Kitabı oku: «Professorin werden», sayfa 2
Unterrichten aus dem Stand
Und die Bewerbung glückte. Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und gleich eingestellt, ohne dass man einen Beweis meiner Lehrfähigkeit sehen wollte. So dringend suchte man damals in den 1970er-Jahren nach Lehrpersonen, dass man sogar auf eine 20-jährige Studentin setzte, die erst ein Vordiplom an der ETH vorweisen konnte. Auch als ich dann meine Unterrichtsstunden an der Bezirksschule hielt, am Anfang noch reichlich unsicher in der neuen Rolle, kam nie jemand von der Schulleitung zu einem Unterrichtsbesuch vorbei. Vertraute man mir blind? Nur einmal stellte ich während einer Unterrichtsstunde fest, dass sich die Türe in der hinteren Wand des Schulzimmers leicht öffnete und später wieder schloss. Hatte man mir schon mehrmals auf diese Weise zugehört? Ich wollte es nicht glauben. Jedenfalls hörte ich nie etwas zu meinem Unterricht, weder negativ noch positiv. So blieb ich an der Schule, reiste zwei- bis dreimal wöchentlich mit dem Zug nach Baden zum Unterrichten, liess mir von einer Studienkollegin die Vorlesungsnotizen mit einer Blaupause kopieren und schuftete fast Tag und Nacht für das Studium, das damals gegen fünfzig Präsenzstunden umfasste.
Im Wintersemester war in der ersten Klasse Menschenkunde angesagt. Als Lernmittel diente eine Mappe mit einzelnen Arbeitsblättern. Gegen Ende des Semesters hatten wir alle Themen bearbeitet. Das etwas verstaubte Bild, das ich vom Lernmittel erhalten hatte, zeigte sich unter anderem darin, dass die Fortpflanzungsorgane nicht vorkamen und damit auch keine Sexualkunde. Als ich die Klasse fragte, ob ihnen Themen im bisherigen Unterricht fehlten, meldete sich ein kecker Junge, der bemängelte, dass wir die Fortpflanzungsorgane bisher nicht besprochen hätten. Die Klasse nickte zustimmend und kicherte, in gespannter Erwartung, was ich dazu sagen würde. Ganz selbstverständlich ging ich auf die Antwort des Jungen ein und fragte die Klasse, ob sie das Thema gerne besprechen würde. Alle nickten. Ich traute mir das Thema selbstbewusst zu, war doch Sexualität in den Jahren nach 1968 für unsere Generation kein Tabu mehr. Ich informierte den Schulleiter, dass ich Fortpflanzung und Sexualkunde im Unterricht besprechen würde. Den Eltern schrieb ich einen Brief. Niemand beschwerte sich, niemand war dagegen. Und so unterrichtete ich in den nächsten Stunden Sexualkunde, ohne Lehrmittel, nur mit selbst zusammengestellten Arbeitsunterlagen. Die 12- bis 13-jährigen Jungen und Mädchen wollten viel wissen, natürlich nicht nur über die Biologie der Fortpflanzung, sondern auch über die körperliche Liebe. Ich ging mit grosser Selbstverständlichkeit darauf ein und war überzeugt, den Jugendlichen etwas fürs Leben mitgegeben zu haben. Ein paar Jahre später, als ich – selbst hochschwanger – zwei Mädchenklassen in einem Gymnasium über den Menstruationszyklus unterrichtete, sagte mir ein Vater, dass ich den Schülerinnen etwas mitgegeben hätte, was unbezahlbar sei.
Nach dem zweiten Vordiplom, im Frühjahr 1972, wurde mir das Unterrichten in Baden neben dem Studium zu viel, und ich reichte die Kündigung ein, aber nur, um in der Stadt Zürich eine neue Lehrtätigkeit an einem Gymnasium annehmen zu können. Auch das gelang problemlos, ohne Mühe fand ich einen neuen Lehrauftrag, zunächst an der neu gegründeten Dependance der Kantonsschule Freudenberg in Urdorf, die dann später zur selbstständigen Kantonsschule Limmattal wurde. Später bekam ich eine Stelle als Lehrbeauftragte an der damaligen Töchterschule Stadelhofen, an der ich fast zehn Jahre lang blieb. Zwischendurch unterrichtete ich auch Maturanden an der Oberrealschule Rämibühl, dem heutigen Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium, an dem mein Vater Biologielehrer war. Als er ein Sabbatical nahm, übertrug er mir eine Klasse, jedoch nicht, ohne mich vorher in das Unterrichten am Gymnasium eingeführt zu haben. Denn es hatte ihm nicht gefallen, wie ich ohne Ausbildung an der Bezirksschule Baden zu unterrichten begonnen hatte. Neben seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer unterrichtete mein Vater auch angehende Biologielehrerinnen und -lehrer an der Universität Zürich. So verwendete er seine Didaktikkonzepte, um mir die Prinzipien des Unterrichtens zu zeigen und meine Unterrichtsweise in zwei Übungslektionen zu prüfen. Mit meinen Unterrichtsstunden war er sehr zufrieden. Mir schien, dass er gar überrascht war, wie gut ich bereits unterrichtete. Jedenfalls hatte ich die väterliche Prüfung bestanden und durfte eine seiner Klassen unterrichten. Die Aufgabe war nicht leicht. Die jungen Männer wollten der nur wenig älteren Biologielehrerin ganz offensichtlich mit herausfordernden Fragen auf den Zahn fühlen. Mein Ziel, einen anspruchsvollen Biologieunterricht für Maturanden zu bieten, war ambitioniert und fordernd. Die Reaktionen der Schüler liessen mich mehr als einmal an meinen Fähigkeiten als Lehrerin zweifeln. Es war für mich deshalb eine Erlösung, als ich nach dem Semester Stellvertretung die Klasse wieder abgeben konnte. Wie viel unkomplizierter und vertrauter gestaltete sich das Unterrichten der Schülerinnen an der Töchterschule Stadelhofen.
Als Schülerin und zu Beginn des Studiums war ich schüchtern und zurückhaltend gewesen. Die Erfahrungen, die ich als Lehrerin machen konnte, hoben mein Selbstvertrauen. Ich konnte mein neu gewonnenes Wissen aus dem Studium nutzen, nicht direkt für die Unterrichtsinhalte, aber als Hintergrundwissen, wenn im Unterricht Fragen gestellt wurden – was in der Biologie sehr oft der Fall ist: Wie lange schläft ein Siebenschläfer?, zum Beispiel. Ich wurde durch das Unterrichten selbstsicherer, lernte, Verantwortung zu übernehmen, tauschte die Rolle der Studentin mit einer beruflichen Tätigkeit. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich mit der Unterrichtserfahrung besser erkannte, was im Studium wirklich wichtig war. Man konnte sich leicht in den unzähligen Details, die geboten wurden, verlieren. Mit dem Unterrichten wurde ich sicherer in der Schwerpunktsetzung.
Anfang der 1970er-Jahre war es unmöglich, als «Konkubinatspaar», wie damals ein unverheiratetes Paar genannt wurde, eine Wohnung in der Stadt Zürich zu bekommen. Denn das Konkubinat war rechtlich nicht anerkannt. Wer unverheiratet zusammenleben wollte, musste in den Kanton Aargau ausweichen, wo das Konkubinat nicht ausdrücklich verboten war. So zogen damals nicht wenige der Studierenden nach Spreitenbach, in eine Gemeinde nahe bei Zürich, aber dennoch bereits im Kanton Aargau. Peter und ich entschieden uns für eine andere Lösung: Wir heirateten 1972, noch vor Abschluss des Studiums. Das brachte Peter zudem den Vorteil, dass er zusätzlich zum Stipendium von jährlich 4800 Franken – was dem Maximum für Einzelpersonen im Kanton Aargau entsprach – 1200 Franken erhielt, also insgesamt 6000 Franken jährlich, ergänzt durch ein Darlehen, das wir später während zehn Jahren abzahlten. Mit der Heirat musste ich meinen Namen wechseln, so schrieb es das geltende Eherecht vor. Es war unvorstellbar für mich, dass ich meinen Familiennamen Graber verlieren sollte. Meine Herkunft war mir sehr wichtig. Ich befürchtete auch, dass meine Identität mit dem angeheirateten Namen Kyburz verloren ginge und ich nach aussen nicht mehr wiedererkennbar wäre. Männern, die nicht verstehen konnten, warum es mir so wichtig war, meinen Herkunftsnamen behalten zu können, schlug ich jeweils vor, sie sollten sich vorstellen, sie müssten den Namen ihrer Frau annehmen. Dann war die Diskussion jeweils rasch beendet. Seit meiner Heirat nutzte ich also konsequent, in Schriftstücken und Publikationen und oft auch im mündlichen Umgang, den Doppelnamen Kyburz-Graber. So schwer fiel mir die Namensumstellung 1972, dass ich 1988, bei der Einführung des neuen Eherechts, auf die Möglichkeit einer neuerlichen Umstellung verzichtete. Ich hätte den Doppelnamen Graber Kyburz beantragen können, blieb aber bei meinem selbst gewählten, rechtlich nicht verbindlichen Doppelnamen mit Bindestrich, Kyburz-Graber, mit dem ich mich national und international in der Umweltbildung bekannt gemacht hatte.
Enttäuschende Forschung
Für meine Diplomarbeit und das vorgelagerte Forschungssemester bewarb ich mich um einen Studienplatz in der Molekulargenetik bei dem Professor, den ich bei der Diskussion von publizierten Zeitschriftenartikeln in den ersten Jahren des Studiums kennengelernt hatte. Innerhalb der Naturwissenschaften hatte mich die Molekulargenetik schon während meiner Gymnasialzeit besonders fasziniert. Deswegen hatte ich mich schliesslich für ein Studium der Biologie entschieden. Zur Matura hatte ich das Buch «Die Doppelhelix» von der Schule geschenkt bekommen. Die beiden Forscher James Watson und Francis Crick begeisterten mich mit ihrer Geschichte der DNA-Entdeckung. Ich konnte damals noch nicht ahnen, dass es nicht sie allein gewesen waren, die der Struktur der DNA auf die Spur gekommen waren, sondern dass es Teamarbeit, aber auch ein erbitterter Konkurrenzkampf gewesen war, der schliesslich zur Veröffentlichung der Ergebnisse über die DNA führte. Viel später erst erfuhr man, dass die Arbeiten von Rosalind Franklin wesentlich zum Erfolg beigetragen hatten.3 Sie war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schwer krank geworden und wenig später an ihrer Krebserkrankung gestorben. Ob dies der Grund gewesen war, dass die beiden Kollegen Watson und Crick sie aus der Autorenschaft ausgeschlossen hatten und ihr deshalb auch der Nobelpreis versagt blieb? Wohl kaum war es die Krankheit allein gewesen. Rosalind Franklin schien nicht eine Frau gewesen zu sein, die hart für ihre Rechte kämpfen wollte. Vielleicht war sie auch zu gutgläubig gewesen. Viel später erst wurde mir bewusst, wie die Geschichte der DNA-Entdeckung und der Ausschluss der hervorragenden Forscherin Rosalind Franklin die knallharte Konkurrenz in der Wissenschaft abbildete, die nicht zuletzt mit der Konkurrenz zwischen Männern und Frauen zu tun hatte. Vielleicht hätte es mir in der Zeit meiner ersten Forschungserfahrungen geholfen, wenn ich die Geschichte von Franklin gekannt hätte.
Mein Wunsch nach einem Diplomarbeitsplatz in der Molekulargenetik ging nicht in Erfüllung. Der angefragte Professor war kurz zuvor in eine Leitungsfunktion der ETH gewählt worden und stand als Betreuer nicht mehr zur Verfügung. Er empfahl mir, einen jüngeren Kollegen in der Mikrobiologie anzufragen, den ich selbst aber kaum kannte. Dieser schien überrascht zu sein, dass sich eine Frau für die Mitarbeit in seinem Forschungslabor interessierte, gab mir aber sofort eine Zusage. Bisher hatte er nur mit jungen Männern zusammengearbeitet. Ausnahmen bildeten damals, wie überall an der ETH, die Laborantin und die Sekretärin, die jedoch untergeordnete Funktionen ausübten.
Das Labor, in dem ich ab Herbst 1972 ein Jahr lang arbeiten sollte, befand sich im Land- und Forstwirtschaftskomplex der ETH. Es war ein hoher, langer und schmaler Raum, mit grauweissen Wänden und wenig Aussenlicht. Auf der einen Stirnseite befand sich die Türe, auf der gegenüberliegenden die Fensterfront. Davor waren einige Arbeitsplätze für Assistenten eingerichtet, jeder mit einem Mikroskop ausgestattet. In der Nähe der Türe befanden sich Laborgeräte, wie Einrichtungen zum Kochen von Nährlösungen, weitere zum Bebrüten von Petrischalen, Autoklaven zum Sterilisieren, Zentrifugen. Fast auf der ganzen Länge von der Türe bis zu den Fenstern erstreckte sich ein Korpus, an dem jedem Mitarbeiter ein Platz für Laborarbeiten zugeordnet war. Am deutlichsten blieb mir der strenge Laborgeruch in Erinnerung: eine Mischung aus Bouillon (Glutamat für die Nährlösungen) und faulenden Eiern (Schwefelwasserstoff aus dem Stoffwechsel der Bakterien).
Ein Thema, ein Labor- und ein Schreibplatz, das war meine Ausstattung. Ich sollte in meiner Diplomarbeit die Regulation von Enzymaktivitäten bei der Argininbiosynthese einer Bakterienart untersuchen. Mit knappen Erklärungen führte mich der Oberassistent ein, stellte mich den anderen Mitarbeitern und der Laborantin vor und überliess mich dann meinem Schicksal. Ich versuchte, mich zu orientieren und selbst meinen Weg zu finden. Nur selten wagte ich zu fragen, weil alle so beschäftigt schienen. Die Assistenten und der Oberassistent waren fast dauernd in ihre Laborarbeit vertieft, es herrschte eine eigenartige Stille im weiten Labor, unterbrochen manchmal durch die schlurfenden Schritte der jungen Männer. Alle schienen sich diese Art der schleppenden Fortbewegung im Labor zu eigen gemacht zu haben. Mir kam es vor, als ob man sich lieber nicht bewegen wollte, keine Gespräche führen und schon gar nicht lachen durfte. Die Atmosphäre war gedämpft, trostlos. Das Forschungssemester zog sich endlos lange hin. Der Gang zum Labor fiel mir von Tag zu Tag schwerer. Aber ich kämpfte mich durch. Vielleicht lag es ja nur daran, dass meine Experimente nicht zum erhofften Erfolg führten. Wenn sich der Erfolg einstellen sollte, würde mir die Arbeit bestimmt besser gefallen. Mit dieser Hoffnung, gleichzeitig aber auch voller Enttäuschung, trat ich ins Diplomsemester ein, dem eigentlichen Start der Diplomarbeit.
Leben in die jungen Männer kam einzig, wenn in den wöchentlichen Kolloquien Zeitschriftenartikel von Forschern, die zu ähnlichen Themen arbeiteten, diskutiert wurden. Oft handelte es sich um Artikel aus englischsprachigen Zeitschriften, vorzugsweise war eine bestimmte Forschungsgruppe aus dem fernen Ausland im Visier. Da konnte dann sehr lebhaft und energisch, vor allem aber auch kritisch bis abschätzig über die Forschungsstudien anderer diskutiert werden. Das Ziel war es offenbar, die anderen Forscher in Abwesenheit zu disqualifizieren. Ich versuchte mir vorzustellen, wie die Diskussion wohl verlaufen würde, wenn die Autoren anwesend wären. Würden die hiesigen Forscher auch so unverfroren keck die anderen kritisieren? Gab es überhaupt einen objektiven Grund zur Kritik? Oder ging es viel eher darum, durch die Erniedrigung der anderen sich selbst zu erhöhen und sich der eigenen Selbstsicherheit zu vergewissern? Ich konnte nicht wirklich beurteilen, ob die Kritik berechtigt war. Stutzig machte mich bloss, dass jeder Artikel, der diskutiert wurde, auf Kritik stiess. Es sah so aus, als ob es sich um ein Spiel in diesem Labor handeln würde, andere zu verunglimpfen. Wie solche Diskussionen an Konferenzen geführt wurden, wie sich die Forscherkollegen in den Debatten schlugen, konnte ich damals nicht wissen. Denn ich hatte ja noch nie an einer internationalen Forscherkonferenz teilgenommen.
Mit der Zeit begann ich mich allerdings auch etwas zu wundern. Das Experiment, das ich gemäss einer Beschreibung in einem publizierten Artikel durchführen sollte, wollte mit allen denkbaren Varianten und Anpassungen einfach nicht gelingen. Für die Durchführung der Experimente benötigte ich ein Enzym, das ich aus frischer Schweineleber isolieren musste. Um sicher zu stellen, dass die Schweineleber absolut frisch war, fuhr ich nach den ersten experimentellen Misserfolgen jeweils am Montag um sechs Uhr zum Schlachthof der Stadt Zürich, ausgerüstet mit einer Tiefkühlbox, die ich mit Eiswürfeln gefüllt hatte. Direkt vom frisch getöteten Schwein übergab man mir die Leber, die ich sorgfältig im Eis verpackte. Vom Schlachthof ging es ohne Umwege ins Labor, um die Leber frisch verarbeiten zu können. Doch kein einziges Mal konnte ich die Enzymaktivität nachweisen. War es möglich, dass die Forscher, die das Experiment in der Zeitschrift publiziert hatten, in ihrer Studie getrickst hatten? Ich wagte nicht, einen solchen Verdacht zu denken, geschweige denn ihn gegenüber dem mich betreuenden Oberassistenten auszusprechen. Eine junge Studentin, die sich erlaubt, das Forschungsergebnis einer renommierten Forschungsgruppe anzuzweifeln? Das ging gar nicht. Es hätte mich ins Abseits manövriert. Eher war ich im Unrecht, hatte vielleicht etwas nicht richtig umgesetzt oder sogar falsch verstanden. Der Oberassistent allerdings wusste auch nicht weiter. Aber er sprach Zweifel an der Seriosität der betreffenden Studie nie aus. Ob er selbst in Betracht zog, dass der Artikel nicht korrekt sein könnte? Oder ob er später einen eigenen Artikel zu verfassen anstrebte, in dem er meine Ergebnisse zur Widerlegung der bisherigen Ergebnisse der fernen Kollegen nutzen wollte? Wie verlockend dürfte es für ihn gewesen sein, die Resultate einer renommierten Forschergruppe öffentlich, für die ganze Scientific Community sichtbar, infrage zu stellen.
Über Zweifel oder Ängste redete man in der Laborgruppe nicht. Man ging sich aus dem Weg, grüsste sich kurz am Morgen und beugte sich dann über die eigene Arbeit. Wenig wurde während des Tages gesprochen, und wenn, nur gerade das Nötigste. Sich über andere lustig zu machen, bildete da allerdings eine Ausnahme. Spott gehörte offensichtlich zur Gesprächskultur. Es waren die einzigen Situationen, in denen auch einmal Emotionen zum Ausdruck gebracht wurden. Das spürte ich mit aller Wucht, als ich den Oberassistenten eines Tages um Erlaubnis bat, an einer hochschulweiten Veranstaltung über alternative Formen in der Lehre teilnehmen zu können. Brigitte Eckstein, eine Physikprofessorin aus Deutschland, war gekommen, um ihre Art des Hochschulunterrichts in Zusammenarbeit mit den Anwesenden zu demonstrieren. Sie hatte mit Ruth Cohn zusammengearbeitet, einer Psychoanalytikerin, die mit der Themenzentrierten Interaktion ein Modell für lebendiges Lernen entwickelt hatte. Dabei wird den individuellen Interessen beim Lernen ebenso Raum gegeben wie dem Thema und den sozialen Interaktionen. Brigitte Eckstein hatte die Ideen für lebendiges Lernen auf Hochschulebene weiterentwickelt, indem sie die Studierenden auch in grossen Vorlesungen zu Gesprächsbeiträgen einlud und lebendige Diskussionen entstehen liess. Ich wollte an dieser Veranstaltung teilnehmen, denn ich hatte von der Professorin gelesen und war motiviert, ihre Lehre kennenzulernen.
Als ich dem Oberassistenten meinen Wunsch unterbreitete, erntete ich ein verächtliches Lachen. Wertvolle Laborstunden zugunsten von Diskussionen über Lehre hinzugeben, wie konnte man nur? Nie würde er das tun, niemals. Aber bitte, wenn ich unbedingt wolle, dann solle ich doch hingehen. Ich könnte dann wenigstens anderntags darüber berichten, sodass sie alle etwas lernen würden, meinte er spöttisch. Ganz offensichtlich bezweifelte er den Sinn, in die Lehre zu investieren, denn für ihn zählte nur die Forschung. Ich liess mich nicht beirren und ging zur Lehrdemonstration. Die Arbeitsweise der Professorin gefiel mir; ich lernte Techniken der Gesprächsführung kennen, die ich auch im Schulunterricht nutzen konnte. Auf Fragen der Laborkollegen am anderen Tag reagierte ich allerdings wortkarg.
Eine Studentin, der die Diplomarbeit weniger wichtig war, als eine Veranstaltung über Lehre, das konnte nichts Gutes verheissen. Überhaupt, ich hatte auch noch nie im Labor auf der Luftmatratze übernachtet. Das Übernachten im Labor galt offenbar als Beweis dafür, dass es jemand mit der Forschung wirklich ernst meinte. Die Tatsache, dass ich nicht daran dachte, jemals im Labor zu übernachten, wurde von den anderen als untrügliches Zeichen dafür gewertet, dass es mir mit der Forschung nicht so ernst war, dass mir der Forscherspirit gründlich fehlte.
Ich spürte, dass meine anfängliche Begeisterung für das Forschungsgebiet von der trüben Stimmung im Labor mehr und mehr überschattet wurde. Immer schwerer fiel es mir, dorthin zu gehen. Kaum mehr mochte ich die Kollegen grüssen. Warum auch, sie erwiderten den Gruss ohnehin kaum. Ich fühlte mich vollkommen allein. Keine Ansprechperson, keine Vertrauensperson. Niemand in der Forschergemeinschaft, der nur annähernd meine Nöte erkannt hätte. Und ich wagte nicht, darüber zu sprechen. Lange verdrängte ich mein wachsendes Unbehagen auch gegenüber mir selbst. Die grosse Abneigung gegenüber der Arbeit im Forschungslabor schlug mir aber schliesslich wuchtig aufs Gemüt. Es wurde mir manchmal fast übel, wenn ich mich dem Labor näherte. Am liebsten war ich bereits am frühen Morgen dort. Wenn die anderen dann später eintrafen, musste ich mich nicht weiter um sie kümmern. Es wäre dann deren Aufgabe gewesen, auf mich zuzukommen. Aber das tat ohnehin keiner.
Nur zu Hause mit Peter sprach ich über die Probleme im Labor. Immer häufiger, jeden Tag, liess ich mehr Vorbehalte zu. Bis die einst glorifizierte Forschungswelt für mich einstürzte und ich mir schliesslich eines Tages eingestehen musste: So will ich nicht Forschung betreiben. Und: Ist das die Forschung, von der ich geträumt hatte? Die Motivation für die Diplomarbeit sackte auf den Nullpunkt ab. Die Arbeit aufzugeben, war für mich dennoch kein Thema. Ich wollte den Abschluss um jeden Preis erlangen, denn ich war es gewohnt, das zu Ende zu führen, was ich begonnen hatte. Aufgeben würde ich niemals. Wider Erwarten spürte ich, wie das Eingeständnis, dass diese Forschung für mich nicht mehr infrage kam, mich in dieser schwierigen Zeit ein Stück weit entlastete. Ich musste mich nicht mehr zwingen, mich mit dem Forschungsbetrieb im mikrobiologischen Labor zu identifizieren. Ich konnte zugeben, dass mich der Gestank der gezüchteten Bakterien anwiderte. Ich konnte mir erlauben, alles zu kritisieren, was ich vorher verdrängt hatte: die Arbeitsweise, den Arbeitsort, das Verhalten der Kollegen, die Experimente, die ich zu reproduzieren hatte.
Tagelang ging ich wie taub durch die Laborräume und die Gänge. Wochenlang kämpfte ich mit der Enttäuschung. In den letzten Monaten vor dem Abgabetermin arbeitete auch Peter an seiner Diplomarbeit. In der Agrarwirtschaft, seinem Diplomfach, dauerte sie nur vier Monate. So konnten wir uns in der letzten Phase gegenseitig beraten und unterstützen. Gegen den Schluss arbeitete ich an meiner Diplomarbeit so, als ob es eine von Fremden in Auftrag gegebene Arbeit wäre, die zur Zufriedenheit aller ausgeführt werden musste. Im Herbst 1973 schlossen wir beide unser Studium mit einem ETH-Diplom ab, Peter als dipl. Ing. agr. ETH und ich als dipl. Natw. ETH. Gleichzeitig erwarb ich auch das Diplom als Gymnasiallehrerin für das Fach Biologie.
Das innere Feuer für die molekularbiologische Forschung war während meiner Diplomarbeit erloschen. Ich spürte, dass es kein Zurück mehr gab. Forschung im Labor, und vor allem mit solchen Kollegen, die nichts anderes kannten als Arbeit und die mit Spott nicht geizten, das kam für mich nicht mehr länger infrage. Ein Traum war geplatzt. Was jetzt? Mein grosser Wunsch, in der wissenschaftlichen Forschung berufliche Erfüllung zu finden, liess mich trotz der enttäuschenden Erfahrung nicht mehr los. Aber Sinn musste die Forschung machen, einen bedeutsamen Beitrag für die Gesellschaft leisten, so malte ich mir gute Forschung in meinem jugendlichen Idealismus aus. Was ich während der Diplomarbeit im Institut erlebt hatte, erfüllte meine Erwartungen an die Forschung nicht. Meine Vorstellung war, dass der Sinn von Forschung unmittelbar einsichtig sein sollte und nicht über verschiedene Ecken konstruiert, wie dies meine Kollegen mitunter versucht hatten. Natürlich konnte man jedem Bakterium in ferner Zukunft eine allfällige Bedeutung für das menschliche Leben zuschreiben. Aber ich fand diese Versuche lächerlich. Hätte ich in dieser Forschung Positives erlebt, hätte ich wohl ähnlich argumentiert. Aber das war endgültig vorbei. Die ersten Erfahrungen in der biologischen Forschung hatten mir die Lust geraubt, mich weiterhin diesem Fachgebiet zu widmen.
Ein Thema, das mich wirklich faszinierte, war das Unterrichten. Ich hatte mir durch mein frühes Engagement als Biologielehrerin fachliches und pädagogisches Wissen erarbeitet, das über das hinausging, was ich im Studium gelernt hatte. Aber das reichte mir nicht. Die didaktische Ausbildung zur Biologielehrerin hatte mich nicht befriedigt. Ich brachte als neues Thema die Ökologie, die damals an der ETH im Aufbau begriffen war, in den Unterricht ein, und ich suchte nach neuen Formen des Lehrens und Lernens. Die Lehrerkollegen verfolgten meine Unterrichtsvorbereitungen mit Skepsis. Direkte kritische Bemerkungen bekam ich zwar nicht zu hören, da hielten sie sich diskret zurück. Aber Kritik lag in der Luft, das entging mir nicht. Sie betraf einerseits die Ökologie, die als anspruchsvoll und komplex galt und von der die Lehrerkollegen sagten, dass man zuerst eine Matura haben müsse, bevor man sich auf das Thema einlassen könne. Konkret würde dies bedeuten, dass Ökologie für die Schule ungeeignet sei und erst in einem Fachstudium Biologie gelehrt werden könne. Andererseits betraf die Kritik auch die neuen Unterrichtsformen, wie Gruppen- und Projektarbeit, die ich mit dem Thema Ökologie einführte. Die vorherrschende frontale Form des Unterrichts galt unbestritten als die beste. Gruppenarbeit führe nur zu «dummem Geplauder», wie ein Kollege abfällig bemerkte.
Ich hatte mich schon während des Studiums mit gruppenpädagogischen Unterrichtsmethoden befasst und war vom Potenzial des Lernens im Gruppenverband überzeugt. Als Studentin hatte ich auch zweimal an gruppendynamischen Seminaren teilgenommen, die zu jener Zeit hoch im Kurs standen. Zur latenten Kritik meiner Kollegen in der Schule nahm ich keine Stellung, denn ich ahnte, dass ich damit die Kollegialität im Vorbereitungszimmer aufs Spiel setzen würde. Laufend erprobte ich neue Unterrichtsmethoden, ohne dass ich den Kollegen zeigen konnte, wie meine Schülerinnen und Schüler Lernfortschritte machten, die sie in konventionellen Unterrichtsengagements nicht hätten machen können.
In diesem Umfeld verdichteten sich meine Überlegungen zu einer zukünftigen wissenschaftlichen Tätigkeit schliesslich in der Überzeugung, dass Unterrichtsforschung mein neues Forschungsgebiet werden sollte. Mit Schülerinnen und Schülern arbeiten und dabei Fragen nach dem Lernen in der Ökologie nachgehen: Das entsprach genau meiner Vorstellung von spannender und lohnender Forschung.