Kitabı oku: «Das Verlorene Vermächtnis»
Robert Blake
Das verlorene Vermächtnis
Übersetzt von Lena Schot
Originaltitel: El Legado Perdido
© 2017 Robert Blake
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Index
Prolog
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Prolog
Thessaloniki, 1912
—Mehr als eine halbe Stunde warte ich schon in dieser stickigen Hitze—schnaufte der Museumsdirektor und ließ seine Uhr wieder in der Innentasche seines Sakkos verschwinden—. Wann taucht der Schiffer endlich auf?
Unablässig zog er seine Kreise, obwohl der morgendliche Dunst ihn keine zwei Palmen weit sehen ließ. Nur das entfernte Planschen von ein paar Vögeln unterbrach die drückende Stille.
—Lange kann es nicht mehr dauern—antwortete ich und betrachtete noch einmal das antike Pergament.
—Glauben Sie, dass wir in dem Nebel den exakten Ort finden werden?—fragte der Alte weiter.
Kalisteas biss sich auf die Lippe. Langsam reichten ihm die Klagen des Alten.
—Sobald sich die ersten Sonnenstrahlen blicken lassen, wird sich der Nebel verziehen und den Blick auf den See freigeben.
—Sind Sie sicher?
—Ich habe den Weg jetzt schon oft zurückgelegt—antwortete er mit einer gewissen Überheblichkeit.
Der Direktor betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, er konnte Eitelkeit nicht ausstehen.
—Ich hoffe, du bist dir sicher—sagte ich, während ich ihm fest in die Augen blickte—. Diese Karte kann man nur an einem klaren, hellen Tag richtig lesen.
—Und auch nur, wenn es sich nicht um die ungenaue Kopie eines Skriptors aus einem der vorigen Jahrhunderte handelt—fügte der Direktor mit einem Anflug von Lächeln hinzu.
—Sonst wäre unsere gesamte Reise nach Thessaloniki ja auch völlig umsonst gewesen—gab ich nicht ganz unironisch zur Antwort—. Ich lasse mich nie auf eine Unternehmung ein, wenn ich nicht vorher genügend Beweise gesammelt habe. Dieses Pergament stammt aus dem 4. Jahrhundert.
—Ich weiß. Nur das hat mich aus meiner Bibliothek herausgelockt. Trotzdem muss ich meine Zweifel äußern—flüsterte er in einem sanfteren Ton.
In dem Moment tauchte die Gestalt des Schiffers aus dem Nebel auf; gehört hatten wir ihn nicht. Er begrüßte Kalisteas und bedeutete uns mit einer Geste, ins Boot zu steigen.
—Sie glaubten schon, dass du überhaupt nicht mehr kommst—sagte Kalisteas—. Meine Freunde wurden schon richtig nervös.
Der Schiffer sah ihn durchdringend an; er war offensichtlich kein Freund von Vorhaltungen.
—In diesem Nebel fällt die Navigation selbst mir schwer—erklärte er.
Kalisteas sah ihn überrascht an.
—Fahren wir—fügte er mit Nachdruck hinzu—. Bei diesen Bedingungen werden wir doppelt so lange bis zu unserem Ziel brauchen.
Der Schiffer stütze ein Knie auf das splittrige Holz und begann das Boot mit seinem langen Ruder anzutreiben, während wir anderen ihm gegenüber saßen und versuchten, irgendetwas im Nebel zu erkennen. Die Luft war warm und das Wasser lag vollkommen still vor uns, lediglich ein paar Vögel unterbrachen die Stille des Sonnenaufgangs.
Schließlich drangen die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken und ließen den letzten zarten Nebel sinken, was das Feuchtgebiet vor unseren Augen in eine wunderschöne Morgenlandschaft verwandelte.
Auch die Grotte, zu der wir unterwegs waren und die von weitem lediglich, wie eine dunkle Vertiefung aussah, wurde beim Näherkommen immer besser sichtbar.
—Der Meeresspiegel ist noch nicht tief genug gesunken!—rief Kalisteas auf unser Ziel zeigend—. Die halbe Höhle steht noch unter Wasser!
Lediglich der obere Teil war trocken. Das Wasser reichte noch bis zu dreiviertel der Höhle.
—Das Schriftstück sagt ausdrücklich, dass der Meeresspiegel nur in diesem Monat tief genug sinkt, um die Höhle freizugeben—bemerkte ich.
—Im letzten Monat hat es oft und stark geregnet. Darum steht das Wasser viel höher als gewöhnlich.
—Was jetzt?—schnaufte der Direktor wieder.
—Wir werden schwimmen müssen, mein Freund—verlautbarte Kalisteas mit einem spöttischen Lächeln, der Umstand erheiterte ihn sichtlich.
Der Schiffer setzte uns an der dunklen Öffnung ab, durch die wir ins Innere springen mussten, um dann einen kurze Strecke schwimmend zu einem Felsvorsprung am hinteren Ende der Höhle zurückzulegen.
—Habt ihr den Schiffer bezahlt?—erkundigte sich unser griechischer Begleiter, als wir schließlich im Trockenen waren.
—Wir hatten keine Zeit. So schnell, wie wir ins Wasser gesprungen sind.
Kalisteas schüttelte mehrmals den Kopf.
—Wir bezahlen ihn nach der Rückfahrt—versicherte ich ihm.
—Er erwartete seine Bezahlung jetzt. Woher willst du wissen, dass es eine Rückfahrt geben wird?—fügte er verärgert hinzu und verschwand in einen kleinen Tunnel links von ihm.
—Warum ist er wütend?—flüsterte mir der Professor ein paar Meter weiter ins Ohr, als Kalisteas sich ein Stück von uns entfernt hatte.
—Es bringt Unglück, die Überfahrt nicht zu bezahlen—erklärte ich ihm—. Griechen sind sehr abergläubisch.
Wir folgten Kalisteas einen schmalen, kurvenreichen Korridor entlang. Während er uns weiter abwärts führte, wurde die Hitze immer stickiger. Dann kamen wir zu einer Kreuzung von zwei Tunneln sowie einer kleinen Felsöffnung, die weiter nach unten führte.
—Bis hierher kannte ich den Weg—sagte Kalisteas leise—. Jetzt seid ihr dran.
Ausführlich analysierten wir die Weggabelung, bis der Professor in einem der Tunnel im unteren Bereich eine Inschrift entdeckte und sich mit einem triumphalen Lächeln zu uns umdrehte.
—Nach dieser Markierung haben wir gesucht—verkündete er—. Daran besteht kein Zweifel.
Wir setzten unseren Weg durch einen engen, nur von unseren Kerosinlämpchen erleuchteten Gang fort und lauschten dem Flattern der Fledermäuse hinter uns, bis der Weg abrupt endete.
Nachdem wir rundum alles beleuchtet hatten, tat sich zu unserer Linken eine schmale Öffnung auf, durch die selbst ein einzelner Mensch kaum passte.
—Der geheime Eingang—verkündete der Professor.
Kalisteas bückte sich und schlüpfte in den Durchgang; wir folgten dicht hinter ihm.
Der Tunnel setzte sich in gerader Linie fort. Wir folgten ihm auf Knien rutschend, um nicht mit den Köpfen an der Decke zu streifen. Wir hatten schon fast kein Gefühl mehr in den Beinen, als wir endlich am Beginn einer steinernen Wendeltreppe ankamen, die wir anschließend vorsichtig hinabstiegen.
Nach dem Abstieg keuchte der Professor schwer.
—Geht es allen gut?
—Ja, nur keine Sorge. Ich bin eine alte Bibliotheksratte und körperliche Anstrengung nicht gewohnt, aber ich werde nicht aufgeben.
Endlich lächelte Kalisteas, da er so etwas wie Abenteuergeist im gebeugten, alten Professor zu erkennen glaubte.
—Ich glaube, wir sind am Ende unseres Wegs angekommen—verkündete der Grieche und machte eine Geste in den Raum vor uns.
Vor unseren Augen breitete sich eine dunkler, unterirdischer Teich aus, der uns den Weg versperrte. Beim Nähertreten ans Ufer glaubten wir am anderen Ende der Grotte einen kleinen Altar erkennen zu können, der von unserem Standpunkt aus kaum sichtbar war.
—Wir haben nur zwei Optionen—erklärte ich, während ich mich meinen zwei Begleitern zuwandte—. Entweder wir durchqueren den Teich oder wir kehren um und versuchen unser Glück in einem anderen Tunnel.
—Etwas an dieser Höhle gefällt mir nicht—antwortete der Professor—. Es ist zu still hier.
Wir nahmen das Ufer sorgfältig unter die Lupe. Es handelte sich um ein kleines Stück Erdreich, an dessen Enden sich riesige Felswände von etwa zehn Metern erhoben, die sich zu beiden Seiten des Teichs nach hinten erstreckten.
—Das andere Ufer ist nicht weit entfernt—sagte Kalisteas—. Ich bin ein guter Schwimmer. Ich glaube, dass ich es problemlos auf die andere Seite schaffen kann.
—Außer dem Altar gibt es in dieser Höhle keine Spur von Menschen. Scheint, als wäre seit Jahrhunderten niemand mehr hier gewesen—stellte der Professor fest.
Wir starrten ihn beide an, als hätte er unsere Gedanken gelesen. Der Grieche zog seine Kleider aus und bereitete sich darauf vor, sich ins Wasser zu stürzen.
—Bist du sicher, dass du es bis zum anderen Ufer schaffst?—fragte ich ihn.
Er lächelte nur und nickte.
Er ließ sich ins Wasser gleiten und kraulte zitternd darauf los, wobei ihm Dunstwölkchen aus dem Mund strömten. Er war noch nicht weit geschwommen, als wir ein Planschen im Wasser hörten und sich nur wenige Meter von ihm entfernt eine kleine Welle formte.
—Dort, schau—sagte der Professor.
—Schwimm so schnell du kannst zum Ufer zurück!—rief ich ihm zu—. Im Wasser ist etwas!
Kalisteas sah sich nach links um, wo sich mit großer Geschwindigkeit etwas auf ihn zu bewegte.
—Das Licht dorthin, Professor!—sagte ich, holte den Revolver aus meinem Rucksack und feuerte in Richtung der Welle.
Das Geräusch der Schüsse schien die Kreatur im Teich abzuschrecken, so dass Kalisteas es sicher und wohlbehalten zurück zu uns ans Ufer schaffte.
—Jetzt wissen wir, warum den See seit Jahren niemand mehr betreten hat—sagte der Grieche, während er sich gleichzeitig trocknete und seine Kleider wieder anzog.
—Und was jetzt?—fragte der Professor.
—Absolut keine Ahnung—antwortete ich und sah mich in der unheilvollen Höhle noch einmal um.
Noch einmal untersuchten wir jeden Zentimeter der Höhle mit größter Sorgfalt und versuchten, eine Lösung zu finden. Im Prinzip hielten wir es alle für die beste Idee, umzukehren und an einem anderen Tag mit der richtigen Ausrüstung wiederzukommen. Aber wir waren weit vom nächsten Dorf entfernt und in ein paar Tagen würde der Eingang der Höhle wieder ganz unter Wasser stehen. Dann würden wir ein ganzes Jahr warten müssen, bevor wir einen weiteren Versuch unternehmen konnten.
Erschöpft ließen wir uns auf einer kleinen Felsformation in der Nähe des Wassers nieder. Trotz der Dunkelheit spiegelten sich die Fackeln, die wir am Ufer aufgestellt hatten, im Wasser des Teichs und schufen einen glitzernden Sternenhimmel am Höhlengewölbe.
Das Bild erinnerte mich daran, wie ich Jahre zuvor im Urlaub noch vor dem Morgengrauen aufgestanden war, um die Gipfel der Schweizer Alpen zu bezwingen.
—Wie viel Seil, hast du mitgebracht?—fragte ich Kalisteas, während ich von meinem Sitz hochschnellte, als wäre er eine Sprungfeder.
—So viel, wie du bestellt hast. Ein paar Meter.
—Seht ihr die Felswand, die sich fast diagonal durch die Grotte zieht?—fragte ich darauf zeigend—. Sie beginnt hier am Ufer und reicht bis zum Altar. Wenn ich daran hinüberklettern kann, muss ich mir nicht mal die Zehen nass machen.
—Sind Sie verrückt?—gab der Professor zurück, als wären wir in seiner Vorlesung an der Universität Oxford.
—Ich schaffe es von einem Ende zum andern. Da—sagte ich wild gestikulierend—die Feuchtigkeit hat im Fels unendlich viele Vertiefungen geschaffen. An der Felswand schafft man es also problemlos hinüber. Ich hoffe nur, dass wir genug Seil haben.
—Das ist zu riskant—meinte Kalisteas. Da fiel mir zum ersten Mal die Angst in seinen Augen auf.
—Ich habe es nicht bis hierher geschafft, nur um jetzt umzukehren, so kurz bevor wir die größte Entdeckung der Geschichte machen—antwortete ich wütend.
Beide senkten den Blick und sagten nichts weiter.
Nachdem wir die Ausrüstung vorbereitet hatten, überlegte ich noch einmal gut, ob ich das auch wirklich wagen sollte. Dann begann ich mit dem Aufstieg. Der erste Streckenabschnitt war einfach. Ich kletterte nicht zu hoch, nur auf etwa sechs Meter über die Wasseroberfläche, damit mich aus dem Wasser nichts angreifen konnte.
Während ich mich weiterbewegte, steckte ich Haken in die Wand, an denen ich das Seil festmachte, um es dann als Absturzsicherung durch meinen Gürtel zu ziehen. So bewegte ich mich an der Wand entlang, Schritt für Schritt, mit äußerster Vorsicht, wobei ich die natürlichen Vertiefungen nutze, die das Wasser über die Jahre im Fels hinterlassen hatte.
Nach der Hälfte des Weges wurde meine Erschöpfung langsam spürbar. Ich sah nach unten und glaubte zu sehen, wie das Wasser in der Mitte des Teichs leicht in Bewegung geriet.
Nach einer halben Stunde konnte ich fast nicht mehr, aber die Nähe zum Altar gab mir die Kraft, weiterzuklettern. Doch als mich nur noch wenige Meter vom anderen Ufer trennten, wo ich die Reliquie schon klar erkennen konnte, war das Seil plötzlich zu Ende. Nun stand ich vor einer schwierigen Entscheidung.
—Was ist los, mein Freund?—rief Kalisteas, der mein Zögern bemerkt hatte.
—Das Seil ist zu Ende!—antwortet ich, während ich zu ihm zurückblickte.
—Du hättest unseren Schiffer bezahlen sollen—schnappte er wütend—. Lass es uns nächstes Jahr wieder versuchen.
Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört und ließ den letzten Rest des Seils gen Wasseroberfläche fallen. Ich seilte mich vorsichtig ab, bis mein Körper lautlos in das kühle Nass eintauchte, das mir bis zum Hals reichte. Jetzt gab es kein Zurück mehr, also schwamm ich auf das andere Ufer zu, so schnell meine Kräfte es noch zuließen.
Mich trennte nur ein kurzes Stück, aber das Klettern hatte sehr an meinen Kräften gezehrt. Sobald ich den ersten Schritt ans Ufer machte, hörte ich hinter mir ein Knirschen. Ohne eine Sekunde zu zögern, wirbelte ich herum, zog meinen Revolver und feuerte seine ganze Ladung in Richtung der vermeintlichen Gefahr. Erkennen konnte ich nur ein paar Wellen im Wasser, die sich in die entgegengesetzte Richtung entfernten.
Nachdem ich mich beruhigt hatte, erreichte ich endlich den Altar, der auf einem Felsen ruhte. Er bestand aus einem Grabstein, der im Zentrum einer kammerartigen Vertiefung aufgestellt war. Die Felswände der Nische zierte eine Prozession aus Klageweibern.
Unter ihnen befand sich eine Grabstätte. Die kaum noch lesbaren Buchstaben hatten der Feuchtigkeit und den Jahren ihren Tribut gezollt. Ich ließ meine Hand darüber gleiten und hatte dabei ein Gefühl, das ich bis heute noch nicht beschreiben kann.
Als wäre ich selbst zu Stein erstarrt, betrachtete ich sie einen Moment völlig reglos, bis ein lautes, aus unbestimmter Richtung kommendes Geräusch in meinen Ohren dröhnte. Ich richtete meinen Blick zurück auf den Teich, konnte allerdings nichts Außergewöhnliches erkennen.
—Komm schnell zurück!—schrie Kalisteas aus voller Kehle.
—Noch nicht! Endlich habe ich es gefunden!—antwortete ich.
—Vergiss es, wenn du nicht willst, dass es das Letzte ist, was du in deinem Leben tust! Über dem See braut sich ein Gewitter zusammen und in wenigen Minuten wird sich die gesamte Höhle mit Wasser füllen!
Seine Worte bohrten sich wie ein Messerstich in mein Herz.
—Verstanden!—gab ich resignierend zurück—. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie ich mit euch zusammen zurückkehren kann!
—Schieß, los!
—Wirf Steine ins Wasser, um unseren schwimmenden Freund von mir abzulenken! Sobald du siehst, dass er sich daran annähert, gib mir mit der Fackel ein Zeichen!
—Verstanden!
Kurz darauf schwenkte Kalisteas seine Fackel. Auf sein Signal hin tauchte ich ins Wasser ein und schwamm zum Seilende, das ich dort angekommen mit beiden Händen packte, um mich daran so schnell wie möglich hochzuziehen. Als ich den ersten Haken erreichte, führte ich das Seil wieder durch meinen Gürtel und bewegte mich schwingend auf das Ufer zu, wie ein Pferd, das den Wind reitet.
Draußen donnerte das Gewitter immer lauter und als ich das Ufer endlich erreicht hatte, bluteten meine Hände von Anstrengung.
Kalisteas führte uns in größter Eile durch die Tunnel, bis wir in der Eingangshöhle ankamen, die bereits fast vollständig unter Wasser stand. Schleunigst schwammen wir Richtung See, wobei unsere Köpfe kaum noch aus dem Wasser ragten.
Wir waren dem Ausgang schon nahe, als sich auch noch der allerletzte Teil der Höhle mit Wasser füllte. Wir holten tief Luft und legten die letzte Strecke tauchend zurück. An die Oberfläche kamen wir zum Glück genau dort, wo uns der Schiffer bereits erwartete.
Der Rückweg war bittersüß. Wir hatten die größte Entdeckung der Geschichte gemacht, hatten aber keine Beweise, um das zu belegen. Und das Schlimmste daran war, dass wir ein ganzes Jahr würden warten müssen, um es noch einmal zu versuchen.
Kapitel I
London, 1922
Auf dem Weg in das Britische Museum hatte ich an der Ecke des White Hart Lane ein Taxi genommen. Ich war bereits spät für eine Ausstellung dran, die an jenem Abend im Hauptsaal des Museums stattfinden sollte. Die Redakteure aller wichtigen Zeitungen der Stadt waren dorthin unterwegs, um über das Ereignis des Jahre zu berichten. In London würde erstmals die wichtigste archäologische Entdeckung der letzten Jahre zu besichtigen sein. Kein Redakteur, der etwas auf sich hielt, durfte dieses Ereignis verpassen.
Auf der Höhe des Piccadilly Circus behinderte ein Stau meine Weiterfahrt und das Taxi kam in zehn Minuten kaum zwanzig Zentimeter weiter. Käme ich zu spät, wäre ich so gut wie gefeuert.
—Wie viel schulde ich Ihnen?—fragte ich den Fahrer.
—Ein Pfund zehn—antwortete er mir zugewandt.
Ich bezahlte ihn und stieg aus.
Leichter Regen umgab mich, während ich den Trafalgar Square überquerte, um dann schnellen Schrittes die angrenzenden Gässchen zu passieren, bis ich die Great Russel erreichte.
Das Interesse war sogar noch größer, als ich erwartet hatte. Eine Hundertschaft Fotografen, Politiker und jede Menge Schaulustiger drängten sich um das Eingangstor des Britischen Museums. Trotz seiner enormen Ausmaße schien es für diesen Anlass zu klein zu sein.
Pausenlos fuhren Wagen der Marken Rolls Royce und Duesenberg vor. So einen Andrang hatte ich nicht mehr erlebt, seit Valentino ein paar Jahre zuvor in der Royal Albert Hall aufgetreten war.
Zwei große Scheinwerfer ließen die beeindruckenden dorischen Säulen der Fassade erstrahlen, und im Inneren der Halle schien die Göttin Athene zum Leben zu erwachen.
An jenem Abend funkelte das Gebäude, als wäre es die schönste Perle des Neuklassizismus.
Ich lief zur Eingangskontrolle, zeigte meinen Presseausweis vor und durfte eintreten, allerdings erst nach ausführlichster Registrierung, da im Laufe des Tages mehrmals versucht worden war, mit gefälschten Ausweisen hineinzugelangen. Ich stieg die Treppe hoch und nahm den Platz ein, den man meiner Zeitung zugewiesen hatte.
—He, Paul! Du bist ja völlig durchnässt!—rief Tom, der Korrespondent des Northern Star.
—Mit dem Taxi gab es kein Durchkommen und den Regenschirm habe ich zu Hause vergessen—antwortete ich resignierend—. Ist schon einer von den großen Tieren da?
—Nur der Bürgermeister. Aber der ist schon lange keine Schlagzeile mehr wert—bemerkte er lächelnd.
Unten erhob sich ein Stimmengewirr und die Leute drängten sich um den Haupteingang zusammen.
—Ich glaube, da kommt unser Mann—rief Tom aus, schon eiligst dabei, seine Kamera bereitzumachen.
Wir mussten nicht lange warten. Nur Augenblicke später hielt das Aston Martin Cabriolet jenes Mannes vor der Haupttreppe an, der die Hauptattraktion des Abends darstellte.
Ein Blitzgewitter verewigte den Moment, als der berühmteste Mann der Welt aus dem Auto stieg und die Leute in Chören seinen Namen riefen. Howard Carter und seine genauso schöne wie elegante Begleiterin betraten den marineblauen Teppich, der extra für den Anlass verlegt worden war. Er grüßte Leute links und rechts, als wäre er einer der großen Stummfilmstars.
—Mr. Carter! Mr. Carter!—riefen wir Korrespondenten wie aus einer Kehle.
—Ein paar Worte für den Daily Telegraph!—rief ich ihm zu, während er sich meiner Position näherte.
Als Howard Carter genau auf meiner Höhe stehenblieb, ließ ich die Kamera los und holte mein Notizbuch aus dem Mantel.
—Sagen Sie uns, Mr. Carter, was war das Schwierigste an der Expedition?
—Am schwierigsten war es, die Grabkammer zu finden—scherzte er und alle Anwesenden brachen in Gelächter aus.
—Aber ernsthaft—sprach er weiter—. Es war schwer, während der jahrelangen, intensiven Suche weiter beharrlich zu bleiben.
—Danke, Mr. Carter.
Carter und seine Begleiterin liefen die Treppe hoch, wo sie der Direktor des Britischen Museums zusammen mit dem Premierminister und anderen wichtigen Persönlichkeiten erwartete, die alle seine Hand schütteln wollten.
Während der Führung erklärte er den Anwesenden, wie er den Raum gefunden hatte, in dem sich das Grabmal des Tutanchamun verbarg. Man konnte Fotografien und Kopien der Ausgrabung bewundern, die Originalteile befanden sich noch in Ägypten.
Danach verließen die hohen Tiere und Carter das Museum, um in einem der angesagtesten Restaurants der Stadt einen Cocktail trinken zu gehen, der ihm zu Ehren kreiert worden war, während wir anderen in aller Ausführlichkeit den bemerkenswerten Fund besichtigen durften, der ihm gelungen war. Alle Objekte der Grabkammer befanden sich in perfektem Zustand. Es war ein wahres Wunder, dass die Grabräuber diesen unglaublichen Schatz in all den Jahrhunderten nicht geraubt hatten.
Danach schrieb ich spät abends in der Redaktion noch den Artikel, der in der einen oder anderen Version auf dem Titelblatt jeder Zeitung der Stadt landen würde. Dabei versuchte ich, ihm eine persönliche Note zu verleihen, um meinen Bericht von den meiner Kollegen zu unterscheiden.
Am nächsten Tag begab ich mich schon früh zur Redaktion. Sie war Teil eines modernen, fünfstöckigen Hauses, das erst Anfang des Jahrhunderts errichteten worden war. Ich lief wie immer die breite Treppe zum zweiten Stock hoch, um dort die gewohnte Routine vorzufinden. Ein unablässiges Durcheinander von Leuten, die in Büros ein- und ausgingen, weil sie die eine oder andere Neuigkeit zu berichten hatten.
Durch den ohrenbetäubenden Lärm der Schreibmaschinen, das ständige Klingeln der Telefone, die lauten Stimmen der Korrespondenten und den durchdringenden Geruch von Tabak eilte ich den Flur entlang.
Ich öffnete eine Tür und betrat das Zimmer des Chefredakteurs, eines sechzigjähriger Schotten mit Hakennase, dichten Koteletten und hagerem Gesicht. Er hatte einige Redakteure seines Vertrauens zu einem morgendlichen Treffen zusammengerufen.
—Kommen Sie herein und machen Sie die Tür zu—sagte er schlecht gelaunt—. Seitdem man mir das Rauchen verboten hat, ertrage ich den Geruch nicht mehr.
—Sofort, Sir—antwortete Sarah, die Leiterin der Redaktion.
Sie hatte sich an jenem Morgen an ihrem Parfum vergriffen, was niemanden im Raum kalt ließ.
—Wir haben heute Morgen einiges zu tun. Die Verkaufszahlen der Sonntagsausgabe sind in den letzten zwei Monaten alarmierend zurückgegangen—verkündete er mit einem festen Faustschlag auf den Tisch—. Wenn wir so weitermachen, wird die Zeitung zugrunde gehen. Wir brauchen etwas Neues, etwas, das den Daily Telegraph zur Avantgarde der Stadt werden lässt.
—Wir könnten Kriminalgeschichten abdrucken—schlug ein kürzlich von der Konkurrenz übergelaufener Redakteur vor.
—Zu abgedroschen—antwortete der Chefredakteur, die Hände fest in die Hüften gestemmt—. Das wurde schon von anderen Zeitungen versucht und war immer ein Reinfall. Alle Schriftsteller halten sich heutzutage für Conan Doyle.
Ein junger Korrespondent, der erst vor einer Woche seinen Dienst angetreten hatte, nahm seine Pfeife aus der Tasche, stopfte sie mit Tabak und zündete ein Streichholz an. Der Schotte näherte sich an ihn an und schnappte ihm die Pfeife aus dem Mund.
—Haben Sie mich vorhin nicht gehört?
Der Junge wurde bleich, während wir anderen uns das Lachen verkneifen mussten. Er hatte ja noch keine Ahnung, mit wem er sich da angelegte.
—Noch jemand eine Idee?—grummelte mein Chef.
—Wir könnten es mit Anleitungen für Gartenarbeit oder Heimwerken versuchen—meinte Sarah.
—In diesem Land versteht sich jeder auf Gartenarbeit—gab er mit abfälliger Geste zurück—. Wenn Sie alle nur alberne Ideen haben, halten Sie besser die Klappe—fügte er mit drohendem Blick hinzu—. Wir brauchen etwas Innovatives.
Eine Weile herrschte allgemeines Schweigen, weil niemand etwas zu sagen wusste. Ich ging zur Kaffeemaschine und füllte mir eine gute Tasse ein. Mir schwirrte seit letzter Nacht eine Idee im Kopf herum, aber ich war nicht sicher, ob ich mich dazu äußern sollte.
—Ich glaube, ich hätte da etwas Interessantes—entschloss ich mich dann doch, während ich meine Tasse auf dem Schreibtisch abstellte.
—Schießen Sie los.
—Carters Fund in Ägypten könnte sich als wahre Goldmine herausstellen. Dank ihr haben die Leute die Schrecken des Krieges ganz vergessen.
—Worauf wollen Sie hinaus?
—Das Volk lechzt immer noch nach den Geschichten unserer größten Abendteurer.
—Die Details zu diesen Expeditionen sind in jeder öffentlichen Bibliothek zu finden.
—Das stimmt. Aber wir könnten sie mit weniger bekannten Geschichten überraschen. Es gibt Tausende interessante Erzählungen, die nur darauf warten, veröffentlicht zu werden.
—Ich bin nicht überzeugt, dass das einschlagen wird—gab er zweifelnd zurück—. Und woher wollen Sie die Geschichten nehmen?
—Wir könnten in der Bibliothek des Britischen Museums beginnen.
Einen Moment lang blieb er mit gesenktem Kopf stumm stehen und sagte dann:
—Wenn niemand eine bessere Idee hat, probieren wir es ein paar Tage aus.
Damit war das Treffen beendet. Wir verließen sein Büro und machten uns an unsere tägliche Arbeit.
Am nächsten Morgen war mein Fenster von einer weißen Schicht bedeckt. In der Nacht hatte es zum ersten Mal seit zwei Jahren geschneit und draußen auf der Straße tummelten sich Kinder, die mit dem Schneeballwerfen gar nicht mehr aufhören wollten. Auf dem Weg in Britische Museum beobachtete ich, wie einige Passanten auf dem glatten Untergrund ausrutschten. Da das Eis manche Straßen unbegehbar machte, mussten Arbeiter sogar Salz streuen, um größere Unglücke zu verhindern.
Trotz allem war die Bibliothek wie immer brechend voll. Durch ihre Tore passierte ein nicht enden wollender Strom aus Studenten, Vortragenden, Touristen und Forschenden, die ihren Tag in den erhabenen Gemäuern verbringen wollten.
Um nicht auch auszurutschen, stieg ich vorsichtig die Treppe hoch, durchquerte die Halle und kam schließlich beim Atrium an, einem großen Saal mit Platz für mehr als tausend Personen. Dort befanden sich die ältesten Buchbände Englands.
Am Rezeptionstresen musste ich mich anstellen, ehe mir eine gutaussehende Bibliothekarin mit halblangen blonden Haaren in einem marineblauen Kostüm erklärte, wo ich meine Suche am besten beginnen sollte.
—Wir haben drei Arten von Inventar—erklärte sie, während ihre schönen Augen über den Rand einer kleinen Nickelbrille blickten—. Geordnet nach Topografie, Chronologie und Themenbereichen.
—Ich suche Expeditionsjournale aus den letzten fünfzig Jahren.
Die Beamtin seufzte.
—Beginnen Sie die Suche nach Themenbereichen. Danach können Sie die durch eine kartographische Recherche ergänzen und später mit einer chronologischen abschließen.
—Heißt das, dass ich aus allen drei Inventaren Informationen erhalten kann?
Halb lächelnd nickte sie.
Als ich das hörte, schlug ich glücklich die Hände vors Gesicht.
Ich begab mich also in den zweiten Stock, wo ich mich erst durch mehrere Regalreihen kämpfen musste, bevor ich einen Bereich mit Manuskripten fand.
Dort bat ich um die Unterlagen, die auf meinem Tisch abgelegt einen Stapel bildeten, der mich an Höhe überragte.
—Ist das alles für heute?—fragte mich der Archivar.
—Das hoffe ich sehr—gab ich resignierend zurück.
—Wenn Sie damit heute nicht fertig werden, haben wir in der Rezeption Regale, wo Forschende ihre Unterlagen für den nächsten Tag aufbewahren können.
—Vielen Dank. Das ist sehr nett von Ihnen.
Ich machte die kleine grüne Lampe an, mit der jeder Tisch ausgestattet war, und öffnete die erste Akte, genau wie ich es auch noch die folgenden Tage tun sollte.
Nach ein paar Tagen der Recherche bereute ich meinen Vorschlag langsam. Mein Vorhaben würde nicht einfach sein. Die Informationen waren unendlich, ich würde Jahre brauchen, um sie in allen Einzelheiten zu studieren. Ich stieß auf Abenteurer, die an die abgelegensten Orte in Afrika und Asien vorgedrungen waren, genau wie auf Archäologen, die das historische Erbe des Orients ausgegraben hatten.
Am späteren Vormittag, als ich gerade ein paar Seiten durcharbeitete, fiel mir ein Kerl auf, der mich von einem der Tische weiter vorne ununterbrochen beobachtete. Ich wusste nicht, ob wir uns irgendwoher kannten oder ob er mich aus irgendeinem Grund herausfordern wollte. Ich dachte kurz nach, war aber sicher, dass ich niemandem Geld schuldete. Als ich einen Moment später wieder in seine Richtung blickte, war er verschwunden.