Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 21»

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Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-247-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

1.

Nebeliggraue Schleier kündigten das Heraufziehen des neuen Tages an. Das schale Licht des Morgengrauens verlieh dem Himmel über der chilenischen Küste eisengrauen, matten Glanz. Der Wind stand von Westen und blies gegen den schwärzlichen Uferstreifen an, hinter dem sich bald der Feuerball der Sonne erheben würde.

Mit sattem Schmatzen schlugen die Wellen gegen die Bordwände der Segelpinasse, die in Sichtweite der Küste südwärts fuhr. Sie lag ziemlich tief. Bisweilen senkten sich Heck oder Bug so bedrohlich nach unten, daß Wasser übers Dollbord schwappte und Philip Hasard Killigrews Männer fast nasse Hintern kriegten.

Den Seewolf mitgerechnet, befanden sich zehn Männer an Bord. Darüber hinaus barg die Pinasse eine Ladung, die schwer wie ein Haufen Kanonenkugeln wog – mit dem Unterschied, daß sie weitaus wertvoller war und ganz bestimmt nicht in Waffenrohre gestopft werden würde. Pures Silber schleuderte man nicht zurück in des Feindes Rachen. Pures Silber würde Kapitän Francis Drake im Triumphzug zurück nach England segeln, zu Ehren und zum Nutzen der Lissy.

Es war der 22. Dezember 1578. In Chile herrschte nicht Winter, sondern Sommer, weil sie sich ja auf der unteren Halbkugel befanden. Ben Brighton, der die Wache übernommen hatte und ruhig wie immer am Ruder hockte, vergeudete einen flüchtigen, etwas wehmütigen Gedanken an die „Bloody Mary“, Nathaniel Plymons Spelunke in Plymouth. Sicherlich ging es dort so kurz vor Weihnachten hoch her. Die Kerle drängten sich vor der Theke, hoben ihre Humpen, schlugen einen Heidenspektakel, und Plymsons Perücke hing mal wieder schief.

Kapitän Drakes Männer war ein solches Vergnügen nicht vergönnt. Sie befanden sich auf großer Entdekkungs- und Kaperfahrt, hatten die Magellanstraße passiert und dem Teufel dabei wahrhaftig ein Ohr abgesegelt. Die höllische Fahrt hatte bis aufs äußerste an ihren Kraftreserven gezehrt – bis sie endlich die Insel Mocha und nun den 30. Breitengrad erreicht hatten.

Drake ankerte mit der „Golden Hind“ im Mündungsgebiet des Coquimbo. Philip Hasard Killigrew hatte den Auftrag erhalten, die Küste mit der Segelpinasse abzugrasen und nach dem Verbleib der „Elizabeth“ und der „Marygold“ zu forschen. Beide Schiffe hatten sie bei den Stürmen unten am Kap aus den Augen verloren. Doch immer noch hoffte Drake, sie hätten wie die „Golden Hind“ alles glimpflich überstanden und wären zum 30. Breitengrad gesegelt, der als Treffpunkt vereinbart war, falls der Verband auseinandergerissen wurde.

Ben Brightin grinste. „Bloody Mary“ oder nicht, dachte er, dieser vertrackte Törn trägt endlich auch seine Früchte. Zufrieden blickte er auf die Ladung, die da unter einem Stück Segeltuch versteckt lag: Silberbarren. Sie hatten sie den Dons abgeknöpft, ehe diese richtig begriffen hatten, was überhaupt los war. Das Maultier, das die Barren hatte tragen müssen, hatte sich über die unerwartete Erleichterung gewiß gefreut. Ben Brighton grinste bei diesem Gedanken von einem Ohr zum anderen.

In der ersten Nacht ihrer Küstenfahrt mit der Pinasse hatten sie in der Nähe der Landspitze Punta Lengua de Vaca – das bedeutete übersetzt „Kuhzungenspitze“ – ein spanisches Silberbergwerk entdeckt, in dem Indianer als Sklaven unter den höllischsten Bedingungen schufteten. Tausend Teufel hatten den Seewolf plötzlich geritten.

Für einige Zeit hatten sie ihren eigentlichen Auftrag vergessen und waren an Land gegangen. Hasard hatte gewußt, daß er hoch spielen und einiges riskieren konnte, denn mit ihm auf der Segelpinasse fuhren neun Männer, die außer einem zur alten „Isabella“-Crew zählten: Ben Brighton, Batuti, der riesige Gambia-Neger, Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, und das Bürschchen Dan O’Flynn, Gary Andrews und Blacky. Nur Richard Minivy, der zehnte Mann, ein Kleiderschrank von Kerl, stammte aus Drakes Mannschaft. Ein Schnelldenker war er nicht, doch er glänzte als hervorragender Ruderschlagmann.

An Waghalsigkeit mangelte es wahrhaftig nicht – nach den Ereignissen auf der Mocha-Insel und der bitteren Niederlage der Dons hatte sich an der chilenischen Küste rasch herumgesprochen, daß der berüchtigte „El Draque“ – Kapitän Drake – aufgetaucht sei und auch schon Beute geschlagen habe. Der Gouverneur in Lima hatte die einzelnen Häfen warnen lassen. Spanische Schiffe waren nach Süden ausgelaufen, um Drake abzufangen. Allgemein wurde angenommen, er würde durch die Magellanstraße wieder zurücksegeln. Bekannt war allenthalben, daß Drake mit den Indianer zusammenarbeitete, gegen die die Spanier sowieso einen ausgeprägten Haß hegten.

Unterdessen ankerte die „Golden Hind“ vor der Mündung des Coquimbo, doch in Anbetracht der brenzligen Lage hatte Drake dem Seewolf nur zwei Tage Zeit gewähren können, um die „Elizabeth“ und die „Marygold“ zu finden. Hasards Abstecher an Land hatte also flink abgewickelt werden müssen.

An der Küste hatten sie während der Nacht bereits die ersten Gegenmaßnahmen der Spanier bemerkt. Indianerdörfer wurden in Brand gesteckt, die Bewohner niedergemetzelt. Gewaltsam sollten die Menschen daran gehindert werden, Drake zu unterstützen. Hasard hatte kalte Wut gespürt, und die hatte ihm den letzten Auftrieb zu seinem Entschluß gegeben.

Sie hatten die Maultierkolonne überfallen, die die Barren von dem Bergwerk abtransportierte. Mit ihrer Silberlast hatten sie sich wieder zum Strand abgesetzt und waren in der Dunkelheit mit ihrer Pinasse nach Süden verschwunden.

Hasard und die Hälfte der Männer schliefen jetzt mehr schlecht als recht auf den Bodenbrettern unter den Duchten. Außer Ben hielten noch Batuti, Pete Ballie, Dan O’Flynn und Gary Andrews die Augen offen.

Dan spähte voraus und sichtete als erster, wie sich der düstere Küstenstreifen weiter in die See hinausschob. Ein Kap. Durch eine Gebärde bedeutete er Brighton, nach Steuerbord auszuweichen. Sie umsegelten das Kap. Außer dem Plätschern des Wassers und dem leisen Knattern des Tauwerks war nichts zu vernehmen. Es herrschte gleichsam Totenstille an Bord.

Dan stieß plötzlich einen leisen Pfiff aus.

Ben Brighton richtete sich auf der Ruderbank auf, und auch Batuti und die anderen wachen Männer strafften ihre Körper. Alle sahen nun, auf was Dan sie hingewiesen hatte.

Das Kap bildete die nördliche Spitze einer schlauchartigen Bucht. In dieser, dicht unter Land, erhob sich ein dunkler, schlanker Rumpf mit unbeleuchteten Aufbauten und Masten mit ausgegeiten Segeln.

„Hol’s der Teufel“, sagte Pete Ballie. „Eine Zweimastgaleone. Und was für ein schnittiger Kahn!“

„Ein Schnellsegler“, stellte Ben Brighton fest. Er blickte aus schmalen Augen zu dem Schiff hinüber und erkannte, daß es an seiner Steuerbordseite in Höhe der Kuhl vier Geschützluken zeigte. „Los, weckt den Seewolf und die anderen!“

Batuti versetzte Hasard einen leichten Stoß. Der war sofort wach, blinzelte und richtete die eisblauen Augen auf die Bucht. Pete Ballie und Gary Andrews rüttelten die anderen auf die rücksichtsvolle Art wach, die sie so an sich hatten. Blacky erhielt eine Ohrfeige, weil er nicht gleich schaltete. Fluchend zog er sich am Dollbord empor.

Hasard schaute an Dan O’Flynn vorüber. Sein Blick tastete die Umrisse der stolzen Galeone ab. Der Wind fuhr in seine schwarzen Haare und zerzauste sie. Er reckte sich, wandte sich um und zeigte den achtern sitzenden Männern seine große, breitschultrige Gestalt. Plötzlich legte er seine weißen Zahnreihen frei.

„Also, was haltet ihr von dem Pott?“

„Alles andere als ein müder Waschzuber“, entgegnete Ben Brighton gelassen.

„Ein verdammter Don“, gab Blacky seinen Senf dazu.

„Kurzum, es würde sich schon lohnen, ihn zu entern“, verkündete das Bürschchen O’Flynn fröhlich in Hasards Rücken.

Ohne den Kopf zu wenden, sagte der Seewolf: „Habe ich das Wort Entern gehört? Na schön, wenn ihr so versessen darauf seid, den Spaß will ich euch nicht nehmen. Ben, nimm Kurs auf den Don. Ihr anderen, macht euch bereit!“

Sie umrundeten das Kap und gingen vor den Westwind. Brighton bugsierte die Pinasse sicher in die Bucht. Philip Hasard Killigrew stieß seine Kommandos halblaut aus. Er ließ wieder anluven, dann steuerten sie am Wind von achtern an die Galeone heran.

Noch regte sich nichts an Bord des Schiffes, noch hatte sie niemand bemerkt. Dan O’Flynn richtete sich in seinem Ausguck am Bug der Pinasse auf, so hoch es ging. Im Osten schob sich die Sonne hinter bizarren Bergkuppen hoch und schickte ihre Strahlen aus. Dan deckte die, Augen schützend mit der Rechen ab. Angestrengt hielt er Ausschau.

„Ein Landesteg aus Holz“, meldete er plötzlich. „Ein Beiboot ist dran vertäut.“ Hasard grinste. „Aha. Und was siehst du sonst noch?“

„Nichts außer einem Pfad, der zwischen Felsen und Steilküste ins Innere des Landes führt.“

Hasard ließ sich von Dan den Kieker aushändigen. Aufmerksam schaute er hindurch und suchte das Oberdeck der Galeone ab. Kein Mensch ließ sich sehen. Hasards Blick wanderte weiter nach vorn, auf die Back, über Bugspriet und Klüverbaum hinweg, dann zurück bis an die Bordwand, wo er den Namen des stolzen Spaniers erkennen konnte. „Valparaiso“ hieß er.

„In den Wind gehen, Ben“, sagte der Seewolf zu seinem Bootsmann.

Die Segelpinasse drehte und lief querab vor der Steuerbordseite der „Valparaiso“ aus, bis die Heckgalerie erreicht war. An Bord der Pinasse setzte rege Tätigkeit ein. Stenmark, Batuti und Pete Ballie warfen die Leinen aus und machten fest. Gary Andrews, Blacky und Richard Minivy geiten das Segel auf.

Matt Davies, Dan O’Flynn und Hasard nahmen am Bug Aufstellung und ließen die Enterhaken an ihren Tampen über ihre Köpfe wirbeln. Surrende Geräusche entstanden. Hasard ließ seinen Haken emporschwingen. Er krallte sich mit seinen eisernen Spitzen hinter einem hölzernen Wulst fest, der die Achtergalerie umspannte.

Dan und Matt hatten nach einigen Versuchen auch Erfolg. Hasard hangelte als erster nach oben. Auf dem Wulst angelangt, verlagerte er die Position der Haken, indem er sie hinter das Schanzkleid klemmte und ihnen so mehr Halt verschaffte. Männer wie Batuti oder Blacky Wogen mehr als Hasard, und er wollte auf keinen Fall riskieren, daß einer von ihnen zurück auf das Deck der Pinasse krachte.

Er gab den gespannt Wartenden ein Zeichen.

Sie kletterten einzeln an den Tauen hoch und hatten die Entermesser und Dolche zwischen die Zähne geklemmt. Dan O’Flynn bewegte sich wie ein Affe nach oben. Er hätte es ohne weiteres mit Arwenack, dem Schimpansenjungen, aufnehmen können.

Nachdem Ben Brighton, Batuti und Stenmark die Achtergalerie hochgeentert waren und neben ihm kauerten, riskierte Hasard einen ersten Blick über das Schanzkleid. Er hatte sich mit einem Kurzsäbel bewaffnet, den er jetzt in der rechten Faust hielt, bereit, es gleich mit einer ganzen Handvoll Dons aufzunehmen.

Das Achterdeck der Galeone war wie leergefegt. Er ließ den Blick wandern, sah den Besanmast in voller Größe, entdeckte das herrenlose Steuerrad und nichts als verlassene Planken. Er runzelte die Stirn. Was war das? Ein „Geisterschiff“?

Er drehte sich zu Ben Brighton, Batuti und den anderen um, die inzwischen den hölzernen Wulst erklommen hatten. Unter ihnen hob und senkte sich die leere Segelpinasse auf den flachen Wellen, ihr Baum schwankte leicht hin und her. Nur noch Ballie und Minivy turnten an den Tauen herum.

„Fertig?“ fragte Hasard leise.

„Aye, aye, Sir.“ Der Neger antwortete für alle.

„Dann nichts wie ran an den Feind.“ Hasard ließ sich als erster über die Brüstung des Schanzkleides gleiten. Er kam lautlos auf, duckte sich und schlich an der Backbordseite über die Poop weg. Hinter der Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Decks auf dem Achterkastell bildete, schob er sich langsam wieder hoch.

Die „Valparaiso“ war doch nicht ganz und gar verlassen.

Auf der Kuhl hockte ein Mann.

Batuti arbeitete sich auf Händen und Füßen an Hasard heran. Er hielt seinen Dolch immer noch zwischen den Zähnen, seine Augen funkelten. Ben Brighton folgte ihm dichtauf, dann kamen die anderen. Dan bewegte sich wie ein Wiesel. Er überholte Pete Ballie und Matt Davies und befand sich neben Batuti, als dieser den Seewolf erreichte.

Hasard sagte gar nichts, er wies nur grinsend über die Schmuckbalustrade.

Dan O’Flynn musterte interessiert den hockenden Mann. Er saß mit dem Rükken zum Großmast und hatte sich dem Achterkastell zugewandt. Sein Gesicht konnte man nicht sehen, denn er hatte den Kopf auf die Knie gesenkt und die Arme davor verschränkt.

„Der pennt“, tuschelte Dan respektlos. „Sollen wir ihm ein Messer zwischen die Rippen setzen?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Ich möchte, daß er weiterschläft.“

„Verstehe.“ Dan glitt hinter Batuti her. Der pirschte bereits die Stufen des nächsten Niedergangs hinunter. Dan holte ihn ein, gelangte an eine Luke und bückte sich nach den dort aufgereihten Koffeynägeln. Er zog einen hervor und warf ihn Batuti zu.

Geschickt fing der Neger ihn auf. Im nächsten Moment war er neben dem sorglos schlummernden Don. Batuti schnitt eine gespielt bedauernde Miene, holte aus und ließ den hölzernen Belegnagel auf den Schädel des Mannes niederkrachen.

Der zuckte ein bißchen zusammen und hob die Arme an. Danach stieß er einen Seufzer aus, kippte auf die linke Körperseite – und schlief tatsächlich weiter, wie der Seewolf es gewollt hatte. Dan ließ ein unterdrücktes Lachen hören.

Hasard sprang vor den übrigen Männern den Backbord-Niedergang hinunter. Durch Gesten gab er ihnen zu verstehen, wie sie vorzugehen hatten. Er selbst nahm sich mit Batuti, Dan, Brighton und Richard Minivy das Achterkastell vor. Die anderen schwärmten zum Vorschiff hin aus.

Hasard nahm mit pantherhaften Sätzen einen Niedergang, der in die ersten Kammern des Achterdecks hinabführte. Er stieß Türen auf, untersuchte Kojen und schaute nach, ob eventuell jemand daruntergekrochen war. Schließlich geriet er in die Kapitänskammer. Sie war ebenfalls leer.

Hinter seinem breiten Rücken drängten sich Batuti, Ben und die anderen beiden.

„He“, sagte Dan plötzlich. „Hört ihr das nicht? Das kommt vom Oberdeck.“

Der Seewolf fuhr herum. Oben war wirklich Gepolter zu hören, irgend jemand fluchte, was das Zeug hielt. Die fünf kehrten an den Niedergang zurück und hasteten nach oben.

Stenmark, der große blonde Schwede, schleppte einen zappelnden Mann heran. Pete Ballie, Matt Davies, Gary Andrews waren im Hintergrund zu sehen, sie hatten sich auf Vorkastell und Back verteilt.

„Noch so ein Bursche wie der, den wir schlafengelegt haben“, bemerkte Stenmark. Er hielt seine Hand, groß wie eine Bratpfanne, auf den Mund des Gefangenen gepreßt und schleifte ihn zu Hasard hinüber. „Sieh bloß mal, was der für einen Aufstand macht.“

„Auch Don“, stellte Batuti fest.

Stenmark blieb vor dem Seewolf stehen. Seine Hände hielten den Spanier wie Eisenklammern. Auf Hasards Wink hin gab der Schwede den Mund des Mannes frei.

„Wie viele Männer halten sich noch an Bord auf?“ erkundigte sich Hasard auf spanisch. „Rede!“

„Ninguno.“ Der Mann zitterte vor Angst und hatte jetzt jeglichen Widerstand aufgegeben. „Niemand.“

„Er lügt“, sagte Pete Ballie. Er nahm eine drohende Haltung ein. Der Spanier schien buchstäblich in sich zusammenzuschrumpfen. Hasard verzichtete darauf, ihn weiter zu vernehmen. Er ließ ihn wie ein Paket zusammenschnüren und zu dem anderen legen. Der schlief zwar nach wie vor tief und sorglos, wurde aber ebenfalls gefesselt. Hasards Männer schwärmten wieder aus, um den Rest der Galeone zu durchsuchen.

Wenig später steckte Blacky den Kopf aus einer Luke. „Der Frachtraum ist bis obenhin voll mit Pulverfässern. So, wie die Stapel aussehen, kommt es mir aber vor, als fehlten bereits einige.“

„Warte auf mich“, sagte Hasard. „Ich komme selbst runter und sehe mir das an.“

„Aye, aye, Sir.“

Philip Hasard Killigrew kletterte in den Bauch des Schiffes hinunter. Er benutzte einen Niedergang unterhalb der Kombüse, als er Gebrüll vernahm. Es klang dumpf, aber sehr nah, und schien aus dem vordersten Bereich des Vorschiffes zu dringen. Blackys mächtige Gestalt schob sich aus dem düsteren Gang, der sich vor ihm erstreckte. Er zeigte eine fragende Miene. „Was ist denn da los?“

„Wenn ich das wüßte. Los, laufen wir erstmal wieder nach oben.“

Sie waren kaum wieder auf dem Oberdeck, als Ben Brighton auftauchte. Ein ziemlich ratloser Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Das Rumoren war mit unverminderter Stärke zu vernehmen.

„Da unten schlägt einer Rabatz“, sagte Ben. „Er steckt in der Piek, wo sich auch der Raum für die Ankertrosse befinden muß. Die Piek ist abgeschlossen, und da hab ich gedacht, bevor ich sie aufbreche ...“

„Ist schon in Ordnung.“ Hasard schloß sich ihm an. Gemeinsam suchten sie den Bereich unter dem Vordeck auf. „Wir fragen ihn jetzt ganz höflich, was er auf dem Herzen hat“, meinte Hasard unterwegs.

Die Vorpiek war so etwas wie der Eingang zur Hölle, ein finsteres und muffiges Loch im untersten Bugraum, in dem sich alle Gerüche sammeln, die selbst dem grimmigsten Kerl den Magen umdrehen können. Hasard selbst hatte schon Bekanntschaft mit der Vorpiek der „Marygold“ gemacht, stinkiges Bilgewasser schlucken müssen, und seine ganze aufgestaute Wut gegen Carberry, den Profos, in die Jauche gespuckt, bevor dieser ihn endlich anerkannt hatte.

Als er vor dem hölzernen Querschott stand, das die Piek der „Valparaiso“ abschloß, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie dem Mann dort drinnen zumute sein mochte. In dem Höllenloch war schon so mancher aufsässige Bursche weichgeklopft worden.

Der Gefangene tobte und brüllte. Er fluchte auf spanisch und hatte Ausdrükke auf Lager, die einfach nicht versiegten und von denen „Vayase al diablo“ – „geht alle zum Teufel“ – noch einer der gelindesten war.

„Caballero!“ rief Hasard.

Das Stakkato von Flüchen verstummte mit einem Schlag. Hasard malte sich aus, wie der Mann dahockte – verschwitzt, schwer atmend, einen gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht.

„Caballero, oiga me“, sagte er laut. „Hör mir gut zu!“

Der Gefangene rasselte mit den Ketten, an die man ihn gefesselt hatte, gab jedoch keine Antwort.

„Wer bist du?“ fragte der Seewolf auf spanisch.

Endlich erwiderte die zornige, grollende Stimme: „Von Hutten, Hölle und Teufel noch mal! Hier sitzt Karl von Hutten, der von den gottverdammten Spaniern, diesen räudigen Söhnen verlauster alter Hafenhuren, gefangengenommen wurde. Und wer, beim Satan, bist du?“

„Bestimmt nicht der König von Spanien.“

„Sondern? Der Klabautermann, wie?“

„Du machst mir Spaß, von Hutten.“

„In einer prunkvollen Kammer wie dieser hier verlernt man den Humor weiß Gott nicht.“

„Wir wollen dich befreien.“

Von Huttens Stimme dröhnte: „Dann, zum Henker, wartet nicht länger und öffnete endlich das verfluchte Schott. Ich bin ganz versessen darauf, eure Gesichter kennenzulernen und eine Nase voll frischer Luft zu genießen.“

Hasard lächelte. „Geh in Deckung, amigo. Wir müssen das Schott aufbrechen.“ „Nicht nötig“, sagte der Mann. „Pablo, dieser dreckige Bastard, hat den Schlüssel zur Piek und für die verdammten Ketten.“

„Pablo?“

„Der Kerl, den ihr, wenn ich mich nicht verhört habe, vor ein paar Minuten geschnappt und aufs Oberdeck gebracht habt.“

„Ist gut“, entgegnete der Seewolf. Er wandte sich um. Ben Brighton, Blacky, Stenmark, Batuti und Dan O’Flynn hatten sich genähert, die übrigen stießen durch den Niedergang nach. „Also“, sagte Hasard. „Ihr habt doch verstanden, oder?“

„Aye, aye. Wir Pablo holen.“ Batuti kehrte um und lief nach oben. Ben folgte ihm auf dem Fuß. Kurz darauf kehrten sie mit dem Spanier zurück. Er war so prächtig verpackt worden, daß er nicht einmal den kleinen Finger bewegen konnte. Zwischen seinen Lippen schaute ein zum Knäuel zusammengeballter bunter Lappen hervor.

Ben nahm ihm den Knebel ab.

„Hör gut zu, Pablo“, sagte Hasard zu ihm. „Meine Männer könnten dich ein paarmal kräftig durchkneten und dann auf den Kopf stellen, es würden bestimmt ein paar Schlüssel herausfallen. Habe ich recht?“

Pablo nickte hastig.

„Du könntest aber auch gleich reden und dir eine Menge Ärger und Gliederreißen ersparen. Also: Wo stecken die Schlüssel?“

„Unterm Hemd. Auf meiner Brust“, gestand der angstschlotternde Don.

Ben Brighton schaute nach. Er zerrte tatsächlich einen kleinen Rohlederbeutel aus dem Hemdausschnitt des Mannes hervor. Ein dünner Lederriemen hielt ihn am Hals Pablos. Mit verdrossenem Gesicht zückte Batuti seinen Dolch. Er ging zu Pablo, und der ließ vor Grauen einen erstickten Schrei vernehmen. Brummend durchtrennte Batuti den Lederriemen. Als er fortrückte, gab der Spanier einen Laut der Erleichterung von sich. Ben gab ihm wieder den Knebel zu schmecken.

Hasard nahm den Lederbeutel in Empfang, öffnete ihn und holte ein Schlüsselbund heraus. Rasch hatte er den für das Schott passenden gefunden. Er riegelte auf. Das Schott knarrte in angerosteten Eisenangeln Hasard begab sich gebückt in die Piek. Seine Männer lugten neugierig hinein.

Vor ihnen erhob sich ein bärtiger, abgemagerter Mann. Seine dunkle, ledrige Haut spannte sich über groben Gesichtsknochen und deutete Höhlungen an. Tiefe Ränder zeichneten sich unter seinen dunklen Augen ab. Er war ein gemarteter Mann, nicht, weil man ihn körperlich halb zu Tode gepeinigt hatte, sondern ihm das Essen seit so langer Zeit entzogen hatte, daß er beinahe verhungert war. Seine hageren Gliedmaßen steckten in zerlumpter Kleidung. Er war groß, hatte breite Schultern, blonde Haare und wirkte wegen der schattigen Tönung seiner Haut irgendwie fremdartig. Dennoch war ihm anzusehen, daß er europäischer Abstammung war. Sein Gesicht wies regelmäßige Züge auf, die jetzt lediglich stark verzerrt waren. Er mochte Anfang der Dreißig sein, sah aber um einiges älter aus.

„Danke“, sagte er. „Bei Gott, ich wäre in diesem stinkenden Loch umgekommen, wenn ihr nicht ... wer seid ihr eigentlich?“

„Philip Hasard Killigrew und neun Männer von der ‚Golden Hind‘.“

„Engländer?“

„Ja, Engländer.“

„Das gibt es nicht – in diesem Land! Chile wird von den verfluchten Spaniern beherrscht, und kein Engländer hat in all diesen Jahren auch nur einen Fuß hier an Land gesetzt, geschweige denn, ein Schiff wie dieses geentert.“ Er schaute sie verblüfft an und bewegte die Arme, so daß die Ketten wieder klirrten. „Ich kann es einfach nicht glauben.“

„Er hält uns für Gespenster“, sagte Ben Brighton.

„Das ist ein schlechtes Omen“, murmelte Matt Davies düster.

Pete Ballie hielt ihm unversehens die Faust unter die Nase und schob sie so weit hoch, daß seine Knöchel die aufgeblähten Flügel von Matts Nase berührten. „Fängst du jetzt auch mit dem blöden Quatsch an?“

„Pete, ich ...“

„Hört auf“, sagte der Seewolf. „Karl von Hutten, ich möchte erfahren, wie und warum du auf dieses Schiff gekommen bist.“

„Matt Davies redet dummes Zeug daher wie Mac Pellew, der abergläubische Narr“, sagte Pete maulend. „Ich kann’s einfach nicht mehr mitanhören. Wenn ich dann auch noch an Francis Fletcher mit seinen weisen Bibelsprüchen denke ...“

Ein Blick Hasards brachte ihn zum Verstummen. Karl von Hutten räusperte sich laut und hob die Ketten so, daß sie rasselten. „Könnt ihr mich nicht erstmal von den Eisenmanschetten befreien?“

Der Seewolf benutzte den anderen Schlüssel von Pablos Bund. Knarrend fielen die Ketten zu Boden. Von Hutten rieb sich die Bein- und Armgelenke, versetzte seinen metallenen Fesseln noch einen erbosten Tritt und trat dann zu den Männern, um seine Geschichte zu erzählen.

„Eigentlich bin ich Deutscher“, begann er. „Der Sohn Philipp von Huttens und einer indianischen Häuptlingstochter. Ich weiß nicht, ob ihr euch auskennt, was die Belange meiner Familie betrifft.“

„Kaum“, gab Ben Brighton zu.

„Es wäre wohl auch zuviel verlangt.“ Karl blickte von einem zu anderen, dann fuhr er fort. „Mein Vater war der Generalkapitän und Gouverneur von Venezuela, einer Kolonie des deutschen Handelshauses der Welser. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, denn ein halbes Jahr vor meiner Geburt geschah das Schreckliche: mein Vater wurde zusammen mit Barthel Welser, einem Sproß der Welser aus Augsburg, von den Spaniern ermordet. Das war 1556. Venezuela ging wieder in den Besitz der Spanier über. Ein Jahr verging, und die elenden Hurensöhne ermordeten auch meine arme Mutter. Eine indianische Amme brachte mich zum Stamm, dem sie angehört hatte. Eine Zeitlang durfte ich in Frieden leben, doch dann erschienen wieder die Spanier und rotteten den Stamm aus. Ich überlebte das Massaker wie durch ein Wunder. Seit ich denken kann, kämpfe ich auf Seiten der Indianer gegen die Spanier.“ Er legte eine kleine Pause ein, doch niemand ergriff das Wort. Hasard musterte ihn mit seinen eisblauen Augen, ohne eine Miene zu verziehen. Die neun Männer schauten von Hutten in einer Mischung aus Spannung, Mißtrauen und Erschütterung an.

„Ich muß allerdings hinzufügen, daß ich von meinem zehnten bis siebzehnten Lebensjahr in einem spanischen Kloster gewesen und von Mönchen unterrichtet worden bin“, erklärte er nun. „Schließlich gelang mir eine lange geplante Flucht. Ich erlebte Schreckliches, schier Unglaubliches, aber ich will das alles nicht schildern. Ich würde euch langweilen. Ich konnte mich bis zu den Araukanern durchschlagen. Bei einem Gefecht, das östlich von Valparaiso stattfand, wurde ich am Kopf verwundet. Die Spanier nahmen mich gefangen und führten mich auf dieses Schiff. In der Piek durfte ich schmachten und auf meinen Prozeß warten. Man wollte mich nach Lima bringen. Vor ein Gericht. Könnt ihr euch vorstellen, was mir blüht?“

„Nichts weniger als der Tod“, sagte Hasard.

„So ist es. Ihr habt mir das Leben gerettet.“

„Das freut mich. Du hast uns eine ziemlich wilde Geschichte erzählt, aber sie erscheint mir glaubhaft.“

„Sie ist wahr. Ich schwöre es.“

Hasard blickte ihm ernst in die Augen. „Wir sind Drakes Männer, wir haben mit ihm die Magellanstraße durchfahren und sind auf der Insel Mocha gelandet. Wir haben die Dons schädigen können, aber jetzt sind sie hinter uns her. Wir können dich an Land bringen.“

„An Land? Ich meine – wie komme ich dort weiter? Wohin kann ich noch gehen?“

„Du kannst auch bei uns bleiben. Ganz wie es dir gefällt.“

Karl von Hutten ballte die Rechte zur Faust und schlug damit in die geöffnete linke Hand, daß es klatschte. „Teufel auch, Killigrew! Du glaubst, ich habe nichts von den tollkühnen Unternehmungen des ‚El Draque‘ gehört? Mann, die sind doch so etwas wie eine Legende. Jedesmal, wenn ich einen Bericht über die Kaperfahrten aufgeschnappt habe, die er gegen die Spanier geführt hat, habe ich ihm Glück und Erfolg gewünscht. Und da fragst du noch, wofür ich mich entscheide?“

Hasard verschränkte die Arme und erkundigte sich förmlich: „Wie lautet also dein Entschluß?“

Karl streckte die Hand aus. „So wahr ich von Hutten heiße, ich will bei euch bleiben, mit euch kämpfen, so gut ich kann – bis ich von einer Kanonenkugel zerfetzt, einer Musketenladung durchbohrt oder einer Säbelklinge aufgeschlitzt werde. Nimm meine Rechte an, Killigrew, sie gehört einem ehrlichen, wenn auch im Augenblick etwas verkommenen Mann.“

Philip Hasard Killigrew ergriff die ihm dargebotene Hand. Er drückte sie und grinste plötzlich verwegen. Dan O’Flynn stellte sich dicht neben von Hutten und versetzte in der ihm eigenen vorlauten Art: „Übrigens, wir nennen ihn den Seewolf, unseren Kapitän Killigrew.“

Von Hutten hielt die Hand immer noch fest und betrachtete Hasard ungeniert von oben bis unten. „Jetzt kapier ich. Über den Seewolf gehen ja auch die tollsten Geschichten reihum. Nur einer Mannschaft wie euch konnte es gelingen, einfach so mir nichts, dir nichts die ‚Valparaiso‘ zu entern. Gratuliere! Das geht noch in die Geschichte ein!“

„Na, na“, sagte Hasard. „Nun übertreibe mal nicht. Los, wir schauen uns die Kombüse an. Hoffentlich haben die Dons ihren Koch darauf getrimmt, immer gute Vorräte zu halten.“

Karl von Hutten tat ein paar unsichere Schritte auf den Niedergang zu und knickte dann jählings in den Knien ein. Hasard und Ben Brighton fingen ihn auf. Das tagelange Schmachten in der Piek hatte gehörig an den Energien des Mannes gezehrt. Er wollte nicht zugeben, daß er sich schlecht auf den Beinen hielt und ihm rundum miserabel zumute war.

„Laßt mich los“, sagte er. „Bin doch kein Wickelkind.“

Sie taten ihm den Gefallen, und prompt strauchelte er auf den Stufen. Es polterte gehörig. Er rutschte ihnen wieder ein Stück entgegen, fluchte, rappelte sich auf und stützte sich ab. Dann mußte er es sich doch gefallen lassen, daß sie ihm unter die Arme griffen und ihn auf das Oberdeck beförderten.

Gemeinsam marschierte die elfköpfige Mannschaft über die Kuhl. Pablo wurde wieder zu seinem Kameraden an den Großmast gelegt. Der Mann schlief immer noch. Hasard ließ Karl von Hutten los und gab dessen linken Arm an Batuti ab. Er schritt auf das Kombüsenschott zu und öffnete es.

Was er im Halbdunkel des Raumes entdeckte, entlockte ihm einen Pfiff. „Dreimal dürft ihr raten, was es hier zu kauen gibt, Männer.“

Matt Davies verzog den Mund. „Bestimmt schimmeligen Schiffszwieback, total versalzenes Pökelfleisch und schlabberiges Dünnbier. Er will uns auf den Arm nehmen, Jungs.“

Dan drängelte sich durch und nahm die Kombüse selbst in Augenschein. „He!“ rief er. „Laß dich doch nicht ins Bockshorn jagen, Matt. Seht euch das an: Schinken, Würste, Frischfleisch, Hühner, Eier, Salat und anderes Grünzeug – alles, was das Herz begehrt! Und, wenn mich nicht alles täuscht, spanischer Rotwein!“

Karl von Hutten stöhnte auf. Batuti und Ben Brighton dirigierten ihn in die Kombüse.

„Du immer Hunger wie Gorilla, kleines O’Flynn“, sagte Batuti. „Aber Karl Kohldampf wie zehn Gorillas.“

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