Kitabı oku: «Das offene Versteck», sayfa 2

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III. Die Nationalsozialisten bekommen die Macht

Die politischen Ver­änderungen im direkten geografischen Umfeld konnten den de Taubes nicht verborgen bleiben. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 erzielte der „Völkisch-Sozialer Block“ (VSB), ein aggressiv antisemitisches Bündnis der sich formierenden Nationalsozialisten mit den Deutschvölkischen zur Zeit der Festungshaft Hitlers, im Kreis Wittmund den republikweiten Spitzenwert von 46,4 Prozent der Stimmen. Die ebenfalls antisemitische DNVP kam auf 14,6 Prozent. In Horsten, zu dem das Horster Grashaus gehörte, stimmten 75, im angrenzenden Gödens 80,2 und in Friedeburg sogar 94,5 Prozent für den VSB.

Die Antisemiten fassten in Neustadtgödens, an das das Grashaus sozial stärker angebunden war als an Horsten, nicht so früh und breit Fuß wie in den westlichen Nachbardörfern, in denen das Landvolk dominierte. In Neustadtgödens lebten noch Reste des angestammten Kleinbürgertums, aber auch viele nach Wilhelmshaven orientierte Arbeiter; „nur“ 38 Prozent stimmten 1924 für den VSB. In diesem Jahr trat in Neustadtgödens der spätere „NSDAP-Reichsredner“ Johann „Jann“ Blankemeyer (1898 – 1982) aus Hude auf. Auf Plattdeutsch erreichte er die Zuhörer mit seinen antisemitischen Tiraden.6 Der „Anzeiger für Harlingerland“ des Verlegers Enno Mettcker, der im Landkreis Wittmund eine Art Pressemonopol besaß, unterstützte redaktionell die extreme Rechte seit dem Anfang der Weimarer Republik. Die Zeitung verfolgte hier dieselbe publizistische Tendenz wie das ebenfalls Mettcker gehörende „Jeversche Wochenblatt“, das das Amt Jever agitierte. Die politische Situation in Neustadtgödens kann bis zum Beginn der Wirtschaftskrise 1929 dennoch als demokratisch bezeichnet werden. Bei der Landtagswahl von Mai 1928 bekamen die Parteien dieses Spektrums eine deutliche Mehrheit, aber in Horsten, wenige Kilometer weiter, lag 1928 die NSDAP bereits bei 56,2 Prozent.

Bei den Reichstagswahlen von März 1933 erzielte die NSDAP im Kreis Wittmund mit 71,0 Prozent (Reichsdurchschnitt 43,9 Prozent) eines ihrer Spitzenergebnisse. In Neustadtgödens kam die NSDAP auf 59,8 Prozent (162 von den insgesamt 271 abgegeben Stimmen), in Gödens auf 75,5 Prozent (336 von 445), in Horsten auf 82,6 Prozent (405 von 490) und in Friedeburg auf 85,3 Prozent (370 von 438).

Für die landständige Bevölkerung war von besonderer Bedeutung, dass der größte Grundbesitzer der Gegend, Haro Burchard Graf von Wedel (1891 – 1966) auf Schloss Gödens, bereits am 10. Februar 1932 in die NSDAP eintrat und als sozial stärkste Person am Ort bis 1937 die Ortsgruppe der NSDAP Gödens-Neustadtgödens leitete. Von ihm waren weite Kreise als Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke oder als Landarbeiter mehr oder minder abhängig. Ein anderer Teil der arbeitenden Bevölkerung war auf der Kriegsmarinewerft in Wilhelmshaven beschäftigt. Bei diesem reichseigenen Rüstungsbetrieb wurde größter Wert darauf gelegt, nur solche Arbeitskräfte zu haben, die sich positiv zum Nationalsozialismus stellten. Diese Umstände erklären vielleicht, dass nach 1933 fast die gesamte männliche Bevölkerung des Landstrichs, darunter selbst Männer im vorgerückten Alter, der SA beitrat.7

Dem seit Beginn der 1920er Jahre ansteigenden gesellschaftlichen Druck auf die Juden folgten nach der Machtübertragung an die NSDAP 1933 sofort antisemitische Maßnahmen der Partei, der SA und des Staatsapparats. Robert de Taube erwähnt für die Anfänge der NS-Zeit in seinen Erinnerungen den Boykott vom 1. April 1933, das Umstürzen von Milchkannen an der Straße von Horsten nach Blauhand, Schwierigkeiten beim An- und Verkauf von Weidevieh und bei der Aufnahme von Pferden in das Ostfriesische Stutbuch. Am Eingang zu der zum Grashaus führenden Allee brachte die SA das Plakat „Juden unerwünscht!“ an. In Neustadtgödens und Horsten hing die SA das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer in sogenannten Stürmer-Kästen aus. Bei den Kundgebungen und Umzügen der NS-Verbände wurden die üblichen „Kampflieder“ und Parolen gebrüllt. Schleichend schränkten die Behörden den Radius der jüdischen Viehhändler durch Maßnahmen wie Entzug des Führerscheins oder Nichtverlängerung der Wandergewerbeerlaubnis ein, bis sie 1938 das generelle Berufsverbot aussprachen. Nichtjüdische Bauern, die ihre alten Geschäftsbeziehungen aufrecht erhielten, wurden als „Judenknechte“ denunziert und bedroht. Solche Verfolgungen strangulierten in ihrer Wirkung mehr und mehr die Wirtschaftlichkeit des Grashauses und legten den Wegzug in weniger enge Verhältnisse innerhalb Deutschlands oder die Emigration nahe. Auch Samuel de Taube spielte spätestens 1936/37 nicht nur in Gedanken mit dem Verkauf der Ländereien, sondern beauftragte damit sogar schon einen Auktionator. Der Verkauf realisierte sich allerdings nicht und musste dann nach dem Pogrom von November 1938 unter behördlichem Zwang und in einem engen Zeitrahmen vorgenommen werden.

Am 15. März 1936 gab die jüdische Gemeinde Neustadtgödens ihre Synagoge mit einem feierlichen Gottesdienst durch den Landesrabbiner Dr. Samuel Blum aus Emden (1883 – 1951) auf. 1936 hatte die Gemeinde nur noch wenige Mitglieder und deshalb kaum noch Einkünfte zur Gebäudeunterhaltung. Der Psalm 43,5, über den der Landesrabbiner sprach, lautete: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“

Die de Taubes waren in dieser Generation im engeren Sinne nicht mehr religiös, aber wir dürfen annehmen, dass zumindest Samuel, sein in Neustadtgödens wohnender Bruder Salomon und Robert de Taube bei diesem traurigen Abschied anwesend waren. Der vier Jahre jüngere Bruder Kurt de Taube, der als Kaufmann in der Wilhelmshavener Viktoriastraße 10 im Eck direkt an der Adalbertstraße 34 wohnte, war im Vorstand der dortigen Synagogengemeinde engagiert, die 1915 eine stattliche Synagoge hatte errichten lassen.

IV. Der Pogrom gegen die Juden im November 1938

Zum vorläufigen Höhepunkt der antisemitischen Maßnahmen und der Einkreisung der Juden durch die Nationalsozialisten geriet der reichsweit initiierte Pogrom gegen die Juden vom 9. auf den 10. November 1938. Er traf auch einen so abgelegenen Landstrich wie Neustadtgödens und das angrenzende Grashaus mit voller Gewalt. Zu diesem Zeitpunkt vermittelte Robert de Taube auf dem Gut jungen Juden eine landwirtschaftliche Ausbildung (Hachscherah). Ein entsprechendes Zertifikat war notwendig für die angestrebte Auswanderung nach Palästina, denn ansonsten ließ Großbritannien, die Mandatsmacht für Palästina, diese nicht zu. Es gab außer Horsten nur noch wenige Orte im Reich, an denen eine solche Ausbildung überhaupt möglich war, denn jüdische Landwirte waren ohnehin schon immer selten gewesen und zu diesem Zeitpunkt fast nicht mehr vorhanden.


Das Gutshaus des Horster Grashauses im Mai 1971

(© Sammlung Pohl, Lexington, Kentucky)

Gegen ca. 3 Uhr früh am 10. November 1938 erreichte der Aktionsbefehl der übergeordneten SA-Standarte 1 in Emden den zuständigen SA-Sturm 38/1 von Gödens per Telefon. Die Anweisung lautete:

1. Die im Sturmbereich wohnenden Juden sind

sofort festzunehmen.

2. Gelder und Wertsachen, die sie im Besitz haben,

sind sicherzustellen.

3. Falls sich im Sturmbereich eine Synagoge

befindet, ist diese niederzubrennen.8

Die Synagoge von Neustadtgödens wurde nicht zerstört, da sie inzwischen an einen nichtjüdischen Unternehmer verkauft worden war, der plante, hier Wohnungen einzurichten. Ziel der unverzüglich nach dem Zusammentreffen der SA-Leute auf dem Alarmplatz Schulhof beginnenden Ausschreitungen waren die sieben in Neustadtgödens zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Juden und die elf Juden auf dem Horster Grashaus. Mit der Ausnahme der schwerkranken Johanna de Taube, der Ehefrau von Salomon de Taube, wurden sie am frühen Morgen aus dem Schlaf heraus festgenommen und zu einem Sammelpunkt verschleppt.

Auf dem Platz neben der Gastwirtschaft „Stadt Hannover“ mussten sie unter Bewachung zunächst einige Stunden im Freien öffentlich ausharren. Im schräg gegenüberliegenden „Sturmbüro“ der SA, das sich in der „Alten Pastorei“ befand, konfiszierte derweil die SA die Geld- und Wertsachen. Die Opfer wurden einzeln hineingebracht und mussten Bargeld und Wertsachen wie Uhren und Schmuck auf den Tisch legen. Später erfolgten noch Leibesvisitationen. Der Schriftführer des SA-Sturms fertigte in dreifacher Ausfertigung eine Liste an, in der er die Namen der Festgenommenen und die abgezwungenen Werte eintrug. Der Ford-Kraftwagen Robert de Taubes wurde mit 1.115,– RM beziffert.

Zur Pflege ihrer Mutter wurde Käthe de Taube nach Hause entlassen. Die SA führte gegen neun Uhr sechzehn Personen zum „Hotel zur Deutschen Eiche“, das der Synagoge schräg gegenüberlag, und sperrte sie dort in einen Saal. Die anderen jüdischen Frauen - Bertha Cohen und Rosa Stein aus Neustadtgödens sowie Anneliese Meyersohn, Edith Pinkus und Rita Pinkus vom Hoster Grashaus - kamen auf Order der SA-Standarte Emden einige Stunden später frei. Sie durften anschließend nicht ihre von SA-Posten bewachten Häuser verlassen. Das galt auch für die nichtjüdische Ehefrau von Alfred Weinberg, der Erschießung angedroht wurde, als sie aus ihrem Haus trat.

Im Laufe des frühen Nachmittags inspizierten drei höhere NS-Funktionäre die Männer in dem provisorischen Gefängnis, darunter der NSDAP-Kreisleiter und der SA-Sturmbannführer. Sie sollen zur Verschärfung der Situation beigetragen haben. Man bezichtigte Robert de Taube fälschlich des Besitzes von Munition und bedrohte ihn. Über die kommende Nacht wurden die Männer im Saal festgehalten, Decken und Kissen hatten die jüdischen Frauen zu bringen. Verpflegung besorgte der kurzfristig zur Klärung laufender Viehverkäufe unter Bewachung zum Grashaus gebrachte Robert de Taube aus eigenem Besitz.

Donnerstag, 10. November 1938, war ein Werktag. Zivilisten, Schulkinder und Personen, die auf die Omnibusse warteten, hatten direkten Zugang zum unübersehbaren Geschehen. An den Aktionen in Neustadtgödens und auf dem Horster Grashaus waren insgesamt ungefähr 80 SA-Leute beteiligt. Etwa 40 SA-Leute beherrschten zeitweilig die engen Straßen des Orts und kommunizierten auf Zuruf. Im Horster Grashaus, das die SA vollständig okkupiert hatte, wurde geplündert.

Friedrich Cohen, Richard Stein, Salomon de Taube und Alfred Weinberg aus Neustadtgödens sowie Kurt Herz, Helmut Josephs, Jan Lazarus, Rudolf Lion, Kurt Stern, Robert de Taube, Samuel de Taube und Arthur van der Wall vom Horster Grashaus wurden am Morgen des 11. November von der Polizei auf einem Lastwagen, der sonst für Viehtransporte genutzt wurde, zur Reichsbahnstation Sande gebracht. Vor der Schule, an der der LKW vorbeifuhr, sangen unter Anleitung des Lehrers Schulkinder eines der übelsten NS-Lieder: „Wenn´s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht´s nochmal so gut. Schmeißt sie raus, die ganze Judenbande, schmeißt sie raus aus unserem Vaterlande. Schickt sie nach Jerusalem und schlaget ihnen die Beine ab, sonst kommen sie wieder heim.“ 9

Die Männer mussten auf dem Bahnhof von Sande in einen Zug mit den in Wilhelmshaven festgenommenen Juden, darunter auch Ernst und Kurt de Taube, sowie den Juden aus Wittmund einsteigen. Anschließend transportierte die Polizei alle per Bahn nach Oldenburg. Außer den nicht in die Altersvorgabe passenden Salomon und Samuel de Taube (81 bzw. 83 Jahre) sowie Jan Lazarus und Kurt Herz (14 bzw. 16 Jahre), die in Oldenburg frei kamen, wurden sie von hier zusammen mit den Juden aus Oldenburg Stadt und Land in Eisenbahnwaggons in das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin verschleppt.

V. Der Zwangsverkauf des Horster Grashauses

Samuel de Taube fuhr mit geliehenem Geld unverzüglich zusammen mit seinem Bruder Salomon von Oldenburg zum Grashaus zurück. Er schrieb 1942: „Dort hausten noch die SA-Leute, und die Wirtschafterin10 erzählte uns weinend, sie täten, als ob alles ihnen gehörte. Sie hatten alle Schränke aufgerissen und mitgenommen, was ihnen passte. Während ich mit meinem Bruder eine Tasse Tee trank, kam ein Wagen mit vier Herren vorgefahren, von denen einer der Kreisbauernführer war. Ich fragte, was die Herren wünschten, worauf ich angefahren wurde: ‚Was machen Sie denn hier noch? Sie haben hier nichts mehr zu suchen, und wenn Sie nicht gleich machen, dass Sie wegkommen, dann werden wir es Ihnen zeigen!’ Ich sagte: ‚Es ist doch wohl noch mein Gut,’ worauf mir erwidert wurde: ‚Ihnen gehört gar nichts, das ist jetzt alles anders. Wo sind die Bücher?’ - ‚Die sind nicht hier, das Gut habe ich an meine Söhne verpachtet, und die Bücher werden in Wilhelmshaven geführt.’ ‚Morgen früh um 10 Uhr sind die Bücher hier, sonst sollen Sie sehen, was Ihnen passiert!’ Ich fuhr dann mit meinem Bruder nach Wilhelmshaven. Am nächsten Morgen kamen dort ein Gestapobeamter, der Landrat aus Wittmund11 und zwei SA-Leute von der Kreisleitung und verlangten die Bücher. Sie durchsuchten alles, nahmen die Bücher mit und was sie sonst noch wollten – alles immer unter Schimpfereien auf die Juden.“12 Die Plünderungen wiederholten sich in den nächsten Tagen noch zweimal. Am 19. November brachten zwei SS-Leute Samuel de Taube zum Sitz der Wilhelmshavener NSDAP-Kreisleitung. Der Kreisleiter13 und die Gestapo zwangen ihn, das Haus in der Adalbertstraße unter Marktwert an die Kreisleitung zu verkaufen, ansonsten würden seine Söhne nicht aus dem KZ Sachsenhausen herausgelassen.14

Robert de Taube wurde am 9. Dezember 1938 fast zeitgleich mit seinen Brüdern entlassen, er schildert die Qualen dieser vier Wochen eindringlich in seinen Erinnerungen. Aus diesem Lager der SS kamen die Häftlinge nur unter der Auflage heraus, sofort die Auswanderung zu betreiben und über die Haft absolutes Stillschweigen zu bewahren. Er durfte ebenfalls nicht auf das inzwischen offiziell beschlagnahmte Grashaus zurück, alle de Taubes mussten sich in Wilhelmshaven aufhalten. Erneut in ein KZ verschleppt zu werden, stand bei allen folgenden administrativen Vorgängen unausgesprochen und auch häufig direkt ausgesprochen als Drohung im Raum.

Bereits zum 10. November 1938 hatten die Behörden den Landwirt und damaligen stellvertretenden Ortsbauernführer Eilert Behrends aus Horsten zum Verwalter für die einstweilige Fortführung des Wirtschaftsbetriebs und für die Verwaltung und Veräußerung des Ernst und Robert de Taube gehörenden Pachtvermögens eingesetzt. Das lebende Inventar umfasste im November 1938 nach Auflistung von Behrends 16 Pferde, 236 Stück Rindvieh, 28 Schafe, 22 Schweine und ein paar Dutzend Hühner, aber offenbar war schon einiges weggekommen.

In den Wochen nach dem Pogrom erließ die Reichsführung eine Fülle von Verordnungen, die zügig von den nachgeordneten Behörden und den Banken umgesetzt wurden. Sie beendeten das Geschäftsleben der jüdischen Einwohner, zwangen sie unter Genehmigungspflicht in kurzer Zeit zum Verkauf ihrer Häuser, Grundstücke und Wertsachen, sperrten die Konten mit den vorhandenen und durch den Zwangsverkauf erzielten Vermögenswerten, erhoben Sondersteuern, erlaubten nur Ausgaben zum Lebensunterhalt und konfiszierten über die sogenannte Reichsfluchtsteuer, was zum Zeitpunkt der Auswanderung übrig geblieben war. Zurück blieb ein kleiner Rest. Der einstige Millionär Samuel de Taube hatte bei seiner Einreise nach England 10,- Reichsmark in der Tasche.

Samuel de Taube wurde mit Schreiben vom 2. Februar 1939 angewiesen, sein Grundeigentum binnen vier Wochen zu veräußern und es zu diesem Zweck zu einem bestimmten Preis der Hannoverschen Siedlungsgesellschaft (HSG) zum Kauf anzubieten. Nach einem vergeblichen Protest wegen des unangemessen niedrigen Preises und einer Reihe von Einschüchterungen erreichten die Nationalsozialisten schließlich am 21. April 1939 die Übertragung der rund 153 Hektar an die HSG. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 23. Juni 1939. Das tote und lebende Inventar gehörte den Pächtern Ernst und Robert de Taube jeweils zur Hälfte und wurde bei demselben Termin im Regierungspräsidium Aurich ebenfalls an die HSG und ebenfalls weit unter Marktwert zwangsverkauft. Die ausgefertigten Verträge lagen zur Unterschrift bereit und durften nicht mehr verändert werden. „In Aurich wurden wir wie Verbrecher behandelt“, berichtete Samuel de Taube. Seinen Sohn Ernst habe er folgendermaßen bei einer Beratungspause auf dem Korridor zur Unterschrift bewegt: „Es bleibt uns ja doch nichts anderes übrig, wir haben ja doch keine Rechte mehr, lass uns unterzeichnen. Wir können froh sein, wenn wir lebendig herauskommen.“15

Siedlungsgesellschaften waren zur Zeit des Nationalsozialismus mit dafür zuständig, die rassistische agrarpolitische Ideologie von „Blut und Boden“ umzusetzen. Im Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933 heißt es: „Die Reichsregierung will […] das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten. […] Bauer kann nur sein, wer deutscher Staatsbürger, deutschen oder stammesgleichen Blutes und ehrbar ist.“ Die HSG bildete aus den Grundstücken des Juden Samuel de Taube einen Resthof von rund 72 Hektar, das meint das Gelände direkt um das Grashaus, und bot diesen dem Kreisbauernführer Erich Reents aus der Nähe von Wittmund zum Kauf an. Die Familie Reents ließ zunächst den Hof im Auftrag bewirtschaften und zog im Oktober 1939 selbst ein. Die sonstigen Grundstücke zur Gesamtgröße von rund 81 Hektar verkaufte die HSG an 25 Landwirte aus dem Raum Horsten zur Aufstockung ihrer Betriebe, die vorwiegend bisher nicht über Klei- bzw. Ackerland verfügten und zum Teil auch die Höherstufung ihres Hofes als „Reichserbhof“ erlangen wollten.

VI. Emigrationsbemühungen

Die aus dem KZ Sachsenhausen entlassenen Brüder Ernst, Robert und Kurt de Taube mussten in regelmäßigen Abständen ihre Ausreisebemühungen persönlich bei der Gestapo nachweisen. Bereits im Dezember 1938 unternahmen sie den Versuch, in die USA auszuwandern, da hierzu in einem gewissen Maße landwirtschaftliche Vorerfahrung nützlich sein konnte. Zertifikate zum Nachweis landwirtschaftlicher Tätigkeit zur Vorlage beim Konsulat in Bremen stellten u.a. der Oldenburger Landesrabbiner Leo Trepp und ausgerechnet der genannte Kreisbauernführer Erich Reents aus.16 Das Ziel USA zerschlug sich für die Brüder de Taube vermutlich deshalb, weil dort keine Fürsprecher die nötigen Bürgschaften leisten konnten.


Rosa und Samuel de Taube (vorne) mit Recha und Robert Pohl 1940 in Birmingham

(© Sammlung Pohl, Lexington, Kentucky)

Ganz anders sahen die Chancen in England aus. Dr. Robert Pohl, den die ältere Schwester Recha nach dem Tod ihres ersten Ehemanns Max Heymann in zweiter Ehe geheiratet hatte, war von 1906 bis 1919 bei English Phoenix Dynamo in Bradford, Yorkshire, beschäftigt gewesen. Er besaß zur britischen Insel zahlreiche alte Kontakte sowie neue, die er - bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten - durch das Prestige eines Chefingenieurs der AEG Turbinenwerke in Berlin bekam. Den 1912 geborenen Stiefsohn Horst Heymann hatte er 1927/28 eine Quaker-Schule in England besuchen lassen. Horst brach 1933 sein wegen der nationalsozialistischen Berufsverbote zwecklos gewordenes Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt ab, ging zusammen mit seiner späteren Ehefrau Edith Marcuse nach Birmingham und schloss dort mit Hilfe der Freunde von Robert Pohl die Ausbildung zum Elektroingenieur ab.17 Robert und Recha Pohl folgten nach einer sorgfältigen Planung im Juni 1938. Ihr gemeinsamer Sohn Walter besuchte bereits seit April 1937 ein Quaker-Internat in Somerset.

Auf der Basis dieses familiären Netzes fanden Samuel und Rosa de Taube am 25. August 1939 in Birmingham bei den Pohls Aufnahme. Das war eine Woche vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, des Luftkriegs mit England und dem Ende der Emigration dorthin. Die Pohls mussten für das jetzt mittellose alte Ehepaar aufkommen und, da die eigene Wohnung begrenzt war, sie in einem Boarding House in der Nähe unterbringen. Samuel de Taube berichtete 1946, wie am späten Abend des Tages vor der Abreise der protestantische Pastor und seine Ehefrau in das Gutshaus kamen, um ihr Entsetzen und Mitgefühl über das Geschehen auszudrücken. Seine Gemeinde sei so „verseucht“, dass sie es nur nachts wagen könnten, Abschied zu nehmen. „Unser und Ihr Gott lebt und wird Euch segnen. Er wird Gerechtigkeit und Anstand zurückkehren lassen.“18

Mit Kriegsbeginn fiel England als mögliches Emigrationsland aus. Kurt schaffte im Februar 1940 die Ausreise in das zu diesem Zeitpunkt letzte Gebiet, das überhaupt noch Flüchtlinge aufnahm – Shanghai. Robert de Taube bemühte sich 1940, jetzt schon von Berlin aus, nach Australien und Bolivien zu kommen und lernte Spanisch und Englisch – vergebens. Ab April 1940 war die Tür aus Deutschland zu und der Völkermord an den europäischen Juden begann im Jahre darauf. Ernst de Taube und seine Ehefrau Frieda wurden 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert - ein Schicksal, das Robert de Taube für sich abwenden konnte.

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