Kitabı oku: «Das Verlorene Vermächtnis», sayfa 3

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—Das wäre wunderbar, Lady Margaret.

—Die Adresse ist: Corton Road Nummer fünf. Das liegt am südlichen Stadtrand. Würde es Ihnen gegen 16 Uhr passen?

—Ich werde da sein.

—Ich wohne im letzten Haus der Häuserreihe, mit den Tulpen am Eingang—fügte sie noch hinzu, als wir auf den Flur hinaustraten—. Sie können es nicht verfehlen.

Kapitel II

An jenem Nachmittag empfing mich Lady Margaret bei sich zu Hause. Während sie Tee in edlen Porzellantassen, dänisches Plundergebäck mit Butter und eine exzellente belgische Schokolade – das Geschenk einer Studentin – servierte, sah ich mich in ihrem exquisiten Salon staunend um. Sie musste Jahre gebraucht haben, um all diese Stücke zusammenzutragen, die alle so perfekt zusammenspielten wie das Innenleben einer Schweizer Uhr.

An den Wänden hingen viele Gemälde, die meisten davon farbenprächtige Jagdbilder. Das Zentrum des Zimmers dominierte ein bezaubernder, weißer Kamin. Davor stand ein majestätisches Ledersofa zusammen mit zwei Armsesseln, die in hellen Farben bezogen waren. Links vom Kamin war neben einem Regal aus Walnussholz, in dem die großen Klassiker der russischen Literatur aufgereiht waren, ein Globus aufgestellt. Und am anderen Ende des Salons, unter dem Hauptfenster, befand sich die Vollendung der Dekoration: ein großer Flügel.

—Ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß—sagte sie, nachdem sie in einem der Armsessel Platz genommen hatte.

London, 1902

«Ich war gerade auf dem Rückweg von einigen Besorgungen, als sich am Himmel Wolken zusammenzogen und die herabgefallenen Blätter vor meinen Füßen zu tanzen begannen. Mit hoch geschlossenem Mantel und aufgestelltem Kragen eilte ich durch den Hyde Park, um es noch rechtzeitig in meine glücklicherweise nur zwei Straßen weiter gelegene Wohnung zu schaffen.

Als ich dort ankam, klingelte gerade der Briefträger an meiner Tür.

—Mr. Hargreaves, haben Sie Post für mich?

—Ein Telegramm für Sie, Miss Spencer—sagte er an mich gewandt—. Sie müssen hier unterschreiben.

Ich öffnete die Tür, betrat meine Wohnung und las ungeduldig das Telegramm. Die Nachricht kam von der Geographischen Gesellschaft, die mich ins Büro des Direktors zitierte.

Am nächsten Morgen stand ich früher als gewohnt auf. Ich hatte kaum geschlafen, weil meine Nerven aufs Äußerste gespannt waren. Warum die Geographische Gesellschaft meiner Dienste bedurfte, war aus dem Telegramm nicht hervorgegangen. Ich nahm mein übliches Frühstück ein, Toast mit Tee, und fuhr dann mit einer Kutsche bis zur Kensington im Zentrum Londons.

Auf der Fahrt sah ich durch die Fenster, dass die elektrischen Straßenlaternen selbst zu dieser Stunde noch brannten. Es war damals noch nicht lange her, dass die alten Gaslaternen ausgetauscht worden waren. Ich erinnere mich, dass ich damals dachte, wie schnell doch die Zeit vergeht.

Ich hatte mein Studium zwei Jahre zuvor abgeschlossen und bereitete mich gerade auf eine Professur vor. Der Großteil meiner Kollegenschaft hatte sich auf Ägyptologie spezialisiert, die damals gefragteste Kultur, während ich mich für die präkolumbischen Zivilisationen entschieden hatte.

Mein Vater hatte uns nach einer Geschäftsreise durch den amerikanischen Kontinent einmal Bücher geschenkt, die die dortigen Sitten und Gebräuche beschrieben. Ich war damals noch ein Kind, doch schon von dem Augenblick an faszinierten mich diese alten Kulturen. Nach meinem Studium erhielt ich meinen ersten Lehrstuhl für ebendiesen Themenbereich, er war erst wenige Jahre zuvor in Oxford etabliert worden.

Das Pferd wieherte, als der Kutscher scharf an den Zügeln zog und damit die klackernden Geräusche der Hufe am Asphalt verstummen ließ. Er stieg vom Kutschbock, öffnete die Tür und ließ mich vor dem Haupteingang aussteigen.

Das dreistöckige Backsteingebäude der Geographischen Gesellschaft baute sich mit seinen großen Fenstern und dem schwarzem Ziegeldach eindrucksvoll vor mir auf. Trotzdem wirkte es auf mich zu klein, um eine so angesehene Institution zu beherbergen. Nach dem Haupteingang durchquerte ich eine gewaltige Halle, von der links die Büros der Mitglieder abgingen und rechts eine der beeindruckendsten Bibliotheken des Vereinigten Königreichs untergebracht war. Im zweiten Stock befand sich der große Salon, wo die Ratsversammlungen stattfanden, die sich mit den täglich an den Vorsitz herangetragenen Projekten befassten. Daran anschließend befand sich das Büro des Direktors.

Die Sekretärin führte mich in ein elegantes Büro mit Möbeln aus Mahagoniholz, von denen mir besonders eine im gotischen Stil gearbeitete und mit antiken Buchbänden gefüllte Anrichte ins Auge stach sowie ein majestätischer französischer Schreibtisch unter einer Weltkarte aus dem 16. Jahrhundert, daneben eine kleine Büste von Charles Darwin.

Die Wände waren mit diversen Objekten bestückt, die von den unzähligen Expeditionen stammen mussten.

Dort empfing mich der Direktor der Geographischen Gesellschaft, ein übergewichtiger Herr mit grauem Haar und markanten Ohren, der in einem schwarzen Anzug mit eleganter grauer Weste vor mir saß. Links von ihm sah ich noch zwei weitere Herren im Raum.

—Willkommen, Miss Spencer. Erlauben Sie mir, Ihnen Professor Cooper und Mr. Henson vorzustellen. Professor Cooper ist Experte für amerikanische Geschichte und Mr. Henson ist ein hervorragender Archäologe, der eben erst von seiner letzten Expedition in Ägypten zurückgekehrt ist.

—Freut mich, Sie kennenzulernen.

—Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Spencer—gab James zurück.

—Setzen Sie sich.

—Danke—antwortete ich und nahm auf einem Stuhl Platz.

Der Direktor setzte sich mir gegenüber in einen großen schwarzen Ledersessel, worauf mir eine Brise seines starken Parfums in die Nase stieg. Er öffnete die vor ihm auf dem Tisch liegende Akte, auf der mein Name stand, und klappte sie nach einem flüchtigen Blick hinein wieder zu.

—Hat meine Sekretärin Ihnen den Grund für Ihren Besuch mitgeteilt?

Ich schüttelte den Kopf.

—Ich muss in fünf Minuten zu einer Besprechung, also werde ich Ihnen den Sachverhalt nur kurz darlegen. Nach eingehender Lektüre ihres Lebenslaufs, sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass Sie die geeignetste Person sind, um an unserer nächsten Expedition nach Südamerika teilzunehmen.

Ich war sprachlos; davon hatte ich immer geträumt, schon seit ich ein kleines Mädchen gewesen war.

—Die Expedition leitet Mr. Henson—erklärte er mir, während er sich nach ihm umdrehte—. Zusätzlich zu seiner Qualifikation als Archäologe spricht er auch fließend Spanisch. Professor Cooper ist ein angesehener Experte für die Geschichte des amerikanischen Kontinents. Ich denke, Sie kennen sich bereits. Soweit ich weiß, war er Ihr Professor an der Universität.

Das bestätigte ich mit einem leichten Nicken.

—Also? Was halten Sie davon, an unserem Projekt teilzunehmen?

—Mit fehlen die Worte. Ich dachte, Sie hätten mich hierher gerufen, damit ich bei einer Transkription helfe, wie immer.

Der Direktor lächelte schwach.

—Es ist mir eine Ehre, für die Aufgabe ausgewählt worden zu sein—fügte ich noch hinzu, bevor er wieder das Wort ergriff—. Ich würde mich sehr freuen, an der Expedition teilzunehmen.

—Ich freue mich, dass Sie sich so schnell dazu entschließen konnten. Im Besprechungszimmer wird Ihnen Mr. Henson erklären, worum es bei dem Projekt geht.

—Vielen Dank für diese Gelegenheit—antwortete ich mit ausgestreckter Hand—. Ich werde Sie nicht enttäuschen.

—Daran besteht kein Zweifel, Miss Spencer.

Er verabschiedete sich höflich, worauf der Professor und ich James in den angrenzenden Raum folgten.

Das Erste, was mir beim Betreten des Raums auffiel, war eine riesige Weltkarte, auf der die Errungenschaften der Geographischen Gesellschaft verzeichnet waren.

Zu beiden Seiten hingen Gemälde von wichtigen Abenteurern, die der Institution seit dem 19. Jahrhundert großen Ruhm eingebracht hatten. Als ich an ihnen vorbeiging, stellte ich mir vor, wie mein Portrait neben jenen großartigen Persönlichkeiten aussehen würde, die von den zwei großen Kronleuchtern in diesem beeindruckenden Saal in Szene gesetzt wurden.

Der Professor und ich nahmen an einem Tisch Platz, der gewöhnlich den Ratsversammlungen vorbehalten war, worauf James uns das Projekt mithilfe einer großen Landkarte erklärte.

Mein erster Eindruck von ihm war der eines begeisterten Jungen, der sich ganz seiner Arbeit verschrieben hatte. Er war mittelgroß und hatte tiefblaue Augen, dazu einen dichten Bart, der ihm meiner Meinung nach nicht gerade stand, obwohl sein Lächeln bezaubernd war. Seine ausgesuchten Umgangsformen ließen erkennen, dass er aus einer aristokratischen Familie stammte.

—Ein paar Bauern haben in den Bergen des Hochplateaus eine verlassene Stadt entdeckt—erklärte er.

Er näherte sich der Landkarte und zeigte auf die Zone, von der sprach.

—Weiß man etwas über diese Stadt?—fragte ich mit großem Interesse.

—Wir wissen kaum etwas. Über die Jahre haben nur einige wenige Reisende diesen Ort erwähnt. Man hielt es für einen weiteren Mythos oder eine der Legenden, die man sich in dieser Region erzählt.

Ich nickte und machte mir in einem kleinen Büchlein Notizen.

—Ich habe diverse spanische Bücher studiert, doch darin wurde sie mit keinem Wort erwähnt—fuhr er achselzuckend fort—. Was das Ganze noch spannender macht.

—Was wäre unser Auftrag?—fragte der Professor.

—Meine Aufgabe ist die Leitung und Organisation der Expedition. Sie, Miss Spencer, sind für die Transkription aller Schriftstücke und Inschriften, die wir finden werden, zuständig—fügte er hinzu und stellte sich direkt vor mich—. Und Sie, Professor, werden uns über die präkolumbische Zeit vor der spanischen Eroberung aufklären. Irgendwelche Fragen?

Wir schüttelten beide den Kopf.

—Hier haben Sie die neueste Kartierung.

Er öffnete eine Mappe, die bereits auf dem Tisch lag, und teilte diverse Dokumente an uns aus.

—Studieren Sie diese Unterlagen aufmerksam, bevor wir zu unserem Ziel aufbrechen. Das Schiff legt in vier Tagen ab.

Der Professor und ich sahen uns verwundert an. Wir setzten zum Protest an, doch Henson hatte den Raum bereits verlassen.

Am Tag vor unserer Abreise, bestellte uns James in einen eleganten Teesalon in der Abbey Road, um die letzten Vorbereitungen abzuschließen. Ich war ein paar Minuten zu früh dran, weil ein starker Regenguss das Warten draußen unmöglich machte.

Der Salon war zu einem des angesagtesten Etablissements Londons avanciert und in seinem gemütlichen Interieur wurden die besten Backwaren der ganzen Innenstadt serviert.

Die in einem zarten Indigo gehaltenen Wände waren mit Gemälden behangen, die Landschaften aus dem europäischen Südosten darstellten. Die Farbe stand im Kontrast zu dem dunklen Mahagoni der kleinen Cafétische, die Rückenlehnen der Stühle hingegen waren in Kobaltgrün bezogen.

Ich ging an einer Vitrine vorbei, die mit den verschiedensten Süßspeisen gefüllt war. Die intensiven Farben allein waren schon ausreichend, um meinen Appetit zu befriedigen, probieren war gar nicht mehr nötig.

Doch um mich herum breiteten sich auch die unwiderstehlichen Düfte aus der Küche aus. Ich konnte den Marmorkuchen mit Erdbeeren, die Banane mit Schokostreuseln, die Zitrone mit Kokos, den starken Kaffee, die Schokolade mit Vanilleglasur, den zarten Kürbis und die Macadamianüsse mit Karamell förmlich riechen. In der Mitte des Salons befand sich eine weitere große Vitrine, in der auf mehreren Etagen Torten rotierten, die mit ähnlichen Geschmacksrichtungen wie die anderen Backwaren begeisterten.

Ich setzte mich vor ein großes Fenster, durch das ich noch das Geräusch des auf die Fahrbahn prasselnden Regens hören konnte.

Ein Blick auf die Kuckucksuhr verriet mir, dass es punkt sechzehn Uhr war. Nur einen Augenblick später tauchte James auf. Er trug einen perlengrauen Anzug mit einer cremefarbenen Weste und einem himmelblauen Halstuch. Er stellte seinen Regenschirm in den Ständer und gab seinen Hut einer anmutigen, rothaarigen Kellnerin, die ihm ein breites Lächeln schenkte. Als er sich umsah, gab ich ihm ein Zeichen von meinem Tisch aus; der Salon war gesteckt voll, und es war schwer, jemanden zu erkennen.

—Guten Tag, Miss Spencer—sagte er beim Handkuss und setzte sich dann—. Warten Sie schon lange?

—Noch keine zehn Minuten. Ich war in der Bücherei am Ende der Straße, um etwas zu schmökern, und war ein wenig zu früh hier.

—Darf ich?—fragte James.

Er nahm das Buch, das vor mir auf dem Tisch lag und blätterte es durch.

Große Erwartungen von Dickens. Gute Wahl.

—Für die Reise—erwiderte ich lächelnd—. Der Professor scheint sich zu verspäten.

—Er ist verhindert. Ich war bei ihm zu Hause, um seinen Pass und die anderen Dokumente bei ihm abzuliefern. Hier sind Ihre.

Er zog die Visa aus der Innentasche seiner Jacke und reichte sie mir. Die Geographische Gesellschaft hatte sich um alle bürokratischen Angelegenheiten gekümmert, die für unsere Reise notwendig waren. Es war unglaublich, wie schnell sie die Pässe und alle anderen Dokumente besorgt hatten.

—Ich hoffe, es ist nichts Ernstes—sagte ich besorgt.

—Einer seiner Gichtanfälle. Er muss sich auf dem Schiff ausruhen und ein paar Wochen lang einer Behandlung folgen.

Ich war erleichtert. Ich kannte den Professor schon seit vielen Jahren und betrachtete ihn als große Stütze auf der bevorstehenden Reise. Ich wollte nicht allein mit Henson reisen.

James bestellte Tee und bald danach kam eine Kellnerin mit roten Backen und einem Servierwagen voller Gebäck an uns vorbei. Es sah köstlich aus. Wir gönnten uns beide zwei Stück, schließlich wusste keiner von uns, welche Art von Verpflegung wir in der nahen Zukunft zu erwarten hatten. Diese Gelegenheit durften wir uns also keinesfalls entgehen lassen.

—Soweit ich weiß, sind Sie eine der ersten Akademikerinnen Ihrer Universität—sagte er, während er eilig seine Tasse abstellte. Er hatte den brennheißen Tee noch nicht lange genug ziehen lassen.

—Verzeihung, wenn ich Sie da korrigieren muss—antwortete ich, mein Himbeergebäck verkostend—. Schon seit einigen Jahren machen Frauen ihren Universitätsabschluss, trotz der Opposition der konservativen Kreise, die immer noch davon überzeugt sind, dass eine universitäre Ausbildung ein Vorrecht der Männer sein sollte.

—Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich beziehe mich da auf ein Bemerkung des Direktors der Geographischen Gesellschaft.

—Der Direktor ist ein guter Freund meines Vaters. Ich bin ihm sehr dankbar für die Möglichkeit, die er mir hier eröffnet—erklärte ich—. Doch werden Sie mir zustimmen müssen, dass die Geographische Gesellschaft die Mitarbeit von Frauen noch nie sonderlich gefördert hat.

James nickte zustimmend.

—Ich bin heute nur hier, weil das Interesse an der präkolumbischen Zeit in diesem Land sehr gering ist. Es gab wohl keine große Auswahl an Experten aus diesen Bereich.

—Wir werden viel Zeit miteinander verbringen—unterbrach er mich—. Wie fändest du es, wenn ich dich mit deinem Vornamen ansprechen würde?

—Sehr gerne—antwortete ich mit einem breiten Lächeln—. Dann werde ich auch du zu dir sagen.

—Um auf deine Frage zu antworten, Margaret, es ist schon wahr, dass es nur wenige Experten für die präkolumbischen Kulturen gibt. Der Großteil unserer Studenten, hat sich nie für eine Vergangenheit interessiert, die in den Händen der Spanier lag.

—Die Distanz und die Tatsache, dass man dort eine andere Sprache spricht, waren dabei auch kein Vorteil.

—Wenn der Direktor dich ausgewählt hat, dann weil du hervorragend für diese Expedition geeignet bist.

—Danke, James. Ich weiß deine Worte zu schätzen.

Wir plauderten noch eine Weile, brachen dann aber bald auf, weil wir bis zum nächsten Morgen noch viel vorzubereiten hatten. Draußen vor dem Teesalon hatte es aufgehört zu regen und die Straßen waren wieder voller Menschen.

—Morgen wird dich eine Kutsche sehr früh abholen. Wir sehen uns dann in der Geographischen Gesellschaft.

—Einverstanden. Ich muss mich erst noch von meinem Klub verabschieden, danach stelle ich mein restliches Reisegepäck zusammen.

—Ein Bücherklub?

Ich schüttelte den Kopf.

—Ich gehöre dem Klub der Suffragetten vom West End an.

James antwortete nichts mehr, sondern schlenderte einfach die Straße hinunter.

Am Nachmittag des folgenden Tages gingen wir im Hafen von Southampton an Bord und legten Richtung Nordspanien ab, wo uns der Dampfer erwartete, mit dem wir die Überfahrt in die Karibik antreten sollten. Unser Ziel war die Stadt Cartagena de Indias im Norden Kolumbiens.

Wir bezogen drei nebeneinanderliegende Kabinen im dritten Stock des Schiffs. Es waren kleine Räume mit einem Bett, zwei Armsesseln und einem Bullauge, aber ohne Badezimmer. Die Dekoration hatte man thematisch an Seereisen angepasst.

Die gesamte Dauer der Überfahrt war auf vierzig Tage angesetzt. Das sollte uns genug Zeit für weitere Expeditionsvorbereitungen lassen, und auch dafür, uns besser kennenzulernen.

In den ersten Tagen erkundeten wir erst einmal das Schiff so gut wie möglich. Es handelte sich um einen Atlantikkreuzer von enormen Ausmaßen mit riesigen Schornsteinen, die den Rauch vom Kohleantrieb in die Luft schleuderten und eine eindrucksvolle schwarze Rauchwolke am Himmel hinterließen. Das Schiff machte an verschiedenen Inseln halt, bevor es sein Ziel am amerikanischen Kontinent erreichte.

Die gesellschaftlichen Klassen waren durch die Infrastruktur des Schiffs strikt getrennt. Wir reisten in der ersten Klasse, in der die Passagiere über allen möglichen Komfort verfügten und kaum Kontakt mit den restlichen Passagieren hatten, wie etwa den Emigranten und Abenteurern, die in den Kabinen weiter unten untergebracht waren. Trotzdem war klar, dass die Anzahl der Passagiere bei weitem die Kapazität des Schiffs überstieg.

Die Compañía Transatlántica beherbergte die Träume der Männer und Frauen, die ihr Land verließen, um hinter neuen Horizonten nach Wohlstand zu suchen.

Jeder Tag brachte neue Geschichten von Familienmitgliedern, die auf der anderen Seite des Atlantiks wie die Könige lebten. Die Bevölkerung in Europa hatte sich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht. Die gegenwärtig geringen Aussichten auf Arbeit und die schlechten Lebensverhältnisse machten aus Amerika eine einzigartige Gelegenheit, um sich eine bessere Zukunft aufzubauen.

An den Vormittagen trafen wir uns in einem Raum am Vorderdeck, um uns eingehend mit unserem Projekt zu beschäftigen, während wir an den Nachmittagen im Hauptsaal Tee tranken und in Gesellschaft von einigen britischen Geschäftsleuten, die in Lateinamerika Geschäfte machen wollten, Karten spielten.

Ich muss zugeben, dass James ein hervorragender Bridgepartner war, aber das Ehepaar, gegen das wir oft spielten, war so professionell, dass wir kaum eine Partie auf der Reise gewinnen konnten. Der Professor litt immer noch unter seinem Gichtanfall und ruhte die meiste Zeit in seiner Kabine, währenddessen er die mesoamerikanischen Kulturen studierte.

Eines Nachmittags verließ das Ehepaar McLeyton – eine ältere beleibte Dame mit rosigen Backen und ein hochgewachsener Oberst der Royal Army – wegen eines plötzlichen Anfalls von Seekrankheit den Spieltisch früher als gewöhnlich, so dass James und ich allein zurückblieben und noch einen leichten Ceylon-Tee genossen. An den Wochenenden wurden im Salon Musikstücke aufgeführt. An dem Tag stand eine ältliche Sopranistin in einem altmodischen blasslila Kleid auf der Bühne. Sie stellte sich neben einen eleganten Flügel und schickte sich an, Carmen von Bizet zum Besten zu geben.

—Meine Güte!—rief ich aus, als sie zu singen begann und vergrub mein Gesicht in den Händen.

James konnte sich vor Lachen kaum halten. Es war die schlechteste Interpretation des Stücks, die ich jemals gehört hatte.

Als wir die Blicke vom Nebentisch bemerkten, standen wir vom Tisch auf und beschlossen, stattdessen einen Spaziergang an Deck zu machen.

Einige Passagiere genossen den herrlichen Tag in bequemen Liegestühlen mit einem Buch in der Hand. Die Kinder rannten kreuz und quer vor unseren Füßen herum, und ein paar Meter weiter spielte ein Gruppe eine Partie Shuffleboard, oder wie es die Spanier am Schiff nannten, el juego del tejo, das Wurfspiel. Ein frisch verheiratetes Paar amüsierte sich damit, Scheiben mit einer besenartigen Vorrichtung vorwärtszuschieben und so viele Punkte wie möglich zu sammeln.

—Willst du eine Partie spielen?

—Vielleicht ein anderes Mal—antwortete ich lächelnd, da ich mich bei Spielen meistens eher ungeschickt anstellte.

Wir spazierten weiter und lehnten uns am Ende unseres Wegs gegen die Reling, um den aufgewirbelten Schaum am Bug zu betrachteten.

In der Abenddämmerung versuchte eine Gruppe von Wolken, der strahlenden Sonne, die einem impressionistischen Gemälde entsprungen zu sein schien, den Rang abzulaufen.

—Darf ich dich etwas Persönliches fragen?—wandte sich James an mich, während der starke Wind seine dichten Locken durchwirbelte.

Ich nickte lächelnd.

—Nimmst du oft an den Treffen des Suffragetten-Bewegung teil?

—Natürlich tue ich das—antwortete ich empört. Die Frage hatte ich nicht erwartet—. Wir können uns nicht länger dem Gutdünken dieser chauvinistischen Gesellschaft unterwerfen.

Er sah mich leicht schockiert an. Die Vehemenz meiner Replik hatte ihn wohl überrascht.

—Die Dämmerung des 20. Jahrhunderts ist angebrochen, nicht das dunkle Mittelalter—fuhr ich fort—. Anfangs bestand die Bewegung nur aus ein paar Vorkämpferinnen, doch jetzt hat sie sich über das ganze Land ausgebreitet. Lange wird es nicht mehr dauern, bis wir das Stimmrecht erkämpft haben, und dann wird sich alles ändern.

—Da stimme ich dir zu—antwortete er mit sanfter Stimme—. Aber ich weiß, wie viele Regierungsmitglieder denken. Ich glaube, dass ihr euer Ziel noch lange nicht erreichen werdet.

—Hast du etwas gegen die Bewegung?

—Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe in Ägypten einige Damen kennengelernt, die ihre archäologischen Expeditionen über private Mittel finanzierten. Sie leisten großartige Arbeit.

—Es ist schon traurig, dass ich die Ausnahme bin und sich die meisten Frauen ihre Expeditionen selbst organisieren und auch noch aus der eigenen Tasche bezahlen müssen.

—Also haben wir eine große Verantwortung—antwortete er und blickte mir geradewegs in die Augen—. Wenn wir Erfolg haben, wird das vielen weiteren Frauen die Gelegenheit eröffnen, Teil der einen oder anderen Expedition zu sein.

Einen Moment lang sagte ich gar nichts und dachte nur über seine Worte nach.

—So habe ich das noch nicht gesehen. Willst du damit sagen, dass ich die Verantwortung trage?

—Nein, Margaret. Wir sind ein Team, schon vergessen?

Ich nickte zustimmend und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Danach schlenderten wir uns zurück zum Salon, wo bereits das Abendessen serviert wurde.

Die nächsten Tage der Überfahrt vergingen ohne größere Aufregungen. Eines Nachmittags aber zog ein starkes Gewitter auf und schaukelte das Schiff immer wieder von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Durch das Bullauge konnten wir beobachten, wie sich die hohen Wellen bis über unsere Köpfe auftürmten. Das riesige Schiff würde sich nicht so leicht versenken lassen, trotzdem lief mir bei jedem starken Schaukeln ein kalter Schauer über den Rücken.

Wir beschlossen, den Tag damit zu verbringen, in der Kabine unser Projekt zu studieren.

—Bevor wir an unserem Ziel ankommen, wollte ich euch noch die Ausgrabungsmethode erklären, die wir bei der Expedition anwenden werden.

Der Professor und ich hörten James von unseren bequemen Armsesseln aus zu.

—Wir sollten die Stadt in zwei Hälften teilen: Nord und Süd—erklärte er, während er auf einem Pult einen großen Stadtplan zeichnete—. Wir konzentrieren unsere Ausgrabungen auf die Hauptgebäude der Stadt. Danach analysieren wir den von einem archäologischen Standpunkt aus weniger interessanten Rest.

—Ich würde ein umfangreicheres Studium der Gegend vorschlagen—entgegnete ich und zeigte auf verschiedene Punkte auf der Karte—. So könnten wir den Bereich in kleinere Flächen unterteilen und mehr über die Bevölkerung erfahren. Das ist eine neue Methode, die schon bei verschiedenen Expeditionen angewandt wurde.

—Sie haben recht, Margaret—fügte der Professor hinzu—. Eine der neuesten Techniken, die derzeit zur Anwendung kommen. Aber jeder Archäologe hat seine eigenen Vorlieben, und es gibt keine Beweise dafür, dass eine Methode besser als die andere wäre.

—Du hast den Professor gehört. Das hier ist meine Expedition, und ich treffe hier die Entscheidungen. Wenn du eines Tages die Leitung hast, kannst du sie auf deine Weise organisieren—sagte James verärgert.

—Wofür dann all diese Besprechungen, wenn du sowieso schon alles entschieden hast?—erhob ich meine Stimme.

—Ich beschränke mich darauf, euch mitzuteilen, was eure Aufgaben sein werden. Das hier ist keine Arbeitsbesprechung, bei der wir übereinkommen müssen—darauf herrschte einen Moment lang Schweigen, während er seine Pläne zusammensammelte und dann noch hinzufügte—: Du musst noch viel lernen.

—Ich ziehe es vor, wieder in meine Kabine zu gehen, bevor ich hier nur meine Zeit verschwende—gab ich zurück.

Ich stand auf und sagte beim Hinausgehen noch:

—Wenn wir an unserem Ziel ankommen, kannst du mir ja erklären, welche Aufgabe mir zukommt.

Ich schlug die Tür so fest zu, dass das ganze Zimmer erzitterte. Nach diesem Streit sprachen wir einige Tage nicht miteinander.

Eine Woche später konnten wir Cartagena de Indias vom Bug des Schiffs aus sehen.

Schon aus der Ferne zeichneten sich die Verteidigungswälle ab, die die Stadt vollständig umgaben. Sie waren mit unzähligen Kanonen ausgestattet, die einmal zur Abwehr von feindlichen Angriffen und Piraten gedient hatten.

Die Bucht war ein Naturparadies, das Wasser so sauber und klar, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Seine Blautöne nahmen zum Ufer hin an Intensität ab, von einem starken Dunkelblau auf hoher See über Smaragdgrün bis hin zu einem blassen Himmelblau, das uns das Nahen des Ufers ankündigte. Die warme Meeresbrise trug den Geruch von Salz und Fisch von den unzähligen Fischerbooten zu uns.

Als wir die Treppen des Schiffs hinunterstiegen, spürten wir sofort die drückende Hitze, die von der hohen Luftfeuchtigkeit noch verstärkt wurde und zu unserer steten Erschöpfung beitrug.

Auf der Treppe herrschte ein ohrenbetäubendes Gedränge, eine Mischung aus Familienangehörigen, Händlern und Tagelöhnern, die sich ihr Brot auf den anlegenden Schiffe verdienten.

Eine große Anzahl von Frachthelfern widmeten sich dem Laden und Entladen der Schiffe, die im Hafen ein- und ausliefen. Die meisten von ihnen waren Deszendenten ehemaliger Sklaven. Theoretisch war die Sklaverei schon vor einem Jahrhundert abgeschafft worden, aber in der Praxis gingen die Nachkommen genau denselben Beschäftigungen nach, zu denen auch ihre Vorfahren gezwungen gewesen waren.

Über die kleinere Landungsbrücke wurden die vielen Handelswaren ausgeladen, die am Kai ankamen. Die Arbeiter trugen sie auf ihren Schultern bis zu den Wägen, die sie am Hafeneingang erwarteten. Von da aus transportierte man sie in die Lagerhallen der großen Handelsunternehmen, die sich in dieser prosperierenden Stadt niedergelassen hatten.

Der Hafen war einer der wichtigsten der Karibik für den Import von europäischen Produkten aus den Fabrikhallen der Industriellen Revolution, vor allem aus England, das Spanien das Handelsmonopol in den hispanoamerikanischen Ländern abgerungen hatte, nachdem diese sich erfolgreich vom Mutterland losgesagt hatten. Trotz einiger eitler Versuche, den südamerikanischen Kontinent zu industrialisieren, war er noch immer abhängig von der Überschussproduktion, die aus Europa und, wenn auch weniger, aus den USA verschifft wurde.

Zusammen mit den Waren verließen Immigranten unterschiedlichster Nationalitäten auf der Suche nach einem besseren Leben das Schiff. Die meisten waren Spanier, Portugiesen und Italiener.

—Passt hier am Hafen gut auf das Gepäck auf—gab uns James zu bedenken, während wir die Treppe hinunterstiegen—. Ich besorge uns eine Kutsche.

Nachdem wir uns einen Weg durch die Menge gebahnt und dabei mit dem einen oder anderen Ellbogen Bekanntschaft gemacht hatten, luden wir unsere Habseligkeiten auf das Dach einer Kutsche, die uns zum Hotel führen sollte.

Der Professor setzte sich neben mich und klammerte sich an einem Taschentuch fest, mit dem er sich unermüdlich den Schweiß abtrocknete. Freundlicherweise hatte mit Mrs. Fizzwater einen Fächer geschenkt. Dabei hatte sie mir eindringlich versichert, dass er zu meinem wichtigsten Eigentum avancieren würde, sobald ich eine Fuß auf den Kontinent setzte.

James gab dem Kutscher noch die notwendigen Instruktionen, öffnete dann die Tür zum Wageninneren und nahm gegenüber von uns Platz. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit breiter Krempe, den er die ganze Fahrt über nicht abnahm.

Die Stadt unterschied sich nur geringfügig vom Hafen. Sie glich dem Chaos, das uns sofort nach Verlassen des Schiffs begegnet war, aber hoch zehn. Die Karren und Kutschen befuhren mit Höchstgeschwindigkeit einen nicht asphaltierten Untergrund und wirbelten dabei riesige Staubwolken auf. Den Fußgängern schenkte man keinerlei Beachtung, sie mussten eilig immer wieder einige Schritte zurück machen, um beim Überqueren der Straße nicht überfahren zu werden.

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