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Kitabı oku: «Der rote Komet», sayfa 3

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»Was meinst du, Romulus?«

Romulus Futurus packte ihn am Arm, zog ihn ganz nahe an sich heran und flüsterte ihm ins Ohr:

»Vielleicht könntest du – sie töten!«

John Crofton riss sich los und tat über die Maßen erstaunt.

»Ich, wo denkst du hin? Ich soll sie töten? Dein Weib? Damit du mir im nächsten Augenblick selbst die Pistole auf die Brust setzest und mich tötest?«

Romulus Futurus wandte jetzt alle seine Überredungskunst auf. Er machte John Crofton begreiflich, dass er ihm den größten Dienst seines Lebens erweisen könne. Er bat, flehte, weinte schließlich wie ein Kind. So groß war die eingebildete Macht des unbekannten Wesens über ihn.

Und doch war alles nur die Wirkung des roten Kometen. –

Endlich gab John Crofton nach und die beiden Freunde verabredeten, dass sie sich in der kommenden Nacht in der Sternwarte treffen wollten. – —

* * *

IV

Es war Nacht.

Die roten Strahlen des Kometen wogten hin und her wie hunderttausend elektrische Lichtzungen. Berlin glich einer Märchenstadt. Himmelhoch ragten die riesigen Häuser empor, mitten hinein in das Meer von Purpur, das das Blut aufregte und die Sinne verwirrte.

Die Stadt war ziemlich leer von Menschen. Der Krieg war ausgebrochen, und die Armeen standen im Felde. In der Nähe von Wilhelmshaven tobte die erste Seeschlacht und bei Bitsch waren die deutschen und französischen Heeresmassen gegeneinander geprallt. Immerhin waren in Berlin noch genug Menschen zurückgeblieben, um jene heimliche, hin und her surrende und summende Aufregung zu verursachen, die sich allen Ohren aufdrängte. Es waren junge und ältere Leute, die da und dort auf öffentlichen Plätzen sich sammelten, die flüsterten, sich heimliche Zeichen gaben und wieder verschwanden. –

Man munkelte von einer Revolution. —

Nie war Romulus Futurus liebenswürdiger gegen seine Gattin gewesen, als am verflossenen Tage. Frau Fabia war glücklich wie nicht mehr seit den ersten Tagen ihrer Ehe.

»Willst du den roten Kometen sehen, Fabia?« fragte Romulus Futurus abends gegen elf Uhr. Und Frau Fabia antwortete lächelnd:

»Wenn du ihn mir zeigen willst, mein Freund, so werde ich glücklich sein!«

Und sie folgte ihm hinauf in die Sternwarte. Dort herrschte magisches Licht. Romulus Futurus streckte den Arm aus und wies empor zu dem rotschimmernden Ball, der am kaltgrauen Himmel mit schrecklicher Deutlichkeit stand, so groß, so nahe, so drohend, dass man die Empfindung hatte, als müsse er jeden Augenblick herabstürzen, alles unter sich begrabend.

Frau Fabia schauderte.

»Und doch, heute möchte ich sterben!« flüsterte sie. »Ich habe das größte Glück meines Lebens genossen, denn ich empfand, dass du mich immer noch liebst!«

Romulus Futurus wandte sich betreten ab, gepeinigt von seinem Gewissen. Da ging die Türe im rückwärtigen Raume auf und eine Gestalt trat ein.

John Crofton hatte nicht den Mut gefunden, Frau Fabia so gegenüberzutreten, wie er war. Er trug eine schwarze Maske vor dem Gesicht und einen purpurroten Mantel über den Schultern. Frau Fabia, deren Sinne wirr waren unter dem direkten Einfluss des roten Lichtes, das sie umgab, schmiegte sich ängstlich an ihren Gatten und flüsterte.

»Sage mir, Romulus, wer ist das?«

Romulus Futurus löste ihre Arme fast mit Gewalt von seinem Körper und stieß sie dem entgegen, der eingetreten war. Frau Fabia sah die weißen, gepflegten Hände Croftons, der sich bereit machte, auf sie zuzugehen. Und von unbestimmter Furcht ergriffen, flüchtete sie nach dem anderen Ende der Sternwarte und schrie:

»Rette mich, Romulus, ich fürchte mich.«

Der aber brachte noch mehr Zwischenraum zwischen sich und seine Gattin. Er schlich sich zurück bis zu der kleinen Tür, die der Eingetretene offen gelassen hatte, und huschte hinaus, ohne den Mut zu finden, auch nur einen Blick zurückzuwerfen.

John Crofton war allein mit Frau Fabia. Und nun konnte er ein Schauspiel genießen, auf das sich seine entarteten Nerven bis zu dieser Stunde vorbereitet hatten.

Frau Fabia floh vor ihm wie das geängstigte Tier vor dem Jäger. Sie maß ihn mit scheuen, verwirrten Blicken, während er ihr rund um die Sternwarte herum folgte, angesichts des Kometen, angesichts des Himmels, der dieses schändliche Verbrechen nicht hinderte. –

Schließlich, als sie kaum mehr die Kraft fand, sich auf ihren zitternden Füßen zu halten, riss John Crofton die Maske vom Gesicht, warf den Mantel ab und rief mit diabolischem Gelächter:

»Erkennst du mich, geliebte Fabia? Die Stunde der Abrechnung ist gekommen!«

Sie fuhr zurück. Sie klammerte sich an die Wand. Sie schrie mit wahnsinnig klingender Stimme nach Romulus, ihrem geliebten Gatten! Sie schrie um Hilfe; aber niemand half ihr.

Sie stürzte auf die Knie nieder und flehte diesen Schurken um ihr Leben an, aber er dürstete nach ihrem Blute.

Sie sprang noch einmal auf, floh rund um den Raum, streckte wie hilfesuchend ihre Arme nach dem Gestirne aus – in diesem Augenblick hatte John Crofton sie erreicht und die letzten Worte der Unglücklichen erstarben in der Anrufung des roten Kometen, von dem sie Hilfe, von dem sie Vergeltung forderte.

John Crofton hatte sich auf sie geworfen und seine Finger in ihren Hals gekrallt. Er ließ sie nicht mehr los, bis das letzte Leben aus ihr entflohen war.

Dann wandte er sich, halb von Schauder, halb von Freude überwältigt, ab, taumelte zur Tür und rief nach Romulus Futurus. Der kam. Er warf nur einen entsetzten Blick auf die Leiche. Dann hob er sie mit Hilfe John Croftons auf.

Und die beiden Verbrecher trugen den entseelten Körper nach der Galerie.

Von den Straßen herauf tönte jenes eigentümliche, surrende Geräusch, das das Zusammenströmen großer Volksmassen verkündet. Dann und wann hörte man den verlorenen Ton einer lauten schreienden Stimme. Dazwischen Johlen, Händeklatschen und Pfeifen.

In der Ferne ein Trommelwirbel.

Ganz Berlin befand sich in Aufruhr; aber die beiden Männer, die zwischen sich den entseelten Körper der Frau Fabia trugen, achteten auf nichts. Romulus Futurus befahl seinem Freund, den Leib Fabias gerade unter sein Bild zu legen.

Er hatte sich eine kunstreiche Konstruktion erdacht, um die geheimnisvolle Gestalt in dem Augenblicke sehen zu können, da sie sich auf der ›Lumen‹-Platte abbildete. Während er nämlich unter seinem Bild einen starken Reflektor anbrachte, wartete er, indes er einerseits zu dem Spiegel, andererseits zu dem photographischen Apparat in einem rechten Winkel stand. Gleichzeitig legte er sich zwei äußerst lichtempfindliche Gläser, die alles in riesiger Vergrößerung spiegelten, über die Augen.

So verharrte er regungslos, während das Toben auf den Straßen allmählich verstummte; denn man hörte weit in der Ferne den Schritt der herannahenden Bataillone.

Während der Gelehrte also halb ängstlich, halb voll wahnwitzigen Hoffens seine Augen fieberhaft auf den Reflektor heftete, der die Gestalt in dem Augenblick spiegeln sollte, da sie auf der lichtempfindlichen Platte erschien – Romulus Futurus konnte also ganz einfach die Platte in dem Spiegel erblicken; denn das Wesen selbst war ja für das Auge nicht sichtbar – während er beide Hände gegen das wildpochende Herz presste, um es gewaltsam zur Ruhe zu zwingen, hatte sich John Crofton mit einem hämischen Lächeln in einen Sessel geworfen.

»Zu dumm«, dachte er. »Dieser Narr glaubt, er könne das Unmöglichste vollbringen! Sind die Menschen nicht wirkliche Hampelmänner, die sich an den Schnüren unseres Willens bewegen und drehen, wie wir es wollen, wenn wir nur erst die Kraft dazu haben?

Romulus hat mir das Henkergeschäft über sein Weib übertragen; er wird nie das Recht und die Fähigkeit besitzen, mich zu bestrafen.«

Inzwischen aber wurden die Gedanken John Croftons abgelenkt. Er sah in der grellroten Helle, die durch das Fenster drang, wie Romulus Futurus plötzlich in ungeheure Aufregung geriet. Er sah es an dem Spiele der Gesichtsmuskeln. Draußen stand, riesengroß, eine gewaltige Kugel, der Komet.

Romulus Futurus hatte die Gestalt erblickt. In dem Augenblick, da sie unter sein Bild getreten war, hatte die lichtempfindliche Platte sie festgehalten, und diese spiegelte sich nun in dem Reflektor, der das Bild in die Augen des Astronomen zurückwarf.

Futurus richtete sich hoch auf. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er seinen ganzen Willen, all seine Energie und innere Macht in seine Augen und blickte das schemenhafte Wesen an.

Da wandte dieses sich um und drehte ihm das durchsichtige Gesicht zu, dieses wunderschöne Antlitz, das er nur fühlte, aber nicht sehen konnte.

Und sagte, während seine Stimme dumpf klang, als käme sie aus weiter Ferne:

»Wer du auch sein mögest, ich befehle dir, mir zu gehorchen!« Er bemerkte deutlich, dass etwas wie Schrecken die Gestalt erfasste. Sie sah ihn starr an, offenbar unfähig, den Blick von ihm zu wenden, ohne dass Romulus Futurus eigentlich ihre Augen sehen konnte, und er fuhr fort, triumphierend über den schnellen Sieg, den er errungen hatte.

»Ich befehle dir, in diesem Leib Wohnung zu nehmen!«

Mit diesen Worten deutete Romulus Futurus halb auf den Leichnam seiner Gattin Fabia, halb hob er beschwörend die Hände und beschrieb die magischen Zeichen über der seltsamen Gestalt.

Sie gehorchte nicht sofort. Es war wie ein stummer Widerstand, den sie dem gigantischen Willen des Gelehrten gegenübersetzte. Aber der ließ nicht nach.

In dem Augenblick, da er das schemenhafte Wesen wieder erblickt, war auch seine namenlose Leidenschaft gewachsen, und mit einem Willen, der stärker war als alles Menschliche, wiederholte er noch einmal den Befehl, während die Gestalt, von unwiderstehlicher Macht angezogen, sich immer mehr dem Körper der Frau Fabia näherte. Und schließlich gab sie den Widerstand auf. Aber es war Romulus Futurus, als ob das geisterhafte Wesen eine unendliche Traurigkeit zeigte – im nächsten Augenblick war es zerflossen wie nichts, und der Astronom sah nur mehr einen schwachen Nebel, der in der purpurroten Nacht verschwand.

Gleichzeitig sank er selbst erschöpft, mit hämmernden Pulsen in einen Sessel zurück.

In großen Tropfen stand der Schweiß auf seiner Stirn.

John Crofton aber, der alles gehört, doch nichts gesehen hatte, war halb von seinem Sitze aufgestanden, streckte den Kopf vor und lauschte mit zitterndem Atem.

Plötzlich regte sich Frau Fabias Körper.

John Crofton riss die Augen weit auf. Er wollte, er konnte es nicht glauben! Namenloses Entsetzen erfasste ihn. Hatte er sie denn nicht mit eigenen Händen erwürgt? War es möglich, dass noch Leben in ihr war? Stehen denn die Toten auf, um sich an den Lebenden zu rächen?

Indem er die Beine an sich zog und sich zitternd in dem Sessel barg, starrte er zu Frau Fabia hinüber.

Sie erhob sich langsam von der Erde, mit jener müden Bewegung, die die zeigen, welche eine lange Reise gemacht haben, glättete das seidene Kleid und sagte, unfähig, im ersten Augenblicke die zwei Männer zu erkennen, die tief im Schatten saßen:

»Wo bin ich?«

Plötzlich aber schien ihr eine unbestimmte Erinnerung zu kommen, eine Erinnerung, die wenig mit der Wahrheit zu tun hatte und die sich nur dem Augenblicke anpasste.

»Ganz recht!« murmelte sie lächelnd, indem sie die schweren, dunklen Haarsträhnen aus der Stirne strich. »Ganz recht! Ich bin in den Ahnensaal getreten und habe vermutlich dein Bild betrachtet, Romulus; dabei hat mich der Schlaf übermannt. Wie lächerlich das ist!«

Und sie ging auf Romulus Futurus zu, der sie im ersten Augenblick wie etwas Furchtbares anstarrte. Dann aber sprang er auf, eilte ihr entgegen, schloss sie in seine Arme und presste sie an sich.

»Nicht war, du liebst mich? Du liebst mich rasend, wie immer? Du wirst nie von mir gehen? Wir werden ewig in die Sonne unserer Liebe wandeln?«

Sie schlang die weißen Arme um seinen Hals und flüsterte:

»Habe ich dich nicht immer geliebt? Wohl ist es mir, als ob wir uns heute zum ersten Mal sähen. Aber dein Bild war immer bei mir!«

Romulus Futurus bedeckte dieses Antlitz mit Küssen, das ihm vor kurzem so gleichgültig, beinahe hassenswert erschienen war. Er küsste Frau Fabia so lange, bis er endlich wahrnahm, dass er vergeblich die Züge jenes seltsamen Wesens in dem Antlitz seiner Gattin suchte.

Da erfasste ihn etwas wie eine lähmende, dunkle Traurigkeit.

John Crofton aber war ruckweise, Schritt für Schritt näher getreten und starrte Frau Fabia an.

An ihrem Halse zeichneten sich drei Finger ab, links ein Daumen, rechts der Zeige- und der Mittelfinger. —

Jetzt wandte Frau Fabia den Kopf und erblickte John Crofton . . . Diesem war es, als ob der Blitz ihn treffen müsste. Er riss einen Teppich von der Erde auf und hielt ihn vor das Gesicht, dieses mit dem halbausgestreckten Arme deckend. So stand er da, das personifizierte böse Gewissen, und zitterte.

Frau Fabia sah verwundert diese Bewegung und fragte ihren Gatten:

»Wer ist dieser Mann?«

Romulus Futurus lächelte düster.

»Das ist mein Freund, John Crofton. Solltest du ihn nicht kennen?«

»John Crofton?« wiederholte sie, während ihr Antlitz einen gequälten Ausdruck annahm. Offenbar suchte sie in der Erinnerung nach dem Namen dieses Mannes, und sicherlich war etwas Schattenartiges da, das sie nicht fassen konnte. Sie schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich kenne ihn nicht!«

John Crofton holte tief Atem. Er ließ die Decke sinken und starrte der schönen Frau ins Gesicht. War es möglich, dass sie noch reizender geworden? Hatten Frau Fabias Augen erst den Glanz matt schimmernder Perlen gehabt, so leuchteten sie jetzt wie Sterne in einem tiefen, unbeschreiblichen Glanze. Auch ihre Bewegungen waren noch mehr dazu angetan, das Verlangen John Croftons zu wecken, der in diesem Augenblick von neuem von jener rasenden, teuflischen Leidenschaft erfasst wurde, die ihn schließlich zum Mörder hatte werden lassen.

Aber er verbarg seine Empfindungen ängstlich ebenso vor Frau Fabia als vor dem Freunde. Er beugte sich nieder, führte die Hand der schönen Frau galant an seine Lippen und drückte dann schweigend Romulus Futurus die Rechte.

»Es ist geglückt, mein Freund! Ich gratuliere dir!«

Romulus Futurus hob die beiden Arme wie beschwörend zur Decke empor und flüsterte:

»Ich bin von heute ab der glücklichste aller Menschen, John Crofton! Hast du nicht bemerkt, dass selbst ihre Stimme sich verändert hat? Sie spricht ganz anders und ich erkenne in jeder Bewegung, in allem instinktiv jenes Wesen wieder, das ich vor meinem Bilde zum ersten Mal gesehen habe.«

Darüber, wer jenes Wesen sein könnte, dachte weder Romulus noch Crofton nach. Die Wünsche der beiden Männer trafen sich zunächst nur in dem rasenden Verlangen, Frau Fabia zu besitzen. Wie ein Trunkener ging John Crofton nach Hause, auf neue Mittel sinnend, dieses Weib zu gewinnen, das er in der vergangenen Nacht mit eigenen Händen getötet hatte. —

* * *

V

Der Taumel, in dem Berlin seit Monaten dahingelebt, hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der Komet stand jetzt so nahe der Erde, dass man längst keines Fernrohres mehr bedurfte, ihn zu sehen. Man erblickte ihn allerdings nur des Nachts; allein nun gesellte sich zu dem intensiven roten Licht eine Hitze, die von Tag zu Tag größer wurde. Während das fabelhafte Licht die Nerven der Menschen immer mehr erregt hatte, dass überhaupt keine Norm mehr gegeben war für den Charakter, und alle sich in einem Zustand der Raserei befanden, brachte die intensive Wärme, welche von dem neuen Kometen ausstrahlte, das Blut zum Sieden und erweckte in allen Lebewesen neue Begierden, Leidenschaften und Laster.

Und doch behauptete Romulus Futurus, dass der rote Komet noch durch einen unendlichen Raum von der Erde getrennt sei.

»Es ist eine neue Sonne!« sagte er, »ein gewaltiger Körper, der lange Zeit hindurch, vielleicht ungezählte Jahrmillionen und abermals Jahrmillionen am Ende des Weltalls gestanden hat!«

Bald aber zeigten sich neue Rätsel. Romulus Futurus musste zugeben, dass der rote Komet der Erde nahe genug stand, dass seine Wärme den Zwischenraum bis zur Erde längst durchmessen haben musste. In diesem Falle aber wäre bereits jetzt die ganze Erde in Flammen aufgegangen. Vorläufig jedoch hatte das Nahen des Kometen keine andere Folge, als dass mitten im Winter die Schneemassen schmolzen, so dass die Provinzen unter ungeheuren Überschwemmungen litten. In den süddeutschen Staaten z. B. wurden ganze Städte unter Wasser gesetzt. Durch Austreten des Walchensees wurde die Stadt München an einem einzigen Tage vernichtet und die riesige bayrische Hochebene verwandelte sich in einen See, in ein neues Meer.

Das waren nun Angelegenheiten, die die Berliner nicht allzu sehr aufregten. Dagegen sahen sie nicht ohne große Besorgnis nach der Nord- und Ostsee; denn Ausmessungen hatten ergeben, dass auch diese bedeutend gestiegen waren.

Man kannte keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht als den, dass die Farbe des Lichtes wechselte. Am Tage regierte noch immer noch der weißglühende Körper der Sonne. Sie sandte ihr Licht über die Stadt, ein Licht, das die Augen kaum mehr vertrugen, so dass ihr Schein eine Reihe von Erblindungen hervorrief. So sehr hatten sich die Blicke an das Glühen des roten Kometen gewöhnt. Das Auge war nämlich ganz außerordentlich empfindsam gerade für das Purpurlicht, und es gab Menschen, die viele Stunden oft mit brennenden Blicken hinaufsahen zu dem roten Kometen, indem sie sein Leuchten förmlich in sich einsogen, um schließlich davonzustürzen wie wilde Tiere, irgendeine Schandtat zu begehen. Selbstverständlich traf die Regierung in Berlin die umfassendsten Maßnahmen, um dem Überhandnehmen der Verbrechen zu begegnen. Da die vorhandenen Polizeibehörden nicht mehr ausreichten, so zog man neue Beamte in den Dienst.

Die erste Macht wurde nun dem Kultusminister Romulus Futurus übertragen, weil die Regierung sehr richtig von der Überzeugung ausging, dass das Ressort dieses Ministers sehr enge mit den öffentlichen Sitten, dem öffentlichen Wohle und der öffentlichen Sicherheit verwandt war.

Langsam kehrten die deutschen Heere aus dem Kriege zurück. Zwar war die deutsche Flotte im Kattegat von der Übermacht der englischen Riesenschiffe dezimiert worden. Die deutsche Landarmee aber war in einem unaufhaltsamen Ansturm in Frankreich eingedrungen, hatte die festen Plätze mit ihren furchtbaren Geschützen fast ohne Widerstand genommen und eine Schlacht geliefert, die sowohl in ihren Einzelheiten wie in ihrem Ausgang einzig in der Geschichte dastand.

In Pean war durch den deutschen Oberbefehlshaber der Friede diktiert worden. Inzwischen hatte General Treufest durch eine ausgezeichnete Verteidigungstaktik den Angriff englischer Kriegsschiffe in Kiel und Wilhelmshaven mit großem Erfolge zurückgewiesen, so dass die englische Flotte einen Viertteil ihrer Schiffe durch gewaltige Sprengminen verlor. —

Allein – obgleich in dieser Weise die deutschen Angelegenheiten aufs Beste standen – mehrten sich doch die Stimmen derer, die eine furchtbare Katastrophe vorhersagten, und wirklich lag etwas wie ängstliche Beklemmung, wie ein düsterer Bann über Berlin.

Die Siege Deutschlands hatten nämlich die Revolution, die schon verschiedene Male ihr Haupt erhoben, nicht zur Ruhe bringen können. Wohl hatten bereits dreimal durch die Straßen der Welthauptstadt die Kanonen gedonnert, und die Fackel des Bürgerkrieges war entzündet worden.

Was aber jetzt kam, übertraf alle Befürchtungen.

Die Prophezeiungen, die man an den roten Kometen geknüpft hatte, erfüllten sich.

Die Nachrichten, die aus Paris einliefen, waren grauenvoll; die französische Hauptstadt schwamm im Blute ihrer Bürger, denn auf die Niederlagen hin, die die französische Armee erlitten, war dort wieder das Standrecht der Kommune erklärt worden. In England war ein Unabhängigkeitskrieg zwischen Irland und Großbritannien ausgebrochen, in Amerika wütete schon seit Wochen ein wahnwitziger Kampf zwischen der weißen und schwarzen Rasse, der mit unerhörter Brutalität geführt wurde, und von Osten her wälzte sich die gelbe Gefahr heran.

Der Stein kam in Berlin folgendermaßen ins Rollen:

Große Feste waren angesagt worden, um den Sieg der deutschen Truppen würdig zu feiern. Diese standen noch außerhalb der deutschen Grenze, denn der Mangel an Lebensmitteln machte sich sehr bedenklich bemerkbar, so dass man es den Besiegten überließ, teilweise die Verpflegung der deutschen Truppen zu tragen.

Inzwischen erlitt die französische Volksverteidigung ihre letzten Niederlagen und der Friede sollte festgesetzt werden.

Die französischen Diplomaten wussten eigentlich nicht recht, woran sie waren, denn sie kannten weder die Stellung Amerikas, noch die speziellen Absichten Deutschlands und Englands.

Ein Mensch kannte sie, und in seiner Hand liefen die geheimnisvollen Fäden der in Aussicht genommenen europäischen Alliancen zusammen: Dieser Mann war der Bevollmächtigte des mächtigsten Staates der Erde, Amerika: John Crofton.

Er kam in das phantastisch eingerichtete gemeinsame Wohnzimmer seines Freundes Romulus Futurus und seiner Gattin.

»Hast du etwas vor für heute Abend, Romulus?« fragte er, seine dunkel umränderten Augen zu Frau Fabia erhebend, die ihn keines Blickes würdigte. Sie ging ganz auf in der Liebe zu ihrem Gatten, und dieser erwiderte ihre Zuneigung mit noch größerer Leidenschaft, ein Umstand, der bereits seit Wochen Berlin mit witzigen Gesprächen versorgte, denn man hatte vorher nur zu genau gewusst, wie es um die Ehe des Kultusministers stand.

»Ich habe nichts vor«, entgegnete Romulus Futurus. »Wenn meine Gattin einverstanden ist, so wollen wir eine kleine Spazierfahrt im Flugschiff unternehmen, und zwar dem roten Kometen entgegen, den ich mir gern einmal näher ansehen würde.«

Frau Fabia klatschte in die Hände.

»Das ist eine Idee, Romulus«, sagte sie und trat ans Fenster. Dort hob sie sehnsüchtig die weißen Arme dem Riesenstern entgegen, der purpurleuchtend am Himmel stand.

»Ich fühle Sehnsucht, unstillbare Sehnsucht«, murmelte sie, »und weiß doch nicht wonach, warum! Mir ist als müsste ich wandern, nach irgend einem Orte, der meine Bestimmung einschließt!«

John Crofton fand eine Spazierfahrt gegen den roten Kometen nicht nach seinem Geschmack.

»Man gibt heute Abend den Tannhäuser«, meinte er. »Happy Head-Divina singt die Elisabeth. Ihrer persönlichen Liebenswürdigkeit habe ich drei Plätze zu verdanken, denn die Oper ist ausverkauft, wie immer. Ich hatte sicher darauf gerechnet, dass ihr mitkommen würdet!«

Frau Fabia war eine große Musikfreundin. Sie änderte daher sofort ihren Plan und gab ihre Zustimmung, die Oper zu besuchen. Eine halbe Stunde später fuhren die beiden Herren mit der Dame in die große Oper. –

Die Vorstellung begann pünktlich. Frau Fabia vergaß alles um sich her, während sie der Musik Richard Wagners lauschte, der im dritten Jahrtausend wieder Mode geworden war, nachdem man diese Liebhaberei Jahrhunderte begraben gehabt.

Romulus Futurus aber konnte den Blick nicht von seiner Gattin wenden. Etwas Gequältes lag in seinen Mienen, denn zu seinem eigenen Entsetzen musste er bemerken, dass die rasende Liebe, die er für sie empfunden, immer mehr nachließ, in dem Bewusstsein, dass er wiederum nicht das gefunden hatte, was er suchte. Inzwischen verließ John Crofton die Loge und begab sich hinter die Kulissen.

Happy Head-Divina hatte gerade nichts zu tun. Sie war bezaubernd schön in dem weißen Gewande der Elisabeth, das ihrem Antlitz einen göttlichen Schimmer verlieh und ihre Gestalt wie in flüssiges Silber tauchte.

»Sie haben mich rufen lassen, Happy«, begann John Crofton und trat in ihren Ankleideraum, der aus zwei luxuriös eingerichteten Zimmern bestand. Auf einen Wink von ihr entfernten sich schweigend die Kammerzofe und der kleine schwarze Groom.

»Ich wollte gern wieder einmal ein paar Augenblicke mit dir verplaudern«, entgegnete die Sängerin. »Du machst dich so selten bei mir, und man spricht in unseren Kreisen davon, deine Liebe für Frau Fabia habe immer noch nicht nachgelassen!«

Sie lachte dabei spöttisch und bog den schönen Hals zurück. John Crofton entgegnete ärgerlich:

»Mag sein! Was gehen andere Leute meine Interessen an?«

»Mein Gott, man spricht darüber! Du bist doch immerhin eine interessante Figur, nachdem ganz Berlin weiß, dass Frau Fabia dich nie erhören wird!«

Er kniff die Lippen zusammen und zwischen seine Brauen grub sich eine Falte.

»Das kommt darauf an!« murmelte er.

Die Sängerin trat auf ihn zu, schlang ihre Arme, die nach feinem Puder dufteten, um seinen Hals und flüsterte:

»Und für mich, John, hast du gar nichts mehr übrig? Liebst du mich wirklich nicht mehr? Hast du mich ganz vergessen?«

John Crofton log nicht, als er sie auf seine Knie niederzog und mit verschleierter Stimme entgegnete:

»Nein, nein! Gewiss nicht! Ich liebe dich immer noch so wie früher! Aber die Leidenschaft für Frau Fabia hat mich, ich will es nicht leugnen, ganz verwirrt. Ich liebe dich anders als jene, und es wird die Stunde kommen, wo ich wieder ganz und gar zu dir zurückkehre!«

Miss Happy Head-Divina bedeckte sein Antlitz mit glühenden Küssen, dann drückte sie auf die elektrische Klingel und befahl, Sekt zu bringen. –

Während der Inspizient verzweifelt auf dem Gange hin und her lief, voll Befürchtung, die Sängerin möchte im nächsten Auftritt versagen, wenn sie sich während der Vorstellung einem Gelage hingab, soupierte Happy Head-Divina mit ihrem Freunde.

Sie selbst nippte nur von dem Sekt, während sie John Crofton immer von neuem einschenkte. Und der trank. In ihm war ein glühendes Feuer, das er löschen musste. Und so goss er ein Glas nach dem andern hinunter und bemerkte nicht, wie seine schöne Freundin plötzlich aus einem kleinen Fläschchen einige Tropfen in sein Glas gleiten ließ. —

»Wie steht es denn eigentlich mit dem Friedensschluss?« fragte sie plötzlich scheinbar gleichgültig, eine Zigarette anzündend; der Rauch ringelte sich zur Decke empor.

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06 aralık 2019
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