Kitabı oku: «Sauerland Live», sayfa 2

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Sie starrt ihn nur ausdruckslos und sehr bedürftig an.

„Superflätt?“, sagt sie, als sei es ein das ein preiswertes Pfannkuchengericht bei IKEA oder auch ein Wandschrank. „Eh-Uh Rohming? Junger Mann, wissen Se wat? Ich hab bald keine Lust mehr. Ich will mein Weh-Lahn zurück. ‘Rastamann‘ stand da immer und dat soll da getz wieder steh’n.“ Und dabei klopft sie auf ihr Handy und dann schüttelt sie es wieder, so dass es ihr bald aus der Hand fällt.

„Sie könnten ein neues Handy bekommen. Ihres ist ja schon ein paar Jährchen …“, sagt der Mann jetzt etwas abschätzig und leicht überheblich, als ob es sich bei ihrem Model noch um ein kohlebetriebenes Handtelefon der ersten Generation handeln würde. „Samsung Galaxy, wenn Sie wollen.“

Frau Pütter hat jetzt die Sammeldose für das Kinderhilfswerk auf der grauen Theke entdeckt und liest interessiert den Text darauf.

„Die armen Kinder“, sagt sie dann und wartet darauf, dass Herr Mobilfon auch etwas dazu sagt.

„Bitte?“

„Naja, hier“, sagt sie und zeigt auf die Dose. „Die armen Kinder. Ich tu da mal wat rein.“

Der Smartphone-Gelehrte verdreht die Augen, scheint nicht sonderlich erfreut über die Unterbrechung der bisher so gut gelaufenen Eröffnung seines Beratungsgespräches, wartet aber geduldig bis die spendenwillige Frau Pütter ihr Portemonnaie aus der Handtasche gepult hat und der Börse ein Zwei-Eurostück entnimmt, um es sicher in der Dose zu versenken. So, da ham die Kinder getz auch wat!

„Vielen Dank, Frau Pütter, das ist sehr nett von Ihnen“, fühlt der Verkaufspsychologe Schimmeroth, so hieß der Mann doch, wenn ich mich recht erinnere, sich bemüßigt zu sagen und erwartet etwas ungeduldig die Fortsetzung seines Beratungsgespräches.

„Frau Pütter!“, setzt er dann wieder mutig an, weil er ja noch so viel Neues zu verkünden hat. „Sehen Sie mal, so ein Samsung Galaxy, …“

„Galaxie?“, fragt Frau Pütter und scheint Lichtjahre weit entfernt zu sein.

„Ja, … Galaxie, … das hat einen 64er Speicher. 64 Gigabyte, können Sie sich das vorstellen, Frau Pütter?“

Nein, natürlich nicht.

„Gesichts- und Iriserkennung!“

„Iris?“, fragt die alte Dame und denkt vielleicht an eine ebenfalls schon verstorbene gute Bekannte oder Freundin.

„Damit sind Sie nicht nur optisch, sondern auch technisch in der ersten Liga, Frau Pütter!

Sie weiß aber offensichtlich nicht so recht, ob sie überhaupt da hin will in diese erste Liga, und wird so langsam auch etwas unruhig auf ihrem Barhocker. Vielleicht ist der doch nicht so bequem, wie er von unten aussah.

„Zwölf Megapixel Kamera!“, haut Herr Mobilfon schnell noch raus, um Frau Pütter von den Vorteilen dieses ganz besonderen Gerätes vollends zu überzeugen. Sie scheint ja interessiert und nahe dran, ein solches Wunderwerk erstehen zu wollen.

„Bluetooth!“

„Ja, ja.“

„Ultra-High-Quality-Upscaler!”

Frau Pütter entdeckt sich selbst im Glas der spiegelnden Wandschränke hinter Herrn Mobilfon und richtet ihre Dauerwelle ein wenig.

„Dual Band W-Lan!“

Da ist Frau Pütter wieder im Boot.

„Hattat Weh-Lahn?“, fragt sie atemlos.

„Ja, natürlich!“, jubelt der routinierte Spitzenverkäufer geschmeidig. „Hat es!“

„Dann nehm ich dat“, sagt Frau Pütter voller Überzeugung und holt noch mal ihr Portemonnaie heraus, um es dann auch gleich zu bezahlen. „Heißt dat Weh-Lahn da drin auch ’Rastamann‘?“, fragt sie dann aber doch noch, um auch völlig sicher zu gehen, auch das richtige Weh-Lahn zu bekommen.

Das wirft Herrn Schimmeroth etwas aus der Bahn, aber er fängt sich schnell und antwortet federnd: „Noch nicht, aber sie können es so nennen, wenn Sie wollen.“

„Ja, dann is‘ gut“, sagt Frau Pütter, scheint sehr zufrieden mit ihrer Entscheidung und fragt dann: „Wat kost‘ dat denn?“

Da holt der Herr Schimmeroth erst mal tief Luft und ein fast nicht sichtbares Lächeln legt sich auf seine schmalen Lippen. Es ist also fast geschafft. Jetzt nur noch ein paar Details und das schöne schnelle Geschäft ist perfekt.

Das ist doch ein perfider Hund, dieser Schimmeroth, denke ich so, und auch Max scheint mit mir ausnahmsweise mal einer Meinung zu sein. Der Kerl will ihr da ein sündhaft teures Handy andrehen, mit dem diese Frau doch überhaupt nichts anzufangen weiß und das sie doch technisch und wahrscheinlich auch finanziell total überfordert. Das ist ja wohl …

Das Portemonnaie der armen Frau Pütter liegt jetzt auf der grauen Theke und sie wartet auf eine Antwort.

„Liebe Frau Pütter, Sie werden es vielleicht nicht für möglich halten, aber dieses Gerät bekommen Sie für EINEN Euro!“

Sie fingert wenig beeindruckt einen Euro aus dem ledernen Geldspeicher und reicht ihn an Herrn Mobilfon weiter, um ihm dann direkt ihr neu erworbenes Handy aus der Hand zu reißen und es sehr zufrieden anzusehen.

Der Herr der Handy-Welten ist einen kurzen Augenblick zu verdattert, um schnell zu reagieren und es direkt wieder in seinen Besitz zu bekommen, denn so geht das Geschäft ja nicht. Außerdem versucht Frau Pütter jetzt auch schon, den Abstieg vom Barhocker zu beginnen.

„Moment!“, sagt Herr Mobilfon da erst mal und kommt eilig hinter seiner Theke hervorgesprintet, so einfach wäre das alles ja nicht. Doch Frau Pütter hat gar keine Zeit und Aufmerksamkeits-Kapazitäten frei, um dem jetzt etwas nervösen Mann zuzuhören, weil ihre Füße sich in den Chromspangen des modernen Stuhls verfangen haben und sie erst mal untenrum alles sortieren muss. Beide Handys dabei fest umklammert. Sie bringt sich damit in die Gefahr, einfach vom Stuhl zu kippen.

„Sie müssten dann natürlich für weitere zwei Jahre der Firma Handyfone ihr Vertrauen schenken und hier unterschreiben“, sagt dieser Haderlump mit sabberndem Maul und hat das entsprechende Verfügungspapier schon in den zitternden Händen. Die Frau ist noch immer im Chromstuhl gefangen …

… und da raste ich aus. Zugriff!

Ich sehe Max nur kurz an und er mich und dann hat er begriffen: Der Alte dreht durch!

Oh, nein! Wie peinlich ist das denn jetzt wieder? Mitten im Handyladen! Er dreht er sich augenrollend weg, weil er für solche Situationen leider noch zu wenig Verständnis hat. Das muss er erst noch lernen, in solchen Sachlagen auch angemessen zu reagieren, Ungerechtigkeiten sofort zu registrieren und wirksam zu bekämpfen. Den Unterdrückten muss geholfen werden. Sofort!

Na gut, um die Erziehung meines Sohnes in diesen zwischenmenschlichen Angelegenheiten muss ich mich dann eben später kümmern. Jetzt geht es erst mal um das Leben dieser armen Frau.

Ich schreite also umgehend zur Tat. Wie einer der sieben Aufrechten aus dem so ähnlich genannten Kinofilm nähere ich mich dem Geschehen, helfe zunächst der alten Frau, ihre Füße zu entwirren, um nicht abzustürzen. Es gelingt und Frau Pütter hat wieder festen Boden unter den noch etwas wackeligen Füßen. Und dann schalte ich mich diplomatisch in das quasi noch laufende Verkaufsgespräch ein, während Max das Loch zum Verschwinden sucht.

„Sie Halsabschneider!“, beginne ich erst mal recht formlos in Richtung des gnadenlosen Kopfgeldjägers Schimmeroth. „Sie wollen hier einer armen alten Frau ein scheiß Handy aufschwatzen, das sie überhaupt nicht braucht, sie für zwei Jahre in einen Vertrag zwingen, den sie überhaupt nicht versteht und den sie auch nicht braucht. Sie sind ein Betrüger!“

Mir gehört augenblicklich die Aufmerksamkeit des gesamten Ladens einschließlich von Frau Handyfone-Heggemann, die das Ganze mit gewisser Genugtuung zu beobachten scheint, ohne einschreiten zu wollen. Soll ihr blöder Chef doch zusehen, wo er bleibt, wenn dieser Amokläufer, also ich, ihm gleich an die Gurgel geht. Sie würde sein erbärmliches Leben sicher nicht retten.

Auch Frau Pütter verfolgt mein Eingreifen interessiert aber noch etwas unschlüssig, wem ihre Sympathien gehören, weil sie wohl noch nicht abzuschätzen vermag, auf welcher Seite dieser neue Mann in ihrem Leben, also ich, jetzt gerade kämpft.

„Sie brauchen das nicht, Frau Pütter!“, sage ich, meinen scharfen Ton von eben extrem heruntergepegelt und in eine säuselnde Hypnosestimme verwandelt, nehme ihr das intergalaktische Han­dy, das sie soeben erworben hat, wieder ab und knalle es auf die Theke des Hauses Handyfone, dass Schimmeroth, der gemeine Abzocker, mich entsetzt ansieht. Wie kann man denn mit so einem hochsensiblen Teil …

Frau Pütter scheint sich allerdings erst mal zu wundern, dass ich sie kenne und schaut dann ihrem neuen Handy etwas sehnsüchtig hinterher. Sie würde natürlich auch gerne ihren Euro zurückbekommen, wenn sie das tolle Dings mit dem neuen Weh-Lahn dann irgendwie doch nicht haben darf.

Der Bandit Schimmeroth will etwas sagen, weil er ja schließlich der Herr im Hause ist, weiß aber nicht genau, was. Also hält er seine ver­brecherische Klappe.

„Kommen Sie mal mit“, versuche dann ich die Betreuung der jetzt leicht verstört wirkenden Frau Pütter zu übernehmen. Max ist schon mal rausgegangen.

Frau Pütter ist noch etwas unschlüssig, schaut auf ihr Steinzeithandy, das sie noch immer fest umklammert in den Händen hält, dann auf das Galaxie-Telefon, das sie nun leider doch nicht haben darf, auf Herrn Schimmeroth, der sich doch solche Mühe gegeben hat … und dann sieht sie mich an.

Ich scheine von allen verbliebenen Aussichten vielleicht die Schlimmste zu sein - aber sie entschließt sich doch, mir ihr Vertrauen zu schenken.

Ich fühle mich sehr geehrt. Biete ihr meine starken Arme an, sie hakt sich dankbar ein und dann verlassen wir durch eine schnell gebildete Rettungsgasse unter den Augen der staunenden Menge das Reich des allmächtigen Handyfones und treten hinaus in die unendliche Freiheit des ganz normalen Lebens ohne Weh-Lan.

„Wo wohnen Sie denn, Frau Pütter?“

„Na, hier gleich umme Ecke!“

„Gut. Dann gehen wir da mal hin. Ich bringe Sie mal eben umme Ecke“, sage ich und führe die alte Dame in die Richtung, in die sie zeigt.

„Aber ich will doch noch gar nicht …“

„Doch, doch, ich bringe Sie jetzt mal nach Hause“, wiederhole ich mit etwas Nachdruck und muss jetzt auch die Führung in diesem Pas de deux übernehmen.

Max sieht uns beiden von ein paar sicheren Metern Entfernung zu und ich will ihm zurufen, dass ich gleich zurück bin, aber als er sieht, wie ich versuche, Frau Pütter an meinem starken Arm über die recht gut befahrene Straße zu zerren, kommt er tatsächlich näher. Wahrscheinlich, weil er es einfach nicht mehr mit ansehen kann und es endlich hinter sich bringen will, oder weil er vielleicht doch eine nette jugendliche und menschliche Einsicht hat und zwei älteren Menschen einfach über die Straße helfen will.

„Ist es noch weit?“, frage ich auf der sicheren anderen Seite dann die etwas störrische Frau Pütter und sie sagt: „Nä, da is‘ ja de Haustür!“ Sie ist kurz davor, ihren Arm aus meinem leichten Schraubzwingengriff zu befreien, aber ich halte dagegen.

„Dann machen Sie ihr Handy doch jetzt mal an, bitte, Frau Pütter.“

„Getz?“, fragt sie und ich sehe so etwas Angst vor der unmittelbaren Zukunft in ihren Augen.

„Ja, jetzt! Bitte!“

Sie holt es misstrauisch aus ihrer Handtasche, in der es vor Kurzen erst verschwunden ist, macht es etwas umständlich an und dann helfe ich ihr schnell, die richtigen Touch-Punkte zu treffen, damit wir auch auf der richtigen Seite ihres Handy landen und dann habe ich’s auch schon.

Da: W-Lan. Na, bitte.

Ich reiche ihr kaltlächelnd das Gerät und zeige triumphierend auf das Display.

„Bitteschön! Sehen Sie mal!“

Sie schaut auf das Display, über ihr Gesicht geht ein unerklärliches Leuchten, und sie sieht dann wieder mich und dann noch mal das Display an, und dann sagt sie: „Rastamann! Da isser ja wieder!“

„Genau“, sage ich. Zack, Zack. So einfach geht das. Und werfe bei dieser günstigen Gelegenheit auch Max gleich noch einen leicht überheblichen Blick zu. Siehst du? Bin nicht so doof, wie du denkst.

Der wirft aber dann doch noch fachkundig ein, dass die liebe Frau Pütter ja vielleicht ihr W-Lan- Netz mal verschlüsseln sollte, damit nicht jeder …

„Ach, wat, junger Mann“, sagt sie da, „Rastamann war ja mein Hund. Den kennt ja keiner.“

Ja, da hat sie natürlich recht. Und dann will sie noch ‘ne kleine Runde mit dem Hund gehen.

„Aber gehen Sie nicht zu weit, Frau Pütter. Besser wär’s, Sie bleiben ab jetzt doch lieber mit ‘Rastamann‘ im Haus.“

„Jo, da hamse recht. Sons‘ haut er wieder ab, woll.“

Und dann verabschieden wir uns von der lieben Frau Pütter und begleiten sie mit zufriedenen Blicken auf ihrem Weg in das Haus Grabenstraße Nummer vier. Sie wird also wahrscheinlich nicht bei uns einziehen, sondern ihr Leben weiter allein meistern können, weil Alex Knippschild wieder einmal das Böse bekämpfen konnte.

„Was wolltest du eigentlich in dem Laden?“, fragt Max mich dann noch kurz, als wir ins Auto steigen.

„Ach“, sage ich, „nicht so wichtig.“

Ich will ihm jetzt einfach nicht sagen, dass ich mich eigentlich für so ein tolles Samsung Galaxy interessiert habe, das ja für nur einen Euro zu haben gewesen wäre und ich dann natürlich auch gerne für zwei weitere Jahre den entsprechenden Knebelvertrag unterschrieben und mich dem allmächtigen Handyfone bereitwillig geopfert hätte.

Nein, das kommt für mich jetzt nicht mehr in Frage. Wir lassen uns doch nicht für dumm verkaufen! So nicht! Nicht mit uns!

„Ja, bin ich denn mackacki? Da krich ich doch die Pimpernellen!“, rufe ich laut über die Straße und Max ist es schon wieder peinlich.

Aber dann fahren mein Sohn und ich endlich mit dem Gefühl, heute schon etwas wirklich Gutes getan zu haben, nach Hause.

So kann‘s doch weitergehen!

Erste Sauerländer Weisheit:

Tolle Technik – gut und schön

Alles brauchsse nich‘ versteh’n.

Das zweite Abenteuer
Wie ‘ne Omma!

„Ich weiß nicht, ich weiß nicht“, sagt meine liebe Frau Steffi, sieht mich mit ihrem skeptischen Schiefblick an, dem eigentlich nichts durchgeht und der alles begreifen will. Ich ahne aber schon, dass sie eben doch sehr genau weiß, was sie ja angeblich nicht weiß.

Jetzt zuppelt sie an mir rum.

Steffi zuppelt öfter mal an mir rum. Meistens an meinen Sachen, weil irgendwas nicht so sitzt, wie es sitzen sollte, oder wie sie sich ein bestimmtes Kleidungsstück an mir vorgestellt hatte.

„Mmh“, sagt sie dann meistens und wirkt immer etwas unzufrieden, tritt einen Schritt zurück, um meine Wirkung so im Ganzen zu beurteilen und im schlimmsten Fall schüttelt sie den Kopf. Da sitzt mal der Hemdkragen schief, über meinem kleinen Bauch spannt es ein wenig und die „Mach-einen-Knopf-mehr-zu-Emp­fehlung“ kommt auch schon mal öfter. Nein, nein, nicht, dass Sie denken, ich hab das Hemd bis zum Bauchnabel offen und zwischen einer urwaldigen Brustbehaarung auch noch eine schwere Goldkette am Baumeln. Nein, nein. Ich hab’s nur gerne etwas freier um den Hals herum. Wenigstens zwei Knöppe auf.

Na, ist auch nicht so wichtig jetzt.

Denn heute zuppelt sie wieder mal an meinen Haaren herum. Das passiert so alle paar Wochen, oder auch wenn ich sie mal gewaschen habe. Das habe ich heute und dann weiß ich ja selbst, dass ich nicht mehr wie ein menschliches Wesen aussehe.

Dieses ganze Haarpracht-Volumen und die verdammte Fülle, so, wie es uns ja auf den Shampoo-Flaschen versprochen wird! Alles ist so schrecklich locker und aufgebauscht, kein Zusammenhalt mehr in dem ganzen Gewölle, mein Kopf ist auf einmal viel größer und runder … ach, es sieht einfach unmöglich aus. Da muss dann erst mal wieder Fett in die Haare, damit man da auch gestalterisch wirken kann. Nivea geht eigentlich ganz gut.

Ja, direkt nach einer Haarwäsche sehe ich aus wie ein Alpaka oder Richard Wagner, wie ein … ein aufgeplusterter prähistorischer Vogel oder wie …. wie …

„Wie ‘ne Omma! Du siehst aus wie ‘ne Omma!“, sagt Steffi. Ja, genau. Das meinte ich wohl.

Das sagt sie oft, wenn sie sich nicht mehr so ganz sicher zu sein scheint, ob ich auch noch immer der bin, der ich mal war, oder der ich gerne sein möchte. Omma aber auf keinen Fall.

Ja, ich hab die Haare gern etwas länger, auch wenn oben schon eher so das Dünne, sogar das beängstigend Dünne, vorherrscht. Aber „wie ‘ne Omma“, nä, das ist schon hart. Dann werde auch ich nachdenklich.

Wo ich doch bis gerade eben noch dachte, es sei trotz Haarwäsche eigentlich alles noch in bester Ordnung mit mir. Hab schließlich ordentlich nach­gefettet. Der Blick in den Spiegel gab mir auch recht. Dachte ich. Siehst doch noch ganz gut aus, alter Knacker. Für dein Alter gar nicht mal so übel obenrum.

Aber nein, … scheinbar eben nicht. Wie ‘ne Omma!

Man muss aber auch wissen, dass mir das Gezuppel und die skeptisch besorgten Blicke meiner Frau nun wirklich überhaupt nichts ausmachen. Also, nicht viel. Nein, nein, das darf sie schon. Ich bin ihr eigentlich sogar dankbar, dass sie quasi als letzte Qualitäts-Prüfung vor der offenen Haustür noch mal draufguckt, bevor sie mich dann seufzend auf die Straße entlässt.

Ja, alles kriegt man natürlich nicht hin bei mir, irgendwas ist ja immer. Aber wer weiß denn, was meine un-kontrol­lierte Erscheinung da draußen auslösen könnte.

„Du musst zum Frisör!“, sagt sie. Aha. Da haben wir’s also. „Hab dir schon ‘n Termin gemacht.“

So. Von wegen „ich weiß nicht, ich weiß nicht“. Sie wusste es schon die ganze Zeit - und ich ja eigentlich auch. Es ist also mal wieder soweit.

Obwohl das eigentlich gar nicht nötig ist. Ich kann mir meine Haare auch selber schneiden. Ich hab mir da inzwischen eine sehr ausgefeilte Technik antrainiert, so Rupfen und Schneiden gleich­zeitig und die Schere im Schnitt immer Richtung Haarwurzel bewegen … nein, das führt zu weit, das hier zu erläutern. Und bitte nicht selber ausprobieren. Do not try this at home! Aber es klappt … wenn man es kann. Ich finde, dass es hinterher immer sehr natürlich aussieht. Steffi findet das nicht. Sie meint, es sieht wie abgefressen aus, oder, als seien mir wieder eine Menge Haare ausgefallen. Naja.

Der Frisör also. Eigentlich würde ich lieber zur ‘ner Darmspiegelung gehen.

Aber gut, dann muss ich mich eben dem gelockten Meister und seinen brutalen Gespielinnen mal wieder stellen.

„Und ich hab auch gesagt, sie sollen dir ‘n paar Strähnchen machen.“

Na, das ist ja wohl … jetzt bestellt Steffi schon für mich die Behandlung.

„Du hast das direkt in Auftrag gegeben? Das gibt’s ja wohl nicht! Und ehrlich, Steffi … Strähnchen!“

„Ja, wird alles so grau bei dir.“

Ja, und? Ich bin sechsundvierzig.

„Und die Augenbrauen, lass dir auch die Augenbrauen machen, ja? Dunkler. Aber nicht zu viel, dass man‘s sieht, nur so ein bisschen, dass man nicht sieht, ….“

Jaja.

Vielleicht will sie auch gleich mitkommen, um die totale Runderneuerung persönlich zu überwachen.

„Ach, weißt du was, Alex, ich komm einfach mit und …“

„Nä!“, falle ich ihr direkt ins vorlaute Wort, bevor dieser schlimme Satz noch weitergehen kann, und so bestimmt, wie es überhaupt nur geht, sage ich: „Das fehlt ja noch. Auf KEINEN Fall!“

„Na gut, morgen um zehn“, sagt sie dann noch etwas sparsam. „Ich bin dann auch im Örtchen einkaufen und könnte dich hinterher abholen.“

Na gut, abholen geht. Aber sie scheint etwas enttäuscht, dass sie meine morgige Menschwerdung nicht live miterleben darf.

*

Pünktlich um zehn bin ich also in der Kampstraße in Leckede und betrete den Frisörladen von Herrn Kaiser, den er natürlich logischerweise Kaiserschnitt genannt hat. Ist ja klar. Hätt‘ ich auch gemacht.

„Ah, der Herr Knippschild, wie gehdet dir denn?“, fragt Meister Kaiser persönlich mit etwas öliger Stimme und in seiner ganz eige­nen Frisörsprache. „Sie“ und „Du“ gleichzeitig. Das können nur Frisöre oder Supermarktkassiererinnen.

Der Geruch in seinem Sa­lon könnte ein gutes Gemisch für Anästhesisten sein. Alle Wohlgerüche dieser Welt vereint in einer einzigen chemischen Keule.

Dann entreißt er mir meine Jacke, so, wie ein Zauberer das Tuch über dem Zylinder mit dem Kaninchen wegziehen würde, dass man gar nichts merkt und gießt sie in einer geschmeidigen Bewegung über einen verchromten Kleiderbügel. Toller Trick. Er wendet sich mir dann zunächst lächelnd zu, doch seine Miene verfinstert sich beim Anblick meines natürlichen Kopfschmucks schwer und sehr plötzlich. Natürlich hat er sofort gemerkt, dass ich mir die Matte gelegentlich selbst stutze, und das geht ja wohl gar nicht. Wie kann denn jemand seine berufliche Qualifizierung und seine fachliche Kompetenz einfach umgehen?

„Hou, da muss aber wieder mal wat gemacht werden, oh, oh, oh“, jammert er wie ein Klempner beim Anblick einer verrotteten Wasserleitungsmuffe, als er mir mit seinen meisterlichen Fingern ins künstlich nach­gefettete und etwas stockige Haar greift und prompt in einer kleinen Verknotung hängenbleibt.

„Oh, oh, oh!“

Ich erinnere mich an die Frage vom Anfang nach meinem Befinden und sage jetzt: „Mir geht’s gut, Herr Kaiser, und dir?“ Etwas trotzig und verschnupft vielleicht, denn ich bin das einfach nicht gewohnt, diese wahnsinnig tolle Atmosphäre beim Coiffeur meines Vertrauens.

Naja, und eigentlich vertraue ich ihm ja nicht. Keiner dieser Stimmungskanonen vertraue ich. Nein, nein, es herrscht eher tiefes Miss­trauen gegenüber Menschen, die mir in den Haaren herumgrabbeln und hinterhältig lächelnd mit einer Schere in der Hand herumklappern, auf eine günstige Gelegenheit warten und es dir dann sowieso so machen, wie sie es sich selber vorstellen. Sie wollen sich auf deinem Kopf selbst verwirklichen. Man muss da höllisch aufpassen.

Ja, dieses Misstrauen rührt noch aus meiner Kindheit her, als mein Papa mich mit zu Frisör Rapp genommen, gezwungen, geschleppt, gezerrt hat. Papa saß dann immer in dem linken Frisuren-Gebär­stuhl und ich rechts daneben.

„Wat kricht der Junge?“, fragte Eugen Rapp dann meinen Papa, nicht etwa mich – ich war einfach noch nicht alt genug, zu entscheiden, was frisurentechnisch gut für mich war – und mein Papa antwortete dann mit einem kurzen Seitenblick auf mich mit „Kurzer Fassong, wie immer, Eugen!“

Ach, du Lieber. Kurzer Fassong hieß alles, was hinterher wie Recht und Ordnung aussah, und es gab wohl keine genaueren Anga­ben für die Ausführung eines solchen Schnittbefehls. Die Interpretationsbreite war groß und Eugen Rapp hatte praktisch freie Hand. Die er auch nutzte.

Er scherte also erst mal von unten nach oben mit ständig wachsender Begeisterung mit seinem Elektromäher den Nacken kahl und dann die Seiten.

Nein, nicht noch höher! Bitte nicht!

Aus, vorbei, zu spät, das Ohr war schon frei. Völlig frei, da waren keine schützenden Haare mehr in der unmittelbaren Nähe. Es lag da ungeschützt und viel größer als vorher an den kalkweißen, jetzt oberhalb ganz stoppeligen Breitseiten meines Kopfes.

Dem spärlichen Rest obendrauf besorgte es Eugen Rapp dann mit der flinken Schere, die er wie ein wahrlicher Meister klappern lassen konnte, dass einem angst und bange wurde. Zack, zack, zappzerapp. Rapp. Daher wahrscheinlich auch der kurz und bündige Name. Oder umgekehrt. Mit diesem Namen wird man Frisör.

Er ließ also oben freundlicherweise immer etwas Haar übrig, das er dann mit einem scharfen Seitenscheitel veredelte. Furchtbar. Ich könnte damit in jedem Nazifilm mitspielen.

Heute ist diese unsägliche Frisur doch tatsächlich wieder in. Kurzer Fasson. Heißt auch noch immer so. Sehen Sie sich die jungen Männer von heute an! Das ist Eugen Rapps Vermächtnis. Es ist mir unbegreiflich, wie man freiwillig mit solchen Frisuren rumlaufen kann.

„Wen hattt‘n we denn heute für dich, Herr Knippschild?“, fragt Meister Kaiser jetzt und blättert in seinem Auftragsbuch.

„Aaach, de Kimbärli. Kimbärli, dä Härr Knippschild is da!“, nölt er dann nach hinten in den Laden und Kimbärli nähert sich etwas unsicher, leicht schlurfig, aber trotzdem so schnell, wie es geht und schief lächelnd, passend zu ihrer asymmetrischen Frisur. Sie weist mir den Weg zur Beschneidungsstelle und ich lasse mich mürrisch nickend nieder.

Die Reihe der Behandlungsstühle steht ziemlich nahe am gro­ßen Schaufenster zum Bürgersteig hin, was mich schon immer etwas nervös gemacht hat in Herrn Kaisers Laden.

Ich weiß ja so in etwa, was für eine schmachvolle, erniedrigende Verunstaltung mir bevorsteht, und da will man natürlich nicht von Fremden, oder sogar Nachbarn, Bekannten oder guten Freunden, die zufällig vorbeikommen, entdeckt werden. Vielleicht hat sich der Termin meiner heutigen Beschneidung ja auch herumgesprochen und man hat sich zu größeren Gruppen vor dem Riesenfenster vom „Kaiserschnitt“ verabredet.

„Morgen um zehn kricht der Knippschild de Fransen ab. Bisse dabei?“

Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken. Die anderen Kunden, alles Frauen, scheint diese Öffentlichkeit aber nicht zu stören.

Links von mir ist eine ältere Dame in Behandlung, die wohl gerade gemeinsam mit ihrer persönlichen Stylingberaterin beschlossen hat, wieder ganz jung zu werden. Sie ist in heftiger, aber begeisterter Diskussion mit einer von Meister Kaisers Schergen über ein gewagtes Feuerrot und abrasierte Seiten statt der ewigen blöden Dauerwelle.

„Mein‘ Se, dat wär wat für mich? Ich bin zweiensibbzich!“

„Aaach, da sinse donnich zu alt für, Frau Heisterkamp! Ihr Mann wird begeistert sein.“

Na, das glaube ich eher weniger, wenn ich mir die Frau so ansehe und mir mit einiger Phantasie ausmale, wie es hinterher aussehen könnte, aber ich denke auch, der alte Feuerdrache wird dann sicher noch mal richtig durchstarten. Zur Not dann eben auch ohne ihren Mann.

Den Platz rechts von mir bestuhlt eine Matrone, die fett und quaddelig auf das große Wunder wartet, das ihr von einer der anderen Meistergehilfinnen gerade versprochen wird. Sie ist, wenn man den Ausführungen der Frau Frisörin folgt, gewissermaßen kurz davor, ein neues Leben zu beginnen.

„Hier wat länger, da bisken wat kürzer, und dann dat Ganze mit so ’ne bläuliche Tönung. Wat meinse, wattat aaausmacht!“

Also, da würde ich jetzt mal gleich abwinken. Meiner Meinung nach würde es nicht viel ausmachen und jeder Handgriff wäre bei der da rausgeschmissenes Geld. Die Frisur ist das Letzte, was ich da ändern würde.

Naja, mich fragt ja keiner.

Tach, die Damen! Einmal rechts, einmal links genickt. Ich bin der Neue und ich bin bereit. Aber keiner nimmt Notiz von mir. Auch gut. Es kann also losgehen. Die Spiele sind eröffnet. Vor dem Schaufenster noch keine nennenswerte Menschenansammlung.

Das gnadenlose Neonlicht lässt mich in dem großen Spiegel schon jetzt wie eine lebende Leiche oder wie ein ganz kranker, armer Mann aussehen und ich will eigentlich gar nicht mehr hin­gucken. Ich muss aber, weil ich natürlich wachsam sein will. Ich darf nicht alles mir mir machen lassen.

„Wat machen we denn heute?“, fragt Kimbärli, als hätte sie Langeweile, und beugt sich wieder ganz schräg zu mir hin wie eine besorgte Pflegerin, die einem sterbenden Menschen das Ableben so bequem wie möglich machen will. Noch ein‘ letzt‘n Wunsch? Wollnse noch eine rauchen?

„Tjoo“, sage ich gedehnt, um ein wenig Zeit zu schinden. Jedes Wort ist jetzt wichtig, alles könnte falsch verstanden werden und hin­terher sieht man aus wie Hulle, zahlt ein Vermögen und muss trotzdem raus auf die Straße zu den schadenfrohen Gaffern, die einen dann wie eine rasierte Sau lachend und grölend durchs Dorf treiben.

„Bisschen kürzer … aber nur ‘n bisschen, ganz wenig, eigentlich gar nichts, ich find die Länge nämlich ganz gut … also …vielleicht nur hier …“

Dabei packe ich mir selbst reichlich unsicher und wenig hilfreich für Fachkraft Kimbärli in meinen Schopf. Immer etwas länger lassen. Ja, daran ist auch Eugen Rapp schuld.

„Kennen Sie Buffalo Bill?“, frage ich Kimbärli dann, weil uns das helfen könnte, aber sie scheint nicht zu verstehen.

„Wild Bill Hickock?“

Nein, auch nicht.

„Wäre auch etwas zu lang“, ergänze ich noch, um meine Vorstellungen zu präzisieren, aber die Herren scheinen ihr gar nicht bekannt zu sein.

„General Custer?“

Nein, kennt sie auch nicht, wie ich an ihrem leeren Gesicht ablesen kann.

„Naja, schade, wissen Sie, Kimberley, die hatten die Haare immer hinten etwas länger, wie ich das auch ganz gut finde. Nicht ganz so lang vielleicht, aber so in der Richtung, verstehen Sie?“

Nein, das versteht sie nicht. Sie greift stattdessen zu einer Zeitschrift, blättert nervös und hektisch darin herum und zeigt mir dann ganz stolz ein Bild von Johnny Depp als Jack Sparrow und jetzt sehe ich sie leicht verstört an.

„Dat könnte doch vielleicht bei Ihn‘n …“, meint sie, aber sie merkt schon, dass das nicht der Art von Veränderung entspricht, die ich und auch Steffi sich von diesem Tag versprochen haben.

„Nä?“

Dann zeigt mir noch ein Bild von Bruce Willis, auch schön, aber ohne verwertbare Reaktion meinerseits, und dann legt sie seufzend aber immer noch tapfer lächelnd die Illustrierte wieder weg.

„Winnetou“, sage ich noch schnell, aber diesen Witz will sie nicht verstehen.

Meine asymmetrische Kimbärli merkt schon, dass mit mir in Sachen Beratung nicht viel anzufangen ist und sagt dann ermutigend und mit einer Hand abwinkend: „Ach, dat krieng we schon, Herr Knippschild. Lassen se mich ma machen.“

Genau das will ich eigentlich vermeiden, dass sie da möglicherweise ihre eigenen Geschmacksvorstellungen und ihre Sicht der Dinge oder sogar ihre Weltanschauung in meiner Frisur umsetzt. Buffalo Bill und General Custer kennt sie gar nicht und der glatzköpfige Bruce Willis hat mich schon etwas nervös gemacht.

Wo soll das hinführen? Wo ist da die Schnittmenge?

Ich sehe mir auch noch mal etwas besorgt ihr eigenes schiefes Gebil­de von Frisur an, von der ein spitzer Zipfel immer wieder in ihrem Mundwinkel hängt. Ihr Nacken ist ganz kahlrasiert, die linke Seite auch und ich versuche mir gerade vorzustellen, dass auch ich derart verunstaltet diesen Ort verlassen könnte, wenn ich ihr freie Hand lasse. Auf keinen Fall.

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