Kitabı oku: «Interstate», sayfa 2

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„Wenn es dazu ausreicht, uns und die Kinder zu ernähren, bin ich zufrieden.“ Seine Ex-Frau hatte seinen fehlenden Ehrgeiz mit einem verständnislosen Kopfschütteln honoriert. Ihr war das zu wenig.

Aber da er noch kaum einen Namen in der Branche besaß, musste er sich mit dem begnügen, was der umkämpfte Markt an Brotkrumen für ihn übrig ließ.

Und das waren Scheidungsfälle, mickrige Betrugsdelikte im Versicherungsbereich, mit geringen Schadenssummen und deshalb auch nur niedrigen Honoraren. Es war ein ruhigerer Job, nicht selten interessant, aber von Zeit zu Zeit auch deprimierend, besonders am Monatsende, wenn die Rechnungen hereinkamen und seine Honorare schneller pulverisierten als er neue Aufträge an Land ziehen konnte.

Seine Frau hatte eines Tages die Nase voll gehabt von sich türmenden Schulden und abgelehnten Kreditanträgen, und einem Arbeitszimmer, das die ohnehin durch zwei Kinder zu klein gewordene Wohnung unerträglich eng machte. Sie hatte sich das alles anders vorgestellt, und er konnte es ihr nicht verübeln. Sie hätte es vielleicht aushalten können, wenn sie noch an ihn geglaubt hätte. Aber das tat sie nicht, und an irgendeinem Abend im vergangenen Winter war ein hässlicher Streit ums Geld so laut geworden, dass die beiden Mädchen davon aufwachten und plötzlich mit ihren Teddys im Arm und mit verweinten Gesichtern im elterlichen Schlafzimmer standen.

An dieser Stelle war alles gekippt, hatte er eine Zeitlang geglaubt.

Aber ein paar Wochen später wurde ihm klar, dass dieser Streit nur ein Symptom einer schon anhaltenden Loslösung ihrerseits gewesen war. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt längst ihre Fühler nach einem Leben ohne ihn ausgestreckt.

Und als es im Februar soweit war, dass sie in einer quasi-militärischen Operation mit den Kindern das gemeinsame Zuhause verließ, ging ihm auf, dass sie es schon länger vorgehabt hatte. Urplötzlich hatte sie eine neue Wohnung gefunden, und wenn er den Kindern glaubte, war der neue Liebhaber ihrer Mutter auch schon am ersten Tag auf der Bildfläche erschienen.

Das alles war so schnell geschehen, wie man eins und eins addieren konnte, und sie durften ihn Jürgen nennen, nicht Onkel Jürgen, oder wie zum Kuckuck noch. Er war in der Werbebranche erfolgreich und brachte ihnen fast täglich irgendwelchen Nippes aus seiner Firma mit.

Und sie fanden ihre neue Umgebung aufregend, auch wenn der richtige Vater ihnen gelegentlich fehlte.

Er hat einen dickeren Bauch als du, Papa, und er hat ein riesiges silbernes Auto, bei dem man das Dach herunterklappen kann.

Es war zum Heulen.

Über die Trennung von seiner Frau war er rasch hinweggekommen. Nur die Kinder brachen ihm von Zeit zu Zeit das Herz, wenn er sie sonntagabends wieder bei ihrer Mutter absetzen musste, und sie ihn zum Abschied auf die Wange küssten. Es war viel zu still geworden dort, wo er jetzt lebte. Anstatt mit den Kids herumzualbern hörte er in letzter Zeit wieder viel Musik und trank dabei eindeutig zu viel Dosenbier.

Es war Mittagszeit, und Jessica, seine Teilzeitschreibkraft, hatte ihren Schreibtisch aufgeräumt und wollte gerade nach Hause gehen, als das Telefon klingelte und sie den Anrufer kurz darauf an ihn weiterreichte. „Da will einer etwas von dir. Nennt sich Jones und klingt wie ein Ami, Chef“, flötete sie. „Ich bin dann weg. Bis morgen und viel Glück mit dem Kerl! Das wird unser ganz großer Durchbruch.“

So oder ähnlich scherzten sie manchmal.

„Kann ich in einer Stunde bei Ihnen hereinschneien?“ Tatsächlich ein Ausländer, wenn auch einer mit perfekten Deutschkenntnissen; er dehnte nur seine Wörter auffällig und rollte das „r“ ein wenig mehr als ein Muttersprachler es täte.

„In welcher Angelegenheit denn, bitte?“

„Ich möchte, dass Sie einen Mann beschatten, alles Weitere bitte persönlich und nur unter vier Augen. Ist das für Sie okay?“

Weil nichts dagegen einzuwenden war und Cord zurzeit nur wenig zu tun hatte, lud er den Mann ein, vorbeizukommen. Dass er gerade auf ihn gestoßen war, war womöglich nur Zufall, denn der Internetauftritt von Cords Detektei war erbärmlich und nicht aktuell. Seine Mittel für eine professionelle Überwachung tendierten gegen Null.

Aber was sollte es, der Mann klang, als wüsste er, was er wollte, und man konnte sich die Geschichte wenigstens anhören.

Er ging in die Küche, setzte eine Kanne Kaffee auf und vertrieb sich die Zeit mit einer Partie Computerschach, wozu er in den letzten Monaten viel zu viel Zeit hatte.

Sein neuer Kunde stand schon nach einer Dreiviertelstunde in der Tür und was Cord zuerst auffiel war, dass er einen Anzug trug (trotz der Affenhitze draußen mit einer Krawatte, die er auch während ihres kurzen Gesprächs nicht lockerte).

Der Mann trat ein, ohne ihm die Hand zu reichen, und Cord bat ihn in das winzige Kämmerchen, das er sein Büro nannte.

„Nennen Sie mich Jones, bitte“ sagte er, noch bevor er auf dem billigen Stuhl vor Cords Schreibtisch Patz nahm. „Einfach Mr. Jones, das genügt.“

Das zweite Bemerkenswerte an der Erscheinung seines Gegenübers war die Blässe von Händen und Gesicht. Zusammen mit dem flachsblonden Haar und den rotgeränderten hellblauen Augen wirkte er wie ein Albino. Jetzt, da sie direkt miteinander sprachen, war er sicher, dass der Mann aus den USA oder Kanada stammte, er redete, als spiele er auf einer Theaterbühne die Rolle eines Yankees, der seine Verwandten in der alten Heimat besuchte und ihnen zeigen wollte, dass er nichts von seiner Muttersprache vergessen hatte. Er sprach langsam und deutlich.

Schnell stellte sich heraus, dass es durchaus kein Zufall war, der ihn zu Cords Firma führte. Er sei aufgrund der günstigen Lage seiner Detektei auf ihn verfallen. Das Objekt der gewünschten Beschattung sollte am späten Nachmittag vom Flughafen kommend im Marriott Hotel gegenüber des Messegeländes absteigen und sich dort für etwa zweieinhalb Tage aufhalten.

Das Hotel war tatsächlich günstig gelegen. Wenn Cord sein Haus verließ, konnte er zu Fuß binnen weniger Minuten dort sein. Ein Heimspiel, sozusagen.

Sein Gast nahm ein etwa postkartengroßes Farbfoto aus seiner - wie Cord sehen konnte, prallgefüllten – Brieftasche und reichte es über den Tisch. „Der Mann ist 52, Anwalt, unverheiratet, bulgarischer Staatsbürger, Nichtraucher, abstinent, keine Frauengeschichten, kein Spieler, seriöser als der Papst, weshalb wir ihn auch so nennen. Gehen Sie davon aus, dass der Mann keine Eigenschaften hat und völlig unscheinbar lebt. Er folgt einem Ziel und er macht dabei keine Fehler. Zumindest Sie werden keine feststellen.“

Der Mann auf dem Foto machte einen finsteren, verschlossenen Eindruck. Kein Wunder, wenn man sich vor Augen führte, ohne was er alles durchs Leben ging. Keine Weiber, kein Alkohol, keine Fußballwetten, nicht einmal hin und wieder ein Glimmstängel. Furchtbar!

„Wir kennen unseren Freund recht gut, und er wird sich im Laufe der nächsten zwei bis drei Tage mit einem anderen Mann treffen, den wir den Kardinal nennen wollen, und über den wir so gut wie nichts wissen. Das sollen Sie ändern. Folgen Sie dem Papst, er wird Sie zu dem Unbekannten führen, der höchstwahrscheinlich – aber nicht sicher - ein Schwarzafrikaner ist.“

„Klingt machbar“, sagte der Detektiv nachdenklich. „und das ist alles? Ihrem Mann hinterherhecheln, bis der sich mit jemandem trifft? Reichen Ihnen Fotos, oder soll ich von dem Treffen ein Video drehen? Oder etwa einen Lauschangriff starten? Und wo soll das Ganze überhaupt stattfinden?“

„Fotos mit Datum und Uhrzeit genügen uns, wo die beiden Männer sich treffen werden, wissen wir nicht.“

„Und wenn er auf seinem Hotelzimmer bleibt und sein Treffen dorthin verlegt? Dann sind mir die Hände gebunden, denn da komme ich nicht rein.“

„Das wird er nicht tun. Er lässt seine Geschäftspartner gerne bis zum letzten Moment darüber im Unklaren, wo er wann anzutreffen ist. Er ist nicht nur ein Ordnungs- sondern auch ein Sicherheitsfanatiker.“

„Sie sagten gerade wir. Sie sind nicht allein?“

„Das geht Sie nichts an. Wenn Sie interessiert sind, stellen Sie keine Fragen. Ich bin Ihr einziger Ansprechpartner und sage Ihnen, was Sie wissen müssen.“

Damit konnte man leben. „Was werde ich denn zu sehen bekommen? Ein Duell im Morgengrauen?“ Er lächelte, aber sein Gegenüber erwiderte das Lächeln nicht. Er hatte seit seiner Ankunft noch kein einziges Mal seinen Gesichtsausdruck geändert, als hätte ihm jemand seine kühle, kontrollierte Miene ins Gesicht geklebt. Ein unangenehmer Zeitgenosse, zusammen mit der totenbleichen Haut beinahe unheimlich, wobei er für seine Krankheit natürlich nichts konnte.

„Es wird eine Übergabe stattfinden, vermutlich wird ein Aktenkoffer oder ein anderer Behälter überreicht werden. Der Bulgare wird ihn entgegennehmen und mit ins Hotel nehmen. Was in dem Koffer ist, brauchen Sie nicht zu wissen, aber er ist wichtig. Wenn der Papst ohne den Koffer zurückkommt, ist etwas schief gelaufen, und das sollten wir sofort von Ihnen erfahren, klar?“

„Sonnenklar.“ Der Amerikaner reichte ihm eine Visitenkarte mit zwei Handynummern.

Es war Zeit, über das Honorar zu reden. „Ich werde einen Mitarbeiter brauchen, der die…“

„Es interessiert uns nicht, wie Sie Ihr Handwerk ausüben, und wir sind großzügig, was Ihre Entlohnung angeht. Dreitausend vorab, weitere dreitausend nach erfolgreicher Beendigung Ihrer Tätigkeit. Wir brauchen weder einen schriftlichen Vertrag, noch eine Rechnung, die über Ihre Bücher laufen würde. Im Gegenteil, wir empfehlen Ihnen ausdrücklich, diesen Auftrag nirgendwo schriftlich zu fixieren. Bin ich deutlich genug?“

Cord rutschte unruhig auf seinem Bürostuhl hin und her, es schien gerade noch ein paar Grad wärmer geworden zu sein, als es das in seiner Wohnung ohnehin war. Sechstausend Euro Honorar in zwei Tagen? Für zwei oder drei Fotos? So etwas kam in Detektivgeschichten vor (oder bei Scheidungsanwälten, dachte er säuerlich), aber nicht im richtigen Leben. Andererseits war er Detektiv, und dies war das richtige Leben, so what?

„Und das ist alles? Keine Haken, von denen ich wissen sollte? Keine versteckten Fouls?“

Sein Kunde zückte zum zweiten Mal seine Brieftasche und begann damit, Hundert-Euro-Scheine abzuzählen. „Das ist alles. Easy money, wie wir zuhause sagen.“

„Wie erhalte ich den Rest des Geldes? Nicht, dass ich Ihnen nicht trauen würde…“. Er traute grundsätzlich nicht vielen seiner Kunden, aber dem Albino, der ihm gegenüber saß, traute er nicht einmal bis zur Wohnungstür.

„Ich habe Ihnen einen vordatierten Barscheck ausgestellt, den sie in frühestens drei Tagen einlösen können. Erledigen Sie Ihren Job, dann war es das, und wir brauchen uns kein weiteres Mal zu sehen. Tun Sie es nicht, sperre ich den Scheck und komme in Begleitung wieder, um mir die Anzahlung zurückzuholen. Und das würde Ihnen nicht gefallen.“

Er sagte es beiläufig, aber die Temperatur fiel mit einem Mal wieder um ein paar Grad.

„Ich hoffe, ich war auch präzise genug in Bezug auf die Fotos. Wir brauchen auf diesen nicht die Schuhe, den Rücken oder das Seitenprofil dieses Mannes. Wir wollen wissen, wer dieser Mann ist, und das können wir nur mit einem Porträtfoto in digitalem Format herausfinden. Zoomen Sie ihn nah genug heran, ohne dass die Aufnahmen unscharf werden. Machen Sie mehrere Aufnahmen von seiner Visage und verschwinden Sie möglichst ungesehen wieder. Den Chip nehmen Sie aus der Kamera und bringen ihn zur Post. Hier ist die Postfachadresse. Ich erwarte die Aufnahmen spätestens am Freitagmorgen um neun Uhr, ja? Keine Spielverzögerungen oder lahme Ausreden bitte, sonst können Sie den Scheck zerreißen.“

Cord hatte im Stillen mitgezählt, als der Amerikaner (oder Kanadier) ihm die Anzahlung auf den Tisch blätterte. Er nahm den kleinen Stapel Geldscheine an sich und hielt einen der Hunderter gegen das Licht. „Nichts für ungut, das mache ich immer so, selbst bei meiner Mutter.“

Kein Lächeln, kein Kommentar, der Kunde stand auf und machte Anstalten zu gehen. Cord begleitete ihn zur Wohnungstür und verabschiedete sich von dem seltsamen Mann. Wieder kein Händedruck, der Albino hatte panische Angst vor Krankheitserregern, oder er war einfach nur ungehobelt. „Rufen Sie mich heute Abend gegen zehn Uhr zum ersten Mal an, danach alle zwölf Stunden. Bis dann!“

Cord lauschte dem Aufzug hinterher, bis der Mann unten war, hörte schwach die Haustür ins Schloss fallen und ging zurück in sein Arbeitszimmer.

Was für ein verwirrender Plot! Ein bulgarischer Papst, ein afrikanischer Kardinal, ein amerikanischer Albino, ein paar Fotos und sechstausend Euro Honorar!

Tage wie den heutigen gab es höchst selten in der noch jungen Geschichte seiner Detektei.

Er musste seinen Mitarbeiter erreichen und hoffte, dass dieser gerade nüchtern war. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, später am Nachmittag wäre die Wahrscheinlichkeit erheblich geringer.

5 Wien, Österreich

Im Hotel Park Hyatt Vienna, im Zentrum von Wien, saß der in seiner Branche wohlbekannte Jan Simak auf seinem King-Size-Bett und telefonierte. Das Smartphone in seiner Hand war sein Arbeitsplatz, seine Waffe und sein Elixier.

Sein neuester Coup war selbst für seine Verhältnisse heikel, aber in einer Welt, in der Heckler & Koch tausende Maschinenpistolen in Krisenregionen Mexikos lieferte und auch Sig Sauer Handelsbeschränkungen unterlief und seine Pistolen nach Kolumbien verschob (wo keiner wusste, in wessen Händen sie letztendlich landeten), konnte man sich als Waffenhändler auf dem grauen Markt auch einmal ein bisschen weiter aus dem Fenster lehnen. Und das hatte er diesmal gründlich getan.

Waffen, größtenteils aus dem Arsenal ehemaliger Ostblockländer und jetzt unabhängiger Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die eigentlich verschrottet und entsorgt werden sollten, würden zu Spitzenpreisen in den Osten der Demokratischen Republik Kongo gehen, wo – im Grenzgebiet zu Ruanda und Burundi – ein neuer Warlord sich für den Angriff auf die mehr als zweitausend Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa bereit machte. Jan Simak hatte schon einen seiner Vorgänger bedient und kannte sich mit den dortigen Verhältnissen bestens aus. Der Schiffstransport würde in der Nähe von Matadi, einer Hafenstadt in der Kongo-Mündung, enden, und die Ware sollte von dort aus mit Lastwagen in vorbereitete Depots gebracht werden, von denen aus die Rebellen die Hauptstadt angreifen wollten.

Das Schiff, mit dem ersten Teil der brisanten Fracht, war bereits gestern aus dem neuen Hafen von Konstanza in Rumänien ausgelaufen, mit fünftausend halbautomatischen Pistolen und dreißig alten Mörsern sowie einigen hundert Mörsergranaten, die noch aus alten Beständen Ceausescus stammten, und die lange Zeit eingemottet worden waren, weil niemand sie mehr haben wollte. Schließlich wurde die Armee seit dem Beitritt des Landes zur NATO 2004 nach und nach auf den neuesten Stand der Technik gebracht, und deshalb brauchte heute niemand mehr diesen besseren Ausschuss. Offiziell war derlei Material zur Vernichtung freigegeben, aber selbst das verursachte Kosten für Transport, Zwischenlagerung und Überwachung, die niemand tragen wollte.

Das eigentliche Geschäft machte er mit gut dreißigtausend Sturmgewehren der Marke Kalaschnikow samt anderthalb Millionen Schuss Munition, die der Frachter heute Nacht im bulgarischen Varna an Bord nehmen sollte.

Die Sowjets hatten während des kalten Krieges nur so um sich geworfen mit Lizenzen für den Nachbau dieser als AK 47 berühmt gewordenen Waffe; beinahe jedes der Partnerländer des Warschauer Paktes durfte seine eigene Version des Sturmgewehres bauen, und die meisten Länder taten dies auch, für den Eigenbedarf wie auch gelegentlich für den Export in befreundete Staaten.

In Bulgarien war nahe der Stadt Plovdiv schon in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ein Werk aus dem Boden gestampft worden, das bis 1989 jährlich etwa hundertfünfzigtausend Gewehre dieses Typs herstellte.

Dann kam es beim Umbau einer Produktionsstraße im März 1984 zu einem fatalen Fehler bei der Kalibrierung des an sich einfach herzustellenden Laufes der Waffe, und fortan liefen etwa sechs Wochen lang zwölf Stunden am Tag Gewehre vom Band, die nie die Qualitätskontrolle hätten passieren dürfen, die es aber doch taten. Diese Waffen überschritten den Streubereich der abgefeuerten Munition um mehrere Prozent, was dazu führte, dass auf fünfzehn Metern Distanz eine Kugel um etwa eine Handbreit ihr Ziel verfehlte. Mit so etwas konnte man nicht in den Krieg ziehen, außer, man war arm, schwarz und hatte keine Möglichkeit, den legalen Rüstungsmarkt zu nutzen.

Peinlich war, dass die Hälfte der gesamten Charge bereits an die Armee ausgeliefert worden war und nun zurückgerufen werden musste. Man schaffte also das ganze Zeug in eine eilends freigeräumte Lagerhalle (die Munition, die ursprünglich von einem anderen Kombinat angeliefert worden war – vielleicht aus Aberglauben – gleich mit), machte das Licht aus, sperrte das Rolltor ab und vergaß das Ganze einfach. Und zwar so lange, bis ein hochrangiger amerikanischer Politiker, der privat in Geldnöten steckte, auf die glorreiche Idee kam, das Zeug an einen afrikanischen Revoluzzer zu verhökern. Diesen Deal abzuwickeln lag jetzt bei dem umtriebigen und in der schattenhaften Welt des illegalen Waffenhandels erfahrenen und bestens vernetzten Jan Simak.

Ein Mann, den sie beinahe ehrfürchtig den Papst nannten, hatte letztlich den Türöffner für ihn gespielt. Er hatte all die Beamten der mittleren Ebene in der rumänischen und bulgarischen Administration gründlich „bearbeitet“, hatte hier ein wenig bestochen, dort ein bisschen erpresst, oder gelegentlich auch ein paar Gefälligkeiten erwiesen, alles so, wie es ihm am schnellsten und besten weiterhalf. Ohne seine Dienste wäre das Frachtschiff mit der brisanten Ladung heute nicht unterwegs in Richtung Atlantik.

Ab Varna und bis mindestens zur Straße von Gibraltar war diese Fahrt eine brandgefährliche Angelegenheit. Der Frachter hatte zwar zweitausend Tonnen Stickstoffdünger für Namibia gebunkert, aber sollten nach dem Zuladen der Waffen und vor dem Erreichen des offenen Atlantiks entweder der Zoll oder andere mit Schmuggel befasste Behörden an Bord gehen und seine Ladung genauer inspizieren, dann käme der Kapitän in arge Erklärungsnot.

Simak erwartete noch heute Abend die Bestätigung des Papstes, dass die zehnprozentige Anzahlung für diesen Deal, wie verabredet, in Frankfurt am Main übergeben worden war. Danach konnte er in Annapolis unweit von Washington anrufen und die Zahlung vermelden. Neue, sicherere Frachtpapiere würden ab Syrakus auf Sizilien bereitliegen, voll mit bunten Stempeln des amerikanischen Außenhandelsministeriums, welches die Ladung für unbedenklich erklärte, weil die Waffen angeblich für das Militär von Südafrika, einem Verbündeten der NATO, bestimmt waren.

Seine amerikanischen Partner erhielten diese Provision, und Jan Simak, der übergewichtige, kleine, geniale Waffenschieber ohne Religionsbekenntnis, kinderlos und mit vier geschiedenen Ehen, würde dreißig Prozent der sechzig Millionen US-Dollar einstreichen, die das Geschäft abwarf. Und mit dieser Kleinigkeit in der Tasche konnte er künftig beruflich kürzer treten und als wohlhabender Mann seinen Hobbys nachgehen.

Der Amerikaner rief an und klagte wieder darüber, dass sein Partner ihm mit seinen Geldproblemen in den Ohren liege. Sie beide wollten wissen, wann mit ihrem Anteil zu rechnen sei; Simak wisse hoffentlich, dass ihr Beitrag zu diesem Geschäft essentiell sei.

„Nein, er hat keine Spielschulden, die Sache ist viel delikater. Er ist ohne Hose an einem Ort erwischt worden, wo man sich besser nicht sehen lässt. Jemand hat ihm das Messer an die Kehle gesetzt, und wenn er nicht zahlt, ist er so gut wie erledigt. Ich selbst habe ihm schon so viel Geld geliehen, dass es anfängt wehzutun, aber er braucht noch eine ganze Menge mehr, um seine Probleme zu lösen.“

„Shit, kann er uns irgendwie die Suppe versalzen, wenn er die Nerven verliert?“

„Das befürchte ich allerdings. Wie lange also noch?“

Der Dealer hielt sich bedeckt. Die Anzahlung von zehn Prozent sollte heute von einem Gesandten seines afrikanischen Kunden überreicht werden. Irgendwo in Frankfurt am Main. Der Geldkoffer würde weitergereicht werden, an einen hochrangigen Angestellten des dortigen US-Generalkonsulats, und von da aus ungeöffnet und mit Diplomatenpost nach Washington gebracht werden. Der Bote hatte offenbar noch eine Freundesschuld zu begleichen.

Soweit zur Planung; Simak war beunruhigt, denn er hätte schon längst den Anruf des Papstes erhalten sollen, in dem ihm dieser bestätigen sollte, dass die Übergabe geglückt war; und er konnte in Frankfurt niemanden erreichen. Das verschwieg er dem nervösen Amerikaner. Wozu auch die Pferde scheu machen?

„Vier Tage, wenn alles glatt geht. Beten Sie besser ein wenig mehr bis dahin. Ich melde mich, wenn es konkret ist. Ciao bello!“

6 Frankfurt am Main

Es fing holprig an, sah danach eine Zeitlang wie ein sommerlicher Spaziergang aus - und endete in einem Debakel erster Klasse.

Sein Mitarbeiter Twistie, ein in Deutschland gestrandeter irischer Kunstmaler, der wahrscheinlich nie von seiner Hände Arbeit würde leben können, sollte das Hotel, in dem der Bulgare abgestiegen war, nachts im Auge behalten. Sie wechselten sich gezwungenermaßen in Zwölf-Stunden-Schichten ab. Die Übergabe konnte am helllichten Tag stattfinden, irgendwo auf einem öffentlichen Platz, aber ebenso gut auch morgens um drei in einer finsteren Gasse oder im Hinterzimmer eines Nachtclubs. Sie mussten eine Menge Glück haben, denn für die lückenlose Überwachung eines erfahrenen Objektes brauchte man ein Dutzend Leute und eine gehörige logistische Unterstützung.

Sie waren zu zweit!

Der Papst hatte am ersten Tag das Hotel nicht verlassen, und der verrückte Ire und er hatten bereits begonnen darüber zu spekulieren, ob die ganze Sache abgeblasen worden sei, oder dass sie vielleicht doch im Hotel stattgefunden hatte. Für Cord wäre das in Ordnung gewesen, selbst wenn der Scheck dann platzen würde. Die Anzahlung entschädigte mehr als genug für die bisherige Arbeit, und der Albino konnte ihm keinen Vorwurf machen, wenn der Papst sich nicht blicken ließ.

*

Am nächsten Morgen gegen halb zehn – er war bei der zweiten Tasse Kaffee – summte Cords Handy; der Ire schrie aufgeregt: „Er steht an der Rezeption und kommt wahrscheinlich gleich raus! Dunkle Jeans, weißes Hemd, ein kleiner grauer Rucksack!“

„Geh‘ zu ihm hin, wenn er rauskommt; halte ihn auf, ich bin unterwegs und in drei Minuten da. Was? Egal wie, schnorre ihn um eine Kippe an, erzähle ihm von deinen Malkünsten. Bring deine Oma ins Spiel, die eine neue Hüfte braucht. Halt ihn fest, irgendwie!“

Er griff nach seiner teuren Spiegelreflexkamera, rannte – ohne auf den Lift zu warten - die Treppen hinunter, spurtete die ersten hundert Meter, konnte aber bald in einen leichten Trab verfallen, weil er Twistie mit dem Papst im Eingangsbereich des Hotels stehen und wild gestikulieren sah.

Geschafft, er konnte den Mann übernehmen!

Der riss sich gerade von seinem Peiniger los und stapfte sichtlich erbost in Richtung der nahegelegenen U-Bahnstation davon. Als Cord den Iren passierte, rief der ihm feixend zu: „Zehn Euro für das Gebiss meines Opas waren ihm zu viel, aber er hat mir drei gegeben. Er gehört jetzt dir, ich gehe nach Hause und lege mich schlafen.“

Die Station lag unweit des Messegeländes und die Bahnen fuhren von dort aus quer durchs Zentrum bis zum Zoologischen Garten.

Cord sah, wie der Bulgare auf den Eingang zuhielt, am Automaten eine Fahrkarte zog und sich die Treppe hinab zum Bahnsteig begab. Er schien sich nicht darum zu sorgen, ob er beschattet oder verfolgt wurde, denn er blickte sich in den paar Minuten bis zum Eintreffen des nächsten Zuges nicht ein einziges Mal um.

Die U-Bahn fuhr ein und Cord betrat das halbleere Abteil (der morgendliche Berufsverkehr war bereits durch) als letzter Fahrgast, setzte sich so weit abseits wie möglich und gab vor, sich mit seinem Smartphone zu beschäftigen. Dabei behielt er den Bulgaren im Auge; dieser saß mit geschlossenen Augen auf seinem Platz und hatte den grauen Rucksack neben sich gestellt. Der Zug hielt, Leute stiegen aus und ein, und Cord vermutete allmählich, dass sie bis zur Endhaltestelle fahren würden.

Und er irrte sich nicht, kurz vor Erreichen der Station „Zoo“ stand der Bulgare auf und strebte nach dem Anhalten des Zuges dem Ausgang in Richtung des beliebten Tierparks entgegen.

Cord folgte ihm mit einigem Abstand. Falls der Papst seinen Kontakt im Löwenhaus oder im Nachtterrarium treffen würde, wäre das fatal, denn dort würde Cord bemerkt werden, wenn er Fotos zu machen versuchte; ohne Blitzlicht war dort nichts auszurichten.

Sie traten ins Freie und der Bulgare lenkte seine Schritte zur Kasse und kaufte eine Eintrittskarte. Cord brauchte kein Ticket, er besaß eine Jahreskarte, ein zuletzt nutzlos gewordenes Relikt aus der Zeit, als er noch zwei Kinder hatte.

Der Mann verstaute das Ticket und nahm seinen Rucksack wieder auf. Cord ließ ein paar Sekunden verstreichen und passierte dann ebenfalls das Drehkreuz am Eingang. Er sah den Mann die Toiletten ansteuern, und geriet kurzeitig in Panik; dort drinnen zu fotografieren wäre ebenfalls unmöglich. Er wartete nervös darauf, dass der Bulgare wieder herauskam.

Auch um diese frühe Stunde war es schon heiß und stickig, für den Nachmittag wurden Temperaturen von über fünfunddreißig Grad erwartet, und es war kein Ende der Hitzewelle in Sicht. Seit Tagen wurden Gewitter vorhergesagt, die dann aber nicht stattfanden - zumindest nicht hier, wo sie am dringendsten gebraucht wurden. Cord klebte schon nach ein paar Schritten sein schweißnasses Hemd am Rücken.

Nach endlos scheinenden fünf Minuten erschien der Papst wieder und schien sich kurzzeitig orientieren zu müssen. Cord atmete auf und folgte im Abstand von weniger als dreißig Metern. Der Mann schien keine Eile zu haben, er schlenderte gemächlich umher und gab vor, sich die Tiere anzusehen, die sich hier und da in den Außengehegen zeigten.

Als sie zu den Giraffen kamen, die in der prallen Vormittagssonne standen, bemerkte der Detektiv einen Mann, einen Schwarzen, der eine dunkelblaue Hose, ein hellblaues Hemd und eine modische Sonnenbrille trug.

Der Mann hatte einen schwarzen Aktenkoffer, in dem eine ganze Menge Akten Platz haben musste, zwischen seine Füße gestellt und schien auf jemanden oder etwas zu warten. Cords Anspannung stieg.

Als der Bulgare sich ihm näherte, nahm der Mann die Sonnenbrille ab; der Papst hielt abrupt an und sprach ihn an, worauf der Schwarze etwas erwiderte; beides konnte Cord aufgrund der Entfernung nicht verstehen, aber das war auch nicht sein Job. Immerhin musste der Mann der angekündigte Kardinal sein.

Cord griff nach seiner Kamera, spielte am Zoom und gab vor, eine der Giraffen ins Visier zu nehmen. Es galt nun, den Augenblick abzupassen, der ihm die Gelegenheit zum Schießen der verlangten Fotos bot.

Aber dann war die Gelegenheit wieder vorbei, denn die beiden Männer bewegten sich jetzt in den hinteren Teil des Parks, wo es ein paar schattige Flecken und einige Holzbänke gab. Der Schwarze war nervöser als der Papst, er drehte sich alle paar Schritte um und schien das Gelände nach Verdächtigem abzusuchen.

Sie unterhielten sich gestenreich, und der Bulgare hatte ein Notebook aus seinem Rucksack genommen, startete es und zeigte dem anderen Mann offenbar etwas von dessen Interesse. Dieser schien Fragen zu stellen, deren Beantwortung ihn nicht zufriedenstellte. Immer wieder zeigte er auf den Bildschirm, zückte zuletzt entnervt sein Smartphone und begann, einzelne Seiten abzufotografieren, was eine volle Minute in Anspruch nahm.

Endlich schien er einverstanden zu sein mit dem, was er gesehen hatte, und er bückte sich, um dem Bulgaren den Koffer zu überreichen.

Zum Unmut des Detektives, der immer noch auf seinen Schnappschuss wartete, bewegte sich jetzt eine Schulklasse auf diese Ecke des Zoos zu, und binnen kurzer Zeit hatten sich die Kinder zwischen ihn und die beiden Männer gedrängt. Ihre Lehrerin holte aus zu einem Vortrag, während sie einen Halbkreis um sie bildeten.

Cord musste sich hinter die Gruppe manövrieren, um an seinen Objekten dranzubleiben. Als er wieder freie Sicht hatte, erhoben sich die beiden Männer gerade und wollten offenbar gehen. Cord war viel zu nahe dran, um unbemerkt fotografieren zu können.

Und plötzlich brach die Hölle los!

Schüsse fielen, drei, vier, vielleicht mehr, und aus höchstens fünfzig Metern Entfernung abgefeuert. Die Lehrerin schrie auf, und Cord konnte sehen, wie der Kardinal in die Knie ging, während ein Schwall Blut aus seiner Kehle schoss. Danach war Cord der Blick durch einige der in Panik geratenen Kinder versperrt. Instinktiv rannte er los und drängte sich zwischen den schreienden Schülern hindurch, um zu der Stelle zu gelangen, wo die beiden Männer eben noch gestanden hatten.

Den Bulgaren hatten zwei Schüsse in den Rücken niedergestreckt, der Afrikaner war im Genick getroffen worden, wobei die Kugel am Hals wieder ausgetreten war; ein zweiter Schuss war nicht nötig gewesen. Beide rührten sich nicht mehr, auch der Papst war höchstwahrscheinlich tot; Koffer und Notebook lagen zwischen den beiden Ermordeten, der Koffer war blutverschmiert.

Ohne zu wissen, was er tat, hob er die beiden Gegenstände auf und rannte in Richtung Ausgang. Dass diese impulsive Entscheidung den Schlusspunkt des Lebens bedeutete, welches er kannte, sollte ihm im Laufe der nächsten Stunden noch dämmern.

Er rannte tief gebückt los, denn irgendwo musste der Heckenschütze sein, und Cord wusste nicht, ob die Schüsse nicht auch ihm gegolten hatten. Er musste es annehmen.

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