Kitabı oku: «China – ein Lehrstück», sayfa 9
Kapitel 3
»Neudemokratische Politik« und der Beginn des sozialistischen Aufbaus
Mit dem Sieg im Bürgerkrieg und der Proklamation der Volksrepublik im Oktober 1949 beginnt der Aufbau des sozialistischen China. Die Kommunistische Partei hat sich in der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit den japanischen Invasoren und der Guomindang-Partei behaupten können und die Staatsmacht erobert.23 Dass das noch nicht allzu viel bedeutet, bemerkt Mao nüchtern: »Den Sieg im ganzen Lande erringen – das ist bloß der erste Schritt auf einem langen Marsch von zehntausend Meilen.« Die Bestandsaufnahme der KP über den ökonomischen Zustand des Landes und die Bedingungen für die Entwicklung der geplanten sozialistischen Gesellschaft fällt nämlich absolut verheerend aus. Infolge des Krieges sind die meisten Brücken und Dämme zerstört, Felder verwüstet, die Landwirtschaft ist nicht in der Lage, die Ernährung sicherzustellen, große Mengen Reis und Weizen müssen importiert werden; die wenigen Industriebetriebe, die es gibt, sind alt und mehr oder weniger kaputt. Es existiert ein großes Außenhandelsdefizit und eine entsprechende Auslandsverschuldung. Von 1937 bis 1949 herrscht galoppierende Inflation. Ländliche Grundherren, die gegenüber ihren Kleinpächtern gleichzeitig als Geldverleiher auftreten, treiben ihre Zinsforderungen für Geld und Naturalien in ungeheure Höhen und vergrößern Armut und Elend unter den kleinen Bauern und Pächtern. Etwa 80% der 475 Millionen Chinesen sind Analphabeten. Die imperialistische Zurichtung des Landes hat China eine von den Kommunisten als irrational angeprangerte Struktur und Standortverteilung hinterlassen: Wenig Schwerindustrie, so gut wie kein Maschinenbau, dazu die völlige Konzentration der Betriebe auf Nordostchina (Mandschurei) und die Küste; große Sektoren des Binnenhandels und der gesamte Außenhandel befinden sich in den Händen von Ausländern, damit im Zugriffsbereich der imperialistischen Staaten.24 Diese haben den kommunistischen Widerstand als Unterstützung ihres Krieg gegen Japan durchaus zu schätzen gewusst, mit der Aussicht eines roten China an der Seite der kommunistischen SU sind sie dagegen überhaupt nicht einverstanden.25 Angesichts der desolaten Lage im Land trösten sich die USA über den »Verlust Chinas«, wie sie Maos Sieg nennen, mit der Prognose, dass eine kommunistische Regierung in kürzester Zeit sang- und klanglos am Problem der Überbevölkerung und der Ernährungsfrage scheitern werde (so der Tenor im 1949 von Präsident Truman bestellten Weißbuch über die China-Politik der USA).
Auf die Notlage des Landes will die KP mit einer »Revolution in zwei Etappen« antworten. In einer ersten »neudemokratisch« genannten Revolution, die ihrer Stoßrichtung nach antifeudal und antiimperialistisch ist, soll der Kapitalismus in einem »gewissen Umfang ausgebreitet« und das zerrüttete und »sehr rückständige China« (BR: 13) konsolidiert und ein Stück weit entwickelt werden. Damit sollen gleichzeitig die Bedingungen für eine zweite, sozialistische Etappe der Revolution geschaffen werden.
Die chinesische KP begreift sich dabei als Partei des gesamten chinesischen Volks, das sie mit ihrer Volksbefreiungsarmee vom Joch des »Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus« erlöst hat. Ihr Programm verkündet sie – darin ganz der Klassenanalyse ihres Vorsitzenden Mao folgend (vgl. oben, S. 46f.) – nicht im Namen einer unterdrückten und benachteiligten Klasse, als Diktatur des Proletariats oder der werktätigen Arbeiter und Bauern, sondern von vornherein im Namen des ganzen Volkes, von dem sie nur einige wenige besonders »reaktionäre« Kräfte aussondert: »Den gewöhnlichen Reaktionären, den feudalen Grundherren und bürokratischen Kapitalisten müssen nach ihrer Entwaffnung und der Beseitigung ihrer besonderen Macht gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ihre politischen Rechte für einen gewissen Zeitraum aberkannt werden, zugleich aber muss ihnen eine Existenzmöglichkeit gegeben werden und sie müssen gezwungen werden, sich durch Arbeit zu neuen Menschen umzuerziehen. Falls sie ihre konterrevolutionären Tätigkeiten fortsetzen, müssen sie ohne Rücksicht bestraft werden.« Die chinesischen Kommunisten wollen nicht als Partei, die ein gesellschaftliches Sonderinteresse oder einen besonderen Stand repräsentiert, auftreten, sondern wahre Volkspartei sein. Sie sehen ihre Aufgabe darin, das ganze chinesische Volk zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung für den Aufbau und die Entwicklung des Landes zu vereinigen und wollen – angesichts ihrer miserablen Ausgangssituation – dabei möglichst auf niemanden verzichten, der sich für dieses Programm nützlich machen könnte. »Die Grundrichtlinie für den Wirtschaftsaufbau der Volksrepublik China besteht darin, durch die Politik der Berücksichtigung sowohl der staatlichen als auch der privaten Interessen, des Nutzens sowohl für Arbeiter als auch für Kapitalisten, der gegenseitigen Unterstützung von Stadt und Land und des Austausches sowohl im Inland als auch mit dem Ausland die Entwicklung der Produktion und die Belebung der Wirtschaft zu erreichen.«
Dass die Interessen in und an diesem Volk unterschiedlich und sogar gegensätzlich geartet sind, ist ihnen durchaus bewusst. Sie wollen es dessen ungeachtet zu einem Kollektiv formen, das vereint an einem Strang zieht. Eine Staatsgewalt, die sich nicht wie die alte der Guomindang-Partei zum Diener an einem gesellschaftlichen Sonderinteresse, den feudalen Grundherren bzw. »bürokratischen Kapitalisten« macht, sondern tatsächlich und ernsthaft das allgemeine nationale Wohl verfolgt (das sie damit allerdings ganz neu definieren), soll die disparaten Interessen und Stände dazu bringen. Die politische Leitung der ersten Etappe des nationalen Kraftakts, der das rückständige China in die »Moderne« befördern soll, liegt deshalb formell auch nicht nur bei der KP, sondern bei einer (von ihr organisierten) volksdemokratischen Einheitsfront aus »Vertretern der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, der revolutionären Armeeangehörigen, der Intellektuellen, des Kleinbürgertums, der nationalen Bourgeoisie, der nationalen Minderheiten, der Auslandschinesen und anderer patriotischer Demokraten«.26
Dieser runde Tisch, zu dem alle fortschrittliche Patrioten eingeladen sind,27 macht sich ökonomisch dafür stark, alle möglichen in China vorhandenen wirtschaftlichen Aktivitäten, seien sie privat, genossenschaftlich oder staatlich, zunächst einmal zu beleben und sie dann schrittweise auf immer höhere Stufen zu heben. Die »neudemokratische Revolution« basiert ökonomisch auf drei Stützpfeilern:
Bodenreform auf dem Land,
Verstaatlichung der vier großen monopolkapitalistischen Unternehmen und der entscheidenden Grundindustrien,
Annullierung der »ungleichen Verträge« mit dem Ausland (mehr dazu siehe vor allem in Teil 1, Kapitel 8: »Die Volksrepublik China als sozialistische Großmacht«).
1. Auf dem Land werden die Grundherren zugunsten der landlosen Bauern und Landarbeiter enteignet. 28 Auch die chinesischen Kommunisten führen damit zunächst einmal das private Eigentum an Land für die Kleinbauern ein – ähnlich wie ihre russischen Kollegen 1917. Wie in Russland drückt sich in dieser Art der Bodenreform aus, dass die entscheidende Unterstützung der Kommunisten bei der Masse der armen Bauern lag und liegt – und die können sich eine bessere Zukunft nur auf der Grundlage des immer ersehnten eigenen Stücks Land vorstellen. Dieser Forderung kommt die KP daher in der ersten revolutionären Etappe nach. Die von ihr gewünschten Übergänge zu genossenschaftlichen und kollektivierten Formen der Landwirtschaft verschiebt sie auf später. Darüber hinaus setzt sie auf die Richtlinie, »sich auf die armen Bauern und Landarbeiter stützen, sich mit den Mittelbauern vereinigen, die Großbauern neutral halten«, d.h. sie duldet (wenn auch nur verhältnismäßig kleine) Eigentumsunterschiede auf dem Land. Nur die wirklich großen Grundherren werden enteignet, während Mittel- und teilweise auch Großbauern Land und Hof behalten. Damit soll einerseits vermieden werden, dass immer weitere Kämpfe auf dem Land ausbrechen und den Aufbau der Produktion hemmen; auf der anderen Seiten setzen die Kommunisten auch positiv auf die staatsnützlichen Leistungen der größeren Bauern, die ja gewissermaßen bewiesen haben, dass sie mit Land und Vieh produktiv umgehen können. In den Vororten der Städte wird der Boden verstaatlicht; damit sichert sich der Staat gegen die bäuerlichen Ansprüche selbst das Verfügungsrecht über den Boden und das Entscheidungsrecht in der Frage, ob er diesen zukünftig für landwirtschaftliche Nutzung oder für Industrie und Handel ausweisen will.
Das von jeher ungünstige Verhältnis von Landesfläche und Bevölkerungszahl zum nutzbaren Kulturland – wegen geografisch-klimatischer Gegebenheiten ist nur ein geringer Anteil29 der Gesamtfläche Chinas für den Ackerbau geeignet – führte bereits unter den alten Eigentumsverhältnissen zu relativ kleinen, sehr intensiv bewirtschafteten Flächen. Durch den Beschluss zur Umverteilung statt Aufhebung der Eigentumsverhältnisse fallen die neuen Betriebsgrößen extrem klein aus. Jeder arme Bauer und Landarbeiter bekommt im Schnitt 0,1 ha, sodass er zusammen mit seinem alten Landbesitz maximal 0,16 ha besitzt; jeder Mittelbauer erhält im Schnitt 0,03 bis 0,06 ha, sodass er im Schnitt 0,2 ha besitzt; jeder Großbauer erhält 0,05 ha dazu, sodass er über 0,25 ha verfügt; jeder Grundherr darf 0,14 ha behalten.30
Die Neuverteilung des Bodens löst natürlich eine Phase heftiger Klassengegensätze und -kämpfe aus – wie sollte es auch anders zugehen, wenn alte Ansprüche auf Reichtum und Herrschaft abgelöst und neue in Kraft gesetzt werden? Die kommunistische Partei schickt ihre Kader in die Dörfer, um die Bauern zu ermuntern, sich das Land, das ihnen per Gesetz zusteht, auch tatsächlich anzueignen; teilweise trauen die Bauern den neuen Machtverhältnissen nicht und wollen es sich deshalb mit der alten Grundherrschaft nicht verderben, machen ihre Ansprüche also vorsichtshalber gar nicht geltend; teilweise macht sich jahrzehntelanges Elend und Unterdrückung in wilden Gewaltaktionen Luft. Die Neuaufteilung des Bodens schafft neue Gegensätze: Es wird um Größe und Qualität der zugeteilten Landstücke gerechtet und gestritten. Im Lebensbericht von Ciang Cing, Maos vierter Ehefrau, ist nachzulesen, mit welchen Problemen die kommunistischen »Expeditionen« sich konfrontiert sehen und wie sie zu Fuß Dorf für Dorf abklappern, um den Dorfoberen die Parteilinie nahezubringen und die Bauern »anzuleiten«. (Vgl. Witke 1979: 263ff.)
2. In der Industrie schlägt die kommunistische Regierung einen ähnlichen Weg ein. Die vier »bürokratischen Kapitale«31 der Familien Ciang, Soong, Kung und Tschen werden enteignet und verstaatlicht. Mittlere und kleine Kapitalisten dagegen bleiben Eigentümer ihrer Unternehmen, die sie in Zusammenarbeit mit der sozialistischen Regierung weiterführen sollen. Ganz ähnlich wie ihre russischen Genossen stellen sich die chinesischen Kommunisten vor, dass für eine erste und schnelle Anhebung des nationalen Produktionsniveaus niemand besser sorgen könne als »der Kapitalismus«, weshalb es ein tödlicher Fehler sei, diese ökonomische Entwicklungsstufe einfach zu überspringen. Die bedauerlich »kleine und rückständige nationale Bourgeoisie« soll deshalb zunächst mit massiver staatlicher Unterstützung aufgepäppelt werden, damit sie in der Lage ist, ihren Dienst als Entwicklungshelfer bei der Industrialisierung Chinas zu leisten.
In den Betrieben der privaten Unternehmer wie in denen der verstaatlichten Kapitale wird bei »strenger Disziplin« auf die Beibehaltung der alten Organisationsstrukturen geachtet: Übergriffe gegen das Firmeneigentum sind untersagt, die ehemaligen Fabrikdirektoren, Ingenieure und leitenden Angestellten bleiben überwiegend in Funktion, Lohnskalen und -stufen sowie das geltende Prämienlohnsystem werden weiter angewandt. Private Industrie und Handel geraten 1950 in eine Krise, weil ihnen Märkte wegbrechen (z.B. für Luxusgüter und Exportwaren) und die entstehenden staatlichen Unternehmen ihnen Konkurrenz machen. Um weitere drohende Massenentlassungen zu vermeiden, sichert die Regierung den Unternehmen größere Quoten an staatlichen Aufträgen zu, vergibt vermehrt zinsgünstige Kredite und weist die neuen staatlichen Handelsgesellschaften an, sich auf sechs wichtige Waren (Getreide, Kohle, Baumwollstoff, Speiseöl, Kochsalz und Erdöl) zu beschränken. Der Lohnkampf in den Betrieben wird unter staatliche Aufsicht gestellt. Das private Eigentum an Unternehmen wird staatlich garantiert; vom Kredit über die Arbeiterschaft bis hin zu den Handelsmöglichkeiten werden die Bedingungen der Produktion bereitgestellt, eine »angemessene Gewinnspanne« in der Preisgestaltung akzeptiert. Mit einer Währungsreform wird die inflationäre Währung (1949: 700%) durch den Renminbi Yuan (»Volksgeld«) ersetzt; die Zirkulation von Gold, Silber und ausländischen Währungen (Hongkong-Dollar) wird verboten. Mit Hilfe der staatlichen Handelsgesellschaften versucht die Regierung, eine einigermaßen geordnete Zirkulation notwendiger Konsumgüter in Gang zu bringen und allmählich Schwarzmarktgeschäfte und Spekulation zurückzudrängen. Bis 1952 werden die privaten Banken schrittweise in gemischt staatlich-private Institute umgewandelt, die unter Führung der Volksbank (PBC) stehen.
3. Im Außenhandel kündigt die Volksrepublik die noch bestehenden »ungleichen Verträge« einseitig und stellt die Außenhandelsbeziehungen, die zunächst noch relativ unverändert weiter existieren, unter staatliche Aufsicht. Erst nach Ausbruch des Koreakriegs (vgl. in Teil 1, Kapitel 8) storniert sie sämtliche ökonomischen Beziehungen zu den USA und den anderen westlichen Staaten und verlagert ihren Außenhandel auf die Staaten des Ostblocks; lediglich strategisch wichtige Güter, die dort nicht zu haben sind, dürfen weiter aus kapitalistischen Staaten importiert werden.
Leistungen
In den ersten Jahren nach Gründung der Volksrepublik macht das bis dahin ärmste und verkommenste Land der Welt schnelle Fortschritte. Massenkampagnen führen den Standpunkt von Sauberkeit und Hygiene in den Städten und auf dem Land ein; es wird eine rudimentäre medizinische Versorgung durch sog. »Barfußärzte« aufgebaut;32 Alphabetisierungskampagnen werden durchgeführt. Da die materiellen Mittel für ein solches Programm ebenso fehlen wie die nötigen Fachkräfte (Lehrer, Ärzte), propagiert die Kommunistische Partei das Prinzip, »auf die eigenen Kräfte zu vertrauen«. Medizinisches Fachpersonal wird ersetzt durch angelernte Laien. Jeder, der lesen kann, soll es anderen beibringen – die Kinder den Eltern, der eine Bauer dem anderen. Simone de Beauvoir, die das Land 1958 bereist, ist beeindruckt von der peinlichen Sauberkeit in den städtischen hutongs (Hofhäusern), den Fabriken und auch auf dem Land. Bei aller Ärmlichkeit der Wohnverhältnisse stellt sie fest: »Das Attribut ›übelriechend‹, das man im Abendland den malerischen Armenvierteln beilegt, ist hier fehl am Platz: in Peking riecht es nicht schlecht. Mit den verrufenen Gassen von Neapel, Lissabon und Barcelona haben diese Straßen nichts gemein; hier sieht man nie jemanden alte Zeitungen stehlen oder die Müllkästen nach Zigarettenstummeln durchwühlen wie in gewissen Straßen Chicagos, und begegnet auch nicht diesen ›vergessenen‹ Menschen, die auf der Bowery in New York dahinvegetieren. Und hier sind alle Kinder sorgfältig gekleidet, wird auch die kleinste Hautwunde, der kleinste Pickel sogleich mit einem Desinfektionsmittel bepinselt, mit einem Pflaster versehen oder sauber verbunden. In allen anderen Ländern der Welt scheint die Hypothese, dass große Armut unweigerlich mit einem Mangel an Hygiene, mit Schmutz und Seuchen identisch sei, bestätigt zu werden. In Peking aber stellt selbst der misstrauischste Besucher verblüfft fest, dass es dort Menschen gelungen ist, diese tief eingewurzelte Tradition zu dementieren.« (de Beauvoir 1960: 43f.)
Das 1950 verabschiedete Ehegesetz33 bricht mit der traditionellen Machtstruktur der Familien und befreit die chinesischen Frauen zunächst formell aus ihrer alten Lage, in der sie Ehemann und Schwiegermutter buchstäblich mit Haut und Haaren unterworfen waren.34 Große Moralkampagnen, vor allem auf dem Land, begleiten die Maßnahmen. Die Frauen werden nach und nach auch als Arbeitskräfte mobilisiert; darüber bekommt die rechtliche Gleichstellung eine ökonomische Basis. In den Beziehungen zwischen Mann und Frau macht sich die Kommunistische Partei für eine freie Partnerwahl als Grundlage der Ehe stark.35
Auf dem Land werden Deiche repariert oder neu gebaut; große Projekte zur Eindämmung der Flüsse in Angriff genommen – auch hier, mangels maschineller Mittel, zum Teil mit Hacke und Schaufel und den Millionen bäuerlicher Arbeitskräfte. Die Kommunistische Partei lässt die im Krieg und Bürgerkrieg zerstörten Brücken, Straßen und Eisenbahnen in Stand setzen und schickt landwirtschaftliche Berater in die Dörfer. Bei der Flutkatastrophe 1954 setzt der sozialistische Staat seine Armee ein und verhindert Schlimmeres; im ganzen Land werden Lebensmittelspenden für die Opfer organisiert.
In China, in dem die Bauern bisher den wechselnden Naturkatastrophen von Dürre und Überschwemmung hilflos ausgeliefert waren, das zudem über Jahrzehnte vom Krieg verwüstet war, bedeutet der Standpunkt einer Regierung, die die nationalen Kräfte zusammenfasst und gezielt für ein besseres Leben und Arbeiten ihres Volks einsetzt, eine enorme Verbesserung und nie erlebte Sicherheit für die bäuerlichen Massen.
So betrachtet hat das riesige sozialistische Entwicklungsland – ähnlich wie die Union der Sowjetrepubliken – den antikommunistischen Westen in Sachen Zivilisation und »Ankunft der Moderne« in rückständigen Regionen durchaus ein Stück weit abgehängt. Simone de Beauvoir stellt fest: »Viele Beobachter sind erstaunt darüber, wie das Regime (in China, RD) ein Programm befolgt, das jede beliebige moderne und aufgeklärte, auf den Fortschritt ihres Landes bedachte Regierung akzeptieren könnte. (...) An Stelle der Kommunisten würde jedes Regime so handeln wie sie; aber diese Stelle konnten und können allein sie einnehmen.« (de Beauvoir 1960: 491)36
Beurteilung37
Die Maßnahmen dieses ersten kommunistischen Regierungsprogramms, insbesondere die Bodenreform und der Umgang mit der nationalen Bourgeoisie, verdanken sich sicherlich zum Teil taktischen Überlegungen. Angesichts des nicht endgültig überwundenen Bürgerkriegs, angesichts längst nicht gefestigter Machtverhältnisse im Land versucht die KP zunächst, so etwas wie »das Wirtschaften« wieder in Gang zu bringen und dafür möglichst alle vorhandenen nationalen Kräfte einzuspannen. Die alte herrschende Klasse soll sich idealiter in den Aufbauprozess einklinken und ihn nicht mit einem neuen »weißen Krieg«, wie ihn die Sowjetunion nach 1917 durchzustehen hatte, bekämpfen. Auch dem imperialistischen Ausland macht die siegreiche KP zunächst das ernsthafte Angebot, nach Abschaffung der diskriminierenden »ungleichen Verträge« Handelsbeziehungen auf Basis souveräner, sich wechselseitig als gleich anerkennender Nationen fortzuführen.
Andererseits machen auch schon diese Maßnahmen ansatzweise deutlich, wie inkonsequent anti-kapitalistisch das ist, was sich die chinesischen Kommunisten unter »sozialistischem Aufbau« bzw. allgemein unter »Sozialismus« vorstellen.
Es ist nämlich durchaus bemerkenswert, dass die chinesischen Kommunisten der kapitalistischen Ökonomie offensichtlich einige Leistungen hoch anrechnen, als erstes und vor allem die »Entfaltung der Produktivkräfte«. Mit welcher ökonomischen Zwecksetzung – die heißt seit Marx Kapitalverwertung – und mit welchen Folgen für die unmittelbaren Produzenten, die Arbeiter, in der Marktwirtschaft die Produktivkräfte entfaltet werden, interessiert sie dabei offensichtlich viel weniger als die Tatsache, dass diese Wirtschaftsweise Industrialisierung, technische Revolution und eine gewaltige Güterproduktion hervorbringt. Angesichts dessen, was sie in China als Ökonomie vorfinden – ein Mix aus feudalen Verhältnissen auf dem Land und kapitalistischen Fabriken in den vom Imperialismus erschlossenen Städten und Regionen –, erscheint ihnen die kapitalistische Produktionsweise auf alle Fälle als fortschrittlich. Jenseits aller Überlegungen und Kompromisse, die die Not der Stunde gebietet, leuchtet den chinesischen Revolutionären deshalb ein Bündnis mit ihren Unternehmern unter dem Motto »Kapitalismus als notwendiges Durchgangsstadium zu einer sozialistischen Gesellschaft« als sinnvoll ein.
Schon daran, dass die »kapitalistische Marktwirtschaft« als eine Art Entwicklungshelfer auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaft begriffen wird, wird deutlich, dass diese beiden Wirtschaftsformen im Verständnis der KP nicht in einem Verhältnis des puren Gegensatzes stehen. Die chinesischen Kommunisten nehmen offensichtlich beide als Versuch, das vermeintlich immer gleiche Problem des Wirtschaftens zu lösen: Produktion von Gütern für Versorgung und zivilisatorische Fortschritte einer Gesellschaft.
Der Produktions- und Reproduktionsprozess menschlicher Gemeinwesen ist nicht damit gefasst, dass in ihm produziert und konsumiert wird. Wie sich Gesellschaften der Natur bemächtigen, Güter für ihre Lebensnotwendigkeiten und darüber Hinausgehendes produzieren und wie sie ihre Produkte aneignen und dementsprechend verteilen, macht den jeweiligen Begriff historischer Produktionsweisen aus. Die kapitalistische Marktwirtschaft produziert Güter nicht, weil diese gebraucht werden. Ihre Unternehmen stellen Güter dann und dafür her, dass sich mit ihnen Geld »machen« lässt. Dieser Zweck beherrscht den gesamten materiellen Reproduktionsprozess der kapitalistischen Gesellschaften – Arbeit, Arbeitszeit, Umgang mit den natürlichen Ressourcen – und wird nicht zuletzt an den produzierten Gütern selbst und ihrem Konsum deutlich.
Bei der Produktion von Gütern und der Entwicklung der Produktivkräfte – Fragen, die nicht die des Kapitalismus sind! – haben es die marktwirtschaftlich verfassten Staaten in ihren Augen beeindruckend weit gebracht. Der Guomindang Ciang Caisheks haben die chinesischen Kommunisten deshalb auch viel weniger ihr bürgerlich-nationales Programm zum Vorwurf gemacht, als dass sie es nicht verwirklicht hat. Insofern sieht sich die KP aufgerufen, erst einmal das zu erledigen, was in ihren Augen Aufgabe einer »anständigen« Bourgeoisie und einer wirklich national gesonnenen Staatsmacht gewesen wäre: Bodenreform und Industrialisierung des Landes.
Das Programm, das sich die neue kommunistische Staatsmacht vornimmt, soll andererseits natürlich nicht darin aufgehen, in China nachholend kapitalistische Verhältnisse einzuführen bzw. zu verallgemeinern. Die KP tritt in dem Bewusstsein an, dass eine grundsätzliche Korrektur der politischen und ökonomischen Verhältnisse nötig ist, um die das Land beherrschende soziale Ungleichheit zu überwinden. Der größte Teil Chinas verharrt seit Jahrzehnten in Elend und feudaler Rückständigkeit, während in den chinesischen Küstenstädten dekadent zur Schau gestellter Reichtum und bittere Armut unmittelbar nebeneinander existieren, neben die alte, noch nicht überwundene bäuerliche Armut also neue Formen proletarischer Verelendung getreten sind.38 Diese Zustände beklagen die Kommunisten als soziale Ungerechtigkeit und mangelnde Entwicklung des Landes wie seiner Produktivkräfte; den Grund dafür sehen sie in der imperialistischen Rücksichtslosigkeit der Ausländer und der nationalen Pflichtvergessenheit der heimischen herrschenden Klasse, die sie deshalb praktisch bekämpfen.
Ihre Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und Nicht-Entwicklung des Landes geht allerdings an der Sache vorbei. Was sie vorfinden – das gleichzeitige Vorhandensein von immensem Reichtum und bitterer Armut – ist kein Widerspruch zur alten feudalen oder der neuen kapitalistischen Produktionsweise. Es sind vielmehr deren Wirkungen! Die feudale Ordnung hat die persönliche Bereicherung der Klasse der Grundherren und einer staatlichen Beamtenschaft gesichert, inklusive des kaiserlichen Hofs, solange es diesen gab. In der kapitalistischen Produktionsweise ist die Bereicherung der privaten Eigentümer der gültige gesellschaftliche Zweck, für den die bürgerliche Staatsgewalt einerseits sorgt, an dem sie andererseits partizipiert. In beiden Fällen gehört die Existenz von Armut notwendig zum System. Die Kennzeichnung dieser Wirkungen als »Ungleichheit« oder »Ungerechtigkeit« ist also nicht treffend. Sie suggeriert, dass es sich bei den Resultaten um Abweichung von oder Verstöße gegen eigentlich herrschende Prinzipien handelt, so als seien Gleichheit oder Bekämpfung von Armut tatsächlich reale Ziele der kritisierten Herrschaft und ihrer Ökonomie.
Ähnlich steht es mit dem Vorwurf, dass China hinter der restlichen Welt zurückliegt, weil weder die Ausländer noch die chinesische herrschende Klasse sich seine »Entwicklung« zum Zweck gemacht hätten. Die Entwicklung der Produktivkräfte ist kein Zweck, der kapitalistischen Unternehmensrechnungen entspringt, weder im allgemeinen noch im besonderen Sinn. Kapitalistische Unternehmer nutzen den technischen Fortschritt als Mittel ihrer Konkurrenz; sie kennen nicht nur in den von ihnen benutzten Kolonien, sondern auch in ihren Heimatländern lediglich den Vergleich von Kosten und Gewinn, weshalb sich in ihren Fabriken in trauter Eintracht nebeneinander modernste Maschinen und uralte Gerätschaften finden – entscheidend ist einzig, dass sich mit deren Einsatz Profi t erwirtschaften lässt. Ebenso wenig ist die gleichmäßige Förderung aller Regionen und die Beseitigung von Armut und Rückständigkeit in modernen westlichen Staaten gültiges nationales Ziel.
Gleichmäßige »Entwicklung« und »Erschließung« (s)eines Landes betrachtet der bürgerliche Staat nicht vorrangig als Staatsaufgabe. In seinen Anfangszeiten überlässt er das, was heute zu den üblichen staatlichen Dienstleistungen am kapitalistischen Wachstum gehört (Eisenbahnwesen, Kommunikation, Energieerzeugung, aber auch die Betreuung der »Ressource« Arbeitskraft mit den dazugehörenden Fragen Gesundheit und Bildung) sogar ziemlich komplett dem privaten Geschäftsinteresse. Erst der moderne, sozusagen »fertige« kapitalistische Staat, der die umfassende Förderung der kapitalistischen Akkumulation in seinem Land als Standortpflege zu seinem Zweck macht, bewirtschaftet dafür die genannten Sphären systematisch: Ausbildung, Wissenschaft, Sozialstaat, Infrastruktur etc. und kennt auch Gesichtspunkte wie Förderung zurückgebliebener Landesteile, Wirtschaftszweige etc. als Mittel dafür, das nationale Wachstum zu vergrößern.
Heute modifizieren gerade die erfolgreichen kapitalistischen Staaten diesen Standpunkt wieder: Einerseits erklären sie die notwendige »Erschließungsleistung« bestimmter für die Akkumulation wichtiger, als Geschäft aber nicht zustandekommender Sphären als beendet und überführen sie in private Geschäftstätigkeit (Privatisierung im Bereich von Energie, Infrastruktur etc.). Andererseits relativieren sie ihre sozialstaatliche Bewirtschaftung der nationalen Ressource »Arbeitskraft« angesichts der Zugriffsmöglichkeiten, die dem Kapital weltweit zur Verfügung stehen.
Insofern stellt die Enttäuschung bzw. Empörung, mit der die Kommunisten die rücksichtslosen ausländischen Staaten und vor allem die missratene eigene Herrscherclique anklagen, bei aller Kritik zunächst einmal ein sehr großes Vertrauen in die großen Möglichkeiten einer guten, volksfreundlichen Regierung unter Beweis. Unter Sozialismus verstehen sie, kurz zusammengefasst, also ungefähr das folgende Programm:
Die als Störenfriede der bisherigen Gesellschaft aufgefassten großen privaten Eigentümer an Land und Produktionsmitteln sollen (jedenfalls langfristig) wegfallen. Mit ihnen werden die brutalen Ausbeutungsbedingungen der feudalen wie der kapitalistischen Wirtschaftsweise beseitigt und durch eine Produktion ersetzt, die unmittelbar unter staatlicher Aufsicht steht; der produzierte, jetzt »volkseigene« Reichtum soll damit erstens enorm wachsen und zweitens gerecht verteilt werden. Staatliche Kontrolle und die Hoheit über die »Kommandohöhen der Wirtschaft« sollen die Folgen natürlicher Katastrophen wie ökonomischer Krisen eindämmen und das verhindern, was alle aus den letzten Bürgerkriegsjahren zur Genüge kennen: Anarchie der Märkte, Spekulation und galoppierende Inflation. Die von ihrer Ausplünderung durch die egoistische und unpatriotische Minderheit der Reichen befreite sozialistische Gesellschaft soll und kann die Produktivkräfte in allen Sphären (Landwirtschaft und Industrie) und Regionen in neuer Weise entfalten, damit die ganze Nation materiell wie kulturell entwickeln und ein modernes, zivilisiertes Volk schaffen, das – ernährt, angezogen, gewaschen, gebildet und selbstbewusst – das genaue Gegenteil der vorgefundenen Massen darstellt. Dieser Gegenentwurf der neuen sozialistischen Gesellschaft ist aufschlussreich:
In ihm kommt die (Un-)Logik der KP-Kritik zum Ausdruck, die darin besteht, die im Grunde »fortschrittliche« kapitalistische Produktionsweise in positive und negative Seiten zu zerlegen, ohne sich um deren sachlichen Zusammenhang zu kümmern. Private Eigentümer und Anarchie der Konkurrenz hält sie an ihr für störend; sind die allerdings beseitigt, sollen alle anderen Kategorien modifiziert, aber im Grunde für eine gesellschaftliche Reichtumsproduktion brauchbar sein – ob Ware, Preis oder Geld, Lohn oder Gewinn. Damit werden die Erscheinungsformen der Konkurrenz um Eigentum von ihrem Grund abgetrennt, ein theoretischer Fehler mit gravierenden praktischen Folgen. »Volkseigentum« und »geplanter Markt« als Überwindung der angeklagten Mängel des Kapitalismus stellen logisch betrachtet nichts als dumme Widersprüche dar: Eigentum, das niemanden aus-, sondern alle einschließt, und Planen eines Dings namens Markt, dessen Begriff die Konkurrenz (von Anbietern und Nachfragern um Aneignung von Reichtum) ist. Indem sie diese theoretische Dummheit praktisch zur Leitlinie ihrer neuen sozialistischen Ökonomie machen, richten sich die chinesischen Kommunisten ein System voller eigentümlicher Widersprüche ein.
Dieselbe Logik trennt politisch zwischen der »bösen« Gewalt des ancien regime, das nur den eigenen Nutzen und den der grundbesitzenden Klasse verfolgt hat, und den im Grunde großartigen Möglichkeiten einer guten, weil endlich wirklich auf ihr Volk bedachten Staatsgewalt. Programmatisch fällt dem neuen sozialistischen Staat die Rolle zu, die Volksnützlichkeit der Ökonomie zu garantieren; als wirklich über der Gesellschaft und allen Interessen stehende Gewalt soll er nur einen Zweck haben: seinem Volk zu dienen. Auch dies ein Widerspruch, der praktisch umgesetzt, üble Konsequenzen hat.
Der Grund dieser falschen staatsidealistischen Kapitalismuskritik liegt in dem Interesse, mit dem sich die chinesische KP auf den Weg gemacht hat. Mao & seine Genossen waren in Sachen linker Theorie nicht ungebildet. Sie haben die Schriften von Marx und Engels studiert und die Auseinandersetzungen unter den sowjetischen Kommunisten zur Kenntnis genommen – allerdings immer so, dass sie die Einsichten der Klassiker wie die Entscheidungen beim Aufbau der sozialistischen Planwirtschaft in der Sowjetunion zurückbezogen haben auf die sie bewegende Frage nach einer sozial gerechten und entwickelten chinesischen Nation. Dass es sich bei »Gerechtigkeit«, »allgemeiner Wohlfahrt« und »Entwicklung« um die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft handelt, die zu einer Ordnung gehören und passen, in der private Eigentümer um Reichtum konkurrieren und in der der bürgerliche Staat die notwendigen Gegensätze in der Form des Rechts betreut; dass die Klage über fehlende Gerechtigkeit deshalb auch in dieser Gesellschaft sehr präsent ist und sich alle möglichen geschädigten Interessen darauf berufen und Berücksichtigung und Besserstellung im Namen dieser Versprechungen fordern – das ist den kommunistischen Revolutionären nicht in den Sinn gekommen; als Fehler hätten sie diese Art von Beschwerden schon gar nicht kritisiert. Ganz im Gegenteil: Sie wollen ernst damit machen, diese Ideale endlich einmal praktisch umzusetzen.
Dafür krempeln sie die alte Gesellschaft und ihren Staat39 um.