterkamt“, fügte Opa an.
„Und was ist mit den Stiefeln?“, fragte Frida.
„Ach, die gehören Bauer Hansen. Er wollte im Waldstück Tannengrün schneiden, aber die alten Dinger waren so durchlöchert, dass er sich dann von mir andere geliehen hat“, sagte Opa.
„Schön, dass ihr so neugierig wart, als Opa im Schuppen die Krippe gebaut hat“, sagte Mama. „Denn Neugier lohnt sich, wenn es um Jesus geht. Der ist nämlich kein Baby geblieben, sondern ein mutiger Mann geworden.“
„Aber die Geschichte heben wir uns für Ostern auf“, fügte Tante Lene hinzu und holte hinter ihrem Rücken eine riesige runde Dose mit braunen Kuchen hervor. Papa goss uns heiße Schokolade in Becher, die auf einem Tablett standen. Aber ich wollte mir erst mal die Krippe genauer anschauen, die wir anstatt des Weihnachtsmannes gefunden hatten.
ANJA SCHÄFER
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