Kitabı oku: «Traumatische Verluste», sayfa 4
2.2Dissoziative und andere peritraumatische Reaktionen bei einem traumatisierenden Verlust
Die unmittelbare Traumareaktion noch in der akuten Traumasituation, auch als peritraumatische Reaktion bezeichnet, bewirkt nun folgende dissoziative Reaktionen, in denen Aspekte des Erlebens als abgetrennt und nicht zugänglich erlebt werden:
•Derealisation: Die Hinterbliebenen erleben die akute Verlustsituation als nicht real. Die Realität des Todes des nahen Menschen wird als albtraumartig und fern, als fremd und absurd empfunden. Sie erleben sich oft wie in einem falschen Film, der nicht in der Jetzt-Realität spielt, wie unter einer Glasglocke oder hinter einer Glaswand, die sie von einer sie nicht betreffenden schrecklichen Realität trennt. Häufig können sie beispielsweise die Todesnachricht nicht verstehen oder nicht glauben und verlangen nach deren Überprüfung, z. B. durch Anrufe in der Klinik. Die Klientin im obigen Fallbeispiel 2 erlebt nicht nur den Tod ihres Sohnes, sondern ihre ganze Situation und sich selbst als unwirklich und irreal.
•Depersonalisierung: Die Hinterbliebenen erleben sich nicht mehr in ihrem eigenen Selbst zu Hause. Dieses erscheint ihnen eigenartig fremd, sodass sie nicht mehr sie selbst sind. Sie stehen neben sich, so als beträfe der Tod des nahen Menschen nicht sie selbst, sondern jemand anderen. Es fühlt sich an, als wären sie eine andere Person, die das soeben Gesehene oder Gehörte nicht selbst erlebt.
•Desomatisierung: Die Hinterbliebenen fühlen sich nicht mehr im Körper und erleben oft eine Out-of-body-Erfahrung, in der sie sich wie von außen sehen. Der eigene Körper ist nicht mehr fühlbar und wird nicht mehr als Ort des eigenen Ichs erlebt. Vielmehr ist er fremd, manchmal verzerrt oder kalt und fühllos.
•Numbing und Deemotionalisierung: Hinterbliebene fühlen in der Verlusttrauma-Situation den Tod des nahen Menschen wie einen Schlag gegen den Kopf oder einen Tritt in die Magengrube. Beides betäubt sie, und es stellt sich das Erleben einer dumpfen Fühllosigkeit ein, das sogenannte Numbing. In dieser Betäubung werden die Gefühle nicht oder nur sehr flach erlebt.
•Freezing und Erstarrung: Hinterbliebene beschreiben, wie ihre Gefühle und alle Körperempfindungen einfrieren. Manchmal stellen sich ein Frieren und ein aus dieser erlebten Kälte entstehendes Zittern ein. Die Muskeln, besonders die Mimik und die Augenmuskeln, verhärten sich bis zur Erstarrung.
•Paralysierung und Lähmung: Die Betroffenen fühlen sich wie gelähmt, so »als hätte ich Blei in den Gliedern«, aber auch das Denken und Sprechen ist gelähmt und blockiert. Oft scheinen die Beine einzuknicken oder wegzusacken, sodass ein Sturz ins Bodenlose droht. Dies kann zur tatsächlichen Ohnmacht führen.
•Unwillkürliches und automatisches Funktionieren: Die meisten Betroffenen funktionieren in der traumatisierenden Verlustsituation wie im Autopiloten. Scheinbar unberührt können sie handeln und funktionieren. Sie reagieren völlig rational und können die situativen Herausforderungen bestens bewältigen. Hier setzen lange eingeübte Handlungsroutinen als Notfallprogramme ein, die ohne kognitive Reflexion ablaufen können. Die Hinterbliebenen erscheinen von außen gesehen als sehr stark. Später allerdings bricht der Verlustschmerz diesen Funktionsmodus auf, sodass dann die durchbrechenden Emotionen oft zu einem überraschenden Kollaps führen.
•Bizarres und stereotypes Verhalten: Bisweilen scheinen die unwillkürlichen Handlungsmuster nicht zur akuten Verlustsituation zu passen. Manche Betroffenen lachen bei der Mitteilung der Todesnachricht oder wollen deren Überbringer aus der Wohnung werfen. Damit scheint der Organismus den Verlustschmerz abzuwehren und ihn in sein Gegenteil zu verkehren. Oft wird er auch in scheinbar unpassendes stereotypes Verhalten umgesetzt, wenn Hinterbliebene in Gegenwart des Krisenteams beispielsweise beginnen zu putzen oder die Zeitungen zu ordnen.
•Analgesie und Hyperalgesie: Die Ausschüttung insbesondere der Endorphine sorgt dafür, dass der Verlustschmerz zunächst nicht gespürt, sondern analgetisiert wird. Bricht der Verlustschmerz aber durch, wird dieser intensiv am ganzen Körper erlebt. Hinterbliebene beschreiben, dass ihr ganzer Körper schmerzt und der Körper ganz Schmerz ist. Hinterbliebene erleben also sowohl eine Analgesie als auch eine Hyperalgesie.
•Hypermnesie und Amnesie: Hinterbliebene erinnern häufig sehr genau winzigste Details des Sterbens und des Todes des nahen Menschen. Diese Details werden ins limbische System eingebrannt, sind kaum zu löschen und dominieren immer wieder das Erleben. Anderes dagegen kann aufgrund der Blockade des für die Abspeicherung zuständigen Hippocampus nicht im episodischen Gedächtnis abgespeichert werden oder wird über die Dissoziation abgespalten.
•Zeitverzerrung: Die Zeitwahrnehmung ist in der Verlusttrauma-Situation extrem verzerrt. Die Zeit wird häufig zugleich als in Zeitlupentempo verlangsamt und als beschleunigt erlebt. Häufig scheint sie stillzustehen, oder die Hinterbliebenen erleben sich als aus der Zeit gefallen und zeitlos.
Diese unmittelbaren, in der Verlustsituation auftretenden Reaktionen sind Ausdruck des evolutionsbiologisch angelegten Totstellreflexes als dem letzten Versuch eines Überlebens angesichts einer Situation, in der der nahe Mensch nicht überlebt hat und der mit ihm verbundene Angehörige glaubt, dieses psychisch nicht überleben zu können. Wir können diese Reaktionen auch als Trancereaktionen beschreiben, in denen das wache, reflektierte Bewusstsein weitgehend ausgeschaltet ist. Stattdessen herrscht ein unwillkürliches, vom limbischen System beherrschtes automatisiertes, von der äußeren Wirklichkeit weitgehend abgekoppeltes und damit sich schützendes Erleben vor.
Üblicherweise geht man in der Traumapsychologie davon aus, dass die peritraumatischen, also die unmittelbaren Traumareaktionen nach etwa sechs Monaten abklingen (Maercker 2013). Dies ist aber bei Verlusttraumata so gut wie nie der Fall, da die Traumareaktionen von den Verlust- und Trauerreaktionen immer wieder getriggert werden und damit über lange Zeit erhalten bleiben. Zu den beschriebenen dissoziativen Traumareaktionen kommen in aller Regel weitere Traumafolgen wie Flashbacks oder eine erhöhte Schreckhaftigkeit. Diese längerfristigen Verlusttrauma-Reaktionen lernen wir in Kapitel 4.2 näher kennen.
2.3Das Verlusttrauma als prolongiertes Monotrauma
In der Psychotraumatologie unterscheiden wir verschiedene Arten von Traumatisierungen. Dies hilft uns, die verschiedenen Traumata mit ihrer unterschiedlichen Dynamik zu verstehen:
•Monotraumata: Ein Monotrauma wird durch eine einmalige, zeitlich begrenzte traumatische Erfahrung wie das einmalige Miterleben eines Überfalls oder eines eigenen nicht tödlichen Autounfalls verursacht.
•Sequenzielle Traumata oder Komplextraumatisierung: Hier findet über einen längeren Zeitraum eine wiederholte, fortgesetzte Traumatisierung statt, z. B. die wiederholte körperliche Gewalt des alkoholkranken Vaters gegenüber seinen Kindern oder die Folter in einer mehrjährigen Gefangenschaft.
Ein traumatischer Verlust ist in aller Regel zunächst als Monotrauma zu verstehen, weil der eintretende Tod des nahen Menschen ein singuläres, einmaliges Ereignis darstellt. Allerdings endet damit die Traumatisierung nicht, vielmehr wiederholt sich der traumatische Verlust in der immer wieder erlebten Abwesenheit des Verstorbenen. Letztere wird zwar meist nicht mehr so intensiv erlebt wie das Todesereignis selbst, aber sie stellt aufgrund der eingetretenen Vulnerabilität der Hinterbliebenen eine wiederholte Traumatisierung dar. Dazu kommen sekundäre Verluste, etwa die Distanzierung von bisherigen Freunden oder der Verlust der Vollständigkeit der Familie, die wiederum den Verlust aktualisieren und die Verlusterfahrung verlängern. Damit kommen wir zu einer dritten Kategorie, die zwischen dem einfachen Monotrauma und einem sequenziellen Trauma liegt:
•Verlusttrauma als prolongiertes Monotrauma: Ein Verlusttrauma ist zunächst meist ein einmaliges, auf einen begrenzten Zeitraum bezogenes traumatisierendes Ereignis; insofern können wir von einem Monotrauma sprechen. Allerdings werden dieses Ereignis und die damit verbundenen Traumareaktionen über längere Zeit, meist bis zu 18 Monate nach dem Ereignis, durch die allmähliche Realisierung der Abwesenheit des nahen Menschen und den einsetzenden Verlustschmerz wiederholt. Deshalb sprechen wir von einem prolongierten Trauma. Auch als Bindungstrauma geht das Verlusttrauma auf die einmalige Erfahrung des Verlassenwerdens zurück, wobei das Verlassensein andauert. Deshalb können wir auch von einem prolongierten Monotrauma des Bindungssystems reden.
Merke!
Ein Verlusttrauma ist als prolongiertes Monotrauma zu verstehen, weil das wiederholte Erleben der realen äußeren Abwesenheit des Verstorbenen den traumatisierenden Verlust erneuert.
Wir müssen also bei einem Verlusttrauma von einem verlängerten Monotrauma sprechen, das sowohl gegenüber dem Monotrauma (wie dem Erleben eines eigenen Autounfalles) als auch gegenüber dem komplexen Trauma (wie beispielsweise bei über längere Zeit zugefügter Folter) eine eigene Dynamik hat.
2.4Das Verlusttrauma als komplexes Man-involved- Trauma
Eine weitere wesentliche Unterscheidung bei verschiedenen Traumata macht die Psychotraumatologie in Hinblick auf die Verursachung eines Traumas:
•Non-man-made-Traumata: Diese Traumata werden nicht von Menschen, sondern von äußeren Ereignissen wie z. B. durch einen Unfall, eine lebensverkürzende Erkrankung, plötzliche medizinisch letale Ereignisse wie einen Herzinfarkt oder durch Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Blitzschlag verursacht.
•Man-made-Traumata: Die durch Menschen, insbesondere durch Bezugspersonen zugefügten Traumata wie sexuelle oder körperliche Gewalt durch nahe Bezugspersonen, Überfälle, Gewalt und Folter bewirken neben der unmittelbaren Traumatisierung auf der Bindungsebene einen tiefen Vertrauensverlust in Beziehungen. Hier liegt dann meist auch ein sequenzielles Trauma im Bindungssystem vor.
Auch für Verlusttraumata ist die hier angewandte Unterscheidung hilfreich. So sind die traumatisierenden Verluste bei einer Naturkatastrophe wie dem Tsunami an Weihnachten 2004 nicht von Menschen, sondern durch die entfesselten Kräfte der Natur verursacht.
Dabei dürfen wir aber nicht übersehen, dass auch hier – wie bei praktisch allen traumatisierenden Verlusten – Menschen beteiligt sind. So fragen Hinterbliebene nach dem Tsunami, warum es kein Tsunami-Alarmsystem gab oder warum die Hotels so nahe am Ufer gebaut waren. Schließlich überlegen manche Angehörige, ob sie am Tod des nahen Angehörigen nicht mitschuldig sind, weil sie nach Indonesien gefahren waren oder zur Stunde der Katastrophe einen Ausflug an das Meer gemacht hatten. Manche fragen, warum sie ihr kleines Kind in den Flutwellen nicht festhalten konnten, und fühlen sich so unmittelbar schuldig am Tod ihres Kindes.
Insofern sind bei Verlusttraumata aus Sicht der Hinterbliebenen fast immer andere Menschen, oft auch die Hinterbliebenen selbst, involviert, die dieses Trauma kompliziert machen.
•Verlusttrauma als komplexes Man-involved-Trauma: Da bei einem Verlusttrauma meist andere, häufig auch die Hinterbliebenen selbst, involviert, oft sogar kausal verursachend beteiligt sind, können wir von einem komplexen Man-involved-Trauma sprechen, bei dem die Beziehung zwischen dem Verstorbenen und dem Hinterbliebenen durch den traumatisierenden Verlust kompliziert wird. Dies bindet die Hinterbliebenen auf eine komplexe, oft unlösbare und destruktive Weise an den Verstorbenen und seine Traumatisierung bei seinem Sterben.
Merke!
Bei traumatisierenden Verlusten ist die direkte kausale oder indirekte Beteiligung von Menschen praktisch immer ein verstärkender und verkomplizierender Faktor. Deshalb können wir von einem komplexen Man-involved-Trauma sprechen.
Dabei gibt es verschiedene Grade der menschlichen Beteiligung am Verlust bis dahin, dass das Verlusttrauma wie bei einem Mord auch zu einem Man-made-Trauma wird.
Je mehr andere Menschen, der Verstorbene selbst z. B. als Suizidant oder die Hinterbliebenen, am Sterben und Tod beteiligt, mitverantwortlich oder direkt für den Tod des nahen Menschen verantwortlich sind, desto massiver wird der Tod des nahen Menschen als komplexes Man-involved-Verlusttrauma erlebt. Je stärker der Verlust als Man-involved- oder auch als Man-made-Trauma erlebt wird, desto massiver und komplizierter sind die Traumatisierung der Hinterbliebenen und die innere Beziehung zum Verstorbenen, sodass das Verlusttrauma zu einem komplexen Trauma wird.
Wir müssen aber auch den Unterschied zu einem komplexen sequenziellen Man-made-Trauma wie bei sexueller Gewalt oder bei der Folter deutlich machen. Hier gibt es im Unterschied zum Verlusttrauma immer ein ausbeutendes, missbräuchliches, bewusst schädigendes, das Vertrauen vernichtendes Verhältnis zum Opfer, das meist über längere Zeit andauert. Hier wird das Bindungssystem über die Ausbeutung und den Vertrauensmissbrauch massiv und nachhaltig gestört. Bei einem Verlusttrauma wird das Bindungssystem zwar über den plötzlichen Entzug einer wichtigen Bindungsperson und den Abbruch der äußeren Beziehung auch traumatisiert, aber das Wiederfinden einer inneren Beziehung zum Verstorbenen und die Begleitung durch andere Bindungspersonen können das Bindungstrauma mildern. Über die Involvierung von Menschen beim Tod des nahen Menschen wird auch das Bindungstrauma komplex, aber deutlich weniger massiv als bei einem Bindungstrauma durch sexuelle oder körperliche Gewalt über längere Zeit. Hier wird das Bindungssystem durch die Abhängigkeit vom Täter einerseits und das dadurch entstehende Misstrauen gegenüber Menschen andererseits fundamental gestört. Insofern kann man mit aller Vorsicht sagen, dass die Therapie eines komplexen Man-made-Traumas über längere Zeit wie beim sexuellen Missbrauch schwieriger zu behandeln ist als ein prolongiertes Man-involved-Verlusttrauma.
2.5 Interventionen: Die Diagnostik der akuten Traumareaktionen
In diesem Schritt, der meist im zweiten Gespräch stattfindet, greifen wir nun die von den Betroffenen berichteten traumatisierenden Erfahrungen in der Verlustsituation und die dabei entstandenen peritraumatischen Reaktionen auf oder thematisieren sie von unserer Seite aus.
•Benennen oder Erfragen der Traumareaktionen: Ausgehend von unserem Wissen über die Abläufe des Sterbens und Todes des nahen Menschen, können wir auf verschiedene peritraumatische Erfahrungen wie das Numbing oder die Derealisierung zurückschließen und diese dann entsprechend erfragen oder von uns aus direkt, aber einfühlsam benennen.
•Anerkennen der Traumareaktionen: Wir bestätigen die beschriebenen Traumareaktionen als zu einem Verlusttrauma gehörig und validieren sie damit. Wir beschreiben sie als Reaktionen, die versuchen, mit dem Schrecklichen umzugehen.
•Normalisieren der Traumareaktionen: Die Traumareaktionen werden in dem Sinne normalisiert, dass ein traumatisierender Tod eines nahen Menschen auch bei anderen Menschen dieselben Reaktionen ausgelöst und bewirkt hätte. Sie werden als allgemein menschliche Reaktionen beschrieben, die wir mit allen Menschen teilen.
•Angemessenheit der Reaktion würdigen: Die Traumareaktionen werden als angemessene Reaktion auf das, was mit dem Verstorbenen (!) und mit den Hinterbliebenen geschehen ist, gewürdigt. Sie sind Ausdruck des Schrecklichen und Unbegreiflichen, das dem nahen Menschen und damit den Hinterbliebenen widerfahren ist.
•Erklären der Traumareaktionen: Wir beschreiben die Traumareaktionen als unwillkürliche Reaktion des Organismus, die deshalb auch nicht willentlich steuerbar oder kontrollierbar sind. Wir erklären knapp und auf einfache Weise die Reaktionen des Kampf- und Fluchtsystems und des Bindungssystems.
•Würdigen der Traumareaktionen als Schutz: Wir beschreiben die Traumareaktionen, insbesondere die Dissoziationen, das Freezing und das Numbing, als Schutzmaßnahme des Organismus: Erstens schützen sie vor der schrecklichen Realität des Verlustes, zweitens dämpfen sie den Verlustschmerz und die intensive Trauer. Dabei sucht der Verlustschmerz über intensive Attacken immer wieder Wege, sich zu zeigen und zu äußern.
Wir benennen auch die Nebenwirkungen des Schutzes, so z. B., dass die Betäubung auch die innere Nähe und die Liebesgefühle zum Verstorbenen dämpfen oder verhindern können.
•Wahrnehmen, Annehmen und Geltenlassen der Traumareaktionen: Wir laden die Hinterbliebenen ein, die Traumareaktionen immer wieder genau wahrzunehmen und sie in einem Trauma-Trauer-Tagebuch auch schriftlich zu beschreiben und festzuhalten. Wir bitten die Hinterbliebenen, nicht gegen die Traumareaktionen zu kämpfen, sondern sie anzunehmen, mit ihnen zu gehen und sie damit gelten zu lassen.
•Öffnen der Traumareaktionen für Veränderung und Transformation: Wir achten darauf, dass wir die Traumareaktionen und -folgen nicht festschreiben, sondern sie als veränderbar und sich selbst verändernd beschreiben. Die Traumareaktionen werden allmählich zurückgehen und sich lösen, sodass die Betroffenen sich wieder frei und wieder mehr sich selbst fühlen werden. Allerdings werden dann auch – entgegen den Erwartungen der Betroffenen und der sozialen Umwelt – der Verlustschmerz und die Trauer intensiver.
•Vorbereitung auf die nächsten Prozesse: Wir bereiten die Hinterbliebenen vorsichtig darauf vor, dass der Verlustschmerz und die Trauer zunächst intensiver und schmerzlicher werden. Wir benennen beide nun intensiver werdenden Gefühle als Ausdruck der schmerzenden Liebe zum Verstorbenen. Wir stellen auch in Aussicht, dass mit der Trauer, die abfließen wird, zugleich auch die Liebes- und Beziehungsgefühle und damit die innere Beziehung zum Verstorbenen klarer und stärker werden.
3Das bipersonale Verlusttrauma – Das Trauma des Verstorbenen und das Trauma der Hinterbliebenen
Fallbeispiel 3: Wie die tödlichen Verbrennungen der Tochter unendlich schmerzen
Die 17-jährige Tochter verabschiedet sich fröhlich von ihren Eltern. Stunden später stehen die Polizei und ein Notfallseelsorger vor der Haustüre und teilen ihnen mit, dass ihre Tochter tödlich verunglückt ist. Sie war im Übermut auf eine Lokomotive gestiegen und wurde dann vom elektrischen Lichtbogen verbrannt. Die Eltern fragen sich immer wieder, was ihre Tochter in ihren letzten Sekunden erlebt und ob sie gelitten hat. Sie leiden mit ihr und ihren Verbrennungen. Sie wollen die Gedanken, wie sich die Verwundungen für ihre Tochter anfühlen, nicht zulassen, und dennoch drängen sie sich immer wieder auf. Das mögliche Leiden ihrer Tochter bei der Verbrennung ist für die Eltern unerträglich, und beide leiden grenzenlos und verschmelzend mit ihrer Tochter. Ihr ganzes Denken und Fühlen drehen sich um ihre Tochter, um ihren Tod durch die Verbrennung und die vorgestellten Bilder von der Verbrennung, die sich immer wieder aufdrängen. Auch die Tatsache, dass ihre Tochter nicht mehr leben darf und das zukünftige Leben nicht mehr erleben kann, lässt bei den Eltern immer wieder Entsetzen und intensives Mitleiden aufflammen.
Fallbeispiel 4: Der Säugling im Brutkasten darf nicht leben
Der Säugling kommt mit vielen Komplikationen zu früh zur Welt. Die Eltern sehen den Jungen im Brutkasten an vielen Schläuchen und medizinischen Apparaturen angeschlossen. Sie spüren ein tiefes Mitgefühl für ihren Jungen, ihn so hilflos um sein Leben ringen zu sehen. Sie stellen sich auch bildlich vor, wie die notwendigen medizinischen Eingriffe vorgenommen werden und wie ihr Junge dabei leidet. Nach fünf Tagen stirbt der Junge. Nach einem halben Jahr drängen sich den Eltern immer wieder die Bilder vom hilflosen kleinen Säugling im Brutkasten auf. Die Mutter sagt: »Mein kleines Kind so leiden zu sehen, ist das Schrecklichste, was ich erlebt habe.« Und der Vater ergänzt: »Die Bilder von unserem Jungen an diesen Schläuchen und Apparaten sind auch heute noch kaum auszuhalten.«
Worin unterscheidet sich nun eine Traumatisierung durch einen traumatischen Verlust von anderen Traumatisierungen? Anders gefragt: Was ist das Spezifische eines Verlusttraumas? Diese Frage können wir am besten aus einer systemischen und hypnosystemischen Perspektive beantworten. Für Nichtbetroffene ist die Antwort auf diese Frage vielleicht verstörend, zumindest aber überraschend, für die Hinterbliebenen selbst ist die Antwort sofort klar und eindeutig:
Wenn wir die Beziehungsperspektive einnehmen, dann ist aus Sicht der Hinterbliebenen der Verstorbene der eigentlich Traumatisierte. Das wird auch an den beiden obigen Fallbeispielen im Erleben der Eltern sehr deutlich. Die beiden Eltern fühlen intensiv mit ihrer Tochter und ihren Verbrennungen und sind mit ihren Gedanken ganz bei der Tochter. Ihre eigene Traumatisierung ist wegen der Dissoziation nicht zugänglich und für sie auch völlig nebensächlich. Stattdessen leiden sie am und mit dem tödlichen Trauma ihrer Tochter. Auch das sichtbare Ausgeliefertsein ihres kleinen Jungen als Säugling ruft bei beiden Eltern ein tiefes Mitgefühl bis zur Identifikation hervor. Dieses – schließlich vergebliche – Mitleiden wird durch den Tod des Jungen tief in das emotionale Gehirn eingeschrieben. Das zeigt sich auch in den belastenden Bildern, von denen sie sich aus Loyalität zu ihrem verstorbenen Sohn auch nicht distanzieren wollen.
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