Kitabı oku: «100.000 Tacken», sayfa 6

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„Ragazzo! Bello!“, schnurrt sie, drückt mir einen Schmatzer auf die Wange, dass ich fast ersticke. „Sstääffii, freu isch mir!“

„Wolle ässe, cari amici, liebe Freunde?“, fragt Gaetano freudig und reibt sich die Hände. Er reibt sich immer die Hände, das ist so eine Angewohnheit von ihm, und manch einer, der ihn nicht kennt und zum ersten Mal seinen Laden betritt, hat vielleicht das Gefühl, dass er ihm in die Falle gegangen ist.

Ja, wollen wir.

„Prego. Il menù!“

Damit schleudert er uns lässig die laminierte Speisekarte auf den Tisch, und bevor wir etwas daraus aussuchen können, weiß er schon, was wir auf jeden Fall nehmen sollen und nimmt uns die Karten schon wieder weg.

Es gibt heute Tortellini Colosseo und Rigatoni della Casa für alle, einen trockenen Weißen und dann noch einen, und es schmeckt wie immer fantastisch. Und Gaetano hat seinen Laden gut geheizt.

„Hast du Geld?“, fragt Steffi.

„Jep!“, sage ich großspurig, weil der Wein schon sehr angenehme Wirkung zeigt. „Über zweihundertausend.“

„Nein, ich meine jetzt zum Bezahlen, natürlich“, sagt sie und schmunzelt, weil wir auf einmal so reich sind. Jetzt hat sie es also auch begriffen und es scheint ihr zu gefallen.

„Ja klar.“

Ich zücke einen Hunderter und Gaetano gibt mir einen Fünfziger zurück. Aufgerundet. Ja, billig ist er nicht, unser italienischer Freund.

„Grazie mille!“

„Gaetano, wir haben ein Haus gekauft!“, sage ich ihm dann stolz, weil ich eigentlich immer allen alles erzähle, wenn es mir auf der Zunge brennt und mich augenblicklich bewegt. Steffi findet das nicht immer gut.

„Eine Chaus?“

„Ja, ein Mietshaus, weißt du?“

„Ooh, meine Bruder hatte so eine Chaus.“

„Unser Haus ist sehr schön. Wohnen viele Leute drin. Alle sehr nett!“

„Auche Ausseländär?“, fragt Gaetano vorsichtig.

„Nur!“

„Oooh, Alessandro“, stöhnt er da und sieht mich außerordentlich bemitleidenswert an, „gibbte nur Ärger! Gibbte nur Ärger! Pericoloso! Gefährelische! Passe auf, dass nisch falle auf Schnauze, liebe Amico!“

Ach was.

„Arrivederci, Gaetano! Arrividerci, Gioavanna!“

Und dann küssen wir uns wieder alle und Gaetano reibt sich die Hände.

Als wir das Sapori Italiani verlassen, freuen wir uns, dass es ein bisschen geschneit hat. Ein sanfter weißer Hauch hat sich über unser Städtchen gelegt und es sieht wunderbar kitschig aus. Puderzucker.

„Oh, Steffi, sieh dir das an! Bald ist Weihnachten!“, sage ich hocherfreut, denke an klingelnde Glöckchen, Paketchen mit goldenen Schleifchen und glitzernde Weihnachtsbäume und rutsche dabei überraschend elegant auf der untersten Stufe aus. Steffi kann mich leider nicht auffangen, weil ihre Reaktionsfähigkeit anscheinend doch etwas gelitten hat, aber zum Glück verfehle ich die tödlichen Spitzen des schmiedeeisernen Geländers von Gaetanos kleiner Treppe um einige Zentimeter mit dem Hinterkopf, so dass ich wohl gerade noch mal davon gekommen bin und nur mit dem Steißbein krachend und hart auf Beton lande.

„Scheiße!“

„Mann, Alex, das war knapp!“

In der Grabkammer

Heute fahren wir zu unserem Haus. Als die neuen Besitzer. Und wir freuen uns sehr darauf. Max darf mitkommen, weil er unser tolles Haus ja noch gar nicht gesehen hat. Später wird er es schließlich einmal erben und er soll schon jetzt wissen, wie sein zukünftiger Hoheitsbereich aussieht, und lernen, wie man als gnädiger und gerechter Mietshausbaron seinen Schutzbefohlenen gegenübertritt.

Ich habe in der Redaktion heute morgen so zwischendurch einen kurzen Brief entworfen, in dem wir uns als die Neuen vorstellen, sagen, dass wir uns freuen, unsere Zukunft mit diesen wunderbaren Menschen verbringen zu dürfen, dass man uns natürlich jederzeit anrufen dürfe, wenn es Probleme gebe und dass wir immer für alle und alles ein offenes Ohr hätten. Unsere Telefonnummern – zur Sicherheit auch Steffis und meine Handynummer – habe ich fett unten auf den Brief gesetzt und natürlich auch unsere Kontonummer, wohin man dann bitteschön auch ab sofort die jeweiligen Mieten freundlicherweise zahlen möchte.

Diesen Brief wollen wir persönlich bei unseren Mietern abgeben oder in die entsprechenden Kästen werfen. Außerdem gibt es noch einen Aushang für das Treppenhaus an alle und ein Fläschchen Wein für jeden. Und weil bald Weihnachten ist, hat Steffi natürlich noch ein Tütchen mit Marzipankartoffeln und einer goldenen Schleife drangehängt. So ist sie eben.

Also. Es läuft.

Auch in Arnsberg hat es etwas geschneit und unser Haus sieht einfach toll aus. Ein Wintertraum in Grau mit Weiß. Jugendstil im Schnee. Die Stuckgesimse an der Hausfront haben … naja, man darf das ruhig mal so sagen, kleine weiße Häubchen.

Jawoll. Haben sie.

„Das isses?“, fragt Max und wir sagen voller Stolz: „Ja! Das isses!“

„Naja, geht so“, meint er und wir sind etwas enttäuscht, aber mehr kann man wahrscheinlich spontan von einem Zwölfjährigen nicht erwarten.

„Du musst es erst mal von innen sehen!“, sage ich mit möglichst viel Begeisterung und Steffi zuckt dabei leicht zusammen und lächelt unsicher.

Wir bleiben noch einen Moment stehen und wollen das schöne Bild ein wenig genießen, was uns aber nicht ganz gelingt, weil dieses nervöse blaue Drehlicht eines Notarztwagens uns doch etwas irritiert. Da wird doch wohl nichts passiert sein? Der Wagen steht eigentlich direkt vor unserem Haus. Das Takis Orakel ist dunkel. Hat Takis denn einen Ruhetag? Eine Menge Fragen werfen sich da plötzlich auf.

„Was ist denn da los?“, fragt Max jetzt schon weitaus mehr interessiert und ich zucke nur mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ Also gehen wir gemeinsam vorsichtig näher zum Ort des rätselhaften Geschehens.

Eine ältere, schwer stöhnende Dame wird gerade auf einer Bahre in das Innere des Notarztwagens geschoben und ein Herr etwa des gleichen Alters umschwirrt sie mit einer dunkelbraunen Handtasche wedelnd besorgt und böse fluchend.

„Dat chibbt ‘ne dicke Klage, Hilde, dat sachich dir. Die kommen mir so nich davon. Die zahlen bis an ihr Lebensende. Da kannze ein‘ drauf lassen, woll?! Hilde, Hilde, wie chehdet dir getz?“

„Besskissen!“, sagt Hilde, denn die alten Leute im Sauerland reden so.

Tja, wen meint der böse alte Mann denn bloß, und was ist überhaupt passiert? Max bestaunt die Szenerie sehr aufmerksam.

Als ich einen der medizinischen Nothelfer danach frage, sagt der nur mit hochgezogenen Augenbrauen, einem verständnislosen Kopfschütteln und voller Vorwürfe übers ganze Gesicht verteilt: „Wie imma! Nich gestreut! Die alt’n Leute fliegen doch sofort auffe Fresse, wenn’s glatt wird. Dat weiß man doch! Käa, Käa … Solche Typen sollte man einloch’n!“

Und dann verschwindet er mit Notarzt, Hilde und wütendem alten Mann im Wagen, der bald darauf auch schon mit seinem Blaulicht, aber ohne Sirene davonfährt.

Nicht gestreut! Ja, das gibt’s ja nun wirklich nicht. Es hat ja schließlich geschneit. Solchen Leuten sollte man wirklich … aber Moment … ich muss kurz nachdenken … das hier ist ja unser Haus. Und es ist direkt davor passiert? Sieht so aus. Hätten wir dann vielleicht …? Ja, woher soll man denn wissen … und gibt’s denn hier keinen Streudienst? Hat das denn keiner organisiert? Hätten wir das vielleicht …?

Schon wieder eine ganze Menge Fragen.

Naja, kann schon sein, dass wir da vielleicht … Ich habe plötzlich ein ziemlich flaues Gefühl in der Magengegend, das die Freude auf das schöne Haus etwas dämpft. Steffi hat wohl ähnliche Gedanken. Auch die weißen Häubchen über den Stuckgesimsen scheinen schon wieder in sich zusammenzusacken. Sollte es vielleicht doch nicht ganz so einfach sein, ein Haus wie dieses zu besitzen und auch zu beherrschen?

„Naja, die alte Frau hat sich sicher nur den Fuß verstaucht“, versuche ich Steffi und vor allem mich selbst zu beruhigen. „Die soll sich mal nicht so anstellen.“

„Na, du bist ja gut, Alex“, empört sich Steffi. „Und wenn nicht? Oberschenkelhalsbruch, Querschnittslähmung. Du weißt doch, dass diese alten Leute sich schnell alles Mögliche brechen und dann nie wieder auf die Beine kommen.“

„Na, was laufen sie dann auch bei diesem Scheißwetter hier draußen rum. Ist doch viel zu gefährlich, wie man sieht“, versuche ich die ganze Verantwortung mal eben so ruckzuck abzuschieben, aber ich weiß ja selbst, dass das so einfach nicht geht.

„Alex, jetzt red doch nicht so’n Stuss!“ Steffi wird jetzt richtig sauer. „Wir hätten streuen müssen, Mensch! Sind wir eigentlich versichert? Sonst können wir für den Rest des Lebens dieser alten Frau bezahlen!“

„Na klar, sind wir versichert!“, antworte ich, weil ich weiß, dass dafür noch die Versicherung des bisherigen Besitzers zuständig ist, bis wir sie kündigen und zu einer anderen wechseln. Das hab ich mir gemerkt. Ist ja wichtig. „Außerdem schien mir die Frau ja auch schon sehr alt zu sein. So lange werden wir also nicht zahlen müssen.“

„Alex!“

Naja, stimmt doch.

„Und was sagt die Versicherung, wenn nicht gestreut war?“

„Aaach, Steffi, komm, jetzt lass uns erst mal reingehen. Wo ist denn Max?“

Max ist schon drin. Er steht unten im Treppenhaus, weil die Haustür gar nicht zu war, und schaut staunend nach oben.

„Boah, wer wohnt denn hier?“, fragt er nur und scheint sehr beeindruckt. Wir wissen ja, wer hier wohnt.

„Alles nette Leute, du wirst schon sehen“, sage ich. „Vielleicht können wir den einen oder anderen sogar entdecken.“

So was Ähnliches haben wir Max auch immer gesagt, wenn es in den Zoo ging. Man hat eben nicht immer das Glück, all die scheuen Tierchen auch wirklich zu sehen. Manche kommen nur zum Fressen raus.

Das Treppenhauslicht brennt immer noch nicht auf allen Etagen, aber das war ja nicht zu erwarten. Wer soll es denn auch repariert haben? Es ist ja jetzt unser Haus und ich habe nichts repariert.

„Ich geh mal in den Keller gucken. Den habe ich ja noch gar nicht gesehen und jetzt habe ich ja auch den Schlüssel dafür“, sage ich voller Entdeckerdrang und bemüht fröhlich zu Steffi und Max, um nach dem Oberschenkelhalsbruch wieder etwas bessere Laune zu versprühen, was mir aber nicht so recht gelingt. Was müssen diese alten Leute denn auch ausgerechnet heute …

„Ooch, Keller“, sagt Steffi und hat wohl keine Lust, in die Innereien unseres grauen Kastens hinabzusteigen.

„Ich geh schon mal nach oben“, sagt Max und ich bin etwas unsicher, ob ich ihn alleine zu den wilden Tieren … aber da ist er auch schon weg, die Treppe rauf.

„Na, dann gehe ich alleine mal eben runter. Kannst ja schon mal unseren Aushang anbringen, Steffi. Hier ist Tesafilm.“

Der Keller scheint mehr so eine Art muffiges, finsteres Verlies zu sein. Der Putz an den Wänden blättert großflächig ab und es riecht modrig und feucht nach Tod und Vergänglichkeit. Höre ich da Kettenrasseln und das Stöhnen der Gefangenen? Die Sparlampe, deren Licht erst nach einer Weile angeht und dann auch nur ein trübes Gefunzel abgibt, beleuchtet eine gespenstische Szenerie.

Alte vergessene, vom feuchten Moder aufgequollene, angeschimmelte Möbel stauen sich traurig in der dunklen Ecke unter der Treppe, ein rostiger Rest von Fahrrad lehnt malerisch daneben. Ich sehe einen halboffenen Kühlschrank mit Resten eines lange in der Vorzeit liegenden Einkaufs und von der Feuchtigkeit zusammengefallene leere Umzugskartons. Eine Mausefalle steht daneben, nein, dieses etwas größere, aber ansonsten baugleiche Modell müsste eigentlich für Ratten ausgelegt sein. Ganz gut, dass Steffi oben geblieben ist. Sie hat’s nicht so mit Ratten. Naja, auf jeden Fall muss hier aber mal so richtig aufgeräumt werden. So viel ist schon mal klar.

Ich folge dem finsteren Gang vorbei an den einzelnen Kellerverschlägen, die mir wie Folterzellen eines mittelalterlichen Schuldenturms vorkommen. Ich bin auch ganz froh, dass das Licht so trübe ist und ich keine Taschenlampe dabei habe, um wirklich alles zu sehen. Ich meine auch, hinter einer der Türen ein leises Wimmern zu hören, aber da kann ich mich natürlich täuschen.

Mein Weg geht unbeirrt und immer wieder Spinnweben aus dem Gesicht fegend Richtung Heizungskeller, der sich am Ende dieser Mutprobe befindet, wie mir das von ferne röhrende und fauchende Arbeitsgeräusch einer alten, aber offensichtlich noch funktionierenden Heizung verrät. Handgeschrieben und ziemlich unleserlich steht dann auch Heizungskeller auf einem vergilbten alten Pappschild an der Tür. Es könnte aber auch Grabkammer – Ramses III heißen. Man kann es wirklich kaum lesen.

Na, dann schauen wir doch mal, welches Kraftwerk dieses Riesenhaus erwärmt. Brennwerttechnik, Wärmepumpe, Pelletheizung? Ich kenne mich aus!

Ich atme flach, um nicht zu viele der giftigen umherfliegenden Schimmelsporen einzusaugen, aber etwas Luft braucht man ja zum Leben.

Die Stahltür lässt sich nur sehr schwer bewegen und knarrt ganz furchterregend dabei. Hier spricht Edgar Wallace! (Kennt man den noch?) Ich starre voller Angst in ein dunkles Loch, in dem nur ganz hinten in der Ecke ein müdes rotes Lämpchen glimmt. Die Heizung. Leise höre ich etwas plätschern und tropfen. Es riecht nach noch mehr Moder, Schimmel und dem Ende allen Lebens.

Als ich dann den Lichtschalter endlich hinter einem respektablen Spinnennetz gefunden habe … (Indy, die Fackel geht aus. Schwenke sie gegen alles, was sich schlängelt! – Indiana Jones. Den kennt man!) … eröffnet sich mir eine fantastische Höhlenlandschaft aus verkalkten, tropfenden Eisenrohren, schwarzschimmeligen Wänden und einem Höhlenboden, auf dem ungefähr knöchelhoch das Wasser steht. Malereien von Ureinwohnern, verzweifelte Wandinschriften ehemals Eingeschlossener oder auch Knochenreste kann ich nicht entdecken, aber ich kann ja später noch mal danach suchen. Wahrscheinlich bin ich der Erste, der diese Höhle überhaupt entdeckt hat. Sie wird sicher mal nach mir benannt werden.

Ich schließe entsetzt die Tür, verlasse das unterirdische Reich des Grauens mit schnellen platschenden Schritten Richtung Kellertreppe und kehre in die richtige Welt zurück.

„Und? Ist unten alles okay? (Indy, ich hab solche Angst um dich!)“, ruft Steffi die Treppe runter und ich beschleunige meine Schritte, damit sie bloß nicht auf die Idee kommt, doch noch mal einen Blick in das Souterrain des Gebäudes zu werfen, das seit gestern unseres ist.

„Alles okay hier unten!“, brülle ich die Treppe hoch und dann stehe ich nach meinem archäologischen Ausflug auch schon wieder etwas wackelig und benommen neben Steffi und versuche, meine Eindrücke zu verarbeiten. Nein, eher zu vergessen.

„Was hast du denn?“, fragt sie, „du bist ja ganz blass.“

„Phh. Alles gut“, sage ich nur und mache eine spitze Schnute. „Mir geht’s gut.“

„Mmh.“

Steffi hat inzwischen das DIN-A4-Begrüßungsblatt für unsere lieben Mieter im Hausflur mit dem mitgebrachten Tesafilm an die grüne Wand geklebt. Und weil es mir alles gestern und heute Morgen noch so viel Spaß gemacht hat, habe ich sogar etwas gereimt:

„Liebe Mieter, Grund zum Freuen,

Haus verkauft, wir sind die Neuen.

Wünschen eine gute Zeit

immer voll Zufriedenheit!

Wendet euch mit euren Sorgen

gleich an uns und nicht erst morgen.“

Und darunter stehen dann alle unsere Telefonnummern.

Aber weil Steffi das Gedicht dann doch etwas zu albern fand, hat sie noch dazugeschrieben:

„Liebe Hausbewohner, wir freuen uns sehr auf Sie und eine wunderbare Zeit mit Ihnen in diesem schönen Haus. Wir werden natürlich alles tun, um Ihnen das Leben in diesem Haus so angenehm wie möglich zu machen. Sollte es trotzdem irgendwelche Probleme geben, sollte etwas mal nicht so sein, wie Sie es erwarten dürfen, dann zögern Sie nicht, uns anzusprechen. Schöne Weihnachten Ihnen allen! Alex und Steffi Knippschild, Ihre neuen Vermieter.“

Tja, ob wir uns da mal nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt haben, dachte ich so nach meiner Besichtigung des mittelalterlichen Kellers, der ja schon Grund genug wäre, das Telefon den ganzen Tag rasseln zu lassen. Aber gut, das ist ja nur der Keller. Gehen wir mal nach oben und verteilen unsere Geschenke.

„Wo ist Max?“, frage ich.

„Oben“, sagt Steffi und wir steigen dann auch mal auf durch das neongrüne Treppenhaus.

„Sag mal, wer putzt denn hier eigentlich?“, fragt sie dann, wischt angewidert über die staubige Fensterbank und pustet die Staubflocken hoch in die Treppenhausluft, sodass sie lustig wie vorwitzige Schneeflöckchen auf den kaugummiverklebten Boden fallen.

„Keine Ahnung“, sage ich, denn woher soll ich das wissen? Können die nicht einfach dafür sorgen, dass es hier sauber ist? Die wohnen doch hier!

„Wir müssen einen Plan machen oder jemanden zum Putzen engagieren“, sagt Steffi und schüttelt den Kopf. Ich versuche, mit dem Fuß eins von den festgetretenen Kaugummis zu lösen, was mir aber so recht nicht gelingt.

Phh. Wenn ich Steffi sagen würde, dass man für das Mittelalterverlies im Keller alles vom Klempner bis zum Maurer und vielleicht sogar Amnesty International engagieren müsste, dann würde sie kein Wort mehr über Staubflocken verlieren.

„Ja, ‘ne Putzfrau wäre gut.“

„Oder ein Putzmann.“

„Oder ein Putzmann. Klar.“

Wir sind jetzt bei den Göktürks vor der Tür und ich habe so eine dunkle Ahnung, auf wessen Konto die Kaugummis gehen, weil mir jetzt diese ältere Schwester, das Schlurfgespenst, wieder einfällt. Eine DNA-Überprüfung würde das zweifelsfrei beweisen. Aber vielleicht ginge das auch zu weit.

„Max!“, rufe ich nach oben und er ruft zurück: „Bin hier! Alles klar!“

Na gut.

„Sollen wir klingeln?“, frage ich Steffi und bin ganz froh, dass sie „Och nö“ sagt. „Muss ja nicht.“

Vielleicht stören wir die Familie ja wieder mal bei der Zubereitung eines original türkischen Gerichtes, das diesmal eventuell auf einem offenen Holzkohlegrill im Wohnzimmer zubereitet wird, dessen stiebende Glut an den Wolldecken vor den Fenstern hängen bleibt und kleine runde Löcher reinbrennt – oder eben die Feuerwehr auf den Plan ruft. Da müssen wir nicht dabei sein. Da wollen wir mal nicht stören.

Also schieben wir den Brief nur unter der Tür hindurch und verziehen beim Geschrei des kleinen Göktürk-Monsters, das man laut und deutlich durch die Tür vernimmt, die Gesichter. Ätzendes Blag. Die Flasche Wein mit dem Säckchen Marzipankartoffeln stellen wir vor die Tür, Steffi arrangiert noch ein wenig daran herum und kann schon wieder lächeln.

Die Bolschakows sind auch zuhause. Wir hören Tschaikowsky oder ähnlich Ansprechendes vom Klavier.

„Hör mal, schön, nä? Ob er spielt oder sie?“

Steffi zuckt mit den Achseln, aber es gefällt ihr auch sehr.

„Sollen wir?“, frage ich.

„Warum nicht?“, meint sie und freut sich anscheinend so wie ich, dass wir so kulturell begeisterte und musisch begabte Mieter im Hause haben. Ich drücke also auf den goldenen Klingelknopf, den schönsten im ganzen Haus, der sogar blinkt und glänzt, aber leider nicht funktioniert. Okay, muss ja nicht. Flasche abstellen, Brief unter der Tür durch.

„Klavierkonzert Nummer eins“, sage ich, weil ich es jetzt erkannt habe und Steffi sagt: „Klugscheißer.“ Aber was soll ich machen? Ich weiß es nun mal. Weiter.

„Max?!“

Takis und seine Familie scheinen auch zuhause zu sein. Und obwohl wir nicht geklingelt haben, öffnet sich die Tür vorsichtig und Athina schiebt die blondgefärbten Dauerwellen heraus und erscheint in einem blau-weiß gemusterten Bademantel.

„Aah, Alläggs unte Stääwwii! De neue Chausbessiddsa! Chärzelick villkommäh. Komme rein, komme rein! Takis krank. Kotze, wurge und chuste, chuste, immär chuste …“

Na, wahrscheinlich hat er eine Rauchvergiftung.

„Nein, nein, danke, liebe Frau Athina und gute Besserung für Takis! Wir haben hier nur eine Kleinigkeit …“

„Ooh, was sseid ihr doch Ssckätzken!“ Sie spricht es fast so aus wie die echten Sauerländer. „Dange, dange! Wolle nich doch komme rrein? Chuste nix ansstäcke.“

„Nein, danke, sehr nett. Beim nächsten Mal gerne.“

„Abbärr Chausbessiddsa Alläggs“, sagt sie da, wird ganz ernst, zieht besorgt die Stirn kraus und fasst mich am Ärmel, „höre, muss du trossdäm kucke: Kann nix richtick Wassärr lasse. Nur braun Bruhe rauskommt! Verstäh?“

Ich verstehe nicht, um Gottes willen, was meint die Frau? Sie muss zu einem Arzt. Aber sie sagt: „Komms du, komms du, Alläggs!“

Und dann zerrt sie mich doch in ihre Wohnung, während Steffi mal schnell nach Max sehen will, und plötzlich stehe ich in der Panagopoulos-Küche, deren Hängeschränke vollständig mit griechischen Postkarten vollgeklebt sind. An der Wand hängt ein grüner Fan-Schal von Panathinaikos Athen und ich bestaune sprachlos und mit weit offenem Maul die über die Heizkörper zum Trocknen aufgehängten rosa Kalamari, deren Tentakel zwischen den Heizrippen baumeln und die sicherlich später im Takis Orakel zu leckeren panierten Ringen geräuchert werden.

Athina übersieht mein Entsetzen, dreht dafür das Wasser in der Küchenspüle auf und sagt: „Kucke, kucke, Chaussbessiddsa Aläggs, kann nix Wassärr lasse. Braun Bruhe! Musse warte immärr fumffe Minute bisse ääntlich, ääntlich ssaubärr. Scheise.“

Donnerwetter, das sieht wirklich nicht gut aus. Braunes, ekliges Wasser quillt widerwillig aus dem rostigen Hahn. Damit würde ich weder einen Kaffee kochen noch die Hände waschen. Von Trinkwasser kann man da auf keinen Fall reden.

Scheise. Da hat sie recht.

„Ja … das … ist … nicht gut, Athina, ich … äh … werde mich natürlich darum kümmern.“ Damit sie auch wieder richtig Wasser lassen kann. Geht ja nicht.

Sie nickt mit ernstem Blick und sagt: „Dange, dange, Chaussbessiddsa!“

Aus der Toilette der Wohnung dringen Hust- und Würggeräusche zu uns herüber. Der arme Takis. Aber das scheint Athina nichts weiter auszumachen, denn sie lächelt, weil sie das ja schon kennt, und fragt: „Wolle Ouzo?“

Ich verneine höflich und will wieder gehen, doch da steht Steffi mit Max plötzlich im Flur der Wohnung. Sie hat ihn wohl irgendwo wieder eingesammelt. Und da kann Athina gar nicht anders, klatscht in die Hände, reißt begeistert ihren Mund auf und bewundert erst mal unseren Sohn.

„Oh!“, sagt sie und freut sich sehr. „Sohn von Chaussbessidsa? Oh! Gross! Schon jungär Mahn! Siehte schön aus. Wie cheiße?“

„Ja, das ist Max, unser Sohn“, sage ich nicht ohne Stolz und nicke ihm aufmunternd zu, kurz mal eben einen guten Eindruck zu machen.

„Hi!“, sagt er, mehr nicht, denn er hat jetzt auch die Kalamari entdeckt und scheint geschockt und begeistert zugleich. Die Griechische Küche ist doch immer wieder für Überraschungen gut.

Und dann packt diese Athina meine Steffi lachend am Arm und führt sie einfach ins Wohnzimmer ab. Max sieht mich fragend an, ich zucke nur mit den Achseln und er zeigt dann noch einmal voll begeistertem Ekel auf die Kalamari und dann müssen wir folgen. Athina kippt schon Ouzo für alle ein, auch für Max, wenn ich richtig zähle, und wir bestaunen das sagenhafte Panagopoulos-Reich. Es ist über und über mit griechischem Folklore-Equipment ausgestattet, wie man das von Griechen so weit weg von zuhause auch erwarten darf.

An der Wand neben dem Fernseher hängt ein schwülstig umrahmter Druck eines antiken Gemäldes, das eine Schlachtszene zeigt. Wahnsinnsgetümmel. In der Mitte bedrohte Frauen, drumherum schwerbewaffnete Krieger. Alle nackt, versteht sich.

An der Wand daneben die griechische Nationalflagge, blau-weiß, die ein Bild des kaum noch erinnerten ehemaligen Staatspräsidenten Papadopoulos zeigt, Kopf der Militärdiktatur in den Siebzigerjahren, ziemlich übler Vogel, wie ich mich erinnern kann, und daneben ein etwas größeres Bild von Nana Mouskouri, Weiße Rosen aus Athen. Die scheint der Familie Panagopoulos dann wohl doch wichtiger zu sein, und das beruhigt mich ein wenig.

Mitten auf dem blau-weiß gekachelten Wohnzimmertisch steht ein etwa zwanzig Zentimeter hohes Fabelwesen aus der griechischen Mythologie und aus lackiertem Ton, dessen erigierter Penis eine halbe Körperlänge dieser aufsehenerregenden Figur ausmacht und weit hoch aufragt. Total übertrieben, finde ich.

Diesen widerlichen Kerl kenne ich im Übrigen schon aus Griechenlandurlauben und von den Postkarten in der Panagopoulos-Küche.

Ich nehme den faszinierten Max beiseite und lenke seinen Blick lieber auf einen kleinen Säulenaltar mit nackten Göttinnen, der ein goldgerahmtes Bild trägt, das eine riesige Familie zeigt, die neben einem an den Beinen aufgehängten, blutigen und in der Mitte aufgebrochenen Schwein sitzt und teuflisch lacht. Athina und Takis sind mittendrin.

Takis betritt jetzt das Wohnzimmer, taumelt noch etwas und reißt fast die Miniatur-Nachbildung der Laokoon-Gruppe um, nackte, in sich verschlungene griechische antike Männer, die die kleine Anrichte an der Tür zieren, begrüßt uns aber ansonsten freudig lachend, klascht seiner Frau liebevoll auf den Hintern und täuscht auch noch einen seitlichen Busengrabscher an. Athina haut ihm dafür wieder auf die griechischen Finger, wie sich das gehört, und dann lachen beide wieder. Die haben immer einen Spaß, die Griechen. Sehr schön. Die verstehen eben zu leben.

Max zeigt offenes Interesse. An allem.

Und dann trinken wir gemeinsam alle einen Ouzo oder auch zwei, und ich kann eben noch verhindern, dass Max das ganze Glas runterkippt. Es hat ihm aber zum Glück nicht geschmeckt. Dann nimmt Athina meine Hand und zerrt mich in das Allerheiligste, das Schlafzimmer der beiden sympathischen und so gastfreundlichen Hellenen. Takis sieht mit offenem Mund zu, wie ich mit seiner Frau darin verschwinde. Unternimmt aber nichts.

„Kucke hier, Chaussbessidsa Aläggs!“

Und obwohl Athina versucht, meinen Chaussbessidsa-Blick auf eine ganz bestimmte Stelle an der Rückwand des Schlafzimmers zu richten, kann ich nicht anders und muss erst mal die kunstvollen antiken Darstellungen an den Wänden bewundern.

Und es verschlägt mir fast die Sprache, muss ich sagen. Es sind allesamt kunstvolle Abbildungen, wie man sie von alten Vasen oder Gefäßen kennt, die jede Menge altgriechische junge, wohlgeformte aktive Menschen darstellen, die in den verschiedensten, teilweise artistischen Stellungen, versuchen, den Geschlechtsakt zu vollziehen. Ja. Einigen gelingt es ganz gut und anscheinend auf Anhieb, und einige sind kurz davor und können es wohl kaum erwarten.

Ich sehe da einen jungen athletischen Mann, vielleicht Spross einer Herrscherfamilie, vielleicht kennt man ihn auch aus einer berühmten griechischen Sage, auf einem sehr schön verzierten kostbaren Stuhl sitzend, mit steil erigiertem Glied auf eine nackte Hetäre wartend, die sich ihm in erfolgversprechender Position nähert. Ja, so könnte es was werden. Der Winkel stimmt.

Ich sehe in der nächsten Teller-Szene einen anderen jungen Mann hinter einer Frau, der versucht, sein meterlanges Glied … fantastisch!

„Boah!“, sagt Max plötzlich hinter mir und ist restlos begeistert. Das hat er wohl so noch nicht gesehen und auch nicht für möglich gehalten, obwohl wir ihn ja aufgeklärt haben. Aber davon haben wir ihm nichts erzählt, weil wir ja selbst nichts … oder eben nicht genug gewusst haben.

„Max, warte mal eben draußen. STEFFI!“

Max wartet aber die Einmischung seiner Mutter gar nicht ab und verzieht sich murrend. Athina lächelt ihm gnädig und verständnisvoll hinterher und lässt auch mich dann noch einen kleinen Moment beim Anblick der sportlichen Abbildungen verweilen. Natürlich hat sie für meine offene Bewunderung antiker griechischer Kunst vollstes Verständnis.

Aber dann hat sie doch keine Geduld mehr, reißt mich aus meinen kunsthistorischen Betrachtungen und sagt: „Kucke! Sskimmel!“ Dabei zeigt sie auf die schwarzen Wandflecken links unter dem mittleren Bild, auf dem mehrere nackte antike Personen unter- und übereinander … meine Güte!

Ja. Alles klar. Okay, ich sehe es.

Und das, was sie mir da zeigt, kann auch der griechische Wandteller mit einer nackten Frau, die gar nichts macht, außer sich etwas unvorteilhaft zu bücken, und somit schon wieder den nächsten antiken Lüstling anlockt, und den man an dieser Stelle aufgehängt hat, nicht verdecken, weil er viel zu klein dafür ist.

Der Teller. Das Schwarz des Sskimmels quillt an allen Seiten hervor. Sollte denn da irgendetwas nicht in Ordnung an oder hinter dieser Wand sein? Ich muss an den Wasserstand im Heizungskeller denken.

„Takis immer chuste. Vielleicht Sskimmel!“, sagt Athina, nimmt den Teller von der Wand und weist mit der ausgestreckten Hand auf die fiesen schwarzen Flecken.

Ja, da muss man auch was machen. Ich nicke, der prekären Lage angemessen, ernsthaft, spitze nachdenklich die Lippen, und tue so, als ob ich gerade die Liste der in Frage kommenden Beseitiger dieser schwarzen Pest durchgehe. In Wirklichkeit habe ich natürlich keine Ahnung, was man da jetzt so machen könnte.

Wen ruft man da an? Wer ist der Braune-Bruhe-weg-Mann und wer könnte mein gnadenloser Schimmelreiter werden, der diesen Mist hier beseitigt?

„Da … MACHEN wir was“, sage ich also, so bestimmt wie möglich zu Athina, die mich sehr hoffnungsvoll ansieht und dann auch aus tiefstem griechischen Herzen „Dange, dange!“ sagt.

Okay, so leid es mir tut, wir müssen weiter, liebe Athina. Dange, dange auch für den Ouzo. Kalimera!

Schwarzer Schimmel! Ich glaube es ja nicht.

„Papa, ich will dir mal was zeigen“, sagt Max, immer noch sichtlich beeindruckt von den recht freizügigen Szenen eines typischen griechischen Haushaltes, aber er sieht aus, als hätte er etwas noch Besseres entdeckt, das er einfach nicht für sich behalten kann.

„Was denn, Max?“

„Komm mal mit“, sagt er und zieht mich raus auf den Flur. Steffi verabschiedet sich unsicher lächelnd, doch überaus freundlich von den schwer gebeutelten, aber trotzdem sehr lebenslustigen Hellenen und wir stehen wieder im Treppenhaus unseres neuen Besitztums – um einige interessante Einblicke bereichert.

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