Kitabı oku: «Tonka», sayfa 6
Kapitel 10
Etwas Ungreifbares fehlte, um die Überzeugung zur Überzeugung zu machen.
Er war einmal nachts mit der Mutter und Hyazinth gereist, und so um zwei Uhr, in der rücksichtslosen Müdigkeit, wenn die Körper im Eisenbahnzug schwanken und nach Unterstützung suchen, schien es ihm, daß seine Mutter sich an Hyazinth lehnte, voll Einverständnis, und Hyazinth faßte ihre Hand. Seine Augen waren weit geworden vom Zorn damals, denn sein Vater tat ihm leid; aber als er sich vorbeugte, saß Hyazinth allein und seine Mutter hatte den Kopf zu der von ihm abgewandten Seite geneigt. Und nach einer Weile, als er sich wieder zurückgelehnt hatte, wiederholte sich das Ganze. So groß war die durch das ungenaue Sehen hervorgerufene Qual oder so ungenau durch die Qual in der Dunkelheit das Sehen. Er sagte sich schließlich, daß er nun doch überzeugt sei, und nahm sich vor, seine Mutter am Morgen zur Rede zu stellen; aber als der Tag schien, war das verflogen wie die Dunkelheit. Und ein anderes Mal war die Mutter auf einer Reise unwohl geworden, und Hyazinth, der an ihrer Statt dem Vater schreiben mußte, fragte unlustig: was soll ich denn schreiben? – er, welcher der Mutter bogenlange Episteln bei jeder Trennung schrieb! –: da gab es Zank, denn der Junge war wieder böse geworden, das Unwohlsein seiner Mutter verschlimmerte sich, schien gefährlich zu werden, man mußte helfen, Hyazinths Hände kreuzten dabei immerzu die Wege der seinen, und immerzu stieß er sie weg. Solange, bis Hyazinth fast traurig fragte: »Warum stößt du mich denn fortwährend weg?« Da war er über den Ton des Unglücks in dieser Stimme erschrocken. So wenig weiß man, was man weiß, und will man, was man will.
Das kann man begreifen; jedoch er vermochte in seinem Zimmer zu sitzen, von Eifersucht gequält zu sein und sich zu sagen, daß er gar nicht eifersüchtig war, sondern etwas anderes, Entlegenes, merkwürdig Erfundenes; er, dessen eigene Gefühle das waren. Wenn er aufsah, fehlte nichts. Die Tapete des Zimmers war grün und grau. Die Türen waren rötlich braun und voll still spiegelnder Lichter. Die Angeln der Türen waren dunkel und aus Kupfer. Ein weinroter Samtstuhl stand im Zimmer und hatte eine braune Mahagonirahmung. Aber alle diese Dinge hatten etwas Schiefes, Vornübergeneigtes, fast Fallendes in ihrer Aufrechtheit, sie erschienen ihm unendlich und sinnlos. Er drückte seine Augen, sah umher, aber es waren nicht die Augen. Es waren die Dinge. Von ihnen galt, daß der Glaube an sie früher da sein mußte als sie selbst; wenn man die Welt nicht mit den Augen der Welt ansieht und sie schon im Blick hat, so zerfällt sie in sinnlose Einzelheiten, die so traurig getrennt voneinander leben wie die Sterne in der Nacht. Er brauchte nur zum Fenster hinauszusehen, so schob sich plötzlich in die Welt eines unten wartenden Droschkenkutschers die eines vorübergehenden Beamten und es entstand etwas Aufgeschnittenes, ein ekelhaftes Durcheinander, Ineinander und Nebeneinander auf der Straße, ein Wirrwarr von bahnenziehenden Mittelpunkten, um deren jeden ein Kreis von Weltgefallen und Selbstvertrauen lag, und das alles waren Hilfen, um aufrecht durch eine Welt zu gehen, der das Oben und Unten fehlte. Wollen, Wissen und Fühlen sind wie ein Knäuel verschlungen; man merkt es erst, wenn man das Fadenende verliert; aber vielleicht kann man anders durch die Welt gehen als am Faden der Wahrheit? In solchen Augenblicken, wo ihn von allen ein Firnis der Kälte trennte, war Tonka mehr als ein Mädchen, da war sie fast eine Sendung.
Er sagte sich: entweder muß ich Tonka zur Frau nehmen oder sie und diese Gedanken verlassen.
Aber niemand wird es ihm übelnehmen, daß er aus solchen Gründen weder das eine noch das andere tat. Denn alle solche Gedanken oder Eindrücke mögen ja ihre Berechtigung haben, doch zweifelt heute niemand, daß sie zur Hälfte nur Gespinst sind. Also dachte er sie und dachte sie nicht ganz ernst. Er kam sich wohl manchmal wie geprüft vor, aber wenn er erwachte und zu sich wieder wie zu einem Manne sprach, mußte er sich sagen, daß solche Prüfung doch nur in der Frage bestand, ob er gegen die neunundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit, daß er betrogen worden und ein Dummkopf sei, gewaltsam am Tonka glauben wolle. Allerdings hatte diese beschämende Möglichkeit schon viel von ihrer Wichtigkeit verloren.
Kapitel 11
Es war merkwürdigerweise eine Zeit großer wissenschaftlicher Erfolge für ihn. Er hatte seine Aufgabe in den Hauptzügen gelöst und bald mußten sich auch die Folgen zeigen. Schon fanden Menschen zu ihm den Weg. Sie brachten ihm Herzenssicherheit, wenn sie auch von Chemie sprachen. Sie glaubten alle an die Wahrscheinlichkeit seines Erfolges; neunundneunzig Prozent betrug sie schon! Und er betäubte sich mit Arbeit.
Aber während seine bürgerliche Person sich festigte und gleichsam in einen Reifezustand der Weltlichkeit eintrat, liefen seine Gedanken, sobald er von der Arbeit abließ, nicht mehr in festen Bahnen, sondern es brauchte in ihm bloß Tonkas Dasein anzuklingen, und ein Leben von Figuren begann, die einander ablösten, ohne ihren Sinn zu verraten, wie Unbekannte, die sich täglich auf dem gleichen Wege begegnen. Da war der Kommis-Tenor, den er einmal im Verdacht der Untreue gehabt hatte, und alle, an die sich je eine Gewißheit knüpfte. Sie taten nicht viel, sie waren bloß da; oder wenn sie selbst das Fürchterlichste taten, bedeutete es nicht viel; und weil sie manchmal zwei oder noch mehr in einer Person waren, konnte man gar nicht einfach eifersüchtig sein, sondern es wurden diese Geschehnisse so durchsichtig wie klarste Luft und noch klarer bis zu einer jeder Selbstsucht ledigen Freiheit und Leere, unter deren unbeweglichen Kuppel die Zufälle des Weltlebens sich winzig abspielten. Und oft wurden das Träume oder vielleicht waren es ursprünglich Träume gewesen, über deren blasse Schattenwelt er unmittelbar aufstieg, wenn die Schwere der Arbeit sich löste, als sollte er gewarnt sein, daß diese Arbeit nicht sein eigentliches Leben war.
Diese wirklichen Träume lagen auf einer tieferen Stufe als sein Wachen; sie waren warm wie niedrige bunte Stuben. In ihnen wurde Tonka von der Tante herzlos gescholten, weil sie bei Großmamas Begräbnis nicht geweint hatte, oder es bekannte ein häßlicher Mensch, der Vater von Tonkas Kind zu sein, und sie, fragend angeblickt, leugnete zum ersten Mal nicht, sondern stand mit einem unendlichen Lächeln reglos da; das war in einem Zimmer mit grünen Pflanzen geschehen, das rote Teppiche hatte und blaue Sterne an den Wänden, und als er nach der Unendlichkeit aufsah, waren die Teppiche grün, die Pflanzen hatten große rubinrote Blätter, die Wände schimmerten gelb wie die sanfte Haut eines Menschen, und Tonka stand klarblau wie Mondlicht auf ihrem Platz. Er flüchtete beinahe in diese Träume wie in ein einfaches Glück; vielleicht waren sie nichts als Feigheit, sie sagten wohl nur, Tonka sollte gestehen, und alles wäre gut; er wurde durch ihre Häufigkeit sehr verwirrt, aber sie hatten nicht die unerträgliche Spannung des Halbwachens, die immer höher hinausführen wollte.
In diesen Träumen war Tonka immer groß wie die Liebe und nicht mehr das kleine mitgenommene Geschäftsmädchen, das sie war, aber sie sah stets auch anders aus. Sie war zuweilen ihre eigene jüngere Schwester, die es niemals gegeben hatte, und oft war sie bloß ein Rauschen von Röcken, der Klang und Fall einer andern Stimme, die fremdeste und überraschendste Bewegung, der ganze berauschende Reiz unbekannter Abenteuer, die in einer nur im Traum möglichen Weise von der warmen Vertrautheit ihres Namens ihm zugeführt wurden und eine mühelose Seligkeit des Vorbesitzes schon in dem Augenblick spendeten, wo sie noch ganz Spannung des Unerreichten waren. Eine scheinbar ungebundene, noch wesenlose Zuneigung und übermenschliche Innigkeit trat mit diesen Doppelbildern in ihm auf, aber es war nicht zu sagen, ob sie sich darin von Tonka lösen oder erst mit ihr verbinden wollte. Wenn er darüber nachsann, erriet er, daß diese rätselhafte Übertragungsfähigkeit und Unabhängigkeit der Liebe sich auch im Wachen zeigen müsse. Nicht die Geliebte ist der Ursprung der scheinbar durch sie erregten Gefühle, sondern diese werden wie ein Licht hinter sie gestellt; aber während im Traum noch ein feiner Riß besteht, an dem sich die Liebe von der Geliebten abhebt, ist er im Wachen verwachsen, als würde man bloß das Opfer eines Doppelgänger-Spiels und von irgend etwas gezwungen, einen Menschen für herrlich zu halten, der es nimmer ist. Er brachte es nicht über sich, das Licht hinter Tonka zu stellen.
Aber es mußte damit zu tun haben und etwas Besonderes bedeuten, wie oft er an Pferde dachte. Das war vielleicht Tonka und die Pferdelotterie mit den Nieten, oder es war seine Kindheit, denn darin kamen schöne braune und gescheckte Pferde vor, in schweren, mit Messing und Fellen beschlagenen Geschirren. Und manchmal glühte plötzlich das Kinderherz in ihm auf, für das Großmut, Güte und Glauben noch nicht Pflichten sind, um die man sich nicht kümmert, sondern Ritter in einem Zaubergarten der Abenteuer und Befreiungen. Es war aber vielleicht bloß das letzte Aufleuchten vor dem letzten Verlöschen und der Reiz einer Narbe, die sich bildete. Denn die Pferde zogen immer Holz, und die Brücke unter ihren Hufen gab einen dunklen Holzlaut, und die Knechte trugen kurze, violett und braun gewürfelte Jacken. Sie nahmen alle den Hut vor einem großen Kreuz ab mit einem blechernen Christus, das in der Mitte der Brücke stand, nur ein kleiner Bub, der im Winter bei der Brücke zuschaute, hatte den seinen nicht ziehen wollen, denn er war schon klug und glaubte nicht. Da konnte er plötzlich seinen Rock nicht zuknöpfen; er konnte es nicht. Der Frost hatte seine Fingerlein gelähmt, sie faßten einen Knopf und zogen ihn mit Mühe heran, aber so wie sie ihn in das Knopfloch schieben wollten, war er wieder auf seinen alten Platz zurückgesprungen, und die Finger blieben hilflos und verdutzt. Sooft sie es auch versuchten, endeten sie in einer steifen Verwirrung.
Diese Erinnerung war es nämlich, welche ihm besonders oft einfiel.
Kapitel 12
Zwischen diesen Unsicherheiten schritt die Schwangerschaft fort und zeigte, was Wirklichkeit ist.
Es kam der beladene Gang, der Tonka eines stützenden Armes bedürftig erscheinen ließ, der schwere Leib, der geheimnisvoll warm war, die Art des sich Niedersetzens, mit offenen Beinen, unbeholfen und rührend häßlich; alle Wandlungen des wunderbaren Vorgangs kamen, der, ohne zu zögern, den Mädchenkörper umformte zur Samenkapsel, alle Abmessungen veränderte, die Hüften breit machte und hinunterrückte, den Knien die scharfe Form nahm, den Hals kräftiger, die Brüste zum Euter machte, die Haut des Bauches mit feinen roten und blauen Adern durchzog, so daß man darüber erschrak, wie nah der Außenwelt das Blut kreiste, als ob das den Tod bedeuten könnte. Nichts als Unform war durch neue Form ebenso gewaltsam wie duldend zusammengehalten, und das gestörte menschliche Maß spiegelte sich auch im Ausdruck der Augen wider; sie blickten etwas blöd, sie hafteten lange auf den Gegenständen und lösten sich nur schwerfällig von ihnen los. Auch an ihm hafteten Tonkas Augen oft lange. Sie besorgte wieder seine kleinen Angelegenheiten und diente ihm mühevoll, als wollte sie ihm noch zuletzt beweisen, daß sie nur für ihn lebte; nicht ein Funke Scham über ihre Häßlichkeit und Entstellung war in ihren Augen, nur der Wunsch, mit ihren plumpen Bewegungen recht viel für ihn zu tun.
Sie waren jetzt beinahe wieder so oft beisammen wie früher. Sie sprachen nicht viel, aber sie blieben einer in des andern Nähe, denn die Schwangerschaft rückte vor wie ein Zeiger, und sie waren hilflos davor. Sie hätten sich aussprechen sollen, aber nur die Zeit ging vorwärts. Der Schattenmensch, das Unwirkliche in ihm rang manchmal nach Worten, eine Erkenntnis wollte aufsteigen, daß man alles nach ganz andern Werten messen müßte; aber sie war, wie alles Erkennen ist, zweideutig, unsicher. Und die Zeit lief, die Zeit lief davon, die Zeit verlor sich; die Uhr an der Wand war dem Leben näher als die Gedanken. Es war ein kleinbürgerliches Zimmer, in dem nichts von Großem geschah, darin sie saßen, die Wanduhr war eine runde Küchenuhr und zeigte eine Küchenzeit, und seine Mutter beschoß ihn mit Briefen, darin alles bewiesen stand; sie sandte kein Geld, sondern gab es für die Meinung von Ärzten aus, die ihm den Kopf zurechtsetzen sollten: er verstand es recht gut und nahm es nicht mehr übel. Einmal schickte sie sogar eine neue ärztliche Erklärung, aus der nun wirklich hervorging, daß Tonka ihm damals doch untreu gewesen sein mußte; aber statt Alarm in ihm zu schlagen, erregte sie nur eine fast angenehme Überraschung, er dachte, als ob es gar nicht ihn berührte, darüber nach, wie das damals wohl zugegangen sein mochte, und fühlte bloß: die arme Tonka, die dann an den Folgen einer einzigen flüchtigen Verwirrung so litt … ! Ja, er mußte sich manchmal in acht nehmen, daß er nicht plötzlich ganz lustig sagte: Tonka, gib acht, jetzt ist mir endlich eingefallen, was wir vergessen haben – mit wem du mir damals untreu warst! So verrann alles. Nichts Neues kam. Es blieb nur die Uhr. Und die alte Vertrautheit.
Und auch ohne daß sie sich ausgesprochen hatten, brachte sie die Augenblicke des Nacheinanderverlangens der Körper wieder. Sie kamen, so wie alte Bekannte auch nach langer Abwesenheit ohne viel Umstände ins Zimmer treten. Die Fenster jenseits des engen Hofes lagen blind im Schatten, die Menschen waren zur Arbeit gegangen, wie ein Brunnen dunkelte unten der Hof, die Sonne schien wie durch Bleischeiben in die Wohnung, sie hob jeden Gegenstand heraus und ließ ihn tot aufleuchten. Und da lag zum Beispiel auch einmal ein kleiner alter Kalender so aufgeschlagen, als hätte Tonka eben in ihm geblättert, und in der weiten, weißen Ebene eines Blattes stand, wie eine Pyramide der Erinnerung zu einem Tag gesetzt, ein kleines rotes Rufzeichen. Alle andern Blätter waren mit Eintragungen des alltäglichen Lebens, mit Preisen, Besorgungen gefüllt, und nur dieses war leer bis auf das Zeichen. Keinen Augenblick zweifelte er daran, daß dies die Erinnerung an jenen Tag bedeutete, dessen Vorfälle Tonka verbarg, die Zeit mochte ungefähr stimmen, und die Gewißheit schoß wie ein Blutsprudel in den Kopf. Aber die Gewißheit lag ja in nichts als eben in dieser plötzlichen Heftigkeit, und im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder in ein Nichts zurückgezogen; wollte man diesem Rufzeichenglauben, so mochte man ebensogut dem Wunder glauben, und das Vernichtende war doch gerade, daß man keins von beiden tat. Es ging da ein erschrockenes Aufblicken von einem zum andern. Tonka hatte wohl das Blatt in seiner Hand bemerkt. Die Gegenstände in dem seltsamen Zimmerlicht sahen jetzt wie Mumien ihrer selbst aus. Die Körper wurden kalt, die Fingerspitzen vereisten, und die Eingeweide hielten wie ein heißer Knäuel alle Lebenswärme fest. Der Arzt hatte wohl gewarnt, Tonka bedürfe äußerster Schonung, sollte ihr nicht ein Unglück zustoßen; aber gerade den Ärzten durfte man ja in diesem Augenblick nicht trauen. Und auch nach der andern Seite blieben alle Anstrengungen vergeblich; vielleicht war Tonkas Kraft zu gering, sie blieb ein halbgeborener Mythos.
»Komm zu mir,« bat Tonka, und sie teilten Leid und Wärme mit traurigem Gewährenlassen.