Kitabı oku: «Vier gewinnt», sayfa 2
Home, sweet Home
Es war schon dunkel, als Marlene am Samstagabend die Haustür aufschloss. Sie war ziemlich erledigt. Erst hatte sie im Intercity zwei Stunden stehen müssen, weil der Wagen mit ihrem reservierten Platz dem Zug irgendwo zwischen München und Frankfurt abhandengekommen war. Das erlebte sie nicht zum ersten Mal – und wie immer blieb es ein völliges Rätsel, wie so etwas passieren konnte. Zumindest offiziell. Inoffiziell kursierten auf dem Gang, wo sie mit vielen anderen Messeheimkehrern erschöpft auf ihrem Koffer saß, wilde Gerüchte: Von Doppelbuchungen bis zum Totalschaden der Klimaanlage war alles dabei.
Marlene war es eigentlich herzlich egal, warum ihr Platz nicht da war, sie ergab sich in ihr Schicksal und versuchte die Fahrt irgendwie zu überstehen. Das gelang auch, aber als sie am Bahnhof endlich in ihr Auto umstieg, hatte sie Rückenschmerzen. Kein Wunder. Jetzt eine schöne warme Dusche und dann ein gemütlicher Abend auf dem Sofa. Ein Glas Wein, ein bisschen kuscheln mit Lukas, den sie fast eine Woche nicht gesehen hatte. Und morgen, am Sonntag, lange ausschlafen. So sah ihr Programm für die nächsten vierundzwanzig Stunden aus.
Im Erdgeschoss war alles dunkel und still, im ersten Stock auch. „Schatz, ich bin da. Haaallo“, Marlene machte sich bemerkbar. Keine Reaktion. Hmm. Es war nicht abgeschlossen und das Auto stand auch in der Einfahrt. Weit konnte Lukas also nicht sein. Vielleicht kurz beim Nachbarn? Sie kickte ihren Koffer ins Arbeitszimmer und beschloss, sich auf jeden Fall erst einmal die ersehnte Dusche zu gönnen. Zehn Minuten später war sie in ihren Lieblings-Schlafanzug geschlüpft und föhnte sich gerade die Haare trocken, als die Haustür aufgesperrt wurde.
„Hallo, Lukas! Liebling, ich bin wieder da“, Marlene stellte den Föhn ab und trug noch schnell etwas Feuchtigkeitscreme auf. Dann lief sie die Treppe hinunter, um ihrem Schatz um den Hals zu fallen. Doch der war nirgends. Merkwürdig. Sie hatte doch ganz deutlich die Tür gehört? Ah, im Keller brannte jetzt Licht. Also noch eine Treppe tiefer. „Hier bist du“, sie umarmte Lukas, der sich an seiner Werkbank zu schaffen machte, von hinten und schmiegte sich an ihn.
„Hm, schön, dass du wieder da bist“, nuschelte Lukas. „Hab mit Tim über die neue Gartenbank am Zaun gesprochen. Wir machen sie jetzt doch selbst. Muss da eben was vorbereiten.“ Er küsste sie flüchtig, wobei er sich kaum umdrehte, und machte sich dann wieder an den Latten zu schaffen, aus denen vermutlich mal Armlehnen werden sollten.
„Aber das musst du doch nicht heute machen, oder? Wir haben uns die ganze Woche nicht gesehen …“ Marlene war enttäuscht. „Ach doch, lass mich mal machen, jetzt hab ich grad so einen Lauf. Du willst dich doch bestimmt sowieso ausruhen. Schlaf schön – und morgen unternehmen wir dann was zusammen.“ Lukas war in Gedanken ganz woanders. Mist. So viel zu Kuscheln und Wiedersehensfreude. Marlene trollte sich, schenkte sich ein Glas Wein ein und bemitleidete sich noch ein Weilchen. Dann ging sie ins Bett und fiel sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen weckte sie die Sonne, die durchs Fenster schien. Es war kurz vor acht Uhr, sie war ausgeschlafen und bereit, dem Tag das Beste abzugewinnen. Marlene streckte sich und drehte sich zu Lukas um. Das heißt: Sie drehte sich dahin, wo normalerweise Lukas lag, wenn sie aufwachte. Heute lag da aber niemand. Das Bettzeug sah unberührt aus. Er hatte doch wohl nicht die ganze Nacht durchgearbeitet? Zuzutrauen wäre es ihm. Wenn er sich einmal in etwas verbissen hatte, vergaß er Zeit und Raum. Das bedeutete dann allerdings, dass es mit dem gemeinsamen Sonntag nicht viel werden würde. Irgendwann musste schließlich auch ein begnadeter Hobbybastler schlafen.
Marlene rief sich zur Ordnung. Nicht gleich sauer werden, erst mal positiv denken. Das musste sie sich in letzter Zeit immer öfter sagen. Und nur manchmal schämte sie sich im Nachhinein, dass sie Lukas Unrecht getan hatte. Meistens stimmte leider, was sie ihm unterstellte. Zweifellos liebte er sie – jedenfalls hatte sie keinen Grund, daran zu zweifeln. Aber ebenso zweifellos war es für ihn kein Grund mehr zum Jubeln, dass sie ihn zurückliebte. Das nahm er einfach als gegeben hin. Wenn sie da an ihre Anfangszeit zurückdachte: Lukas hatte sein Glück kaum fassen können. Und ihr in jedem Moment das Gefühl gegeben, sie auf Händen zu tragen und anzubeten. Wie man so schön sagte.
Na ja, das konnte wohl nicht fünfzig Jahre so weitergehen. In lang dauernden Beziehungen mussten andere Werte an die Stelle der gegenseitigen Vergötterung treten. Marlene war nicht so naiv, das zu leugnen. Andererseits: Ging das tatsächlich schon vor der Hochzeit los? Die war noch ein wenig undeutlich für das kommende Jahr ‚irgendwann‘ geplant. Sie war gerade mal dreieinhalb Jahre mit Lukas zusammen. Vor einem Jahr hatten sie dieses Haus gemeinsam bezogen und waren immer noch dabei, sich einzurichten. Etwas länger hätte die Begeisterung für ihren Geschmack durchaus anhalten können.
Stattdessen hatte Lukas beim Hauseinrichten sein Heimwerkertalent entdeckt. Und allen Enthusiasmus, den er aufbringen konnte, steckte er nun in selbstgezimmerte Bänke, passgenau angefertigte Regale und kreativ entworfene Blumenkübel. An sich ja ein schönes Hobby. Nur fühlte sich Marlene allmählich schon selbst wie eine Gartenbank. Die hatte man halt und auf der saß man, um sich auszuruhen. Irgendwelche Gedanken verschwendete man daran nicht mehr, wenn sie einmal da war.
Genug Trübsinn geblasen. Marlene schlüpfte in ihren bequemen Jogginganzug und machte sich auf die Suche nach dem verschollenen Geliebten. Die vage Hoffnung, dass er vielleicht gerade beim Brötchenholen war, zerschlug sich schnell: Die Haustür war verschlossen, die Jacke hing am Garderobenständer. Beim Kaffeekochen war er auch nicht, die Küche war verwaist. Also Keller.
Und richtig: Da lag ihr Prinz, die Arme auf die Werkbank gestützt, den Kopf darauf abgelegt, und schnarchte selig leise vor sich hin. Neben ihm standen zwei leere Bierflaschen und eine, die noch halb voll war. Da hatte ihn die Müdigkeit wohl mitten im Schaffensprozess überrascht. Jetzt siegte doch Marlenes Empörung. Sie arbeiteten beide hart in ihren Jobs. Sie war für den Verlag oft auf Dienstreisen und Lukas als Ingenieur häufig auf Großbaustellen im ganzen Land unterwegs. Sie hatten verdammt noch mal nur die wenigen Wochenenden für sich. Was sollte aus ihrer Beziehung werden, wenn sie die auch noch verplemperten?
Tief in ihrem Herzen wusste Marlene natürlich, dass Lukas das ganz anders sehen würde. Er tat ja keinem etwas Böses, im Gegenteil, er machte ihren Garten schöner. Das war nicht gegen sie gerichtet. Und er hatte eine große Abneigung dagegen, auch noch seine wenige freie Zeit minutiös zu verplanen. Sie dagegen tat genau das, weil ihr sonst das Schöne im Leben durch die Finger rann. Man musste es schon einplanen, wenn es stattfinden sollte. Und für heute hatte sie einen Sonntag mit Lukas eingeplant. Wenn der ausfiel, war das nichts, worüber sie sich freute.
Marlene zog sich leise zurück. So nicht. Dann würde sie eben allein etwas unternehmen. Schließlich war sie erwachsen und nicht darauf angewiesen, einen Mann an ihrer Seite zu haben, um sich zu amüsieren. Lief da nicht seit letzter Woche diese hoch gelobte Picasso-Ausstellung im Kunstmuseum? Die würde sie sich jetzt ansehen. Und sich danach in die Herbstsonne setzen und noch gemütlich einen Cappuccino trinken. Und sich vielleicht bei Emilio eins von diesen fabelhaften Cornetti dazu gönnen, die man dort nicht nur zum Frühstück bekam. Apropos Kaffee. Genau. Erst mal brauchte sie einen Kaffee. Und in Ermangelung eines Cornetto wenigstens einen Marmeladentoast.
Als Marlene eine gute halbe Stunde später das Haus verließ, war von Lukas immer noch nichts zu hören und zu sehen. Kurz hatte sie überlegt, ob sie ihm ihre Pläne detailliert hinterlassen sollte, damit er sie in zwei oder drei Stunden treffen könnte. Museum war eh nichts für ihn. Aber sie könnten immerhin noch den Nachmittag gemeinsam verbringen. Dann hatte ihr Stolz gesiegt. ‚Bin unterwegs‘ stand auf dem Zettel, den sie ihm auf die Kommode im Flur legte. Sie bettelte doch nicht um gemeinsame Zeit. Wenn er die nicht brauchte: bitte sehr.
Am späten Nachmittag kam sie zurück, entspannt und beschwingt, noch ganz erfüllt von dem schönen Tag, den sie verbracht hatte. Es war irgendwie auch toll, sich mal selbst was Gutes zu tun, ganz allein und nur für Marlene.
Schon an der Haustür zog ihr köstlicher Duft entgegen: Knoblauch, Kräuter … und Fisch? War das Fisch? Lukas kochte. „Bin wieder da“, Marlene machte sich bemerkbar. Lukas kam aus der Küche, strahlte sie an und nahm sie in die Arme. „Hallo, Liebling, wie schön, dass du endlich da bist. Hattest du einen tollen Tag?“ Er wuschelte durch ihre Haare. „Hab dich vermisst, als ich aufgewacht bin. Aber da war es fast schon Mittag. Ist spät geworden gestern mit der Bank.“ Reumütig blickte er sie an. „Gestern Abend hab ich dich gar nicht richtig begrüßt, da war ich so mit meiner Idee beschäftigt. Tut mir leid.“ Er zog sie mit sich in Richtung Keller. „Muss ich dir unbedingt zeigen. Ist super toll geworden.“
Das war sie wirklich. Die Bank war maßgefertigt für die kleine Ecke am Zaun zu den Nachbarn. Sie glänzte inzwischen strahlend weiß und musste nur noch trocknen. Marlene strahlte auch und sah sich schon auf ihr sitzen und Erbsen auspalen. Oder Karotten putzen und Kräuter zupfen. Oder frische Blumensträuße arrangieren. Was man halt so machte im Garten. Sie hatte wirklich den besten, aufmerksamsten, geschicktesten und allerliebsten Mann der Welt. Und war eine undankbare dumme Nuss, wenn sie das nicht anerkannte.
Es wurde dann noch ein richtig schöner Abend.
Im Büro und anderswo
Am nächsten Morgen holte der Alltag Marlene wieder ein: Was sich halt so auf dem Schreibtisch türmt, wenn man ein paar Tage nicht da war. Das ging nicht nur ihr so, der halbe Verlag war ja auf der Messe gewesen. Insofern wurde sie wenigstens nicht von Kollegen behelligt, die hatten alle genug mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun.
Gegen vierzehn Uhr hatte Marlene ihre Mails einmal durchgesehen, das Unwichtige gelöscht, das Wichtige in Kategorien eingeteilt und alles, was schnell zu bewerkstelligen oder weiterzuleiten war, erledigt. Die langwierigen Aufgaben würde sie ab morgen abarbeiten. Jetzt musste sie erst einmal die Messe nachbereiten, so lange noch alles frisch war. Aber zuerst brauchte sie eine Mittagspause. Und etwas zu essen.
Zum Glück lag das Verlagsgebäude mitten in der idyllischen Altstadt, wo es an jeder Ecke einen Imbiss, ein Café oder mindestens eine Dönerbude gab. Wonach war ihr denn? Zu üppig sollte es nach dem wunderbaren Abendessen gestern eher nicht sein, sonst könnte sie die neue Lederhose, die sie sich aus Frankfurt mitgebracht hatte, gleich wieder vergessen. Und überhaupt. Satt machte müde, und das konnte sie überhaupt nicht gebrauchen. Also vielleicht Thai Curry? Das gab es zwar neulich abends mit Stefan Sommer erst, aber das ging immer. Es schmeckte, war schnell zubereitet und machte nicht dick. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen.
Satt und zufrieden betrat sie eine Stunde später ihr kleines Büro, wo passgenau das Telefon läutete. „Winter“, meldete sich Marlene, die Handtasche noch in der Hand und mit einem Arm noch halb in ihrer Jacke. In der Eile hatte sie nicht aufs Display geschaut – sonst hätte sie wohl erst einmal den Anrufbeantworter drangehen lassen.
„Hier ist Stefan Sommer“, tönte es aus dem Hörer. „Ich wollte nur mal hören, ob Sie gut wieder zu Hause angekommen sind.“ – „Oh, hallo, ja, das bin ich. Und Sie?“ Sehr originell. Was sollte er von ihr denken? Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. „Ich hoffe, die Arbeit geht voran?“, schob sie schnell nach. Ganz die professionelle Lektorin. Gut so.
„Na ja, die Quellenlage ist unverändert hervorragend.“ Stefan Sommer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Weswegen ich anrufe: Könnten Sie mir, bevor ich richtig loslege, schon mal einen Vertragsentwurf zuschicken? Damit ich einen Terminanreiz habe, um fertigzuwerden? Und schon mal überlegen kann, welches Ferrari-Modell ich mir vom Honorar wohl zulege?“ Er lachte.
Das meinte er doch hoffentlich nicht ernst. Oder? Oder??? Marlene zögerte einen winzigen Moment. Dann sagte sie: „Selbstverständlich müssen wir über die Konditionen reden. Auch der Verlag hat ja ein großes Interesse, Sie fest zu binden. Sonst überlegen Sie es sich kurz vor Fertigstellung am Ende und laufen zur Konkurrenz über. Als Termin wäre natürlich eine Vorstellung des Buches auf der nächsten Frankfurter Messe ideal. Da würde unser Marketing so richtig was lostreten. Ob das zu früh käme, können allerdings nur Sie beurteilen. Ich kenne ja Ihre sonstigen Termine nicht. Man könnte auch Leipzig, ein halbes Jahr später, ins Auge fassen. Was das Honorar betrifft: Eventuell sollten Sie mal schauen, ob es nicht eine Preisklasse drunter auch schöne Autos gibt. Was, äh, hatten Sie sich denn so vorgestellt?“
Elegant aus der Affäre gezogen. Jetzt musste er kommen. Für fünf Prozent würde er nicht anbeißen, das war Marlene natürlich klar. Aber wie weit würde sie gehen können? Wie hoch sollte sie die Auflage realistischerweise ansetzen? Das musste sie schnellstmöglich mit Peter und Nele besprechen. Überhaupt: Ihr Chef wusste ja noch gar nichts von dem Coup. Und Nele auch nicht. Die Marketingleiterin würde begeistert sein. Bei solchen Projekten lief sie zur Höchstform auf. Leider gab es sie nicht so häufig, wie Nele das gern gehabt hätte. Aber einen Stefan Sommer konnte man sich eben auch nicht backen. Marlene würde natürlich bescheiden auftreten, wenn sie den Joker aus der Tasche zog. Aber zugeben, dass ihr dieses Goldstück quasi unverhofft in den Schoß gefallen war – soweit würde sie dann auch wieder nicht gehen. Immerhin war die Empfehlung durch Andreas Martens ja ihrer hervorragenden Arbeit zu verdanken.
All das wirbelte blitzschnell durch ihren Kopf. Und so wurde ihr erst mit leichter Verzögerung klar, dass ihr Gegenüber stumm blieb. „Hallo, sind Sie noch dran? Müssen Sie noch rechnen?“ Sie versuchte es mit einem Scherz.
„Nein, das muss ich nicht“, Stefan Sommer klang auf einmal sehr sachlich. „Andreas hat mich über die Honorarzahlungen des Verlags hinlänglich aufgeklärt. Ich mache mir da keine Illusionen. Und aufs große Geld kommt es auch gar nicht an. Aber ein neues Mountainbike sollte irgendwie schon drin sein bei all der Arbeit.“ Marlene atmete auf. „Natürlich, gute Arbeit ist ihren Lohn wert. Ich bringe ja auch kein Geld mit, damit ich in diesem Büro sitzen darf. Obwohl ich manchmal denke, das wäre ganz angemessen. Bei den tollen Autoren, die ich so kennenlerne.“ Sie biss sich auf die Zunge. Ganz so dick sollte sie dann vielleicht doch nicht auftragen. Aber es wirkte.
„Wissen Sie was?“, erklang es am anderen Ende der Leitung, „bis Donnerstag bin ich in Berlin gebunden. Aber am Freitag habe ich eine Abendvorstellung in Köln. Im Stadttheater. Früchte des Zorns – immer wieder schön. Und passend. Ich schicke Ihnen eine Karte. Danach gehen wir nett essen und klären alle Details. Und am Samstag kann ich Ihnen dann noch das Originalmanuskript zeigen, wenn es Sie interessiert.“
Marlene überlegte. Am Freitagabend war sie mit Lukas bei ihrer besten Freundin Alex verabredet. Alex hatte kürzlich Tim kennengelernt und wollte ihn stolz vorführen. Und Alex kochte fantastisch. Aber was gab es da zu überlegen. Stefan Sommer ging natürlich vor. Vielleicht konnte Alex das Essen um einen Tag verschieben? Und wenn nicht – egal. „Das wäre natürlich eine wunderbare Gelegenheit. Super. Das kann ich einrichten.“ Marlene zeigte sich angemessen begeistert, und sie verabredeten die Details. Als sie aufgelegt hatte, machte sie als erstes einen Termin mit Peter und Nele für den kommenden Vormittag. Dann rief sie Alex an und verschob das Essen. Das klappte zum Glück. Und dann schrieb sie es Lukas. Zehn Minuten später las sie seine Antwort. „Mist. Das verstehe ich natürlich. Aber am Samstagabend kann ich nicht. Du weißt doch: Da ist Fußball mit den Jungs. Müsst ihr halt ohne mich auskommen.“
Marlene biss sich auf die Unterlippe. Klar, Samstagabend war alle vierzehn Tage Fußballtraining. Das wusste sie eigentlich. Auch, dass dieser Termin heilig war. Die Jungs kannten sich noch aus der Schule und reisten zum Teil bis zu fünfzig Kilometer an, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Na gut, es war nicht zu ändern.
Früchte des Zorns
Am Freitag saß Marlene erwartungsvoll in der fünften Reihe des Kölner Stadttheaters. Der Vorhang hob sich und sie ließ sich gefangen nehmen vom Spiel der Akteure. Stefan Sommer spielte die männliche Hauptrolle, er war Tom Joad, natürlich. Und er war gut. Sie war beeindruckt, so viel Bühnenpräsenz hatte sie ihm gar nicht zugetraut, ihn eher als ordentlichen, aber nicht herausragenden Fernsehschauspieler einsortiert. Aber was er hier ablieferte, verdiente Respekt.
Sie hatten verabredet, dass sie im Ristorante La Fontana auf ihn warten sollte, wo ein Tisch reserviert war. So vermied sie es, sich mit enthusiastischen Verehrerinnen am Bühneneingang herumdrücken zu müssen. Und er vermied das Aufsehen, dass eine auf ihn wartende attraktive Frau (seine Worte!) für die Klatschpresse bedeutete. Stefan Sommer war Single.
Marlene musste sich nur zehn Minuten gedulden, die sie sich mit einem Aperol Spritz vertrieb. Stefan Sommer hatte sich offensichtlich mit dem Abschminken beeilt und trug jetzt eine lässige Jeans und unter der schwarzen Lederjacke ein dunkelblaues Hemd, das sehr sportlich und sehr teuer aussah. Passte perfekt zu seinen Augen. Diese Schauspieler wussten einfach, wie man sich gut anzog. Zum Glück hatte sie sich ebenfalls aufgebrezelt und musste sich in ihrem türkisfarbenen Wickelkleid nicht verstecken. Passte ebenfalls zu ihren Augen.
„Sie waren toll.“ Marlene meinte es ehrlich. Aber zweifellos hätte sie das auch gesagt, wenn sie weniger beeindruckt gewesen wäre. „Alle waren gut. Aber Sie waren einfach toll.“ Einen Moment zögerte sie, dann sagte sie es doch: „Wenn ich ehrlich sein soll: Ich hatte Sie bisher unter Seriendarsteller abgespeichert. Ich wusste nicht, dass Sie auch Theater spielen.“ Stefan Sommer nahm einen tiefen Schluck von dem Weizenbier, dass der Kellner seinem Stammgast gleich bei dessen Ankunft serviert hatte. „Leider komme ich viel zu selten dazu. Wenn man in Serien mitspielt, muss man sich zwar keine Sorgen mehr machen, wovon man im nächsten Monat die Miete bezahlt, aber man ist zeitlich auch extrem verplant. Das passt dann mit Theaterproben meist nicht zusammen. Mit spannenden Filmangeboten übrigens leider auch nicht. Deswegen überlege ich schon eine Weile, ob ich da nicht etwas ändern sollte. Die Bekanntheit sozusagen mitnehmen und dann das machen, was ich wirklich machen will. Aber ich bringe es noch nicht übers Herz, meinem Lieblingsregisseur das anzutun. Er sagt, er braucht Zeit, um mich aus der Serie rausschreiben zu lassen.“
Marlene war beeindruckt, wie offen ihr künftiger Autor sich zeigte. Wenn sie damit an die Presse ginge, bekäme er bestimmt ein Problem. Er schien ihre Gedanken lesen zu können. „Das dürfen Sie natürlich auf gar keinen Fall irgendwo verlauten lassen, sonst komme ich in Teufels Küche.“ Er grinste. „Aber was anderes: Ich heiße Stefan.“ Nun grinste auch Marlene: „Was Sie nicht sagen, Herr Sommer.“ Der Angesprochene schaute ihr tief in die Augen und sagte beschwörend: „Darf ich dich Marlene nennen, Frau Winter? Das würde unserer Zusammenarbeit bestimmt guttun.“
„Das darfst du, Stefan. Auf gute Zusammenarbeit!“ Marlene erhob ihr Glas. „Freut mich, dass ich den großen Stefan Sommer duzen darf. Es muss sich doch lohnen, dass ich meinen Freund heute Abend versetzt habe.“ Stefan zuckte nicht mit der Wimper. Sollte er weitergehende Absichten oder Hoffnungen gehegt haben, dann ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. Aber dafür war er schließlich Schauspieler.
Marlene nutzte den Rest des Abends, um im Sinne des Verlags mit ihm zu verhandeln, ohne es dabei an Wertschätzung fehlen zu lassen. ‚Zehn Prozent, er ist schließlich absoluter Anfänger‘, hatte Peter vorgegeben. ‚Diese Promis denken immer, sie kommen daher und das Universum liegt ihnen zu Füßen. Wenn es super läuft, können wir für die zweite Auflage zwölf Prozent in den Vertrag schreiben – und für alle weiteren gern fünfzehn. Denn dazu wird es höchstwahrscheinlich sowieso nicht kommen. Und wenn doch: umso besser.‘
Stefan bestellte Spaghetti all’Arrabiata, hörte aufmerksam zu, blieb freundlich, war aber ein harter Verhandlungspartner. Als Autor war er zwar ein Neuling, aber ums Honorar feilschte er offenkundig nicht zum ersten Mal. Marlene allerdings auch nicht. Sie verzehrte mit Genuss ihre Linguine Vongole und blieb verbindlich, aber in der Sache hart. Sie hatte gute Erfahrungen damit gemacht, ehrlich zu sein. Vor allem war es wichtig, nicht gleich alle Karten auf einmal auf den Tisch zu legen. Man musste immer nachgeben können. Zehn Prozent waren ihm zu wenig? Das war bei einem Verkaufspreis von achtzehn Euro grade mal 1,80 €. Da müsste er ja Millionen Bücher verkaufen, um seinen Ferrari zu finanzieren … Stefan seufzte herzzerreißend.
Marlene musste lachen und zog ihm gleich noch einen Zahn: „Sogar noch ein paar Millionen mehr, denn Honorare errechnen sich nicht vom Ladenpreis, sondern vom Nettopreis, sprich: abzüglich Mehrwertsteuer und Rabatte. Also vielleicht schaust du dir doch lieber vermehrt Mountainbike-Prospekte an.“
Als sie beim Dessert angekommen waren, hatten sie sich auf eine relativ niedrige erste Auflage geeinigt, sodass es für Stefan schnell in die Zwölfprozent-Region gehen würde. Und der wiederum hatte versprochen, dass er die nächsten Monate intensiv dem Buch widmen wollte, damit es rechtzeitig in einem Jahr auf den Markt kommen könnte.
Marlene ließ es zu, dass er sie bis zum Hotel brachte und mit einem Küsschen verabschiedete. Morgen würde sie auf dem Weg zum Bahnhof in seinem zukünftigen Zuhause im Belgischen Viertel vorbeikommen und sich den kostbaren Tagebuch-Schatz im Original ansehen. Zufrieden fiel sie wenig später ins Bett und sofort in tiefen Schlaf.