Kitabı oku: «Kölner Krimi Kurzgeschichten», sayfa 2
„Aber das braucht Sie nicht zu interessieren. Wichtiger für Sie dürfte Folgendes sein: Er hinterlässt keine Kinder und seine drei Ehefrauen, mit denen er zeitlebens verheiratet war, wurden großzügig abgefunden. Weitere, erbberechtigte Verwandte gibt es nicht. Überdies war er sehr vermögend und hat über die Verteilung seines Vermögens nach seinem Ableben genaue Verfügungen getroffen.“ Slezak nickte stumm und verstand nichts. Insbesondere verstand er nicht, was das alles mit ihm zu tun haben könnte. Der Anwalt schlug die vor ihm liegende Akte auf.
„Er hat verfügt, dass die Hälfte seines Vermögens an eine Stiftung der Partei geht, in der er vierzig Jahre Mitglied war.“
Er machte eine kurze Pause und blickte seinen Besucher durchdringend an.
„Die andere Hälfte soll an diejenigen gehen, die in der Kirche sein Requiem besucht haben!
Mich natürlich ausgenommen, da ich äh … in Ausübung meines Amtes da war.“
Der Anwalt gestattete sich ein dünnes Lächeln.
„Er muss vermutet haben, dass es nicht allzu viele sein würden. Seine unternehmerischen Tätigkeiten haben ihm wenige Freunde gemacht!“
Er trommelte dezent mit den Fingern auf dem Schreibtisch und lächelte wieder geschäftsmäßig.
Slezak blickte in verständnislos an.
„Wie Sie festgestellt haben, befanden sich außer meiner Person lediglich drei Personen in der Kirche. Die eine, die Dame, war seine langjährige Haushälterin“, wieder eine kurze Pause, „die andere Person war sein Gärtner und die dritte waren … Sie!“
Er trank einen Schluck aus einem Wasserglas.
„Ich?“ Slezak stammelte nur. „Aber ich kannte ihn ja gar nicht.“
„Das spielt keine Rolle. Ich habe Ihnen seine letztwillige Verfügung genannt. Diese drei Personen erben die Hälfte des genannten Nachlasswertes. Möchten Sie vielleicht einen Cognac?“
„Cognac? Ja, gerne.“
Der Anwalt stand auf, holte eine Flasche und einen Schwenker aus dem Schrank und goss großzügig ein. Slezak zögerte nicht lange und leerte das Glas fast in einem Zug, was Dr. Winter mit einem nachsichtigen Lächeln quittierte. Der Cognac hatte Mut gemacht.
„Und wie hoch … ich meine wie viel …?“, er unterbrach seine Rede und schlürfte den letzten Rest aus seinem Glas.
„Auf drei Personen verteilt sprechen wir hier von ziemlich genau von“, er räusperte sich, „zwölf Millionen Euro, also vier Millionen pro Erbe!“
Der Anwalt sah noch, wie sein Besucher die Augen verdrehte, dann sank er in Zeitlupe von seinem Stuhl. Das Cognacglas segelte auf den Teppich und zerbrach.
„Herr Slezak, hallo, aufwachen!“
Die Stimme eines Engels schien ihn zu wecken, der altbekannte Duft von 4711 wehte um seine Nase. Er öffnete die Augen. Der Engel war hübsch, hatte rötliche Haare wie Sophie Turner und lächelte ihn mit strahlend weißen Zähnen an.
„Äh … was? Wo bin ich? Bin ich im … Himmel?“
„Nein, noch nicht. Das hat noch Zeit. Sie sind in meinen Amtsräumen und die unverhoffte Nachricht hat Ihnen eine kleine Ohnmacht beschert.“ Das war nicht der Engel, diese sonore Stimme kannte er. Er setzte sich auf. Er lag auf dem roten Ledersofa und blickte den Anwalt an. „Es … es tut mir leid. Aber Sie müssen verstehen …“
„Natürlich verstehe ich das. Wer erbt schon so unverhofft eine solche Summe, zumal wenn er in einer so … äh … prekären Lage ist wie Sie, nicht wahr? Das kann einen schon mal umhauen.“
Slezak nickte und stand auf.
„Trotzdem …“
„Würden Sie bitte noch einmal Platz nehmen, Herr Slezak. Es gibt nämlich noch etwas, was ich Ihnen mitzuteilen habe.“
Slezak blickte ihn fragend an und nahm seinen alten Platz wieder ein, während der rothaarige Engel dezent den Raum verließ. Auch die Reste des zerbrochenen Cognacschwenkers waren auf wundersame Weise verschwunden.
Der Anwalt blickte ihn wohlwollend an, faltete seine Hände zu einer Raute, wie man es von der Bundeskanzlerin kannte und fuhr fort. „Der Verstorbene hat in seiner Verfügung an die Auszahlung der Erbschaft noch eine Bedingung geknüpft.“
„Bedingung? Was für eine Bedingung?“
„Der Verstorbene erwartet, dass die Erben, in diesem Falle sind es ja nur drei, an seiner Beerdigung teilnehmen, die morgen stattfindet.“
„Beerdigung? Natürlich … äh ja, ich komme natürlich zur Beerdigung. Kein Problem.“
Der Anwalt nickte. „Aber die Bedingung setzt ebenfalls voraus, dass die Erben in tadelloser Kleidung teilnehmen.“ Er musterte den Besucher dezent und ergänzte: „In diesem Fall dürfte ein blauer oder schwarzer Anzug als angemessen gelten.“
„Ein Anzug?? Aber woher soll ich den denn nehmen? Meinen Sie, Sie könnten eine kleine äh … Vorauszahlung leisten, damit ich mir …?“
Der Anwalt schüttelte den Kopf. „Davon ist in der Verfügung leider nicht die Rede. Ich verstehe Ihr Problem, aber ich fürchte, Sie müssen es allein regeln. Und lassen Sie mich noch ergänzen: Erfüllt ein Erbe diese Bedingung nicht, so fällt sein Anteil an das örtliche Tierheim.“
Er stand auf und reichte Slezak die Hand. Slezak verstand. Die Unterredung war zu Ende.
Und Slezak wusste, dass er ein Problem hatte, ein Riesenproblem!
Dichter Schneefall hatte eingesetzt und Paul Slezak suchte Schutz in einer Toreinfahrt, während die Gedanken in seinem Kopf tobten.
Einen Anzug? Woher krieg ich so einen Scheißanzug? Und vier Millionen? Mein Gott, wie verrückt ist das denn? So viel kann ich ja im Leben nicht ausgeben. Aber wenn ich keinen Anzug habe, ist das Geld futsch. Zu irgendeinem blöden Tierheim. Und dann kann ich …
In diesem Augenblick passierte ein Leichenwagen die Toreinfahrt. Slezak registrierte den Wagen nur aus dem Augenwinkel, aber es fuhr wie ein Blitz durch seinen Kopf. Eine Szene setzte sich wie festgenagelt in seinem Kopf fest.
Kirche.
Sarg.
Toter.
Anzug!
Der Verstorbene hatte im Sarg einen solchen Anzug getragen. Der Mann war von etwa gleicher Statur und Größe gewesen. Der Anzug müsste passen und – ehrlich – er würde ihn ja nicht mehr brauchen.
Aber wie komme ich an den Anzug? Hatte der Typ am Leichenwagen nicht gesagt, dass der Verstorbene im Kühlhaus auf dem Südfriedhof aufbewahrt werde.
Selten war ein Plan in seinem Kopf so schnell gereift wie in diesem Augenblick. Er musste aber noch etwas Zeit überbrücken, denn für sein Vorhaben war Dunkelheit eine absolute Voraussetzung. Er tigerte also in die Stadt und verbrachte den Nachmittag in der Wärme einiger Kaufhäuser, stets argwöhnisch beobachtet von einigen Hausdetektiven. Im Kaufhof gab es gerade eine Französische Woche und es gelang ihm, mit Hilfe etlicher Probehäppchen und diverser Weinverkostungen Hunger und Durst in ausreichendem Maße zu stillen. Als er den Kaufhof verließ, war es bereits stockdunkel und seine Damenuhr stand auf Viertel nach acht. Gut gelaunt stapfte er durch den tiefer werdenden Schneematsch zur nahen Straßenbahnhaltestelle. Ein Zug der Linie 12 brachte ihn in kaum mehr als zwanzig Minuten zum Südfriedhof, wobei seine Hoffnung, dass in der Bahn um diese Zeit weniger kontrolliert wurde, nicht enttäuscht wurde.
Natürlich hatte der Friedhof zu dieser Zeit schon geschlossen, aber das stellte kein Hindernis dar. Die niedrige Mauer war schnell überwunden und er stand neben der Leichenhalle, die sich an die achteckige Trauerhalle im neuromanischen Stil anschließt und auch schon mehr als hundert Jahre alt ist.
Die Gebäude waren ihm von der Beerdigung seiner Mutter bestens vertraut und auch die Öffnung des Gebäudes stellte für einen gelernten Schlosser kein Problem dar. Das dazu nötige Werkzeug befand sich ebenso in seinem Seesack wie eine kleine Taschenlampe. Mit einem leichten Knarren öffnete er die Tür der Leichenhalle, wo ihn sofort eine Kälte empfing, die die Außentemperaturen noch deutlich überstieg. Vier Särge standen vor ihm, die auf eine Bestattung am nächsten Tag warteten. Aber den Sarg, den er suchte, fand er direkt, es war der teuerste und prächtigste. Er brauchte noch nicht einmal seine Taschenlampe, denn das diffuse Licht der Außenbeleuchtung reichte vollkommen aus.
Ohne größere Mühe konnte er den Sarg öffnen und fand sich mit jenem würdigen Gesicht konfrontiert, das er aus der Kirche kannte. Da der Verstorbene zu Lebzeiten ein Leichtgewicht gewesen war, gelang es Slezak, ihn ohne größere Mühe aus dem Sarg zu hieven. Etwas schwieriger war es da schon, den Toten seines edlen Anzugs zu berauben. Mit Erstaunen stellte Slezak fest, dass auch Tote offenbar Unterwäsche trugen. Merkwürdig aber auch, dass Arme und Beine des Verstorbenen von dunklen Flecken überzogen waren. Egal, das konnte ihn jetzt nicht interessieren.
Er entledigte sich blitzschnell seiner ärmlichen Kleidung – die würde er nie mehr brauchen – stopfte sie in den Sarg und zog den blauen Anzug des Toten an. Passte perfekt! Jetzt den Verstorbenen wieder in den Sarg legen und den Sarg sorgsam verschließen.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der Kälte war er ins Schwitzen gekommen, wobei es weniger die Arbeit selbst als die Ungewöhnlichkeit seiner Tätigkeit war, die ihn ins Schwitzen gebracht hatte.
Er verließ den Friedhof auf dem gleichen Weg, auf dem er ihn betreten hatte. Dabei begleiteten ihn ein Hochgefühl und eine Euphorie, die er zeitlebens nie gekannt hatte.
Zur gleichen Zeit, als Paul Slezak glücklich nach einer passenden Unterkunft suchte, wurde Rechtsanwalt Dr. Winter durch einen Telefonanruf bei seiner abendlichen Patiencerunde gestört.
„Entschuldigen Sie die Störung, Herr Dr. Winter, aber es ist wichtig. Sehr wichtig!“
„Herr Professor Menke“, er verzog ob der späten Störung missmutig sein Gesicht, „hätte das nicht bis morgen Zeit gehabt?“
„Nein, hätte es nicht!“
„Nicht?“
„Nein! Wir haben jetzt in unserem Institut nach aufwändigen Untersuchungen die Todesursache Ihres Mandanten herausgefunden.“
„Aha!“
„Ja, er ist am Ebola-Virus gestorben. Einer höchst infektiösen Krankheit, die er sich offenbar auf seiner Afrikareise zugezogen hat.“
„Ebola?“, murmelte Winter.
„Ja, eindeutig. Ebola ist eine Infektionskrankheit, die durch Viren der Gattung Ebolavirus hervorgerufen wird. Die Bezeichnung geht auf den Fluss Ebola im Kongo zurück, in dessen Nähe diese Viren 1976 den ersten allgemein bekannten großen Ausbruch verursacht hatten.“ Jetzt war Professor Menke ganz in seinem wissenschaftlichen Element.
„Diese Krankheit ist höchst gefährlich und ansteckend. Sie kann von erkrankten Menschen durch Körperflüssigkeiten wie Blut, Schweiß oder Urin oder von kontaminierten Gegenständen unmittelbar auf den Menschen übertragen werden. Die Letalität, also die Sterblichkeitsrate liegt bei bis zu neunzig Prozent.“
„Aber …“
„Sie sollten weiter zuhören, mein Bester. Die Inkubationszeit ist schon ab zwei Tagen nachgewiesen. Das Ganze ist höchst gefährlich und daher natürlich meldepflichtig.“ „Meldepflichtig? Lieber Professor, der Mann ist tot und morgen ist seine Beerdigung. Er liegt in einem verschlossenen Sarg, wen soll er also anstecken?“
„Aber …“
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag, mein Bester. Wir vergessen diese Angelegenheit und ich lasse Ihrem Institut aus dem Nachlass des Verstorbenen eine größere Summe zukommen. Das wäre sicher in seinem Sinne.“
Auf der anderen Seite herrschte kurzes Schweigen.
„Einverstanden, aber wir müssen sichergehen, dass der Sarg nicht mehr geöffnet wird und es keinen Kontakt mehr zur Außenwelt gibt.“
„Das garantiere ich Ihnen, Professor.“
„Der Inhalt des Sarges ist so infektiös, dass man sich schon infizieren würde, wenn man nur mit der Kleidung des Toten in Berührung käme.“
„Alles klar, Professor, ich habe verstanden. Aber niemand“, er kicherte leise, „wird den Anzug des Toten mehr tragen.“
Aber darin irrte sich der gute Anwalt. Als er am nächsten Morgen Paul Slezak im feinen blauen Anzug bei der Beerdigung, an der lediglich die wenigen Personen aus der Kirche teilnahmen, sah, wunderte er sich zwar nicht wenig über den feinen Anzug des Mannes, aber er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass sein verstorbener Mandant lediglich in seiner Unterwäsche begraben wurde.
Nach der Beerdigung wurde ein Treffen zur Regelung der Modalitäten und Auszahlung des Erbanteils in vierzehn Tagen vereinbart.
Frohen Mutes zog sich Slezak in eine Schrebergartensiedlung in Zollstock zurück, die er als sicheres Ausweichquartier kannte. Nach der Beerdigung hatte es einen kleinen Imbiss gegeben, dem er reichlich zugesprochen hatte und der Rest hatte Platz in seiner Jackentasche gefunden. Er lehnte sich entspannt zurück und während er überlegte, was er mit vier Millionen Euro anfangen könnte, dämmerte er langsam ein. Aber schon nach kurzer Zeit wurde er wach, weil er ein Jucken und Kratzen am Körper verspürte. Er schwitzte und fühlte nach seiner Stirn, die sehr heiß war. Vielleicht habe ich mir eine Grippe eingefangen, dachte er, kein Wunder bei dem Wetter. Langsam glitt er in einen unruhigen Schlaf …
Zwei Tage vor dem vereinbarten Treffen wurde Paul Slezak mit Anzug und Seesack tot in einer Schrebergartensiedlung in Zollstock aufgefunden. Die Ärzte gaben sich nicht viel Mühe mit einer möglichen Diagnose. Slezak wurde zwei Tage später auf Kosten der Stadt Köln eingeäschert.
Wenig später erhielt das Tierheim in Köln Zollstock unverhofft eine mehr als ansehnliche Spende.
2. Die Praline
Pralinen sind eine Köstlichkeit und werden gerne von älteren Damen genossen. Sie dienen aber manchmal auch zu anderen nützlichen Zwecken. Lesen Sie selbst …
Dr. Apollonia Palm hatte seit ihrer Geburt im Jahre 1930 ein recht zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Namen, einem Namen, der kölscher nicht hätte sein können. In diesem Jahr, in dem Heinrich Brüning zum Reichskanzler ernannt worden war, Henry Ford in Köln den Grundstein für seine Fordfabrik legte und die Kölner Jecken wegen der Weltwirtschaftskrise den Rosenmontagszug nur durch erhebliche Spenden finanzieren konnten, galt der Vorname Apollonia noch als schick und edel, leitete er sich doch von Apoll ab, jenem griechischen und römischen Gott des Lichts, der Künste und der Weissagung. Spätestens aber nach dem Krieg, der alle ehemaligen Werte auf den Kopf zu stellen schien, galt er als altmodisch, spießig, fast verschroben und die Kinder in der Volksschule ließen keine Gelegenheit aus, das der armen Apollonia mitzuteilen. Und als sie dann in einem unbedachten Augenblick verlauten ließ, dass ihre Großeltern von dem bekannten Kölner Original Johann Joseph Palm abstammten, den eingeweihte Kölner nur als Orgels Palm kannten, war es ganz aus. Die Kinder hatten offensichtlich zu Hause nachgefragt, wer das denn sei, und wenn Apollonia jetzt den Schulhof betrat, schallte es ihr aus allen Ecken entgegen:
Och, wat wor dat fröher schön doch en Colonia
wenn d'r Franz me'm Nies noh'm »Ahle Kohberg« gingk,
wenn d'r Pitter Ärm en Ärm me'm Apolonia
stillverjnööch o'm Heimwäch ahn ze Knutsche fingk.
„Häste widder mit däm Pitter jeknutscht?“, riefen sie und wollten sich ausschütten vor Lachen. Aber die Zeit relativiert jeglichen Schmerz und sie begann, mit dem Spott zu leben und ihre Eltern bestärkten sie nachdrücklich darin.
„Dein Urgroßvater war ein geachteter Mann und ein großer Musiker. Du hast allen Grund, stolz auf ihn zu sein“, sagte ihr Vater, und dann zeigte er ein altes, verblichenes Bild, das den Ahnen im weißverschnürten Waffenrock der Schwarzen Husaren zeigte, den Orgelkasten um den Hals gehängt. Und spätestens, wenn der Vater die Anekdote erzählte, als die Pfarrkirche in Remagen einen neuen Organisten suchte und einige Kölner Spaßvögel den guten Palm als Organisten vorschlugen, der dann am Kirmessonntag beim Hochamt ein Probespiel abhalten sollte, die Orgel von allen Seiten besichtigte, sein Wohlgefallen kundtat, dann aber schließlich ganz verblüfft fragte: „Wo ist denn der Schwengel?“, brach die gute Apollonia in schallendes Gelächter aus und war mit sich und der Umwelt versöhnt.
So kam es, dass sie mehr und mehr Gefallen an dem Urahn fand und sie wurde umso stärker, je mehr Spott ihr entgegenkam. Und so darf es nicht verwundern, dass sie als Beste ihrer Klasse auf das ehrwürdige Dreikönigsgymnasium am Thürmchenswall ging, das recht nah zu ihrer Wohnung in der Straße Unter Krahnenbäumen lag, die als UKB allen Kölnern ein Begriff war, um dort am DKG eine beachtliche Schulkarriere hinzulegen. Weil sie von allen Fächern Chemie und Physik am meisten liebte, schloss sie ihr Abitur in diesen Fächern mit Bestnote ab. So lag ein Chemiestudium nahe und auch das absolvierte sie mit Bestnoten, ebenso wie ihre Promotion. Die Bayerwerke in Leverkusen machten ihr ein Angebot und boten ihr für mehr als vierzig Jahre eine berufliche Heimat, die ihr neben dem Deutschen Chemie-Preis und der Carl-Friedrich-Gauß-Medaille zu zahlreichen anderen Auszeichnungen verhalf und nicht unwesentlich zur Ansammlung eines ansehnlichen Vermögens beitrug.
Als weniger glücklich musste ihr Privatleben gelten. Den richtigen Mann fand sie trotz einiger Versuche nie – wahrscheinlich war sie zu anspruchsvoll – und auch glückliches Kindergeschrei aus eigenem Schoß blieb ihr aus diesem Grund verwehrt. So blieb sie stets mit ihrem Beruf verheiratet, bis sie vor fast zwanzig Jahren in den verdienten Ruhestand eintrat und ein durchaus beschauliches und angenehmes Leben führte.
Regelmäßig ließ sie sich mit dem Taxi in die Stadt fahren, ging, soweit es ihre Füße zuließen, durch die Stadt und erkannte sie kaum wieder. Oft führte sie ihr Weg auch zur alten Heimat Unter Krahnenbäumen, wo sie ihre ersten Kinderjahre verbracht hatte, bis die Familie 1944 in den Hunsrück evakuiert wurde. Die Eltern hatten erzählt, dass der Urgroßvater ein recht umtriebiger Mann gewesen sei und fünfzehn mal die Wohnung gewechselt hatte, darunter achtmal in seiner Lieblingsstraße und so war ihr besonders diese Gegend vertraut.
Aber jetzt?
Was sie da antraf, hatte mit der vertrauten, alten Straße nichts mehr gemein. Anfang der 50er Jahre hatten die Stadtoberen den verhängnisvollen Entschluss gefasst, die Stadt durch eine vierspurige Autostraße, die durch das linksrheinische Köln in Nord-Süd-Richtung durch die Stadtteile Altstadt-Nord und Altstadt-Süd verlief, zu teilen und damit war auch das Schicksal ihrer alten Heimat besiegelt. Die Straße Unter Krahnenbäumen, von vielen als die Kölscheste aller Straßen empfunden, zerfiel auf einmal in zwei Teile. Und überdies hatten die alliierten Bomber von dieser Straße nicht viel übrig gelassen. Lediglich zwei der schönen alten Häuser hatten den Krieg einigermaßen unbeschadet überstanden, der Rest lag in Trümmern danieder, darunter auch die Nummer 112, in der Familie Palm zuletzt gewohnt hatte. Apollonia konnte sich noch genau an die hysterische Reaktion der Mutter erinnern, als die Familie ohne den Vater, der in der Ukraine als vermisst gemeldet worden war, in die Heimat zurückkehrte.
„Oh mein Jott! Alles kapott! Apollonia, isch kann nit mieh!“
Aber die Familie überstand auch dies und doch kamen Apollonia Palm regelmäßig die Tränen, wenn sie an diese Zeit zurückdachte.
Gelegentlich hielt sie noch Vorträge vor einem interessierten Fachpublikum, ansonsten las sie viel, vor allem Thriller, oder verbrachte ihre Abende gerne mit Freundinnen beim Bridge oder in der Sauna. Trotz ihres hohen Alters reiste sie auch öfters in unbekannte Regionen, wenn sie nicht allzu fern lagen, denn ihre Beine trugen sie nicht mehr so richtig.
An diesem Abend saß Apollonia Palm in ihrer gemütlichen Wohnung am Volksgarten und vergnügte sich mit einem Thriller, der den anspruchsvollen Titel Landesverrat trug, während im Hintergrund leise die Töne von Schuberts Unvollendeten klangen und den Sturm übertönten, der gegen ihr Fenster schlug. Auf dem Tisch stand ein Glas Montepulciano d’Abruzzo, der zweifellos zu ihren liebsten Rotweinsorten gehörte.
Das Telefon klingelte.
Apollonia stand etwas mühsam auf, stellte den CD-Player leiser und hob ab.
„Palm.“
„Hier ist die Kölner Polizei! Oberkommissar Greven. Frau Palm, in Ihrer Nachbarschaft wurde eingebrochen und Geld und Schmuck entwendet.“
Eine sonore Stimme, die einen leichten Akzent verriet, den Apollonia Palm nicht einordnen konnte.
Und obwohl sie eine gestandene Frau war und so leicht nicht in Panik verfiel, durchzuckte sie doch ein eisiger Schreck.
Polizei?
Einbruch?
Aber bevor sie noch einen klaren Gedanken fassen konnte, fuhr die sonore Stimme schon ohne Erbarmen fort: „Einen Täter konnten wir fassen. Er trug eine Liste bei sich, auf der auch Ihr Name steht. Aus diesem Grund werde ich gleich bei Ihnen vorbeikommen und nach Tatspuren suchen.“
„Aber, aber bei mir wurde nicht eingebrochen. Das hätte ich doch gemerkt.“
„Die Einbrecher verfügen heutzutage über Mittel und Werkzeuge, die fast keine Spuren mehr hinterlassen. Außerdem könnte es sein …“, er räusperte sich unheilvoll, „dass Sie das nächste Opfer sind. Passt es Ihnen in fünfzehn Minuten?“
„Fünfzehn Minuten? Äh … ja, aber …“
„Gut, dann bin ich gleich bei Ihnen. Machen Sie sich keine Sorgen, die Polizei ist ja für Sie da.“
Der unbekannte Anrufer legte auf und ließ Apollonia Palm in einem gedanklichen Aufruhr zurück. Sie griff nach dem Weinglas und leerte es in einem Zug. Zugleich fiel ihr auf, dass der bequeme Trainingsanzug, den sie trug, wohl kaum das passende Kleidungsstück wäre, um einen amtlichen Besuch zu empfangen. Sie huschte ins Schlafzimmer und vertauschte hastig den Trainingsanzug mit einem grauen Wollkleid, ordnete ihre Haare flüchtig und legte etwas Lippenstift auf. Auch in ihrem gesegneten Alter war noch immer etwas Raum für Eitelkeit …
Und schon klingelte es an der Haustür.
Sie drückte auf den Öffner und hörte wenig später schwere Schritte, die die Treppe hinaufkamen. Ein Mann geriet in ihr Blickfeld. Er trug einen dunklen Trenchcoat, hatte schütteres dunkles Haar, das an den Seiten erstes Grau verriet und sein längliches Gesicht war von Aknenarben leicht entstellt.
„Greven, Kripo Köln“, stellte er sich vor. Er zückte einen Ausweis, hielt ihn der Wohnungsinhaberin kurz vor die Nase und steckte ihn weg, bevor sie ihn richtig in Augenschein nehmen konnte. Aber einen polizeilichen Stempel hatte sie schon erkannt.
„Darf ich eintreten?“, fragte der Mann, und bevor Apollonia Palm antworten konnte, drückte er sich an ihr vorbei in die Wohnung.
„Was für ein grässliches Wetter“, murmelte er und ging zielgerichtet ins Wohnzimmer. Palm trottete mühsam hinterher, schaltete die Musikanlage aus und wies auf einen Sessel.
„Nehmen Sie doch Platz“, sagte sie mit belegter Stimme. Der Mann war ihr auf Anhieb höchst unsympathisch und sie bereute bereits, ihn hereingelassen zu haben.
„Ja, dann wollen wir direkt zur Sache kommen“, sagte er und entblößte dabei eine Reihe schadhafter, gelber Zähne.
„Ich würde vorher noch einmal gerne Ihren Ausweis sehen, Herr Greven.“
„Meinen Ausweis?“
Apollonia Palm nickte.
„Äh natürlich, kein Problem.“ Er griff in seine Manteltasche und präsentierte einen Ausweis, den Palm sorgfältig studierte. Ihr Misstrauen war geweckt, aber sie fand an dem Ausweis nichts Verdächtiges und reichte ihn mit einem Schulterzucken zurück.
Greven stand auf. „Zunächst müsste ich Tür und Fenster nach Einbruchspuren untersuchen.“
Er stand auf und machte sich ans Werk. Schweigend sah Palm zu, wie der Oberkommissar Eingangstür und Fenster sorgfältig nach Spuren untersuchte. Dabei folgte sie ihm in alle Zimmer und beobachtete seine Bemühungen.
„Sie haben Glück gehabt, Frau Palm“, beschloss er seine Untersuchungen und setzte sich wieder auf den Sessel. „Dann ist ja alles gut“, hauchte Apollonia Palm, aber der Kripobeamte schüttelte den Kopf.
„So einfach ist das leider nicht gute Frau“, sagte er und machte eine höchst bedenkliche Miene. „Nach unserer Erfahrung kommen die Einbrecher wieder, und diesmal dürften Sie das Opfer sein!“
„Ich? Wieso?“
„Weil diese Leute Profis sind, Sie kundschaften ihre Opfer genau aus und uns wurden Beobachtungen geschildert, nach denen sich Männer, auf die die Täterbeschreibungen passen, vor ihrem Haus schon herumgetrieben haben.“
Er hob wie zur Drohung seine nikotingelben Finger. „Und vergessen Sie nicht: Sie stehen auf der Liste!“
Das Wort Liste hing wie ein drohendes Schwert im Wohnzimmer. Damokles am Volksgarten!
„Und … und was kann man dagegen tun?“
Greven legte seine schwielige Hand begütigend auf den Arm der erschrockenen Frau.
„Deshalb bin ich ja hier. Ich nehme Ihren Schmuck und den Barbesitz in meine sichere Verwahrung, dann kann er Ihnen nicht mehr geklaut werden. Wenn wir die Täter geschnappt haben, bekommen Sie ihn natürlich zurück. Bis dahin ruht er wohlverwahrt im Tresor der Kölner Polizei!“
„Aber wie komme ich denn dazu?“ Empörung und Abneigung waren an ihrer Miene abzulesen.
„Wir können das auch auf dem Weg einer gerichtlichen Anordnung machen, aber eigentlich wollte ich Ihnen das ersparen. Und es ist ja nur zu Ihrem Besten.“
Der Polizist bemerkte das Zögern der Wohnungsinhaberin und fügte hinzu:
„Und selbstverständlich bekommen Sie von mir eine amtliche Quittung über alle Gegenstände, die Sie mir ausgehändigt haben.“
Diese Bemerkung schien die Frau beruhigt zu haben. Sie schaute den Beamten nachdenklich an. Ein flüchtiger Gedanke nahm feste Formen an.
„Wenn Sie meinen“, sagte sie dann und stand auf. „Aber ich muss die Sachen erst holen.“
„Natürlich, ich warte dann hier.“
Apollonia Palm nickte nur und begab sich ins Schlafzimmer, wo sie – wie die meisten älteren Leute – ihr Kästchen mit Schmuck und Bargeld unter einem Stapel Wäsche aufbewahrte, die Stelle, an der alle Einbrecher als erstes suchen würden.
Zurück im Wohnzimmer stellte sie den kleinen Pappkarton auf den Tisch. Greven warf einen kurzen Blick in den Karton, zückte dann ein Formular und fertigte es aus.
„So, das war es schon Frau … Palm. Hier ist Ihre Quittung.“
Apollonia Palm nickte dankbar. Jetzt würde sie wieder ruhig schlafen können. Ihr Eigentum war in Sicherheit. Auf einmal konnte sie wieder lächeln.
„Da bedanke ich mich auch herzlich für Ihre Mühe“, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns, „aber zum Dank müssen Sie eine von meinen Pralinen probieren.“
Sie stand auf, humpelte zum Wohnzimmerschrank und holte eine Pralinenschachtel heraus.
Der Polizeibeamte ließ sich nicht zweimal bitten, griff in die Schachtel und steckte eine der Schokoladenpralinen in den Mund.
„Köstlich“, sagte er und griff ein zweites Mal zu, „aus der Schweiz?“
„Eigene Herstellung“, sagte Apollonia Palm und beobachtete ihn mit einem verkniffenen Lächeln.
„Ja, dann will ich mal.“
Der Polizist nahm die Pappschachtel an sich und steckte sie in seine Manteltasche. Dann griff er ein weiteres Mal in die Pralinenkiste und verabschiedete sich.
„Sie hören dann von uns“, sagte er zum Abschied und verließ die Wohnung.
Wahrscheinlich schon recht bald, dachte Apollonia Palm. Sie blieb hinter der Tür stehen, bis sie ein Poltern im Treppenhaus hörte. Leise öffnete sie die Tür und ging die wenigen Stufen hinab, bis sie den Polizeibeamten fand. Er lag auf den kalten Stufen, den Mund weit geöffnet und die narbigen Gesichtszüge schmerzverzerrt.
Apollonia Palm tastete nach seinem Halspuls, aber da war nichts mehr. Sie griff in die Manteltasche, nahm den offenbar gefälschten Polizeiausweis an sich, holte sich ihren kleinen Pappkarton zurück und schlich in ihre Wohnung zurück.
Sie verstaute den Pappkarton wieder in seinem Wäscheversteck und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie als erstes die polizeiliche Quittung und den Ausweis verbrannte. Dann wischte sie sorgfältig alle Stellen ab, die der vermeintliche Polizeibeamte berührt haben könnte. So hatte sie es im Fernsehen oft genug gesehen. Nichts sollte von seiner Anwesenheit in ihrer Wohnung Zeugnis ablegen. Zärtlich strich sie über die Pralinenschachtel, bevor sie sie wieder zurück in den Schrank legte. Vier Pralinen waren noch darin. Genug, um ihren Zweck zu erfüllen.
Sie hatte die Pralinen vor langer Zeit präpariert, präpariert für einen ganz besonderen Zweck.
Wenn Apollonia Palm vor etwas Angst hatte, dann davor, mit einer schmerzhaften Krankheit oder fortgeschrittener Demenz dahinzusiechen und an seelenlose Instrumente angeschlossen auf ein unwürdiges Ende zu warten. Aus diesem Grund hatte sie die Pralinen mit Maitotoxin, einem starken, äußerst schnell wirkendem, absolut tödlichem Gift präpariert, um sie, wenn es dann nötig wäre, zu nehmen und selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden. Als Chemikerin war es für sie kein Problem gewesen, den erforderlichen Wirkstoff zu besorgen und sorgfältig in die Pralinen zu injizieren. Dass sie jetzt bereits zum Einsatz gekommen waren, war nicht vorherzusehen, aber angemessen.
Mein Gott, sie war alt, aber nicht doof!
Aktenzeichen XY ungelöst gehörte zu ihren Lieblingssendungen und dort, wie in anderen, einschlägigen Fernsehsendungen, aber auch in vielen Zeitungen wurden die alten Leute gewarnt, nicht auf diese elenden Trickbetrüger reinzufallen. Polizeibetrüger und Enkeltrick – hinreichend bekannte Dinge, um ahnungslose alte Leute um ihre Ersparnisse zu bringen. Sie wusste, dass die Täter in Telefonbüchern nach alten Vornamen suchten und Apollonia war dann wohl ein Volltreffer.
Und als dieser unsympathische Kommissar mit den Aknenarben an ihrem Tisch saß und die Herausgabe ihrer Wertsachen verlangte, war ihr sofort klar, was hier ablief und sie beschloss, die Pralinen vorzeitig einzusetzen.
Knapp eine Stunde später klingelte erneut die Polizei an ihrer Tür, diesmal die echte!
Zwei ältere Beamte in Zivil wiesen sich ordnungsgemäß aus und wollten von ihr wissen, ob sie etwas über den Toten wisse, der in ihrem Treppenhaus gefunden worden sei. Aber nein! Schwerhörig, wie sie in ihrem Alter sei, habe sie den ganzen Abend gelesen und Musik gehört. Wie zur Bestätigung tönte Beethovens Eroika aus dem Wohnzimmer.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.