Kitabı oku: «Im Jahr des Wolfes», sayfa 2

Yazı tipi:

Kapitel 2

Die Bürger unseres Landes werden ermahnt, während der Raunächte

keine Wäsche im Freien hängen zu lassen. Auf dass kein

Geist, der mit Odins wilder Schar durch die Nacht zieht, sich darin

einnistet und den Träger des Kleidungsstückes fortan besetzt!

(CHARTA GERMANIA)

Siegfried schaute auf die Uhr. In einer halben Stunde hatte er Schluss. Die letzte Gruppe der Bewerber, die er eben in Empfang genommen hatte, verließ die Halle in Richtung Schwebebus. Sie wurden in das zentrale Aufnahmelager im Zittauer Wald gebracht. Dort konnten sie sich entscheiden, zu welchem der germanischen Stämme sie wollten. Oder ihnen wurde einer zugewiesen, damit sie durch harte Arbeit, ein straffreies Leben und den Dienst an der Gesellschaft ihren Bewerberstatus gegen einen vollwertigen germanischen Bürgerstatus eintauschen konnten. Dann würden sie ihre Stammes-Runen tätowiert bekommen und wären ab sofort freie Germanen.

Ein Signal ertönte, Siegfried schaute zum Eingang, wo gleich eine Lücke im Feldschirm, der die Landesgrenze Neu Germaniens umschloss, geschaltet werden würde.

Nach einem kurzen Flackern erlosch ein Teil des Kraftfelds und eine Bewerberschar trat unsicher in die Halle. Diesmal waren auch zwei Kinder darunter. Selten kamen ganze Familien, um in Neu Germanien Asyl und Heim zu finden. Meist waren es alleinstehende junge Männer, die hier Bürger werden wollten.

Verschüchtert um sich blickend bewegten sich die zehn Personen auf die Schleuse zu, die Kinder pressten sich scheu an ihre Mütter. Nun trat der erste entschlossen vor und legte sein Handgepäck auf das Band. Die Tasche verschwand surrend im Scanner. Mit einem Piep kam sie auf der anderen Seite wieder heraus. Das grüne Leuchten eines Lämpchens verriet, dass sie „sauber“ war. Der Mann stand weiterhin still an der Schleuse und wartete die Durchleuchtung und den Scanvorgang geduldig ab. Als kurze Zeit später das nächste Lämpchen grün flimmerte, winkte Siegfried den Mann zu sich heran.

„Papiere bitte!“, sagte er und streckte die Hand aus.

Der Mann griff in seine Jackentasche und zog einen zerknitterten Pass heraus, er schob ihn zögernd durch den schmalen Schlitz in der Scheibe zu Siegfried hin. Der schlug den Pass auf und las laut vor.

„Antropow, Valerie, 27 Jahre, geboren in Kiew, Schwarzmeerkoalition, am 31. Januar 2259 alter europäischer Zeitrechnung.“

„Ja“, sagte der Mann.

„Was führt Sie zu uns, Herr Antropow?“

„Ich möschte Birger in dieses Land werden!“, erwiderte der Mann.

„Gut!“ Siegfried legte den Pass unter das Lesegerät und wartete auf das Ergebnis. Der Pass wurde auf seine Echtheit untersucht, die Identität des Mannes nachgeprüft, schließlich wollte niemand hier einen abgetauchten Verbrecher oder Terroristen haben.

Aber auch diesmal leuchtete es grün, der Mann war in Ordnung, er konnte den Bewerberstatus und seine Tätowierung bekommen.

„Alles in Ordnung, Herr Antropow! Sie können durchgehen und sich an der Theke etwas zu essen und trinken holen. Wenn Ihre Gruppe vollständig ist, kommen Sie alle ins zentrale Aufnahmelager und dann zu den einzelnen Stämmen. Haben Sie schon einen bestimmten Stamm ins Auge gefasst?“

„Ja, isch möschte zu Sakzen, isch auf Meer fahren. Isch Seemann!“

„Na, dann viel Glück und herzlich willkommen in Neu Germanien!“, wünschte Siegfried und winkte dem nächsten, einer Frau, näherzutreten.

Zögernd trat sie an die Schleuse heran, ihre Tochter fest an sich gedrückt.

„Gehen Sie rein, es tut nicht weh!“, ermunterte Siegfried die Frau. Sie legte ihre Tasche auf das Band und trat gemeinsam mit dem Kind in die Schleuse, der Scanvorgang begann. Die Tasche kam auf der anderen Seite des Gepäckscanners wieder heraus, das Gerät gab grünes Licht. Von der Schleuse wurde ebenfalls grünes Licht gegeben, Siegfried winkte die beiden zu sich.

„Geben Sie mir bitte Ihre Dokumente!“

Die Frau kramte in ihrer Manteltasche, zog einen Pass und einen Kinderausweis hervor und reichte beides an Siegfried weiter.

„Özdemir, Ayscha, 28 Jahre, geboren in Stambul, Großosmanisches Kaiserreich, am 13. August 2258 alter Zeitrechnung. Und Özdemir, Rubina, 6 Jahre, geboren 6. März 2282.“ Siegfried legte die Ausweise in den Scanner und wandte sich wieder der Frau zu.

„Sie kommen nur mit Ihrer Tochter?“

„Ja, main Mann tott! Kommen von Sieden, bei Grenze Islamischer Kalifat. Da Krieg!“

„Oh, das tut mir leid!“, sagte Siegfried ehrlich betroffen. Mal wieder das Islamische Kalifat! Kamen denn die Grenzregionen nie zur Ruhe?!

Das Gerät gab einen Signalton von sich: alle Papiere in Ordnung!

Siegfried reichte die Dokumente an die Frau zurück.

„Alles in Ordnung, Frau Özdemir! Sie können hinten mit ihrer Tochter essen und trinken. Herzlich willkommen in Germanien!“

Die Frau nahm ihre Tochter an die Hand und ging zum Servicetresen, und Siegfried winkte dem nächsten Bewerber.

Bis zur Herbstsonnenwende nächstes Jahr würde er noch hier Dienst tun. Dann waren seine zwei Jahre Grenzdienst vorbei und er konnte endlich zur Luftwaffe gehen. Die Tests hatte er mit Bravour bestanden und er freute sich auf seinen Dienst als Pilot auf einer der neuen Maschinen „Mjölnir 7“!

Der nächste Bewerber stand vor der Schleuse, Siegfried bedeutete dem Mann, seine Tasche auf das Band zu legen und die Schleuse zu betreten.

* * *

Swanhild Rabenfeder nahm sich ein Bündel getrockneter Kräuter und rubbelte die Blätter von den Stielen. Der Geruch von Pfefferminze breitete sich im ganzen Zimmer aus und Swanhild atmete ihn tief ein. Welche Schätze uns die Natur doch schenkt! Gegen jedes Leiden war ein Kraut gewachsen! Pfefferminze – antibakteriell, entzündungshemmend, keimtötend und schmerzstillend.

Das Glas füllte sich langsam, Swanhild nahm ein letztes Bündel Minze vom Haken und füllte es auf bis an den Rand. Zufrieden verschloss sie das Gefäß und stellte es in das große Regal zu den anderen Gläsern.

Ihr Vorrat an Kräutern würde sicher bis zum nächsten Frühjahr reichen, und ab Ostara konnte sie ja wieder mit der Kräutersuche beginnen!

Swanhild wollte heute einen Hausbesuch bei einer der Mägde auf dem Nachbarhof machen, die unter starken Regelbeschwerden litt. Sie suchte mit den Augen die Reihe der Kräutervorräte ab und griff dann zielstrebig nach einem braunen und einem grünem Glas – Taubnessel, Frauenmantel … und da! Noch etwas Wermut. Sie entnahm jeweils eine kleine Dosis und füllte diese in einen Beutel. Sie würde der Magd einen frischen Sud kochen, dann würden die Schmerzen bald nachlassen. Schließlich griff sie sich noch ein kleines Töpfchen mit Ringelblumensalbe, zur Wundheilung für einen der Knechte desselben Hofes. Er hatte sich die Hände verletzt, die Salbe würde die Heilung fördern. Swanhild band den Beutel an ihren Gürtel, verstaute die Salbendose in einer ihrer Taschen und nahm sich den regenfesten Umhang vom Haken. Draußen nieselte es immer noch, sie tat gut daran, sich warm einzupacken. Sie durfte auf keinen Fall krank werden, die Menschen brauchten ihre Hilfe, schließlich war sie die einzige heilkundige Kräuterfrau im Umkreis von fast dreißig Kilometern. Und die Menschen vertrauten ihr mehr als den Ärzten.

Zugegeben, alles konnte sie nicht heilen. Manche Krankheiten machten eben doch einen Arzt nötig. Aber das, was sie tun konnte, tat sie mit Freude!

Swanhild schlang den Umhang um ihre Schultern, trat hinaus ins Freie, blieb unter dem Vordach stehen und schaute zum Firmament. Der Regen würde wohl noch eine ganze Weile anhalten, der Himmel zeigte sich in einem einheitlichen Grau. Sie raffte ihr langes blondes Haar zusammen und zog sich die Kapuze über den Kopf. Entschlossen trat sie hinaus in den Nieselregen.

Egal welches Wetter ist, meine Hilfe wird benötigt!, dachte sie, und beherzt setzte sie den Fuß auf den aufgeweichten Weg, dann schritt sie zügig aus.


URUZ – Auerochse (Heil-Rune)

Kapitel 3

Der Allvater erschuf die Welt aus dem Körper des Riesen Ymir.

Odins Volk ist angehalten, diese Gabe zu hegen und zu pflegen.

Der Schutz unserer Fauna und Flora hat oberste Priorität und

gegen Umweltsünder wird mit äußerster Härte vorgegangen!

(CHARTA GERMANIA)

Sarulf lief der Schweiß in Strömen den Körper herab. Sein Hoodie war klatsch nass und auch seine Hose zeigte deutlich die Spuren seiner Anstrengung. Seit Stunden übte er den Umgang mit dem Sax am Trainingsroboter.

Selbstredend war die Waffe, die er benutzte, nur eine Übungsklinge. Das wahre Sax würde Sarulf erst nach Beendigung seiner Ausbildung erhalten. Es bestand aus hochverdichtetem Stahl, der Griff aus geweihtem Eichenholz, und die Klinge umschloss ein zerstörerisches Kraftfeld.

Zwei Wochen sind seit meinem Besuch zu Hause vergangen und schon vermisse ich Alida. Er schien wohl mehr für sie zu empfinden, als er sich eingestehen wollte.

Surrend drehte sich das metallene Ungetüm und versuchte, Sarulf mit seinen Auslegern zu treffen. Doch Sarulf war schneller und parierte den Angriff mit ein paar wohl gezielten Schlägen.

Ob Alida auch mehr für mich übrig hat als nur Respekt gegenüber ihrem Dienstherrn?

Angriff und Schlag! Der Roboter fuhr seinen Arm zurück, er verharrte.

Sie blickt mich doch immer so an!

Einer der Arme der Kampfmaschine zuckte auf Sarulf zu, er duckte sich und schlug zu! Wieder fuhr der Roboter den Arm ein und verhielt in der Grundstellung.

Der Gedanke an Alida erfreute ihn! Ja, da ist ganz bestimmt etwas zwischen uns, bald ist Jul und ich kann wieder nach Hause fahren!

Erneut zuckten mehrere Arme auf Sarulf zu, mit ein paar klugen Hieben konterte er auch diesen Angriff.

Eine blecherne Stimme ertönte.

„Übungssequenz beendet! Trainingsziel von einhundert Prozent erreicht!“

Die Übungsmaschine zog ihre Arme ein und schaltete sich ab.

Sarulf wischte sich über die Stirn, er hängte das Sax auf den Waffenständer zu den anderen Klingen. Dann ging zur Bank, griff sich ein Handtuch, wischte sich das Gesicht ab. Er schnappte sich seine Tasche und begab sich in den Duschraum.

Für heute war die Trainingseinheit gemeistert, aber von Tag zu Tag verlangte der Übungsroboter ihm mehr ab.

Na ja, der Nachmittag würde ruhiger werden. Germanisches Recht stand auf dem Lehrplan, da kannte er sich aus, schließlich war sein Vater König der Sueben, und Sarulf hatte bei vielen Things eine ganze Menge über die Rechtsprechung lernen können!

Mit einem letzten Gedanken an Alida trat Sarulf unter die Dusche und genoss das Prasseln der heißen Wasserstrahlen auf seiner Haut.

* * *

Mit abgeblendeten Scheinwerfern schwebte die Limousine vor die Schranke neben dem Wachhäuschen. Einer der Wärter trat heran und ging zur Fahrerseite des Fahrzeugs.

Die Scheibe senkte sich lautlos, der Insasse blickte dem Wachmann in die Augen.

„Guten Abend, Herr Drachenstein! Noch so spät zu arbeiten?“

„Natürlich, sonst wäre ich ja nicht hier! Mach die Schranke hoch, Krähenzahn!“

Der so angesprochene gab seinem Kollegen im Torhaus ein Zeichen und die Schranke zum Farmgelände öffnete sich.

„Schönen Abend, Chef!“, sagte der Wächter und trat vom Wagen zurück.

„Dito, Krähenzahn, dito!“

Das Auto fuhr an, entfernte sich rasch und surrte zügig zu den Parkplätzen. Vor dem Schild „Geschäftsführung“ hielt es an.

Brunold Drachenstein stieg aus dem Wagen und begab sich in das Gebäude zur Linken. Zügig durchschritt er den Eingang und wandte sich dem Lift zu. Er fuhr in die Vorstandsetage und schritt den dunklen Gang entlang. Alles lag wie ausgestorben da!

In seinem Büro angekommen, knipste er das Licht an und zog die schweren Vorhänge zu. Man konnte ja nie wissen!

Brunold trat an einen Sockel neben seinem Schreibtisch. Er schaute sich nochmals im Raum um, griff nach einem Arm der Bronzeskulptur, die auf dem Sockel stand, und zog ihn nach vorn.

Schutz der Heimat, Leben im Einklang mit der Natur – Mann!, er konnte das nicht mehr hören! Schließlich musste er Geld verdienen und die Entsorgung der Hühnerscheiße kostete ihn jeden Monat ein Vermögen!

Und so tat er, was er an jedem Monatsersten tat. Mittels eines geheimen Ablaufrohres ließ er tausende von Litern der übelriechenden Gülle in die Elbe fließen und sparte sich somit eine Menge goldener Scheine. Mit ein bissel Cleverness konnte man eine schöne Menge Kohle scheffeln! Trottel, die!

Plötzlich öffnete sich die Tür zu seinem Büro und zwei schwarzuniformierte Männer traten ein!

Was zum Teufel …?

„Guten Abend, Herr Drachenstein! Man kann sagen, dass wir Sie auf frischer Tat ertappt haben! Und auch noch auf Film festgehalten das Ganze!“

Der schwarze Kerl, der das von sich gegeben hatte, trat nun an Brunold Drachenstein heran und hielt ihm seine Marke vor das Gesicht.

Verdammte Scheiße, Wotans Wölfe!

„Drehen Sie sich rum und nehmen Sie Ihre Hände auf den Rücken! Übrigens, Ihr ‚geheimes‘ Abflussrohr ist schon seit einiger Zeit stillgelegt! Uns fehlte zu den Verdachtsmomenten nur noch der Beweis, und den haben wir jetzt! Sie können sich in Kürze beim Thing vor unserem König erklären. Jetzt geht es erst mal in eine schöne Zelle!“

Der Wolf ließ die Handschellen zuschnappen und schob Drachenstein zum Ausgang.

* * *

Swanhild trat aus der Dunkelheit in ihr Haus ein und genoss die wohlige Wärme, die ihr entgegenschlug.

Weit war der Weg vom Nachbargehöft gewesen, durch die Dunkelheit und den Regen. Aber sie hatte helfen können, und allein das zählte!

Sie nahm den Umhang ab und hängte ihn zum Trocknen über eine Stuhllehne. Dann ging sie hinüber zum Herdfeuer, goss Wasser in den Kupferkessel und hängte ihn über die noch glimmenden Scheite. Swanhild griff sich zwei Stück Holz und legte sie auf die Glut. Sie bückte sich und pustete kräftig in das schwelende Feuer. Sofort leckten Flammen hervor und begannen sich in das Holz zu fressen.

Sie trat an das Regal und entnahm hier und da ein paar trockene Blätter und Blüten. Die gab sie in die Kanne und wartete darauf, dass das Wasser zu kochen anfing. Währenddessen band sie sich ihr Haar im Nacken zusammen und schlüpfte in ihre dicken Haussocken.

Endlich warf das Wasser im Kessel Blasen. Swanhild nahm ihn vom Feuer und goss die Teekanne voll. Sie stellte den Kessel auf den Herd, holte sich eine Tasse und ihre Zuckerdose und stellte alles auf den Tisch zur Teekanne. Dann ließ sie sich erschöpft auf den Stuhl fallen, tat etwas Zucker in ihre Tasse und frischgebrühten Tee. Sie nahm die Tasse an die Lippen, blies hinein und nahm einen kleinen Schluck. Sofort durchflutete Wärme ihren Körper. Swanhild trank noch etwas mehr vom Tee.

Wie lange ist es eigentlich her, dass ich hier mit Fenja Rabenherz gesessen habe?

Ihre Mentorin war vor einem Sommer zu den Göttern gegangen, und seitdem war sie, Swanhild Rabenfeder, die heilkundige Kräuterfrau des Rabenclans. Schon als junges Mädchen war sie zu Fenja gekommen und hatte sich deren Wissen aneignen dürfen. Es hatte vieler Jahre bedurft, bis sie sich mit jedem Kraut, jeder Wurzel und jedem Pilz auskannte und deren Wirkung im Schlaf herunterbeten konnte. Dazu kamen noch die Heilsteine, auch hier dauerte es Jahre, bis Swanhild deren Wirken kannte.

Jeden Abend hatten sie gemeinsam hier an diesem Tisch gesessen und zusammen Tee getrunken.

Wehmütig seufzte Swanhild und nahm noch einen Schluck von dem heißen Gebräu.

Langsam sollte ich mich wohl auch mal nach einer geeigneten Schülerin umsehen! Ich werde schließlich auch nicht jünger!, bei diesem Gedanken lächelte sie leise vor sich hin.


THURISAZ – Dorn (Rune des Gottes Thor, Schutz-Rune)

Kapitel 4


Ich weiß, dass ich hing am windigen Baum
Neun lange Nächte,
Vom Speer verwundet, dem Odin geweiht,
Mir selber ich selbst,
Am Ast des Baums, dem man nicht anseh’n kann
Aus welcher Wurzel er spross.
Sie boten mir nicht Brot noch Met;
Da neigt’ ich mich nieder
Aus Runen sinnend, lernte sie seufzend:
Endlich fiel ich zur Erde.

(DIE EDDA, ODINS RUNENLIED)

Knisternd und mit hellem Schein loderte das Feuer im Kamin. Still war es im Raum und wohlig warm. Kerzen tauchten das Zimmer in ein heimeliges Licht. Riesige Regale, gefüllt mit alten und uralten Büchern und Folianten, die sämtliche Wände bedeckten, strömten eine geheimnisvolle Atmosphäre aus.

Zwei Adepten saßen auf dem Boden, der mit dicken Fellen ausgelegt war, vor ihrem Meister, der auf dem Lehnstuhl neben dem Feuer thronte. Er beobachtete Hasso Hirschhorn und Steinar Rabenfeder, die in die Lektüre eines vor ihnen liegenden Wälzers vertieft schienen, mit Argusaugen.

Weißbart Rabenzahn, Druide der Sueben, unterwies Hasso und Steinar, die, wenn man seiner Aussage glauben wollte, dumm wie Bohnenstroh waren und eine Last auf seinen alten Schultern, in der Kunst der Magie. Nun, vielleicht reden alle Meister so über ihre Lehrjungen. Aber in beiden musste doch ein wacher Verstand stecken, denn Rabenzahn nahm nicht jeden als Lehrbursche.

Der Meister war eine Koryphäe auf seinem Gebiet und hellseherisch begnadet. Er wusste um die Kraft der Runen und deren Zauber, und war Meister des Orakels. In punkto germanischer Mythologie konnte ihm kaum einer was vormachen. Jede Göttin, jeden Gott kannte er quasi mit Vornamen, sämtliche Fabelwesen waren ihm so vertraut wie der Kram in seiner Hosentasche.

Als Berater des Königs fehlte er zudem bei keinem Thing!

„Beim Schweif des Sleipnir! Hirschhorn, du sollst lesen, nicht schlafen!“, schalt er den Kleineren.

Der so Angesprochene zuckte vor Schreck zusammen und grub seine Augen tief in das Buch auf seinem Schoß.

„Meinst du, ihr sollt das aus Spaß lesen? Oder weil heute Märchenstunde ist? Mitnichten! Frau Holle muss jeder Druide kennen! Das ist reinste germanische Geschichte und Mythologie, nicht wahr, Rabenfeder?“

„Ja, Meister!“, antwortete Steinar brav.

Weißbart Rabenzahn blickte ihn streng an.

„So, so, dann erzähle mir doch mal, was deiner Meinung nach daran so mystisch ist!“

„Ja, Meister! Ja … also … als das fleißige Mädchen in den Brunnen gefallen war, um seine Spindel herauszufischen, erwachte es auf einer Blumenwiese. Diese nennt man groni godes wang – grüne Gotteswiese.“

„Richtig, Rabenfeder! Hirschhorn, hör gut zu, hier kannst du was lernen!“

Steinar fuhr fort: „Auf dieser Wiese beginnt der Helweg, der Weg in das Totenreich Hel. Deshalb setzen wir unsere Toten mit gutem Schuhwerk bei, damit sie den langen staubigen Weg ohne Mühe gehen können.“

Meister Rabenzahn unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Geste und wandte sich Hasso zu:

„Du machst weiter!“

„Ja, Meister!“ stammelte der, „mh … dann kam das Mädchen zur Kuh. Und hat die gemolken!“

Stolz schaute Hasso zu seinem Meister.

„Hasso, du trottliges Produkt besoffener Eisriesen! Was für eine Kuh denn?“

„Äh … Audhumbla, die Urkuh, die Ymir nährte!“

„Geht doch, Hirschhorn! Mach weiter, Rabenfeder!“

„Dann kam das Mädchen an einen Backofen. Da lag ein Brot drin und wollte raus, weil es sonst verbrennt. Das Mädchen nahm die Backschaufel und zog das Brot aus dem Ofen.“

Rabenzahn nickte und sprach: „Merkt an, Schüler! Sieht ein Brot nicht aus wie ein frischgewickeltes Neugeborenes? In alten Zeiten und bis heute glaubt man, dass die Ahnen Gebärenden beistehen, und das Mädchen war ja tot und in der Unterwelt! Hasso!“

„Ja! Als das Mädchen den Helweg weiterging, kam es an einen Apfelbaum, der geschüttelt werden wollte, was sie auch tat.“

„Gut. Äpfel waren und sind eine wichtige Vitaminquelle in der Zeit des Winters! Rabenfeder, du bist wieder dran!“

„Das Mädchen kam zu Frau Holle, die war gar schrecklich anzusehen, sodass es sich fürchtete. Aber die alte Frau gab sich freundlich und nahm es bei sich auf. So sah das Mädchen sie mit anderen Augen, denn Frau Holle war nicht nur eine Erdgöttin, sondern auch die Göttin der Schönheit und Liebe.“

„Sehr gut, Steinar!

Meister Weißbart war zufrieden mit seinen Schülern, sie schienen endlich Feuer und Flamme und in der Geschichte aufzugehen. Er deutete auf Hasso.

„Das Mädchen blieb bei Frau Holle und war sehr fleißig. Morgens schüttelte es die Betten auf und dann fiel Schnee auf der Erde. Wenn sie für Frau Holle das Essen kochte, stieg der Dampf als Nebelschwaden aus den Schluchten auf. Ein Tag bei Frau Holle war auf der Erde ein ganzes Jahr. Dem Mädchen gefiel es sehr gut bei Frau Holle!“

Ein kurzer Blick zu Steinar.

„Aber dann wurde das Mädchen traurig, es hatte Heimweh. Das sagte es Frau Holle! Die freute sich, dass das Mädchen so ehrlich war, und übergab ihm die verlorene Spindel. Sie führte das Mädchen zu einem großen Tor. Als Dank für seine guten Dienste ließ Frau Holle Gold auf das Mädchen regnen. Das Mädchen kam zurück auf die Erde und ward wiedergeboren!“

Rabenzahn klatschte in die Hände. Er strahlte über das ganze Gesicht.

„Prima, Jungs! Hab ich euch am Ende doch noch etwas beigebracht! Ihr habt mich sehr glücklich gemacht. – Somit können wir uns also der Runenkunde zuwenden!“

Die Knaben grinsten sich an und stießen ihre Fäuste gegeneinander.

„Werdet mal nicht übermütig! Ab mit euch auf eure Kammer, morgen wird ein langer Tag. Euer König hat zum Thing gerufen, wir werden dabei sein!“

„Jawohl, Meister! Gute Nacht, Meister!“, riefen die Lehrlinge wie aus einem Mund und stiegen die Treppe zu ihrer Kammer empor.

Meister Rabenzahn blickte zufrieden in das Feuer, schließlich stand er auf und blies die Kerzen aus. Auch er brauchte seinen Schlaf!

* * *

Heute war der Tag. Die Zeit der Reinigung war endlich vorbei, nun würden sie damit beginnen, seinen Körper wieder aufzubauen.

Die Tür zu seiner Zelle öffnete sich, grelles Licht durchflutete den Raum und stach ihm schmerzhaft in die an die Schwärze gewöhnten Augen. Er kniff seine Lider fest zusammen. So sah er nicht, wie mehrere Schwarzkutten eintraten. Als sie seinen ausgezehrten Leib auf eine Schwebetrage betteten, stöhnte er vor Schmerzen auf.

„Alles wird gut, Bruder!“, spendete einer der Männer ihm Trost.

Vorsichtig öffnete er die Augen einen winzigen Spalt und sah sich um. Sie leiteten ihn über einen schmalen Gang. An der Decke waren in regelmäßigen Abständen Lichtröhren angebracht, links und rechts zweigten Türen ab.

Plötzlich blieben die Kuttenträger vor einer Tür stehen. Der erste von ihnen öffnete sie, die Bahre schwebte in einen riesigen Raum.

Riesige gläserne Behälter standen in dieser Halle, in ihnen schwamm eine trübe Flüssigkeit.

Ein alter Mann trat an ihn heran und blickte ihm tief in die Augen.

„Sei mir gegrüßt, Bruder! Deine Zeit ist gekommen, wir werden eine Waffe des einzig wahren Gottes aus dir schmieden. So, wie es dein Wille war! Während du hier in einem der Behälter aufgebaut wirst, sorgen wir für dich. Schließlich wirst du stark sein und mächtiger als je zuvor, und niemand wird dich aufhalten können! Halte durch, Bruder, die Rache wird unser sein!“

„Tod und Verderben den Ungläubigen!“, presste er mühsam hervor.

„Tod und Verderben den Ungläubigen!“, wiederholte der alte Priester, wandte sich ab und gab den anderen ein Zeichen.

Einige Weißkittel traten heran. Einer hielt eine Atemmaske in der Hand.

„Sie wird dich mit Luft versorgen!“, sagte er, streifte ihm das Teil über das Gesicht und fixierte es am Kopf. Jemand anderes befestigte Schläuche an ihm. Sein geschundener Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen, ein lebendiges Skelett. Die Haut war bleich und wundgelegen.

Den Einschnitt in der Bauchdecke spürte er kaum, und auch den Schlauch, der in seinen Magen eingeführt wurde, nahm er nicht wahr. Der würde ihn mit Nahrung versorgen. Und mit Anderem, worüber er aber noch nichts wusste.

Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, fuhren die Männer ihn an den nächsten Behälter heran, hoben seinen Leib von der Trage und ließen ihn langsam in die warme Flüssigkeit gleiten.

Die Wärme beseelte seinen Körper, er trieb träge durch diesen Sirup. Jetzt wird alles gut werden, alles!

Die monatelange Qual der Reinigung hatte sich gelohnt, er würde als Krieger Gottes aus diesem Gefäß steigen, wie Phönix aus seiner Asche!


ANSUZ – Ase / Gott (Rune Odins; Rune der Inspiration)

₺173,48
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
296 s. 44 illüstrasyon
ISBN:
9783961451661
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu