Kitabı oku: «Ressentiment», sayfa 3
SELBSTINDUZIERTES LEIDEN, SELBSTINDUZIERTE RESSENTIMENTBILDUNG
Frappierend an der Konstellation, die durch die ressentimentgetriebenen psychologischen Abwehrmechanismen hervorgebracht wird, ist, dass der Ressentimentmensch in die Situation gerät, seine Identität und seinen Eigenwert nicht positiv aus sich selbst heraus zu stiften, sondern negativ über und gegen den Anderen. Seine Selbsterfahrung gründet nicht in einem überzeugten oder gar »triumphierenden Ja-Sagen zu sich selber«, sondern in einer Abwehrhaltung, im »Nein zu einem ›Ausserhalb‹, zu einem ›Anders‹, zu einem ›Nicht-selbst‹«.44 Während sich der Starke aktiv aus sich selbst, dem Eigenen heraus konstituiert, definiert sich der Ressentimentmensch reaktiv über die Umwertung der »Gegen- und Aussenwelt«. Er hat diese geradezu zur eigenen Voraussetzung – dermaßen stark prägt ihn die ressentimentale Ohnmachtserfahrung. »Diese Umkehrung des werthesetzenden Blicks – diese nothwendige Richtung nach Aussen statt zurück auf sich selber – gehört eben zum Ressentiment«.45 Er leidet so sehr an seiner Umwelt, dass er sie nur noch als antagonistisch zu erfahren imstande ist. Das wird, wie gesehen, durch die vom Ressentiment erzwungenen selbstbildstabilisierenden Maßnahmen noch einmal verstärkt, indem der Andere, der Feind als eigentlich Schuldiger, als eigentliche Quelle seiner Leiden identifiziert wird. Nur in der permanenten Anklage anderer erwächst ihm die Möglichkeit, das eigene Selbstbild zu entlasten.46 Der Ressentimentmensch konstituiert sich dann wiederum dem Anderen gegenüber als Antithese, als Gegenentwurf. Das bedeutet aber auch, er definiert sich zu allererst über das (angebliche) Unrecht, dass ihm angetan wurde.
Dies erweist sich als eine doppelt negative Identitätsstiftung: erstens wird erst von der Erfahrung des Anderen her das Eigene abgeleitet. Während die Selbstkonstitution des Selbstgewissen einen eigenständigen und souveränen Akt darstellt, lässt die des Ressentimentmenschen diese Souveränität wesentlich vermissen. Zweitens basiert diese Selbsterfahrung auf gegenseitiger Herabwürdigung: einerseits erfährt sich der Ressentimentmensch als der Schwächere und Unterlegene, und unterstellt dabei dem (vermeintlich) Überlegenen, mit Verachtung auf ihn herabzublicken. In seiner verqueren Wahrnehmung erfährt er von ihm nichts als Kränkung. Das führt andererseits dazu, dass er für den Anderen seinerseits nichts als Verachtung übrig hat. Dies ist seine Urerfahrung mit dem Anderen, mit allen Anderen, das Sentiment, das sich wiederum untrennbar an seine Selbsterfahrung geheftet hat. Sein »Verhältnis zur Umwelt ist auf das Böse gebaut und dadurch in seinen Wurzeln vergiftet«.47 Diese Feindbild konstruierende, Antagonismus schaffende, Unfrieden stiftende Dynamik entspringt zutiefst der inneren Logik des Ressentiments. Sie ist ein unhintergehbarer Aspekt desselben.
Das birgt wiederum zweierlei Konsequenzen: einerseits verschafft dies dem Ressentiment selbstperpetuierende Kräfte; andererseits manifestiert sich darin das paradoxale Verhältnis des Ressentimentmenschen zum Anderen – der ihm zugleich Quelle seiner Leiden und Instrument zu deren Linderung ist.
Es sei noch einmal erinnert: jedem Ressentiment liegt zunächst einmal eine reale Verletzung, ein realer Schmerz zugrunde. »Wer tief genug gräbt, um die Wurzel der Ressentimentbildung freizulegen, wird auf eine Kränkung stoßen«.48 Die daraus erwachsenden negativen Affekte werden durch das Nicht-Ausagieren (in der Imagination) immer wieder durchlebt und durchlitten. Sie werden ferner (in der Realität) immer wieder aktualisiert, da das Subjekt sich aufgrund seiner unüberwindlichen Ohnmacht in seine Unterlegenheit gleichsam einnistet und in immer neuen Konflikten fortwährend neue Verletzungen und neue Kränkungen erfährt. Mit der fortschreitenden Entrealisierung der Ressentimentaffekte mischen sich diesen Verletzungen nun zunehmend empfundene, unterstellte, herbei phantasierte Verletzungen bei. Das Ressentiment verdichtet sich »über die Zeit aus einem Gemisch von Erfahrungen und unbewußten Phantasien«.49 Der Ressentimentmensch bildet eine erhöhte Sensibilität für ungerechtes und verletzendes Verhalten anderer aus – und übersteuert diese bis an den Punkt, an dem er An- und Übergriffe empfindet, die gar nicht da sind. Jetzt werden potenziell verletzende Situationen oder Konstellationen »geradezu […] triebartig aufgesucht« oder Verletzendes unbewusst »in alle möglichen Handlungen und Äußerungen anderer, die gar nicht verletzend gemeint waren, […] fälschlich hineingetragen«.50 So bildet sich ein Schema zur Konstruktion von immer neuen Verletzungen heraus, das fortwährend abläuft. Doch der Ressentimentale erleidet nicht bloß Wunden, die ihm so gar nicht beigefügt werden – er schafft innerhalb dieser Dynamik zugleich immer neue Anlässe für immer neue Verwundungen: er kreiert Feinde und Feindschaften, wo de facto keine sind oder sein müssten, er provoziert fortwährend neue Konflikte und Auseinandersetzungen – dann, wenn er sich angegriffen fühlt und sich somit aus gutem und gerechtem Grund zu verteidigen glaubt. Doch er greift faktisch an, wo er sich nur zu verteidigen meint – und wird so zum Ziel dessen, der sich wiederum gegen seine Angriffe verteidigt.
Solcherart beginnt der Ressentimentale damit, sich die Wunden gewissermaßen selbst zuzufügen – was ihn nur noch mehr in die Arme des Ressentiments treibt. Wenn dessen Herausbildung bis zu einem gewissen Punkt fortschreitet, beginnt es, sich selbst zu bestätigen, zu plausibilisieren, zu untermauern. Dann bedarf es dazu gar nicht mehr der widrigen Umstände realer oder zumindest intendierter Verwundungen, um das ressentimentale Vorurteil zu bestätigen und sich dahinter noch weiter zu verschanzen – dann besorgt die ressentimental überformte Persönlichkeitsstruktur dies schon von sich aus. Das Ressentiment verstärkt sich somit selbst, es wächst an sich selbst.
Zugleich scheint hier das paradoxale Verhältnis des Ressentimentmenschen zu dem Anderen auf: einerseits kann er gar nicht mehr anders, denn den Anderen als Quelle seiner persönlichen Not wahrzunehmen. Andererseits ist er auf ihn zum Zwecke seiner selbstbildstabilisierenden Maßnahmen grundlegend angewiesen und auf ihn hin geordnet. Der Andere – in der Rolle des Feindes – fungiert also als Instrument zur Linderung der eigenen Leiden. Zugleich aber perpetuiert er sie: »die Unfähigkeit, andere anders denn als Produzenten des eigenen Leidens wahrzunehmen, läßt einen Ausweg aus dem Leiden von vorneherein nicht zu. Jede Begegnung des Menschen des Ressentiment mit anderen Menschen gerät ihm zur Bestätigung dieses Vorurteils«. Hier verdeutlicht sich der »fundamentale Selbstwiderspruch« des Ressentiments: Rettung gibt es nur in der »Befreiung vom Menschen«, der Befreiung vom Anderen. Dass er auf den Anderen zugleich unbedingt angewiesen ist, deutet die »autodestruktive Potenz des Ressentiment« an, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.51 Ebenso wie er unentrinnbar in dem Spannungsfeld zwischen der sklavischen Notwendigkeit, seine Ressentimentaffekte auszuleben, und der schier übermächtigen Ohnmacht, diese ausleben zu können, gefangen ist, so vermag er sich auch nicht aus dem Paradoxon zu befreien, auf den Anderen als Linderer seines Leidens hingeordnet zu sein und ihn zugleich als die Quelle seines Leidens zu erleben.
DAS RESSENTIMENT ALS ›ZWEITE NATUR‹
Die Feindbildkonstruktionen zum Zweck der Schuldverlagerung und Aggressionsverschiebung, die projektive Manifestation der eigenen unerwünschten Eigenschaften und des Selbsthasses, den sie evozieren, die eigene Aufwertung durch die Herabwürdigung anderer – all diese selbstbildstabilisierenden Funktionen basieren auf der Entrealisierung der Ressentimentaffekte, ihrer Entkoppelung von den sie ursächlich auslösenden Objekten und Diffusion ins Unkonkrete und Objektlose. Sie müssen als Etappen in der Entwicklung einer umfassenden Selbst- und Weltbildkonstruktion spezifisch ressentimentaler Prägung gedeutet werden. Der Ressentimentmensch hat es »nöthig, […] sein Objekt falsch und voreingenommen abzuschätzen«.52 Es entspringt einer tiefen inneren Notwendigkeit, dass er alles »nur umgefärbt, nur umgedeutet, nur umgesehn durch das Giftauge des Ressentiment«53 hindurch erblickt: »Seine Seele schielt«.54 Der Andere hat eine Funktion für ihn, eine existenziell wichtige Funktion: die Stabilisierung des Selbstbildes hat oberste Priorität. Zu diesem Zweck entsteht mehr unbewusst denn bewusst ein Narrativ – ein mehr oder minder willkürlich konstruierter Plot, in dem der Andere in die spezifische Rolle gedrängt wird, die der Ressentimentale für die Selbstbildstabilisierung gerade nötig hat, und in dem seine Erlebnisse die entsprechend spezifisch eingefärbte Deutung erhalten, der das Geschehen so an- und einordnet, dass es eine mehr oder weniger in sich kohärente Form annimmt. Dieses Narrativ ist dabei zu gleichen Teilen von Zufall und Notwendigkeit geprägt: zufällig sind die Protagonisten und die Ereignisse, die dem Ressentimentalen begegnen beziehungsweise widerfahren, und als bloße Projektionsflächen dienen; den Projektionen, mit denen sie überstrahlt werden, eignet wiederum aus der spezifischen Verfasstheit und Bedürfnislage des Ressentimentalen eine tiefe innere Notwendigkeit. Wenn die ›objektive‹ Wirklichkeit dieser widerspricht, wird sie ihr kompromisslos untergeordnet. Sie wird in dem Maße und in die Richtung gebogen, uminterpretiert, manipuliert, wie sie dem ausgerufenen Narrativ dienlich ist. Scheler betont, dass diese Konstruktion keinen bewussten oder gar willentlichen Akt darstellt, sondern vielmehr einer »organischen Verlogenheit« entspringt. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Lüge, »erfolgt die Fälschung nicht im Bewußtsein […], sondern auf dem Wege der Erlebnisse zum Bewußtsein«, also bereits während »der Erinnerungs-, der Vorstellungs- und Gefühlsbildung«. In der organischen Verlogenheit wird instinktiv oder »triebhaft« antizipiert, was dem eigenen Interesse beziehungsweise den eigenen Vorstellungen dienlich ist und schon die Wahrnehmung und Aneignung des Geschehenden in diese Richtung modifiziert. »Wer ›verlogen‹ ist, braucht nicht mehr zu lügen«. Genauso wenig aber nimmt er den Grad seiner ›Verlogenheit‹ noch wahr.55
An einem bestimmten Punkt seiner Herausbildung beginnt das Ressentiment damit, systematisch das Bewusstsein zu rekonfigurieren, die Wahrnehmungsund Aneignungsprozesse zu manipulieren und somit die Zwänge des Faktischen zu konterkarieren. Dieser lange und langsame Prozess lässt sich als schrittweiser Exodus aus der ›objektiven‹ Realität und als allmählicher Aufbau eines geschlossenen Selbst- und Weltbildes definieren, das geprägt ist von einem wirren Durcheinander aus Versatzstücken der Realität und deren teils bewusster, teils unbewusster, aber stets intentionaler Umdeutung, Verkennung, Verzerrung. Die ressentimentale Überformung des Weltbildes bedient sich vieler unmerklich ineinander greifender Mechanismen, sei es die beschriebene vom Erlebnishorizont vorgeprägte selektive und tendenziöse Wahrnehmung, sei es interessegeleitete Erkenntnis, sei es Autosuggestion. Vor allem das imaginative Eigenleben, das die Widerfahrnisse während des wiederholten Durchlebens und Durchleidens entfalten, verleiht ihnen eine ganz andere Signifikanz als ihnen ursprünglich zukommt, verleiht Ereignissen, die tatsächlich vielleicht nur eine kurzlebige und nebensächliche Episode waren, in der ausschmückenden und weiterspinnenden Phantasie eine viel größere Relevanz. Dabei entstehen Szenarien, die mit den realen Ereignissen kaum noch etwas zu tun haben. Und sie setzen emotionale Wogen, Empörung, Wut und Verachtung frei, die mit den realen Ereignissen nur noch sozusagen ideengeschichtlich in Verbindung stehen – die irrlichternden Gefühlswogen jedoch sind umso realer für den Ressentimentalen. Es gehört zum Phänomen des Ressentiments, dass diese Abkopplung der eigenen Gedanken und Gefühle von ihrem realen Kern – den Ereignissen, an denen sie ihren Ursprung nehmen – ein immer größeres Ausmaß annimmt und der Ressentimentale immer mehr Schwierigkeiten hat, diese unfundierten Steigerungen korrekt einzuordnen und von den ursprünglich fundierten Gefühlslagen angemessen zu unterscheiden. Zugleich beeinflusst der Ressentimentale das Geschehen aber auch real in die Richtung der eigenen Erwartungen – weil er unbewusst so agiert, wie es dem eigenen Narrativ entspricht: selbst in die eigene Rolle schlüpft und den Anderen direkt oder indirekt in die ihm zugedachte Rolle drängt.56 Das gleicht einem unbewussten Heraufbeschwören von bestimmten Situationen mit bestimmtem Ausgang – gleich sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Der Grad der ressentimentalen Wahrnehmungsverzerrung liegt in mannigfaltigen Abstufungen und Mischformen vor – er kann von milden, alltäglichen Formen bis hin zur radikalen Umdeutung der Wirklichkeit reichen.57
Das Ressentiment wird zu einem den Fakt vor jedem Fakt bestimmenden Phänomen. Es verbiegt und verdreht ihn, bis er mit dem eigenen Narrativ hinreichend harmonisiert ist. Die Entwicklung drängt bis an einen Punkt, an dem die zur Selbstbildstabilisierung in Gang gesetzte Konstruktion total wird. Sie entwickelt längst Eigendynamiken, produziert längst selbst neue Zwänge und die notwendigen Plausibilisierungen zum Zwecke der Stringenz gleich mit. So schafft sich die ressentimental überformte Persönlichkeit ein aus ihrer verqueren Perspektive kohärentes Weltbild. Seine Kohärenz wird durch den übermächtigen psychischen Druck, den die ressentimentalen Mechanismen kontinuierlich und unauflöslich produzieren, regelrecht erzwungen. Das ressentimentale Ego kämpft regelrecht um das eigene Überleben, lebt im andauernden Krisenmodus, im immerwährenden Ausnahmezustand. Es ist ab einem gewissen Punkt nur noch bedingt zurechnungsfähig. Erst hier wird das Ressentiment in seiner voll ausgebildeten Form ersichtlich. Das Ressentiment ist, wenn es zu seiner vollen Entfaltung gelangt, ein in sich kohärentes und nach außen hin hermetisches Selbst- und Weltbild.
Wenn das Ressentiment in seinen Anfängen eine volatile Stimmung gewesen sein mag, die dann und wann auftritt – etwa wenn der nächste Konflikt aufzieht – und ebenso schnell wieder verschwindet, so hat es sich im Laufe seiner primären, spätestens aber in seiner sekundären Ausbildung zu einer allgemeinen Lebenseinstellung verstetigt und verfestigt. Spätestens mit dem Aufbau eines geschlossenen Weltbilds ist es zu einem Wesens- und Charakterzug geronnen, der nicht mehr einzelne Aspekte des Lebens einfärbt, sondern den Lebensvollzug als Ganzes prägt und durchwaltet. Es hat während seines langen Entwicklungsprozesses die Persönlichkeit des zum Ressentiment Neigenden in eine Ressentimentpersönlichkeit umgeformt. Es ist ihm zur ›zweiten Natur‹ geworden. In seinem finalen Stadium hat es seine transformativen Prozesse abgeschlossen und sich selbst darin gleichsam aufgelöst. Das Ressentiment selbst, als erfahrbare Affektstruktur beziehungsweise Affektabfolge, als herausstehendes emotionales Ereignis, ist in den Hintergrund getreten – weil es nun das emotionale Erleben insgesamt durchwirkt. Das Ressentiment ist dann ›vollendet‹, wenn es zum Daseinsmodus des Ressentimentalen geworden ist: wenn es zur Matrix des Gefühlshaushaltes geworden ist und alles von ihm her gefühlt wird, was gefühlt wird; wenn es den Wahrnehmungsapparat übernommen hat und alles in seinem Lichte wahrgenommen wird, was wahrgenommen wird; wenn es das Selbst- und Weltbild nach seinem Bilde umgestaltet hat und alles dergestalt interpretiert, rezipiert und konstruiert wird, was Eingang findet in den Geist der Ressentimentpersönlichkeit; wenn es zur Wesensart, zur Existenzweise derselben geworden ist. Es ist dann vollendet, wenn es die Ressentimentpersönlichkeit derart durchdrungen hat, dass es sich quasi auflöst, wenn es mit dem Bewusstsein deckungsgleich geworden ist und somit aus dem Bewusstsein verschwindet.
3. RESSENTIMENT, INDIVIDUALPSYCHOLOGISCH
Das Ressentiment ist, wie sich gezeigt hat, ein prozessuales Phänomen – gekennzeichnet von verschiedenen Entwicklungsphasen. Daher kann ›Ressentiment‹ sowohl die Hemmung des Ausagierens der verschiedenen negativen Affekte und infolgedessen deren wiederholtes Durch- und Nachleben bezeichnen; oder die zunehmende Loslösung dieser Affekte von den sie ursprünglich auslösenden Objekten sowie deren Verschiebung auf relativ willkürlich gewählte Ersatzobjekte (Entrealisierung); oder die Ausbildung psychologischer Abwehrmechanismen zur Stabilisierung des beschädigten Selbstverhältnisses; oder die Konstruktion eines postfaktischen, in sich geschlossenen Weltbildes (ressentimentales Narrativ).
Darüber hinaus, so wird sich zeigen, ist das Ressentiment multidimensional. Es ist ein psychologisches, primär individualpsychologisches Phänomen; es hat aufgrund seiner sozialpsychologischen Potenziale zugleich eine soziologische Dimension; und darüber hinaus eine Reihe von philosophischen Implikationen.
Das Ressentimentphänomen verfügt also über eine gewisse Unschärfe. Sowohl seine verschiedenen Phasen also auch Dimensionen müssen sehr genau unterschieden werden. Auf der individualpsychologischen Ebene ergeben sich zunächst weitere Beobachtungen.
PRIMAT DER EMOTIONEN
Das Ressentiment ist gefühlsbasiert. Es sind die Affekte – Groll, Verbitterung, Neid, Hass, Verachtung, Rachsucht, Ranküne, Schadenfreude, Missgunst, Übelwollen –, die Ausgangspunkte und treibende Kräfte hinter der Ressentimentbildung sind. Und es sind die Affekte, die der bestimmende Faktor hinter dem Phänomen des Ressentiments bleiben. Sie erlangen ihre Intensität, ihre Wirkmacht dadurch, dass sie nicht ausagiert werden. So kommt es zur Akkumulation dieser sehr speziellen, in ihrem Spektrum sehr eingeschränkten Emotionen – und längerfristig zur Marginalisierung von anders geladenen, gegenläufigen, ausgleichenden Emotionen. Sie werden die dominante Größe im Gefühlshaushalt und verflachen allmählich aber unweigerlich dessen Variationsvielfalt. Die nicht ausagierten Affekte können durch ihr langes Unbefriedigt- und Unbefriedet-Bleiben schließlich obsessiven oder gar Fetischcharakter annehmen.
Dass das Ressentiment primär auf der emotiven Ebene fungiert, bedeutet zugleich, dass jede kognitive Erwägung ihm gegenüber sekundär ist. Die der Ressentimenterfahrung zugrunde liegenden Gefühlslagen und Gemütsbewegungen haben strukturell deutlich mehr Gewicht und Strahlkraft als rationale Überlegungen oder sachliche Argumente.58 Je weiter fortgeschritten die Ressentimentbildung – gerade, wenn es zur Selbstbildstabilisierung vermittels weitreichender Konstruktionen und Fabrikationen eines entsprechenden Narrativs kommt –, desto widerstandsloser lassen sich letztere aus- oder überblenden, sobald sie zu ersteren in Widerspruch geraten: das Ressentiment ist »gegenüber Argument und Erfahrung abgedichtet«.59 Das bedeutet mitnichten, dass die Ratio schlicht ausgeschaltet wird – Ressentiment ist kein Zustand der Idiotie. Sie übt vielmehr eine nicht geringe Funktion für die gefühlsbasierten ressentimentalen Konstruktionen aus: die Ratio tritt in ihren Dienst und versorgt sie mit Struktur und Argumenten. Entstehung und Etablierung eines selbstbildstabilisierenden Narrativs sind ohne sie schlechterdings gar nicht möglich. Wesentlich für die ressentimentale Logik ist dabei, dass sie sich unter dem unbedingten Zwang desselben beugt und genauso verkürzende und tendenziöse Formen annimmt, wie etwa der Wahrnehmungsapparat.
Auf der anderen Seite ist das Ressentiment aufgrund seiner primär emotiven Natur geeignet, große Kräfte freizusetzen und eine starke Wirkmacht zu entfalten. Es vermag nicht zuletzt deswegen seinen Träger zu mobilisieren, weil es in seinem Grundzug zutiefst viszeral ist, weil es so unmittelbar im Medium des Gefühls, der Gefühlsaufwallung wirkt. Das Ressentiment sei wesentlich eine »Gefühlstatsache«, schreibt Scherpe, und ziehe genau daraus seine Kraft: »In seinem dunklen Ursprung ist das Ressentiment dumm und dumpf«, eine rohe Energie, eine blinde Gewalt, die es auch in seinen scheinbar zivileren, von scheinbar überlegter Zurückhaltung geprägten Formen nicht einbüßt.60 Das Ressentiment ist seinem Wesen nach zutiefst endothym. Dass es genau diese tiefsten und damit mächtigsten Kraftzentren im Menschen anzapft und speist, macht es zu dem »gefährlichste[n] Spreng- und Explosivstoff«,61 den Nietzsche beschreibt.
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