Kitabı oku: «Schnee am Strand», sayfa 3

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Kapitel 6

»Sei mal ruhig«, sagte Ashley und versuchte mit dem alten, abgenutzten Volume-Regler dem Radio mehr Lautstärke abzuringen.

»… hatte das Pärchen eine Tankstelle in Carlington überfallen. Die beiden Jugendlichen sind dabei mit äußerster Brutalität vorgegangen«, krächzte der Nachrichtensprecher mit atmosphärischen Störungen aus den Lautsprechern.

»Sie wurden zuletzt in einem roten Chevrolet Camaro Baujahr 1992 gesehen. Der Wagen besitzt ein kalifornisches Nummernschild mit der Aufschrift XF1313Z, die vermutlich gestohlen worden sind.«

»Sind sie«, schrie Damian und fuhr an den Straßenrand. Er versuchte, den Sender schärfer einzustellen, aber die Nachrichten waren vorbei, nach einem kurzen Wetterbericht dröhnte Country-Musik aus der Anlage.

»Scheiße, wir sind am Arsch. Jetzt weiß jeder Cop, welches Auto wir fahren. Wir müssen die Karre loswerden«, sagte Damian.

Ashley wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn, massierte die Schläfen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Nebelhafte Versatzstücke der letzten Stunden trieben wie Treibholz durch ihre Synapsen. Eckten hier und dort an, ohne ein klares Bild zu ergeben. Das erotische Gefühl bei den Überfällen, das entsetzte Gesicht des alten Mannes pulsten wie dominante Hormone durch ihre Venen und malträtierten ihren Unterleib mit winzigen elektrischen Impulsen. Ashley war nicht bereit, hier und jetzt ihr Abenteuer aufzugeben. Das Auto musste weg, es war der einzige Hinweis auf ihre Identität, die die Cops hatten.

»Damian, du hast gesagt, dass das Nummernschild nicht gestohlen ist? Also wissen die Cops, dass das Auto dir gehört.«

»Die wissen gar nichts«, Damians breites Grinsen malte eine gewisse überlegene Fröhlichkeit auf sein Gesicht.

»Meinst du, ich würde so einen alten Schrotthaufen fahren? Wir haben nicht die Nummernschilder geklaut, wir haben direkt die ganze Karre mitgenommen.«

Damian zog, wie zum Beweis, ein paar blanke Kupferkabel unter dem Armaturenbrett des Camaro hervor.

»Und die Schlüssel?«

»Das ist ein wenig blöd gelaufen, als ich den Wagen kurzgeschlossen hatte, fiel mir ein, hinter der Sonnenblende nachzusehen und genau dort waren sie. Mann, du musst einen ganz schönen Filmriss gehabt haben, wenn du dich daran nicht mehr erinnern kannst.«

Damian lächelte süffisant.

Ashley versetzte Damian mit der Faust einen Hieb auf dem Oberarm.

»Ja, so mag ich es, meine wilde, rote Hexe.«

Ashley strich mit ihrer Hand über den Schritt von Damian und merkte, wie sich unter den Zähnen des Reißverschlusses Druck aufbaute. Damian versuchte, die Hose zu öffnen, aber Ashley hielt ihn davon ab.

»Erst kommt der Camaro weg, dann spielt die rote Hexe mit dem kleinen Damian«, Ashley strich noch einmal über die Wulst in Damians Schritt und drehte dann den Zündschlüssel. Der V8 erwachte fauchend zum Leben.

Kapitel 7

Für den Bruchteil eines Momentes schoss ein greller Blitz durch die Büsche, gerade lang genug, um Ashleys Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zwischen dem verdorrten Gestrüpp konnte sie die raue Oberfläche eines Sees ausmachen. Die Herkunft der Lichtreflexion.

»Rechts in den Weg«, Ashley zog Damian am Ärmel.

Dieser reagierte. Bremste den Wagen scharf ab und riss das Steuer herum. Der Camaro rollte einen kleinen Pfad entlang. Steine flogen mit einem unangenehm metallischen Geräusch gegen den Unterboden und ein paar Mal setzte der Wagen auf, ohne aber stecken zu bleiben.

Damian ließ den Camaro am Kiesstrand des Sees ausrollen. Der Motor erstarb und eine unnatürliche Stille breitete sich im Inneren aus.

»Versenken wir den Wagen«, sagte Damian und stieg aus.

Ashley holte das Speed und die Pistole aus dem Handschuhfach und verstaute es in ihrem kleinen Rucksack, ehe sie Damian folgte.

Damian schmiss die Taschen aus dem Kofferraum auf den Kies und knallte den Deckel zu.

»Lass uns die Fenster runterkurbeln, dann sinkt der Wagen schneller«, sagte Ashley.

Damian versenkte die Fenster, während Ashley den Trampelpfad zurückging, um zu kontrollieren, ob ihnen jemand gefolgt war. Sie versuchte, dem unguten Gefühl in der Magengegend nachzuspüren. Aber dort war nichts, außer einem leichten Anflug einer Paranoia. Nur der Wind strich durch die dürren Büsche und erfüllte die Luft mit tinitusartigen Geräuschen.

Ashley beschloss, zu Damian zurückzukehren, wollte aber kein Wort über die seltsamen Gefühle verlieren.

Damian stellte den Wählhebel auf »N« und dann schoben sie den Camaro in den See. Widerwillig glitt der Wagen ins Wasser. Die Steine, die sich unter der Wasseroberfläche befanden, wurden durch das Gewicht des Wagens nach vorne geschoben und bildeten einen Keil, der das Auto schließlich zum Stehen brachte. Bis zur Stoßstange stand der Wagen im Wasser, dann ging nichts mehr.

Damian und Ashley mobilisierten ihre gesamten Kräfte, aber der Camaro bewegte sich kein Stück.

»Scheiße, verdammte Scheiße«, schrie Damian und hieb mit der Faust auf den Kofferraumdeckel.

»Nimm Schwung und fahr ihn ins Wasser.«

»Was?«, Damian schien für einen Moment die Wut vergessen zu haben.

»Fahr ihn bis an Ende des Strandes, gib Gas und spring dann raus.«, sagte Ashley.

»Du bist genial«, Damian nahm Ashleys Gesicht in beide Hände und drückte seine Lippen auf die ihrigen und schob ihr die Zunge in den Mund. Ashley spielte mit ihr. Ließ ihre Zunge um seine kreisen, lutschte daran, um sie mit einem Mal fest einzusaugen. Damians Augen weiteten sich und ein leichter Schmerz durchfuhr ihn.

»Mehr gibt es, wenn der Wagen abgetaucht ist«, lachend stieß Ashley ihn in Richtung des Camaros.

Kies spritze auf und trommelte gegen die Radkästen, als Damian mit immer steigender Geschwindigkeit auf den See zuraste. Er war mittlerweile so schnell, dass es unmöglich für ihn schien, aus dem fahrenden Wagen zu springen.

In diesem Moment tauchte der Camaro mit einer riesigen Fontäne ins Wasser ein. Als der Motor das brackige Wasser einsog und es sich mit dem Benzin vermischte, bockte der Camaro für einen kurzen Moment auf, das Geräusch brechenden Metalls übertönte das sterbende Blubbern des V8. Für einen Moment schwamm der Wagen an der Oberfläche des Sees, um dann mit dem Bug zuerst zu versinken.

Damian robbte zum Fenster raus und ließ sich ins Wasser gleiten. Keinen Augenblick zu spät, denn der Camaro sank immer schneller und hätte Damian mit in die nassen Fluten gezogen.

Damian hängte seine nassen Sachen an die niedrigen Zweige eines Baumes. Die Sonne hatte noch genug Kraft, um das Wasser aus der Kleidung zu saugen.

Das feuchte Grab des Camaros hatten sie verlassen und sich durch den kleinen Wald geschlagen. Als sie das Gefühl hatten, weit genug vom See entfernt zu sein, hatten sie eine Rast eingelegt.

Ashley lehnte an einem Baum und hatte die Augen geschlossen.

Die grobgenarbte Rinde drückte gegen ihr Rückgrat und verursachte einen permanenten, wenn auch leichten Schmerz. Diesen Schmerz benutzte Ashley, um ihre Gedanken zu ordnen. Viel zu viel war in den zwei Tagen und unzähligen Stunden in Unordnung geraten. Das spießige Leben ihrer Eltern war ihr zwar zutiefst zuwider, aber Schießereien waren doch auch für sie eine ganz andere Liga. Eine gewöhnungsbedürftige Liga.

Die Stimme ihres Bauches gab ihr nur diffuse Antworten auf ihre Fragen. Einerseits genoss sie die Unabhängigkeit, auf der anderen Seite wusste sie nicht, wo sie der Weg hinführen würde. Obwohl sie hart und schnell leben wollte, hatte sie Damians Gewalt schockiert. Ihre Worte hallten immer noch in Ashleys Kopf nach, hart und schnell, sie hatte die Befürchtung, dass Damian dies für ein Versprechen gehalten hatte. Ein falsches Versprechen, wenn hart und schnell auch brutal bedeuten sollte. Vielleicht hatte sie sich auch in Damian getäuscht. Unter der weichen Schale aus Empathie und immerwährender Gutmütigkeit schien ein anderer Damian zu lauern. Ein Monster, das jede Situation ausnutzte, um sein wahres Gesicht zu zeigen.

Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht und riss sie aus ihren Gedanken. Damian hatte sich umgezogen.

Seine Augen hatte er leicht zusammengekniffen, so dass eine steile Falte über seine Stirn lief. Ashley hatte das Gefühl, das Damian sich in ihre Gedanken schleichen wollte, um zu ergründen, wie es in ihr aussah.

Damian kniete sich nieder und der Schatten, den er geworfen hatte, verschwand. Ashley schützte ihre Augen gegen die plötzlich einfallende Helligkeit.

Als sie die Umwelt wieder in einem normalen Licht wahrnehmen konnte, bemerkte sie, dass Damian zwei Telefone in der Hand hielt. Eins davon gehörte ihr.

Sekunden verstrichen, in denen Ashley das Gefühl hatte, Damian wartete darauf, dass sie etwas sagte.

Aber Ashley blieb stumm.

»Wir müssen unsichtbar werden«, sagte Damian, als noch ein paar lange Sekunden des Schweigens verstrichen waren.

»Ohne Mobilfunk werden wir unsichtbar?«

»Ohne die Telefone kann uns die Polizei nicht orten«, sagte Damian.

»Aber die wissen doch gar nicht, wer wir sind«, antwortete Ashley.

»Noch nicht«, sagte Damian, stand auf und zerstörte die Telefone mit einem Stein, den er vor Ashley verborgen hatte.

Ein trockenes Knacken durchbrach die warme Stille des Nachmittags und das erste Telefon zerstreute seine elektronischen Eingeweide auf der staubigen trockenen Erde.

Die zerschmetterten Leiber der Telefone begrub Damian unter einem Baum und bedeckte die Erde wieder mit den herabgefallenen Nadeln einer Kiefer.

Kapitel 8

Waterburgh wirkte provinzial. Eingebettet in einer Mulde, umringt von lichten Kiefernwäldern. Der feuchte Nebel hüllte die Stadt regelmäßig in eine watte-graue Schicht und der Sommer trieb die schwüle Luft durch die Straßen. Ein Gürtel aus vornehmen kleinen Häusern umringte das Stadtzentrum.

Genau genommen war Stadtzentrum eine Übertreibung. Eine Straße, die sich über vier Blocks erstreckte, bildete das Herz von Waterburgh. Ihre größte Attraktion war, dass sie aus der Stadt hinaus führte. Gegründet durch einen niederländischen Emigranten wuchs die kleine Stadt nur mäßig, bis die Population sich irgendwann auf 1200 Einwohner einpendelte. Die großen Supermarkt-Ketten machten einen Bogen um Waterburgh und so gab es hier noch die Spezies von Einzelhandelsläden zu bestaunen.

Verließ man Waterburgh auf der Hauptstraße nach Osten, bildeten zwei heruntergekommene Trailer-Parks das Ende des Stadtgebiets. Verwahrloste Hütten und alte Trailer boten ein Bild des ständigen Verfalls. Waterburgh rekrutierte hier seine Hilfskräfte: Regaleinräumer und Burgerbrater.

Mrs. Lewingston wirkte wie geschaffen für ihr kleines viktorianisches Reihenhaus. Sie lebte in einem der wohlhabenden Viertel von Waterburgh. Ihr kleiner drahtiger Körper steckte in einem spitzenbesetzten Stoffkleid, das mit englischen Rosen bedruckt war. Mit ihrem dezenten Goldschmuck und ihrer altertümlichen Hochsteckfrisur wirkte sie, als ob sie in ein falsches Jahrhundert hinein geboren worden war. Es war das Haus ihrer Eltern, das sie jetzt schon fast vier Jahrzehnte ihr Eigen nannte.

Sie hatte das Haus seit dieser Zeit alleine bewohnt. Die große Liebe hatte sie nie gefunden, Mühe hatte Mrs. Lewingston sich auch nicht gegeben diese zu finden. Sie war mit ihrem Leben zufrieden und war der Meinung, je mehr Menschen um sie herum waren, um so mehr erhöhte sich der Faktor Streit und Streit war eines der Dinge, die das Leben so unangenehm rau machten.

Der Westminster-Klang ihrer Türglocke ließ die alte Dame aufschrecken, es dauerte eine Weile, bis sie die arthritischen Gelenke bewegen konnte, mit kleinen bedachten Schritten trippelte sie zur Tür.

»Wir suchen ein Zimmer«, sagte Damian, als die Tür aufging und zeigte auf das blankpolierte Messsingschild, das das Haus als Pension auswies.

»Sicherlich«, Mrs. Lewingston faltete ihre Gicht verknoteten Finger ineinander.

Es entstand eine Pause, auch wenn diese nur wenige Sekunden dauerte, empfand Ashley sie als äußerst unangenehm.

»Haben Sie noch ein Zimmer für uns?«, unterbrach sie schließlich das Schweigen.

»Sicherlich«, antwortet Mrs. Lewingston.

Mit einem Mal bemerkte Ashley die seltsamen Spiegelungen in den Augen der alten Dame. Ihr wurde klar, dass sie versuchte, Damian und Ashley anhand der Stimmen zu analysieren, da sie wohl schlecht oder fast gar nichts mehr sah.

»Sind Sie verheiratet? Wissen Sie, ich vermiete eigentlich nur an junge alleinstehende Damen. Die machen am wenigsten Ärger. Sind Sie verheiratet?«

Damian nickte zögerlich. Er hatte noch nicht bemerkt, dass Mrs. Lewingston ihn nicht richtig erkennen konnte.

»Ja, seit zwei Jahren«, antwortete Ashley in einem heiteren Tonfall und ihre Wangen wurden bei der Lüge von einem leichten Rot überzogen.

»Wie wunderbar. Wenn ich noch einmal so jung wäre wie Sie, würde ich auch heiraten. Aber der Richtige muss einen über den Weg laufen. Bei mir war das ...«, Mrs. Lewingston verstummte. Die wenige Gesellschaft, die sie in ihrem Alter noch pflegte, ließen sie ein wenig übereifert plappern.

»Kommen Sie rein. Ich zeige Ihnen das Zimmer, das ich noch zu vermieten habe.«

Das Zimmer passte zum Haus. Es war altmodisch, aber gemütlich eingerichtet und an Sauberkeit nicht zu übertreffen. Das Bett war breit genug für zwei und die Bettwäsche ähnelte auf frappierende Art und Weise dem Kleid der alten Dame. Die Fensterscheiben waren durch Leisten unterbrochen und führten zu einer wenig befahrenen Straße. Das kleine Badezimmer war mit nostalgische Porzellan und Armaturen ausgestattet und schien wie Mrs. Lewingston aus einer anderen Zeit zu stammen.

Damian und Ashley gefiel das Zimmer. Es ähnelt so wenig den schmierigen Absteigen, in denen sie die letzten Tage mehr gehaust als gelebt hatten.

Sie bezahlten das Zimmer eine Woche im Voraus.

Danach waren sie pleite.

Damians Kreditkarte blieb unbenutzt in seiner Geldbörse. Zu groß die Gefahr, dass sie mit dem Autodiebstahl und der Prügelei mit dem Motelbesitzer in Zusammenhang gebracht werden konnte. Dass dies auf einem großen Zufall beruhen musste, war Damian klar, aber er wollte die Chance, dass dies passiert, kleinhalten.

So mussten Damian und Ashley sich in Waterburgh nach einem Job umsehen. Die meisten Geschäfte wiesen sie ab, sie verließen sich lieber auf die Einheimischen, auch wenn diese aus den Trailerparks am Rande der Stadt kamen.

Neben dem »Cunt Temple - Bar & Burlesque«, einer Striptease-Bar mit riesigen Parkplatz, stand das einzige Diner von Waterburgh mit dem wenig einfallsreichen Namen »Waterburgh Diner«. Er war im klassischen Stil gehalten, der schon in die Jahre gekommen war. Nachts feierte die Neon-Reklame ihren eigenen Abgesang. Die Röhren der Buchstaben »n« und »r« waren seit Ewigkeiten kaputt und orakelten unbeabsichtigt das nahende Ende der Stadt.

Die Einrichtung des Diners war verschlissen, aber da die meisten Gäste aus der Gegend kamen, waren sie mit dem Diner gealtert und hatten weder die eigene noch die Veränderung des »Waterburgh Diner« wahrgenommen.

Damian öffnete eine der Flügeltüren und ließ Ashley den Vortritt. Der Gestank von altem Fett, Kaffee und ungewaschenen Gästen schlug ihnen entgegen. Die Luft schien eine andere Atmosphäre zu besitzen. Dicht, so dass die Geräusche einen eigenartigen Klang bekamen.

Aus einem billigen Radio krächzte Countrymusik. Die Gespräche waren verstummt. Neue wurden in Waterburgh immer genau unter die Lupe genommen, besonders wenn sie so jung wie Damian und Ashley waren.

Normalerweise zogen die jungen Leute weg von Waterburgh, in die Großstadt, dort wo das Leben pulsierte. Hier in Waterburgh blieben nur die Alten zurück, um der Stadt beim Sterben zuzusehen.

»Was darf es sein Fremder?« Ein dicklicher Mann mit Fett bespritzter Kleidung trat durch die Schwingtür, beäugte sie mit einem gewissen Misstrauen und rieb sich seine schaufelgroßen Hände an einem dreckigen Handtuch trocken.

Kapitel 9

Jonathan Tailor.

Jonathan Tailor war als Junge nach Waterburgh gekommen. Seine Eltern hatten von ihrem Ersparten einen einigermaßen passablen Trailer erstanden, der auch der einzige Besitz im Leben der alten Tailors bleiben sollte.

Jonathan hatte sich mit Mühe und noch größerer Not durch die Schulzeit geschlagen und diese vorzeitig abgebrochen. Eigentlich keine willentliche Entscheidung, sondern eine spontane Handlung, deren Grund Jonathan Tailor nie überdacht hatte. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, während er dem alkoholgeschwängerten Untergang seiner Eltern zuschaute.

War Jonathan in der Schule eher schüchtern gewesen, so ließ er jetzt seinen Gefühlen freien Lauf. Wobei das Wort »Gefühl« eher mit brutalen Sex gleichzusetzen war. Frauen, die seine Vorliebe teilten, fand er nicht und gab es nach immerhin zwei Versuchen auf, eine zu finden. Seine Sexpartnerinnen wurden zu Opfern. Er überfiel sie in den Wäldern, wobei er es mit dem Alter auch nicht so genau nahm. Die Jungen waren ihm lieber, kam nur eine reife Frau in Frage, beugte er sich dem Schicksal. Die vergewaltigten Frauen erstatteten Anzeige, aber weder konnten sie den Täter genau beschreiben noch trieb er permanent sein Unwesen in den Wäldern von Waterburgh. Die Polizeiermittlungen verliefen nach einiger Zeit im Sand und danach in Vergessenheit.

Eines unglückseligen Tages machte sich Jonathan Tailor auf, seine Triebe abzukühlen. Sein letzter Auftritt in den Wäldern war schon mehr als drei Jahre her.

Sie war blond und allein. Jonathan zog seine schwarze Maske über das Gesicht und schlich sich an. Aber irgendein Sinn muss die Blondine gewarnt haben. Sie kreiselte herum, gerade als Jonathans kräftige Hände sie packen und zu Boden reißen wollten. Die Frau stolperte, fiel, zog aber noch geistesgegenwärtig einen Revolver aus dem Holster, den sie versteckt unter ihrer dünnen Sommerjacke getragen hatte, und schoss. Da Fallen und Zielen meistens nicht miteinander harmonierten, verfehlte die Frau den Schädel von Jonathan Tailor. Die Kugel suchte sich den Weg zwischen den Beinen und wurden von den beiden Hoden gestoppt. Der Schmerz war mörderisch und Jonathan Tailor sank mit blutigen Schritt zu Boden.

Die Frau entkam.

Jonathan schaffte es noch bis in seinen Trailer, bevor er bewusstlos zusammenbrach. Als er erwachte, sickerte das Blut immer noch aus der Wunde, aber nicht mehr so stark, dass er um sein Leben fürchten musste. Er entledigte sich seiner Hose. Die Schmerzen trieben ihm immer wieder schwarze Wolken vor die Augen und er hatte Mühe das Bewusstsein zu behalten. Zwischen seinen Beinen hing nur noch ein blutiger Fetzen Haut, dass nicht mehr im weitesten entfernt an einen Beutel erinnerte. Jonathan Tailor traf eine Entscheidung. Ein Arzt würde Fragen stellen und hier draußen in der Provinz hilft sich in der Not ein Mann selber. Er suchte eine Flasche Whisky und als er betrunken und einigermaßen schmerzunempfindlich war, entfernte er den zerfetzten Hautlappen. Die Hoden hingen als breiige Masse an der haarigen Haut und waren durch eine Kugel von ihrer Aufgabe zwangsentbunden worden. Jonathan Tailor vernähte die Wundränder und schluckte ein paar Antibiotika, die er in einem Wandschrank gefunden hatte.

Von diesem Moment an konnte Jonathan Tailor nur noch die Körper der Frauen bewundern, auf eine Reaktion hinter dem Reißverschluss seiner Hose wartete er vergebens.

Kapitel 10

»Was darf es sein Fremder?«

»Haben Sie den Spruch aus einem Film?«, antwortete Damian.

Ashley verdrehte die Augen und hoffte nur, dass der Dicke eine Funken Humor in seinem riesigen Leib hatte.

Dieser zeigte mit seinem wurstartigen Fingern auf Damian und zog die Mundwinkel nach oben.

»Genau«, mehr sagte er nicht und die Lage entspannte sich für Ashley.

»Wir auf der Durchreise und ...«

»Das ist jeder und wer bleibt, der stirbt hier auch«, unterbrach ihm der Koch.

»Bräuchten für ein paar Tage einen Job«, beendete Damian den Satz.

Der dicke Mann kratzte sich am Kopf und pulte die Schuppen, die sich unter seinen Fingernägeln angesammelt hatten, heraus.

»Warum nicht, die süße Maus könnte mir bestimmt den einen oder anderen extra Kunden bringen«, sagte der Besitzer des Diners und knipste ein Auge zu.

Ashley lächelte gequält und wünschte dem Dicken schon jetzt das Höllenfeuer.

»Und wenn du«, dabei zeigte er wieder mit seinem Wurstfinger auf Damian, »bei deinem alten Herrn schon mal einen Burger gewendet hast, könntest du mir in der Küche zu Hand gehen. Wenn ihr wollt, schlagt ein. Ich zahle aber nur den Mindestlohn und wenn ihr Hunger habt, müsst ihr zahlen, wie die anderen auch«, er streckte Damian seine riesige Hand hin und dieser schlug ein.

Das Bett knarrte, als sich Damian zu Ashley drehte. Eine kaum wahrnehmbare Wolke Lavendel entwich der Bettwäsche.

»Wohin gehst du nach dem hier?«, fragte er.

Ashley wischte Damians Hand mit gespielter Empörung weg. Seine Finger waren schon die ganze Zeit auf ihrem Körper gewandert und es war nur noch eine Frage der Zeit, bevor sie unter ihrer Kleidung auf Tauchstation gehen würden.

Statt einer Antwort zuckte sie mit den Schultern.

»Was bedeutet«, Damian wiederholte mehrfach das Schulterzucken.

»Ich dachte, du hättest dich an mehreren Universitäten beworben.«

»Habe ich auch«, antwortete Ashley kurz.

»Und? Hast du eine Zusage bekommen?«

Ashley schaute eine Weile zur Decke und schwieg.

Nach einer kleinen Ewigkeit setzte sie sich auf, lehnte sich an das hölzerne Kopfteil des Bettes und schlang die Arme um ihre Knie. Ashleys Augen waren gerötet und Tränen bildeten sich in den Augenwinkeln.

»Ich habe mich nur beworben, weil meine Eltern es wollten«

»Aber wenn du es nicht willst, warum hast du das gemacht«, Unverständnis schwang in Damians Stimme mit.

»Weil ich es satt habe, mich andauernd mit meinen Eltern zu streiten. Immer und immer wieder nörgeln die an mir rum. Ich kann ihnen gar nichts recht machen. Und wenn es ganz schlimm kommt, dann bekomme ich meine karrieregeile Schwester vorgehalten. Schau mal Ashley, Allison hat ihr Jura-Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Weißt du, was danach passiert ist?«

Damian schüttelte den Kopf.

»Sie haben mit Allison eine Tour gemacht. Alle Verwandte und Freunde durften ein Loblied auf die fleißige kleine Allison singen. Zum Kotzen.«

»Verstehe, aber warum hast du dich trotzdem beworben?«

»Ich wollte für mich wissen, ob ich etwas tauge. Es ist nicht einfach, im Schatten solch einer Schwester zu stehen. Ja, ich habe Zusagen bekommen, in amerikanischer Literatur, also fern ab des Glammers, dann habe ich angefangen, auf mein Herz zu hören.«

Ashley lachte und eine Träne löste sich aus den Augenwinkeln und rollte die Wange hinunter.

»Ich habe den Briefkopf der Universität genommen, eine nette Absage geschrieben und sie meinen Eltern unter die Nase gehalten. Ab jetzt werde ich entscheiden, was ich mache und wann ich es mache. Vielleicht studiere ich nach dieser Reise, vielleicht führt uns der Weg auch woanders hin.«

Damian strich Ashley die Träne trocken und küsste sie auf den Mund.

Damian hatte von ihrem ersten Lohn in »Waterburgh Diner« eine Flasche Rotwein gekauft. Er entkorkte sie und reichte sie Ashley, damit sie den ersten Zug nehmen konnte.

»Auf die Freiheit und dass am Ende der Straße für uns ein großer Topf voll Gold wartet.«, mit diesem Worten nahm er die Flasche und trank einen langen Schluck Rotwein.

Als die Flasche leer war, hatte Ashley auch nichts mehr dagegen, dass Damians Finger wieder auf Wanderschaft gingen.

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