Kitabı oku: «Schlüsselzauber», sayfa 2

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Zweifel

I

ch weiß nicht, ob das so eine gute Idee war.«

»Es ist an der Zeit. Du weißt das ebenso gut wie ich.«

»Aber ich hätte gern mehr Zeit für die Vorbereitung.«

»Hast du doch. Immerhin fünf Tage. Mehr Zeit brauchst du nicht.«

»Das sagst du so einfach.«

»Und ich habe recht damit. Es ist gut, wie es gekommen ist. So konntest du es wenigstens nicht mehr länger vor dir herschieben.«


Ordnung im Chaos

A

m Mittwoch geriet das Zeugnis zur Nebensache, denn für Jule war es der Tag des großen Packens. Nach dem Mittagessen sollte sie ihre Taschen für den Aufenthalt bei Tante Leo packen und anschließend all ihre anderen Sachen in Kartons verstauen, damit die Schränke leichter im Zimmer bewegt werden konnten, wenn das Aufstemmen der Wände erfolgen sollte.

Kaum eine Stunde später saß die Zehnjährige auf dem Boden ihres Zimmers, umgeben von einem wirren Haufen aus Wäsche, Büchern und allerlei Krimskrams.

»Ach herrje«, rief Frau Beek, als sie die Tür öffnete, um Jule das Telefon zu geben, »wann ist das denn passiert? Zum Glück hat die Bombe uns verschont.«

»Ach, Mama, du weißt doch: Nur der Dumme hält Ordnung, das Genie beherrscht das Chaos.« Jule grinste. »Lass mich nur machen. Schließlich will Gepäck für sechs Wochen wohlüberlegt sein.«

»Na, dann lass ich mich mal überraschen. Einstweilen wird das Genie jedoch am Telefon verlangt. Deine Tante ist dran.«

Jule sprang auf. »Sie wird doch wohl nicht im letzten Moment einen Rückzieher machen?« Sie riss ihrer Mutter das Telefon aus der Hand. »Hallo, Tante Leo?«

»Was du immer gleich denkst«, murmelte Frau Beek im Weggehen, »von mir hast du das jedenfalls nicht.«

»Lieblingsnichte, bist du noch beim Packen?«, fragte Tante Leo.

»So gut wie«, antwortete Jule und überkreuzte Zeige- und Mittelfinger beim Blick auf ihr geordnetes Chaos.

»Gut, dann ist es mir noch rechtzeitig eingefallen.«

»Was denn, Tante Leo?« Zumindest klang es nicht danach, als wollte ihre Tante alles absagen.

»Dich daran zu erinnern, Schwimmzeug mitzubringen. Bei uns gibt es ’nen tollen See, da ist es beinahe wie am Meer, und da könnten wir ab und an hingehen. Natürlich nur, wenn du willst. Schwimmst du denn gerne?«

»Ob ich gerne schwimme? Fressen Kühe Gras?«

»Ich kenn mich mit dem Speisezettel von Kühen jetzt nicht so gut aus, aber zumindest hab ich schon einige gesehen, die Gras gefressen haben.«

Jule kicherte. Die Ferien würden nicht nur toll, sondern hammermäßig supertoll werden.

»Jedenfalls hab ich gedacht, ich erinnere dich vorsichtshalber an das Schwimmzeug. Nachher bringst du nur ein Abendkleid mit, was zum Schwimmen doof wäre.«

»Cool, danke, dann pack ich meinen Badeanzug auf jeden Fall mit ein.« Jule grinste. »Aber das Abendkleid darf ich trotzdem auch mitbringen, oder?«

»Nur, wenn du auch einen Hut mitbringst. Hier achtet man schon sehr auf die Kleidervorschriften.«

»Danke, dann bis morgen.«

»Bis morgen, du verrücktes Kind.«

»Selber.«

Jule legte das Telefon auf den Schreibtisch und hüpfte zurück in ihr Chaos. Wie hatte sie auch nur eine Minute glauben können, dass ihre Tante absagen würde? Tante Leo war cool. Musste man vermutlich auch sein, wenn man mit vollem Namen Leokardia hieß.

***

Als Frau Beek Jule Stunden später zum Abendessen holte, war das Chaos noch chaotischer geworden, denn es verteilte sich mittlerweile auch auf Bett, Sessel und Schreibtisch. »Das nehm’ ich mal lieber mit«, sagte sie und fischte das Telefon unter einem Paar grüner Socken und einem Wollpullover hervor, wo es gerade eben noch zu sehen war. »Bist du sicher, dass du rechtzeitig fertig wirst?«

Jule, die gerade in einem Buch blätterte, sah hoch. »Mama, chill doch mal. Der Koffer ist gepackt, jetzt sind nur noch die Tasche und der Rucksack dran. Was ich mitnehme, will schließlich genau überlegt sein.« Sie klappte das Buch zu und warf es aufs Bett, wo bereits drei Bücher lagen. Dann schnappte sie das nächste aus dem Stapel neben sich und blätterte wieder.

»Schön und gut«, sagte Frau Beek, »aber der Rest will auch noch eingepackt werden.« Sie deutete auf die Kartons, die noch ungefaltet an der Wand neben dem Fenster lehnten.

»Ich weiß. Und das geht ja nun wirklich ratzfatz. Kartons auf und Zeugs rein.«

»Vielleicht leiht Papa dir seine Schaufel.« Frau Beek seufzte und wandte sich ab. »Komm essen.«

»Wuhu!« Jule warf das Buch zurück auf den Stapel und war im Nu an der Tür. »Ich hab’ Hunger wie ein Bär. Packen macht hungrig.«

Erneut seufzte Frau Beek und verdrehte die Augen. »Dann mal los zur Raubtierfütterung.«

***

Sooft Frau Beek nach dem Abendessen an Jules Zimmer vorbeikam, legte sie eine Hand auf die Türklinke und lauschte. Doch sie verkniff es sich hineinzusehen und vertraute darauf, dass Jule ihr Versprechen hielt. Um neun Uhr schließlich hielt sie es nicht mehr aus und betrat das Zimmer.

Jule lag im Schlafanzug auf ihrem Bett und las. Ihr Reisegepäck stand neben der Tür, die Kartons waren unter dem Fenster aufgereiht und allesamt verschlossen. Bis auf das Buch in ihrer Hand lag nichts mehr im Zimmer herum.

»Wow«, entfuhr es Frau Beek. Sie war nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber dieser Anblick überraschte sie.

»Mama«, Jule setzte sich auf und legte das Buch neben sich, »ich hab’ doch gesagt, ich krieg’ das hin.«

Ihre Mutter nickte und betrachtete die Kartons, deren Deckel sich bei einigen nicht vollständig schließen ließen. »Lass mich raten: Du hast alles wahllos hineingepackt. Komplett unsortiert.«

»Klar«, antwortete Jule und grinste. »Es reicht vollkommen, wenn ich es beim Auspacken sortiere.«

»Das nenne ich effizient arbeiten.« Herr Beek schob sich an seiner Frau vorbei ins Zimmer. »Rechtzeitig fertig und nicht mehr getan als nötig.« Lachend zwinkerte er Jule zu, die zurückzwinkerte. »Dann nehme ich das Gepäck der Dame mal mit in den Korridor und stelle es schon mal an die Tür.«

»Darf ich denn noch lesen? Es sind doch Ferien und ich kann vor Aufregung doch eh nicht schlafen. Außerdem hätte ich dann ein Buch weniger zu schleppen.«

Herr Beek hievte das Gepäck hoch und stöhnte. »Du solltest schon noch was hierlassen. Dafür waren doch die Kartons gedacht.«

Jule kicherte. »Das liegt nur an den Büchern. Wissen wiegt schwer.«

»Hast du überhaupt welche, die hierbleiben?«, fragte Frau Beek.

»Klar!« Jule deutete auf das Buch neben sich. »Aber nur, wenn ich es schaffe, es auszulesen.«

»Dieses Kind«, seufzte Frau Beek und verdrehte die Augen. »Das hat sie von dir.«

»Und ich sag noch, lass uns lieber einen Hund kaufen.«

Jule packte ihr Kopfkissen und warf es nach ihrem Vater, doch ihre Eltern waren bereits lachend aus dem Zimmer verschwunden und hatten die Tür zugezogen, so dass das Kissen lediglich die Türgarderobe traf. Grinsend warf die Zehnjährige sich bäuchlings aufs Bett und vertiefte sich wieder in ihr Buch. Ihr Bauch rumpelte und pumpelte, so sehr freute sie sich auf den nächsten Tag, und sie blieb bis weit nach Mitternacht wach.

Doch ihre Eltern sagten nichts dazu, denn es waren Ferien und sie hatte auf der Fahrt morgen noch Gelegenheit, etwas Schlaf nachzuholen.


Langweilig wird es garantiert nicht

A

m nächsten Morgen musste Jule früher aufstehen, als wenn sie Schule gehabt hätte. Die Fahrt zu Tante Leo dauerte ungefähr eine Stunde und die Zehnjährige wollte nun mal so früh wie möglich dort eintreffen. Da Herr Beek aber später noch arbeiten musste und Frau Beek schon längst aus dem Haus war, blieb Jule nichts anderes übrig, als unausgeschlafen am Frühstückstisch zu sitzen und lediglich auf Aufforderung in ihr Brot zu beißen.

»Dein Chef hätte dir heute ruhig mal frei geben können«, murrte sie kauend.

»Das ist nicht drin, ich hab nächste Woche frei, wenn es hier losgeht. Und dann noch mal, wenn es an die Feinarbeit geht. Ein paar Tage wollte ich mir wenigstens noch für den Herbst aufheben. Du kannst gleich im Auto noch etwas schlafen. Oder ich sag Leo, dass du erst abends kommst, dann kannst du hier den ganzen Tag schlafen.«

»Auf gar keinen Fall!« Jule wollte noch mehr sagen, doch sie sah ihren Vater breit grinsen und musste lachen. »Schon gut, ich hör’ auf zu muffeln. Meine gute Laune braucht halt nur länger zum Wachwerden.«

***

Obwohl Herr Beek für die Fahrt ein Hörbuch angemacht hatte, konnte Jule sich weder konzentrieren noch schlafen. Dazu war sie viel zu aufgeregt.

Bislang war Tante Leo zu den Feiern immer nur zu Familie Beek nach Hause gekommen. »Meine Höhle taugt nicht für das gemeine Volk«, pflegte sie dann zu sagen, wobei sie Jule stets verschwörerisch zuzwinkerte. Und nun war sie auf dem Weg in eben diese Höhle. Und genau deswegen stellte Jule sich vor, dass ihre Tante in einer Hobbit-Wohnhöhle in einem Hügel wohnte, mit einer kreisrunden Tür und ebensolchen Fenstern. Daneben floss mit Sicherheit ein Bach und einen Wald gab es ebenfalls in der Nähe. Seit Jule letztes Jahr das Buch Der kleine Hobbit gelesen hatte, stellte sie es sich jedenfalls so vor. Und warum sonst sollte Tante Leo ihr Zuhause Höhle nennen? Deshalb konnte Jule es nicht abwarten, dass sie endlich ankamen.

Der erste Anblick war ernüchternd.

Herr Beek parkte den Wagen vor einem dreistöckigen Mehrfamilienhaus mit schmuckloser, grauer Fassade – ein normales Haus in einer normalen Straße. Das konnte unmöglich Tante Leos Zuhause sein.

Doch ihr Vater stieg aus und holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum, so dass Jule nichts anderes übrigblieb, als ebenfalls auszusteigen. Noch einmal schaute sie sich um. Alles normal. Und langweilig.

Mittlerweile hatte Herr Beek die Haustür erreicht, stellte das Gepäck ab und klingelte. Dann winkte er Jule zu und bedeutete ihr so, dass sie sich beeilen möge.

Wenigstens hatte das Haus die Nummer Sieben, eine ganz und gar magische Zahl, davon berichteten jedenfalls unzählige Bücher, die Jules Regal bevölkerten. Dennoch schlurfte sie lustlos zur Haustür. Das konnte was werden.

Tante Leo wohnte im zweiten Stock und mit jeder Stufe wurde Jules Laune übler. Vielleicht war Tante Leo nur cool, wenn sie zu Besuch kam, und war zu Hause schlimmer als Mama und Papa zusammen, wenn sie mal wieder der Meinung waren, sie müssten härter durchgreifen.

»Bruder!«, hörte sie ihre Tante rufen, weil Herr Beek trotz des Gepäcks ungleich schneller als Jule war.

»Schwester!«, rief Herr Beek zurück.

Jule hatte mittlerweile die letzte Treppe vor der Wohnungstür erreicht und sah ihren Vater seine Schwester umarmen.

Tante Leo trug einen Morgenmantel über einem Schlafshirt, auf dem eine Zeichnung von Micky Maus prangte, und hatte ein Handtuch um ihre Haare geschlungen. Vielleicht war es auch ein Turban.

Jule blinzelte. Ihre Tante war barfuß. Ob sie das wohl als Argument verwenden konnte, wenn sie mal wieder »vergaß«, ihre eigenen Pantoffeln anzuziehen?

»Nichte!«, rief Tante Leo jetzt und breitete die Arme aus. »O Freude, sie gibt sich die Ehre, mich in meinem Turm zu besuchen.«

»Es ist doch nur der zweite Stock«, gab Jule zurück und nahm die nächste Stufe in Angriff.

»Deinem Gesichtsausdruck und deiner Geschwindigkeit zufolge hast du mindestens schon zehn weitere Stockwerke erklommen. Warum guckst du so mutzig? Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«

»Sie ist vollkommen unausgeschlafen«, antwortete statt Jule Herr Beek, der das Gepäck bereits in die Wohnung getragen hatte und nun wieder auf den Flur trat.

»Vollkommen ist sie wahrlich – ob es nur unausgeschlafen ist, wage ich jedoch zu bezweifeln. Auf, auf, sonst überlege ich es mir noch, ob du weiterhin meine Lieblingsnichte bleibst, und frage eine der drölfzig anderen.« Tante Leo wedelte mit den Armen, um Jule anzuspornen. Dabei verrutschte jedoch das Handtuch auf ihrem Kopf und gab ein paar bunte Haarsträhnen frei. Rosa, violett, blau und grün schimmerten sie, und Herr Beek starrte seine Schwester verdutzt an, so dass Jule nun doch lachen musste.

»Was um alles in der Welt ist das denn?«, fragte er und schüttelte den Kopf.

»Was ist was?«, fragte Tante Leo, nahm das Handtuch vollends herunter und zupfte an einer Locke. »Ich denke, es sind Haare. – Warte.« Behutsam steckte sie die Locke in den Mund. »Ja, doch, schmeckt wie Haare«, stellte sie daraufhin fest und strahlte ihren Bruder an.

Der verdrehte die Augen. »Schmecken die unterschiedlichen Farben dann wenigstens auch unterschiedlich?«

»Natürlich nicht. Wie kommst du nur darauf?«

»Na, irgendeinen Grund musst du doch haben, um wie ein Papagei herumzulaufen.«

Tante Leo umarmte erst Jule, die endlich an der Wohnungstür angekommen war, ehe sie sich wieder ihrem Bruder zuwandte. »Du hast es erfasst, Bruder, ohne es zu ahnen hast du die Wahrheit ausgesprochen. Mein Ansinnen ist es, fortan einem Papagei gleich durch die Welt zu gehen.«

Wieder verdrehte Herr Beek die Augen und wandte sich dann an Jule. »Ich muss los, Schneckchen, aber ich seh’ schon – langweilig werden diese Ferien garantiert nicht.«

Jule umarmte ihren Vater, beugte sich dann übers Treppengeländer und sah ihm nach, wie er die Treppen hinuntereilte. Als die Haustür ins Schloss fiel, drehte sie sich wieder zu ihrer Tante um. »Und warum sind deine Haare jetzt wirklich so bunt?«

Tante Leo zuckte die Achseln. »Die Tochter einer Arbeitskollegin macht eine Friseurlehre und ist sehr experimentierfreudig und da ich ja jetzt sechs Wochen frei habe, hab ich mich erweichen lassen. Immerhin trage ich jetzt die Farben des Universums in meinem Haar.«

Jule zog die Nase kraus und runzelte die Stirn. »Findest du?«

»Ja, aber klar doch. Komm mit!« Damit zog sie Jule in die Wohnung und stellte sich im Korridor unter ein Poster, das tatsächlich die Farben auf Tante Leos Kopf zeigte. »Siehst du. Das ist ein Bild von der kleinen Magellanschen Wolke und ich finde die Ähnlichkeit frappant.«

Jetzt war es so weit, nun befand sie sich in der Höhle der Löwin. Denn immerhin hieß Leokardia auf Deutsch Löwenherz und … der Korridor sah – bis auf das Poster – ziemlich normal aus. Ein Schuhschrank, eine Garderobenstange und ein Spiegel. Dazu ein Schirmständer in Form einer alten Messingmilchkanne und in der Ecke hing ein Schlüsselkästchen, welches mit einem kleinen Türchen verschlossen war. Und dieses Türchen zierte das Bild einer Löwin aus Zinn. Und dennoch war Jule enttäuscht. Tante Leos Höhle hatte sie sich definitiv anders vorgestellt.

»Warte ab, bis du den Rest gesehen hast«, sagte Tante Leo leise und Jule schrak zusammen. Konnte ihre Tante Gedanken lesen?

Die zeigte mittlerweile auf die Tür links vom Eingang. »Das Bad. Auch nichts Besonderes. Toilette, Waschbecken und Dusche. Bad halt.« Nun zeigte sie auf die Tür rechts vom Eingang. »Mein Reich. Und mit mein meine ich auch mein. Soll heißen, dass du nie, niemals, unter keinen wie auch immer gearteten Umständen, keinesfalls jemals dieses Zimmer betreten wirst. Es gibt nur diese eine Regel hier in diesem Haushalt. Solltest du jedoch diese Regel missachten, müsste ich dich in den Keller bringen und dort anketten. Da dürfte zwar noch einer vom letzten Jahr hängen, aber damit wärst du wenigstens nicht alleine.«

Jule schluckte. War das Tante Leos Ernst? Und überhaupt – wusste sie denn nicht, dass solche Verbote die Neugierde erst recht anstachelten? Sie musste es irgendwie schaffen, wenigstens einmal in den nächsten sechs Wochen einen Blick in das Zimmer werfen zu können. Das wäre doch gelacht.

Einstweilen folgte sie ihrer Tante jedoch durch die letzte Tür in das nächste Zimmer.

»Dies ist das Gesellschaftszimmer«, stellte Tante Leo den Raum vor und breitete die Arme aus, als wollte sie das komplette Zimmer umarmen. »Manche nennen es Wohnküche, andere bezeichnen es als den halben Raum im Mietvertrag und in den Wohnungsanzeigen. Ich hingegen nenne es Luola.« Sie beugte sich zu Jule hinüber. »Das ist Finnisch und heißt Höhle.« Lächelnd richtete sie sich wieder auf. »Den Tisch hat ein Freund aus einer alten Esche selbst gezimmert, die Stühle hab’ ich nach und nach auf dem Flohmarkt entdeckt, der Schrank ist noch von meiner Oma und die Küchenzeile samt Theke war schon drin, als ich eingezogen bin.«

Jule grinste. Die Küchenzeile war viel moderner als das alte Küchenbuffet, das sie von ihrer eigenen Oma kannte. Allerdings stand es bei ihr daheim nur noch im Keller, um darin die Konserven zu stapeln. Tante Leo hatte ihr Exemplar jedoch aufgehübscht, denn es war über und über mit Blättern bemalt, so dass es aussah wie eine dichtbelaubte Baumkrone. Hie und da waren sogar Tiere zu sehen, die sich hinter den Blättern verbargen. Der Esstisch war groß und wirkte wie frisch aus dem Wald. Das Holz war kaum bearbeitet, aber als Jule mit der Hand behutsam über die Tischplatte strich, stellte sie fest, dass sie vollkommen glatt war.

»Da ich Küchenzeile und Theke beim Auszug im Originalzustand hinterlassen muss, habe ich hier nichts verändert. Allerdings habe ich eine andere Methode gefunden, wie ich diesen Anblick vermeide.« Tante Leo trat zur Seite und zog einen Vorhang über die ganze Breite des Zimmers. Der Stoff war dunkelblau und mit Goldfäden durchwirkt, so dass er glitzerte wie der Sternenhimmel. »Ist übrigens auch ganz praktisch, wenn man mal nicht gespült hat und am Tisch sitzen möchte, ohne dauernd an dieses Versäumnis erinnert zu werden.«

»Mama hat dafür ihre Spülmaschine«, sagte Jule lachend, »aber deine Lösung finde ich viel hübscher.«

»Sagte sie und hatte keine Ahnung, dass der Spüldienst die nächsten Wochen ihre Aufgabe sein wird.« Tante Leo grinste breit.

»Was?« Jule schnappte nach Luft und pustete die Wangen auf. »Ich? Spülen?«

»Na, irgendein Vorteil muss doch für mich rausspringen, wenn ich dir schon die nächsten sechs Wochen Kost und Logis biete, zumal ich gehört habe, dass du einen überaus gesunden Appetit hast«, entgegnete Tante Leo und zog den Vorhang wieder auf. »Aber keine Sorge, auch ich habe eine Spülmaschine.« Sie nickte hinüber zu einer Klappe, die Jule nicht aufgefallen war und die tatsächlich eine Spülmaschine beherbergte.

Die Zehnjährige atmete auf.

Währenddessen war Tante Leo zur nächsten Tür getreten. »Hier befindet sich nun dein Reich, denn ich habe für dich extra mein Wohnzimmer geräumt.« Sie öffnete die Tür. »Es heißt übrigens Hellir. Das ist Isländisch für Wohnzimmer. Ich mag es einfach, Dingen einen Namen zu geben. Mein Telefon heißt Gertrud und mein Schaukelstuhl Egidius. Da er schüchtern ist, steht er nun im Schlafzimmer, tut mir leid. Aber das Schlafsofa möge dein Bett sein, die Truhe wird sich tagsüber um dein Bettzeug kümmern und das Bücherregal ist zu deiner freien Verfügung. Ich habe mir sagen lassen, du kannst etwas mit Büchern anfangen.«

Jule betrat den Raum und schaffte es nicht, ihren offen stehenden Mund zu schließen. Über die gesamte Breite des Raums erstreckte sich ein Bücherregal. Das waren mit Sicherheit vier Meter, wenn nicht sogar fünf. Da hätte sie gar keine Bücher mitbringen müssen.

»Weiß Papa, dass du so viele Bücher hast?«

»Ich denke nicht, er war noch nie hier. In meiner alten Wohnung hatte ich die meisten noch in Kartons im Keller.« Tante Leo zuckte die Achseln.

»Wow.« Jule drehte sich einmal um die eigene Achse. Das Sofa war blaukariert, die Truhe sah alt aus und überall an den Wänden hingen Bilder. Große, kleine, in Farbe, schwarzweiß, in allen möglichen Stilen, so dass Jule sich gar nicht sattsehen konnte. Neben der Tür stand ein Apothekerschrank mit unzähligen Schubfächern und neben dem Sofa stand noch ein Sekretär, beide sichtlich alt, aber in hervorragendem Zustand.

»Mein Freund, der Tischler«, sagte Tante Leo und zwinkerte Jule zu. Dann zog sie den Vorhang an der Wand, die der Tür gegenüberlag, zurück. »Et voilà – Fenster und Wohlfühloase.«

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