Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 127»

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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-451-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

1.

In der lauen Spätnachmittagsbrise huschte eine blasse Wolke hinter der „Isabella VIII.“ her. Bill, der Schiffsjunge, ging gerade als Ausguck und meldete das Auftauchen der Erscheinung natürlich von seinem Posten im Großmars, sobald er den feinen Nebel durch sein Spektiv über der nördlichen Kimm erkannte.

Der Seewolf vernahm die Rufe des Jungen auf dem Achterdeck. Er spähte vom Schanzkleid aus mit dem Fernrohr ebenfalls Steuerbord achteraus und betrachtete die Wolke, die sich im Wind zu kräuseln schien und ständig die Form wechselte.

Schließlich sagte er: „Ein merkwürdiges Gebilde ist das, auffallend beweglich und dicht über der Wasseroberfläche — was hältst du davon, Ben?“

Ben Brighton, der erste Offizier und Bootsmann der Galeone, war mit Ferris Tucker, Big Old Shane und den beiden O’Flynns hinter Philip Hasard Killigrew getreten. Zunächst beobachtete auch er das Phänomen, das sich sehr deutlich vor dem tiefblauen, sonst wolkenfreien Himmel abhob.

„Vielleicht das erste Anzeichen eines aufziehenden Schlechtwetters“, meinte er dann. „So was soll sich gerade in dieser Gegend sehr schnell entwickeln, habe ich mir sagen lassen.“

„Mal’ nicht den Teufel an die Wand“, entgegnete Shane. „Ich schätze eher, es handelt sich um eine Nebelbank. Möglich, daß wir die ganze Nacht über durch die dickste Suppe segeln müssen.“

„Wie bei Bengkalis in der Malakkastraße?“ sagte Ferris Tucker. „Hölle, hoffen wir, daß es hier keine Riffe oder Sandbänke gibt, auf die wir brummen könnten.“

Hasard hatte sich zu ihnen umgedreht und musterte ernst ihre Gesichter. „Wir müssen wirklich auf der Hut sein. Falls die Berechnungen, die ich angestellt habe, stimmen und wir uns auf unsere Karten verlassen können, befinden wir uns in der Nähe eines ziemlich großen, aus vielen kleinen, zersplittert wirkenden Inseln bestehenden Archipels. Lieber halte ich rechtzeitig nach einer geschützten Bucht Ausschau, in die wir uns verholen können, als das Risiko einzugehen, irgendwo aufzulaufen.“

Der alte Donegal Daniel O’Flynn schnitt mal wieder eine gallebittere Grimasse.

„Wir werden weder das eine noch das andere fertigbringen“, verkündete er. „Und ihr liegt mit eurer Meinung alle schief. Seit gestern hat der elende Monsun, vor dem wir platt wie eine Flunder segeln konnten, von Nordost auf Nord gedreht und ist schwach und schwächer geworden. Ich schwöre euch, der Wind schläft ganz ein, und wir bleiben in einer Kalmenzone liegen, aus der wir nur noch ’rauskommen, wenn wir auf sämtlichen Backen blasen.“

„Auch auf den achteren?“ fragte Shane.

Old O’Flynn hob überrascht die Augenbrauen. „Den was?“

„Du hast doch von Backen gesprochen.“

„Dir werden deine blöden Witze noch im Hals steckenbleiben“, murrte der Alte ärgerlich.

„Und dir die Unkerei“, sagte Big Old Shane. „Zugegeben, wir laufen zur Zeit nur noch zwei bis drei Knoten Fahrt, was ein müder Törn ist. Aber der Wind kann auch wieder auffrischen, oder? Der Monsun ist unberechenbar.“

Old Donegal grinste geradezu faunisch. „Ja, das ist er. Hey, Ben, das stimmt doch, oder?“

Ben Brighton zuckte nur mit den Schultern und blickte wieder Steuerbord achteraus. Hasard widmete sich der nach wie vor vorhandenen Wolkenerscheinung. Ferris Tucker und Big Old Shane hüllten sich in verdrossenes Schweigen.

Der junge O’Flynn, der bislang nichts geäußert hatte, legte seinem Vater die Hand auf den Unterarm und raunte ihm zu: „Dad, hör bloß auf mit der Stichelei, sonst fange ich an, ernsthaft um deine Krücken zu bangen.“

Der Alte blickte ihn so mißbilligend von der Seite an, als bereue er zutiefst, einen solchen Sproß gezeugt zu haben. „Sag mal, auf wessen Seite stehst du eigentlich?“

„Auf deiner natürlich“, erwiderte Dan lachend. „Wenn Shane deine Krücken über Bord schmeißt, zimmert Ferris dir bestimmt keine neuen. Und dann stehst du ganz schön dumm da.“

Old Donegal sah mit verkniffener Miene zu Tucker und dem graubärtigen Riesen, der einmal der Schmied und Waffenmeister auf Arwenack Castle gewesen war. Und er befand, daß Dans Aussage zutreffen konnte. Deswegen drehte der Alte sich um, humpelte auf seinen Holzkrücken davon und suchte das Quarterdeck auf, um seine Sprüche bei dem Rudergänger Pete Ballie an den Mann zu bringen.

Auf der Kuhl der „Isabella“ fand die Wolke zunächst kaum Beachtung. Apathisch saßen und standen die Männer herum, ihre Bewegungen waren träge. Selbst Edwin Carberry saß auf dem vorderen Rand der Kuhlgräting und schaute so niedergeschlagen drein, daß man fürchten mußte, er würde nie wieder einen seiner entsetzlichen Flüche vom Stapel lassen.

Sir John, der karmesinrote Aracanga, hockte auf der linken, breiten Profosschulter und ließ den Kopf hängen. Auf diese Weise bezeugte er Solidarität, obwohl er genau wie Arwenack, der Bordaffe, keine Ahnung hatte, was das Gemüt der Crew so sehr beeinflußte.

Dumpf war die Stimmung. Schwül und beinah klebrig lastete die Luft auf dem Schiff und schien aufs Herz zu drücken. Dezember 1585 schrieb man, aber die „Isabella“ hatte vor kurzem erst den Äquator passiert, und das Klima war so feucht, warm, stickig, daß der Kutscher mit einem seiner Kombüsenlöffel darin rühren zu können glaubte.

Aber das war es nicht, was am Geist und an den Nerven der Seewölfe nagte. Sie hatten schon ganz andere klimatische Bedingungen ertragen und die Tropenhölle in allen Spielarten kennengelernt. Nein, das war es nicht. Es war die Langeweile, die ihnen zusetzte.

„Auf Südwestkurs quer durch den Indischen Ozean“, murmelte Profos Carberry. „Und seit Ceylon haben wir nichts mehr erlebt. O Mann, wie lange dauert das noch? Kein einziger müder Don, dem man die Jacke vollhauen kann, kein Piratenüberfall, nicht mal ein Wetter, das wir abzureiten haben, nur dieser Scheißtörn, der keine Ende nimmt. Hölle, Sir John, du kannst Gift darauf nehmen, ich lasse dich mit einer Kanonenkugel an den Beinen von der Rah fallen, wenn nicht bald was passiert. Sieh bloß zu, daß du Land gewinnst, du triefäugiger Geier.“

Sir John, den ja nun wirklich keine Schuld an dieser Misere traf, wandte den Kopf und knabberte zärtlich an Carberrys Ohrläppchen herum.

„Deck!“ rief Bill plötzlich aus dem Großmars. „Ich glaube, das ist gar keine richtige Wolke!“

Carberry erhob sich, Sir John flog auf und flatterte krächzend zur Großrah hoch. Die Männer hoben die Köpfe.

Der Profos holte tief Luft, dann legte er los: „Himmel, Arsch und Zwirn, da wird doch der Hering in der Pfanne verrückt! Bill, du Würstchen, du halbe Portion von einem Moses, wann lernst du es endlich, dich deutlich auszudrükken, wie sich das für einen guten Ausguck gehört? Enter ab, damit ich dir deine Hammelbeine langziehen kann, du Kakerlak!“

„Ich kann nicht …“

„Was?“ brüllte Carberry. „Du wagst es, dich den Anordnungen deines Profos’ zu widersetzen? Oh, du Himmelhund, ich setze dich mit dem nackten Hintern ins Kombüsenfeuer, wenn du nicht sofort parierst!“

Der Anflug eines Grinsens stahl sich in die Mienen der Männer auf der Kuhl. Ja, das war er wieder, der Profos, wie er leibte und lebte, ihr tausendmal verfluchter und doch so verehrter Ed Carberry mit der Stentorstimme, die Planken zittern und das Rigg schlottern ließ.

Eine Auseinandersetzung bahnte sich an, ein Streit sozusagen zwischen dem Büffel und der Maus, und allein der Dialog von der Kuhl zum Großmars war eine willkommene Abwechslung in dem allzu eintönigen Schiffsalltag.

„Sir“, stieß Bill verzweifelt aus. „Ich kann doch meinen Posten jetzt nicht verlassen!“

„Gary Andrews“, röhrte Carberry, „’rauf in den Hauptmars mit dir, den Ausguck ablösen!“

„Aye, aye“, sagte Gary – und konnte sich kaum ein Grinsen verkneifen.

„Ed“, sagte Smoky, der Decksälteste, der sich bei Carberry schon mal ein Wörtchen erlauben konnte. „Ich halte es für einen Fehler, Bill zu maßregeln. Er will sich nur keine Pflichtverletzung und grobe Fahrlässigkeit zuschulden kommen lassen …“

„Da!“ schrie Bill. „Sie rückt näher!“

Carberrys Stirn hatte sich in düstere Falten gelegt, seine Miene verkündete Unheil.

„Wer rückt näher?“ stieß er grollend hervor. „Die Wolke oder was?“

Zu weiteren Fragen oder Erörterungen blieb keine Zeit, denn die schwache Brise hatte die Erscheinung geradezu unheimlich schnell herangetragen, und aus dem „Gebilde“ hatten sich längliche Teilchen hervorkristallisiert, schwarz, klein, in etwa an Reiskörner erinnernd.

Ein Sirren erfüllte die Luft.

Old O’Flynn hatte das Ruderhaus auf dem Quarterdeck verlassen. Er beugte sich übers Steuerbordschanzkleid, sah, was sich da näherte, prallte zurück und bekreuzigte sich.

„Heiliger Strohsack“, stieß er aus. „Ich hab’s ja gesagt, wir kriegen noch Verdruß, das ist die Rache des Wassermanns – ich hab’s ja immer gesagt.“

Pete Ballie hatte den Kopf gedreht und gewahrte in diesem Augenblick, wie das Phänomen dunkel und drohend hinter dem Heck der „Isabella“ aufstieg. Das Sirren verdichtete sich zu einem Zischen, und Pete kriegte gerade noch einen würgenden Laut heraus.

Zweieinhalb Yards oberhalb des achteren Fensters des Ruderhauses war Big Old Shane an der Querbalustrade herumgefahren.

„Ein Sandsturm“, sagte er im ersten Entsetzen.

Ein Sandsturm – auf See?

Eine Wasserhose wäre wahrscheinlicher gewesen, aber die alarmierte Besatzung der „Isabella“ erkannte trotz ihrer Betroffenheit, daß es sich um alles andere als das handelte. Die Erscheinung war „trokken“, schien in der Luft zu knistern wie Elmsfeuer bei gewittriger Atmosphäre an Toppen und Nocken eines Segelschiffes – und jetzt hatte sie die „Isabella“ fast ganz ereilt.

Da war Leben in der Luft, quirlige, raschelnde, beängstigende Aktivität, und in einer reflexartigen Reaktion duckten sich die Männer, griffen Shane, Ferris Tucker, Pete Ballie, Carberry und einige andere zu den Waffen. Das Verhängnis tanzte über der See, ganz nah der Heckgalerie der Galeone, und es schien nichts zu geben, das das Schicksal von der „Isabella“ fernhielt, wie immer dies auch ausfallen mochte.

„Hölle und Teufel!“ rief Ben Brighton. „Was, in aller Welt, ist das bloß, Hasard?“

Der Seewolf erwiderte nichts. Er hatte sich an Deck gekauert und sich Shanes Bogen sowie den Köcher mit den Pfeilen genommen, die ganz in seiner Nähe vor dem Schanzkleid gelegen hatten. Ehe der graubärtige Riese oder sonst jemand an Bord zu einer ähnlichen Reaktion gelangen konnte, hatte Hasard mit Feuerstein und Feuerstahl Funken entfacht, die auf den ölgetränkten Lappen an der Spitze eines Pfeiles übersprangen.

Eine Flamme züngelte auf. Hasard hob den Brandpfeil, legte ihn in den Bogen und spannte die Sehne. Er wußte selbst nicht genau, was er sich davon versprach, wenn der Gluthauch durch die unselige Erscheinung fuhr, aber er wollte es wenigstens versuchen, sie mit Feuer zu teilen.

Dann geschah etwas Unerwartetes.

Die Wolke zerfiel ohne das Zutun des Seewolfs. Unzählige schwirrende Körper stürzten knapp hinter dem Heck der Galeone der See entgegen, nur ein geringer Teil schwang sich in taumelndem Flug über das Schanzkleid des Achterdecks weg und torkelte quer über Deck.

Hasard hielt den Pfeil immer noch an der gespannten Bogensehne fest. Er riß die Waffe hoch, und über seinem Kopf tauchte eins der Tiere in die Flamme.

Sir John, der Aracanga, ließ sich von der Großrah fallen. Im Sturzflug erhaschte er mit geöffnetem Schnabel eins der Flattertiere, raste flach über die Quarterdecksplanken weg, zog wieder hoch und hielt in einer Schleife fliegend nach weiteren Opfern Ausschau.

Arwenack, der Schimpanse, hockte neben dem fassungslosen Bill im Großmars und hielt sich mit beiden Vorderpfoten die Augen zu. Er stieß einen klagenden, fast heulenden Laut aus.

Auf der Kuhl hatten die Männer nach Handspaken und Belegnägeln gegriffen und hieben damit nach den heranzischenden Kreaturen, ja, der Kutscher war sogar mit einem Schwabberdweil aus der Kombüse aufgetaucht und hieb wild um sich. Unglücklicherweise traf er bei einem kühnen Rechtsschwenker Matt Davies’ Gesicht. Matt kippte hintenüber, setzte sich auf die Planken und spuckte und fluchte, weil er den Schwabber zwischen die Zähne gekriegt hatte.

Der einzige, der sich überhaupt nicht rührte, war Batuti. Der schwarze Herkules aus Gambia stand mit abgespreizten Beinen da, war bleich unter seiner dunklen Haut geworden und stammelte Unverständliches.

Auf dem Achterdeck hatte Hasard voll Widerwillen gespürt, wie das angesengte Tier auf seinen Kopf gefallen und von dort aus auf seine Schulter gerutscht war. Hasard ließ den Brandpfeil von der Sehne schwingen, schleuderte den Bogen von sich und schnippte sich das Opfer seiner Aktion mit einer raschen Fingerbewegung von der Schulter.

Er stand auf und lief zum Achterschanzkleid. Der Brandpfeil tauchte in die See.

Ganz oben auf dem leicht erhöhten Teil des Achterdecks standen Shane, Ferris, Ben und der junge O’Flynn. Sie hatten sich weit über die Reling gelehnt und blickten in die Tiefe.

Hasard hastete auf sie zu. Als sie beiseite rückten, konnte auch er in das Kielwasser der „Isabella“ sehen. Dort unten hatte sich der Schwarm, einem Teppich gleich, auf die sanften Wellen gelegt, und letzte zappelnde, zuckende Bewegungen der Tiere erstarben in diesem Moment. Das unheilvolle Phänomen blieb achteraus zurück.

Hasard drehte sich um, lief über die Backbordniedergänge auf die Kuhl hinunter und hob hier eins der Tiere auf. Sir John war auf den Planken gelandet und schickte sich an, die Unglückswürmer einzeln aufzupicken, aber der Profos packte den Vogel am Hals, zog ihn zu sich hoch und steckte ihn sich mit einem Fluch unter das Wams.

Ben Brighton war auch heran und musterte über Hasards Schulter das gelb und schwarz gemusterte Tier in den Fingern seines Kapitäns – zweifellos ein Insekt mit ausgeprägten Flügeln und Fühlern, einem gepanzerten Kopf und großen Augen.

„Was ist das?“ fragte der Seewolf. Demonstrativ hielt er den kleinen Kadaver hoch.

„Ganz einfach, ein Grashüpfer!“ rief Dan O’Flynn vom Niedergang. „Und deswegen haben wir soviel Wind gemacht.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Batuti, du müßtest es wissen.“

„Zahn des Windes“, stieß der Mann aus Gambia hervor.

„Was?“ sagte Carberry. „Fängst du jetzt auch an, zusammenhanglos herumzuquatschen? Seid ihr alle krank geworden? Herhören – ich sperre jeden von euch Pökelheringen für jeweils zwölf Stunden in die Vorpiek, wenn es auch nur noch einer wagt, irgendwas von sich zu geben, was nicht Hand und Fuß hat. Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“

„Zähne des Windes“, sagte der Seewolf. „So nennen die Eingeborenen Afrikas diese Tierchen, Ed. Als Geißel Allahs pflegen die Araber sie zu bezeichnen.“

Carberry schwieg, trat näher und beugte sich mit zerknirschter Miene über das Wesen in Hasards Hand. „Und wie sagen wir zu so was?“

„Wüstenheuschrecke, Ed.“

„Danke, Sir. Wie haben sich diese Viecher — diese Heuschrecken — bis zu uns verirren können?“

„Das kann ich dir im Moment auch nicht sagen.“

Der Kutscher hatte sich an dem offensichtlich völlig verwirrten Gambia Neger vorbeigeschoben und nahm die Heuschrecke nun ebenfalls in Augenschein.

„Ich habe mal gehört, daß man die Tiere in siedendem Öl backen kann“, sagte er. „Sie sollen dann so gut wie Krabben schmecken.“

„Wo hast du das gehört, Kutscher?“ fragte Carberry drohend.

„Ich kann mich nicht genau entsinnen …“

„Etwa im Reich der Mitte, wo sie Schlangen, Würmer, Nester, faule Eier und Hunde fressen?“

Bevor der Kutscher hierauf etwas entgegnen konnte, sagte der Seewolf: „Warum denn nicht? Kutscher, sammle die Heuschrecken ein und versuche dein Glück. Vielleicht stellen sie eine willkommene Abwechslung in unserer Bordküche dar.“

Er wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Augenblick rollte ein dumpfes Geräusch über See, das keiner weiteren Erläuterung bedurfte. Die Männer der „Isabella“ kannten es nur zu gut.

Kanonendonner.

2.

Behäbig hob und senkte sich der klobige Rumpf des einmastigen Schiffes in der Dünung vor dem Inselufer. Die mit Minjar-Grasmatten gedeckte Hütte, der offene Lehmherd am Bug und der leicht zum Vorsteven geneigte Mast wiesen den Segler unverkennbar als Baggala aus, als die omanische Form der Dhau.

Der schwere Stockanker war an seiner Trosse ausgerutscht, das Beiboot war ausgebracht und bemannt worden. Kapitän Abdrahman hatte selbst die Heckducht des Bootes eingenommen, um mit sechs abenteuerlichen Gestalten seiner Besatzung auf dem Eiland zu landen.

In der Spätnachmittagssonne nahm sich die Insel mit ihren weiten Sandstränden, ihren Palmenwipfeln und Mangroven wie der Inbegriff des Paradieses aus, aber Abdrahman und seine Begleiter hatten sehr schnell feststellen müssen, daß es eher die Umkehrung dessen war – zumindest für sie.

Sie hatten das Ufer fast erreicht und warteten schon darauf, daß sich der Bootsbug knirschend auf den Sandstrand schob, da brachen sie aus dem Gebüsch zwischen den Palmen- und Mangrovenstämmen hervor: gut zwei Dutzend schwarzer Gestalten, nackt bis auf Lendengurte, mit Messern, Speeren, Pfeil und Bogen sowie einfachen, bemalten Schilden bewaffnet.

Sie stimmten kein Geschrei an, schwärmten nur aus und hasteten in strategischer Formation auf das Boot zu. Es war eine fast gespenstische Szene in der nahenden Dämmerung.

Abdrahman erhob sich von der Heckducht. Ein wallender weinroter Kaftan umhüllte seine hagere Gestalt, er hob beide Hände und sah wie ein Prediger aus.

„Salam alai!“ rief er. „Friede sei mit euch! Wir sind gekommen, um mit euch zu verhandeln, nicht, um mit euch zu kämpfen. Allah akbar, Allah ist mächtig, Allah ist stark, er bestimmt unser Schicksal.“ Da er nicht sicher war, ob sie ihn verstanden, führte er die Handflächen vor der Brust zusammen und beugte sein Haupt in Demut und zum Zeichen der Friedfertigkeit.

Aber in den Gesichtern der wilden Inselbewohner zeigte sich keine Regung, die auf ein Begreifen hindeutete. Vielmehr waren diese Mienen von bedenklicher Starre, und während die muskulösen Gestalten auf dem leicht schimmernden Strand verharrten, hoben sich die Arme mit den Waffen.

„Wartet“, sagte Abdrahman zu seinen Rudergasten. „Ich steige aus und gehe zu ihnen. Sie werden es als Beweis unserer Harmlosigkeit werten, Inschallah, so hoffe ich jedenfalls.“

„Wartet“, erwiderte einer der bunt gekleideten, turbantragenden Männer. „Das ist zu gefährlich. Diese Kerle sind unberechenbar. Es macht ihnen nichts aus, einen Wehrlosen niederzustrecken.“

„Was für ein Narr du bist“, sagte Abdrahman abfällig. „Du begreifst nicht, daß auch diese simplen Menschen die gleichen Regungen verspüren wie wir, Furcht, Kummer und Hoffnung kennen und an eine überirdische Gerechtigkeit wie die Allahs glauben. Ich will mit ihnen sprechen und hören, ob sie etwas über Sajids Verbleib wissen.“

„Vielleicht haben sie ihn auf dem Gewissen“, sagte leise ein anderer Mann, während er unter dem Kaftan nach dem Krummsäbel tastete.

„Schweigt“, sagte Abdrahman. Er setzte einen Fuß aus dem Boot und tauchte mit diesem in das Flachwasser nahe des Ufers, wodurch das Boot ein wenig ins Schwanken geriet.

Im selben Augenblick flog der erste Speer. Einer der Schwarzen, ein hünenhafter Bursche, hatte ihn geschleudert. Er stieß einen Schrei aus, der wie ein Warnlaut klang. Dicht vor dem Bootsbug stach der Speer ins Wasser und blieb vertikal im Grund stecken, so daß der Schaft wie eine Mahnung aus dem Naß aufragte.

„Hört auf“, stieß der Kapitän der Dhau beschwörend hervor. Er zog das zweite Bein aus dem Boot, stand nun im Wasser und gestikulierte. „Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wir werden euch Geschenke übergeben, wunderbare Geschenke, wie ihr sie noch nie zuvor gesehen habt, wenn ihr mich nur aufnehmt und auf meine Fragen antwortet!“

Die wilden Männer standen in haßvollem Schweigen und senkten nicht ihre Waffen.

„Kehrt in das Boot zurück“, drängte ein dritter Mann der kleinen Besatzung den Kapitän. „Ihr richtet auf diese Weise ja doch nichts aus, Abdrahman.“

Abdrahman tat statt dessen noch einen watenden Schritt voran. An Mut mangelte es ihm nicht. Er war bereit, kühn bis vor die Barriere feindseliger Gestalten zu treten, und hoffte, die schwarzen Männer dadurch zu beeindrukken.

Aber wieder schickten die Bewohner der Insel eine tödliche Botschaft zu dem Boot herüber. Ein Pfeil schwirrte drüben von einer Bogensehne ab, beschrieb einen flachen Bogen durch die Luft und hätte Abdrahman zweifellos getroffen, wenn dieser nicht gedankenschnell ausgewichen wäre.

Abdrahmans Miene verfinsterte sich.

„Elende Hunde“, stieß er aus. „Verfluchte Giaur, wie könnt ihr mich derart beleidigen? Ich werde euch zeigen, welches die Sprache des Propheten ist, wenn er Zorn verspürt …“

Die Männer im Boot schrien auf und stießen Flüche aus, denn jetzt rückten die Eingeborenen in geschlossener Front vor und sandten einen Hagel von Pfeilen herüber.

Abdrahman kletterte in das Boot zurück. Er hatte seine Steinschloßpistole gezückt, spannte jetzt den Hahn und legte auf die Eingeborenen an. Während vier seiner Männer durch heftiges Pullen trachteten, das Boot in tieferes Wasser zu bugsieren und zu wenden, Distanz zwischen sich und die Wilden zu legen, zückten die beiden anderen ebenfalls ihre Schußwaffen und zielten auf die Horde an Land.

Einem dieser beiden steckte ein Pfeil plötzlich bis zum Schaft im Hals. Er röchelte, knickte in den Knien ein, sank nach hinten auf die Duchten zurück und feuerte doch noch seine Pistole ab. Donnernd brach der Schuß, er fuhr in den rötlich-düsteren Himmel hinauf und strich hoch über die Köpfe der heulenden Eingeborenen weg.

Abdrahman schoß, dann drückte auch der andere Schütze ab. Zwei Kugeln rasten auf die Wilden zu, die eine grub sich dem Hünen in die Schulter, der den Speer geschleudert hatte, und dies hatte zumindest zur Folge, daß die schwarzen Kerle stockten.

Die Araber pullten, so schnell sie konnten. Abdrahman ließ sich von den vier Rudergasten die Pistolen aushändigen und reichte zwei davon an den anderen Schützen weiter. Zwei Waffen hob er selbst, spannte mit dem linken und dem rechten Daumen die Hähne und betätigte die Abzüge. Funken sprühten, die Ladungen zündeten, die Pistolen bäumten sich in Abdrahmans Fäusten und denen seines Mitstreiters auf, Mündungsblitze zuckten zum Ufer. Ungeachtet des Pfeil-, Speer- und Messerhagels, der nun wieder einsetzte, verwendeten die Männer der Baggala, die „Daira“ hieß, ihr kleines Arsenal und hielten die Eingeborenen auf diese Weise von dem Boot fern.

Abdrahman war durch ein Messer am Arm verletzt. Er ließ sich auf der Heckducht nieder, krümmte sich ein wenig und kämpfte gegen die Schmerzen an. Er sah zu dem Mann, der den Pfeil im Hals stecken hatte. Für diesen armen Teufel erfolgte jede Hilfe zu spät. Seine Augen waren gebrochen, er lag unnatürlich verkrümmt und reglos.

Abdrahman konnte sich eines eisigen Schauers auf seinem Rücken nicht erwehren.

Die Männer hatten das Boot herumgebracht, pullten im Schweiß ihres Angesichts, und einer von ihnen rief: „Herr, seht doch, sie folgen uns!“

Abdrahman drehte sich halb um und spähte zur Insel zurück. Eine Verwünschung löste sich von seinen Lippen. Da schwamm ihnen ein Teil der Krieger doch tatsächlich mit dem Messer zwischen den Zähnen nach, und die restlichen Kerle waren zur Böschung oberhalb des Strandes zurückgelaufen, hatten schmale Auslegerboote aus dem Dickicht gezerrt und trugen sie jetzt zum Wasser.

Abdrahman fühlte, wie ihm das Blut heiß bis in die Schläfen hinauf pulsierte.

„Rasch“, sagte er zu seinen Männern. „Zur ‚Daira‘! Wir müssen an Bord zurück, sonst können Jussuf und die anderen nicht die Kanonen bedienen. Rasch!“

Schreie hallten von Bord der Baggala herüber. Jussuf, der die Funktion eines Steuermanns, Bootsmanns und der rechten Hand des Kapitäns auf dem Segler innehatte, feuerte die Landsleute an, verwünschte die angriffslustigen Wilden bis in alle Ewigkeit und brannte darauf, drei der sechs Bronzekanonen zum Einsatz zu bringen, die längst klar zum Gefecht standen.

Die restlichen zehn Mann der arabischen Bahari, der bunt zusammengewürfelten Mannschaft, standen in einer Reihe auf Oberdeck und hievten mit rhythmischem „Ai-am-less, Ai-am-less“ den Stockanker vom Grund der natürlichen Reede vor der Insel hoch.

Die Wilden hatten ihre Auslegerboote zu Wasser gebracht, sprangen hinein und tauchten ihre Stechpaddel ins Wasser. Sehr schnell hatten sie die Schwimmer eingeholt, nahmen einige von ihnen auf und jagten mit erschreckendem Tempo dem Boot der Araber nach.

Abdrahman hob die linke Hand und wies nach Backbord.

„Wir runden das Heck der ‚Daira‘“, sagte er mit heiserer Stimme. „Wir gehen an Backbord längsseits, sonst gelingt es Jussuf nie und nimmer, die Kanonen zu zünden.“

Er drückte mit der rechten Hand die Ruderpinne herum. Das Boot richtete seinen Vorsteven auf das Heck der Dhau, dann links daneben und glitt in das Kielwasser des einmastigen Schiffes.

Die Baharis setzten nun das spitze Dreieckssegel der Dhau, indem sie die einzige Rah am Mast hochhievten und dabei ihr kehliges „Musurekja-Mohamed“ ausstießen. Mit dem fächelnden, lauen Wind nahm das Schiff allmählich Fahrt auf und erhielt auch eine ruhigere Lage im Wasser, was für das Abfeuern der Steuerbordkanonen von Bedeutung war.

Das Beiboot befand sich unter dem Heckspiegel der Dhau, schwenkte wieder herum und hatte Mühe, in der Geschwindigkeit mitzuhalten.

Auf der Baggala stürzten die Baharis an die Geschütze, schürten Kohlefeuer an, brachten Lunten zum Glimmen und senkten sie auf die Bodenstücke der klotzigen bronzenen Kanonen.

Ein dreifacher Donnerhall zerriß die Luft der so idyllisch anmutenden Insel. Es zuckte schmutziggelb vor den Mündungen der Geschütze, und dann stoben die Kugeln – beachtlich gut gezielt – zwischen die Auslegerboote der Eingeborenen.

Ein Boot kippte um und entleerte seine schreiende Besatzung ins klare Seewasser. Ein anderes Gefährt wurde zerrissen, Trümmer wirbelten fast bis zum Strand zurück, und mitten zwischen den Überresten schlugen blutende Gestalten ins Wasser.

Die übrigen Auslegerboote fielen zurück – nur eins saß Abdrahman und seinen Männern noch im Nakken.

Unter den gellenden Rufen der Baharis pullten die sechs Araber auf die Backbordseite der Dhau zu, klammerten sich an rasch ausgebrachte Taue, hangelten an der Bordwand hoch und ließen das Boot mit dem Toten im Stich.

Von fanatischem, blindem Eifer getrieben, paddelten die schwarzen Krieger in dem Auslegerboot weiter und holten die langsame Dhau mühelos ein.

Abdrahman stand vor der Hütte neben Jussuf und übernahm selbst den Kolderstock, aber es hatte keinen Sinn, niemals konnte der Kapitän in einer derart schwachen Brise eine Halse fahren, die das Boot der Feinde vor die Mündungen seiner Backbordgeschütze brachte.

„Musketenfeuer!“ schrie Abdrahman.

Sofort stellten sich sechs Baharis mit vier altertümlich aussehenden Musketen und zwei noch vorsintflutlicher wirkenden Arkebusen an das Backbordschanzkleid. Sie legten die Waffenschäfte auf Gabelstöcke, zielten auf die herangleitenden Verteidiger der Insel und drückten ab. Die Luntenschlosse der Arkebusen brauchten etwas länger, um betätigt zu werden, dann, endlich, krachten auch sie.

Drei Wilde brachen getroffen in dem Auslegerboot zusammen, ehe sie ihre Speere schleudern oder ihre Bogen einsetzen konnten. Einer kippte aus dem Boot, die beiden anderen stürzten zwischen ihre Kameraden. Diese Burschen hielten es jetzt für richtiger, die Jagd abzubrechen. Sie fielen zurück, wendeten das Boot und paddelten an Land zurück. Voller Haß ließen sie ihre Pfeile, Messer und Speere auf das zurückgebliebene Beiboot das Dhau prasseln.

Abdrahman blickte von dem Platz hinter der Hütte seines Schiffes zu dem Boot zurück. Er sah, wie es auf den Wellen dümpelte, wie die Eingeborenen auf dem Strand landeten und ihre Toten und Verwundeten bargen. Sie stimmten ein Wehklagen an, das dem sonst so hartgesottenen Araber wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Abdrahman blickte nach vorn und stellte fest, daß das Lateinersegel seiner Baggala immer schlaffer wurde.

In seinem vokalreichen, schnellen Farsi, dem Dialekt der Landschaft um Schiras, sagte er zu Jussuf: „Jetzt schläft der Wind endgültig ein. Wir kommen nicht mehr voran. Bei Allah, wir sind dazu verdammt, vor dieser verfluchten Insel liegenzubleiben. Wir können uns nicht einmal unser Beiboot zurückholen. Die Schwarzen werden es bewachen – und sie werden mit allen Mitteln trachten, unsere ‚Daira‘ zu entern und uns alle niederzumetzeln. Wie lange reicht unsere Munition, wie lange können wir uns halten?“

Jussuf schwieg bestürzt, er wußte keine Antwort darauf.

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