Kitabı oku: «Weltfremd», sayfa 2
Kleine Götter?
Wir kommen als kleine göttliche Lebewesen auf die Welt, gesegnet mit der Weisheit des Universums, Teil der Schöpfung und zugleich selbst Schöpfer unserer Welt. Leider widerfährt diesem kleinen Gott aber zumeist etwas Dramatisches: die eigene Lebensgeschichte. Und diese Lebensgeschichte kann aus einem kleinen göttlichen Lebewesen innerhalb von relativ kurzer Zeit, in der Regel sind es 60 bis 80 Jahre, einen verbitterten, desillusionierten und oft hilflosen »alten Trottel« werden lassen. Was den »kleinen Gott« oder die »kleine Göttin« und den »alten Trottel« oder die »alte Trottelin« (alte Trottelin klingt vollkommen bescheuert, ist aber politisch korrekt, es soll ja niemand diskriminiert werden) eint, ist die Abhängigkeit vom Wohlwollen seiner Mitmenschen. Und dieses Wohlwollen verhält sich reziprok zur Dauer der Lebensgeschichte. Wenn der kleine Gott erstmals kräftig in die Windeln scheißt, so ist dies für die wohlgesinnten Mitmenschen ein sensationelles Naturereignis:
»Na so ein großes Haufi, na das glaub’ ich ja nicht. Was in so ein kleines Bauchi alles reingeht, was? Und stinken tut der wie ein großer. Da muss er lachen, was? Tun mir zwei jetzt einmal den Popo machen? Na sicher tun mir zwei jetzt den Popo machen, damit er wieder hübsch ist, gel?«
80 Jahre später. Das was es ist, ist noch immer das Gleiche, das Wohlwollen hingegen nicht:
»Jetzt friss net so vü, wonst das nimma dahoitst, heast. Jetzt hob i scho gnua vom Oaschauswischen. Wüst net endlich amoi ans Sterben denken!«
Das aber nur als sehr drastisches Beispiel, immerhin kann man ja auch jemanden anderen bitten oder dafür bezahlen, dem oft gar nicht so nahen Verwandten den Popo zu reinigen, und das mit ein paar aufmunternden Worten auf den Lippen.
Von Leben umgeben
Prinzipiell gehe ich davon aus, dass alle, die diese Zeilen lesen, leben. Es sei denn, Sie sind soeben vor Schreck, vor Hunger, vor Begeisterung oder vor Lachen gestorben. Obwohl, so lustig war’s ja bis jetzt noch nicht. Wird es auch nicht mehr. Wir leben also beide. Wobei es durchaus sein kann, dass während Sie dieses Buch lesen, die Lebensgeschichte des Autors bereits Geschichte ist, davon möchte ich aber jetzt nicht ausgehen. Wir zwei Hübschen (egal ob nun nackt wie Sie oder bekleidet wie ich) leben aber in einer anderen Realität. Jeder von uns lebt seine Lebensgeschichte in seiner Welt, und der moderne Mensch kann sich heute sehr viele Welten aussuchen, vollkommen unabhängig vom Ort. Selbst in einer natürlichen Umgebung, in einem Wald – auf neutralem Boden sozusagen – macht es einen großen Unterschied, ob man Mountainbiker ist oder Jäger. Zur gleichen Zeit am selben Ort, und doch ganz woanders, in einem Paralleluniversum sozusagen. Oder ein anderes Beispiel: Sie sind mit dem Auto unterwegs (denn da ist man in der Regel öfter, weil es dort so schön ist und viel bequemer als im Wald), dann ist die Geschwindigkeit, mit der Sie unterwegs sind, die einzig richtige, die man zu diesem Zeitpunkt auf dieser Landstraße fahren kann. 94,3 Stundenkilometer. Wenn nun jemand vor Ihnen mit 86,9 Stundenkilometern dahinschleicht, also um 7,4 Stundenkilometer langsamer als Sie, dann ist dieser Jemand für Sie:
• eine fahrende Schikane
• ein alter Trottel
• zu deppert zum Autofahren
• ein Woama (Homo, Schwuchtl, Schwulette) oder
• (falls Sie ein Mann sind) mit Sicherheit einmal eine Frau
Sollten Sie, an derselben Stelle dieser Landstraße, mit der einzig richtigen Geschwindigkeit von 86,9 Stundenkilometern unterwegs sein und dabei von einem anderen Fahrzeug mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 7,4 Stundenkilometern überholt werden, dann ist die Person in dem Fahrzeug:
• eine Gemeingefährdung
• ein verantwortungsloser Raser
• offenbar »schwa augsoffn« (alkoholisiert)
• mit Sicherheit (falls Sie ein Mann sind) keine Frau
• dem gehört der Führerschein sofort entzogen
• und der »Komplexler« hat sicher ein zu kleines »Zumpferl« (Penis)
Ihr Weltbild könnte nun durcheinander kommen, wenn in dem an Ihnen vorbeiziehenden Fahrzeug Gery Keszler oder, noch schlimmer, eine Nonne am Steuer sitzt. Aber ganz egal in welcher Realität das Individuum sich gerade befindet, wir sind immer von Leben umgeben. Manches offensichtlich, wie Tiere oder Pflanzen, und anderes für unser Auge nicht erkennbar, weil unser Auge als für uns wichtigstes Sinnesorgan nur acht Prozent der Schwingungen, die sich um uns befinden, in ein Bild umwandeln kann. Wobei, umgewandelt wird das gelieferte Bild erst durch unser Gehirn. Das Auge selbst wandelt nicht, das schaut bloß blöd. Den Rest, stolze 92 Prozent, sehen wir nicht. Einiges riechen wir, oft unangenehmerweise, anderes hören wir, auch oft unangenehmerweise (Radio zum Beispiel). Von den sichtbaren acht Prozent bleibt uns aber auch noch einiges verborgen, all das, was wir zwar technisch sehen können aber nicht sehen wollen. Wie zum Beispiel die Wahrheit. Man kann uns also mit Recht als durchaus betriebsblind bezeichnen. Wobei die Wahrheit letztlich nur das ist, woran die Mehrheit von uns gerade glaubt oder glauben soll.
Das heißt, wir haben die Gabe, Dinge, die da sind, ganz einfach nicht zu sehen. Nicht nur, weil wir sie nicht sehen wollen, auch weil wir es nicht können. Als Beispiel seien hier die Mikroorganismen genannt. In einer Handvoll Ackerboden leben einige Milliarden Bakterien, deren Leben aus unserer Sicht natürlich nicht wirklich spannend aber dafür wenigstens kurz ist. Schlimm hingegen muss ein fades aber langes Leben sein. Da gibt’s ja auch viele Beispiele, auch prominente. Selbst der Mount Everest hat zwar ein langes aber durchaus langweiliges Leben. Er selbst hat ja reichlich wenig davon, der höchste Berg der Welt zu sein. Vielmehr hätte er als kleine Erhebung in dem an der Landesgrenze zwischen Niederösterreich und dem Burgenland gelegenen Leithagebirge ein ruhigeres Leben. Zumindest wäre er keine Müllhalde geworden und hätte sich zahlreiche Bezwingungen erspart. Jetzt können Sie mit Recht behaupten: »Na Moment einmal, das ist jetzt aber wirklich ein bisserl weltfremd. Ein Berg lebt nicht, haben Sie in der Schule nicht aufgepasst, Herr Düringer? Tote Materie! Ein Haufen Steine, da lebt nichts!«
Nun ja, Ansichtssache, würde ich jetzt einmal sagen. In von uns so gerne als »primitiv« bezeichneten Kulturen war es selbstverständlich, dass alles in der Natur belebt und beseelt ist. Alles trägt einen Geist in sich, und mit diesem kann man falls erforderlich auch kommunizieren. Naturverbunde Kulturen, wie zum Beispiel die allseits bekannten Indianer, sprechen mit Bergen, dem Wasser und sehen im Feuer die Dämonen tanzen. Nun gut, tanzende Dämonen im Lagerfeuer sind schon ein wenig weit hergeholt. Da leben ja wir beide Gott sei Dank in einer anderen Zeit, der Zeit der Naturwissenschaft, fernab von jedem Aberglauben. Der moderne Mensch weiß nun, was Sache ist, wir sind in unserer Entwicklung und in unserem Wissen so weit wie noch niemals zuvor in unserer Menschheitsgeschichte, die größten Rätsel der Menschheit scheinen gelöst, und doch stehen wir möglicherweise knapp vor einem Quantensprung in unserer geistigen Entwicklung. Quantensprung im wahrsten Sinn des Wortes, vor allem in der Physik. Quantenphysiker kommen allmählich zu folgendem Schluss:
Die Indianer lagen gar nicht so falsch
So gesehen hätten die Eroberer sie ja damals einfach nur fragen müssen, anstatt sie abzuschlachten, aber wir haben es uns wieder einmal lieber rechnerisch bewiesen, als altem Wissen vertraut. Wir können nicht ausschließen, dass Berge ein Bewusstsein haben, vielleicht sogar Bewusstsein sind. Leben Steine nun, oder nicht? Zumindest schwingen sie, will man der populärwissenschaftlichen Quantenmechanik glauben. Steine sind möglicherweise keine feste Materie, sondern lediglich elektromagnetische Schwingungen, die eine Form angenommen haben. So gesehen leben auch Berge. Auch dieses Buch in Ihren Händen lebt vielleicht, also seien sie nett zu ihm.
Blicken Sie sich ein wenig um, werfen Sie einen Blick aus Ihrem Fenster …
… und erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie vor sich eine Wand sehen. Denn dann sind Sie wirklich von gestern, dann sind Sie nicht am neuesten Stand der Wissenschaft.
Das ist fein, wenn wir das alles wissen oder zumindest zu wissen glauben. Etwas zu wissen ist toll, ändert aber nicht immer etwas. Natürlich ist es beeindruckend, dass wir unseren Planeten, nach vielen tausenden Jahren der Unwissenheit, endlich als Kugel wahrgenommen haben und erkennen durften, dass sich die Erde um die Sonne dreht, aber für mich ist dieses Wissen nicht von sonderlicher Bedeutung. Ob Sie es glauben oder nicht, in meinem Garten geht die Sonne im Osten auf, steigt hoch Richtung Süden und geht im Westen wieder unter. Und mein Garten bewegt sich dabei keinen Millimeter. Wie gesagt, alles ist Ansichtssache.
Wie auch immer, wir sind jedenfalls von Leben umgeben. Und all das Leben um uns, ob Tiere, Pflanzen, Steine oder Bücher, haben aber eines gemeinsam: Sie machen sich keine Gedanken über das Leben, sie leben einfach. Nur eine einzige Spezies hat nichts Besseres zu tun, als sich ständig Gedanken über das Leben zu machen. Der Homo sapiens. Der weise Mensch.
Was ja schon von der Bezeichnung her eine grobe Themenverfehlung ist, wie ja jeder an sich selbst erkennen kann. Und diese ständigen Gedanken ums eigene Leben sind ganz schön anstrengend. Damit meine ich nicht die kreativen, schaffenden, schöpferischen Gedanken, ich spreche von Gedanken, die sich ständig im Kreis drehen. Noch dazu machen wir uns ja meistens nicht einmal Gedanken ums eigene Leben, vielmehr beschäftigen wir uns mit dem Leben der anderen (Prominenten, Politikern, Nachbarn, Ausländern, Andersgläubigen et cetera), um damit ein wenig von der eigenen Lebensgeschichte abzulenken. Wir laufen mit einer lärmenden Maschine im Kopf herum und verstehen nicht, weshalb wir nicht zur Ruhe kommen. Verrückt, oder? Apropos: Kennen Sie Verrückte? Und damit meine ich nicht verrückt im positiven Sinn, sondern offensichtlich Wahnsinnige.
Die Wahnsinnigen
Zumeist werden Wahnsinnige ja weggesperrt, zu unserem aber auch zum eigenen Schutz. Doch hin und wieder entkommen sie aus dem Schutz der Anstalt und man trifft sie in der freien Wildbahn. In Städten, welche als Lebensraum den Wahnsinn begünstigen, öfter als am Land. Dann sitzt so ein Wahnsinniger plötzlich in der U-Bahn und spricht in einer Lautstärke, als wäre er allein auf der Welt. Damit meine ich nicht die penetranten Mobiltelefonbenutzer, obwohl dies durchaus auch ein Hinweis auf eine milde psychische Störung ist, ich spreche von offensichtlich Wahninnigen, ohne technisches Gerät am Ohr oder in der Hand, die mit ihrem unauförlichen Redeschwall die Aufmerksamkeit auf sich lenken und damit für Unsicherheit und teilweise auch Angst im öffentlichen Raum sorgen. Zumal die Worte deutlich auf eine massive psychische Störung hinweisen:
»Diese Hitze, ein Wahnsinn, jetzt reicht’s schon wieder. Der heißeste Juli seit Jahren. Und es bleibt auch so heiß, haben sie gesagt. Ich brauch’s nicht, diese Hitze … Scheiße, jetzt hab’ ich den Erlagschein daheim liegen lassen. Ich Trottl, ich! Das gibt’s doch nicht, bitte! Ich leg’ mir den Erlagschein noch extra aufs Vorzimmerkastl, damit ich ihn nicht vergiss … so eine Hitze, und der Gestank in der U-Bahn, waschen sich die eigentlich nicht? … Und jetzt stopfen wir wieder den Griechen die Milliarden in den Rachen, wobei, was heißt den Griechen? Die sehen das Geld ja nicht einmal, das kassieren eh nur die Banken … ich Trottel, ich, lass’ doch glatt den Erlagschein liegen von der Versicherung. Leg’ ihn mir extra noch hin und dann lass ich ihn liegen … eh schon wieder teurer geworden, die Versicherung. Indexanpassung, diese Schweine … die werden sich noch so lange spielen, bis sich die Griechen mit die Russen auf ein Packl schmeißen, na und dann gute Nacht … so eine Hitze, und im August, wenn ich Urlaub hab’, regnet’s dann sicher wieder … wie man nur so blöd sein kann, leg’ mir den Erlagschein noch extra hin, ein Hirn wie ein Nudelsieb … die sitzen ja auf Gas, die Griechen, und das wollen die Amerikaner sicher haben, das wird sich der Russ’ aber nicht gefallen lassen, so schaut’s aus … jetzt hätt’ ich fast ein bissl an Hunger, obwohl bei der Hitz’ soll man eh nicht so viel essen … ein Eis vielleicht … ich bin eh schon wieder viel zu blad … jetzt krieg’ ich sicher eine Mahnung wegen der Versicherung … eigentlich eh nur mehr Ausländer in der U-Bahn, das haben wir übersehen, das haben sie wirklich übersehen, die Politiker, und jetzt ham mas … und ich Trottl lass den Erlagschein liegen … na, ein kleines Eis, oder?«
Also offensichtlich ein vom Wahnsinn zerfressenes Gehirn, gefangen in der Schleife eines endlosen Redeschwalls. Und hier wird der Unterschied zwischen einem psychisch kranken Individuum und Ihnen selbst sehr deutlich.
Der Wahnsinnige sagt es, Sie aber denken es sich nur. Wahnsinn ist also oftmals nur ein Lautstärkeproblem. Aber wir haben ja gottlob die Möglichkeit, die lärmende Denkmaschine in unserem Kopf abzuschalten. Entweder durch Meditation oder noch einfacher mit einem Knopfdruck.
Durch einen einfachen Druck auf die TV-Fernbedienung können wir jemanden anderen für uns denken lassen, bis die Gedanken des anderen schließlich zu unseren eigenen Gedanken werden. Kabelloser Datentransfer sozusagen. Das lenkt dann nämlich vom eigenen »Leben« ab, und wir beschäftigen uns dann mit dem »Leben« anderer, das meistens toller oder beschissener als unseres ist. Was man nicht im TV sehen wollte, wäre die Verfilmung des eigenen »Lebens«. Das wäre schlicht zu langweilig.
Und indem wir einen großen Teil unserer Zeit damit verbringen, übers Leben nachzudenken, vergessen wir dabei oft zu leben. Begeben uns gedanklich in eine fiktive Welt, namens Zukunft oder Vergangenheit. Das heißt, wir sind geistig gar nicht da. Drum fragt der Kasperl ja immer: »Seid ihr alle da?« Nicht weil er schlecht sieht oder eine Anwesenheitsliste hat, sondern er fragt die Kinder, ob sie alle im »Dasein«, im Jetzt sind oder mit ihren Gedanken noch irgendwo herumfliegen. Sind Sie noch da? Oder fliegen Ihre Gedanken gerade herum, sind Sie schon knapp vorm Einschlafen, verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal? Verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal? Verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal?
Ganz schön anstrengend, ständig über »das Leben« nachzudenken. Das kostet Energie. Energie, die letztendlich dem Leben geraubt wird. Daher mein Vorschlag: Wir hören jetzt gemeinsam auf, über »das Leben« nachzudenken und werden den Rest dieses Buches ganz einfach nur miteinander leben …
Zehn Seiten einfach nur Leben
Wie ist es Ihnen mit den leeren Seiten ergangen? Haben Sie sie genossen, in ihnen den Raum, den es zu füllen gibt, erkannt? Oder haben Sie sie rasch überblättert und nach einem beschriebenen Blatt gesucht? Ärgern Sie sich, dass Sie für leere Blätter Geld bezahlt haben, oder haben Sie die leeren Seiten genutzt, um zu leben? War es Ihnen möglich, die Stille zu genießen, gegenwärtig zu sein? Oder hat Ihr Verstand nach dem Sinn von leeren Seiten in einem Buch gefragt? Fragen Sie sich manchmal nach dem Sinn? Sind Sie auf der Suche nach Ihrer Bestimmung? Vielleicht wäre es einfach an der Zeit, sich auf einen Stein zu setzen und die vorüberziehenden Wolken zu beobachten.
Diese Sätze stammen zugegeben nicht von mir, sie stammen von einem nicht unbedingt klugen und weitsichtigen aber durchaus cleveren Mann, Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe. Und der weiß natürlich, wie gut es allen Menschen auf diesem Planeten geht und dass es daher keinen rationalen Grund zur Traurigkeit gibt.
Tschuldigen Sie, Herr Düringer, darf ich kurz stören?
Ist schon passiert …
Mein Name ist Eugen Prehsler. Verzeihung, wenn ich mich da so einfach in Ihr Buch einmische, aber ich bin grundsätzlich schon der Meinung vom Chef von Nestlé.
Aha. Wie dieses? Besitzen Sie Nestlé-Aktien, Herr Prehsler? Haben Sie vor, ins Trinkwassergeschäft einzusteigen?
Nein, nein, aber im Ganzen betrachtet geht es dem Menschen schon besser als früher.
Jetzt sind’S aber schon ein bisschen weltfremd, oder?
Glaub’ ich nicht. Zumindest nicht in diesem Punkt. Allerdings ist es schon eine Frage, wonach wir das bewerten und auch, für wen das gilt. Nur generell: Die guten alten Zeiten waren meistens gar nicht so gut und vor allem: Sie sind vorbei. Ich sehe viele Fragen und Probleme im Heute, von denen ich die wenigsten beantworten und lösen kann. Aber ich sehe auch Entwicklungen, die mir gefallen, weil sie der Menschheit dienen. Auch und gerade bei der Ernährung.
Der Biotrend verstärkt sich immer mehr, vegetarisch und vegan sind für einen Gastronomen mittlerweile fast unumgänglich. Auf dem Wiener Genussfestival oder auf den vielen Märkten findet man jede Menge kleine Produzenten von wirklich guten Lebensmitteln. McDonalds hat den neuen Marktanforderungen mit seinem Salatangebot schon entsprochen und es gibt sogar schon grüne Mäkkis. Gerade aktuell bringt IKEA neben seinen legendären Köttbullar die vegetarische Variante Grönsaksbullar. »Dies ist der erste Schritt, eine größere Auswahl an gesünderen und nachhaltigen Lebensmitteln anzubieten«, tönt es dazu aus der IKEA-Zentrale.
Wenn etwas aus einer IKEA-Zentrale tönt, wäre ich schon auf der Hut, Herr Prehsler. Die wollen Profit machen.
Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber es tut sich viel in die richtige Richtung. Mehr kann es immer sein und schneller auch. Und jede und jeder von uns kann seinen Beitrag dazu liefern. Also fast jeder. In manchen meiner Lebensbereiche und in vielen meiner Lebensdetails zähle ich sicher zu den braven Systemtrotteln, wie Sie uns ja gerne bezeichnen, Herr Düringer. Ich hab’ genug in meinem Leben falsch gemacht, einiges davon bereinigt und mache dafür jetzt wieder einiges falsch. Ich bin nirgends ein Experte – sonst würden Sie mich wohl gar nicht hier schreiben lassen –, aber ich beschäftige mich beruflich und privat sehr viel mit der Frage: »Woher nimmt eine Gesellschaft ihre Energie?« Die braucht’s ja, um die großen Aufgaben zu bewältigen. In Europa fehlt mir diese Energie zu oft. Das hat mit Selbstwert und Identität zu tun. Mein Befund lautet: Wir sind fast alle UNTERliebt.
UNTERliebt, Herr Prehsler?
Ja, Herr Düringer. Das ist ein von mir erfundenes Wort. Es heißt nichts anderes, als dass viele von uns zu wenig Liebe bekommen, dass sie uns bewusst vorenthalten wird und dass wir mehr davon verdienen. Wir sind mehrheitlich Selbstwertflundern, die einen hohen Fremdwert haben. Irgendwie gehören die meisten von uns jemand anderem. Stellt sich die Frage: Wer hat uns so gemacht, wer ist dieser andere, und wem nutzt das?
Schließlich kamen wir alle als kleine Götter zur Welt, wenn ich Sie zitieren darf. Davon haben wir uns doch ziemlich weit entfernt. Darüber schreib’ ich übrigens gerade ein Buch.
Sie schreiben ein Buch, aha. Das ist lustig, ich schreibe nämlich auch gerade ein Buch. Wie wird Ihr Buch heißen?
Das klingt ein wenig nach einer Mischung aus technischem Fachbuch und Lebensratgeber. Was ist das für eine Formel, dieses
Ich rede sehr gerne über die Formel und das UNTERliebt-Sein. Ich schreib’ ja sogar drüber. Wie und von wem an unserem Selbstwert gebastelt wird, damit wir einen möglichst großen Fremdwert haben. Aber ich möchte Sie und Ihre Leserschaft nicht länger stören.
Nein, nein, Sie stören nicht. Aber wenn es uns, wie Sie meinen, grundsätzlich immer besser geht, wo kommt dann diese diffuse Traurigkeit her, Herr Prehsler? Meinetwegen diese große UNTERliebe. Können Sie das mir und meiner nackten Leserschaft, und vor allem, können Sie sich das selbst erklären?
Möglicherweise handelt es sich dabei um ein mathematisches Problem. Genau dafür hab’ ich ja meine Formel entwickelt. Lieber Leser, liebe Leserin – darf ich dir meine Formel vorstellen?
Sie sind oft beim IKEA, oder?
Wieso?
Sie duzen meine Leserschaft?
Ja. Sie nicht?
Nein.
Sie können ja beim Sie bleiben, wenn Sie diese Distanz brauchen. Also ich stelle dir, lieber Leser, liebe Leserin, kurz meine Todes- oder eben auch Lebensformel vor.
Setze in die folgende Gleichung deine Werte ein, wobei wir der Einfachheit halber LG mit zehn annehmen (das ist völlig willkürlich – für die, die jetzt zu überlegen angefangen haben, wieso 10?):
L steht übrigens für LIEBE.
Was hast du gedacht?
Und was hast du bei G, E und F vorzuschlagen?
Schreib ruhig deine Zahlen da rein, ist ja dein Buch!
Herr Düringer, ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn Ihre Leser in diesem Buch herumkritzeln.
Überhaupt nicht, aber wenn es möglich wäre, bitte nur mit Bleistift, falls jemand anderer dieses Buch sich von Ihnen ausborgen sollte. Aber was genau soll man hier eintragen, Herr Prehsler?
Wenn du dich selbst nicht sehr magst, dann setze zum Beispiel bei LE eine Zwei oder eine Drei ein (bei null oder eins bist du eh schon im psychischen Koma). Wenn du auch von anderen nicht sehr gemocht wirst – zum Beispiel von deinen Eltern oder deinen Kindern – sagen wir zum Beispiel nur im Ausmaß von 3, dann schaut deine persönliche Liebesgleichung zum Beispiel so aus:
10 = 2 + 3
Was natürlich mathematisch ein Schwachsinn ist. Und im Leben auch. Aber es trifft eine klare Aussage:
10 ≠ 5, und du bist um fünf unterliebt.
Du bist um fünf UNTERLIEBT !
Sag, gefällt dir das Wort? UNTERLIEBT? … Ich bin echt stolz drauf, dass ich es erfunden habe. Ist so richtig schön klar und einfach und so richtig ungut.
Weil dieses UNTERLIEBT-Sein nämlich ganz schön weh tut und auf den Selbstwert und damit auf die Lebensenergie geht!
Kein Mensch weiß wirklich, was Liebe ist.
Aber sie soll schön sein. Nein, sie IST schön!
Und kein Mensch kann diese Liebe gesamt-mathematisch wirklich definieren.
Aber eines sollte schon klar sein: Je geringer deine Eigenliebe ist, umso mehr Fremdliebe brauchst du. Und genau da werden wir alle in unterschiedlichem Ausmaß ausgehebelt, manipuliert und missbraucht.
Schauen wir uns die Logik in der Gleichung noch einmal an:
10 = sagen wir Eigenliebe 2, und dann bräuchtest du logischerweise Fremdliebe 8, damit du die notwendige Menge Liebe gesamt bekommst.
Leute, Leute – das ist die große Abhängigkeit ! Und das macht traurig!
Danke, Herr Prehsler, eine durchaus plausible Erklärung. Und davon handelt dann Ihr Buch?
Ja, und von Wertschöpfung durch Wertschätzung und wie man mit Liebe den Gewinn maximieren kann. Das geht allerdings oft zu Lasten unseres Glückes und tut uns nicht immer gut. Da ist dann halt ein anderer glücklich. Wie wir uns selbst und auch unsere Kinder rekonstruieren können und unter anderem auch, wieso »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« so ein gefährlicher Satz ist und ob Jesus das wirklich konsequent zu Ende gedacht hat.
Herr Düringer, ich darf mich bei Gelegenheit wieder zu Wort melden und mich in Ihr Buch einschreiben?
Wenn’s passt, gerne. Und schicken Sie mir eines Ihrer Bücher. Manches in Ihrem Buch klingt ja, als hätte ich es geschrieben.
Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. Nicht dass wir jetzt gleich wären, aber ich glaube, dass Sie, Herr Düringer, und ich uns Ähnliches wünschen, uns Ähnliches antreibt und ich nebenbei auch manchmal als »weltfremd« wahrgenommen werde.