Kitabı oku: «100.000 Tacken», sayfa 3

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Nee, nee, schüttele ich unmerklich den Kopf und Steffi ist sogar schon neugierig und sicher auch irritiert von Herrn Horstkötters Unterhemd und der schmissigen Marschmusik eine Treppe höher dem anderen Lärm entgegengegangen.

„Auf Wiedersehn, Härr Horstkötter! Schön Tach noch, woll!“, sagt Herr Dunkeloh erleichtert und wir lassen den Feinrippmann mit seinen antischinesischen, antiarabischen, anti-wahrscheinlich-alles-Ansichten einfach in seiner Wohnungstür stehen. Einer ist sicher immer dabei in so einem großen Haus, der einem nicht auf den ersten Blick so richtig sympathisch ist.

„Da muss wat passier’n!“, grölt Horstkötter uns noch mal hinterher.

Oh, ein Fahrrad kommt uns auf der Treppe entgegen. Und weil die Treppe selbst für so ein Sportrad doch ein wenig steil ist, wird es getragen.

„Ach, Härr Nguyen!“, sagt Herr Dunkeloh und ich meine, er verdreht unmerklich die Augen, „darf ich Ihn’ de neuen Hausbesitzer vorstell’n? Dat sin Härr und Frau Knippschild.“

Na, jetzt sind wir also schon die neuen Hausbesitzer … aber der Gedanke gefällt mir.

Herr Nguyen, der chinesische Vietkong und außerdem ein nett aussehender, sympathischer junger Mann in einem hautengen schwarzen Radrennfahrer-Plastikdress, lächelt uns kurz an und sagt sehr freundlich: „Guten Tag, Hell un Flau Nipsi! Ick leider kein Sseit jetz, solly! Muss Hunden hole!“, und spurtet weiter die Treppe runter. Das Schutzblech des Rades hinterlässt in der Raufaser der Treppenhauswand eine sehr unschöne Spur und Herr Dunkeloh verzieht schmerzhaft sein Gesicht und schließt die Augen.

„Kleinigkeit, Herr Dunkeloh“, sage ich nur, um den armen Mann zu beruhigen und wieder aufzurichten. Ist doch nicht so schlimm. Schnell gemacht. Ein gutes Handwerkerteam, etwas grüne Farbe … Wir gehen weiter. „Aber … netter junger Mann.“

„Ja, ja, sähr nett, sähr freundlich, woll.“

Und „Nipsi“ hat uns seit dem Urlaub letztes Jahr in Thailand schon lange keiner mehr genannt.

Aus der nächsten Wohnung quillt uns dann der schon von unten vernommene Soundtrack einer größeren Festivität oder Versammlung entgegen. Es muss sich um eine riesige Veranstaltung handeln und wir wundern uns, davon nicht im Fernsehen erfahren zu haben. Es scheinen sich Hunderte von Menschen hinter dieser Tür versammelt zu haben, um etwas ganz Besonderes zu feiern. Es klingt märchenhaft und exotisch zugleich. Wie das bunte Treiben auf einem arabischen Basar, auf dem gerade Kamele zum Kauf angeboten werden, die aber nicht verkauft werden wollen, lauthals rumröhren und dafür von den Kamelbesitzern aufs Übelste beschimpft werden.

Wir hören auch, wie ein Schlangenbeschwörer mit einer schiefen Flöte zu stampfenden Diskorhythmen seine gefährlichen Tiere vorführt, wie offensichtlich eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen einigen Marktbesuchern ausgetragen wird und vielleicht sogar auch noch eine kleine Hinrichtung stattfindet. Für unsere Sauerländer Ohren klingt es einfach fantastisch. Eine neue, aufregende Welt.

Na, da haben wir ja doch schon so einige unserer lieben Mieter kennengelernt. Mit so viel Glück hatten wir ja gar nicht gerechnet. Sind ja doch nicht alle unterwegs, wie Herr Dunkeloh zuerst vermutet hatte.

Herr Dunkeloh holt ein neues Taschentuch aus seinem grauen Anzug, um der Schweißströme Herr zu werden, die ihm von der Stirn direkt in den etwas speckigen Kragen rinnen.

„Fadlallah“, würgt Herr Dunkeloh trocken heraus und scheint am Ende seiner Kräfte.

„Wie bitte?“, fragt Steffi, denn sie hat es wohl nicht verstanden. Nicht nur wegen des Lärms. Ich auch nicht. Vielleicht fantasiert Herr Dunkeloh auch schon, der Arme.

„Härr Fadlallah un seine Frau … und wahrscheinlich sein ganzer Beduinenstamm“, sagt Herr Dunkeloh tonlos und wir spüren, dass er entweder Angst hat oder einfach nur die Schnauze voll.

„Libanon“, sagt er noch und dann schüttelt er fassungslos seinen schweren Kopf. Ich spüre, dass er sich wünscht, dieser Tag möge jetzt einfach mal ganz schnell zu Ende gehen. Ein Haus würde er heute sicher sowieso nicht mehr verkaufen. „Araber“, fügt er noch vielsagend hinzu, zuckt mit den Schultern und atmet schwer.

Naja, warum denn nicht Araber, Herr Dunkeloh? Haben wir was gegen Araber? Ich jedenfalls nicht. Es ist eben ein fremdes, faszinierendes exotisches Volk mit anderen Sitten und Gebräuchen. Da läuft es eben völlig anders als bei uns. Da ist ja nichts gegen zu sagen, oder?

„Die feiern sicher irgendetwas“, bemerke ich. „Fröhliche Menschen eben. Vielleicht hat jemand Geburtstag oder der Diktator des Landes ist endlich tot.“ Hat der Libanon eigentlich einen Diktator? Zur Zeit, glaube ich, nicht, aber ob es da so richtig rund läuft, weiß ich momentan auch nicht.

„Da is‘ immer Rämmidämmi!“, presst Dunkeloh aus schmalen Lippen heraus. „… aber sons natürlich … sähr nett, woll“, fängt er sich schnell wieder.

„Natürlich“, sagen wir. Und ich füge noch hinzu, dass wir da jetzt auch nicht stören wollen bei dieser schönen Feier.

Wir drehen uns also um und an der Tür gegenüber lesen wir auf dem nur noch an einer Schraube baumelnden Namensschild Ashok Bhattacharya und halten in bewundernder Andacht einen Moment die Luft an. Donnerwetter, was für ein toller Name. Wir heißen bloß Knippschild.

„Härr Bhattacharya is‘ Inder“, erklärt Herr Dunkeloh kraftlos seufzend, als sei es ihm auch langsam zu viel mit der ethnischen Vielfalt in diesem Haus.

Inder? Wie spannend! Und erstaunlich. Noch eine weitere Nation, die es sich in unserem Haus gemütlich macht. Seht ihr, es geht. Die ganze Welt unter einem Dach. Und alle verstehen sich.

Während die einen feiern, widmet sich ein anderer Mitbewohner vielleicht der spirituellen Meditation. Ob er wohl zuhause ist und wir ihn mal ansehen können, den geheimnisvollen Herrn Inder? Steffi wirkt auch sehr interessiert und nickt mir zustimmend zu.

Herr Dunkeloh scheint uns die Frage anzusehen und sagt, in sein Schicksal ergeben: „Ich kann ja ma klingeln, abba ich glaube nich …“

Aus dem Inneren der Wohnung hören wir dumpf stampfende Beats und tiefe Bässe, Technomucke, und als Dunkeloh auf den Klingelknopf drückt, übertönt eine sehr schrille Glocke ganz locker die Beats.

Wir erwarten den Herrn Maharadscha voller Aufregung, Spannung und auch ein wenig Beklommenheit. So eine hochherrschaftliche Begegnung hat man ja nicht jeden Tag. Und als die Tür sich langsam öffnet, sind wir doch reichlich erstaunt und auch etwas enttäuscht, keinen indischen Herrscher mit prachtvoll schmückendem Turban, weit geschwungenem Bart, einem weißen Gewand und einem Tiger an der Seite vor uns stehen zu sehen, sondern einen jungen Mann in neonbunten Turnschuhen, der uns mit einem Handy am Ohr fragend ansieht. Die Beats donnern ganz gut. Wie er dabei telefonieren kann, ist uns ein Rätsel, aber er kann’s.

Vielleicht ist er ja auch nur der Diener des Herrn Maharadscha. Aber er ist auf jeden Fall ein sehr sympathischer Mann mit einer etwas zu großen, ganz unmodernen Brille auf der zarten Nase und leider viel zu dunklen Ringen unter den Augen. Vielleicht muss er nachts lange im Palast arbeiten.

Ich muss kurz an den Brillenkorb in der Markt-Apotheke in Leckede denken, der immer voller ausgedienter Sauerländer Brillen ist, die dem Schild zufolge nach Indien geschickt werden sollen. Immer hoffe ich beim Anblick dieses Korbes zusammengewürfelter, ausrangierter und hässlicher Brillen, dass die Inder aus dem Korb auch die Gestelle mit der richtigen Dioptrienzahl herausfischen werden, wenn der Korb dann mal in Indien landet. Unser junger Mann hat sicherlich nach Dioptrien ausgewählt, denn schön ist das Gestell nun wirklich nicht.

Ansonsten ist der Mann von kleinerer, fast zarter Statur und sicherlich sanftem Wesen. Sehr nett.

„Mommand!“, sagt er in das Handy und es soll wohl „Moment“ heißen. Aber es klingt, als hätte Herr Bhatta…dingsda eine heiße Kartoffel im Hals stecken. Dann sagt er zu uns: „Jo, bidda?“, was wohl „Ja, bitte?“ heißen soll.

Herr Dunkeloh geht zwangsläufig wieder in den Makler-Aktionsmodus und sagt recht laut, um die Beats zu übertönen: „Härr Bhattacharya, dat sin Härrschaften, die sich für dat Haus interessiert haben.“ Aha, wir sind schon in der Vergangenheit. Vermutlich hat er uns als potenzielle Käufer schon längst abgeschrieben. „Es soll ja verkauft werden, woll. Äh, wir könn’n grade sicher nich’ in Ihre Wohnung?“, fragt Dunkeloh voller Hoffnung, wie mir scheint.

Doch Herr Bhattacharya hebt die linke Hand, er muss noch einmal kurz etwas in seiner Kartoffelsprache in das Handy sagen, aber der Lärm aus der Libanon-Wohnung stört dabei doch gewaltig. Da verwandelt sich der junge, sanfte Herr Inder plötzlich in einen wütend fauchenden bengalischen Tiger, macht einen federnden Satz auf die arabische Tür zu, bollert mit aller Kraft dagegen und brüllt mit der Kartoffel im Hals: „Terrowisten! Terrowisten! Stopp de Rradau. Stopp de Rradau! Scheise Kameltweiberr!“

Dabei bollert er recht ungehalten und für so einen schmächtigen kleinen Inder erstaunlich kräftig gegen die libanesische Tür, die aber standhält, und der orientalische Lärm verstummt tatsächlich für einen kleinen, hoffungsvollen Moment. Nur der Schlangenbeschwörer setzt sein schräges Spiel unermüdlich fort.

„Värrpiss disch, Kanacke!“, kommt es dann aus dem Holz der Tür, aber der Inder hört gar nicht mehr hin, sagt nur noch mal kopfschüttelnd „Scheise Kameltweiberr“ und dann wendet er sich betont freundlich an uns.

„Bidda, komman Sie rrein!“ Und er tritt höflich zur Seite, um uns einzulassen. Vielen Dank. Hinter uns geht die Kameltreiber-Party munter weiter.

Die Wohnung des freundlichen Radschas riecht nicht nach Räucherstäbchen und wir hören auch keine Sitarmusik, sondern nur diesen Techno-Beat aus einem riesigen Ghettoblaster, dessen Leistung der Inder jetzt allerdings freundlicherweise drosselt. Die Wände sind nicht mit wertvollen Teppichen und Seidenstoffen behängt und es räkeln sich keine schönen indischen Jungfrauen auf dem Sofa. Wahrscheinlich aber auch, weil das gar nicht gehen würde, denn dieses Sofa ist über und über mit CDs, Diskettenlaufwerken, Festplatten und was weiß ich noch allem übersät. Die ganze Wohnung ist ein einziges Chaos aus elektronischen Geräten und Computerkram. Monitore, Rechner, Kabel … alles liegt zwischen Getränkedosen und leeren Pizzakartons überall herum und zeugt von Herrn Bhatta…charyas Interesse für die moderne Welt der Informationstechnik. Ein interessierter junger Mann also, der offensichtlich wenig Zeit und viel Arbeit hat! Sehr schön. Das sieht man doch gern.

Und da Herr Bhatta…charya so unglaublich viel zu tun zu haben scheint – das Handy klingelt schon wieder –, gebe ich Herrn Dunkeloh zu verstehen, dass wir ihn bei seiner elektronischen Arbeit dann auch nicht weiter stören wollen. Also lächeln wir ihm noch einmal zu und lassen ihn wieder in seinem sympathischen Chaos allein. Die Wohnung ist aber sehr schön geschnitten. Die Techno-Beats bollern wieder.

„Ganz oben, geg’nüber vom Vietkong …“, Herr Dunkeloh unterdrückt einen albernen Lacher, „… wohnt noch der Härr Wukuada“, ruft er über den arabischen Lärm und die Beats. „Der is‘ abba nich zuhause. Der studiert, woll?“

„Wukuada?“

„Ja, der kommt aus …“

Dann macht er eine bedeutungsvolle Pause, um für das letzte Land dieser Erde noch mal kräftig Anlauf zu nehmen. Und dann sagt er: „Ghana.“ Und damit scheint er jetzt dann wohl endlich durch zu sein. Alle Länder der Welt sind in seiner heutigen Führung vorgekommen. Und wie es aussieht, ist er ganz froh, es endlich hinter sich gebracht zu haben. Wir haben praktisch alles gesehen.

Griechenland, Türkei, Russland, Deutschland, Vietnam, Libanon, Indien und … jetzt dann auch noch Ghana. Die ganze Welt unter einem Dach. Ist das nicht wunderbar!

„Ach“, sagt der arme Herr Dunkeloh dann und fasst sich an den Kopf, einen habe er noch vergessen. „Es gibt ja noch Härrn Wozniak hint’n im Hof, im Anbau, woll.“ Dabei deutet er zu einem der Treppenhausfenster nach hinten raus, ohne selber hinzugucken. „Der betreibt da so ’ne kleine Druckerei. T-Shirts, Flyer, Plakate und so … woll. Is‘ aber auch wohl Künstler un malt.“

Aha. Wir blicken durch das halbblinde Treppenhausfenster nach unten in den Hof und sehen ein Gebäude, das irgendwie gar nicht hierherzugehören scheint. Es sieht aus, wie aus einer großen Parkanlage hierher verbannt. Wie ein alter Teepavillon wirkt es fast. Es ist rund und flach und hat in der Mitte oben eine gläserne Kuppel, durch die man in das Innere sehen könnte, wenn die Scheiben nicht so schmutzig wären. Vielleicht war hier früher wirklich einmal ein Park oder Garten, bevor man alles zugebaut hat, und dieser Pavillon stand mittendrin. Hübsch. Und darin arbeitet also nun dieser Herr … Künstler … wie hieß er doch gleich? Wozniak!

„Pole!“, sagt Dunkeloh und muss jetzt schon laut lachen. Er kann wohl nicht mehr an sich halten, bremst sich dann aber noch mal elegant ab und räuspert sich nur.

Ach ja. Ein Pole also auch. Die Welt ist groß. Nun gut, wir wollen Herrn Dunkeloh ja auch nicht weiter strapazieren. Er ist einfach am Ende. Er kann jetzt nicht mehr und wir haben ja alles gesehen. Wir sind praktisch durch.

„Gut“, sage ich und schaue Steffi erwartungsvoll und aufmunternd lächelnd an. Ist ja schon ganz schön anstrengend so eine Hausbesichtigung als zukünftiger Besitzer. Man darf sich ja nicht blenden lassen und muss für alles einen kritischen Blick haben. Aber auch Steffi scheint genug gesehen zu haben.

„Dann gehen wir also. Alles sehr schön. Vielen Dank, Herr Dunkeloh!“

Dankbar, endlich erlöst zu sein, folgt er uns die Treppe nach unten, vorbei am libanesischen Volksfest, auf dem gerade die Hinrichtung stattzufinden scheint oder auch vielleicht nur ein Hammel geschlachtet wird. Das arabische Gejohle ist groß.

Vorbei an Herrn Horstkötters Tür, hinter der wir jetzt den Radetzky-Marsch vernehmen, den ich noch aus der Single-Kiste meines Vaters kenne. Tadda-buff-tadda-buff-tadda-buff-tata! Und als wir an der Wohnung des Ehepaars Bolschakow vorbeikommen, hören wir doch tatsächlich handgespielte Klaviermusik und bleiben einen Moment andächtig lauschend davor stehen. Wie schön. Richtige Künstler in unserem Haus.

„Was ist mit dem Keller?“, frage ich Ich hätte zu gerne noch die Heizungsanlage bewundert, denn davon verstehe ich ein wenig, weil ich ja von meinem persönlichen Klempner Helmut Vonderbrake, der sich immer rührend um die alte Heizung in unserem eigenen Haus in Leckede kümmert, immerhin so einiges gelernt habe.

Dunkeloh sieht mich erschrocken an und wühlt dann noch mal nervös durch sein gewaltiges Schlüsselbund.

„Oh, ich kann getz leider den Schlüssel nich find’n, Herräh … Knippschild. Der müsste noch in meim‘ Büro … is‘ abba alles … in Ordnung“, ergänzt er eifrig. „De Heizung läuft, woll.“

Na gut, denke ich, wenn die Heizung läuft … das ist ja das Wichtigste, besonders jetzt im Winter … und dann schiebt er uns auch ganz schnell und hastig nach draußen.

Unten vor der Tür schnappt Herr Dunkeloh gierig nach Sauerstoff und fächelt sich mit dem Aktenordner eifrig Luft zu. Doch er erwischt natürlich nur den sehr fetthaltigen, giftigen Dunst vomTakis Orakel. Dennoch versucht er auch schon wieder, etwas dabei zu lächeln. Es ist also überstanden.

Aus. Vorbei. Durch. Das war’s.

Gerade will er noch zu ein paar abschließenden Worten ansetzen, um uns offensichtlich zu verabschieden, da kommt ein junger Schwarzafrikaner mit einer großen ledernen Einkaufstasche des Weges und direkt auf uns zu. Er nickt Herrn Dunkeloh freundlich zu und geht schnurstracks an uns vorbei ins Haus. Der obere Reißverschluss der großen Tasche ist ein wenig geöffnet, ein rotbraunes Huhn streckt den neugierigen Kopf heraus und sieht uns verwundert an. Es scheint lebendig und macht kurz und bündig „Gack“.

Ein Huhn?

Vielleicht habe ich es aber doch nicht richtig gesehen und gehört, aber nach Steffis ratlosem Blick zu urteilen, könnte es tatsächlich ein lebendes Huhn gewesen sein. Der schwarze Mann ist längst, eine fremde, vielleicht afrikanische Melodie pfeifend, im Haus verschwunden.

Herr Dunkeloh scheint es wohl auch gesehen zu haben, denn er bricht jetzt seinerseits in ein hysterisches Lachen aus, dass uns angst und bange wird.

„Dat war der Wukuada!“, brüllt er und lacht und lacht … „Ghana! Hahaha…“

Wir haben etwas Angst um Herrn Dunkeloh, doch da hat er sich auch schon wieder gefangen und schüttelt unaufhörlich den Kopf, als könne er das alles gar nicht begreifen.

„Ich brauch getz ‘n Schnaps!“, sagt er dann und deutet mutig auf den Eingang zum Takis Orakel und sein Blick fragt, ob wir mitkommen.

Oh, denke ich und betrachte voller Sorge die fetten Rauchschwaden, die noch immer aus dem Inneren dieser geheimnisvollen Lokalität wabern.

Nun ja, warum eigentlich nicht? Das Orakel gehört ja schließlich auch zum Haus und wir haben es noch gar nicht gesehen. Ich zucke mit den Schultern, hole noch das Einverständnis von Steffi ein, die ebenfalls gleichgültig die Mundwinkel verzieht, aber ihr Schicksal bereits besiegelt sieht, und schon betreten wir furchtlos und auch neugierig den schmierig, dunklen, räuchernden Frittenpalast.

Jamas!

Mit einem Taschentuch vor dem Mund kann man die ersten zwei, drei Minuten ganz gut aushalten, aber dann sieht das mit dem Taschentuch einfach auch nicht so besonders aus, es wirft Fragen auf und wir verzichten auf diesen unhöflichen Atemschutz.

Er nützt auch sowieso nichts. Das Fett ist überall, es wabert durch den öligen Frittendunst und den beißenden Rauch, der aus der hinteren Ecke des Etablissements quillt, wo man im dichten Nebel jemanden erkennen kann, der mit großen Gesten herumhantiert und mühsam, aber ehrgeizig versucht, eine dürftige Mahlzeit aus verbranntem Fleisch herzustellen. Hier müsste dringend mal ein Fenster aufgerissen werden, aber vielleicht will man ja nicht, dass es zieht. Es ist sehr kalt draußen.

Langsam gewöhnen sich unsere Augen an die feindliche, fast undurchdringliche Atmosphäre und wir erkennen an zwei Plastiktischen andere Menschen, die auch sämtlich ohne Schutzmasken und scheinbar auch ohne weitere Probleme verschiedene Köstlichkeiten der griechischen Küche gut gelaunt verputzen. Es scheint ihnen also zu schmecken. Einer raucht schon genüsslich eine Zigarette, während der andere noch mit großem Appetit verzehrt. Das Rauchen fällt im allgemeinen Geräucher sowieso nicht auf. Das sonst übliche Rauchverbot in Gaststätten erübrigt sich also hier schon mal.

Und dann erkennen wir den Grillmeister selbst, der sich langsam immer deutlicher werdend aus dem Qualm schält. Gutmütige griechisch braune Augen sehen uns unter buschigen Augenbrauen in tiefem Schwarz an.

„Dat is‘ Herr Panagopoulos un seine Gattin, woll“, stellt uns Herr Dunkeloh den nebulösen Herrn und eine Frau vor, die wir aber im Dunst noch nicht ausmachen können. Er muss einmal kurz husten und etwas Schweiß abwischen. Aha, da, im Hintergrund, erkennen wir jetzt auch die Frau des obersten Grillmeisters. Sie nickt uns freundlich zu und wendet fachmännisch und voller Andacht mit den bloßen Händen eine große lange, fleischige Wurst und streicht dann liebevoll und ganz verträumt darüber hinweg.

An den griechischen Grillgott gewandt, sagt Dunkeloh dann: „Herr Panagopoulos, dat is‘ dat Ehepaar Knippschild, den’n ich grade dat Haus gezeicht habe, woll. Eventuell hätt’n sie es kauf’n wollen …“

Oh, Konjunktiv Perfekt. Wir sind für ihn also schon aus dem Rennen.

„Aaah“, sagt Herr Panagopoulos, scheint sich riesig über uns zu freuen, obwohl er uns ja gar nicht kennt, reißt die Arme hoch, besinnt sich aber dann und wischt sie sich erst noch an einem rotkarierten zerfetzten Handtuch ab, dessen Karos allerdings vom ständigen Abwischen fast verschwunden sind, umarmt uns dann aber umso herzlicher wie alte Freunde.

„De neue Chausbessiddsa! Chärzelick villkommäh. Chärzelick villkommäh. Trinke Ouzo auf Chaus. Umsonst. Kosta nix! Athina, bringst du de Ouzo, parakaló!“, ruft er nach hinten und die Grillwurst muss leider für einen Moment vernachlässigt werden.

Sehr freundlich, das Ehepaar Panagopoulos.

Und schon stehen vier kleine Ouzogläser vor uns auf der öligen Theke des Hauses und der große Gyrosmeister hebt seines, um mit uns anzustoßen. „Jamas!“, brüllt er, die Gläser knallen, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, zusammen, es spritzt ein wenig und schon bahnt das eiskalte Aniszeugs sich seinen feurigen Weg unsere Kehlen hinunter, bevor wir uns dagegen wehren können. Boah! Na, wenigstens ist es eiskalt, sonst kann man so was ja wirklich nicht trinken.

„Noch ein!“, brüllt Panagopoulos wieder herzlich lachend, die Flasche kreist und wieder heben wir wie fremdgesteuert die Gläser, um sie neu füllen zu lassen und deren Inhalt Richtung Magen zu schicken. Das haben die Griechen ja drauf. Das ist Hypnose, oder was! Ich weiß es nicht. Es funktioniert immer. Große Magie. Bei den Zauberworten „Trinke Ouzo auf Chaus!“ kann man gar nicht anders und muss das furchtbare Zeugs saufen. Man will ja auch das freundliche Volk der Griechen nicht beleidigen. Also: Jamas!

Herrn Dunkeloh geht es schon viel besser. Er hat wieder etwas Farbe im Gesicht.

„Woll’n we wat ess’n?“, fragt er. „Ich lad Sie ein, ja? Geht auf Kost’n von Dunkeloh und Wöbkemeier, hahaha …“ Und da lacht er schon wieder, sogar noch etwas wahnsinniger als eben, so dass wir uns doch wieder etwas Sorgen um ihn machen.

Tja, was essen? Mein etwas unsicherer Blick zu Steffi wird von ihrem ebenso zweifelnden Blick erwidert. Uns tränen etwas die Augen. Aber gut … eine Kleinigkeit könnte man vielleicht …

Zweimal Gyros. Steffi nimmt Bauernsalat mit Schafskäse.

Und Ouzo natürlich. Sowieso. Ouzo muss. Das Gyros ist verdammt lecker. Schön kross und ohne Fett. So muss das sein. Naja, das Fett hängt ja auch schließlich überall in der Luft um uns herum, das kann ja gar nicht mehr … egal. Es schmeckt.

„So“, sagt Dunkeloh dann erleichtert und schiebt sich eine übervolle Gabel mit dem gegrillten Geschnitzel in den Mund, „dann ham we’s also hinter uns, woll. Un ich muss Ihn‘ gratulieren. Sie sin tatsächlich de Ärsten, die bis Ghana gekomm‘ sind. Hahaha …“

Der Mann ist echt von der Rolle.

„Wie meinen Sie das, Herr Dunkeloh?“

„Naja, bisher binnich nie weiter als bis inne Türkei gekomm‘. Hahaha … Bei de Göktürks sin mir de Interessent’n meistens schreiend wieder wechgelauf’n. woll. Hahaha … Ich heiß übring’s Willi“, sagt er dann und hebt schon wieder sein Ouzoglas, um mit uns anzustoßen. Der Makler ist gänzlich von ihm abgefallen. Seine Sprache ist schon leicht abgeschliffen, aber man versteht ihn noch ganz gut. Netter Kerl, eigentlich.

„Alex“, sage ich und Steffi sagt: „Steffi. Ich nix mehr. Muss ja noch fahren.“ Sehr vernünftige Frau. Ich kann ja gar nicht mehr fahren.

„Also, Alex, Steffi, ich sach’s ma so: Diese Bude kosded mich noch den letzt’n Nerv, ja? Un heute hat’s mir wirklich gereicht, glaubt mir dat. So schlimm war’s noch nie. Dat gibb’s ja gar nich. Dat reinste Irrenhaus, woll. Die sin ja alle völlich wahnsinnich. Ich kanni mähr.“

Und dann schüttet er wieder Ouzo in sich rein und macht ein Gesicht, als denke er schon über eine frühzeitige Pensionierung nach oder darüber, was er im Leben alles falsch gemacht hat und dass es so alles einfach nicht weitergehen kann.

„Oooch“, sage ich, „ich fand’s ganss int’ressant, Willi“, und nehme auch noch einen ganz kleinen Schluck. Man gewöhnt sich ja doch irgendwie an das Zeugs, wenn man erst mal den leichten Ekel überwunden hat. „Multikulti, Willi! Is’doch toll. Die gansse Welt in eim Haus!“, töne ich herum, lächle überglücklich meine Steffi an und trinke fröhlich meinen Ouzo.

Herr Pangopoulos steht schon wieder mit der Ouzoflasche neben uns und kippt nach. „Tringe, tringe! Hahaha …! Das mein Frau Athina“, sagt er und schiebt seine blond gefärbte Gattin schmutzig, fast zweideutig lächelnd ins Bild. „Mein Göttin“, sagt er dann und kneift sie zielgenau in den Hintern. Ja, ich habe es genau gesehen. Athina haut ihm dafür lachend auf die fettigen Finger und schüttelt entschuldigend den Kopf.

„Un das die neue Chausbessidsa“, sagt er dann zu seiner Göttin, die jetzt wieder freundlich lächelt und auch „Chärzelick villkommäh!“ sagt.

„Oh, viel’n Dank, liebess Ehepaar Panago …“

„Binnisch Takis“, brüllt der lachende Grieche und gießt nach, dass die Gläser schwappen. Was für ein wunderbarer Laden, dieses Takis Orakel. Könnte meine Stammkneipe werden.

Steffi wirft mir einen ersten warnenden Blick zu und Willi Dunkeloh sieht mich noch immer an wie eine Erscheinung, weil er das mit dem ‚tollen Haus‘ von gerade wohl nicht so ganz verstanden hat.

„Wat sollas heiß’n: ganz int’ressant?“, fragt er dann regelrecht schockiert. „Ihr seid donnich tatsächlich int’ressiert an dem Irrenhaus, hä? Alex? Steffi?“

Ich mache eine spitze Schnute, neige den Kopf ein wenig, als würde ich verschiedene Dinge kritisch gegeneinander abwägen, wozu ich ja gar nicht mehr fähig bin. Dann sehe ich Steffi an. Sie macht ein ähnliches Gesicht, aber mit zusätzlichem Hin- und Herwiegen ihres hübschen Kopfes. Das heißt, sie wägt auch ab, aber ganz so toll fand sie es möglicherweise doch nicht. Oder sie ist sich nicht ganz sicher, oder sie hat noch etwas ganz anderes vor.

„Naja“, sage ich, „is‘ doch’n schön’s Hausss. Juhngstil.“

„Ja, ja, Juhngstil. Sicher isses schön … sicher!“, bestätigt mir mein neuer Freund Willi.

Der arme Kerl ist ganz durcheinander. Wo er doch alles schon abgeschrieben hatte. Damit hatte er wohl überhaupt nicht gerechnet und jetzt muss er wieder umschalten auf Makler.

„Es is‘ sogar säähr schön. Ihr könnt es hab’n. Säähr gerne. Ich mach euch ’n Wahnsinnspreisss, woll. Der Verkäufer is‘ auf jed’n Fall einverstand’n – mit jed’m Angebot. Der will den Kasten loosswerd’n, weil … ach, is‘ ja egal. Un ich verssichte auf meine Provision. Nehmt es! Nehmt es! Alex, Steffi, bitte, tut mir den Gefallen. Ich kanndanichmehrrein!“

Och, der Arme. Vielleicht denkt er auch schon daran, den schönen Beruf des Maklers aufzugeben. Das wäre aber schade.

„Ja, und was würde es denn dann kosten?“, fragt Steffi und daran merke ich, wie geschäftstüchtig sie doch tatsächlich ist, denn den Preis des Hauses kennen wir ja eigentlich von der Anzeige. Sie will also handeln. Und ich stelle auch mit Zufriedenheit fest, dass der Gedanke mit dem Hausbesitzertum auch bei ihr noch immer voll im Rennen ist.

„Ssweihunnert!“, bläst Willi Dunkeloh raus und sackt kraftlos in sich zusammen. „Dassis ein Hammerpreis, dassis eine Rendite von über sieb’n Prossent! Dassis einfach der Wahnsinn!“

Sieben Prozent!? Ist das gut? Ich weiß gar nicht so genau. So weit waren wir ja in das Mehrfamilienhausgeschäft noch gar nicht eingestiegen, um dazu eine Meinung zu haben.

„Sieb’n Prossent!“, singt Willi noch mal ganz verzweifelt und „Ssweihunnert! Letsses Wort!“ und dann reicht er uns etwas geheftetes Papier aus seiner schwarzen Mappe. „Das sin die Ssahlen. Die lügen nicht, woll!“

Ich sehe Steffi an und wir zucken beide unmerklich mit den Achseln, so dass Willi es nicht merkt. Aber der merkt sowieso nichts, weil er schon wieder mit dem Ouzoglas nach Takis winkt.

„Hundertachtzig!“, sagt Steffi dann und ich verschlucke mich fast an meinem alkoholischen Anis-Kaltgetränk. Boah, wie cool ist die denn drauf? Da macht der arme Willi schon so einen Hammerpreis, und dann will sie ihn noch weiter runterhandeln. Der arme Willi! Das kann man doch nicht machen!

Willi stiert sie blöde an und stöß ein-, zweimal auf. Dann schüttelt er sich kurz und sagt einfach: „Hunnertachssig! Ass klar! Scheisegal.“

Und in diesem Moment bedauere ich es dann doch, dass sie nicht „Hundertsechzig“ gesagt hat. Aber egal. Scheisegal sogar.

Und dann ruft Takis noch einmal „Jamas!“, die Gläser krachen und Steffi gibt mir ein Zeichen, dass es jetzt wirklich Zeit für uns wird. Ja, wenn es am schönsten ist …

„Wir überlegen“, sagt Steffi und steht schon aufrecht neben mir. Was gibt’s da noch zu überlegen? Ich meine, auch hundertachtzig ist doch ein toller Preis. Schnäppchen! Doch Steffi zieht mich schon hoch und ich kann nur noch reaktionsschnell den Rest aus dem halbvollen Ouzoglas hinunterschütten.

„Tschüss Willi, wir müss’n“, sage ich also. „Wir meld’n uns! Schön’s Hauss! Wirklich. Wir überlehng.“

Dann packt Steffi die Willi-Papiere ein und zerrt mich aus dem Frittennebel ins Freie. Willi schaut uns ganz traurig hinterher. Der arme Kerl.

„Kauft es. Sieb’n Prossent!“, ruft er uns hinterher und dann weint er, glaube ich.

Die frische Luft ist ein echter Schock und bringt mich fast um das Gleichgewicht. Aber dann fange ich mich wieder und Steffi bugsiert mich geschickt zu unserem alten Volvo, den wir nach einiger Zeit auch ohne Zwischenfälle erreichen.

Ich drehe mich dann aber noch mal sehnsüchtig um und sehe auch Freund Willi jetzt in äußerst gewagten Schleifen auf seinen Mercedes zuwanken. Er schließt ihn sorgfältig auf, lässt noch ganz nebenbei einen hintenraus knattern, weil er sich ganz alleine wähnt, und dann fährt er mit Vollgas von dannen.

„Wir meld’nuns, Willi!“, rufe ich ihm hinterher, aber er hört mich natürlich nicht mehr.

Im selben Moment biegt ein Lieferwagen um die Ecke und hält direkt vor unserem Haus an. Elektro Stankozi steht in großen dicken Lettern an der Seite und darunter der flotte und sehr sinnige Spruch Hast du’n Kurzen in der Dosi – Stankozi!.

Zwei kräftige Männer in blauer Arbeitskleidung und großen Westernhüten steigen bedächtig aus, werfen ihre Zigaretten in hohem Bogen auf die Straße und sehen sich lauernd nach allen Seiten um. Sie stehen breitbeinig vor ihrem Lieferwagen und ich warte nur darauf, dass sie in der nächsten Sekunde ihre Colts aus den Blaumännern ziehen und wild auf bisher unsichtbare Verfolger schießen. Aber sie sehen sich nur um, der eine rückt seinen Cowboyhut zurecht und dann betreten sie mit zwei schweren Werkzeugkästen das Haus.

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