Kitabı oku: «Die Faxen Dicke»

Yazı tipi:

Reiner Hänsch

DIE FAXEN DICKE

Vom Sauerland ins Paradies … und zurück

– Ein Urlaubsroman –

FUEGO

– Über dieses Buch –

Alex Knippschild braucht Urlaub. Unbedingt. Jedenfalls meinen das seine Kollegen in der Redaktion des „Sauerlandbeobachters“, einem kleinen, tapferen aber unbedeutenden Anzeigenblättchen, das das um alle herum liegende Sauerland zwar sehr aufmerksam beobachtet, aber leider nie etwas zu berichten hat. In dieser extrem ereignisarmen Gegend passiert einfach nix – außer dröhnenden Schützenfesten und feierlichen Prämierungen der schönsten Kühe natürlich. Alex ist frustriert, genervt und seit einiger Zeit auch gar nicht mehr so richtig nett. Und das war er doch immer!

Er hat ganz einfach die Faxen Dicke! Also Urlaub. Naja, warum eigentlich nicht? Und so reist die Familie Knippschild eines schönen Tages auf die Trauminsel Ko Samui ins ferne exotische Thailand. Was sie dort allerdings erwartet, übertrifft die schlimmsten Befürchtungen bei weitem. Dieser Urlaub ist für die drei Knippschilds eine einzige Prüfung, eine Heimsuchung – einfach nur die Pest. Trotzdem versucht man sich zu arrangieren mit dem finsteren, üblen Urlaubsmoloch, der die arme Familie fest im Griff hat. Und fast scheint man es auch zu schaffen, als plötzlich etwas Unglaubliches passiert ... im fernen Sauerland!

Vom Sauerland zum Palmenstrand

sind’s viele Kilometer

manche woll’n da gar nich’ hin

manche vielleicht später

Sonne, Sand, Moskitostich

wir sind mal eben wech

Urlaub is’n schönes Ding

doch manche haben Pech

„Eine irre, verdammt witzige Geschichte ums nackte Überleben in einem scheinbar ganz normalen Pauschalurlaub.“

Anke Niggeloh vom „Sauerlandbeobachter“

„Dieser Roman wird dir gefallen, weil du selbst drin vorkommst.“

Jan Vorwärts, Weltreisender

„Wat ham we gelacht!“

Hermann-Josef Brinkmann, Kassenwart TUS Schwattmecke

„Urlaub? Na gut.

Man muss sich eben dran gewöhnen.“

Alex Knippschild

„Bügeleisen aus?”

Steffi Knippschild

„Fahr doch mal zum Pimmelfelsen!“

Max Knippschild

„Isch glaub, isch hob se net olle!“

Cherry (Cherestulama Hiradokinam)

Urlaub - muss dat sein?

Die einen sagen so, die anderen so. Auf jeden Fall scheint der Urlaub wohl den einzigartigen Effekt zu haben, dass man hinter­her nicht mehr der ist, der man vorher war. Urlaub verändert also den Menschen, wie es aussieht. Und das könnte doch gut sein.

Aber: Es sieht nicht immer gut aus.

In der Ankunftshalle eines beliebigen deutschen Flughafens bekommen wir sie manchmal zu Gesicht. Die Urlauber. Sie sind gar nicht scheu. Mehr als zutraulich sogar. Man kann sie eigentlich kaum übersehen. Ledergegerbt, rotverbrannt, manchmal noch qualmend und versalbt oder verpflastert und soeben wieder brutal in der unwirtlichen Heimat ausgesetzt - aber noch nicht angekommen.

“Boah, is dat kalt hier bei euch!”

Klar, wenn man vierzehn Tage Thailand hinter sich hat, dann hat man überhaupt keine Erinnerung mehr an dieses Land im Norden der Welt, wo sozusagen ganzjährig und recht zuverlässig schockfrostige und nasse sieben Grad herrschen.

Und “bei euch!” sagen sie, so, als gehörten sie schon gar nicht mehr dazu - zu uns, den armselig Zurückgebliebenen. So, als seien sie schon längst selbst und selbstverständlich Südländer, Wüstenbewohner, Muscheltaucher oder neu-guineische Einbaumfahrer geworden und noch ganz eins mit dieser anderen verheißungsvollen Welt. So, als könnten sie sich keinesfalls mehr in die harten und widrigen Lebensumstände eines ganz normal miesepetrigen, fröstelnden Nordhalbkugelbewohners hineinversetzen. Einige von ihnen haben es nicht einmal geschafft, sich die Neon-Badelatschen von den Füßen zu ziehen, oder Bermudas, T-Shirts und Sonnenbrillen gegen dicke Mäntel, lange Unterhosen und Schneebrillen einzutauschen. So sieht’s aus.

Wir sehen re-integrationsunfähige Gestalten mit großflächig abgelösten und teilweise auch schon wieder nachgewachsenen Hautfetzen und fast verheilten Narben im Gesichts- und Schulterbereich. Wie gesagt, es sieht nicht gut aus, aber tatsächlich so, als hätte er was gebracht - der Urlaub. Veränderung.

Zumindest schon mal äußerlich.

Aber abgesehen von den sehr deutlichen und sicherlich auch schmerzhaften körperlichen Versehrungen, scheinen sie trotzdem ganz glücklich zu sein - unsere Zurückgekehrten.

Warum?

Und kaum haben sie uns farblose, totenbleiche Nachtschattengewächse des ewigen Eises entdeckt, schmettern sie uns atemlos die Erfolgsmeldungen “Spitzenhotäll!”, “Super-Büffeh!”, “Fümf Stärne!” und “Wätter einmalich!” entgegen. “Ach, war dat härrlich!” darf natürlich auch nicht fehlen

Ja, ein wenig beneiden wir sie schon, diese Aussätzigen, diese Gezeichneten. Sie sind so anders.

Wir wollen auch mal Urlaub!

Aber wir sind ja auch bald dran. Bald schon ist es soweit und dann geht es auch für uns los in das letzte wirklich große Abenteuer der Menschheit, das dann vielleicht “Zwai Woch’n Oll Inkel Dom Räpp achthundatfümmenneunzich Euro” heißt oder für manche auch vielleicht nur “Zelten am Steinhuder Meer - deutlich billiger”.

Urlaub - der nackte Kampf ums Überleben.

Ach, wird das schön. Die wochenlange Planung, das ewige Umschmeißen und Ändern dieser großartigen Pläne und Termine, weil alles so ja gar nicht geht. Ein kleiner erster Streit. Und dann das ganze schöne Gefreue vorher, bis es dann endlich, endlich soweit ist: Um vier Uhr nachts aufstehen, ohne eine einzige Sekunde von dem wirklich notwendigen Schlaf bekommen zu haben, Taxiabholung in der allerletzten Minute vor dem Herzanfall, dann zum Flughafen in der viel zu weit entfernten bösen Großstadt, Ladegerät und Deoroller vergessen, fast zu spät zum Gate gekommen, Koffer zu schwer, ein weiterer kleiner, ganz unbedeutender Familienstreit in der Abflughalle, kein Frühstück, schlechte Plätze in der zwanzigsten Reihe, von den Kindern getrennt, Handgepäck passt nicht in die verdammte Klappe über dem Sitz. Dann wieder anschnallen, heftige Turbulenzen, vierzehn Stunden Flug mit Übelkeit und Erbrechen, Toiletten ständig besetzt … ach, wird das herrlich!

Und dann erst: Ankommen, wo man noch nie war und wo man nix kennt, sich alles ganz anders vorgestellt hat, wieder ein wenig Familienstreit hat, außerdem Kopfschmerzen und kotzende Kinder. Wunderbar! Hitze, Mücken, fremde Währung, Diebe, Betrüger und schlechtes Essen, Krankheiten, Seuchen, Verletzungen, Entstellungen und erste Todesfälle. Die Reihen lichten sich. Vierzehn Tage! Das ist nur was für die ganz Harten. Doch wir kämpfen Tag für Tag unerbittlich. Dieser scheiß Urlaub wird uns nicht kleinkriegen. Nein. Uns nicht!

Und dann … geht es doch so schnell und unerwartet dem plötzlichen Ende entgegen und wir sagen “schade!”

Warum?

Ernste drängende Fragen und Unsicherheiten tauchen plötzlich in der letzten Minute auf. Alles gesehen? Nichts verpasst? Genug gekauft? Braun geworden? Bin ich erholt? Alles gemacht?

Denn man macht ja den Urlaub, das Land, die Region. “Lätz’s Johr homma Ägüppten gemocht! Soogenhofft! Näch’s Johr moch mer Dailond!”

Und jeder macht ja anders Urlaub. Man kann sogar nach Nationalitäten unterscheiden. Die Japaner zum Beispiel schaffen es locker, in fünf Tagen die Highlights Europas zu machen. Klar, da wird es schon mal etwas hektisch. Das ist aber kein Problem für das ohnehin recht emsige asiatische Völkchen. Ein durchschnitt-licher Sauerländer zum Vergleich macht in vierzehn Tagen gerade mal Neuharlingersiel und drei Fischbuden. Er urlaubt einfach intensiver und auch akribischer, wie es scheint. Die Japaner bekommen ja während ihrer Überfall-Blitztour überhaupt nichts mit. Eiffelturm, Brandenburger Tor, Colosseum. Sashimi Futomaki. Nix gesehen! Brauchen sie ja auch nicht. Sie fotografieren einfach alles und schauen gar nicht erst hin. Das spart richtig Zeit und hinschauen kann man ja dann hinterher zuhause hinter dem Papierparavent in Tokio bei einem schönen Glas Sake. Ist ja viel bequemer. Jaja, die Japaner saufen also. Aber in dezenter Zurück-haltung erst zuhause wieder.

Aber im Urlaub und ohne Zurückhaltung da saufen die alten Schweden und sind dementsprechend auch zwei Wochen ohne eigentliche Besinnung. Die Italiener machen Krach, streiten sich ständig und saufen natürlich auch. Auch die Engländer saufen, sind aber außerdem noch tätowiert, haben erst gar keine T-Shirts in den Urlaub mitgenommen und sind einfach eben asi. Und die Russen … naja, also die Russen … die saufen natürlich … aber nee, lassen wir die Russen mal lieber ganz außen vor.

Ach, ist das schön mit den Vorurteilen! Herrlich. Und meistens stimmt ja alles. Wir zum Beispiel, die Deutschen, saufen selbstverständlich auch und tragen außerdem noch weiße Socken in Sandalen. Wir legen abends Handtücher auf die morgendlichen Pool-Liegen und würden am liebsten auch einen Zaun drum bauen. Und wir haben in den urläublichen Speisesälen als Erste einen riesigen, äußerst belastbaren, hochrandigen Teller in der Hand und sind durchaus in der Lage, ganze Buffets leerzufressen, bevor die anderen kommen. Weil ja alles bezahlt ist. Oll Inkel eben. Nee, nee, wir haben alles unter Kontrolle und alles im Griff. Und wir verstehen nicht viel Spaß im heiligen Urlaub. Es muss eben alles geregelt sein. Man ist ja schließlich nicht zum Vergnügen hier.

Und dann spuckt uns endlich der unbarmherzige Urlaubsmoloch doch wieder aus - irgendwo auf einem heimatlichen fernen, fast vergessenen Flughafen. Und nun sind wir die Gezeichneten, die Anderen, die Urlauber. Fremde Wesen, zurück aus einer unwirklichen Zwischenwelt.

“Boah, is dat kalt hier! Komm, Hättwich, lass we schnell widder umdreh’n, woll!”

Ja, ja, das alles wollen wir erleben.

Also, Urlaub: Das muss sein!

Dann lies mal schön weiter. Jetzt fängt es an!

Oktober im Sauerland: Et plästert und man plant

„Was heißt denn SupZiDuTeKliMe?“, frage ich Steffi, die neben mir auf dem Teppich unseres großen, schönen Wohnzimmers inmitten der ausgebreiteten Prospekte liegt und mit lüsternen Blicken und bereits leicht geröteten Augen durch die Angebote der Urlaubsparadies-Kataloge hechelt.

„Superior-Zimmer mit Dusche, Terrasse, Klimaanlage und Meeresblick. Ist doch klar, Alex!“, wirft sie mir kopfschüttelnd meine Ahnungslosigkeit vor.

Hach. Ja. Ist ja schon gut.

„Und StaziRadVenoDu?“, wage ich trotzdem noch zu fragen.

„Standardzimmer mit Radio, Ventilator, ohne Dusche. O-Du! ALEX! Das Allerletzte! Du denkst doch wohl noch nicht mal im Traum dran! Keine Dusche, keine Air Con! Ts, ts, ts“, entrüstet sie sich fassungslos, schüttelt noch mal ihren hübschen Kopf mit der neuen Frisur, die sie seit gestern hat, die aber der seit Wochen andauernde Sauerländer Scheißregen auf dem Weg vom Friseur nach Hause leider wieder komplett zerstört hat. Sie sieht aber auch ohne Frisur schön aus. Natürlich.

Meine Steffi.

Doch jetzt funkelt sie mich geradezu böse an. Nein, nein, liebe Steffi, ein StazioDu und ohne Air Con käme natürlich nicht in Frage. Obwohl es recht günstig zu sein scheint, wenn man durch die hochwissenschaftlich aufgebauten Preiskategorie-Tabellen erst mal durchsteigt und die Preise dann auch wirklich lesen kann. Also weiter.

Urlaub?! Muss das sein? Nach Meinung meiner Kollegen in der Redaktion unbedingt.

Ich bin Redaktionsleiter einer kleinen Zeitung, dem wöchentlich erscheinenden, kostenlosen Sauerlandbeobachter mit Sitz in Leckede-Hintersten mitten, nein, leider ganz hinten im besagten Sauerland eben. Wir sind ein bescheidenes Anzeigenblättchen mit immer schon ein paar Tage alten Neuigkeiten und Berichten aus der Region. Mit mir im Ausguck beobachtet unser Blatt schon seit ungefähr vier Jahren äußerst kritisch und aufmerksam das gesamte Sauerland – und hat meistens leider nichts Bemerkenswertes zu berichten.

Natürlich könnte ich es mir zwischen Schützenfestreportagen, Fotos von preisgekürten Kühen und dem dramatisch sinkenden Milchpreis gemütlich machen, aber das will ich nicht. Nein, ich will aus diesem Heftchen eine richtige Zeitung machen. Mit Anspruch, Richtung und Haltung.

Das muss gehen!

Leider passiert eben nur meistens wirklich so rein gar nichts, was Anspruch, Richtung und Haltung überhaupt verlangt. Ungerechtfertigte Spritpreiserhöhungen und hemmungslos bejubelte und überbewertete Aufführungen der Volksbühne sind hier zwar brandheiße Themen, die die Bevölkerung aufwühlen, aber ich hoffe sehr, dass mal wirklich was passiert.

Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre das ein korrupter Politiker oder so. Unser Bürgermeister Blömecke würde sich dafür gut eignen. Er ist ein aufgeblasenes Großmaul und hat irgendwie schon so was Korruptes an sich.

Aber es tut sich nichts. Rein gar nichts.

Ich bin unzufrieden, gelangweilt und frustriert – und seit einiger Zeit auch nicht mehr richtig nett. Und das war ich doch eigentlich immer. Oder?

Besonders meine lieben Kollegen haben schwer unter mir zu leiden. Ich glaube, dass sie tagelang feiern, wenn ich mal für eine Weile verschwinde. Seit einiger Zeit bin ich einfach leicht widerlich zu ihnen. Ein echter Kotzbrocken sozusagen. Voll die Pest. Die Seuche. Man meidet mich wie einen Leprakranken.

Ich gehe allen so richtig auf den Sack, nehme ich mal an. Weil ich aber auch so richtig die Faxen dicke habe. Das ist so was wie der Sauerländer Burn-out. Alles regt mich auf.

Letzte Woche hat mir einer mit einem dicken, schwarzen Marker das Wort „URLAUB!“ mit (!) Ausrufezeichen auf meinen Planer an der Bürotür geschrieben. Und vor ein paar Tagen habe ich zwischen meinem Durcheinander auf dem Schreibtisch einen buntglänzenden Urlaubsprospekt gefunden, auf dem die beiden glücklichen Menschen an einem Palmenstrand auf dem Titel dieses Prospektes mit einem roten Filzer umrandet waren.

„MACH DAT!“, hat jemand daneben gekritzelt. Und als ich dann immer noch nicht einsichtig war, da haben sie mich quasi rausgeschmissen. Ausgesperrt. Mein Büro war eines Tages abgeschlossen und an meiner Tür klebte ein Zettel mit der Aufschrift „ALEX MACHT URLAUB!“

Das war deutlich. Naja, wahrscheinlich haben sie recht. Und jetzt wollen wir’s dann auch machen. Steffi, Max und ich. Max ist unser Sohn. Elf.

Urlaub. Och ja …

Was war das eigentlich noch? Viel zu lange nicht mehr gemacht. Weiß ich eigentlich noch, wie das so geht?

Naja, im Prinzip natürlich schon: Man fährt irgendwohin, wo man noch nie war, und das dauert meistens schon mal sehr, sehr lange und ist nicht ungefährlich. Und dann kennt man sich dort nicht aus, wo man ankommt, weil man ja noch nie da war, und irrt also planlos herum, ist auch gefährlich, man spricht die Sprache nicht, aber alle sind freundlich zu einem, doch im Grunde wollen sie doch nur dein Geld … oder dein Leben. Oder beides. Man muss auf jeden Fall auf beides besonders gut aufpassen. Das Essen da, wo man noch nie war, ist voller gemeiner Killerbakterien, die … naja, ist ja klar, was die wollen. Und meistens ist es dann da auch noch furchtbar heiß, unerträglich heiß. Mephistopheles-Mücken, oder wie die heißen, wollen dein Blut … und auch wieder dein Leben. In den warmen Gewässern lauert giftiges Getier, das dich ebenfalls am liebsten töten will. Oft fahren auch noch die Autos auf der falschen Straßenseite, so dass auch hier eine tödliche, nicht zu unterschätzende Gefahr lauert … überall Tod und Verzweiflung, also … aber … naja, man könnte es ja mal versuchen.

„Welches Land nehmen wir eigentlich, Steffi?“, frage ich mal so ganz beiläufig. „Die Hotels sehen ja alle gleich aus. Strand, Pool, Bettenklotz … immer dasselbe, man weiß ja gar nicht, wo man gerade ist.“

Das gefällt mir auch nicht so richtig an diesen Prospekten, und Hauptsache Sonne und Strand ist mir irgendwie zu wenig.

„Und überhaupt, Steffi. Pauschal? Ist das denn das Richtige für uns?“

Sie atmet tief durch und sieht mich leicht bissig an. Ich darf nicht zu viele Fragen stellen. Ich muss etwas vorsichtiger sein. Naja, ich mein ja nur, ich bin doch früher immer in alten Autos mit ein paar Freunden einfach so losgebrettert, wir sind auch irgendwo angekommen und hatten die schönsten Urlaube, die man sich denken kann. Für ganz wenig Geld, weil wir ja auch gar keins hatten.

Na gut, jetzt so weit mit dem Auto zu fahren, bis man dann endlich die Palmen erreicht, und dann mit unserem Sohn Max, wie gesagt, elfjährig und etwas ungeduldig … okay, sehe ich ein. Diesmal dann eben pauschal. Machen Millionen andere ja schließlich auch. Es muss also gehen.

„Was hältst du von Mauritius?“ Steffi schließt die Augen, und ich schwöre, sie hört gerade die Wellen rauschen.

„Oooch“, sage ich etwas gedehnt, denn gerade habe ich nach einem Blick auf die Hotelpreise diese unverschämte Insel wieder erschrocken aus der Liste unserer möglichen Ziele gestrichen.

„Dominikanische Republik!“, werfe ich jetzt meinerseits und auch durchaus preisbewusst in die Debatte, ernte aber nur ein Naserümpfen und heruntergezogene Mundwinkel meiner lieben Frau.

„Da waren letztes Jahr die Görkes“, meint sie abfällig und schüttelt entsetzt den Kopf. Ja, da hat sie natürlich recht, wo die Görkes mal waren, da will ich auch nicht hin. Ich kann mich auch noch gut erinnern, dass diese Inselrepublik bei ihnen immer „Dom Räpp“ hieß und angeblich sogar Lokale habe, die deutsche Bratwürste mit Düsseldorfer Senf führen. Also, das geht ja nun wirklich nicht.

„Sri Lanka“, sagt Steffi.

„Singapur!“, sage ich.

„Bali!“

„Neuseeland!“

„Australien!“

„Madagaskar!“

Die Welt ist groß.

Wir entscheiden uns nach einem langen, anstrengenden, aber eigentlich auch sehr schönen Abend und anderthalb Flaschen Rotwein für ein DelBefrAppBasepDuMinibSa-TerKliKoch, also, ein Deluxe-BeachfrontAppartement mit Bad und separater Dusche, Minibar, Sat-TV, Terrasse, Klimaanlage und Kochgelegenheit in einem Hotel namens Coral Beach Resort. Jou, das isses. Hört sich doch ganz ordentlich an. Wenn nicht sogar fantastisch!

Dieses Traumasyl liegt auf der wunderbaren Insel Phuket im fernen, schönen, warmen Thailand.

Erschöpft, aber voller Genugtuung wie nach einer schweren, harten Arbeit sinken wir an diesem Abend in unsere leicht quietschenden Betten in unserem DoZi, oDu, oKli, oMiniB, oSat, ohne alles. Wie hält man das nur aus?

Och, ja, ich glaube, ich freue mich doch schon ein wenig auf unseren baldigen Luxusaufenthalt im Paradies.

***

„Dat geht nich!“

Frau Gantenbrink vom Reisebüro des Unternehmens Töffte Reisen (so was gibt’s, Inhaber Werner Töffte) in Schmallenberg ist gnadenlos und von unerwarteter, brutaler Härte. Sie war doch ganz nett, denke ich, als ich vorgestern diese Prospekte von ihr bekommen habe. Aber jetzt?

Ich stelle den klitschnassen Schirm in den dafür vorgesehenen Ständer, schüttele mich noch einmal kurz wie ein Hund und nässe auf den feinen Teppichboden.

„Alles ausgebucht, woll!“, sagt sie und schüttelt sogar ein wenig vorwurfsvoll und scheinbar ohne jegliches Verständnis ihren wuscheligen Kopf. Und ‚woll‘ sagt sie, weil wir eben mitten im Sauerland sind.

„Schade, Frau … äh … Gantenbrink“, wie ich schnell noch mal auf ihrem Schildchen nachlesen muss, das sie an ihre wogende Brust geheftet hat. „Na, dann nehmen wir ein anderes Hotel. Macht ja nichts, liebe Frau … äh … Gantenbrink“, antworte ich zwar etwas enttäuscht, aber dennoch guter Hoffnung, ein anderes, ebenso schönes Hotel zu finden. Diese Hoffnung nimmt Frau Gantenbrink mir aber dann mit den Worten „AL-LES aus-ge-bucht“.

„Ja, wie? Alles?“ frage ich sie, ungläubig die Augen zusammenkneifend und zweifelnd die Hände hebend. Sollte es denn unter den sicherlich tausenden Hotels auf dieser thailändischen Paradies-Insel nicht eines geben, das uns als wirklich nicht übertrieben große dreiköpfige Familie aufnehmen will?

Ein HOTEL würde sich schon noch finden lassen, meint sie da gnädig. Na, bitte! Es geht doch.

„Aber keine FLÜGE … Herräh …!“

„Knippschild!“

„Herr Knippschild! Nich zu diesen TÄR-MIE-NEN, woll!“ Na klar, wie kann ich nur so unverschämt sein, einen Urlaub zu Weihnachten und Silvester zu planen. Also, das geht doch nun wirklich nicht.

„Unmöchlich“, sagt sie, und es hört sich so an, als meine sie mich damit. „Da müss’n Se im Frühjahr oder spätestens im Sommer komm’n, woll“, sagt sie vorwurfsvoll und will den schönen Katalog schon wieder zuklappen, der all die wunderbaren Strandlandschaften zeigt, die ich doch so gerne mit meinen beiden Lieben besuchen würde.

„Aber im Sommer ist es doch auch hier schön“, werfe ich aufmüpfig ein, um meinen Wunsch nach Sonne im Winter zu erklären. Scheint ja was ganz Ungewöhnliches zu sein.

„Herräh …“

„Knippschild.“

„Herräh Knippschild“, sagt sie jetzt bestimmt und sehr, sehr ernst, und macht danach eine Pause voller Bedeutung, „ich notier mir Ihr’n Fall hier und will sehn, wattich mach’n kann, woll.“

Damit klappt sie den Prospekt endgültig und etwas übertrieben theatralisch zu, und ich spüre, dass unser Gespräch schon zu Ende ist. Vielleicht ist ja damit alles zu Ende.

Aus der Traum!

„Ja, … gut, äh, Sie rufen mich also an?“

„Ja, Herräh … Knippschild, ich ruf Sie an, wenn sich IRG’NDWAT ergeb’n SOLLTE“, sagt sie und schüttelt mir mitleidig die Hand, um mich schnell zu entlassen.

‚SOLLTE‘. Dat wird nix.

„Darwet auch woanders sein?“ fragt sie dann aber doch noch, weil sie sieht, wie enttäuscht ich bin.

„Sonne! Strand! Palmen!“, wiederhole ich meine ursprüngliche Forderung von vorgestern, unterstreiche sie dieses Mal meinerseits noch mit einem Schuss Gnadenlosigkeit und gehe dann einfach.

Da hab ich doch schon wieder sooo die Faxen dicke!

Wie kann man nur? Da kommt dieser Kerl Ende Oktober ins Reisebüro und will Weihnachten in der Sonne sitzen! Das grenzt ja an Missachtung der allseits bekannten Urlaubsgesetze. Das geht doch nicht! Hat der Kerl denn noch nie Urlaub gemacht? So was will von langer Hand vorbereitet sein. Von ganz langer Hand, Herräh … Knippschild! Ts, ts, ts.

Ich mache mir ehrlich gesagt nicht viel Hoffnung und sehe mich schon am Heiligabend in der Redaktion sitzen und einen bösen Artikel über die Überheblichkeit in gewissen Sauerländer Reisebüros schreiben.

Tja, es geht also nicht. Kein Urlaub. Ich komme nicht an Frau Gantenbrink vorbei!

***

In den nächsten Tagen läuft in der Redaktion alles ganz normal wie immer. Ich darf zwar wieder in mein Büro, aber die Kollegen gehen mir, so gut es geht, aus dem Weg.

Unser größter Kunde, der großkotzige Schlüter mit dem gleichnamigen Autohaus kommt, auch wie immer, in der letzten Minute, um seine doppelseitige Riesenanzeige reinzudrücken, der FC Leckede-Hintersten ist wieder nicht in die Bezirksoberliga aufgestiegen und die Kuh von Hermann-Josef Brinkmann ist die schönste im ganzen Sauerland.

Und Alex Knippschild hält einfach mal die Klappe. Was ihm von den restlichen Mitgliedern der Redaktion zutiefst gedankt wird. Ich drehe mich nachdenklich zum Fenster um, aber das bringt auch nichts. Rein gar nichts. Draußen regnet es schon wieder den ganzen schrecklichen Tag lang. Eine graue, dichte Suppe aus kaltem Nass klatscht bösartig an die Fenster unserer kleinen Redaktion. Ich kann kaum die Leuchttafeln der Raiffeisen-Tankstelle gegenüber sehen und weiß also auch nicht, ob der Spritpreis mal wieder gestiegen ist und ob ich daraus mal wieder eine heiße Titelstory machen könnte. Ist mir auch egal jetzt.

So einen schlimmen Oktober hatten wir doch noch nie. Was ist denn jetzt auch noch mit dem Wetter los?

Heute ist ein ganz normaler Drecksmontag und ich kehre erschöpft von meiner sinnlosen Schreibertätigkeit nach Hause zurück. Immer noch regnet es aus Eimern. Ich hinterlasse eine große Pfütze im Flur und stelle meine nassen Schuhe gedemütigt an der Garderobe ab.

Scheißlaune. Das Leben ist nicht schön.

Doch Steffi empfängt mich mit einem seltsamen Glänzen in den Augen. Sie ist nicht beim Friseur gewesen und schwanger scheint sie auch nicht zu sein. Es muss etwas Größeres, etwas Bedeutenderes sein, das sie mir zu eröffnen hat.

„Koshamui“, stößt sie dann atemlos hervor und wiederholt es gleich noch mal. „Koshamui!“ Dann ist sie auch schon am Ende ihrer Kräfte und sinkt erschöpft aufs Sofa.

Asiatisch, denke ich. Ein neues Gericht beim Schnellchinesen? Ein Kampfkunstausruf?

„Die Gantenbrink hat angerufen“, stößt sie mit allerletzter Kraft hervor. „Sie hat was für uns. Setz dich! Los, setz dich, Alex!“

Also, Frau Gantenbrink hat tatsächlich angerufen und ihr mitgeteilt, dass sich da in allerallerletzter Minute etwas ergeben hätte. Kunden hätten storniert. Schlimmer Verkehrsunfall. Die fünfundachtzigjährige Großmutter der Familie wäre leider dabei draufgegangen. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben, aber die wollte auch sowieso nicht mit. Ts, ts, ts. Dennoch: Tragisch, tragisch. Die Eltern hätten komplizierte Arm- und Beinbrüche, Knochensplitterungen, Entstellungen. Das Kind bloß Schürfwunden und Blutergüsse am ganzen Körper … na, und die Omma eben tot.

Super! Was für ein verdammtes Glück! Vier Flüge frei. Und wir brauchen nur drei!

Einen Tag vor Weihnachten könnten wir also nun an Stelle dieser gebeutelten und leicht dezimierten Familie in ein Flugzeug steigen und hätten für zwei Wochen Sonne, Strand, Palmen auf der Trauminsel Ko Samui in Thailand. Steffi hat es nur falsch ausgesprochen.

Sie musste sich dann auch auf die Schnelle für ein Hotel entscheiden, was sie auch spontan gemacht hat. Na, sie wird sicherlich das richtige ausgesucht haben.

Jetzt haben wir es also tatsächlich geschafft. Nur noch ein paar Wochen in stiller Vorfreude die Schnauze halten und ab und zu mal einen bunten Reiseführer durchblättern.

Und wenn ich dann die Augen schließe und mich ganz doll konzentriere, was ich in der letzten Zeit öfter mal tue, dann höre auch ich die sanft heranrauschenden Wellen mit dem warmen Wasser des Mittelmeeres, des Pazifiks, der Südsee … ich weiß gar nicht genau. Ein paar giftige Tiere lauern auch auf mich, aber naja … kann man vernachlässigen.

Und den Strand sehe ich ganz deutlich vor mir. Ja. Endlos weit und weiß, Palmen, Hütten, freundliche Eingeborene, die uns leckere Früchte und Kokosnüsse anbieten, ohne allzu viel Geld dafür haben zu wollen. Fröhliche Fischer, die ihren bunt schillernden Fang frisch und zappelnd an die Strandrestaurants verkaufen. Gleich werden wir in einem dieser Restaurants sitzen und eine dieser herrlichen Kostbarkeiten verspeisen, während unser Junge friedlich im Sand spielt und Muscheln nach Größe und Farbe sortiert.

Naja, vielleicht hat er aber auch seinen Game Boy vor der Nase und sitzt irgendwo im Schatten, weil es ihm viel zu heiß ist. Egal, es ist so schön …

Wir werden also Urlaub machen!

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