Kitabı oku: «Vom guten Tod», sayfa 2

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Der Sinn des Todes in der Evolution

Die Natur favorisiert vor allem die Fähigkeit, mit den Herausforderungen des Lebens, speziell den sich wandelnden Umwelteinflüssen, fertig zu werden. Dies geschieht, so verdeutliche ich mir das laienmäßig, indem eine Generation ihr Wissen an die nächste weitergibt. Dies kann durch die Vermittlung bestimmter Sachverhalte geschehen, aber auch durch die Weitergabe genetischen Materials. Wenn sich die Gene von Mann und Frau vereinigen, so entsteht eine neue Variante des Erbgutes und damit die Möglichkeit, dass sich das Leben besser an die Bedingungen der Umwelt anpasst. Über die Natur sagte Johann Wolfgang von Goethe, das Leben sei ihre schönste Erfindung und der Tod ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben.1 Evolutionäres Ziel ist demnach kein ewiges, ja nicht einmal ein besonders langes Leben, sondern eine möglichst effektive und fortschrittliche Reproduktion. Dazu ist es dann nicht notwendig, dass die Elterngeneration ein hohes Alter erreicht, vielmehr hat sie ihre Aufgabe mit der Schaffung neuen Lebens und der erfolgreichen Aufzucht der Nachkommenschaft erfüllt.

Sterblichkeit und zweigeschlechtliche Sexualität hängen evolutionär gesehen eng miteinander zusammen, weil sie beide demselben Zweck dienen. Es geht um die bestmögliche Selbsterhaltung und Weiterentwicklung der jeweiligen Spezies, und darin unterscheiden sich die höheren Organismen nicht voneinander. Die Evolution sorgt sich nicht so sehr um die Bedürfnisse des Einzelnen als vielmehr um das große Ganze.

Im Folgenden wird es zunächst darum gehen, nach Gesellschaftsmodellen zu suchen, in denen diese evolutionäre Sichtweise ein tragendes Element der Sinnsuche sein kann.

Deine Nachkommenschaft wird zahlreich sein wie die Sterne am Firmament

Mit dieser Verheißung an Abraham (Genesis 15,5) vollendet sich seine Lebensgeschichte, die bis in sein hohes Alter von Kinderlosigkeit bedroht war, und darin spiegelt sich ein Verständnis von Leben, das einer evolutionären Betrachtungsweise sehr nahe kommt. Denn ob ein Dasein sinnerfüllt ist, zeigt sich in der Weitergabe des Lebens an Kinder und Kindeskinder. Eine individuelle Erwartung eines Lebens nach dem Tod ist dem Alten Testament wie dem ganzen Orient fremd, weshalb sich die Frage nach einem guten Tod relativiert. Der Tod ist eine biologische Notwendigkeit. Wer stirbt, wird nicht wieder lebendig, heißt es bei Ijob (14,14), und gegen den Tod lässt sich keine Beschwerde führen (Jesus Sirach 41,3–4): Alle Menschen müssen sterben. Als guten Tod kann man einen ansehen, der nach einem langen und erfüllten Leben eintritt, und so sterben Abraham, Isaak oder Ijob alt und lebenssatt. Dann werden die Menschen zu den Vätern versammelt, wo sie in einem düsteren Totenreich ein trostloses Schattendasein führen.

Im Gegensatz zu diesem Tod, der eintritt, wenn der Mensch satt an Tagen ist, was einer Spanne von siebzig oder achtzig Jahren (Psalm 90,10) entspricht, fürchtet man den unzeitigen Tod eines Kindes oder durch Krankheit, Gewalt, Krieg und Hungersnot, der das Leben unerfüllt abschneidet. Eine etwa daraus resultierende Kinderlosigkeit gehört zu den Schrecknissen eines vorzeitigen Todes. Von der Vorstellung eines guten Todes wird man im Alten Testament wohl absehen müssen; eher kann man von einem erfüllten Leben sprechen, wenn es in der Heimat und im Kreis der Familie geschieht, die dann auch für eine angemessene Bestattung sorgt. Der Tod an sich bleibt ein endgültiges und unwiderrufliches Geschehen. Man kann deshalb sagen, dass sich das Alte Testament in großer Nähe zu einer Interpretation gemäß der Evolution befindet. Wichtig ist der Fortbestand der Familie, der Sippe und des Volkes, weshalb die Zusage einer reichen Nachkommenschaft an Abraham mehrfach wiederholt wird (Genesis 22,17; 26,4).

Erst in nachexilischer Zeit und vor allem in der jüdischen Apokalyptik entwickelt sich die Vorstellung von einer Gottesgemeinschaft des Frommen auch jenseits der physischen Todesgrenze, auf die hier aber noch nicht eingegangen werden muss. Wichtig ist jedoch, dass die Anfänge einer Auferstehungshoffnung das Volk als Ganzes betreffen, wenn Gott das Volk heilt und neu belebt gleich dem Geschehen in der Natur: „… denn er wird hervorbrechen wie die schöne Morgenröte und wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet.“ (Hosea 6,3) Ebenso bietet die berühmte Erzählung von der Erweckung der Totengebeine (Ezechiel 37,12) ein Bild für die Wiederherstellung des Volkes Israel und für den neuen Exodus aus dem babylonischen Exil: „Siehe, ich öffne eure Gräber und ich führe euch herauf aus euren Gräbern und ich bringe euch ins Land Israel.“ Das Individuum spielt noch keine Rolle, und eine eigentliche Auferstehungsvorstellung findet sich erst in der apokalyptischen Literatur der hellenistischen Zeit.

Die Vorstellung von einem guten Tod war im Alten Judentum nicht an die erhoffte Überwindung der Endlichkeit gebunden, sondern an die gelebte Fülle des Lebens und eine reiche Nachkommenschaft, womit deutlich wird, dass das evolutionäre Modell durchaus tragfähig sein konnte.

Der Fortbestand der sozialistischen Menschengemeinschaft

Ein Sprung über Jahrtausende und gesellschaftliche Grenzen hinweg sei erlaubt, um in der Gesellschaft des sozialistischen Atheismus nach dem guten Tod zu forschen, der sich angesichts der Negierung eines individuellen Fortlebens ebenfalls anderer Strategien bedienen muss. Auch hier tritt an die Stelle der individuellen Auferstehungshoffnung die Zuversicht auf den Fortbestand und die Weiterentwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft, an der der Einzelne in mehr oder minder hohem Maße seinen Anteil hat. In einem streng biologischen Sinn beendet der Tod zwar das Leben einmalig und unwiederbringlich, Sinn stiftend ist jedoch das gelebte Leben, in dem der Mensch am Bau der Welt, am Bau einer besseren Welt beteiligt war. Der Tod löscht zwar das einzelne Leben aus, aber er kann die Lebensleistung des Menschen nicht vernichten. Noch ist das Trostpotenzial sozialistischer Trauerfeiern nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, aber stellvertretend greifen wir den dritten und letzten Vers des Liedes „Flattert der Wimpel“ aus dem Liederbuch der Sozialistischen Jugend „Die Falken“ heraus, der diesen Geist spiegelt und bei Trauerfeiern gesungen wurde:

Hat uns das Schicksal gepackt und gezaust, und sind wir einst alt und grau, ist unser Leben vorbeigebraust, fordert der Tod uns rau. Dann schauen wir noch einmal die Runde vom Meer bis zum Sternenzelt. Mit Mädel und Jungen im Bunde bauten wir uns’re Welt.

Gibt es im atheistischen Materialismus keine individuelle Hoffnung über den Tod hinaus, so kann es dennoch einen guten Tod geben, der einen sinnvollen Lebensentwurf erlaubt und aus dem ein Tröstungspotenzial für die Angehörigen erwächst. Diese Erkenntnis für die Gestaltung weltlicher Trauerfeiern fruchtbar zu machen war ein Anliegen der Kulturpolitik in der DDR, die vor allem das Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR in Leipzig mit der Ausarbeitung entsprechender Materialien beauftragt hatte. Die entstandenen Handreichungen lieferten sowohl die Grundlagen eines materialistischen Todesverständnisses als auch konkrete Entwürfe für Traueransprachen sowie Text- und Liedvorschläge.2 Wenn ein Mensch sterbend sagen kann, er habe sein ganzes Leben, seine ganze Kraft dem Herrlichsten in der Welt, dem Kampf für die Befreiung der Menschheit gegeben, so kann „ein in diesem Sinne bewusst gelebtes Leben … durch den Tod nicht ausgelöscht werden“3. Ist man dem Ziel nahegekommen, „sich als Persönlichkeit zu verwirklichen, seine Umwelt und sein Dasein schöpferisch zu vervollkommnen, wahrhaft menschlich zu gestalten“, dann stirbt man mit der „Gewissheit, dass die Spur seines Wirkens eingezeichnet bleibt im unaufhaltsam fortschreitenden Leben, im Bewusstsein und Werk der Lebendigen“4. Die Einbettung des individuellen Lebens in die sozialistische Gemeinschaft sollte mit dem Versuch erreicht werden, die Trauerfeier aus dem familiären Umfeld auf eine höhere gesellschaftliche Ebene zu heben, indem man die Kollektive von Betrieb und Partei zu Trägern der Abschiednahme bestimmte.

Konsequent war das Bestreben, in der Friedhofskultur das individuelle Einzel- oder Familiengrab durch kollektive Bestattungen in Urnengemeinschaftsanlagen zu ersetzen. Gleichermaßen versuchte man, anstelle individueller Trauerfeiern kollektive Gemeinschaftstrauerfeiern anzubieten, bei denen jeweils mehrere Verstorbene gleichzeitig verabschiedet und beigesetzt wurden. Mit der Ausarbeitung einer inhaltlichen und gestalterischen Grundlage einer sozialistischen Friedhofskultur war das Institut für Kommunalwirtschaft beauftragt worden.

Freilich musste man sich auch mit dem Problem auseinandersetzen, dass Kinder und junge Menschen starben, dass Menschen mitten aus dem Leben gerissen wurden, deren Tod einer Erklärung bedurfte. Hier griff die Grundüberzeugung des Materialismus, dass der Mensch ein Teil der Natur ist, die an sich keine Erklärung erlaubt: „Als Materialisten wissen wir: Natur hat keinen Sinn. Tod und Leben ,an sich‘ sind sinnlos wie Sonne oder der Schnee. Kein Gott, kein Geist ist Schöpfer der Welt. Aber Gesetze halten Sterne und Atome widersprüchlich in Bewegung. Nicht ,Gottes unerforschlicher Ratschluss‘, sondern das Wirken objektiver Gesetzmäßigkeiten bestimmt Werden und Vergehen in der Natur, also auch Leben und Sterben des Menschen.“5

Im materialistischen Denken ist zwar der Einzelne wichtig als Teil der permanenten Entwicklung der guten, sozialistischen Ordnung, die seinen ganzen Einsatz erfordert, sein Leben wertvoll macht und über seinen Tod hinaus wirksam bleibt, doch zugleich ist er Teil der Natur, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. In seiner Rede am Grab von Karl Marx sagte Friedrich Engels: „Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk.“6 Karl Liebknecht wurde mit den Worten zitiert: „Und wenn wir nicht mehr leben werden, leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem.“7 Nicht das Individuum mit seinem Leben und Sterben ist das Maß aller Dinge, sondern der Fortbestand der Menschengemeinschaft.

Das Weib triumphiert über den Tod

In einer christlich dominierten Gesellschaft war es natürlich undenkbar, der durch die Evolution bedingten Sterblichkeit des Menschen den Vorrang gegenüber dem göttlichen Willen einzuräumen. Es durfte nicht sein, dass im Sinne von Charles Darwin (1809–1882) und Alfred Russel Wallace (1823–1913) der Mensch nichts anderes ist als ein weiterer Spielball auf dem großen Experimentierfeld der Evolution: Der Mensch wird geboren, lebt, liebt und stirbt: Was soll daran Besonderes sein?8

Die Kirche predigte, der Tod sei der Sünde Sold9, und der mittelalterliche Inbegriff der Sünde war die Frau, woraus sich das ikonografische Sujet von Tod und Frau oder Tod und Mädchen entwickelte, das gleichsam die Botschaft von der Ursache des Todes transportierte. Künstler der Renaissance wie Hans Baldung Grien (1517) oder Niklas Manuel Deutsch ergötzten sich an diesem ebenso morbiden wie erotischen Thema, das schon in die Reihe der mittelalterlichen Totentänze gehörte. Erst Edvard Munch drehte den Spieß um und ließ in seiner 1894 entstandenen Radierung Das Mädchen und der Tod die Frau über den Tod triumphieren. Zwar hatte sich bildlich die erotische Komposition kaum verändert, und die unbekleidete Frau schien den Nachstellungen des Todes zu erliegen, doch auf der Rahmung des Bildes sprechen Spermien und Embryonen eine andere Sprache. Auch wenn die Frau stirbt, gibt sie das Leben weiter und lebt in ihren Nachkommen fort. Zwar stirbt das Individuum, aber die Gattung lebt weiter. In kaum einem anderen Bild der Kunstgeschichte wird die evolutionäre Deutung des Todes deutlicher als hier.

In einer Folge von sechs Holzschnitten hat der weit weniger bekannte, ostpreußische Künstler Robert Budzinski (1874–1955) ganz ähnliche Gedanken zum Ausdruck gebracht. In seiner Der Sieg des Lebens (Auch ein Totentanz) genannten, 1924 entstandenen Holzschnittmappe orientierte er sich am Vorbild der Totentänze: Der Tod fordert eine junge, im Kornfeld sitzende nackte Frau zum Tanz auf, er ergreift die Fidel und beginnt den scheinbar ungleichen Tanz, der immer wilder wird. Doch schließlich erliegt der Tod dem furiosen Geschehen, löst sich auf, und sein Gerippe zerfällt. Am Schluss steht die Frau, die Hände in die Taille gestützt, triumphierend über dem Häufchen Gebeine, die einmal der Tod waren. Im Sinne einer Melioration des etwas in Misskredit geratenen Wortes darf man diese Frau wahrlich Weib nennen in der ursprünglichen Bedeutung als Pendant zum Mann und als Inbegriff des Weiblichen, das sich letztlich in seiner Gabe ausdrückt, Leben schenken zu können. Indem Budzinski im letzten Bild seines Totentanzes die breiten Hüften der Frau betont, stellt er ihre Gebärfähigkeit bildkompositorisch und damit auch inhaltlich so in den Mittelpunkt, dass sich genau daraus ihre Kraft speist, über den Tod zu triumphieren. Die Begegnung mit dem Tod endet nicht mehr tödlich, sondern das Leben behält die Oberhand. In der Einführung zum Mappenwerk schrieb der Verleger Hanns Heeren: „Diese sechs Holzschnitte des Ostpreußen Robert Budzinski sind kein Totentanz im üblichen Sinne, der uns die Allgewalt des Todes über das Leben vor Augen führt, wie es mehr oder weniger alle Totentänze von Dürer bis auf unsere Zeit taten – diese sechs Holzschnitte sind ein einziges Bekenntnis zur Kraft und zum Siege des Lebens über den sonst so gefürchteten Herrscher Tod. Der einzelne Mensch zwar unterliegt ihm, aber das kraftvoll blühende Leben nimmt den Kampf immer wieder auf und bezwingt den Tod: Der Einzelne stirbt – die Menschheit lebt!“

Diese schlichte Betrachtungsweise stieß jedoch nicht nur auf den Widerstand der kirchlichen Lehrmeinung, sondern sie ging auch am Wollen und Sehnen der Menschen, ob gläubig oder nicht, vorbei, die ihren individuellen Tod nicht nur eingebettet sehen wollten in das Große und Ganze, sondern doch von ihren Fragen nach dem Sinn des Lebens – und des Todes – nicht ablassen wollen. Unter dieser Voraussetzung kann die evolutionäre Sinngebung des Todes, der an sich weder gut noch schlecht, sondern einfach nur notwendig ist, nicht weiterhelfen. Die allermeisten Menschen suchen eine Antwort auf die Frage, warum sie leben und warum sie sterben, und viel mehr noch wie sie sterben, wodurch und wann und wofür.

III. „Es hat Gott gefallen …“

Braucht also der Tod eine Erklärung? Und ist er nicht erst sinnvoll, wenn nicht nur sein Faktum, sondern auch das Wie, Wo und Wann von einer höheren Macht bestimmt werden? Stand es nicht lange in unseren Agenden zur kirchlichen Bestattung: „Nachdem es dem allmächtigen Gott gefallen hat, unseren Bruder / Schwester N. N. aus diesem Leben abzurufen …“? Es mag eine unzeitgemäße Formulierung sein, dass Gott am Tod eines Menschen seinen Gefallen hat, aber als Christ darf man durchaus glauben, dass Anfang und Ende des Lebens in seinem großen Ratschluss ge- und verborgen sind. Im Alten Testament ist zu lesen, dass Gott das Lebensalter begrenzt: „Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit hundertzwanzig Jahre betragen.“ (Genesis 6,3) Somit ist biblisch ausgeschlossen, dass der Mensch ewig lebt. Aber auch die individuelle Lebensspanne wird von Gott bestimmt. Im Alten Testament bekennt der fromme Beter: „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31,16), und im Neuen Testament wird folgender Satz von Jesus überliefert: „Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“ (Matthäus 6,27)

Biblisch wurzelt die Bestimmung des Menschen zum Tode im Sündenfall, und sie dürfte zunächst auch nicht hinterfragt werden, wenngleich man ihr statt der religiösen Begründung auch eine biologische zugrunde legen kann. Allerdings müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt auf das posthumane Menschenbild des Trans- oder Posthumanismus zu sprechen kommen. Unterschiedlich kann jedoch beurteilt werden, ob Gottes Wille auch den Zeitpunkt des Ablebens bestimmt und dieser gewissermaßen vorbestimmt ist. Bemühen wir das Alte Testament, so kann man dieser Auffassung durchaus zustimmen, wenn es etwa heißt: „Der Herr macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf.“ (1 Samuel 2,6) Im Prinzip teilen die christlichen Kirchen die Auffassung, dass allein Gott Herr über Leben und Tod ist, wenngleich theologisch kontrovers diskutiert wird, wie konkret man sich die Bestimmung des Todeszeitpunktes durch Gott vorstellen soll. Gott will das Leben, weshalb etwa die Selbsttötung einerseits, die Todesstrafe andererseits von vielen Theologen und Gläubigen abgelehnt werden. Immerhin kollidiert die göttliche Vorsehung mit dem postulierten freien Willen des Menschen, der sich selbst oder andere töten kann, und man sträubt sich gegen den Gedanken, dass Suizid oder Mord von Gott bestimmt ist.

Eindeutiger ist die Auffassung im Islam, für den Allah das Schicksal der Welt und des Individuums in allen Bereichen lenkt: „Wenn Allah die Menschen für alle ihre Sünden strafen würde, würde Er nichts, was sich regt, auf Erden belassen. Jedoch Er gewährt ihnen bis zu einem bestimmten Termin Aufschub. Doch wenn ihr Termin gekommen ist, können sie ihn weder um eine Stunde verschieben noch beschleunigen.“ (Sure 16,61) Daraus kann eine gewisse Tröstung resultieren, wenn der Tod eines Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich Gottes Wille ist. Warum sollte man sich dann gegen das Ende wehren, wodurch auch immer es hervorgerufen wird?

Andererseits ist Gott ein Gott, der unbedingt das Leben will. So glauben wir Christen es. Wie rasch verbirgt sich dann der als vorzeitig oder unzeitig empfundene Tod hinter unendlich vielen Fragen! Hat es Gott gefallen, Katastrophen, Unglücksfälle oder Kriege, eine schwere, tödliche Erkrankung mitten im Leben oder gar über ein Kind hereinbrechen zu lassen? Es war erst in unserer Zeit, als der Schweizer Theologe, Schriftsteller und Lyriker Kurt Marti es wagte, Gottes Gefallen am Tod eines Menschen ins Gegenteil zu verkehren. In seinen berühmten, 1969 verfassten Leichenreden dichtete Marti:

dem herrn unserem gott hat es ganz und gar nicht gefallen dass gustav e. lips durch einen verkehrsunfall starb

Einer zeitgemäßen Theologie will es nicht mehr gelingen, dem Tod eines Menschen einen Sinn abzugewinnen, zumindest keinen, der über das Grundmotiv der allgemeinen Sterblichkeit hinausginge. Es kann Gott nicht gefallen haben, dieses Leben so oder so enden zu lassen, zugleich darf es sich aber auch nicht gegen Gottes Willen ereignet haben. Aber selbst wenn man hinter jedem Sterben, so sehr es uns auch irritieren und verunsichern kann, die Allmacht Gottes postuliert, lässt sich daraus kaum mehr ableiten, was denn als guter Tod zu verstehen sein soll.

Im Tod des Ungerechten mag man rasch eine gerechte Strafe vermuten; dann würde der Tod wieder Sinn machen. Doch woraus resultiert der Tod eines (scheinbar) rechtschaffenen Menschen? Immerhin könnte man hinzufügen, dass niemand ohne Schuld ist, und sei es, dass er die Schuldenlast des ersten Menschenpaares in Gestalt der Erbsünde in sich trägt. Das mag sogar akzeptabel sein, wenn ein Mensch nach einem langen und erfüllten Leben heimkehren darf zu seinem himmlischen Vater. „Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland“, dichtete Paul Gerhardt 1666. Ist das Leben eine Pilgerreise durch fremde Gestade, dann beginnt an der Schwelle des Todes die Heimkehr zur wahren Bestimmung des Menschen. Kein Tod ist dann vergebens, denn er bringt zurück, was in der Fremde verloren war.

Es soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, wie tragfähig dieses Grundmuster christlichen Glaubens einst war und heute ist, auch weil dies eine sehr persönliche Frage ist. Aber die Vorstellung vom Tod als Pforte zur wahren Heimat darf nicht dazu führen, den Tod herbeisehnen oder gar herbeiführen zu wollen. Darin sind sich Judentum, Christentum und Islam einig, dass das Leben ein Gottesgeschenk ist, das man nicht leichtfertig oder vorsätzlich wegwerfen darf. Diese Religionen stimmen deshalb darin überein, dass Suizid und bewusste Lebensverkürzung unzulässig sind. Mit einer derartigen Grundhaltung ist die Haltung der Religionen gegenüber den gegenwärtig diskutierten Sterbeszenarien durchaus vorbestimmt. Außer dem von Gott gewollten, bestimmten und natürlichen Sterben kann es einen guten Tod nicht geben.

Dass der Tod für den Menschen unverfügbar ist, belegt auch der stets wiederkehrende Topos von der Ungewissheit der Todesstunde: Mors certa, hora incerta – Der Tod ist gewiss, ungewiss ist die Stunde. Niemand weiß, wie nahe ihm sein Ende, ist und wann es eintritt, denn der Tod kommt wie der Dieb in der Nacht. Zumindest aus dieser Betrachtungsweise ist dem Menschen ein wie auch immer gearteter Eingriff in das Todesgeschehen nicht gestattet, denn er würde die Allmacht Gottes verletzen. Spätmittelalterliche Predigten belegen, dass diese Botschaft ein wichtiger Bestandteil kirchlicher Unterweisung gewesen ist: „Das drit ist das der mensch nit weis / wann er stirbt ob es nachts ist oder tages ob er in dem sumer stirbt oder in dem winter / es ist nichts gewisers wann der tod . Aber nichts ungewiser wann die zeit des todes“, heißt es in einer deutschen Predigthandschrift aus dem Klarissenkloster in Brixen.10

Doch trotz eindeutigem Bekenntnis zum Leben kennen alle drei Religionen das Martyrium, in dem Menschen unter bestimmten Voraussetzungen ihr Leben freiwillig preisgeben. Märtyrerinnen und Märtyrer genießen dabei nicht nur Verständnis, sondern sogar Bewunderung und Verehrung. In der Beurteilung dieses Sachverhaltes tun wir uns leichter, wenn sich die Martyrien unter irgendeinem römischen Kaiser in ferner Vergangenheit ereignet haben. Knochen und Gebeine frühchristlicher Märtyrer ruhen in goldenen Schreinen und fordern zur Andacht heraus. Aber auch noch in den KZs der Nationalsozialisten fanden sich Männer und Frauen, die in altruistischer Weise ihr Leben für andere dahingaben und die unseren Respekt genießen. Schwer tun wir uns mit jenen Märtyrern, die aus Glaubensüberzeugung sich selbst töten und andere mit in den Tod reißen. Entscheidend ist immer der kulturelle oder religiöse Blickwinkel. In keinem Fall können wir mit Sicherheit sagen, dass es Gott gefallen hat. Doch für die, die daran glauben, ist es ein guter Tod.

Was wir für Gottes Willen halten, bleibt trotz aller gelehrten Theologie immer Menschenwerk. Nicht Gottes Wille ist veränderlich, sondern das Denken und Fühlen der Menschen, und so gestaltet sich eine Geschichte des guten Todes im Kontext kultureller Veränderungen, und jede Zeit findet dazu ihre eigene Einstellung. Nichts bleibt unveränderlich gültig. Bis wir uns dem nähern, was in unserer Gegenwart an Sterbeszenarien diskutiert wird, werden wir verschiedenen Konzepten des guten Todes begegnen, die jeweils nur in ihrer Zeit Gültigkeit besaßen. Ob darunter je ein Tod war, der Gott gefallen hat, sei an dieser Stelle doch sehr infrage gestellt.

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