Kitabı oku: «Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit», sayfa 4
3Methoden praktischer Rechtsanwendung
In der Praxis der Sozialen Arbeit kommt es nicht nur auf die abstrakte Kenntnis von Rechtsnormen an, sondern auch auf deren praktische Anwendung im konkreten Fall. Der Sozialarbeiter und die Sozialarbeiterin arbeiten dabei grundsätzlich nicht anders als ein(e) Jurist(in), und sie sollten deshalb ebenfalls die wichtigsten Methoden der Rechtsanwendung beherrschen.
Rechtsanwendung oder „Rechtsanwendungskunst“ bedeutet im Kern: „Subsumtion“ (wörtlich: „Unterschieben“) eines Sachverhaltes (eines konkreten Geschehens) unter eine bestimmte Rechtsnorm. Anders ausgedrückt: Bei jeder Rechtsanwendung geht es im Wesentlichen darum, einen Sachverhalt und eine Rechtsnorm einander zuzuordnen bzw. eine Rechtsnorm auf einen Sachverhalt anzuwenden. Dies wird sogleich unter 3.1 (Rechtstechnik/Subsumtion) näher erläutert.
Vielfach ist eine Rechtsnorm jedoch nicht eindeutig formuliert, so dass es der Auslegung der jeweiligen Norm bedarf (siehe dazu 3.2). Die einzelnen praktischen Schritte bei der Fallbearbeitung werden schließlich noch einmal zusammenfassend dargestellt (3.3). Zur weiteren Vertiefung sei verwiesen auf Trenczek et al. 2018, Kap. I 3. sowie Kievel et al. 2018, Kap. 21.
3.1Rechtstechnik/Subsumtion
Rechtstechnik bedeutet, wie bereits ausgeführt, im Kern Subsumtion eines konkreten Sachverhaltes unter eine bestimmte Rechtsnorm.
Die jeweilige Rechtsnorm, die zumeist einen abstrakten Tatbestand und eine Rechtsfolge enthält, stellt die rechtliche Grundlage, und der Sachverhalt (das tatsächliche Geschehen) stellt die tatsächliche Grundlage für die Fallbearbeitung dar. Der Sachverhalt wird in der Klausur bereits „fertig“ vorgegeben; in der Praxis bereitet dessen Feststellung/Ermittlung allerdings häufig erhebliche Probleme.
Erfüllt der Sachverhalt alle abstrakten Tatbestandsmerkmale einer Rechtsnorm, so tritt die dort vorgesehene Rechtsfolge ein. Mit anderen Worten: Wenn der Sachverhalt alle Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm verwirklicht bzw. wenn der Tatbestand in vollem Umfang auf den Sachverhalt angewendet werden kann, dann gilt auch für den konkreten Sachverhalt die in der Rechtsnorm abstrakt bestimmte Rechtsfolge.
Vertiefung: Dazu ein Beispiel aus dem Familienrecht. § 1601 BGB lautet: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren“. Diese Rechtsnorm enthält nur ein einziges Tatbestandsmerkmal, nämlich das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses in gerader Linie. Besteht ein solches, so sind die beiden Personen, die in diesem Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, wechselseitig verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. „Verwandte in gerader Linie“ sind nun gemäß § 1589 S. 1 BGB Personen, „deren eine von der anderen abstammt“. Verlangt also ein Sohn von seinem Vater Unterhalt nach § 1601 BGB, ist, da er von seinem Vater abstammt, der Tatbestand des § 1601 BGB erfüllt, und die Rechtsfolge tritt ein: Sein Vater muss ihm Unterhalt gewähren.
Weiteres Beispiel aus dem Sozialhilferecht: Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt „Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können“. Liegen alle (!) in dieser Rechtsnorm aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen vor, tritt die Rechtsfolge ein: Dieser Person ist Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten. Ist allerdings im konkreten Fall auch nur ein einziges Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, weil der Antragsteller z. B. über erhebliche Vermögenswerte verfügt, ist der Tatbestand von § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII nicht erfüllt, und die Rechtsfolge – es ist Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten – tritt nicht ein.
3.2Gesetzesauslegung
Bereits das Auffinden der „richtigen“ Rechtsnorm bereitet sowohl in der Praxis als auch in der Klausur an der Hochschule häufig Probleme. Hat man die „richtige“ Rechtsnorm gefunden, besteht sodann die weitere Schwierigkeit darin, dass es „eindeutige“, aber oft auch mehrdeutige Rechtsnormen gibt. Eindeutig sind z. B. die bereits genannten § 7 Abs. 1 S. 1 SGB VIII („Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist“) oder § 1601 BGB („Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren“). Bei sehr vielen Rechtsnormen ist es jedoch so, dass diese nicht eindeutig und oft nicht einmal aus sich heraus in vollem Umfang verständlich sind. Ist dies so, muss die Rechtsnorm zunächst „ausgelegt“ bzw. interpretiert werden. Dafür gibt es vier „klassische“ Methoden der Gesetzesauslegung (Übersicht 14).
Übersicht 14
Methoden der Gesetzesauslegung
1.Grammatikalische Auslegung
(= Auslegung nach dem Wortlaut der Rechtsnorm)
2.Systematische Auslegung
(= Auslegung aus dem Zusammenhang der Rechtsnorm mit anderen Normen und ggf. mit anderen Gesetzen)
3.Historische Auslegung
(= Auslegung nach der Entstehungsgeschichte der Norm)
4.Teleologische Auslegung
(= Auslegung nach Sinn und Zweck der Rechtsnorm)
Diese vier Methoden der Gesetzesauslegung sind in der Rechtswissenschaft unumstritten und beruhen auch auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs (BVerfGE 11, 129; BGHZ 46, 76). Die genannten vier Auslegungsmethoden stehen gleichberechtigt „nebeneinander“, das heißt: eine bestimmte Rangfolge zwischen ihnen besteht nicht. Mit ihrer Hilfe soll gewissermaßen der „im Gesetz objektivierte Wille des Gesetzgebers“ ermittelt werden.
Allerdings bestehen bei einer nicht eindeutig formulierten Rechtsnorm oft mehrere Möglichkeiten der Interpretation und gibt es dementsprechend häufig mehrere vertretbare Auslegungsergebnisse. Von daher verwundert es auch nicht, dass bei der Interpretation von Rechtsnormen bei mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten über diese heftig gestritten werden kann. Unter Juristen gilt der etwas böse Satz: „Zwei Juristen, drei Meinungen.“ In der Praxis ist es dann regelmäßig so, dass man derjenigen Auslegungsalternative folgt, die den jeweiligen Interessen am besten entspricht. Für die Soziale Arbeit wird es deshalb in solchen Fällen oft darauf ankommen, dass man im Interesse der jeweiligen Klienten diejenige Auslegung einer Rechtsnorm vertritt, die für diese zum „günstigsten“ Ergebnis führt.
Vertiefung: Im Folgenden sollen die vier genannten „klassischen“ Methoden der Gesetzesauslegung näher erläutert werden.
3.2.1Grammatikalische Auslegung
Diese zumeist nahe liegende Auslegungsmethode besteht darin, „wie im Deutschunterricht“ den Wortlaut einer jeweiligen Rechtsnorm so auszulegen, wie dies sprachlich/ philologisch allgemein üblich ist. Die Grenze der Auslegung nach dem Wortlaut einer Rechtsnorm ist die, wo eine Auslegung nicht mehr dem Wortsinn entspräche.
Beispiel:
Sehr häufig werden in Rechtsnormen bestimmte Worte im Singular verwendet; damit ist jedoch oft (allerdings nicht immer!) die Pluralform mit eingeschlossen. Unter „Familie“ wird z. B. sowohl umgangssprachlich als auch soziologisch und juristisch eine Gruppe von Menschen verstanden, bei der zumindest eine Person von wenigstens einer anderen Person abstammt: also Vater und/oder Mutter mit einem Kind oder mehreren Kindern. Nicht unter den Begriff der Familie fallen mithin Einzelpersonen oder Paare.
3.2.2Systematische Auslegung
Systematische Auslegung einer Rechtsnorm bedeutet, sie im Zusammenhang mit anderen Paragrafen oder aufgrund ihrer Stellung innerhalb eines Abschnittes eines Gesetzes oder im Zusammenhang mit mehreren Gesetzen zu interpretieren.
Beispiel:
§ 6 SGB I lautet wie folgt: „Wer Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, hat ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen“. Ergibt sich daraus ein Anspruch des Familienvaters V., von den jeweils zuständigen Behörden z. B. „mindestens ein Drittel der finanziellen Aufwendungen für seine Kinder zu übernehmen“?
Aufgrund einer systematischen Auslegung von § 6 SGB I wird man diese Frage verneinen müssen. Denn § 6 steht systematisch in der „Reihe“ der §§ 2 bis 10 SGB I. Diese sehr allgemeinen Vorschriften sind als § 2 Abs. 2 SGB I „nachfolgende(n) soziale Rechte (zwar) bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs … zu beachten“. Aus ihnen können jedoch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB I „Ansprüche … nur insoweit geltend gemacht … werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs im Einzelnen bestimmt sind.“ Daraus folgt, dass sich konkrete Leistungsansprüche nicht aus § 6 SGB I, sondern nur aus den „besonderen Teilen“ (den Büchern II bis XII) des SGB ergeben können – oder aus dem Bundeskindergeldgesetz, dem Einkommensteuergesetz oder dem Unterhaltsvorschussgesetz, die gemäß § 68 SGB I ebenfalls als besondere Teile des SGB gelten.
3.2.3Historische Auslegung
Historische Auslegung einer Rechtsnorm bedeutet: Auslegung nach dem Willen des historischen Gesetzgebers. Wichtige Anhaltspunkte dafür sind vielfach die Gesetzesmaterialien. Insbesondere in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung oder einer Landesregierung sind zumeist umfangreiche Begründungen zu den einzelnen Rechtsnormen enthalten, die für die Auslegung der Norm von Bedeutung sein können. Bei der historischen Auslegung können auch allgemeine Grundüberzeugungen oder Anschauungen herangezogen werden, die zur Zeit der Entstehung der Norm bestanden haben. Eine Rechtsnorm kann deshalb nicht selten vor dem Hintergrund des „Zeitgeistes“ bei der Entstehung der Norm historisch ausgelegt werden.
Beispiel aus dem Kinder- und Jugendhilferecht:
Gemäß § 1 Abs. 1 SGB VIII hat jeder junge Mensch „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Strittig ist dabei, ob dieses „Recht“ auch einen einklagbaren und damit vor den Verwaltungsgerichten durchsetzbaren „Anspruch“ beinhaltet oder nicht. In der amtlichen Gesetzesbegründung zum Kinder- und Jugendhilfegesetz aus dem Jahre 1989 (Bundestags-Drucksache 11/5948, Einzelbegründung zum damaligen § 1, S. 1) heißt es dazu: „ein unmittelbarer Anspruch auf ein Tätigwerden der öffentlichen Jugendhilfe kann aus dieser Bestimmung nicht hergeleitet werden. Für eine Qualifizierung der Vorschrift als subjektiv-öffentliches Recht fehlt sowohl die hinreichende Konkretisierung des Leistungsinhaltes als auch die Bezeichnung des Leistungsverpflichteten.“ Die weitaus überwiegende Auffassung in der Rechtswissenschaft geht deshalb – und zudem auch aus anderen Gründen – dahin, dass § 1 Abs. 1 SGB VIII keinen unmittelbar einklagbaren Anspruch beinhaltet.
3.2.4Teleologische Auslegung
Die so genannte teleologische Auslegungsmethode (von griechisch: telos = Zweck) fragt nach dem Sinn und Zweck einer bestimmten Rechtsnorm: Insbesondere danach, was mit der jeweiligen Rechtsnorm beabsichtigt wird. Anders als bei der historischen Auslegung, bei der der Sinn einer Norm aus der Sicht des „damaligen“ Gesetzgebers ergründet wird, stellt die teleologische Auslegung darauf ab, welchen aktuellen Zweck eine bestimmte Rechtsnorm erfüllen soll.
Beispiel:
Eltern schulden ihren Kindern grundsätzlich Unterhalt nach den §§ 1601 ff. BGB. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der „Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt)“. Und gemäß § 1610 Abs. 2 BGB umfasst der Unterhalt „den gesamten Lebensbedarf“. Die Frage, was Eltern ihrem studierenden Kind an Unterhalt schulden, wird in § 1610 BGB nicht konkreter umschrieben. Eine teleologische Auslegung von § 1610 Abs. 1 und 2 BGB ergibt jedoch, dass zum Unterhalt eines/r Studierenden all das gehört, was ein(e) Studierende(r) aktuell und üblicherweise zum Bestreiten des Lebensunterhalts und zur Durchführung des Studiums benötigt. Der geschuldete Unterhalt umfasst deshalb bei auswärtiger Unterbringung die Finanzierung eines Zimmers, von Büchern und Lehrmaterialen, Essen, Trinken, Taschengeld. Nach der aktuellen Lebensstellung eines Studierenden ist es jedoch bei einer auf Sinn und Zweck der Rechtsnorm abstellenden Auslegung nicht geboten, dass die Eltern z. B. auch Aufwendungen für die Altersvorsorge oder für eine Lebensversicherung finanzieren.
3.2.5Weitere Auslegungsmethoden und Argumentationsfiguren
Vertiefung: Schließlich gibt es für die Auslegung von Rechtsnormen neben den dargestellten vier „klassischen“ Auslegungsmethoden noch weitere Methoden und Argumentationsfiguren (Übersicht 15).
Übersicht 15
Weitere Auslegungsmethoden und Argumentationsfiguren
1. Verfassungskonforme Auslegung
2. Extensive („erweiternde“) oder restriktive („einengende“) Auslegung
3. Analogie (Anwendung einer Rechtsnorm auf einen anderen, nicht geregelten, aber „ähnlichen“ Fall)
4. Erst-recht-Schluss
5. Umkehrschluss
Weitere Vertiefungen:
Verfassungskonforme Auslegung. Eine sehr häufige Auslegungsmethode ist die so genannte verfassungskonforme Auslegung, die in gewisser Weise auch einen Unterfall der systematischen Auslegung darstellt. Wie oben (2.1) ausgeführt, stellt das Grundgesetz bzw. stellen die Landesverfassungen im Bundes- bzw. Landesrecht die jeweils obersten Rechtsnormen dar, gegen die Bundesgesetze bzw. Landesgesetze nicht verstoßen dürfen. Lässt nun die Auslegung einer Rechtsnorm mehrere Auslegungsalternativen zu, ist diejenige auszuwählen, die (besser) mit dem Grundgesetz bzw. mit der Landesverfassung übereinstimmt.
Beispiele:
Wird in einer Rechtsnorm lediglich ein Mann als Adressat bezeichnet und ist kein sachlicher Grund erkennbar, dass nicht auch Frauen unter den Anwendungsbereich einer Rechtsnorm fallen, gebietet eine verfassungskonforme Auslegung dieser Rechtsnorm, dass trotz rein männlicher Bezeichnung auch Frauen vom Anwendungsbereich der Norm erfasst sind, weil Männer und Frauen gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG „gleichberechtigt“ sind.
Oder: Ist in einer Rechtsnorm nicht eindeutig formuliert, ob neben ehelichen auch nichteheliche Kinder vom Anwendungsbereich dieser Norm erfasst sind, gebietet eine verfassungskonforme Auslegung in der Regel, dass auch nichteheliche Kinder erfasst sind, weil gemäß Art. 6 Abs. 5 GG (auch) den „unehelichen Kindern … die gleichen Bedingungen … zu schaffen“ sind „wie den ehelichen Kindern“.
Extensive und restriktive Auslegung. Extensive Auslegung bedeutet, eine Rechtsnorm weit (bis an die Grenzen ihres Wortsinnes) auszulegen. Restriktive Auslegung bedeutet, die jeweilige Rechtsnorm einengend auszulegen.
Beispiel:
Gemäß § 823 Abs. 1 macht sich jemand u. a. schadenersatzpflichtig, wenn er ein „sonstiges Recht“ eines anderen widerrechtlich verletzt. Allgemein anerkannt ist, dass diese „sonstigen Rechte“ weit auszulegen sind und damit auch allgemeine Persönlichkeitsrechte oder das so genannte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als schützenswerte „sonstige Rechte“ vom Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 BGB erfasst sind.
Eine restriktive Auslegung ist demgegenüber mit Blick auf den aus früheren Jahrhunderten stammenden Begriff der „öffentlichen Ordnung“ geboten. Nach der so genannten polizeilichen Generalklausel der Landespolizeigesetze ist die Polizei zum Einschreiten berechtigt und verpflichtet bei „Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung.“ Der Begriff der öffentlichen Sicherheit wird heute zu Recht so interpretiert, dass damit der Bestand der geltenden Gesetze gemeint ist. Droht also ein Gesetzesverstoß, ist ein Einschreiten der Polizei möglich und ggf. geboten. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist demgegenüber ungleich schwerer konkret zu bestimmen. Im Lichte der Grundrechte nach dem Grundgesetz ist deshalb der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ so eng auszulegen, dass kaum noch ein Anwendungsspielraum verbleibt.
Analogie: Eine nicht selten nützliche Auslegungsfigur ist die so genannte „Analogie“. Analogie bedeutet Anwendung einer Rechtsnorm, die eigentlich für einen anderen „Fall“ vorgesehen ist, auf einen ähnlichen Fall, der jedoch nicht geregelt worden ist.
Beispiel:
Bis zum Jahr 2004 erfolgte die öffentliche Förderung von Tageseinrichtungen für Kinder aufgrund von § 74 SGB VIII. Ab dem 01.01.2005 regelt aufgrund eines neu geschaffenen § 74a SGB VIII nunmehr die Förderung von Tageseinrichtungen für Kinder „das Landesrecht“. In Baden-Württemberg hat es der Landesgesetzgeber jedoch nicht geschafft, rechtzeitig für das Jahr 2005 Landesrecht über die Förderung von Tageseinrichtungen für Kinder zu schaffen. Das entsprechende baden-württembergische Landesgesetz ist erst zum 01.01.2006 in Kraft getreten. Was ist nun mit der Förderung für Kindertageseinrichtungen im Jahre 2005? Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass Tageseinrichtungen ein Jahr ohne öffentliche Förderung auskommen können, muss die „Regelungslücke“ betreffend das Jahr 2005 m. E. durch eine Analogie geschlossen werden, und zwar dergestalt, dass auch für das Jahr 2005 der frühere § 74 SGB VIII analog angewendet wird.
Allerdings ist eine analoge Anwendung von Rechtsnormen im Bereich des Strafrechts verboten, weil man sich bereits bei Begehung einer Tat über die strafrechtlichen Konsequenzen im Klaren sein soll. Ein berühmtes Beispiel dafür stammt bereits aus dem 19. Jahrhundert (vgl. RGSt 29, 111; 32, 165), als die Städte in Deutschland elektrifiziert wurden. Ein besonders „cleverer“ Bürger „zapfte“ damals elektrische Energie aus der öffentlichen Stromleitung für sich ab. Er wurde zunächst aufgrund einer analogen Anwendung des § 242 StGB (Diebstahl) verurteilt, jedoch später vom Reichsgericht freigesprochen, weil er nach dessen Auffassung nicht wegen Diebstahls hatte verurteilt werden dürfen.
Denn Diebstahl setzt nach § 242 StGB voraus, dass es sich um die Wegnahme einer „fremden beweglichen Sache“ handelt. Elektrischer Strom ist aber nun offenbar keine „bewegliche Sache“, die man „wegnehmen“ könnte. (In Folge dieses Freispruchs hat der Gesetzgeber sodann aber alsbald einen neuen Straftatbestand § 248c StGB über die unbefugte Entziehung von elektrischer Energie in das Strafgesetzbuch einfügt, aufgrund dessen später entsprechende Straftaten geahndet werden konnten.)
Erst-recht-Schluss: Ein häufiges Verfahren zur Auslegung von Gesetzen ist auch der so genannte Erst-recht-Schluss. Man schließt von einem in einer Rechtsnorm geregelten Sachverhalt darauf, dass „erst recht“ etwas „noch Gravierenderes“ von der Norm erfasst wäre.
Beispiel:
Nach der Satzung einer Stadt ist das „Betreten von Grünanlagen im Stadtpark verboten“. Was ist nun, wenn jemand auf die Idee käme, mit seinem Auto die Grünanlagen zu „befahren“? Vom Wortlaut der Verbotsnorm ist das Befahren nicht erfasst. Mit einem Erst-recht-Schluss kommt man jedoch zu dem klaren Ergebnis, dass auch das Befahren der Grünanlage mit dem Auto verboten ist.
Umkehrschluss: Mit einem Umkehrschluss aus einer Rechtsnorm kann mitunter auf andere, von der Norm nicht erfasste „gegenteilige“ Sachverhalte und Rechtsfolgen geschlossen werden.
Beispiel:
Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 BGB beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge allein überträgt. Ein Umkehrschluss aus der genannten Norm ergibt deshalb, dass Eltern, wenn sie zuvor die elterliche Sorge gemeinsam innehatten, diese auch weiterhin gemeinsam zusteht (sofern nicht einer von ihnen einen Antrag auf Alleinsorge stellt).
3.3Fallbearbeitung
Am Ende von Lehrveranstaltungen im Recht muss regelmäßig eine Klausur (oder Hausarbeit) geschrieben werden (oder eine mündliche Prüfung abgelegt werden), bei der zumeist (auch) ein Fall gelöst werden muss. Dafür muss man nun als Studierende(r) das systematisch erarbeitete Wissen gleichsam „umorganisieren“. Dies entspricht auch der Realität: Denn die Klientinnen und Klienten in der Sozialen Arbeit wollen nicht lehrbuchmäßiges Wissen referiert bekommen, sondern erwarten eine praktische Hilfestellung mit Blick auf ihre individuellen Probleme. Das dafür erforderliche Rechtswissen muss deshalb „punktgenau“ ausgewählt und angewendet werden.
Für die Studierenden der Sozialen Arbeit stellt dies insoweit eine besondere Herausforderung dar, als dass die Fallbearbeitung mitunter in den Lehrveranstaltungen nicht hinreichend „eingeübt“ worden ist und zudem in Klausuren regelmäßig Zeitnot besteht. Aus diesem Grunde werden in den folgenden Kapiteln auch Fallbeispiele mit Musterlösungen (am Ende dieses Buches) eingestreut. Mitunter werden dabei auch Lösungsschemata vorgestellt, die bei bestimmten wiederkehrenden Fallgestaltungen regelhaft genutzt werden können (z. B. in Kap. 12: Rechtsschutz gegenüber Verwaltungshandeln).
Oft ist es jedoch leider so, dass es keine Schemata oder Arbeitsanleitungen gibt. Umso wichtiger ist es in solchen Fällen, systematisch vorzugehen und sich zudem nur auf das wirklich Gefragte zu konzentrieren. Studierende müssen dabei unbedingt der „Versuchung“ widerstehen, zusätzlich Gelerntes zu referieren, das nicht gefragt ist; dies kostet nur Zeit und bringt keinerlei Vorteile. Sinnvoll ist es vielmehr, wie folgt vorzugehen (3.3.1 bis 3.3.4).
3.3.1Arbeiten am Sachverhalt
Übersicht 16
Arbeiten am Sachverhalt
1.Sachverhalt konzentriert lesen.
2.Ggf. Daten/Zeitangaben chronologisch erfassen.
3.Fragestellung genau beachten:
–ggf. präzise Fragestellung(en)?
–ggf. mehrere Fragen?
–ggf. alternative Fragen?
–ggf. umfassende Frage: Wie ist die Rechtslage?
–ggf. unklare Frage; dann fragen: wer(?) will was(?) von wem(?) woraus (? = aus welcher Rechtsnorm)?
4.Erneut Sachverhalt lesen und ggf. markieren.
Einige der dargestellten Hinweise müssen nicht in jeder Fallbearbeitung beachtet werden. Manches mag dem Leser sogar „banal“ vorkommen. Aber bereits der erste Hinweis („konzentriert lesen“) – zunächst ohne Anbringung von Markierungen – wird oft nicht sorgfältig genug beachtet. Manche Studierenden glauben mitunter, den Sachverhalt bereits zu kennen und „legen“ sofort mit der Fallbearbeitung los, ohne zu merken, dass der Klausurfall sich in einigen Einzelheiten von einem zuvor „gelernten“ Fall unterscheidet.
Das „Herausschreiben“ von Daten oder Zeitangaben in chronologischer Reihenfolge kann dann sinnvoll sein, wenn es sich um einen komplizierten Sachverhalt handelt, bei dem mehrere „historische“ Entwicklungsschritte zu beachten sind. Bei einfachen und überschaubaren Sachverhalten erübrigt sich dieser Schritt.
Ganz wichtig ist es sodann, die Fragestellung genau zu beachten. Oft ist sie eindeutig; dann ist das zu beantworten, was konkret gefragt ist. Bei mehreren Fragestellungen muss man alle Varianten bearbeiten, bei alternativen Fragestellungen je nachdem, wie diese formuliert sind. Am schwierigsten ist die Fragestellung: wie ist die Rechtslage? Dann müssen alle nur denkbaren Rechtsbeziehungen geprüft und alle eventuell auftretenden Rechtsprobleme erörtert werden, sofern dies nicht als von vornherein abwegig erscheint.
Es kann auch vorkommen (in der Praxis häufig, in einer Klausur aus Zeitgründen eher selten), dass die Fragestellung unklar ist. Dann kann es sich empfehlen, wie folgt zu fragen: Wer(?) will was(?) von wem(?) woraus (aus welchem Paragrafen bzw. aus welcher Anspruchsnorm?)?
Sodann empfiehlt sich das erneute Lesen des Sachverhaltes sowie mitunter, bestimmte Sachverhaltsteile durch Markierungen oder Unterstreichungen optisch deutlicher hervorzuheben.
3.3.2Auffinden einer Norm mit „gefragter“ Rechtsfolge
Nunmehr gilt es, eine Rechtsnorm zu suchen und zu finden, in der die „gefragte“ Rechtsfolge enthalten ist und aus der sich ein entsprechender Anspruch oder eine bestimmte Verpflichtung eines anderen oder einer Behörde ergibt. Anspruchsnormen sind z. B. die in der nächsten Übersicht „Beispiele für mögliche Lösungsskizzen“ genannten Paragrafen. Von den rund 2400 Paragrafen des BGB enthält allerdings nur ein kleiner Teil einen Anspruch in dem gekennzeichneten Sinne.
Auch im öffentlichen Recht kommt es oft darauf an, eine Rechtsnorm zu suchen und zu finden, die zugleich eine Anspruchsnorm ist. Je nach Fragestellung kann es aber auch so sein, dass nach einer bestimmten Verpflichtung eines Trägers hoheitlicher Verwaltung gefragt wird. Dann muss eine Rechtsnorm gesucht und gefunden werden, in der eine solche Verpflichtung enthalten ist. Beispiel: Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dafür zu sorgen, dass in erforderlichem Umfang Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung stehen.
3.3.3Eventuell: Entwurf einer Lösungsskizze
Mitunter kann es nunmehr zweckmäßig sein, eine Lösungsskizze zu entwerfen, bei der die wichtigsten Rechtsbeziehungen zwischen den jeweils relevanten Personen oder Institutionen mit einem Pfeil gekennzeichnet und die jeweils in Betracht kommenden Paragrafen „an den Pfeil“ geschrieben werden (Übersicht 17).
Übersicht 17
Beispiele für mögliche Lösungsskizzen

Dies bedeutet: Die Person A könnte gegenüber der Person B einen Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB haben. Ein Verkäufer (V) könnte gegenüber dem Käufer (K) einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben. Umgekehrt könnte ein Käufer gegenüber einem Verkäufer einen Anspruch gemäß § 433 Abs. 1 BGB haben, ihm die verkaufte Sache zu übergeben. Schließlich könnte ein(e) Personensorgeberechtigte(r) gemäß § 27 Abs. 1, 2 i V. m. § 34 SGB VIII einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung für ihr Kind haben.
3.3.4„Fünf goldene Schritte“ bei der Fallbearbeitung
In der Übersicht 18 habe ich versucht, das für die Fallbearbeitung relevante „technische“ Wissen in „fünf goldenen Schritten bei der Fallbearbeitung“ zusammenzufassen.
Übersicht 18
„Fünf goldene Schritte“ bei der Fallbearbeitung
„Lehrbuchmäßig“ empfiehlt es sich, mit Blick auf jede einschlägige Rechtsnorm wie folgt vorzugehen:
1.Zunächst „vorsichtiges Herantasten“: Ein Anspruch, die gefragte Verpflichtung, die Antwort auf die gestellte Rechtsfrage etc. „könnte sich ergeben aus § … “ (mit Tatbestand und Rechtsfolge).
2.Dies setzt voraus, dass der Tatbestand des jeweiligen § mit allen seinen Tatbestandsmerkmalen (M1, M2, M3 usw.) erfüllt ist (diesen benennen bzw. aus dem § „abschreiben“!).
3.Nun ist der jeweilige Teil des Sachverhalts (der „story“ aus dem Aufgabentext/der Fallschilderung, soweit relevant!) genau in den Blick zu nehmen und ebenfalls „herauszuschreiben“.
4.Und jetzt folgt als Kern der Fallbearbeitung (gleichsam als „juristische Meisterleistung“) die Subsumtion (der Vergleich, die Zuordnung, das „Unterschieben“) von Tatbestand (2.) und Sachverhalt (3.):

5.Das Ergebnis der Fallbearbeitung ist deshalb schließlich
5.1positiv, wenn der Sachverhalt den Tatbestand in allen seinen Merkmalen (M) erfüllt. Dann tritt die Rechtsfolge der Norm ein;
5.2oder negativ, wenn (auch nur) ein Tatbestandsmerkmal der Norm nicht erfüllt ist. Dann tritt die Rechtsfolge der Norm nicht ein.
Nicht immer ist es erforderlich, bei der Fallbearbeitung „lehrbuchmäßig“ in diesen fünf Schritten vorzugehen. Natürlich gibt es Fälle, wo quasi auf den ersten Blick klar ist, ob der Sachverhalt zu einer bestimmten Norm „passt“. Bei einem Vater und einem Sohn ist in diesem Sinne sofort „klar“, dass der Sohn gegenüber seinem Vater einen Unterhaltsanspruch gemäß § 1601 BGB hat, ohne dass ausführlich die fünf „goldenen“ Schritte durchlaufen werden müssen. Bei komplizierteren Fällen ist es jedoch anders und kommt es in der Tat darauf an, den Tatbestand der Norm exakt zu bezeichnen und ggf. auszulegen, (nur) die relevanten Teile des Sachverhalts in den Blick zu nehmen und dann „sauber“ zu subsumieren – und nicht gleich auf ein Ergebnis zu „springen“.
Vertiefung: Im Folgenden sollen die fünf „goldenen“ Schritte anhand eines kleinen Beispielfalles „durchgespielt“ werden. Die 20-jährige F. lernt am Rosenmontag auf einem Fastnachtsball den 22-jährigen M. kennen. Die anschließende Nacht verbringen beide zu Hause bei F. Exakt neun Monate später bringt F. das Kind K. zur Welt. Einen „anderen Mann“ hat es seit über einem Jahr nicht gegeben. Hat F. gegenüber M. einen Unterhaltsanspruch für sich selbst (ein Unterhaltsanspruch des Kindes soll hier nicht geprüft werden)?
1. F. könnte gegenüber M. einen Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 1 und 2 BGB haben.
2. Tatbestand: „Der Vater hat der Mutter“ gemäß § 1615l Abs. 1 und 2 BGB für bestimmte Zeiten „vor und … nach der Geburt des Kindes Unterhalt zu gewähren.“ Dies setzt zunächst voraus, dass F. „Mutter“ und M. „Vater“ des Kindes K. sind. Eine systematische Auslegung von § 1615l BGB im Zusammenhang mit den §§ 1589, 1591 ff., 1601 ff. BGB ergibt nun, dass darunter hier nur die Mutterschaft und Vaterschaft im Rechtssinne (und nicht im biologischen Sinne) zu verstehen ist.
3. Sachverhalt: F. hat das Kind K. geboren, nachdem sie von M. schwanger geworden ist.
4. Subsumtion: F. ist Mutter gemäß § 1591 BGB, weil sie das Kind K. geboren hat. (Rechtlicher) Vater eines Kindes ist jedoch gemäß § 1592 Nr. 1, 2 oder 3 BGB (nur) der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist.
Keiner dieser drei Fälle der Begründung der rechtlichen Vaterschaft des M. ist hier (bislang) gegeben.
5. Ergebnis: Da M. nicht im Rechtssinne „Vater“ des Kindes K. ist, hat F. auch keinen Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB gegenüber M. (für sich selbst).
(Hinweis: Anders als in der Praxis, wo Sie nun F. aufgrund Ihrer guten Rechtskenntnisse im Familienrecht dringend raten würden, M. entweder zur Anerkennung der Vaterschaft zu bewegen oder diese durch das Familiengericht feststellen zu lassen, ist dies in diesem (insoweit „künstlichen“) Beispielfall weder gefragt noch darzustellen!)
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.