Kitabı oku: «Die Faxen Dicke», sayfa 5

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Sie selbst bekommt ihren schweren Schock erst etwas später, als sie sich im halbblinden Spiegel unserer Hütte selbst kaum wiedererkennt. Ich kann meine vorsorgliche Blockade der Toilette leider nicht mehr aufrechterhalten und es so leider auch nicht mehr verhindern, dass sie ins Bad kommt und sich spiegeln will.

„HA!“ Ihr Schrei übertönt sogar das erbarmungslose Prasseln des Dschungelregens.

„WIE SEHE ICH DENN AUS?“, brüllt sie, und Max wird wieder wach und bellt.

Ich wusste ja schon, wie sie aussieht. Ihr Gesicht ist schon leicht geschwollen und so shrimpsrot und heiß, dass es praktisch kocht. Es haben sich zwar noch keine Brandblasen gebildet, aber in der nächsten Viertelstunde in der erbarmungslosen Hitze des traumhaften Chaweng Beach wären sie sicherlich erschienen. Ich bin schuld.

Ich wäre verantwortlich gewesen für die leibliche Unversehrtheit meiner Familie. Ich hätte Steffi in den Schatten zerren oder einem der Liegeninhaber den Sonnenschirm entreißen müssen, um ihn über meiner armen Frau aufzustellen, oder ich hätte sie wenigstens aufwecken müssen. Unseren armen Sohn hätte ich schon heute Morgen in ein Hospital bringen müssen, auch ohne Frühstück, die besten Ärzte der Insel zu einer Begutachtung seines Zustandes und einer Besprechung über die wirksamste Heilmethode der Seehundkrankheit zusammenrufen müssen und ihn, mit den besten Medikamenten versorgt, in einer Privatklinik unterbringen oder ihn mit dem ADAC-Hubschrauber nach Deutschland ausfliegen lassen müssen.

Aber nein, ich trinke lieber Bier mit neuen Freunden und freue mich des Lebens. Ich gebe mich einer so trügerischen, flüchtigen Freude hin und setze damit unser aller Leben aufs Spiel. Max, erst elf Jahre mit bleibenden Lungenschäden, Steffi für immer entstellt.

Diesmal wühle ich selbst unaufgefordert in der Apothekentasche und finde nach einer Weile auch die Brandsalbe, die ich ihr schweigend und schwer bereuend hinhalte.

Sie würde nie wieder einen Schritt vor die Tür setzen, sagt sie und legt sich ebenfalls vorsichtig, um die verbrannte Haut nicht zu reizen, ins Bett. Sie sagt kein Wort mehr, dreht sich zur Wand und stöhnt. Max schläft wieder ein und Steffi etwa eine halbe Stunde später. Meine Familie ist vernichtet. Es riecht nach verbranntem Fleisch und mir ist schlecht. Der Rest des Tages fällt einfach aus.

Bis jetzt ist der Urlaub voll daneben.

Von der Nachbarterrasse höre ich Pädder Lotze mit seinem Handy schimpfen. Ich bekomme nur Wortfetzen wie „Tuppes“, „Döskopp“ und sogar „Heiopeis“ mit. Scheint sich wohl um was Ernstes zu handeln.

Irgendwann überfällt auch mich eine bleierne Müdigkeit. Ich falle in einen unruhigen Schlaf und träume von einer gewaltigen Minibar voller Singha-Bier, zu der ich aber den Schlüssel verloren habe, weil alle Taschen meiner Tausend-Taschen-Hose riesige Löcher haben, durch die ich in einen dunklen, schwarzen Abgrund sehen kann, aus dem mich eine eklige Schlange anzischt und „Well done“ sagt. Und ich habe total vergessen, im Sauerland anzurufen.

26.12. Dritter Tach: Elefantenmensch

Um zwei Uhr nachts bin ich wach. Irgendwann hat man einfach genug geschlafen, wenn man schon gegen Mittag bewusstlos ins Bett fällt, auch wenn man einen mehrtägigen Flug und fünf Flaschen Singha-Bier hinter sich hat.

Steffi schnarcht laut und heftig, was bedeutet, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht und sie noch nicht verglüht ist. Max redet im Schlaf, aber es hört sich nicht nach tropischen Albtraumphantasien an, sondern nur nach dem ganz normalen Alltagshorror, den er sich wohl mit ins Paradies gebracht hat. Man kann Fetzen wie „Keine Fünf, Herr Görtz, bitte, keine Fünf“ und „Mathe ist ein Arsch!“ verstehen. Herr Görtz ist Max’ Mathelehrer und die Fünf ist leider kein Traum. Allerdings natürlich nur ein vorweihnachtlicher Ausrutscher, wie wir alle hoffen. Max ist sonst richtig gut in der Schule. Auch in Mathe.

Meine Familie scheint also wohlauf und ich bin hellwach und nach dem Zustand des ekligen, klebrigen Inneren meines Rachenraumes zu urteilen, kurz vor dem Austrocknen. Ich könnte saufen wie ein Kamel kurz nach einer siebentägigen Wüstentour und habe einen Geschmack im Hals, als hätte ich einen Stapel schnapsgetränkter Bierdeckel zerkaut. Benommen schleppe ich mich zu den Flaschen mit dem warmen Mineralwasser und leere eine davon in einem einzigen lebensrettenden Zug. Dann sehe ich noch mal gründlich nach, ob wir nicht doch eine versteckte Minibar mit Kühlung in der Bambusschrankwand übersehen haben, haben wir aber nicht. Schade.

Es ist eben nur „Hillside“ ohne „Senator“ und „Deluxe“ und so weiter. Ob Leichenhalle oder Lotze eine Minibar haben?

Ich verlasse leise seufzend die Hütte, versuche das Quietschen der Tür und das Knarzen eines Brettes in erträglichen Grenzen zu halten, um meine Leute nicht zu wecken, und lasse mich auf die schäbige Liege auf unserer gefährlich schwankenden Holzterrasse sinken.

Ach, ist das herrlich. Der Regen hat endlich aufgehört und der Dschungel um mich herum lebt. Und wie. Ist das eine Symphonie der nie gehörten Klänge und Geräusche! Es raschelt, gluckst, schreit, bölkt und quakt – ja, es scheint auch Frösche hier zu geben – kein Wunder bei der Feuchtigkeit – und auch der prächtige Vorwurfsvogel spielt in diesem Orchester eine wichtige Solorolle. Ich höre ihn deutlich heraus.

Tätäätätäätätäätätää! Da trötet doch tatsächlich mein Handy im Inneren unserer Urlaubsbaracke. Verdammt. Habe ich es denn nicht ausgeschaltet? Ich springe also wieder auf, hechte durch die Knarz-Tür zurück und fische das Teil hektisch aus meiner Tausend-Taschen-Hose, um meine Familie bloß nicht aus dem wohlverdienten Heilschlaf zu reißen. Tätäätätäätätäätätää! Das Display signalisiert mir: „Ulli“. Ach ja, natürlich. Ulli! Den musste ich ja unbedingt zurückrufen. Ja aber, ist der denn verrückt geworden, jetzt um diese Zeit bei mir anzurufen?

„Bist du bekloppt, Ulli …klopptulli?“, zische ich in das Gerät, als ich wieder draußen auf der wackeligen Terrasse stehe. „Weißt du, wie spät es ist …ätesist?“ Das Echo meiner eigenen Stimme im Handy macht mich etwas nervös.

„Reech dich doch nich auf“, sagt er beleidigt, „ich weiß schon. Zeitverschiebung! Ihr seid sechs Stunden zurück, woll.“

„Nein, du Blödmann …ödmann. Wir sind sechs Stunden VOR …undenvor! Es ist zwei Uhr nachts …uhrnachts!“

„Ah so … na egal, du biss ja wach“, antwortet Ulli da einigermaßen unberührt.

„Jaaa, ich bin wach …inwach. Also, was ist da los bei euch … osbeieuch?“

„Tja, nix eigentlich … ich hatte nur gesehen, dat du angerufen hass“, sagt er.

Oh, Mann.

„Ja, Ulli … ich hab mich vertan …ichvertan. Aber egal jetzt, Ulli, … etztulli … was ist passiert … assiert? Blömecke, Schlüter, Riesensauerei … was bedeutet das denn .. asdenn?

„Oooch …“, sagt er nur langgezogen, „war ja nich für dich. Wollte ja Don Camillo anruf’n, woll. Happ mich verwählt. Du hass ja Urlaub.“

„Was ist los, Ulli …slosulli?“ Er will mich schonen.

„Ach, ei’ngklich nix.“

„Eigentlich? Jetzt sag schon …agschon!“

Er windet sich und stöhnt.

„Also … die Ute Ziegenhagen, woll, kennze ja, woll, die inne Führerscheinstelle im Rathaus sitzt, woll …“

Dreimal ‚woll‘. Es ist was Schlimmes passiert.

„Ja, ja, Ulli, was ist mit ihr …stmitihr?“

„Die Ute, die hat da so wat mitgekriegt. Hat se mir vor de Kirche gesacht, woll.“

„Du warst in der Kirche …inderkirche?“

„Nee, ich happ nur de Winterraifen aufgezog’n und ’ne klaine Probetour gemacht und da habbich se getroff’n, woll.“

„Hat’s denn geschneit bei euch …eitbeieuch?“

„Nä, immer noch nich, komisch dies Jahr, aber sicher is sicher“, meint er. „Also, da is irgendwas im Busch, glaubt die Ute. Der Blömecke un der Schlüter, woll, die hecken wat aus, meint se. Schlüter war wohl die Tage in Blömeckes Büro und da hätte se wat … naja … eben so mitgekricht. Dat ging wohl um irgend ’n krummes Bauvorhaben oder so wat.“

Blömecke. Bauvorhaben. Ich halte die Luft an. Unser selbstsüchtiger und karrieregeiler Bürgermeister Carsten Blömecke, heckt also was aus. Mit meinem speziellen Freund und Großkotz Auto-Schlüter. Es passiert also was … und ich bin nicht da.

Na, super.

„Und weiter, Ulli, was noch .. liwasnoch?“

„Ja nix. Dat war’s. Ging wohl auch um Geld und so. Aber mehr is noch nich passiert. Abba ich bleib dran, woll.“

„Ja, mach das, Ulli. Mach das …achdas! Auf jeden Fall … edenfall.“

„Ja sicher.“

„Und halt mich bitte auf dem Laufenden …aufenden. Und wenn irgendwas passiert, dann ruf an, ja …ufanja?“

„Jaja, mach ich.“

„Egal wann …alwann!“

„Ja, ja, tschüss dann, Alex, woll.“

„Ja, tschüss, Ulli …üssulli!“

Blödes Echo!

Tja, so sieht’s aus. Da scheint also endlich, endlich wirklich mal was zu passieren in Leckede-Hintersten … und ich bin am Arsch der Welt.

Scheiß Urlaub. Zwei Balken.

Es liegt sich richtig gut in dieser abgewetzten Liege. Besser als in dem verdammten, harten Bett. Sehr bequem, die Nacht ist so angenehm warm, ein leichtes Lüftchen weht, die unerträgliche, feuchte Hitze des tropischen Tages ist erst morgen früh wieder zu erwarten, und ich sehe vor dem sicheren Einschlafen noch den Sternenhimmel. Den ganzen.

In dieser Pracht ist er eigentlich nur ganz im Süden zu sehen. Ganz weit weg eben. Vielleicht ist es ja das, was uns immer wieder in die Ferne treibt, weil wir es in Leckede-Hintersten, Schmallenberg oder Wipperfürth selbst in ganz klaren Nächten niemals so zu sehen bekommen, diese himmlische Pracht, dieses Wunder des Universums, bei dem man ganz, ganz klein und demütig wird und wo alle Blömeckes und Schlüters dieser Welt einem gestohlen bleiben können. Vielleicht ist es das.

Und so gebe ich mich ganz dem wohlverdienten Koma des geschundenen Urlaubers hin. Ab und zu meine ich, ein sirrendes Geräusch zu hören, das sich gefährlich nähert und dann aber plötzlich verstummt, aber das kann ich mir auch nur einbilden.

***

Die knarzende Hüttentür öffnet sich, die Morgensonne bahnt sich ihren Weg durch den Paradies-Blätterwald. Ich erwache und sehe einen Menschen aus unserer Hütte kommen, der mich entfernt an meine liebe Frau Steffi erinnert. Aber nur sehr entfernt, denn das Gesicht dieses mir ansonsten unbekannten weiblichen Menschen ist geschwollen und so rot wie ein fast rohes Steak – well done, nicht mehr blutig. Der fremde und doch so vertraut wirkende Mensch nähert sich mir mit offenem Mund und starrt mich fassungslos an.

„HA, HAAAA!“, brüllt der Mensch. Es ist doch Steffi, ich erkenne sie eindeutig an der Stimme, auch wenn das, was sie jetzt gerade von sich gibt, nicht unbedingt aus ihrem normalen Sprachschatz zu kommen scheint, eher aus den dunklen Tiefen ihres verschütteten Unbewussten oder irgendeiner Urangst. Oder haben die Verbrennungen sie so verändert? Ist sie schon am zweiten Tage unseres Traumurlaubes schlichtweg wahnsinnig ge-worden?

„Morng, Steffi“, sage ich etwas klebrig und muss mich im Gesicht kratzen, weil es so juckt.

„HA!“, bölkt die arme, kranke Steffi wieder und zeigt mit dem bloßen Finger auf mich. „HA!“

Ich schüttele nur traurig den Kopf und will sie tröstend in den Arm nehmen.

„HAU AB, DU MONSTER!“, schreit sie da panisch, und im Nachbar-Hillside-Bungalow der Lotzes – oder ist es doch ein Deluxe-Hillside-Bungalow MIT Minibar? – öffnet sich vorsichtig eine quietschende Tür. Dass meine Steffi mich gleich Monster nennt, bloß weil ich gestern nicht so richtig gut auf meine kleine Familie aufgepasst habe, das habe ich doch auch nicht verdient.

„Na, gomm“, sage ich versöhnlich, „ess dud mir auch lleid wehng gesst’rn.“

Das Sprechen fällt mir seltsamerweise etwas schwerer als gestern noch, so als wollten meine Wangenmuskeln sich nicht so recht biegen lassen, als wären sie ein wenig störrisch. Dabei braucht man nicht so viele Wangenmuskeln zum Sprechen. Sie müssen einfach nur locker sein.

„Hau ab!“, fleht sie mich an, „du bist so hässlich!“

Na, na, das geht jetzt aber wirklich zu weit. Ich bin zwar nicht gerade ein Adonis, und George Clooney sieht vielleicht in wenigen einzelnen Passagen seiner Filme etwas besser aus als ich, aber schlecht sehe ich nicht aus. Steffi findet mich sogar sehr attraktiv, was sie mir manchmal auch sagt. Und das habe ich ihr auch immer geglaubt.

Kann eine einzige schlechte Tat einen Menschen gleich hässlich machen? Sieht man das sofort? Nein. Ich finde, sie treibt es etwas zu weit mit mir, deshalb lasse ich sie auch beleidigt stehen und gehe auf die Tür der Hütte zu, um einzutreten und mich für den neuen Tag bereitzumachen. Steffi schnellt zur Seite, als gelte es, Jack the Ripper noch mal von der Schüppe zu springen.

Max wird gerade wach und ich lächele ihn mühsam an. Die Wangenmuskeln machen nicht so recht mit. Sein Schrei ist furchterregend und markerschütternd.

„UUWAAH!“

Jetzt ist der Hotelgarten mit all seinen tropischen Schläfern erwacht. Es kommt Leben in die Bretterbuden. Der Dschungel hält einen Moment die Luft an und die Symphonie macht eine Generalpause. Ich höre viele Holztüren knarzen und viele Terrassenbretter quietschen, und aufgeregte Stimmen rätseln über die geheimnisvollen Vorgänge in Hütte 506. Was geschah wirklich an diesem zweiten Weihnachtstag? Welches menschliche Drama spielt sich dort zwischen Bambus und Kokosnüssen ab? Gleich wird man uns die Dschungelpolizei auf den Hals hetzen und doch noch aus dem Paradies vertreiben oder, schlimmer noch, lebenslanges Urlaubsverbot erteilen.

„Sseid ihr d’nn allle v’rrüggt gewor’n? Was solll d’nn d’s Dheader?“, frage ich die beiden in meiner neuen Sprache, lasse auch meinen kreischenden Sohn Max jetzt einfach links liegen und gehe zielstrebig ins Bad.

Was das Theater soll, sagt mir dann der Blick in den Badezimmerspiegel. HAAA! Ich wische mit den Handtuch und den bloßen Händen verzweifelt an dem verdammten Spiegel herum, denn das Bild, das er mir da zeigt, kann ja nicht stimmen.

Das bin nicht ich, Alex Knippschild aus Leckede-Hintersten, das ist ein gemeines, mongolisches Supermonster, das über Nacht von meinem Körper Besitz ergriffen haben muss. HAAA! Meine, nein, seine Augen sind nur noch als unförmige Schlitze zu erkennen, die unter dick geschwollenen Lidern böse hervorblitzen, die Stirn ein einziges Beulenpestkatastrophengebiet, die Wangen verquollen und verformt, und sogar an den Ohren haben sich rote Pocken gebildet, die aussehen wie Blumenkohlwucherungen. Auch meine ehemals so formschönen, langen Beine sehen aus wie blatterige Stempel aus einem verlassenen Bergwerksstollen.

Ich überwinde mich heroisch und fasse dieses fremde Gesicht an. Ich suche verzweifelt nach der Lasche für die Maske, um diesen üblen Scherz von meinen sonst so männlich markant geschnittenen Zügen abzuziehen, aber die Maske bin ich. Ich habe mich verändert – und nicht unbedingt zu meinem Vorteil.

„Mein Gott“, sagt Steffi, „so was hab ich noch nicht gesehen.“ Sie ist mir dann doch mutig ins Bad gefolgt, und hat wohl jetzt ihre Angst vor diesem Körperfressermonster überwunden.

„Mein Gott, sieht das aus!“

Die Mücken haben ganze Arbeit geleistet. Myriaden von Schwärmen scheinen sich auf mir in der Nacht niedergelassen zu haben und ausgiebig auf dem bekloppten Touri aus Germany ein Gelage gefeiert zu haben, wie man es nicht oft serviert bekommt. Wahrscheinlich hat man noch schnell die Mücken der Nachbarinsel benachrichtigt, denn Haut, um ihre giftigen Stachel darin zu versenken, habe ich ihnen genug geboten. Ich habe ja nicht mal ein Hemd, ja noch nicht mal eine Hose an. Lediglich ein schwarzes Dreiecksunterhöschen bedeckt meine Männlichkeit, und an das chemische Mückenabwehrsystem aus unserem Apothekenkoffer habe ich natürlich überhaupt nicht gedacht.

Fasziniert von mir selbst, stehe ich minutenlang vor dem Spie-gel und starre hinein. Meine Güte, was für ein Horrorwesen ist aus mir geworden!

Auch mein gesamter Oberkörper ist verformt und widerlich. Er ist verunstaltet von Millionen dicker Beulen, die jetzt langsam auch anfangen, teuflisch zu jucken. Ich widerstehe dem Drang, mich zu kratzen noch eine Weile und denke lieber über mein weiteres Leben nach. Ich muss es schaffen, mein neues Äußeres anzunehmen, mit der schweren Katastrophe und den Entstellungen weiter zu leben, wenigstens noch eine Weile, bis ich alles geregelt habe, nochmals meine Lebensversicherungen überprüft und das wirklich gute Gefühl habe, meine Familie nicht im Elend zurückzulassen, während ich in abgedunkelten Hinterzimmern ein einsames, vor der Welt verstecktes Dasein friste.

Man muss sich in solchen Fällen den Tatsachen stellen, auch wenn es noch so schwer scheint, man muss lernen zu akzeptieren, dass sich da etwas verändert hat, das sich auf alles auswirken kann.

Ich will gleich nach dem Bläckfäss auf dem schwarzen Brett in der Hotel-Lobby nachsehen, ob eine Gesprächstherapie oder eine Selbsthilfegruppe angeboten wird, die mir helfen kann. Wenn man mit anderen darüber redet, wird es vielleicht leichter.

„Du gehst mir heute nicht aus der Hütte“, befiehlt Steffi, und eigentlich hat sie recht damit. Wer will schon von so einem Monster zum Frühstück begleitet werden. Auf jeden Fall bekämen wir einen schönen Tisch. Wahrscheinlich den besten. Dann taucht so etwas wie Mitleid in ihrem verbrannten Hummergesicht auf und sie sagt: „Du armer Kerl.“

Na, wenigstens bedauert sie mich schon wieder. Mein gestriges, völlig inakzeptables, egoistisches und selbstsüchtiges Verhalten scheint also so gut wie vergessen zu sein. Man spricht ja angesichts der neuen zugespitzten Lage an der tropischen Front schon gar nicht mehr darüber.

„Boah, sieht das scheiße aus!“

Max ist fasziniert. So was kommt sonst nur auf seinen Monsterkarten vor. Und da sind es die ganz üblen Burschen, die so aussehen wie ich, die muss man sofort vernichten, sonst ist man für ewige Zeiten erledigt, wie er sich immer ausdrückt.

Ich blicke durch meine gemeinen Sehschlitze auf meine Armbanduhr. Das ganze Ziffernblatt kann ich kaum erfassen, dafür reicht das verengte Sehfeld nicht mehr aus, aber dass es Viertel vor zehn ist, kann ich sehen. Höchste Bläckfäss-Time. Mein Magen knurrt. Ja, auch übernatürliche Monster haben ganz normalen Hunger wie andere Menschen auch und freuen sich auf einen Toast mit Marmelade.

„Nä, nä“, schüttelt Steffi ihren geschwollenen krebsroten Kopf, als sie mein Ansinnen erkennt, „du bleibst schön hier.“

Und trotzdem spiele ich mit dem Gedanken, vielleicht mit einer Skimaske, die wir natürlich nicht dabei haben, oder einem braunen Paradies-Handtuch, schick um dem Kopf gewickelt, doch am Frühstück teilzunehmen. Vielleicht kann es auch so ein Sack sein, wie ihn immer John Merrick, der so genannte „Elefantenmensch“ übergezogen hat, aus dem dann nur ein Auge herausguckt. Aber eins meiner Augen wäre auch schon schlimm genug, um halb Thailand in Horror zu versetzen. Vielleicht sollte ich überhaupt mal über eine Karriere auf den Jahrmärkten Asiens als der ’Homo Sauerlandiensis monstrosis’ nachdenken. Damit wäre meine Familie auf jeden Fall für alle Zeiten abgesichert.

„Nä, nä, du bleibst hier“, sagt Steffi wieder bestimmt und Max nickt zustimmend dazu. „Wir bringen dir was mit. Hier, nimm das erst mal!“

Mit diesen Worten reicht sie mir eine rötliche Tube, auf der die blutrünstigen Ungeheuer abgebildet sind, die mich diese Nacht so brutal überfallen haben.

„Schön dick draufschmieren. Das kühlt. UND NICHT KRATZEN!“

Das ist leichter gesagt als getan, denn es juckt höllisch, und das Verlangen, mir alles rot und bis auf die Knochen blutig zu kratzen, ist übermenschlich. Dann überlassen die beiden mich meinem traurigen Schicksal, ziehen einen weiteren Bläckfäss-Kuhpon aus meiner Tausend-Hosen-Tasche, lassen mich in der schwarzen Dreiecksunterhose und mit meinen Entstellungen in der Einsamkeit der Hütte stehen und verschwinden.

Steffi hat dabei offensichtlich völlig vergessen, dass sie heute auch nicht gerade an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen sollte, auch wenn nicht unbedingt zu erwarten ist, dass kreischende Menschenmengen vor ihr flüchten, wie das bei meinem Auftritt sicherlich der Fall wäre. Sie hat mit einer überdimensionierten Sonnenbrille, die fast um den ganzen Kopf herumgebogen ist, von der Sorte, die auch Victoria Beckham besitzt, die am übelsten zugerichteten Teile ihres Gesichts verborgen. Den Rest versucht ein neckisches Tüchlein zu verdecken.

Um Max’ Zustand hat sich heute Morgen gar keiner gekümmert, es scheint ihm aber wieder ganz gut zu gehen. Er hat nicht mehr gebellt. Angesichts meines unfassbaren Unglücks ist alles andere nur noch Killefit.

Ich gehe zurück in die Hütte, starre wieder fasziniert in den Badezimmerspiegel und komme zu dem Entschluss, dass man, bevor überhaupt irgendwelche Heilmethoden angewandt würden, die diese Fratze des Todes wieder in ein mitteleuropäisches Gesicht zurückverwandeln könnten – sofern das überhaupt jemals gelingen sollte –, zuerst einmal das ganze Dilemma für eine staunende Nachwelt oder auch für wissenschaftliche Forschungen festhalten müsse.

Ja, ja, es ist doch so: Im ersten Moment ist es für alle noch ein großer Schock, wenn das Leben plötzlich eine so grausame Wendung nimmt, aber später, wenn es erstaunlicherweise dann doch irgendwie weitergegangen ist und der ganze ferne Urlaub nur noch ein böser, langsam verblassender Albtraum ist, dann führt man den Freunden und Schwiegereltern zu Hause stolz die Dia-Serie Thailand – Ko Samui: Menschen, Monster und Moneten vor, und dann freut man sich doch, noch etwas ganz Besonderes in der Hinterhand zu haben. Etwas, das auf jeden Fall ein echter Brüller zwischen den ewigen Bildern von schwankenden Palmen und grinsenden Familienmenschen vor Tempeln ist.

Später ist man dann heilfroh, dass es solche realistischen Dokumente gibt, die einen an das Grauen erinnern, das man mutig überwunden hat. Bilder, die einem klar machen, welches wunderbare Glück man doch gehabt hat, weiterleben zu dürfen.

Ich reiße mich von dem sagenhaften Anblick im Badezimmerspiegel los und krame in einer der Taschen nach meiner neuen Digitalkamera, die bis jetzt noch gar nicht zum Einsatz gekommen ist. Mit diesem Bild soll der Apparat seine schockierende Premiere haben. Hoffentlich wird er danach nicht sein Objektiv für immer verschließen. Ich suche eine Weile nach dem Selbstauslösersymbol, und als ich es gefunden habe, postiere ich die Kamera auf dem kleinen Tischchen auf unserer Terrasse, löse aus und positioniere mich in aller Eile in der Liege.

Um dem Bild noch einen gewissen Mördertouch zu geben, beiße ich mit bloßgelegten Zähnen quer auf ein Brotmesser und verziehe mein Monstergesicht, soweit das mit den Schwellungen möglich ist, zu der ultimativ grauenhaftesten Fratze, zu der ich fähig bin. Ich bin mir sicher, dass ich mit diesem Bild noch Generationen von Kindern als Abbild des Bösen gelten kann. Man könnte mich in Schulen aushängen und brauchte nur drohend mit dem Finger darauf zu weisen, wenn die Kinder mal wieder nicht richtig gehorchen.

Klick. Ich grinse zufrieden. Das wird ein schönes Bild!

Weitere Schreie zerreißen die morgendliche Ruhe und ich sehe eine blassbleiche japanische Frühstücksgesellschaft in Todesangst vor mir durch den Urwald Richtung Lobby flüchten. Ich grinse ihnen nur böse hinterher.

„Um zwölf Uhr treffen wir Cherry in der Lobby“, sagt Steffi, als sie mir mit einer Ladung Toast und Marmelade, in Servietten eingepackt und offensichtlich so aus dem schwer bewachten Frühstücksgelände herausgeschmuggelt, gegenübersteht.

„Du siehst immer noch grauenhaft aus. Hast du dich eingeschmiert?“, fragt sie besorgt und kopfschüttelnd.

„Ja, habbich. Wird schon“, sage ich gleichgültig und so gelassen wie möglich und nehme ihr ihre Beute ab, um alles hungrig und vorsichtig zwischen die geschwollenen Lippen zu schieben.

„W’r is d’nn Schärry?“, frage ich mit vollem Mund.

„Unsere Reiseleiterin. Sie will sich mit uns treffen.“

„Warum? W’s will die denn? Hab’n wir denn w’s falsch ge-macht?“

„Phh, vielleicht wollen WIR ja was von ihr, vielleicht wollen wir ja was wissen, wie’s hier so ist und was man so machen kann. Wie viel ein Baht ist, oder so was.

„Hundert Baht sind zwei Euro fünfzig“, sagt Max, und ich bin sehr stolz auf ihn und nicke ihm zufrieden zu.

„Ich w’ll niggs wiss’n“, maule ich, und dass wir eine Reiseleiterin haben, ist mir überhaupt nicht bekannt. Wozu? Wir kommen schon klar. Wir brauchen so was nicht.

„Du siehst AUS!“, sagt Steffi und kann sich gar nicht sattsehen an mir. Naja, SOOO viel besser sieht sie meiner Meinung nach auch nicht aus, aber ich sage lieber erst mal nichts. Wir sehen ALLE nicht so besonders aus heute. Max ist blass und hat dunkle Ringe unter den Augen, Steffi ist krebsrot und geschwollen, und ich … naja.

„Um zw’lf?“, frage ich, ohne den Mund eigentlich wirklich zu bewegen.

„Ja, in der Lobby. Ich weiß nur nicht, wie wir dich bis dahin hinkriegen sollen“, meint Steffi, aber ich ahne, dass sie schon Pläne für meinen geplanten Auftritt hat.

***

Ich bin anders als die anderen.

Sie tragen kurze Hosen, T-Shirts und lockere Kleiderfetzchen und unterhalten sich angeregt über ihre bisherigen Erfahrungen im fremden Land. Ich stecke in langen Hosen, trage ein langärmeliges Hemd, bis unten zugeknöpft, eine Baseballkappe, tief in das Gesicht gezogen, für das Steffi extra noch eine superlarge Sonnenbrille im Hotelshop besorgt hat. Damit ist der obere Teil meiner Visage halbwegs sicher abgedeckt. So. Für die Abdeckung der unteren Hälfte gibt sie mir ein Arafat-Halstuch – weiß der Teufel, wo sie das her hat –, das ich mir am Hals möglichst hoch ziehen soll, und sie empfiehlt mir, ständig eine Hand vor den Mund zu halten, um die hässlichen Pocken im mittleren Bereich meiner Mörderfresse zu verdecken. Das würde sicherlich ganz intellektuell interessiert wirken und überhaupt nicht auffallen. Außerdem soll ich auf jeden Fall nichts sagen, sie würde schon alles regeln.

Steffi trägt ihre schon erprobte Frühstückstarnung, und im Übrigen bedient auch sie sich des raffinierten Tricks, ihre rechte Hand immer, auch beim Sprechen, intellektuell vor den Mund zu halten. Max hat keine Lust auf den Quatsch und bleibt in der Hütte.

Sechs weitere Personen, drei Paare, bevölkern mit uns die Sitzlandschaft aus geflochtenem Korb. Auch die Lotzes sind dabei – und erkennen uns nicht. Ich kann es kaum glauben, aber ich belasse es erst mal dabei.

Wir werden allerseits schon wieder gewaltig beargwöhnt. Ich spüre, wie man uns als eindeutig verdächtige Personen einstuft. Terroristen oder Bombenleger. Ganz bestimmt. Vielleicht sollte man jetzt schon den Hotelmanager informieren, um Schlimmeres zu verhindern. Ja, ja, man denkt immer, solche Dinge passieren woanders, aber dann sitzt man plötzlich mittendrin und abends kommt man als Opfer in den Nachrichten vor.

Der Arafat-Schal tut seine Wirkung. Man rückt allgemein etwas von uns ab. Wir geben uns terroristisch cool und warten geduldig, im jetzt wieder heftig einsetzenden Regen, auf Cherry, unsere Reiseleiterin.

Und da kommt sie schon.

„Na, oisch hat abbäh velly bös erwischt, gell?“, begrüßt Cherry uns dann nach einer Weile und schüttelt mir herzlich ohne Berührungsängste die zerstochenen, geschwollenen Hände.

„At night on de Terrass oig’schlofe?“, fragt sie mich laut lachend und: „in de Sun oigschlofe“, diagnostiziert sie Steffis Zustand. Cherry ist eine sympathische, hübsche junge Thailänderin, und wie sie da so spricht in fast fließendem Deutsch mit englischen Brocken … und einem wirklich heftigen Frankfurter Dialekt, das ist wirklich was ganz Besonderes.

„My Vaddäh was a Fronkfotter and isch hobb mol do studiert in Fronkfott, gell“, eröffnet sie uns lachend, weil sie genau weiß, dass das keiner von uns verstanden hat. Akustisch ja, aber sonst. Doch was soll’s? Cherry hat jedenfalls wohl schon alles gesehen und erlebt, was Touristen in diesem Land nur falsch machen können. Ich glaube, wir brauchen sie. Dringend.

Dann beantwortet sie bereitwillig und freundlich zunächst die vorwurfsvollen Fragen der aufgebrachten Runde nach dem ewigen, verdammten Regen. Schließlich wolle man Urlaub machen, und da passe diese Sauerei einfach nicht ins Bild.

„Ab mosche witt bessäh!“, lacht sie und wir wissen natürlich, dass sie lügt.

Ich hatte schon im Kreise unserer Familie vor unserer Reise, allerdings nur kurz und wahrscheinlich zu halbherzig, darauf hingewiesen, dass es möglicherweise etwas waghalsig sei, im Dezember und Januar auf Ko Samui Urlaub zu machen. Regenzeit. Mehrere Internetforen beschäftigen sich ausgiebig und leidenschaftlich mit diesem Thema.

„Ko Samui im Dezember?“, hieß die Frage, die ich eingegeben habe, und die Antworten waren eindeutig. „Macht es nicht!“, „Nie wieder!“ oder „Wenn ihr ersaufen wollt“ und „Das Allerletzte!“.

Nur einer hat geantwortet, man könne auch Glück haben. ER hätte mal Glück gehabt. Und auf diesen einen haben wir dann alles gebaut. Auch Frau Gantenbrink aus dem Reisebüro hatte wohl zu Steffi gesagt, dass es durchaus auch sehr schöne Tage in dieser problematischen Urlaubszeit geben könne.

Naja. Wir haben ja dann auch alles unterschrieben und unser jetziges Schicksal damit besiegelt. Tja, und jetzt haben wir’s. Da braucht man doch nicht mehr nach Regen zu fragen. Da braucht man sich doch nicht zu beschweren. Wir wussten es doch alle vorher. Oder?

Cherry, die eigentlich Cherestulama Hiradokinam oder so ähnlich heißt, und die wirklich erstaunlich gut Deutsch spricht, und die man auch wunderbar versteht, wenn man erst mal die englischen Brocken in dem Frankfurter Gebabbel erkennt und dem Ganzen einen Sinn geben kann …

Naja, sie spricht jedenfalls viel besser Deutsch als einige der Anwesenden, finde ich, und sie breitet jetzt also vor uns die Angebote diverser Urlaubsvergnügen aus. Man soll ja nicht auf die Idee kommen, hier einfach faulenzen zu können, oder vom Gefühl gequält sein, irgendetwas Wichtiges zu verpassen. Nein, ihre Angebote würden dafür sorgen, dass wir alles zu sehen bekommen, was diese Insel auf Lager habe. Cherry macht das sehr nett.

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