Kitabı oku: «Logbuch Deutsch», sayfa 2
Es lebe der lange Satz!
Ich möchte eine Lanze brechen für den langen Satz, ja sogar für den Schachtelsatz, den das Deutsche ermöglicht, der aber gern als Überforderung des Lesers und Hörers missbilligt wird. Gerade im langen Schachtelsatz zeigen sich die wunderbaren Stellungsfreiheiten des deutschen Satzbaus – allerdings nur dann, wenn jemand mit diesen Freiheiten vernünftig umzugehen versteht. Wenige konnten damit so virtuos umgehen wie Thomas Mann. Der Bau des langen, dabei gut verständlichen Satzes, ist eine seiner Sprachkünste. Wenn man sich dem Rhythmus seiner Sätze anvertraut und sich von ihnen in die Gedankenwelt des Autors einführen lässt, stellt sich ein Hochgenuss ein: ein Sprach- und Denkkunstwerk zugleich.
Der Doktor Faustus beginnt mit einem solchen Satz, mit dem der Erzähler Gelehrsamkeit, Bescheidenheit und Vornehmheit vermittelt: „Mit aller Bestimmtheit will ich versichern, dass es keineswegs aus dem Wunsche geschieht, meine Person in den Vordergrund zu schieben, wenn ich diesen Mitteilungen über das Leben des verewigten Adrian Leverkühn, dieser ersten und gewiß sehr vorläufigen Biographie des teuren, vom Schicksal so furchtbar heimgesuchten, erhobenen und gestürzten Mannes und genialen Musikers einige Worte über mich selbst und meine Bewandtnisse vorausschicke.“
Erst am Ende des Satzes erfährt man, was der Autor ankündigen will: dass er zunächst einiges über sich selbst berichten wird. Aber durch die eingefügten Nebensätze entsteht gerade jener langsame, fast schon zögerliche Rhythmus, der die bedächtige Wesensart des Erzählers, eines zurückgezogen lebenden Gelehrten, erkennbar werden lässt. Dieser lange Satz lenkt unsere Aufmerksamkeit in einem Wurf und Guss auf den Erzähler und auf die dramatische Persönlichkeit des Tonsetzers Adrian Leverkühn, dessen Schicksal sogleich angedeutet wird. Die Anfänge eines Romans sind ja stets besonders wichtig, denn hier muss der Autor den Leser packen. Dieser Romananfang führt uns vor Augen, was uns erwartet: eine dramatische Erzählung, vorgetragen von einem glaubwürdigen, besonnenen, aber auch aufgewühlten Zeugen.
Der Doktor Faustus ist ein großes Zeugnis deutscher Sprachkunst, und man kann nur hoffen, aber auch erwarten, ja einfordern, dass unsere Schulen nicht unter der Maxime einer sich anbiedernden „Niedrigschwelligkeit“ lieber im Tal der sprachlich Ahnungslosen verweilen, als ihre Schüler zum Erlebnis solcher Höhepunkte zu führen. Es wäre ein großer Verlust, wenn selbst Gymnasiasten, also Absolventen „höherer Bildung“, nicht mehr an solche Sprachkunstwerke herangeführt würden, weil sich unsere Sprache in ihrer allgegenwärtigen Trivialisierung in so großen Schritten von dem hohen Niveau unserer großen Schriftsteller entfernte, dass schon die kommende Generation sich diese Sprachzeugnisse allenfalls noch im germanistischen Studium erschließen könnte, so als handelte es sich beim „Doktor Faustus“ um das althochdeutsche Ludwigslied aus der Zeit Ludwigs des Stammlers.
Der Satzbau im Deutschen kann auch Kürze und Länge wirkungsvoll kombinieren. Ein Meister dieser Abwechslung zwischen lang und kurz ist Stefan Zweig. Der elegante Schwung seines Sprachstils rührt von dieser Abwechslung her, und er war gerade deswegen manch altfränkisch gesinnten Sprachliebhabern nahezu suspekt, so als wäre der deutschen Sprache Eleganz wesensfremd. Aber im Gegenteil: Wer meint, die Satzbauregeln des Deutschen zwängen zu holprigen Konstruktionen, dem sei die Lektüre Stefan Zweigs empfohlen. Der erste Satz seines historischen Romans über den Weltumsegler Magellan lautet: „Im Anfang war das Gewürz.“ So beginnt in Abwandlung des bekannten Bibelsatzes die Erzählung. Diesem prägnanten Satz, der den geschichtlichen Zusammenhang und den wirtschaftlichen Zweck der Entdeckungsreisen auf den Punkt bringt, folgt ein komplexer Satz mit mehreren illustrierenden Einschüben, die mit leichter Hand aneinandergereiht sind, sodass sie sich dem Leser mühelos erschließen:
„Seit die Römer bei ihren Fahrten und Kriegen zum erstenmal an den brennenden oder betäubenden, den beizenden oder berauschenden Ingredienzien des Morgenlandes Geschmack gefunden, kann und will das Abendland die „especeria“, die indischen Spezereien, in Küche und Keller nicht mehr missen.“14
Wer Zweig liest, hat den Eindruck, Französisch im Deutschen zu lesen. Das zeigt, wie vielseitig der deutsche Satzbau sein kann.
Genauigkeit im Raum
Nun zu einem weiteren Vorzug der deutschen Sprache, ihrer Präzision im Raum. Durch die Fälle Dativ und Akkusativ gibt das Deutsche mit den entsprechenden Fragen Wo? und Wohin? einen klaren Unterschied zwischen Richtung und Ort vor und zwingt den Sprecher zu einer Entscheidung, von der auch der Hörer profitiert. Denn er weiß unmittelbar – und nicht erst aus dem Zusammenhang – worum es geht: Geht es darum, dass jemand in den Garten läuft oder im Garten läuft?15
Auch in den Präpositionen zeigt sich dieser Druck in Richtung räumlicher Genauigkeit, zum Beispiel in den von Nicht-Muttersprachlern so gefürchteten Wechselpräpositionen, die sowohl Richtung wie auch Ort anzeigen können und, dementsprechend, mit dem Dativ oder dem Akkusativ verbunden sind: Sie steht auf dem Stuhl (Wo? also Dativ) und Sie stellt sich auf den Stuhl (Wohin? also Akkusativ). Man muss nur überlegen, ob es um eine Richtung oder um einen Ort geht. Diese Unterschiede sind mit zweierlei Kasus belegt. Eigentlich ganz logisch! Nur muss in anderen Sprachen der Kontext diese Unterscheidung gewährleisten.
Die Neigung des Deutschen zur Präzision im Raum zeigt sich auch an seinen Verben, zum Beispiel an den trennbaren Verben mit Vorsilben, die für das Deutsche so typisch sind. Nehmen wir das Verb gehen: angehen, ausgehen, weggehen, aufgehen, abgehen, entgegengehen, untergehen, hinaufgehen: hinuntergehen. Die Leichtigkeit der Kombination von Wörtern verbindet sich hier mit der Neigung zur räumlichen Genauigkeit. Als Deutscher braucht man eine gewisse Zeit, um im Französischen zu lernen, dass ausgehen sortir heißt und weggehen partir, also zwei ganz unterschiedliche Verben, die nicht wie im Deutschen die ähnliche Raumbeziehung erkennen lassen.
Das Wortfeld der Bewegungsverben und der Verben der Bewegungsart ist im Deutschen riesig und bietet viele Unterscheidungsmöglichkeiten, siehe beim Verb laufen die Ableitungen anlaufen, entlaufen, verlaufen, überlaufen, entgegenlaufen usw. Ein Sprachvergleich mit dem Französischen zeigt in diesem Bereich bei Übersetzungen einen Informationsverlust von einem Drittel.16 Das Deutsche neigt dermaßen zur Genauigkeit im Raum, dass es die Bewegung durch manche Verben übergenau angeben lässt, z. B. in dem Satz Der Apfel fällt vom Baum herunter. Zwar kann man im Deutschen auch eine Treppe hinauffallen, aber nur wortspielerich. Es kennzeichnet eine besondere Bewegung, während das Fallen des Apfels durch die Präposition herunter keine zusätzliche Information vermittelt. Man kann unserer Sprache deshalb, wenn man will, eine gewisse Neigung zur Pedanterie nachsagen. Man kann ihre Übergenauigkeit fürchten, belächeln – oder bewundern.
Ausdrucksstärke durch feine Abtönung
Früher nannte man sie verächtlich „Füllwörter“: jene kleinen, unscheinbaren Wörter, von denen es immer wieder heißt, sie seien nur eine Verlegenheitslösung. Zum Beispiel denn. Wir verwenden es zunächst vor allem als Konjunktion, und zwar dann, wenn wir einen auf der Hand liegenden Grund anzeigen wollen: Die Wasserrohre sind geplatzt, denn es hat Frost gegeben.17 Aber wir können denn auch in einem ganz anderen Sinne gebrauchen: Wir sehen zum ersten Mal das Kind des neuen Nachbarn. Wie fragen wir nach seinem Namen? „Wie heißt Du?“ Das wäre ziemlich brüsk. Und so fragen wir: „Wie heißt du denn?“ Auf diese Weise ist die Frage vermittelnder, abgeschwächt, abgefedert. Wir fragen, aber wir entschuldigen uns zugleich ein wenig dafür, dass wir fragen. Es ist eine feine Zusatzbedeutung, die uns die deutsche Sprache da an die Hand gibt und die es uns erleichtert, unsere Mitteilungsabsicht auf den Anderen und auf den Mitteilungsinhalt abzustimmen. Man nennt diese kleinen Wörter deshalb auch „Abtönungspartikel“. Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg nennt sie bewundernd „Zaunkönige im Pelz der Sprache“.18 Sie geben unserer Frage oder unserer Äußerung einen bestimmten Ton, sie helfen uns, nicht gleich mit einer kruden Behauptung oder mit der direkten Frage ins Haus zu fallen. Diese Abtönungspartikel haben keine gegenständliche Bedeutung, sondern sie haben eine kommunikative Funktion. Aber diese ist sehr nützlich. Glücklicherweise haben wir die kleinen Wörter zur Hand wie aber, auch, bloß, doch, eben, etwa, halt, ja, schon, vielleicht, wohl.19
„Mach’s halt!“, sagt der Vater zum Sohn, der zum dritten Mal der Aufforderung der Mutter nicht nachkommt, endlich sein Zimmer aufzuräumen. In diesem halt liegt etwas Kameradschaftliches. Es benennt einen guten Rat; ganz anders, als wenn der schlichte und grobe Befehl „mach’s!“ geäußert würde. Die kleinen Partikeln sorgen dafür, dass unsere Aussagen geschmeidiger werden: In dem Satz „Er weiß schon, was er tut“ hat das schon eine beschwichtigende Funktion. Das schon sagt uns: Komm, mach dir nicht solche Sorgen, hab‘ ein wenig Vertrauen, alles wird gut. Ohne das schon ist der Satz pure Behauptung. Das schon aber relativiert die Behauptung hin zu einer wohlwollenden Vermutung. Diese Abmilderung des Wahrheitsanspruchs macht die Aussage akzeptabler.
„Du weißt ja, dass ich das nicht mag“, sagt die Mutter zum Sohn, der gerade wieder einmal alle Türen offenstehen lässt. Und das kleine ja hebt die Bekanntheit der mütterlichen Aversion hervor. Eigentlich, so lässt die Mutter zwischen den Zeilen erkennen, müsste sie den Satz gar nicht mehr sagen, so genau weiß der Sohn, dass sein Verhalten unerwünscht ist. Aber sie sagt es zur Sicherheit doch, und das ja zeigt an, dass sie es nur tut, weil sonst wohl nichts fruchtet.
Ähnlich ist es mit mal in dem Satz: „Gib mir das mal.“ Das mal zeigt einen vertrauten Umgang an. Höflicher wäre gewiss „Könntest du mir das bitte geben?“ Aber wenn die Zeit drängt und die Sprache kurz ausfällt, rettet das mal die Verbindlichkeit der Ansprache. Noch ist es eine Bitte, die hier geäußert wird, und keine direkte Anweisung.
Ein schönes Beispiel für Abtönung ist auch das gell? des Bundespräsidenten Joachim Gauck beim Besuch des italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im März 2013 in Berlin. Der damalige Oppositionsführer Peer Steinbrück hatte zuvor italienische Politiker als Clowns bezeichnet, was Napolitano unpassend fand. Dazu Gauck: „Manches kommentiert sich eben von selbst, gell?“. Diese dialektale Form des Fragens war überaus geschickt, denn dadurch wurde die vorherige kritische Äußerung zu einer leicht schelmischen Nebenbemerkung abgewandelt. Das Gauck‘sche gell? war auch insoweit auffällig, als der Bundespräsident bekanntlich keine Neigungen zu süddeutscher Sprachfärbung hat. Sein blitzschnelles Ausweichen in eine Abtönungspartikel, die anders als das förmliche nicht wahr? eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlt, zeugt von rhetorischer Meisterschaft. – Die Besonderheiten des Deutschen auch in diesem scheinbar nebensächlichen Kapitel erhellen sich im Kontrast mit anderen Sprachen. Das Französische beispielsweise verwendet solche Partikel viel seltener und hat auch weniger davon. Die Folge ist, dass bei einem Übersetzungsvergleich rund 60 Prozent der deutschen Abtönungspartikel im Französischen entfallen. Ich erinnere mich deutlich, wie ich in meinen ersten zwei Jahren in Frankreich nach Ausdrücken von Spontaneität und Abtönung in der wörtlichen Rede suchte und wie oft ich einsehen musste, dass es auf die deutsche Art im Französischen nicht ging.20
Die von Nicht-Muttersprachlern so empfundene Distanziertheit des Französischen führt der rebellische Sprachkritiker Claude Duneton übrigens auf eine künstliche Vornehmheit seiner Muttersprache zurück. Sie sei eine Sprache des Hofes, der Pariser Aristokratie, geprägt von kalten und mittelmäßigen Dichtern und erstarrt unter dem volksfernen Diktat logischer Strenge, grammatischer Starrheit und exzessiver Sprachreinigung.21 Diese ideologische Sicht ist gewiss überzogen und einseitig. Nicht zuletzt übersieht sie, dass in der französischen Sprache auch die große Revolution stattgefunden hat und dass dieser bedeutende sprachliche Werke, darunter auch die brillanten und zugleich höchst respektlosen eines Diderot, zugrundelagen. Aber vielleicht ist doch etwas an Dunetons Kritik und damit auch an der These, dass das Deutsche sich als Sprache des Bürgertums gegen das an deutschen Fürstenhöfen bevorzugte Französisch herausgebildet hat: als eine Sprache, die den reichen Ausdruck der Gefühle und Regungen eher fördert.
In einem Wort
Großer Wortschatz, geschmeidige und durchsichtige Wortbildung, hochdifferenzierter Satzbau mit elastischer Wortstellung zum Ausdruck feiner Bedeutungsunterschiede und ein großes Angebot an Abtönungen zum Ausdruck vielfältiger Sprecherhaltungen – so kann das Urteil über die Vorzüge unserer Sprache als System ausfallen.
Kapitel 2 Imponierdeutsch
Die Ursprünge – Von Wandel, Struktur und Strategie – Von Visionen, Innovationen und Zukunftsfähigkeit – Philosophie und Kultur – Jenseitiges und Diesseitiges – Wegwerfwörter – Semantischer Drahtverhau
Die Ursprünge
In den Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die sozialtechnologische Betrachtung und Behandlung vieler gesellschaftlicher Bereiche modern. Die in der Wirtschaft üblichen quantitativen Verfahren und das Vertrauen in die Machbarkeit schienen unangreifbar. Dabei war es durchaus berechtigt, Bereiche wie Bildung, Wissenschaft und Kultur auch wirtschaftlich zu betrachten. Aber diese Sichtweise rückte derart in den Vordergrund, dass andere Perspektiven in die Defensive gerieten.
Dabei kam der Sprache eine besondere Bedeutung zu. „Die Manager, Ingenieure, zunehmend die Sozialingenieure, haben das Sagen“, schreibt der österreichische Germanist Klaus Kastberger im Rahmen eines Selbstversuchs in einem „Assessment-Center“. „Sie fordern ständig ein besseres Funktionieren der Individuen und Gruppen im Sinne wirtschaftlicher Erfolge und Profite. (…) Alle Bildungs-, Sozialisations-, Schul-, Universitäts- und Gesellschaftsprojekte stellen immer deutlicher eine Zielsetzung in den Vordergrund: Wie kann man das Handeln der Individuen wirtschaftlich noch effizienter machen?“22
Der „Gleichklang in der utopiegeladenen Sprache der großen Unternehmensberatungsagenturen wie der Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft, der internationalen Institutionen wie der politischen Akteure auf europäischer und nationaler Ebene war bemerkenswert“, schreibt seinerseits der Europa-Historiker Andreas Wirsching über diese managementorientierte Aufbruchzeit.23 Deregulierung, Dezentralisierung, Flexibilisierung, Modularisierung, Evaluation – das waren große, vielversprechende Wörter der Epoche, die den flexiblen Menschen im Visier hatten, den Manager der eigenen Biographie, den vollständigen homo oeconomicus.
Manche Begriffe haben ihre Allzuständigkeit für die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche bis heute bewahrt. Das Bemerkenswerte an ihnen ist zweierlei: Zum einen transportieren sie eine bestimmte Sichtweise. Es ist die Überzeugung, dass die Prinzipien des Wirtschaftslebens und die Methoden des Managements auch in Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Leitschnur werden sollten, um diese Bereiche für den globalisierten Wettbewerb zu ertüchtigen. Zum andern entwickeln diese Begriffe aber ein Eigenleben über ihren rationalen Gehalt hinaus. Sie gehören inzwischen einem Jargon an, der sich über alle Fachsprachen hinweg zum übergreifenden Imponier-Deutsch gewisser Eliten und jener, die dazugehören wollen, entwickelt hat.
Mit diesem Jargon wurde die behäbige deutsche Verwaltungssprache früherer Zeiten abgestreift. Was Verwaltung war, sollte Management werden. Die Betriebswirtschaftslehre hielt Einzug. Mit dem Versprechen, dass unter dem Einfluss moderner Managementmethoden gesellschaftliche Entwicklungen aller Art rein sachorientiert, das heißt funktional und effizient, also unideologisch, gestaltet werden könnten, schaffte der zunächst rein instrumentelle fachliche Jargon den Sprung in viele gesellschaftlichen Bereiche. Seine Wörter wurden zu Zauberworten.
In ihrer Abstraktheit sind Wörter dieses Jargons jedoch ohne Substanz. Ihre Bedeutung ist zur Imponiergeste verkommen. Der Politikwissenschaftler Franz Walter bezeichnet diese „Sprache des politischen und ökonomischen Establishments“ als „Distinktionsjargon“, der „abgehoben, technokratisch, herrisch“ sei.24 Manche Wörter haben zwar infolge der Krisen von 2001, 2007 und 2011 an Unanfechtbarkeit durchaus eingebüßt; dennoch prägen sie nach wie vor die öffentlichen Debatten, stellen sie das Wortmaterial, aus dem Pläne, Programme und Rechtfertigungen sind.
Von Wandel, Struktur und Strategie
Die Wörter des Imponierdeutschen sind keine Zusammenfassung einer komplexen Wirklichkeit wie z. B. wissenschaftliche Fachbegriffe. Ihre Bedeutung liegt mehr in der Geste als in der Beschreibung oder Einordnung der Wirklichkeit.25
Einer der Kernbegriffe ist der Wandel. Der Wandel versteht sich für das Imponier-Deutsche von selbst. Es geht nicht um die Frage, ob der Wandel, der gerade im Gange ist, eine Verbesserung der Verhältnisse bringt; sondern persönliche wie auch institutionelle Fitness zeigt sich daran, dass man den Wandel überhaupt als Herausforderung annimmt, ganz gleich wie er sich darstellt. Diese Haltung ist weder reaktionär noch revolutionär – sie ist paradoxerweise entschieden fatalistisch. Der Einzelne muss sich dem Wandel stellen, er muss ihn annehmen. Dementsprechend sind Anpassungsfähigkeit und Flexibilität gefragt. Mit anderen Worten: Der Einzelne muss den Wandel umstandslos bejahen und ihm blindlings folgen. Tut er das, darf er, wenn er einst an die Spitze gelangt ist, noch etwas mehr: Er darf den Wandel mitgestalten, aber nur als Agent des Wandels, nicht als autonom handelndes Subjekt.
Ein weiteres Schlagwort ist das Wort Struktur. Für Sprach- und Naturwissenschaftler ist der Begriff klar definiert. In der Sprachwissenschaft bezieht er sich auf die Systemhaftigkeit der Sprache und wurde zum Explikandum des Strukturalismus. In der Naturwissenschaft beschreibt er die räumliche Anordnung von Atomen und Molekülen, so wie man sie aus der Röntgenstrukturanalyse erhält. Dazu braucht man Kenntnisse aus der höheren Mathematik – um aus den Beugungsbildern die Strukturdaten zu erhalten. Wie aber wird der Begriff gebraucht? Kaum noch gibt es Diskussionen ohne Verweis auf Strukturen. Gemeint sind zwar meistens Institutionen, Organisationen oder Ordnungsgefüge. Aber besser bleibt man im Ungefähren und verweist auf Strukturen. Das tun auch gern Institutionen, die bei angemahnten Verbesserungen selbst wiederum auf Strukturen verweisen. Das klingt nach Fachwissen und intimer Kenntnis der Lage. Als sogenanntes Hochwertwort eignet sich Struktur bestens als Ausflucht, zur Beschönigung, zur Vermeidung oder Umgehung konkreter Aussagen. Sie passt in jeden Zusammenhang und macht zugleich Eindruck. Und wer Struktur schon hinreichend eingesetzt hat, kann jederzeit auf Rahmenbedingungen verweisen.
Das Verführerische an den Begriffen des Imponierdeutschen ist ihre leichte Handhabbarkeit. Sie sind leicht abrufbar, klingen immer gewählt und sorgen mit dem Anschein von Evidenz für Glaubwürdigkeit. Denn der Mitdiskutant muss ja zuerst darüber nachdenken, was sein Gegenüber mit Struktur gemeint hat. Wenn er nachfragt, ist er bereits in der Defensive, weil er seine Reaktion von der Antwort des Anderen abhängig macht. Nachfragen ist für den Fragenden immer unbequem. Denn er verlässt die Ebene des unmittelbaren Austausches über Sachen, um die Ebene der Verständigung selbst anzusprechen und damit auch infrage zu stellen. Das ist auffällig, lästig und wirkt pedantisch. Schließlich gerät er auch leicht in den Verdacht, den geltenden Jargon nicht zu beherrschen oder gar aufsässig zu sein. Wer ist schon gern Oberlehrer oder Außenseiter?
Doch zurück zur Struktur. Auf die Frage, warum sie eine wichtige Unterlage für eine Sitzung vergessen habe, hörte ich einmal eine Dame sagen: „Das war strukturbedingt.“26 Damit war sie selbst entschuldigt, ohne dass man weiter nach der schuldigen Struktur gefragt hätte.
Ein anderer Klassiker des Imponierdeutschen ist die Strategie. Einst aus der Sprache des Militärs übernommen, hat der Begriff eine Karriere in der Betriebswirtschaftslehre absolviert, bevor er zu einem Begriff des Imponierdeutschen wurde. Strategie klingt immer gut. Strategisches Vorgehen beeindruckt schon als Anspruch: kein Management, das nicht strategisch wäre. Strategisches Management ist das, was man in der Sprachwissenschaft eine Kollokation nennt, einen festgefügten Ausdruck, ein sprachliches Klischee wie smaragdgrünes Meer oder kristallklares Wasser. Ohne Strategien kommt inzwischen keine Institution aus. Der Begriff hat sich in allen gesellschaftlichen Bereichen festgesetzt: in Vereinen, Bürgerinitiativen, Museen, Ministerien. Geplantes Vorgehen auf lange Sicht allein reicht nicht mehr. Der Handel, der mit der inflationären Verwendung von Strategie verbunden ist, ist allerdings durchaus riskant: Indem man den Begriff aus dem wirtschaftlichen Bereich in andere Bereiche überführt, nimmt man – bei aller semantischer Aushöhlung – doch einen Teil seines Inhalts und der diesem zugrundeliegenden Denkungsart unweigerlich mit.