Kitabı oku: «Das Weltkapital», sayfa 4
Ein verkürzter Begriff des Weltsystems
Den Topos des »Weltsystems« hat insbesondere der US-amerikanische marxistische Sozialtheoretiker und Afrikanist Immanuel Wallerstein in den 70er Jahren mit seinem mehrbändigen Werk »Das moderne Weltsystem« (Wallerstein 1986/1974; Wallerstein 1998/1974) und zahlreichen einschlägigen Publikationen eingeführt. Da es dabei um die Herausbildungsgeschichte des modernen Kapitalismus vom 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts geht, hat Wallerstein wichtiges und teilweise überraschendes Material über den Konstitutionsund Disziplinierungsprozeß des Kapitals zutage gefördert, das zum Beispiel die liebevoll ausgemalte Legende von der »wohlfahrtssteigernden Wirkung« der wunderbaren Marktwirtschaft über lange Zeiträume hinweg aufs Ganze gesehen widerlegt. Schon in der damaligen Debatte, die den Terminus der »Globalisierung« noch nicht inflationär gebrauchte, wohl aber den der »multinationalen Konzerne« (Multis), war das Verhältnis der beiden Totalitätsformen von »Nationalökonomie« und »Weltsystem« ein Streitgegenstand. Wallerstein äußerte sich zu diesem Aspekt, indem er seine Kategorie des »Weltsystems« in eigentümlicher Weise gewissermaßen überdehnte:
»Was in Europa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu beobachten war, ist, dass in einem großen geographischen Gebiet, das sich von Polen im Nordosten in westlicher und südlicher Richtung über ganz Europa erstreckte und große Teile der westlichen Hemisphäre einschloss, eine Weltwirtschaft mit einer einzigen Arbeitsteilung heranwuchs, innerhalb derer es einen Weltmarkt gab, für den die Menschen größtenteils landwirtschaftliche Erzeugnisse zu Verkaufs- und Gewinn-zwecken produzierten. Ich denke, dass es am besten wäre, dies als Agrarkapitalismus zu bezeichnen ... Der Kapitalismus war von Anfang an eine Sache der Weltwirtschaft, nicht eine Sache von Nationalstaaten. Es ist eine falsche Deutung der Lage zu behaupten, dass der Kapitalismus erst im 20. Jahrhundert ›weltweit‹ geworden sei, wiewohl diese Behauptung häufig aufgestellt wird, insbesondere von Marxisten ... Hier wird übersehen, dass das Kapital in einer kapitalistischen Weltwirtschaft die Beschränkung seiner ehrgeizigen Ziele durch nationale Grenzen niemals zulässt und dass die Aufrichtung ›nationaler‹ Schranken – generell: des Merkantilismus – historisch betrachtet eine Verteidigungsmaßnahme jener Kapitalisten ist, die in Staaten ansässig sind, welche auf der Rangliste der Stärksten des Systems den zweiten Platz einnehmen. Dies war der Fall bei England gegenüber den Niederlanden 1660-1715, Frankreich gegenüber England 1715-1815, Deutschland gegenüber England im 19. und der Sowjetunion gegenüber den USA im 20. Jahrhundert. Der Prozess beginnt damit, dass zahlreiche Länder nationale Wirtschaftsschranken aufrichten, eine Maßnahme, deren Folgen häufig noch anhalten, wenn die ursprünglichen Ziele längst erreicht sind. An diesem späteren Punkt des Prozesses empfinden die nämlichen Kapitalisten, die ihre nationale Regierung ehedem dazu drängten, die Restriktionen zu verfügen, diese selben Schranken nun als beengend. Das ist keine ›Internationalisierung‹ des ›nationalen‹ Kapitals. Das ist schlicht eine neue politische Forderung bestimmter Gruppen der Kapitalistenklassen, denen es zu allen Zeiten darauf ankam, ihre Profite innerhalb des realen ökonomischen Marktes, des Marktes der Weltwirtschaft, zu maximieren...« (Wallerstein 1979, 45 ff.).
Es ist nicht zu übersehen, dass diese Argumentation Wallersteins derjenigen Krugmans 20 Jahre später durchaus verwandt ist, wenn auch in Gegensatz zu diesem aus kapitalismuskritischer Sicht entwickelt. Er erklärt Nationalökonomie und Nationalstaat kurzerhand zu unwesentlichen, bloß manipulativen Bezugsgrößen für das grundsätzlich und von Haus aus global orientierte Kapital: Das »Weltsystem« erscheint so als der Raum, in dem sich das Kapital immer schon unmittelbar bewegt.
Das erkenntnisleitende Interesse ist dabei ein durchaus ehrenwertes: Wallerstein äußert sich vom Standpunkt der Dritten Welt, der damals der Standpunkt auch der westlichen Linken war; ja überhaupt der »Weltstandpunkt« der Kapitalismuskritik in einer kurz vor ihrem Ende stehenden Epoche, die durch den Prozess der »nachholenden Modernisierung« an der kapitalistischen Peripherie geprägt war. Wallerstein hat zwar durchaus einen kritischen Begriff des modernen warenproduzierenden Systems, der ihn immerhin dazu befähigt, etwa die Sowjetunion, das Flaggschiff der »nachholenden Modernisierung« im
20. Jahrhundert, als integralen Bestandteil des kapitalistischen Weltsystems einzuordnen. Dennoch bleibt seine Perspektive zeitbedingt auf den Horizont der »nationalrevolutionären« historischen Nachzügler, der abhängigen Weltregionen und ihrer durchaus systemimmanenten Interessen beschränkt; zumindest streckenweise stellt sich der Wallersteinsche marxistische Hintergrund dabei als eine Art »reflektierter Maoismus« dar.
Das wird besonders deutlich, wenn er die strukturellen »Ungleichheiten« innerhalb des von ihm in Zentrum, Peripherie und Semiperipherie eingeteilten Weltsystems erfassen will:
»Sobald es einen Unterschied in der Stärke der Staatsapparate gibt, beginnt auch der Mechanismus des ›ungleichen Tausches‹ zu wirken, ein Mechanismus, den starke Staaten gegen schwache, Länder des Zentrums gegen periphere Gebiete einsetzen. Kapitalismus bedeutet also nicht nur, dass die Produktionsmittelbesitzer sich von denen, die nichts anderes als ihre Arbeitskraft besitzen, den Mehrwert aneignen, sondern Kapitalismus heißt auch die Aneignung des volkswirtschaftlichen Überschusses (Surplus) der gesamten Weltwirtschaft durch die Länder des Zentrums. Und dies galt für das Stadium des Agrarkapitalismus ebenso, wie es für das Stadium des Industriekapitalismus gilt« (Wallerstein 1979, 47).
Wallerstein zeigt sich hier ganz im klassensoziologisch verkürzten (also nicht kategorial systemkritischen) Verständnis des Arbeiterbewegungsmarxismus befangen, dem es letzten Endes bloß um die politisch vermittelte »gerechte Verteilung« innerhalb des warenproduzierenden Systems geht; dieser immanente, positivistische Interessenstandpunkt wird lediglich um die Dimension der Dritten Welt erweitert. Wie ein in diesem Sinne beschränkter Begriff des Kapitals auf der Ebene der sozialen Beziehungen nahezulegen scheint, dass die den Mehrwert hervorbringende »unbezahlte Arbeit« zu einer »bezahlten« gemacht werden solle, so auf der Ebene der internationalen Beziehungen die entsprechende Vorstellung eines »ungleichen Tauschs«, dass dieser zu einem »gleichen« zu machen wäre.
Der Selbstzweckcharakter des Kapitalismus, also die Irrationalität des vom Kapital bedingten gesellschaftlichen Systems, kommt gar nicht in Betracht; stattdessen wird bloß der soziologisch definierte immanente Interessenstandpunkt in politischmoralischen Kategorien ausgedrückt. Der in den 70er Jahren populäre Begriff des »ungleichen Tausches« moralisiert und vernebelt damit das Problem der sogenannten »Unterentwicklung«, das schon seinem Begriff nach von kapitalistischen Standards definiert ist. In Wahrheit liegt das Problem gar nicht auf der Ebene der Zirkulation, also des »Tauschs« von Waren, sondern auf der Ebene der Produktion unter kapitalistischen Bedingungen im globalen Maßstab, also der »abstrakten Arbeit«. Gerade wenn Wallerstein seinen Begriff des »Weltsystems« in dieser Hinsicht ernst nehmen würde, müsste ihm dieser Zusammenhang deutlich werden.
Denn der Wert der Güter wird gemessen nach dem jeweils gültigen Standard der Produktivität, und nur in diesem Sinne findet auf den Märkten ein Warentausch von Äquivalenten (also ein »gleicher« Tausch) statt. Getauscht werden nicht Waren nach ihrem Arbeitsaufwand schlechthin, sondern nur nach dem Aufwand unter den gültigen Bedingungen der Produktivität, die wiederum ihrerseits an einen bestimmten Einsatz von Sachkapital (naturwissenschaftlich fundierter Technologie) gebunden sind. Zwar kann ein Unternehmen, das diese »gültige« Technologie nicht anwendet, durch vermehrten und verbilligten Arbeitseinsatz zeitweilig konkurrenzfähig bleiben, aber die gemäß dem Standard überproportional aufgewendete menschliche Energie wird auf dem Markt nicht als wertbildend anerkannt, d.h. die Waren werden als Äquivalente nur nach dem herrschenden Produktivitätsstandard getauscht. Das unterproduktive Unternehmen (und die entsprechende unterproduktive Nationalökonomie) kann nur durch Unterbezahlung und Auspowerung der jeweiligen Arbeiter mithalten, aber auch das nur zeitweilig.
Woran aber mißt sich der Standard der Produktivität? Er wird gemessen nach dem gesellschaftlichen Durchschnitt dieser Produktivität, also nach dem durchschnittlichen Grad der technologischen Verwissenschaftlichung der Produktion, die (im Kapitalismus nur unter dem Druck der anonymen Konkurrenz) menschliche Arbeit überflüssig macht. Nun aber kommt die Gretchenfrage: Was ist eigentlich das Bezugssystem dieses »gesellschaftlichen Durchschnitts«? Es ist ganz eindeutig die nationalökonomische Ebene der kapitalistischen »Totalität«. Denn nur im Binnenraum der jeweiligen Nationalökonomie gelten die gemeinsamen Rahmenbedingungen, die so etwas wie einen »gesellschaftlichen Durchschnitt« überhaupt herstellen können. Dazu gehört natürlich auch das, was als äußerliche staatliche Leistung (Infrastruktur, Ausbildungssystem usw.) in die scheinbare »Naturgrundlage« der betriebswirtschaftlichen Produktion mit eingeht; ebenso wie – indirekt – der Grad, die Art und Weise sowie die jeweilige Reichweite des geschlechtlichen Abspaltungsverhältnisses, denn die unsichtbaren sozialen »Schmiermittelfunktionen« setzen ebenso eine Bedingung für den Grad der Produktivität wie das Ausbildungssystem (durchaus erkannt in den neueren Managementtheorien, die auch diese Ressource systematisch ausbeuten wollen).
Auf der zweiten, höheren Totalitätsebene des Weltsystems, also des Weltmarkts, existieren aber diese (teils staatlich bewerkstelligten oder jedenfalls im nationalen Rahmen ausgebildeten) Rahmenbedingungen nicht, die es erlauben würden, dass sich so etwas wie ein gesellschaftliches Weltdurchschnittsniveau oder eben ein gemeinsamer Weltstandard der Produktivität herausbilden kann. Stattdessen setzt sich auf der Ebene des Weltsystems das Produktivitätsniveau der industriell hochentwickelten Länder unabhängig vom Stand der übrigen Weltmarktteilnehmer durch. Es ist also nicht etwa so, dass im Weltsystem die Beziehung der Nationalökonomien untereinander ein Analogon zur Beziehung der Unternehmen untereinander innerhalb der jeweiligen Nationalökonomie bilden würde.
Insofern haben Krugman wie Wallerstein in gewisser Weise durchaus recht, aber anders, als sie meinen. Da sich im globalen Maßstab des Weltsystems kein »objektiver« Durchschnitt der Produktivität herausbildet, kann auch kein solcher durch die Teilnahme der kapitalschwachen und in ihrer Produktivität zurückgebliebenen Länder gesenkt werden, sondern auf dem Weltmarkt werden alle am Produktivitätsstandard der jeweils am höchsten entwickelten Nationalökonomien als dem einzigen »objektiven« Kriterium gemessen.
Das bedeutet, dass ein großer Teil der vernutzten menschlichen Arbeitsenergie in den kapitalistisch zurückgebliebenen Ländern nicht als wertbildend anerkannt wird. Nicht mit einem, wie es bei Wallerstein durchklingt, womöglich machtpolitischmilitärisch durchgesetzten »ungleichen Tausch« haben wir es zu tun, sondern mit dem (kapitalistischen) ökonomischen Gesetz der Produktivität, nach dem sich überhaupt die Äquivalenz von Warentauschbeziehungen herstellt. Diese »Gleichheit« des Tauschs kann nur auf einem gemeinsamen Maßstab der Produktivität beruhen; aber im staaten- und regulationslosen Weltsystem bildet sich dieser Maßstab anders als innerhalb der regulierten und mit Rahmenbedingungen versehenen Nationalökonomie.
Die Kritik kann also nicht auf der Ebene der Zirkulation (des Austauschs) ansetzen, sondern nur auf der Ebene der gesamt-und weltgesellschaftlichen Reproduktion über das System der »abstrakten Arbeit«; und daher auch nicht nach äußerlichen politisch-moralischen Kriterien, sondern nur als radikale Kritik an der historischen Form der Weltgesellschaft selbst, d.h. am modernen warenproduzierenden System (unter Einschluß seiner staatlichen Apparatur und seiner »geschlechtslogischen« Abspaltungsstruktur). Das würde allerdings bedeuten, weder den »vorenthaltenen Mehrwert« noch den »gleichen Tausch« einzuklagen, sondern die auf den Kategorien des Werts und des Warentauschs beruhende Produktionsweise selber zu überwinden, weil sie mit dem Grad der (globalen) Vergesellschaftung unvereinbar geworden ist.
Innerhalb des kapitalistischen Weltsystems entsteht durch das Problem der Produktivität und ihres Maßstabs eine Dynamik von »Entwicklung« und »Unterentwicklung«. Die historischen Nachzügler mit geringer Basis der Akkumulation sind durch das Dilemma belastet, dass sie die naturwissenschaftlichtechnologische Ausrüstung und Logistik der Produktion weder in ausreichendem Maße selber herstellen können noch die Kapitalkraft besitzen, um sie im Ausland einzukaufen. Diesem Dilemma gegenüber können sie nur zwei Faktoren ausspielen: zum einen die relative Abschottung durch staatliche Maßnahmen, zum andern billiges Menschenmaterial, das im Kampf mit den Produktivitätsstandards auf dem Weltmarkt verheizt wird.
Deshalb waren alle »unterentwickelten« Länder, gerade auch die als »sozialistisch« firmierenden, im Prozess der Modernisierung stets in irgendeiner Weise staatskapitalistisch und besonders repressiv arbeitsideologisch. Der im ehemaligen Ostblock höhere Grad von staatsbürokratischer und betriebsorganisatorischer Substitution der »weiblichen« Abspaltungsfunktionen (bestes Beispiel: verallgemeinerte Betriebskindergärten) diente nur dazu, die Frauen als Fabrikarbeiterinnen, Traktoristinnen usw. mit großenteils wesentlich längeren Arbeitszeiten als im Westen im System der »abstrakten Arbeit« zu verschleißen. Betriebskindergärten etc. als organisatorische Pufferfunktion für die Auspowerung auch der weiblichen Arbeitskraft zwecks Devisenbeschaffung, das war die klammheimliche Parole.
Durch das kapitalistische Entwicklungsgefälle mußte in das Weltsystem eine Dynamik von Instabilität hineinkommen, die schließlich auch derart »staatssozialistische« historische Sonder- und Übergangsstrukturen im Gefüge von »abstrakter Arbeit«, Nationalökonomie, Abspaltungsverhältnis und Weltmarkt wieder eliminierte. In anderen Ländern der Peripherie, also vor allem der so genannten Dritten Welt, die es gar nicht bis zu einer hoch organisierten nachholenden Industrialisierung/Modernisierung brachten, setzte sich der Verschleiß billigen Menschenmaterials noch viel brutaler durch; und das ist in den Zonen etwa der Exportindustrialisierung im Kontext des heutigen Globalisierungsprozesses erst recht der Fall. Man denke nur an die massenhaft wie Sklavinnen gehaltenen, quasi kasernierten chinesischen Fabrikarbeiterinnen. Einerseits wird so in der unterproduktiven Nationalökonomie der hochentwickelte globale Produktivitätsstandard unterlaufen bzw. heute globales Investitionskapital aus eben diesem Grund angezogen; andererseits bleibt die gesellschaftlich vermittelte Produktivität in solchen Ländern auch dadurch am Boden, dass die vielfältigen »Schmiermittelfunktionen« der weiblich konnotierten Abspaltungsstruktur weitgehend ausfallen, weil die Frauen an der Front der Billigarbeit mit verheizt werden und die Entwicklungsbürokratie einfach nicht die Kraft hat, Ersatzfunktionen auszubilden.
Wallersteins Begrifflichkeit von Zentrum, Peripherie und Semiperipherie beschreibt zwar die Oberfläche dieser Dynamik im globalen Produktivitätsgefälle der Form nach durchaus zutreffend (allerdings fehlt ihm der Zugang zum Problem der Produktivitätsunterschiede). Im Jargon der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre und Entwicklungstheorie entsprechen dieser Oberfläche die Begriffe der »voll entwickelten« Länder, der »unterentwickelten« Staaten und der sogenannten »New Industrialized Countries« (Nics) oder »Schwellenländer«. Aber Wallerstein bleibt dabei im Grunde genommen ebenso phänomenologisch beschränkt wie die damaligen Entwicklungstheorien und der heutige Globalisierungsdiskurs, eben weil das warenproduzierende System als Bezugsrahmen blind und positiv vorausgesetzt wird.
Das ist letzten Endes auch der Grund, warum die beiden offiziellen Kategorien kapitalistischer »Totalität«, nämlich Nationalstaat bzw. Nationalökonomie einerseits und Weltsystem andererseits, bei Wallerstein gewissermaßen als ahistorisch erscheinen. Er sagt zwar, dass diese Struktur einer kapitalistischen Weltökonomie im 16. Jahrhundert entstanden ist; aber er entwickelt keine Theorie der qualitativen Dynamik, der qualitativen Entfaltung und vor allem der Krisengeschichte dieses Systems, in der sich die Rolle und das gegenseitige Verhältnis der verschiedenen Bezugsebenen in einem historischen Prozess selber strukturell verändern und den immanenten Widerspruch zur Reife bringen.
Stattdessen scheinen wir es von Anfang an mit immer derselben, einmal herausgebildeten Struktur eines Weltsystems zu tun zu haben, in der sich bloß die »Ereignisgeschichte« eines Aufstiegs und Abstiegs der einzelnen Kapitalien und politischen »Mächte« abspielt, wobei durchgehend Nationalstaat und Nationalökonomie samt ihren basal eingelagerten und gleichzeitig widersprüchlich abgespaltenen Mikrostrukturen (die reproduktive Funktion des Geschlechterverhältnisses kommt auch bei Wallerstein wie in der gesamten Politökonomie überhaupt nicht vor) lediglich eine Art taktischen Bezugs-rahmen für wechselnde Interessenlagen der Kapitalien bilden sollen, die in letzter Instanz »machtpolitisch« durchgesetzt werden.
Die Periodisierungen, die Wallerstein dabei vornimmt, bleiben daher ebenfalls äußerlich und phänomenologisch; es geht dann nur um die historischen Verschiebungen zwischen Zentrum, Peripherie und Semiperipherie; ganz ähnlich wie im heutigen Globalisierungsdiskurs um die Umgruppierungen von »Gewinnern« und »Verlierern« vor dem Hintergrund des immergleichen allgemeinen Bezugssystems, nämlich des ewigen Weltmarkts.
Das System selber scheint keine innere, qualitative Geschichte zu haben, sondern nur eine äußere Geschichte von quantitativen »Wechsellagen« der Interessen und Machtverhältnisse. Diese theoretische Beschränkung ergibt sich aus dem beschränkten Interesse, bei einer erwarteten oder postulierten Neuverteilung der Karten, bei einer Neuformierung und Umgruppierung innerhalb des vorausgesetzten globalen Bezugssystems ein Wörtchen mitzureden, Position zu beziehen, Ratschläge zu erteilen etc.
Vom Standpunkt einer qualitativen Kritik jedoch wird auch eine qualitative Geschichte auf beiden Ebenen der kapitalistischen »Totalität« und ihrer gegenseitigen Verschränkung sichtbar, die eine andere Periodisierung als die einer bloß äußerlichen Umgruppierung von »Kräfteverhältnissen« erlaubt. Dabei ist historisch gesehen eine dreifache strukturelle Verschiebung im Verhältnis von Weltmarkt und Nationalökonomie zu erkennen.
Es ist hinsichtlich der Urgeschichte des Weltsystems tatsächlich so, wie Wallerstein mit vielem Material zeigt, nämlich dass man sagen kann: Am Anfang war der Weltmarkt. Denn die Ursprünge der kapitalistischen Produktionsweise reichen ja in das gesellschaftliche Milieu weitgehend feudal organisierter Agrargesellschaften zurück. Deren Organisationsprinzip war jedoch nicht national (territorial), sondern dynastisch bestimmt.
Es konnte also am Anfang noch gar kein nationalstaatlichnationalökonomisches Bezugssystem existieren. Zwar lässt sich die Geburt des Kapitalismus als identisch mit dem Staatsbildungsprozess der frühen Neuzeit beschreiben, in dem die Entfesselung der Geldwirtschaft aus der Monetarisierung der Abgaben hervorging, die wiederum das staatliche Territorialprinzip (an Stelle bloß persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse) hervorbrachte. Ebenso lässt sich zeigen, wie zusammen mit der Territorialstruktur gleichzeitig auch der Diskurs und das Realverhältnis der modernen geschlechtlichen Abspaltungsstruktur sich allmählich herausbildeten. Aber das Territorium der Besteuerung und der embryonalen neuen Geschlechterverhältnisse unter den absolutistischen Regimes war eben noch kein Nationalstaat mit nationalökonomischer Kohärenz im kapitalistischen Sinne. Der entstehende kapitalistische Markt bewegte sich also quer zu den selber erst entstehenden absolutistischen Territorialstaaten. Und vermittelt durch die koloniale Expansion in Übersee stellte er sich von vornherein als Weltmarkt dar.
In Gestalt des frühen Weltmarkts im Kontext des Kolonialsystems war das Kapital wirklich der »fremde Gott« (Marx), der über die Gesellschaften hereinbrach, während gleichzeitig sich komplementär in diesen Gesellschaften selbst zentralistische Territorialstaatlichkeit, moderne geschlechtliche Abspaltungsstruktur und entsprechende Ideologien (Protestantismus) entwickelten; wobei im Sinne einer Ausrichtung der Individuen und einer auch kulturell-symbolischen Fundierung des fetischistischen neuen Gesamtverhältnisses die geschlechtliche Abspaltung eine keineswegs zufällig aus den späteren Reflexionen ausgeblendete Tiefendimension markiert.
Erst auf diese Weise wurden überhaupt die begrenzten lokalen Märkte ohne Konkurrenzprinzip, die in der Agrargesellschaft eine bloße Nischenfunktion (für Überschüsse und Spezialprodukte) hatten, durch anonyme großräumige und sogar transkontinentale Märkte mit blinden Konkurrenzverhältnissen ersetzt. Es fand also nicht ein allmählicher und geradliniger Aufstieg von lokalen und regionalen Märkten zu nationalökonomischen Binnenmärkten und erst von da aus zum Weltmarkt statt, sondern genau umgekehrt brach unmittelbar der Weltmarkt katastrophisch über die agrargesellschaftlichen Strukturen und deren begrenzte Märkte herein, um dann als Folge (statt Ursache) dieser Entwicklung gewissermaßen von oben die Bildung nationalökonomischer und damit nationalstaatlicher Strukturen zu erzwingen, die überhaupt erst eine weitere, daran anschließende Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise auf ihren eigenen Grundlagen ermöglichten.
Zwar im Kontext dieses Prozesses und mit diesem vermittelt, jedoch ohne darunter subsumiert werden zu können, bildete sich »gleichursprünglich« (Roswitha Scholz) das moderne Geschlechterverhältnis aus, als Abspaltung von der strukturell männlichen Subjektivität der Protoformen »abstrakter Arbeit« und Verwertungslogik. Dieses Verhältnis befindet sich einerseits auf derselben Totalitätsebene wie das »Kapital im Allgemeinen«, dessen Bestandteil es dennoch nicht sein kann; ebenso wenig das »ganz Andere« oder gar Transzendierende; es handelt sich vielmehr um das negativ vermittelte Moment, wie im Kapitalismus das in ihm nicht aufgehende Soziale und Reproduktive dennoch »bearbeitet« wird. Andererseits erscheint dieses Abspaltungsverhältnis ebenfalls in den nationalen Rahmen eingebannt; es schmiegt sich diesem gewissermaßen vielfältig an, ohne eine bloß abgeleitete Funktion desselben zu sein. Die Abspaltungsstruktur befindet sich also auf derselben abstrakten Totalitätsebene wie das »Kapital im Allgemeinen«; sie hat jedoch als konkreten Rahmen im Unterschied zu diesem nicht die beiden Ebenen von Nationalökonomie und Weltmarkt, sondern ihr gesamtgesellschaftlicher Bezugsrahmen kann nur die bürgerliche Nation sein.