Kitabı oku: «Sonne satt», sayfa 2
Sie vergewissert sich, ob noch genügend Kekse in der Tüte stecken. An einem davon kauend, äußert sie kalten Herzens:
„Mach ich zum Beispiel Abstriche fürs Eingewöhnen, bleibt die Neue trotzdem ein mürber Knochen! Mein täglich Brot ist ein Zeckenrüssel, der in meine Haut sägt.“
Mit in sich gewandtem Blick, denkt Usa an die Küste voller Hotels. Welches käme in Frage? Sie seufzt auf ob des Plans, der inkognito unterwegs ist. Trotzdem existiert er. Ihm entspringe Aktivität. Doch noch quält sie ihr Schicksalsruck.
„Ich räume den Tisch ab, hernach hoffentlich auch in meiner Ausrichtung eine Bahn frei. Die gnädige Zeit wird mir helfen.“
Bei ihrem Scharfblick nickt Anton, bei ihrem Räumen stellt er es ein, wie sein Mitgefühl. Usa lässt Krümel liegen, die ihm Leere erzeugen, ähnlich der nach der Unwetterkatastrophe, von nichts zu stoppen, mit keinem Dreh. Er findet auch jetzt keinen für den platten Reifen. Eher veranlasst ihn der krümelige Tisch zu dem profunden Klären seiner selbst als ein Krümel im großen Gefüge. Er vermag nicht ähnlich Usa kluge Schlüsse zu ziehen.
Unruhig linst er an die Tür, die Usa nach sich schließt.
Sagte Usa etwas, auf das er spitz sein könnte? Am Urgrund bei sich hatte ihn etwas erreicht ... Also Kräutertee trinken.
Am Teeduft schnuppert Anton und fahndet daran entlang. Alle Einsicht verkrümelt sich in die stillen oberen Räume der Quinta von zweien der abwesenden Mitbewohnerinnen, Margarita und Vera, wo das nicht anders sein kann. Doch das Pladdern draußen stört seine gedankliche Suche, beunruhigt ihn extrem damit, ob Lian und Maik zumindest trocken heimkehren werden.
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„Ah, du bist hier, Maik!“, stellt ein Ausruf fest am Portal der Dorfbar.
Maik stellt seine Tasse mit Zitronenschalentee, von dem ein Schluck seine Kehle wärmt, ab und erblickt in Öljacke Jörg.
„Ja, doch“, grüßt Maik zurück, in schwankendem Ton, ob ihm die Begegnung gefällt.
Jörg öffnet schon seine Jacke. Zum Vorschein kommt kiwigrün ein Tshirt. Ein bauchiger Farbklecks, dem die Einheimischen in der Bar ausweichen, einen Kreis öffnen. Ihnen widmet Jörg, zur Theke unterwegs, ein Rundumlächeln. Zwar schauen die unbewegten Mienen ihn nicht an, beobachten aber genau. Deshalb hebt Maik eine Braue, und erklärt sich Jörg schließlich.
„Damit ich an die Luft komme, ließ Lian mich hier. Sie fuhr in die verkommenen Gärten in Achada da Cruz, erneuert im Regen ihre Inspirationen. Nimmst du auch einen Stärkungstee zu dir?“
Maik fragt wohl wissend um Jörgs Tendenz zu harten Tropfen. Er selbst bevorzugt aus Gewohnheit etwas natürlich Gewachsenes. Aber hier ist weder die Zeit noch der rechte Raum, sich durch den Kakao zu ziehen. Frotzeleien gab es monatelang, das erstarb aber baldigst in gegenseitiger nachbarschaftlicher Anerkennung.
„Bah, dünne Plörre!“, krächzt Jörg derb im Ton, Maiks Tasse abschätzig musternd. „Ersetzt das deine vom Orkan fortgewehten guten Geister?“
Kaum gesagt, hört Jörg, unter Füßescharren hinter sich, den Raum größer werden. Den Eingang belagern dunkle Jacken. Konträr seiner Absicht. Nur Maik kann er sich schrittweise nähern, doch schroff und alarmiert klingt seine Stimme weiterhin.
„Weißt du, Firstziegel fielen herab. Ich wollte unter den Dauertrinkern hier den Einen finden, der aufs Dach steigt.“
„Bei Sturm? Kalte Knochen kraxeln jetzt nicht über Leitern. Stoisch wie die Rinder, schalten sie ihre Oberstübchen ab.“
„Schaltet mir mein Geschäft ein“, giggert Barfrau Maria, am Tresen, in ihrer Steppweste aus Jeansstoff. Dem Gegenbild aller regendurchtränkten Beine im selben Material.
Maria deutet vor eine Flasche Zuckerrohrrum.
„Wie immer in den Kaffee, Jörg?“
Ihre deutsch gesprochene Frage klingt brüchig, in Resonanz wirtinnenkluger Unterscheidungsgabe für Neigungen. Jörg nickt, beobachtet ihr Eingießen in seine Tasse. Ratlos rührt er darin, sein Bedauern nicht abschüttelnd.
Die Rumflasche räumt Maria nicht weg. Sie greift zu Orangen und Zitronen, entsaftet einige nach und nach in eine Karaffe, quirlt Honig mit einem Holzstab hinein. Einen halben Liter Rum füllt sie ein, durchquirlt das spezielle Getränk des Aqua Dente und kredenzt es auf ein Holztablett.
Davon aufschauend, fragt Jörg, versöhnlich milde:
„Maik, du eventuell, siehst dir das Malheur am Dach an?“
„Im Regen? Da habe ich Besseres vor.“ Maik grinst Maria an. „Kehren mehr Reisende ferner Länder gemütlich bei dir ein?“
„In diesem Februar fahren Mietwagen nicht nur hier vorbei zu ihren obligatorischen Zielen.“ Maria schaut vor die Tür, zu glasklaren Schnüren, die unisono aufpladdern. „Unsere Dorfleute reden vom Jahrhundertregen, wie vor zehn Jahren!“ Sie wiegt den Kopf, sieht bedeutungsschwer Jörg an. „Teils freuen sie sich, teils müssen sie in den Terrassenfeldern aufräumen. Es sind zu wenige noch rüstig genug, oder abkömmlich.“
Jörg schlürft etwas des Gebräus, stellt die Tasse ab. Über seinen Hals wischend, krächzt er: „Der Rum heizt ein.“
„Dumme Redensart. Nachher wird dir um so kälter sein, und das spürst du nicht. Alkohol schwächt das Immunsystem.“
Maik kaut betont an seinem letzten Teeschluck.
Maria nickt, mit strahlendem Augenaufschlag dunkelbraun und einladend. Sie deutet auf schlanke Glasflaschen und erklärt:
„Bei nassem Wetter trinkt eine Menge Tee mit Honig aus dem Berg! Davon trinken alle Madeirer, ob jung oder alt. Nehmt eine Flasche zu zwanzig Euro mit!“
Ihre Aufforderung wehrt Maik ab, kerbt den Mund ein, zieht eine Schulter im naturweißen Pullover mit Zopfmuster höher. Vom Überziehen wohl hängengeblieben, steht ihm das graue Haar wirr um Ohren und Hinterkopf. Seine tief blauen Augen, umgeben von blonden Wimpern, deuten keine Kaufabsicht an.
Jörg schüttelt deutlicher den Kopf, auf dem der Lichtreflex aus dem Portal sich an seiner Glatze spiegelt. Jörg zieht seine buschigen Brauen über die Augen. Deren Braun erkennt Maria kaum mehr, als er sie ruckartig dem Geschehen draußen zuwendet. Ein Kleinbus hält. Die Seitentür wird mit hohlem Schieben geöffnet, zerteilt die blaue Außenbeschriftung der Agentur. Vier Wanderer wanken in die Bar.
„Ah, Ausflügler!“, freut sich Maria und positioniert sich.
„Wird eng“, raunt Jörg Maik zu. „Kommst du mit?“
„Ich höre den Wettergeschädigten nicht zu“, entgegnet Maik steif, betontes Entsetzen im Gesicht.
Jörg gestikuliert wegwerfend, trinkt seinen Kaffee in einem Schluck aus. Er schließt die Jacke, fummelt einen Euro hervor. „Ate logo, Maria!“ Er enteilt mit einem überlauten Räuspern.
Maik wirft Maria einen mitfühlenden Blick zu, den sie weder zur Kenntnis nimmt noch benötigt Ihre Intension fliegt voran wie ihre Blicke, und ihre Tüchtigkeit einer fremdenfreundlichen Wirtin. Maik wendet sich zum Gehen.
Unterwegs auf den Serpentinen des zu ihren Häusern in Hanglage führenden Asphaltweges, an dem Jörg seinen roten Jeep steuert, unterhalten sie sich ausschweifend.
„Nachts hörte ich auch Donnerschläge“, berichtet Maik aus durchwachten Stunden. „Das war nur Wind. Ich erlebte bisher im Vorjahr ein einziges Gewitter.“
Jörg hört aus Maiks Stimme nur seinen zur Genüge bekannten Verdruss, behält den Dachschaden berechtigter Weise im Sinn.
„Ja, genau! In Angst abwartende Leute wissen, überall beten die Menschen unter den Dächern um Geduld. Keiner hält das aus.“
„Hier verrammeln die Einheimischen die Fenster, steigen mit scharfen Getränken ins Bett. Wohl auch Maria mit ihrem Rum, sie ängstigst sich nicht um ihr Haus, stürmt es ununterbrochen. Der Wind kommt derzeit zum Glück von Südost, und wärmt die Luft an. Noch mehr Feuchte wäre schlecht für mein Rheuma. So schnell der Orkan kam, so soll er meinetwegen abhauen.“
Jörg kraust die Nase, kurz nur erregt ihn ein Protest.
„Sollte er! Meine werte Mona nimmt sonst in den Hotels viel zu viele überteuerte Wohlfühlanwendungen.“
„Besser so versorgt, als tagelang an den Flughäfen frieren, wo kurzfristig Flüge gestrichen werden, erinnere die deutschen Nachrichten. Vor dem Schneechaos Flüchtende klappen vor Frust zusammen. Dies Jahr sind die Fernreisenden angeschmiert!“
„Wie im Tollhaus geht es drüben zu, das Streusalz reicht in den Innenstädten längst nicht mehr gegen das Winterwetter. Ob das bis zur letzten Hinterkammer aller Oberstübchen vordringen wird? Auswandern hilft, und bleiben!“
Maik reibt mit einer Hand seinen Nacken, erinnert etwas.
„Anton meinte kürzlich, die Erde brauche nun mehr Beachtung und Anpassung an sie. Er hält sporadischen Kontakt zu Freunden seines Indianercamp, die teils weltenergetisch arbeiten und von künftigen Katastrophen faseln. Sonneneruptionen würden Stürme auslösen und nicht nur das. Vermehrt sei mit Dürren zu rechnen, Überschwemmungen und Vulkanausbrüchen, und mit Aschewolken, die ganze Kontinente bedecken. Verflixt bedrohlich das Ganze.“
„Davon hörte ich noch nichts, nur von den Verschiebungen an kontinentalen Erdplatten, die Madeira nicht treffen. Mir reicht schon das Wetter der fliegenden Gartenstühle! Alles nicht Niet- und Nagelfeste segelt bergwärts hinunter.“
Jörg schlägt sich abrupt kurz auf den Mund. Weil er zuvor etwas aufgesessen ist, von dem seine Mona oft genug fasele. Dem Einhalt gebietend, äußert er entschlossen:
„Wir kamen für den Lebensabend und zum Glück mit reichlich körperlicher Anpassungsfähigkeit an das Wetter.“ Durch die von Tropfen bedeckte Frontscheibe sieht er hinaus. „Klar lieben wir die Natur. Regen genauso wie Sonne, bestrahlt sie alles Schöne, wenn auch sparsam. Schönes beachte ich, es weckt neue Ideen.“
Soeben verlässt sein Jeep den Asphaltbelag und fährt an den Schotter, der zu den Anwesen am Berg führt. Der Orkan stimmt zu und hat ein Einsehen. Es tröpfelt nur leicht, als sie ihr Ziel erreichen, eine gepflasterte Einfahrt.
Erleichtert steigt Jörg aus, und weist mit einem Daumen zum Dach. Daran spuckt und gluckst die Wasserrinne. Bedächtig nickt Maik zu diesem Geräusch, schaut unterdessen aber im Tal auf die sich gegen den Horizont auflösenden Regenschleier. Dann eilt er hinter Jörg über die Stufen in den Hanggarten, um von oberhalb des in Terrassen befestigten Areals ans Dach der dem ehemaligen Grundriss entsprechend erbauten Quinta zu sehen.
„Fass dir die Handwerker, die es deckten! Ramponiert sieht das aus, ohne Silikon zwischen den Firstziegeln, gegen den Sog im Hurrikan unangebracht. Schlamperei!“
Jörg drückt sein Kinn in den Kragen der Regenjacke.
„Unverwechselbare Mucken hatten die Bauleute. Einen Stil im Umgang miteinander, bei dem mein Frühstücksei im Magen rumpelte wie deren klumpiger Beton im Mischer, hörte ich ihr Gebrüll.“
Maik sieht fort, im gegenüberliegenden Gelände zetert eine Frau mit Kopftuch. Sie sperrt zwei Jungen in den der Hütte nahe liegenden Felsenkeller, stemmt obendrein einen Stecken vor den Außenriegel. Perplex, als ob ihn ein Pferd trete, obgleich nur selten auf der Hochebene geritten wird, weist Maik hinüber.
„Von dem Geschrei kriege ich Hals! Sie schikaniert Kinder.“
„Ja, weiß ich vom Fernglas, als ich nach Seeadlern ssh, die mich vor allen zweihundertfünfzig Vogelarten interessieren. Sie fliegen im Tal, wird es über dem Meer kälter. Meistens kreisen nur Bussardpaare über dem ökologisch intakten Tal.“ Jörg zieht seine buschigen Brauen hoch auf die Stirn, sein Blick funkelt unheilvoll braun. „Den Sohn der Frau kenne ich aus der Bauzeit. Kommt er abends heim, lässt er die Jungs heraus. Zustände! Nach dem Bauen hier, taumelte er bis in die Nacht mit seinem Spezi durch die Hügel. Von mir befragt, faselte er, im Suff sei ihm der erlöste Christus viel näher als bei klarem Verstand.“
„Puh! Wie hast du reagiert?“
Maik tänzelt etwas auf seinen steifen Beinen auf der Stelle herum. Hingegen sein Blick klebt noch am Nachbargelände.
„Auf religiöse Fantasterei? War einfach, herauszubekommen, ob sein Spezi das auch so sehe. Er meinte, der habe nur Fische im Kopf, lade im Morgengrauen am Merkado der City fangfrische Ware ein. Am Ende der Verkaufstour sei Saufen dran. Hast dessen plärrenden Lautsprecher am Kühlwagen sicher schon gehört.“
„Ein entrückter Fanatiker und ein Fischverkäufer betätigen sich als erste Trinker vor dem Herrn? Merkwürdiges Gespann.“
Magisch angezogen schaut Maik hinüber und macht am steilen, niedrig bewachsenen Hang zuoberst ein Feld Zuckerrohr aus.
„In dem Feld am Hügel lagen die und leerten die Pullen? Das Leben der Landbauern ist auf hergebrachte Weise arm, an Moral mit sich und ihren Kindern! In unserer Sozialkultur stände die Oma wegen Kindesmisshandlung vor Gericht. Hier sah ich bislang nur die Horden auflaufender Familien, mitsamt behüteter Kinder und ihren umhegten, wertgeschätzten Alten.“
„Es sind Bessergestellte. Andere verwahrlosen, halten ihre Kinder mit Schlägen zum Betteln an.“
„Katastrophal!“ Maiks Ton schraubt sich hoch, er merkt es, und schöpft Luft, einen Moment innehaltend. Brasst steckt ihm im Hals. „Jörg, mieses Verhalten zeugt davon, kein wirksameres Instrument zu kennen. Sind die Kleinen ins Dunkle weggesperrt, haben sie keine sichtbaren Verletzungen durch tägliches Leid. Doch was wird bei aus denen? Sie leben ein Schattendasein, sie vegetieren unter praller Sonne.“
Trocken schluckt Maik, um seinen anbrandenden Zorn und sein Einfühlungsvermögens unten zu halten. Vor ihm klart unerwartet zumindest die Wolkendecke auf, und scheucht, Schlag auf Fall im launischen Frühling, in einem kräftigen Windsog wogende Wolken über den Himmel. Derweil versteckt sich die Sonne noch abnormal im hohen Dunst, vermag kaum ihr Licht hindurch zu schicken.
Sie wärmt und hat Kraft, ihre Temperatur steigt, redet Maik sich gut zu in der Absicht, ihm würden dann seine Atemzüge die stets hohe Luftfeuchtigkeit wie Balsam in die Lungen pumpen.
Den Hader mit der Himmelsmacht abschüttelnd und ebenso nach Linderung seiner Entrüstung über die Nachbarn suchend, schwenkt Maiks Blick über das Tal zur anderen Seite, haftet sich an das bauliche Treiben bei einem Wasserreservoir. Dort bannt ihn ein Kollern. Dessen Hall dringt über die Ferne näher.
Maik blinzelt durch seine hell bewimperten Lider zu den die Lasten wegwerfenden, fliehenden Arbeitern. Erdbraune, aus dem Nichts kommende Wassermassen fluten ihr halbfertiges Mauerwerk. Bodenlos sich überstürzend, umspült diese Woge aus blitzartig aufgewühltem Erdmatsch dort auch einen Mast. Und nach und nach neigt der sich, und mit ihm sacken in etwa zehn Meter Höhe die Überlandkabel tiefer. In all dem Gewoge, der in ihrer Schwere schwingenden Kabellast, bricht eine bröckelnde Erdwand aus der Basis der Mastverankerung und kippt den Pfosten im Winkel gegen Ein Uhr dem Hang zu.
„Der fällt um!“, stößt Maik aus und greift spontan an Jörgs Jacke. „Quer dem Steilhang schwingen Kabelleitungen, auch das unserer Quintas von dem Rutsch. Die Arbeiter dort müssen doch, offenen Auges wie wir, das nahende Fiasko ahnen!“
Seine Erwartung erfüllt sich, auf Zwei Uhr zeigt der Mast. Endlich rühren sich die Drei an der Baustelle. Winzig wirken die sich selber mit Stangen Sichernden, die mit irgendwelchem Gerät den Mast verkeilen, den Sturz beenden. Dennoch beobachten Maik und Jörg, wenig fern der Zisterne züngelt eine Brache mit regenschwerer Erde zur nächsten, den Hang stützenden Terrasse.
„Hält die?“
Jörg erschaudert, ihm wird klamm. Er befreit Maiks Arm von seiner Jacke. Seinen Blick heftet er an die fernen Männer. Sie flüchten zu einer meterbreit entfernten Gruppe grün belaubter Lorbeerbäume. Die grauen Stämme gräbt der sich den Weg bahnende Schwall hüfthoch ein, spritzt vorbei an den Festgeklammerten, reißt statt ihrer eine orangefarbene Papageienstaude um.
„Was für eine Wucht!“, japst Jörg, mit einem Kick zynischen Humors. „Abwarten und Tee trinken, würden Engländer sagen, die nicht dort drüben in der Haut der Betroffenen stecken!“
Seine Situationskomik vergeht ihm. Die Schlammlawine prallt vor die Mauerkrone der tiefen Terrasse. Geröll und braune Brühe stürzen ins nächste Terrain, schlagen ein riesiges Loch in die Wand eines Hauses. Darin wirbeln Stühle schlammbespritzt auf. Ein schwarzer Hund sucht zappelnd sich zu retten. Vergeblich, der Schlamm füllt das Loch, flach wie ein Teig, bis zur Kante. Von oberhalb stürzt mehr herab, eine grausige Lawine schwappt. Das sehen auch die drei Gestalten an den Bäumen, und verharren.
„Wie anders wir hier leben!“, wispert Jörg, in Kompensation der Hilflosigkeit, wäre auch seine Quinta derartiger Zerstörung ausgeliefert. „Deren Lebenskultur impliziert die Anpassung an Gefahren, wir verpassten das bislang, wir beginnen mit unserer Integration bei Null.“ Schon tritt vor sein geistiges Auge der Levadakanal oberhalb der Hanglage, und ihm keimt die Vermutung nicht davonzukommen, wäre der übervoll.
„Maik, ich meine, die Verwaltung müsste mehr Levandheiros an die Levadas der Berge senden, und die tausende Kilometer auf Wolkenbrüche konzipieren, nicht nur das Quellwasser auffangen.“
Mit dem Handrücken über seine Stirn wischend, räuspert Maik sich zittrig, weist dann in ausladender Geste in den Berg hoch. Davon aber greift Jörg blitzschnell an Maiks Pullover.
„Solchen Schaden ahnt doch keiner! Warum sprachen wir nicht früher darüber? Wachsame Raubvögel liebe ich über alle Maßen, aber penne selber vor der Gefahr, die mir, zusätzlich zum Dach droht. Die dort drüben lassen sich von Verwandten helfen. Aber wir sehen sicherheitshalber nach der Levada, ja? Was die andere Seite umriss, kann schon oberhalb aufgehalten worden sein.“
In Jörgs Miene und an seiner Stimme den Grad seiner Ängste deutend, will Maik ihn beruhigen.
„Die Erde vor unseren Mauern hält seit Urzeiten. Nur wo die Äcker bewässert werden, gibt sie nach, und Niederschlag bricht sie auf. Dennoch willst du in den Berg? Die Idee empfinde ich als weitaus mehr schmerzhafte Fortsetzung. Meinem Rheuma gemäß überfordere ich mich nicht, stechende Schmerzen nagen an allen Gelenken. Verlangst du das? Wir übernehmen uns wohlmöglich und haben keinen Spaß, sieh dir die Sonne an!“
Jörg rückt von ihm ab, und blickt an den Boden auf dem er steht. Der dämpft nicht sein Bangsein vor der Nacht. Sein Blick fliegt über sein beschädigtes Dach, und in den fernen Himmel.
„Du hast Nerven! Bist abgebrüht durch ein sonnenverwöhntes Jahr!“, protestiert Jörg, verstummt für nur einen Moment. „Wo steckt dein Mitleid mit denen im Haus, vor Minuten verschüttet? Schau zu den Gestalten am Wasserspeicher. Vergeht ihr Schreck, brauchen sie Hilfe, um den Kladderadatsch auszuschaufeln.“
„Nur junge mutieren zu Helden! Ich halte meine Grenze!“, verteidigt sich Maik vehement.
Jörg gähnt - und nochmals, verwundert gen Himmel.
„Der hellt auf? Ich gehe, Sonne berauscht zu neuen Taten! Komm, ziere dich nicht und klage mir nicht die Ohren voll.“
Die Sonne bricht durch, als sie mit Schaufeln ausgestattet zur Levada gehen. Vorbei an sturmgeschädigten Pinien und frisch glänzenden Lorbeerbäumen führt der Schotterweg. Munter fischen sie die im Modder der Levada begrabenen Äste und Pflanzenteile heraus, und sehen am trüben Wasserspiegel auch die von Südost anstürmenden Wolken, und die verbleibende Zeit bis zum Regen.
„Meine Rheumasicherung springt an, Jörg“, wimmert Maik nach geraumer Weile, gestützt am Schaufelstiel auf den gereinigten Abschnitt sehend. „Reicht für die Nacht, sei zufrieden.“
Bestätigend nickt Jörg, spült dann beider Geräte, schultert sie tropfnass. Bergab stapft er dem Freund voraus. Vor seiner Quinta gestikuliert er einladend.
Maik klopft mit einem schlammfleckigen Pulloverärmel, sich kraftlos verabschiedend, an Jörgs Arm.
„Sitze ich erst, komme ich schlecht wieder auf die Beine. Ich hinke mit dem Rest meines Elans abwärts. Ate logo!“
3
Auf der Parkzone vor der Quinta fehlt noch Lians Kombi vor der mit Maracuja berankten Palisade. Der Jeep parkt, hinten rechts ist das Rad sauberer als das vore, bemerkt Maik. Röhrend fährt der PKW von Veras Mitfahrgelegenheit vor. Maik enteilt so gut es geht voraus, wendet sich schließlich um.
Vera, noch in ihre dunkelblaue, und schreigrün paspelierte Hoteluniform gekleidet, die ihre grüngrau changierenden Augen bestens betonen, steigt aus und kommt auf Maik zu. Sie runzelt ihre schmalen aschblonden Brauen, legt ihre Linke ans Kurzhaar ihres Oberkopfes.
„Wie siehst du denn aus! Rasch hinein, die Treppe hoch!“
Hinter den Rankenschlingen, die im April die hängenden rosa Knospen öffnen und den Bananen ähnliche Fruchtschoten treiben, liegt die Außentreppe. Maik zieht sich am Handlauf hinauf.
Im Flur vor den Räumen hilft Vera ihm beim Ausziehen seines nach Moder stinkenden Pullovers. Den Schweißfleck auf der Brust seines roten Tshirt vor Augen, murrt sie, bar jeden Erbarmens:
„Wie unbedacht, morgen ist nichts mit dir los!“
„War unvermeidbar“, wimmert Maik, bei einem matten blauen Blick. „Ich war mit Jörg im Berg. Mach bitte Tee, ich dusche.“
Hernach lauscht Maik, im Bademantel auf der Bank sitzend in der gemeinsamen Teeküche oben, und kurz nach seinem berichten, Veras nahe gehender Katastrophenschilderung. Die lindert etwas seine Duschwärme und, für den Orkan der Nacht wurde vorgesorgt.
„Der Hotelboss teilt seine Arbeiter mit den Hilfsdiensten. Seine Gäste haben es vergleichsweise gut, da der Bürgermeister aus den einsturzgefährdeten Häusern nun viele Dörfler vorhat zu evakuieren. Vorrangig aus einem Ort, den Gullys überschwemmen. Geröll tobt in dem überfließenden Bach, zuvor ein Rinnsal ins Meer, jetzt drückt eine Kloake durch die Türen, und unterhöhlt durchweg die Fundamente.“
„Bisschen spät zu evakuieren, ist doch schon passiert! Ich hoffe nur, das war es vorerst, auch drüben am Hang.“
„Doch ging die Unwetterbotschaft in die internationale Welt hinaus“, fährt Vera unbeirrt fort. „Nur eben nicht, dass der Gouverneur quasi den Notstand proklamierte. Die Reiseagenturen wissen es trotzdem und stornieren, was irgend geht, denn die lassen sich nicht mit einer azurblauen Hoffnung abspeisen. Die könnte teuer werden. Gewiss finde ich an der Rezeption morgen allerhand panische Emails.“
So meint auch draußen eine Bö, saust über den Balkon in den Flur, belüftet Veras dunkelroten Hausanzug. Doch Vera weiß, ihr Dienst ist erst morgen fällig. Sie legt ihre bloßen Füße an die Bank. Kurz nur währt ihre beinahe Seelenruhe. In den Flur hinkt Anton in Latzhose, an der Schmiere klebt, und gestikuliert mit erdigen Fingern, peilt am Küchentisch Maik an aus weiten Augen.
„Metertief grub die Flut vom Dach Rinnen in die Gartenerde. Alle meine Stauden sind futsch, alles Gemüse liegt im Matsch an der Oberkante der unteren Grenzmauer!“
„Das konnte der Orkan knicken?“ Die Hände am Bauch, reckt Maik sich. „Eine Karre mit Gartenerde verdreckt dir die Sicht?“
„Hörst du mir nicht zu? Das ist nicht mehr mein Garten!“
„Bringe ihn auf den Stand von vorher, dann ist er es.“
„Nur weiter, so du kannst!“ droht Anton. „Im Sitzen ist das leicht gesagt! Machst du es? Ein Wunder braucht der Matsch!“
„Zwei Hände hast du!“, ereifert sich Vera, „Maik und Jörg säuberten die Levada im Berg, damit wir ruhig schlafen können!“
Vera rückt schon die Füße unter den platzraubenden Tisch. Er steht nahe dem Dachfenster zum Hang und fern dem Fenster zur Balustrade, wo unten davor der Kräutergarten liegt, sorgsam von Anton angelegt. Sie hält inne, mag nicht sehen, was er beklagt. Ihm selber schaut Vera fest in die Augen.
„Du willst ein Wunder? Dich haut der Matsch um? Brüll nicht wegen deinem Garten, darin wurden keine Menschen verletzt durch mächtige Überflutungen wie in den Bergdörfern rund um Funchal! Tiefliegende Cafes wurden grauenvoll verwüstet. Wo Bachläufe trocken waren, schwellen sie an bis in die Straßen. Sobald das aufhört, registriert das Umweltamt alle Schäden, auch auf den öffentlichen Plätzen und an privaten Gebäuden.“
Ihr Blick huscht über seine Latzhose, aber die birgt nichts von Antons Feinsinnigkeit, die ihr jetzt lieber wäre.
Mattigkeit legt sich um ihre Schultern, färbt ihre Stimme.
„Todesfälle wurden gemeldet. Morgen beruhige ich die Sorgen der Hotelgäste um ihre schönste Zeit im Jahr, damit sie von den ernstlich Betroffenen nichts merken, denn das werden mir meine Kollegen aufladen. Würde dir diese Pflicht gefallen?“
„Nein. Etwas des anderen sahen wir unterwegs“, brummelt er kleinlaut, und wankt mit gesenktem Kopf zur Tür. „Irgendwelche Maßnahmen nötig, uns vor weiterem zu schützen?“
„Sei zuversichtlich“, berappelt Maik sich mit müder Stimme. „Nicht überall war es schlimm. Wir kamen glimpflicher als Vera schildert davon. Übergelaufenes sucht sich seine Wege.“
„So plötzlich wie der Orkan kam, endet er“, sichert Vera in versierter Überzeugungskraft und aus ihrer jahrelang erprobten Freundlichkeit als Rezeptionistin zu, aber verschränkt die Arme vor der Brust in ihrem dunkelroten Hausanzug.
„Nee, der dauert noch, Vera.“
Anton umgreift die Türklinke, senkt den Kopf, und verzögert seinen Abgang. In Maik gärt ein Abschmettern.
„Freude an Gartenarbeit endet nicht, weil Unwetter stören.“
„Lebendiges“, fällt Vera ihm ins Wort, und schlägt in Maiks Kerbe, „erwartet eben ständig etwas wiederholte Zuwendung.“
Vera misslingt, Anton aus seinem Missmut zu rütteln.
„Wie abgeklärt!“, brüllt er ohne sich umzuwenden.
In ihm rumort mehr, da raunt der kleine Anton besessen vom Alleingelassensein. Dies Uralte abdrängend, behält Anton seine Sinne beisammen und seinen Logo in der tristen Gegenwart.
„Euch erschüttert nichts!“, schauft er lauter. „Ich soll es reinfressen, und magenkrank werden.“
„Im Sonnenschein vergisst du alles.“
Maik hat vor, ruhig an der Bank zu sitzen, Anton aber noch etwas auf den Weg mitzugeben.
„Mach dich härter fürs Überleben als unser Gärtner. Sei ein Spieler und setze neu im Garten, Anton.“
„Allein das, Maik“, hart sprüht er einen Blick hinter sich, „bewältige auch du! Von Nebenan schlug der Fremdenhass unserem Jeep einen Plattfuß! Das schüttere Haar raufe dir und bedenke, was du mit der Oma drüben anfängst!“
Sich abwendend, will Anton nichts der Reaktionen auf diese Mitteilung sehen. Er stapft in der Windstille nach einer Bö die Außentreppe hinab, bis vor den Steingarten zaghaft sprießender Küchenkräuter und am Kies auf und ab. Er blinzelt zur einstigen Beetanlage, dem Wall vor der Mauer, den Dunstschleiern, in die hinein die Erde die aufgesogene Feuchtigkeit verdampft.
Strapazen rumoren mit Mistgabeln im Gärtnerherz, Anton kann sich dessen kaum erwehren. Sein Gespür eilt voll Qual zurück in die Zeit der Beetanlage bei brütender Hitze. Die stach ihm zwar ins Gehirn, und das verabschiedete sein Funktionieren unter dem Hacken in der Erde. Aber damals erfassten alle Sinne die grüne frische Existenz, und daran ein Lechzen nach lebensspendendem Nass, und seiner Zuwendung. Es war ihm ein Hochgenuss gewesen inmitten des lebendigen Wachsens zu sein. Und nun - alles hin!
Nach einer Weile knattert hinter Anton im Nähern Margaritas Moped, und fährt zum Unterstand neben dem Felsenkeller. Lahm in ihren Bewegungen steigt Margarita ab, und entnimmt dem Korb am Lenker den Rucksack aus braunem Leinen. Den bleichte die Sonne des vorherigen Jahres, doch noch kontrastiert es ihre betörend braunen großen Augen. Sich umwendend, öffnet sie die Jacke, und rekelt ihre Schultern. Und schon fuchteln Antons beide Arme zum vormals mit viel Schweiß gepflegten Land.
„Sieht so auch der Hang an der Gärtnerei aus?“
„Ola! Ich freue mich auch, dich zu sehen! Nicht ans krasse Wetter gewöhnt? In mir knistert, was den Tag lang ans Glasdach der Gärtnerei prasselte, und wo das viele Glas zu Bruch ging.“
Im Nähern ringt Margarita um Geduld, greift in ihr kinnlang braunes Haar, beäugt an Antons Hose die Schmierfettkleckse und weiß ihre bis an die Knie nass. Sie lugt Antons Fingerzeig kurz nach; es tönt ihre Stimme nur tiefer ein.
„Hände sah der Himmel vor für unsere Spucke, um allen Unrat wegzuschaffen. Nicht nur für Zartbesaitete, nicht nur für die sensiblen Körnchen in der Sanduhr, denen alles zu eng wird!“
Antons Blick füllt sich traurig. Er hebt eine Hand, berührt für einen Moment Margaritas Wange, schaut dann tiefer abwärts. Ein Himmelssegen tröpfelt neuerlich an den Kies.
„Trink mit mir Tee in meiner Küche, komm, Margarita.“
Eingehakt, führt er sie hinein, und neben den Wasserkocher. Den füllt er, und fragt, unter dessen Aufbrummen:
„Hast du eventuell eine Idee für den Garten?“
Einen Stoß vor seinen Arm versetzt sie ihm, sagt eher müde:
„Meine Kraft reicht nur für den Gedankenanstoß. Leo meldete sich aus Berlin zu Besuch an, dafür erhoffe ich von Herzen das Ende des Orkans.“
Sie plumpst auf einen Stuhl, indes Anton herum hantiert mit seinen Kräuterteedosen. Margaritas abgearbeitete Miene umfängt er dann mit einem Blick, der ihr seine Freude zeigt.
„Leo zu Besuch, wie schön!“
Er neigt vor den Dosen den Kopf, dreht dann Margarita seine kleinen engen Augen zu, in denen ein Scherz blinkt.
„Mir ist die Kräuterkunde gut genug vertraut, damit dir ein ein Geistesblitz für meinen Gartenwust kommt. Und Leo soll mich auch nicht aufzuheitern haben. Also trinken wir einen Glückstee nach dem uralten Rezept, gegen ein Jegliches wuchs ein Kraut.“