Kitabı oku: «Rache», sayfa 2
Marion
Ohne ein weiteres Wort setzt sich Marion zu Roy ins Auto. Er hält vor einem alten Haus im Osten der Stadt. „Hier wohne ich“, sagt er.
„Es ist keine Villa, aber ganz okay.“
Im kleinen Hinterzimmer steht ein großes Bett.
Dort schlafen sie miteinander, stundenlang.
Roy tut Dinge, die Marion noch nie erlebt hat.
Danach liegt sie in seinen Armen.
Sie hört, wie er atmet.
Sie hört auch Geräusche aus der Nachbarwohnung.
Erst sind es Schreie, danach weint jemand.
Ist es eine Frau oder ein Kind?
Um vier Uhr früh will Marion gehen.
Es klingt kindisch, aber sie muss nach Hause.
Roy lacht kurz auf.
„Du bist neunzehn, Marion“, meint er.
„Ich kenne Mädchen, die bleiben die ganze Nacht weg. Und die sind erst fünfzehn.“
„Ja, aber ich muss wirklich heim.
Sonst macht sich meine Mutter Sorgen.“
Roy weiß natürlich nichts von Holger.
Sie kann es ihm nicht erzählen.
Dass ihr Bruder Holger plötzlich weg war.
Vor zwei Jahren. Einfach so.
Und dass sie nie wieder von ihm gehört haben.
Ihre Eltern machen sich jetzt umso mehr Sorgen um Marion.
Das einzige Kind, das ihnen geblieben ist.
Roy bringt Marion nach Hause.
Eine letzte Umarmung im Auto.
Dann fährt er davon.
Er fragt nicht, ob sie sich wieder verabreden wollen.
Marion
Montagmorgen. Es ist wieder so weit.
Marions Mutter hat nichts getan.
Kein Teewasser gekocht.
Kein Brot auf den Tisch gestellt.
Mit einer Zigarette in der Hand starrt sie vor sich hin.
Die Zigarette ist fast heruntergebrannt.
Wird sie es spüren, wenn sie sich verbrennt, denkt Marion.
Marions Vater liest Zeitung und scheint nichts zu bemerken.
Marion deckt den Tisch und kocht Tee.
„Holger“, seufzt ihre Mutter auf einmal. „Warum?“
Eine Antwort erwartet sie nicht.
Marion und ihr Vater sagen auch nichts.
Sie essen schweigend ihr Frühstück.
„Au.“ Der glühende Zigarettenstummel landet auf dem Boden.
Montagmorgen. Was könnte schlimmer sein ...
Gleich muss sie das rohe Fleisch in die Auslage legen und Wurst schneiden.
Schrecklich, diese Arbeit in der Metzgerei.
Wie lange wird das so weitergehen?
Sie schenkt sich noch eine Tasse Tee ein.
„Du auch, Mutti?“
Die Mutter schüttelt fast unmerklich den Kopf.
Marion hat es ihrer Mutter schon so oft gesagt.
Dass es nicht ihre Schuld ist. Dass sie nichts tun kann. Doch das hilft nicht.
Und heute ist so ein Tag.
An dem alles wieder hochkommt.
Heute kocht Marions Mutter kein Abendessen.
Stattdessen legt sie sich ins Bett und zieht die Decke über den Kopf. Den ganzen Tag geht ihr Holger nicht mehr aus dem Kopf.
Er verschwand an einem Freitagabend.
Mit dem Auto wollte er fürs Wochenende an die Ostsee fahren. Zu einem Kurs im Windsurfen, mit ein paar Freunden. Doch er ist nie angekommen.
Seine Freunde hatten keine Ahnung, wo er sein könnte. Der Vater suchte überall nach Holger.
Die Metzgerei war zwei Monate geschlossen gewesen.
Danach begann der Vater wieder zu arbeiten.
Doppelt so viel wie vorher. Er musste jetzt alles allein machen. Marion sieht Holger vor sich, bei der Arbeit in der Metzgerei. Fleischscheiben abschneiden, ausbeinen, Suppenknochen zersägen.
Wollte er überhaupt Metzger sein, fragt sich Marion. Holger redete nie viel.
Roy
Sie warten schon seit über einer Stunde im Auto.
Es ist eine stille Gegend, kein Mensch zu sehen.
Ein gepflegtes Wohnviertel.
Familien mit zwei Kindern.
Und mit teuren Autos vor der Tür.
Abends bleiben die Leute hier meistens zu Hause.
Roy dreht sich einen Joint.
Er nimmt ein paar Züge und gibt ihn dann Frank.
„Wie lange warten wir noch?“, fragt er.
„Nur die Ruhe“, antwortet Frank.
„Ich frag ja nur. Gib mir den Joint.“
Frank zieht noch einmal, bevor er den Joint wieder Roy überlässt.
„Okay, es geht los“, sagt er dann.
Der Mercedes steht vor einer Garage.
Gestern haben sie den Tankdeckel gestohlen.
Heute sind sie damit zum Schlüsseldienst gegangen.
„Wir haben den Schlüssel verloren“, erklärten sie.
„Können Sie einen nachmachen?“
Die Männer vom Schlüsseldienst schauten misstrauisch.
Doch am Ende machen sie ihnen einen Ersatzschlüssel.
Bei einem Mercedes passt ein einziger Schlüssel in alle Schlösser.
Mit diesem Schlüssel können sie also einfach die Tür öffnen.
Roy setzt sich ans Steuer des Mercedes.
Er fährt hinter Frank zu dem Schrottplatz.
Frank rast wie ein Verrückter.
Roy kann ihm kaum folgen und verliert ihn aus den Augen.
Doch kurz vor der Schrotthandlung sieht er ihn wieder.
Beide halten an.
Roy steigt aus und setzt sich zu Frank ins Auto.
„Willst du ´ne Pille?“, fragt Frank.
Roy schüttelt den Kopf.
Erst Bier, dann ein Joint und jetzt noch eine Pille ...
Das ist ihm zu viel.
Frank schluckt die Pille mit einem Schluck Bier hinunter.
„Schon wieder warten“, beklagt sich Roy.
„Immer nur warten.“
„Davon wird man nicht müde“, meint Frank.
„Andere müssen arbeiten, um an Geld zu kommen.
Da haben wir´s doch richtig gut, was?“
Roy
Roy öffnet die Autotür und steigt aus.
Er sieht sich auf dem Schrottplatz um.
Manchmal sind drei Schrottautos aufeinander gestapelt. Bei einigen schaut er durchs Fenster.
Ein paar sind nagelneu, aber völlig zerbeult.
Totalschaden. Es ist ein Jammer.
Hier zwischen den Autos ist es still.
Man hört nur die Vögel zwitschern.
Auf einmal ertönt das Geheul von Sirenen.
Polizei? Krankenwagen? Feuerwehr?
Der Lärm scheint aus allen Richtungen zu kommen.
Roy setzt sich in einen Schrottwagen.
Er umfasst das Steuer, als ob er gleich losfahren will.
Dann ist es plötzlich wieder still. Eine unheimliche Stille. Sogar die Vögel halten ihren Schnabel.
Nach ein paar Minuten schlüpft er aus dem Auto.
Gebückt schleicht er zum Eingang.
Vor Tonis Büro parken zwei Streifenwagen.
Und vor dem Tor stehen noch drei Streifenwagen.
Auf dem Gelände laufen mindestens zehn Polizisten herum. Roy sieht gerade noch, wie Frank in einen Streifenwagen einsteigen muss.
Die Hände hat man ihm auf seinem Rücken zusammengebunden.
Marion
Zwei Monate später
Sonne, Strand und Meer.
Glück kann so einfach sein.
Marion lässt Sand auf Roys Rücken rieseln.
Aus dem Sand macht sie Buchstaben.
Zuerst wird ein M sichtbar.
„Hör auf, das kitzelt!“, ruft Roy.
Jetzt ist Marion mit einem R beschäftigt.
Sie hat Roy vorher mit Sonnenöl eingecremt.
Deshalb haften die Sandkörner an Roys Rücken.
„Hör auf“, hatte Roy schon gesagt, als sie ihn eincremte.
„Sonst geh ich dir an die Wäsche. Hier am Strand!“
Inzwischen ist das R auch fertig.
Marion lässt noch mehr Sand auf Roys Rücken rieseln.
Sie macht damit ein großes Herz.
Plötzlich richtet sich Roy so schnell auf, dass Marion rückwärts in den Sand fällt.
„Jetzt reicht´s aber“, brummt er.
„Ab ins Wasser mit dir!“
Sie lacht, kreischt und versucht sich loszureißen.
„Nein, nicht. Das Wasser ist viel zu kalt!“
Roy antwortet nicht. Er hebt Marion hoch wie ein kleines Kind. Marion trommelt mit den Fäusten auf seinen Rücken.
Sie spürt, wie stark Roy ist.
So stark, dass er sie gleich mühelos ins kalte Wasser werfen wird.
Und stark genug, sie immer und überall zu beschützen.
Wie er sie am ersten Abend beschützt hat.
Marion spürt eine seltsame Mischung aus Glück und Angst.
Vor ein paar Tagen ...
Da hatte sie einen Moment lang Angst.
Sie saßen in einem Straßencafé.
Ein Mann hatte ein paar Mal zu ihr herübergeschaut.
„Hast du was mit dem Kerl?“, fragte Roy.
„Nein, warum?“, antwortete sie.
„Glaubst du, ich bin blöd?
Ihr werft euch doch ständig Blicke zu.“
Roys Stimme klang hart.
Die anderen Leute im Café sahen zu ihnen herüber.
Marion legte ihm die Hand auf den Arm.
„Roy, da ist nichts.
Ich kenne den doch gar nicht.“
„Warum glotzt er dich dann so an?“, fragte Roy.
„He du, hast du´s auf meine Freundin abgesehen?“, rief er dem Mann zu.
Roy war von seinem Stuhl aufgestanden.
Der Mann legte rasch Geld auf den Tisch und ging.
„Feigling!“, rief ihm Roy nach.
„Komm her, dann werd ich es dir zeigen!“
Aber meistens ist Roy sehr lieb zu ihr.
Und überhäuft sie mit schönen Geschenken.
Zum Beispiel mit einer Goldkette oder einer teuren Armbanduhr.
Roy
„Hallo, Roy!“
Roy kneift die Augen zusammen.
Er erkennt den Mann nicht, der nach ihm ruft.
Der Mann liegt auf einem Handtuch.
„Ich habe dich bei Toni gesehen“, sagt er.
„Ist schon eine Weile her.“
Plötzlich kann sich Roy an ihn erinnern.
Damals hatte der Mann einen Pferdeschwanz und einen Schnurrbart.
Jetzt hat er eine Glatze.
Sigi, ja, so hieß er.
„Lust auf ein Bier?“, fragt Sigi.
Roy nickt. „Ich wollte gerade was zu trinken holen.“
Kurze Zeit später kommt Roy wieder zurück.
In der Hand hält er eine Dose Cola für Marion.
Und er denkt an ein Hotel. An ein schönes Zimmer mit Whirlpool. Und morgens Frühstück im Bett.
Doch das kostet ein paar Hundert Euro.
Und die hat er nicht.
In einer Woche bekommt er wieder Geld.
Aber von Hartz 4 können sie gerade mal eine Woche leben.
Er ist ständig knapp bei Kasse, seit Marion bei ihm wohnt.
Und seit Frank und Toni im Gefängnis sitzen ...
Marion arbeitet nicht mehr bei ihrem Vater.
Sie ist froh, dass sie nicht mehr in die Metzgerei muss.
„Du kannst doch was anderes machen“, hatte Roy gesagt.
„Langweilst du dich nicht den ganzen Tag?“
Marion hatte den Kopf geschüttelt.
„Ich kann nichts anderes. Ich habe keinen Schulabschluss.
Und keine Ausbildung.“
Ja, da konnte Roy mitreden.
„Du kannst bei mir viel Geld verdienen“, hat Sigi gesagt.
Früher war Sigi auch Autohändler gewesen.
Doch jetzt nicht mehr.
„Geld kann man viel schneller verdienen“, hat Sigi erklärt.
„Eigentlich ist es ziemlich einfach.
Du bringst etwas von A nach B. Das ist alles.“
Roy
Noch immer scheint die Sonne.
Marion hat ihre Strandtasche bereits gepackt.
Doch dann sagt Roy, dass er nicht mitkommen kann.
„Ich muss zu einem Vorstellungsgespräch.“
„Vorstellungsgespräch? Am Sonntag?
Was ist es denn?“
Roy zieht einen 50-Euro-Schein aus der Tasche.
Es ist sein vorletzter. Jetzt hat er nur noch einen Fünfziger.
„Da, kauf dir was Schönes“, sagt Roy.
„Die Läden sind heute doch offen, oder?“
Marion nimmt das Geld. Sie ist enttäuscht.
Was kann man sich für 50 Euro schon kaufen?
Roy und Sigi haben sich im City-Pub verabredet.
In der Kneipe ist es still.
„Wie geht´s, Roy?“, fragt Arnold.
Arnold ist der Besitzer der Kneipe.
Er bedient seine Gäste gern selbst.
Roy nickt. „Ja, alles okay. War Sigi hier?“
„Vor ein paar Tagen“, antwortet Arnold.
„Mit dem dicken Walter, der ständig futtert.“
Roy schaut auf die Uhr.
Sigi sollte um zwei Uhr hier sein.
Jetzt ist es schon fast drei.
Er bestellt noch ein Bier.
Was soll er machen, wenn Sigi nicht kommt?
Vielleicht kann er sich von Arnold Geld leihen.
Der hat genug.
Roy weiß, dass die Kneipe eine Goldgrube ist.
„Arnold hat zu Hause einen Haufen Geld rumliegen“, hatte Frank neulich gesagt.
„Zu Hause?“, hatte Roy überrascht gefragt.
„Na klar“, antwortete Frank. „Er kann das Schwarzgeld doch nicht zur Bank bringen.“
Doch da kommt Sigi zur Tür herein.
„Tut mir leid, dass es so spät geworden ist.
Und ich muss gleich wieder weg“, sagt er zu Roy.
„Aber du kannst mitfahren.
Dann können wir im Auto reden.“
„Wohin fahren wir?“, erkundigt sich Roy.
„Verdammt, das hab ich fast vergessen“, sagt Sigi.
Sigi rast über die Autobahn.
„Jeden ersten Sonntag im Monat besuche ich ihn.
Er wartet dann auf mich.“
„Wer?“, fragt Roy.
„Mein Sohn“, antwortet Sigi. „Er ist schwachbegabt ... geistig behindert. Er wohnt in einem Heim.“
Nach knapp einer Stunde sind sie da. Sie halten vor einem großen Gebäude in einem Park.
Fichtenberg steht auf dem Schild.
Sigi steigt aus.
„Du bleibst im Auto“, sagt er zu Roy.
„Ich gehe nachher ein Stück mit ihm im Garten spazieren.
Ich will nicht, dass du ihn mit mir siehst.“
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