Kitabı oku: «Interstate»
Robert Lang
Interstate
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Impressum neobooks
Kapitel 1
Robert Lang
Interstate
Roman
1 Chugwater, Wyoming
Der große Mann stieg aus dem Wagen, schaute sich nach allen Seiten um und ging die wenigen Schritte zu dem kleinen Liquor Shop, dessen Türschild versprach, er sei geöffnet. Er hatte den steifen Gang eines Mannes, der lange Zeit in einer unbequemen Haltung verbracht hatte; sorgfältig setzte er einen Fuß vor den anderen, so als überquerte er einen Bach auf einem schmalen Balken, dem nicht im Mindesten zu trauen war.
Sein Gesicht war von einer freundlichen und offenen Art, aber selbst die von der Sonne eines langen Sommers gebräunte Haut konnte nicht über die völlige Erschöpfung ihres Besitzers hinwegtäuschen.
Drinnen im Laden war es fast dunkel, nur die neonweiße Beleuchtung der verglasten Kühlschränke spendete etwas Licht. Es roch nach Glasreiniger oder Desinfektionsmitteln, so als sei die Einrichtung gerade erst auf Hochglanz gebracht worden. Der Mann an der Kasse schaute kaum auf, im schwachen Licht einer Tischlampe war er in die Lektüre eines Buches vertieft.
Der Kunde entnahm dem Kühlschrank einen Karton Budweiser, in einem Regal auf der anderen Seite des Ladens fand sich eine Flasche Campari. Seine Begleiterin, die im Auto wartete, liebte dieses Zeug. Mit reichlich Orangensaft verdünnt konnte sie es den ganzen Abend über trinken, ohne dabei betrunken zu werden, sie war dann höchstens ein wenig beschwipst, und das auf eine hinreißende Art. Er selbst blieb abends lieber bei ein paar Dosen Bier. Er brauchte einen klaren Verstand, wenn er der Situation gewachsen sein wollte, in der sie sich befanden.
Er bezahlte in bar und erhaschte dabei einen Blick auf das Buch des Kassierers; es war ein halb zerfallenes Exemplar von Moby Dick, das ganz offensichtlich durch viele Hände gegangen war.
„Guter Roman“, sagte er, aber der Mann, ein großer Afroamerikaner Mitte zwanzig, mit breiten Schultern und Rasta-Locken, war nicht zum Plaudern mit einem Fremden aufgelegt. Er betätigte die Kasse, zählte dem Kunden das Wechselgeld vor und schien ihn eine Sekunde später wieder vergessen zu haben. Er half lieber Captain Ahab bei der Jagd.
Der Mann trat hinaus ins weiche Licht eines frühen Abends und blickte aufmerksam nach rechts und links, eine Angewohnheit, die er sich wie von selbst zugelegt hatte, seit er verfolgt wurde. Der Beruf, dem er noch vor zwei Wochen nachgegangen war, hatte einen passablen Beobachter aus ihm gemacht, und seine derzeitige Lage tat ein Übriges. Er musste wachsam agieren, denn kleine Fehler konnten große Probleme schaffen.
Er zählte vier Fahrzeuge, die jedoch an derselben Stelle gestanden hatten, als er vor wenigen Minuten ausgestiegen war. Fußgänger waren nirgends zu sehen - was wenig verwunderlich war, denn es gab hier kaum Geschäfte oder Büros. Wenn das die Hauptstraße war, wollte er nicht wissen, wie es anderswo in diesem Ort aussah.
In einem kleinen Städtchen des Westens wie diesem erwartete man Tumbleweed, das vom Wind träge über die Straße gerollt wurde, oder kleine Windhosen, die den Staub der Straße aufsammelten, um ihn nach einem kurzen Tanz an einer anderen Stelle wieder abzulegen.
Aber nichts dergleichen, die Straße lag still und reglos da, nur ein herrenloser Hund mit einem verkrüppelten Hinterlauf und schmutzig-braunem Fell näherte sich ihm. Aber als der Mann keine Anstalten machte, ihn zu füttern oder wenigstens zu streicheln, schleppte er sich ein paar Meter weiter und trollte sich hinter eine halboffene Mülltonne, aus der es säuerlich nach verdorbenem Essen roch.
Er merkte jetzt, dass sie auf der heutigen Fahrt von Kansas City, Missouri, auf eine Höhe von gut sechzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel geklettert waren. Es wurde frisch, sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwand.
Sie hatten ein paar Straßen weiter – nahe der Auffahrt zur Interstate 25 - ein Zimmer in einem kleinen Motel gefunden, waren eingecheckt, hatten ihr Gepäck hineingetragen, und obwohl sie beide nach einer 12-stündigen Fahrt todmüde hier angekommen waren, hatten sie sich noch einmal ins Auto gesetzt, um im „Stampede Saloon“, den der Besitzer des Motels ihnen empfohlen hatte, etwas zu essen. Und obwohl sie zuerst kaum Appetit verspürt hatten, schmeckte ihnen das Essen hervorragend.
Sie aßen ein paar riesige Burger, die sie mit einer Karaffe Eistee hinunterspülten, und als die Rechnung kam, fragte die Kellnerin beiläufig, wo sie denn herkämen - er spreche mit einem Akzent, den sie noch nicht gehört habe. „Aus Norwegen“, sagte Cord, worauf sie wissen wollte, ob das in der Nähe von Italien liege.
„Ungefähr so nah, wie New York City von Miami entfernt ist.“
Sie hatten trotz ihrer Müdigkeit lachen müssen, aber die Frau freundlich aufgeklärt, bevor die Situation peinlich werden konnte.
„Tut mir leid, Leute“, sagte die Kellnerin. „Ich bin einundfünfzig Jahre alt und noch nie weiter hier rausgekommen als bis Laramie. Und auch das nur, weil meine Schwester dorthin geheiratet hat.“
„Dann steht es 1:0 für Sie – Sie kennen sicher jeden Stein in dieser Gegend, oder?“ Sie errötete aus irgendeinem Grund und räumte rasch die Teller ab. Cord hinterließ ein großzügiges Trinkgeld auf dem Tisch und bezahlte die Rechnung an der Kasse neben dem Eingang.
Norwegen - gestern war er Schwede gewesen, und an vorgestern konnte er sich kaum mehr erinnern. Er sollte sich bald für eine dauerhaftere Identität entscheiden, denn die ständig neuen Lügen wurden anstrengend, und irgendwann würde er einen Fehler machen, sich in Widersprüche verheddern und damit den unsichtbaren Feind hinter ihnen erneut auf ihre Fährte lenken. Obwohl sich in seinem Aktenkoffer drei ziemlich echte Reisepässe befanden, scheute er davor zurück, mit ihnen hausieren zu gehen. Was er nicht vorzeigte, konnte auch von niemandem als falsch entlarvt werden.
Ja, dieser Kerl kam mir sofort komisch vor, der konnte kaum sein Jackett anziehen, so, als hätte er ein Problem mit seiner Schulter; behauptete, er sei ein norwegischer Journalist. Schaute sich ständig um, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Das muss Ihr Mann gewesen sein. Das war kein Skandinavier. Ja, Sie sagen es, meine Herren, Deutscher, das würde ich auch meinen!
Er glaubte nicht, dass seine Verfolger hier auftauchen und den alten Tankstellenpächter von Chugwater ins Kreuzverhör nehmen würden, allerdings war er sich einer Vielzahl von Dingen, die er noch vor ein paar Wochen als selbstverständlich betrachtet hatte, heute nicht mehr sicher. Es war zu viel geschehen.
Cord Hennings ging zum Heck des Wagens, öffnete die Klappe und legte das Bier und den Campari in den Kofferraum, wobei ihn seine Schulterwunde (die zumindest war echt, echter, als ihm lieb sein konnte) schmerzhaft daran erinnerte, dass er alles andere als in guter Verfassung war, und dass er dringend eine längere Pause benötigte, um gesund zu werden und wieder zu Kräften zu kommen.
„Ich habe mal ein wenig zu diesem Nest recherchiert“, sagte Lisa, während sie ihr Handy ausschaltete und in ihre Umhängetasche steckte. „Es hat nach der letzten Zählung zweihundertzwölf Einwohner, davon sind nullkommafünf Prozent Schwarze. Was zum Teufel ist ein halbes Prozent Afroamerikaner von zweihundertzwölf?“ Sie kicherte.
„Das halbe Prozent hat mir gerade Getränke verkauft und liest Abenteuerromane“, sagte er und brachte sie damit zum Lachen. Sie lachten viel zu selten. Die ganze Fahrt über hatte sie ihn immer wieder sorgenvoll von der Seite angeblickt, so als zweifelte sie daran, dass er durchhalten würde. „Du hättest mich in den Laden gehen lassen sollen. Du kannst ja kaum mehr stehen.“
Auf dem Weg zurück zum Motel passierten sie einen Streifenwagen, der aufgebockt in der Ausfahrt einer Feuerwache stand. Ihm fehlte das rechte Vorderrad, ein Cop war nirgends zu sehen. „Eine gute Gelegenheit für Bankräuber“, frotzelte Lisa. „Und für Brandstifter“, sagte er.
Sie parkten rückwärts vor ihrem Zimmer ein und Lisa zog los, um die fertige Wäsche aus der Maschine zu nehmen und den Trockner anzuwerfen, während er das Zimmer aufschloss und die mitgebrachten Getränke in den Kühlschrank stellte.
Sie hatten beide – aus unterschiedlichen Gründen - kaum Zeit gehabt, vernünftig für eine längere Reise zu packen, und deshalb galt es, alle paar Tage für frische Wäsche zu sorgen.
Cord streifte seine Schuhe ab, ließ sich auf das große Doppelbett fallen, schaltete mit der billigen Fernbedienung den Fernseher ein und zündete sich eine Zigarette an. Da sie beide rauchten und nirgends ein Verbotsschild hing, war das wohl unproblematisch.
Er war schon einmal in diesem Städtchen gewesen, fast fünfzehn Jahre musste das her sein, und er war mit seiner damaligen Partnerin hier gestrandet, auf dem Weg vom Devils Tower hinunter in den Süden. Er konnte sich nur deshalb noch daran erinnern, weil es der Tag gewesen war, an dem Hurrikan Katrina in New Orleans angelandet war, ein paar Dämme gebrochen waren und gigantische Fluten einen großen Teil der Stadt unter Wasser gesetzt hatten. Er hatte damals den Fernseher laufen gehabt, und mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination die Nachrichten aus Louisiana und anderen betroffenen Gegenden der Golfküste verfolgt.
Später, als sie wieder auf der Straße waren, begegneten ihnen auf Schritt und Tritt Menschen, die dort unten ihr Haus verloren hatten, und die alles, was ihnen geblieben war, auf dem Dach ihres Autos festgezurrt hatten. Beinahe jeder von ihnen stand vor dem Nichts.
Er wusste nicht, ob es richtig war, dass er seine Begleiterin immer tiefer in seine Angelegenheiten hineinzog. In New Orleans hatte es sich richtig angefühlt, aber spätestens seit einer Schießerei auf einem Parkplatz in Texas, bei der sie beide hätten draufgehen können, war er nicht mehr sicher, was sie betraf.
Sie hatten vor einigen Tagen, noch unten in Louisiana, einen vagen Deal abgeschlossen: Er nahm sie mit, egal wohin, Hauptsache so weit weg wie möglich von einem sadistischen Ehemann, der eitel genug sein würde, sie im ganzen Land zu suchen wie einen entlaufenen Hund.
Dafür half sie ihm in Angelegenheiten, bei denen er nur ungern selbst auftrat. Er konnte sie zur Bank schicken, wenn sie Bargeld brauchten. Sie ging zur Apotheke, um Medikamente zu besorgen, und ab und zu erledigte sie Telefonate für ihn. Sie verband seine Schusswunde alle paar Stunden neu – und, sie schlief mit ihm, was aber nicht zu dem Deal gehörte. Jedenfalls hoffte er das.
Sie war hart im Nehmen, das hatte sich schnell gezeigt, als sie unter Druck gerieten, und es hatte ihm einiges über sie und ihre Vergangenheit erzählt. Vielleicht war sie härter als er selbst es war.
Und just in der Sekunde, in der er das dachte, kam sie heftig atmend und kreidebleich ins Zimmer und ließ sich auf einen Stuhl vor dem Fernseher fallen.
„Was ist los? Hast du ein Gespenst gesehen?“
„Etwas, das dem nahekommt“, antwortete sie, immer noch aus der Puste. „Ich habe einen Anfall von Platzangst bekommen. Die Waschmaschine und der Trockner stehen in einem winzigen Verschlag, in dem man sich kaum um sich selbst drehen kann. Ich hasse so etwas. Und dann kam auch noch die Besitzerin herein, und da wurde es mir zu viel. Albern, oder?“
„Nein, das ist überhaupt nicht albern. Wenn der Trockner fertig ist, bleibst du hier und ich hole stattdessen die Wäsche.“
„Danke! Er müsste in einer halben Stunde soweit sein. Und jetzt brauche ich erstmal einen kräftigen Drink.“
2 Manassas, Virginia
„Verdammt, ich brauche das Geld jetzt! Genauer gesagt, morgen Abend um einundzwanzig Uhr!“
Er stieß ein paar wilde Verwünschungen aus, während er seine sorgfältig manikürte Hand zu einer lächerlich kleinen Faust ballte.
Sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung wartete geduldig, bis er sich wieder in der Gewalt hatte.
„Hat er dich wieder an den Eiern? Klar, das hat er, warum frage ich überhaupt? Wieviel ist es diesmal?“
„Fünfzigtausend, Übergabe morgen Abend, diesmal in einem Parkhaus in der Nähe des Logan Circle. Das alte Spiel – er ruft mich an, bevor ich das Parkhaus betrete, er gibt mir ein Signal, dann lege ich die Tasche mit dem Geld unter das Auto, das mir am nächsten steht. Und dann verschwinde ich wieder, ohne ihm begegnet zu sein. Verdammt, ich kann nicht mehr zahlen, bei mir ist Schluss.“
„Kann deine Frau dir nichts geben?“
„Das geht nicht, ich habe schon ihre beiden Sparkonten geplündert. Wenn sie das eines Tages merkt, dann wird sie sofort zu ihrem Anwalt laufen. Und wenn das passiert, bin ich am Ende. Wen ich bumse, ist ihr egal, so lange ich dabei diskret bin. Aber wehe, sie oder ihr blaublütiger Inzuchtverein erfahren von diesem Schlamassel!“
„Ich habe dir von Beginn an gesagt, dass ein Geschäft wie dieses Zeit benötigen würde. Unser Schiff ist vor drei Tagen in Rumänien ausgelaufen, es wird zwei bis drei Wochen dauern, bis es sein Ziel erreicht. Zum Glück konnte ich aushandeln, dass wir unseren Anteil schon bekommen, wenn die Ware Gibraltar passiert und auf dem Atlantik richtig Fahrt aufgenommen hat. Das müsste in ein paar Tagen der Fall sein.“
„Aber ein paar Tage sind ein paar Tage zu viel für mich.“
„Du musst diesem Burschen Geduld beibringen. Sag ihm, er bekäme das Doppelte, wenn er für eine Weile die Füße stillhält. Herrgott, du weißt doch am besten, wie man so etwas macht!“
„Ich pfeife auf deinen Herrgott, Mann!“ Seine Stimme war schrill geworden. „Wenn ich nicht binnen dreißig Stunden Geld auftreiben kann, bin ich mausetot. Warum sollte dieser Kerl denn geduldig sein? Es ist sein Spiel. Er kann das Dreifache verlangen, oder das Hundertfache. Jetzt oder zu jeder Zeit!“
Der Anrufer schwieg einen Moment, und als er wieder sprach, konnte man den Widerwillen aus seiner Stimme hören.
„Er wird ein Interesse daran haben, dich am Leben zu halten, denn nur dann kann er dich weiterhin melken.“ Jetzt schwang Ekel in seiner Stimme mit. „Pass, auf! Ich leihe dir das Geld, ein allerletztes Mal, das muss dir klar sein. Wenn du auffliegst, dann bin vermutlich auch ich geliefert, und nur deshalb helfe ich dir.“ Er fluchte. „Komm mit diesem Hurenbock ins Reine, egal wie, es kann so nicht weitergehen.“
„Danke, Bill, tausend Dank! Ich kümmere mich darum, versprochen.“
Obwohl die Klimaanlage in seinem Arbeitszimmer auf Hochtouren lief, floss ihm der Schweiß in Sturzbächen aus dem schütteren Haar, und er atmete schwer. „Wo soll ich das Geld abholen? Bei dir zuhause?“
„Gott bewahre! Ich will öffentlich nichts mit dir zu tun haben, bis dieses Ding in trockenen Tüchern ist. Ach was, genau genommen will ich es danach genauso wenig. Seit du angefangen hast, Kinder zu ficken, bist für mich gestorben. Ich schicke dir einen Boten nach Hause, sagen wir, morgen früh, bevor du zur Arbeit fährst.“
„Ich habe morgen Vormittag erst um elf Uhr einen Termin im Oval Office. Der Trottel schläft zum Glück lange. Ich muss gegen neun hier weg.“
„Ich telefoniere wegen des Geldes morgen Abend mit Europa, danach weiß ich mehr. Bis dann.“ Der Anrufer legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten.
Michael K. Ashbourne ging zum Fenster. Fünf Prozent Anteil an sechzig Millionen Dollar waren eine Menge Geld. Damit würde er die über ihm aufgezogenen Schatten vertreiben können.
Man konnte sagen: Der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hatte ein Problem. Oder besser, er hatte mehr als nur ein Problem.
Dass sein einziger Vorgesetzter, der derzeitige Präsident, ein irrlichtender Narr war - geschenkt. Präsidenten kamen und gingen, und er hatte schon drei von ihnen, bis auf ein paar Beulen und Kratzer, unbeschadet überstanden. Alle hatten sie ihre Eigenheiten gehabt. Der eine hatte zum Wohle des Volkes seine sämtlichen Sekretärinnen vernascht, ein anderer hatte ihn sieben Tage die Woche rund um die Uhr auf Trab gehalten, weil er sowjetische Verschwörungen sah wie ein Alkoholiker weiße Mäuse.
Er selbst sah sich als Kalten Krieger alten Schlages, aber ihm war auch ein gewisser Realismus eigen, mit dem er gegebenenfalls verhindern konnte, dass sein Präsident leichtfertige Dinge sagte oder tat, die man später wieder einfangen musste. Er war als hart, aber maßvoll bekannt, und man achtete ihn als das, was er war.
Man hatte ihn geachtet, denn damit würde es bald zu Ende sein, wenn er keine Lösung für seine Probleme fand.
Er ging zu seiner verspiegelten Hausbar, schnitt seinem Gegenüber eine humorlose Grimasse (die dieser erwiderte), und mixte sich einen für die frühe Nachmittagsstunde großzügig bemessenen Drink.
Egal, wie er es drehte, er würde keinem Richter erzählen können, dass er gegen gute Bezahlung minderjährige Mädchen sexuell missbrauchte, und dass er das nur deshalb tat, weil seine Gattin eine frigide alte Kuh war. So etwas zählte nicht in den Augen des Gesetzes.
Sein Gespür für Macht und ihr Gespür für hungrige Talente hatten ihn von ganz weit unten bis ins Weiße Haus getragen, und sie wurde nicht müde zu betonen, welche Rolle sie dabei gespielt hatte.
Ashbourne war jetzt selbst zu einem Problem für die Sicherheit des Landes geworden. Er hatte sich erpressbar gemacht, und seit einiger Zeit wurde er tatsächlich erpresst.
Vor etwa sechs Monaten hatte er in der morgendlichen Post einen braunen Umschlag gefunden, ohne Absender, aber mit ein paar gestochen scharfen Fotos, die ihn mit buchstäblich heruntergelassener Hose über einem nackten Mädchen zeigte, das ganz offensichtlich noch keine fünfzehn Jahre alt war, und das vor Angst oder Schmerzen oder vor beidem weinte.
Und als ob das nicht reichte:
Das Mädchen war dunkelhäutig!
Und das gab dem ganzen Fall noch eine weitere pikante Note, denn er war der breiten Öffentlichkeit als – wenn auch milder - Rassist bekannt.
Flucht ins Ausland, in ein Land ohne Auslieferungsabkommen mit den USA? Nein, er hatte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte an einen Status und an einen Lebensstil gewöhnt, der teuer war und der ihm fehlen würde, weil er ihn nicht würde finanzieren können.
Die Presse würde jubeln, wenn sie Wind von dieser Sache bekam. Diese lausigen Lohnschreiber mit ihren vergifteten Griffeln würden sich ein Loch in den Bauch freuen, während sie ihn aus dem Amt heraus (und in den Knast hinein) schrieben.
Nach dieser Story würde man ihn teeren, federn und dann so tief unter Washingtoner Erde vergraben, dass er niemals wieder das Tageslicht erblicken würde.
Er war immer stolz auf seinen kühlen Kopf gewesen, auf seine brillante Fähigkeit zur Analyse komplexer politischer Sachverhalte, auf die sich bereits der vierte Präsident des Landes blind verließ.
Aber hier, in seiner privaten, verzweifelten Lage versagte sein messerscharfer Verstand, die Gedanken daran, wie er aus dieser persönlichen Hölle entkommen konnte, drehten sich immerzu im Kreis, und die Angst fiel in Wellen über ihn her, wann immer sie Lust dazu bekam.
Er würde warten müssen und hoffen, dass er mit einem einzigen schmutzigen Deal seiner selbstverschuldeten Krise entkam. Warten. Untätig warten.
Das war die schlimmste aller Strafen, glaubte er, weil er es noch nicht besser wusste.
3 Chugwater, Wyoming
Sie kam aus dem Bad und warf sich neben ihn auf das übergroße Doppelbett. In den ersten Nächten hatte sie es stets vermieden, sich komplett vor ihm zu entblößen, hatte – ob zum Schlafen oder beim Sex – ein Shirt oder ein Hemd anbehalten. Das war ihm seltsam erschienen, denn er war sicher, dass sie nichts zu verstecken hatte. Sie war im Gegenteil eine bildschöne Frau. Prüderie schied ebenfalls aus, davon hatte er sich schnell überzeugen können.
Anfangs hielt er es nur für eine Marotte und hatte es schon beinahe wieder vergessen. Aber vor drei Tagen hatte er sie umarmt und dabei hatte er durch den Stoff ihrer Bluse eine ganze Reihe von anscheinend verschorften oder vernarbten Stellen auf ihrem Rücken ertastet.
Als er sie erschrocken danach fragte, wich sie aus und murmelte nur halb verständlich etwas davon, dass er das besser ihren Gatten fragen solle, der habe ein ziemlich ungewöhnliches Verständnis von Zärtlichkeiten im Ehebett.
Weiter heran kam er nicht, sie wurde verschlossen und reizbar, als er nachzuhaken versuchte. Eines Tages, sagte sie, wenn sie dann noch zusammen wären, würde sie es ihm erzählen - wenn er es dann noch wissen wollte. Gewarnt von ihrer plötzlichen Schroffheit hatte er aufgegeben, aber die Frage blieb in dem bis heute noch weiten Raum zwischen ihnen stehen.
Immerhin zeigte sie sich ihm inzwischen ganz unbekleidet und er wertete es als gestiegenes Vertrauen. Ihr Rücken wies eine große Zahl an kleineren Brandverletzungen in unterschiedlichen Stadien der Abheilung auf, und man brauchte kein Mediziner zu sein um zu erraten, dass jemand ihren Rücken wiederholt als Aschenbecher benutzt hatte.
Was für ein krankes Stück Scheiße musste man sein, um so etwas erregend zu finden? Und wie verängstigt und mutlos, um es über einen längeren Zeitraum zu ertragen?
Er kannte die Antwort nicht, aber er würde ihr aufmerksam zuhören, wenn sie es ihm eines Tages erklären wollte.
Es war zu einem abendlichen Ritual geworden, zusammen auf dem Bett zu liegen und im Straßenatlas von Rand McNally zu blättern, das nächste Tagesziel festzulegen und dort ein Zimmer in einem Motel zu buchen.
In einem Nest wie Chugwater war das keine große Sache gewesen, dort gab es im Umkreis von zwanzig Meilen nur dieses eine Motel, in dem sie heute abgestiegen waren.
In der Umgebung größerer Städte war es anders. Dort gab es eine gewaltige Menge an Unterkünften in jeder Preislage, und weil Geld keine große Rolle spielte, mussten sie keine heruntergekommenen Herbergen nehmen, sondern konnten nach anderen Kriterien auswählen.
Lag das Motel günstig zur nächsten Autobahnauffahrt, sodass sie bei Bedarf schnell entkommen und unter mehreren Fluchtwegen die passende auswählen konnten?
Wohin sie am Ende überhaupt wollten, wussten sie noch nicht. Sie fuhren auf Sicht, beide mochten den einsamen Westen mehr als den dicht besiedelten Osten, aber das war auch schon alles.
Heute Abend ging es um mehr als nur eine Übernachtung. Die Schussverletzung an seiner Schulter hatte in Oklahoma zu eitern begonnen, er hatte in den ersten beiden Tagen hohes Fieber gehabt, und die Schmerzen, obschon tagsüber erträglich, hinderten ihn daran, nachts mehr als eine oder zwei Stunden durchzuschlafen, was sich zuletzt als wachsende Erschöpfung von Körper und Geist bemerkbar machte. Es wurde höchste Zeit für eine Pause, er war heute zweimal beinahe am Steuer eingeschlafen, und er hatte in mehreren Verkehrssituationen unangemessen reagiert. Aber immerhin hatten die Antibiotika, die Lisa ihm besorgt hatte, begonnen zu wirken, seit heute Morgen war seine Temperatur stetig gesunken.
Sie hatten auf der heutigen Fahrt besprochen, dass sie sich ein Versteck suchen würden, in dem sie für einige Zeit untertauchen und ihre Batterien aufladen konnten.
Genügend Schlaf und gutes Essen würden ein Übriges dazu beitragen, dass er wieder zu Kräften kam.
„Colorado oder Wyoming?“
„Egal, Hauptsache, weit abseits vom Schuss. Irgendetwas, womit sie nicht rechnen.“ Das war kaum mehr als ein frommer Wunsch, das hatten sie schon zweimal zu spüren bekommen, in Louisiana ebenso wie zwei Tage später in Texas.
Sie hatten sein Notebook in die Bettmitte gestellt und begannen mit Objekten von Maklern in Wyoming. Die Auswahl war enorm, von spartanisch bis luxuriös wurde buchstäblich alles angeboten. Aber wenn man die entsprechenden Filter eingab, wurde das Angebot überschaubar. Sie wollten weg von den geschäftigen Interstates, um auf kleineren Straßen möglichst weit in die Berge hinaufzukommen, am liebsten in eine bequeme Hütte oder Lodge, in der sie sich selbst versorgen konnten. Sie schwiegen für eine Weile und gaben abwechselnd ihre Ideen ein.
„Zwölfhundert Dollar für eine Woche am Eingang zur Absaroka Range? Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Whirlpool und voll ausgestattete Küche. Außerdem eine Doppelgarage, wir kriegen also den Wagen runter von der Straße.“
„Zwölfhundert? Zu billig“, spottete er, aber sie googelten den Ort und seine Umgebung, um dann schnell festzustellen, dass die Gegend im Ernstfall keine Fluchtmöglichkeiten bot. Die Lodge lag am Ende einer Sackgasse, und das kam für sie nicht infrage.
Sie probierten es mit Colorado, wo die Auswahl noch größer war, und bei einigen Orten war es auch der Preis, vor allem dort, wo man ins im Winter schneesichere Hochgebirge kam.
„Darf ich es mal versuchen?“ fragte sie. „Ich war in dieser Gegend einmal mit meinem, äh… baldigen Ex-Mann. Er hatte auf einem Betriebsfest bei einer Tombola eine Reise nach Aspen gewonnen, zum Ende des Jahres, in dem wir geheiratet hatten. Die Gegend ist verdammt teuer, aber dafür auch wunderschön.“
Cord gefiel die Idee. Lisa und ihr Mann hatten kurz nach Weihnachten dort in einem Luxushotel gewohnt, mitten in der Stadt. Das wollte Cord nicht, weil man dort leicht den Überblick verlieren konnte, wenn man nach möglichen Verfolgern ausschaute. Also suchten sie nach voll eingerichteten Lodges und Ferienhäusern außerhalb der Stadt.
„Oh, schau mal! Chalet nennt ihr Europäer das, oder?“ Sie zeigte ihm Fotos von einem massiven, zweistöckigen Palast aus Holz, Glas und Naturstein, mit einer gigantischen Frontscheibe („Die musste man mit einem Hubschrauber anliefern“, sollte der Immobilienmakler wenig später am Telefon so stolz verkünden, als hätte er den Helikopter selbst geflogen.).
Das Haus schmiegte sich an die steilen Wände eines kleinen Canyons, man hatte einen weiten Blick ins Tal bis hinunter auf die Stadt. Und – man konnte die Garage nach zwei Seiten verlassen, weil ein Wirtschaftsweg vom Haus aus den Wald hinauf führte, breit genug für eine Limousine wie die ihre. Anderthalb Meilen weiter oben kam man auf eine kleine Kreisstraße, auf der man nach Westen oder Osten entkommen konnte, wenn es nötig war.
Das ganze Anwesen war stark gesichert, was ein weiterer Pluspunkt war. Im Angebot wurde ein Verwalter unten in Aspen genannt, der neue Mieter im Haus erwartete, die Schlüssel übergab und ihnen die Elektrik des Hauses, den Ofen, die moderne Küche und das raffinierte Alarmsystem erklären würde. Der Kasten war sicherer als Fort Knox.
„Sieben Schlafzimmer, eines für jede Nacht“, scherzte Lisa, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ihre Augen leuchteten. Nun gut, dann war die Sache entschieden.
Schön, dass er sie ein wenig verwöhnen konnte, sie hatte es verdient, denn die letzten Tage waren alles andere als ein Vergnügen gewesen. Eine Woche dort oben würde nicht nur seine Verletzung auskurieren, sondern auch den Frust und den Stress auflösen, dem sie beide zuletzt ausgesetzt gewesen waren.
„Es ist schon halb zehn, ob wir den Makler noch anrufen können, ohne unhöflich zu sein?“ Sie taten es, und wie zu erwarten, erreichten sie nur den Anrufbeantworter, der ihnen mitteilte, dass sie sich am nächsten Morgen ab acht Uhr wieder melden konnten. Sie hinterließen ihr Anliegen und kündigten an, wieder anzurufen.
„Man fährt etwa sechs Stunden“, sagte Cord, „und wir müssten durch Außenbezirke von Denver fahren, eine gute Gelegenheit, um Vorräte und warme Kleidung zu kaufen. Falls wir dann noch Geld dafür haben.“ Er lächelte. Fast viertausend Dollar für eine Woche, das war schon beinahe unsittlich. Aber egal, es gab Wichtigeres, und wenn sie nicht gut auf sich achteten, würden sie ohnehin keine Gelegenheit mehr haben, sein nicht unbeträchtliches Vermögen auszugeben.
Sie liebten sich, auf die unbequeme und vorsichtige Art, auf die sie es tun mussten, seit die Kugel eines Killers seine rechte Schulter gestreift und die Wunde sich wenig später entzündet hatte.
Was hat er noch an dir kaputt gemacht außer deinem Rücken, Lisa?
Die Frage blieb offen. Und als sich ihre Körper voneinander gelöst und sie sich gegenseitig die letzte Zigarette des Abends angezündet hatten, war sie einmal mehr für einen Tag verdrängt worden.
Haben wir eine gemeinsame Zukunft?
Es gab eine Zeit, um Fragen zu stellen, und es gab eine Zeit, um Antworten zu geben. Aber beides rückte angesichts ihres Überlebenskampfes, dessen Ende völlig offen war, in den Hintergrund.
Es hatte alles in Frankfurt begonnen, an einem heißen Tag Ende August, und es schien nicht zwei Wochen, sondern sechs Monate her zu sein. Frankfurt, der Frankfurter Zoo, dachte er noch, bevor ihn der Schlaf endgültig mit sich nahm.
4 Frankfurt am Main
Mit einer privaten Detektei, die nur zwei Mitarbeiter beschäftigte, wurde man nicht reich, aber das hatte Cord Hennings von Beginn an gewusst und in Kauf genommen. Zuvor hatte er sieben Jahre lang als Disponent einer Zeitarbeitsfirma geschuftet, gutes Geld verdient, war aber am Ende so ausgelaugt und abgestumpft gewesen, dass er dort kündigte und diese unsichere Art des Broterwerbs einer weiteren Karriere in der Tretmühle vorgezogen hatte.