Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 251»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-587-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Kabil, dem fünfzehnjährigen Jungen vom Stamme der marokkanischen Shilh, war es schlecht ergangen, seit er bei El Mansûra von der Dhau des Flußpiraten Bibar Shebin hatte fliehen können. Zwar war er in der Dunkelheit nach dem Gefecht dem dicken Rufael und dessen vier Begleitern entwischt, doch das Versteckspiel mit seinen Häschern hatte ihn derart in Anspruch genommen, daß er die nilaufwärts davonsegelnde „Isabella VIII.“ des Philip Hasard Killigrew nicht mehr hatte einholen können.

So war er nach Süden gewandert, arm, brotlos und ohne die Aussicht, sich ein Reittier zu beschaffen. Nicht einmal El Mahalla hatte er auf diese beschwerliche Weise erreicht, von El Qâhira ganz zu schweigen. Schon am zweiten Tag nach jenem denkwürdigen Gefecht zwischen den Seewölfen und den Sarazenen des Bibar Shebin hatte man ihn wieder aufgegriffen.

Es war aber nicht der Gaffir Rufael, der ihn dieses Mal erwischte – der hatte die Suche nun wirklich aufgegeben und war mit seinen Fellachen in die sattgrünen Niederungen des Deltas zurückgekehrt, wo er sich von den durchstandenen Strapazen zu erholen gedachte. Nein, diesmal waren es Beduinen, die Kabil aufgriffen und verschleppten, eine ganze Horde von wilden, bewaffneten Kerlen auf Pferden und Dromedaren.

Zusammen mit anderen Sklaven brachten sie ihn nach El Faiyûm. Hier wurde er auf dem Bazar meistbietend verkauft, und eine Karawane vom Kamelhändlern nahm ihn mit, immer tiefer in die Wüste hinein, immer weiter nach Süden. Während einer Rast in einer Oase versuchte er zu fliehen, doch sein Unternehmen mißlang, und so wurde er für seine Tat mit zwanzig Peitschenhieben bestraft.

In El Minya schließlich, wieder am Nil, veräußerten ihn die Beduinen wie einen großen Sack voll Mais oder Weizen – natürlich mit Gewinn. Sabr Chamal war Kabils neuer Herr. Er brachte ihn in ein Dorf auf der anderen Seite des Stromes, das ganz in der Nähe von Tell el Amarna lag, wo – so hatte Kabil dem Vernehmen nach erfahren – irgendein bedeutendes Königsgrab der Ägypter stehen sollte.

Aber Kabil kriegte ihn nie zu sehen, diesen Totentempel, denn er mußte von früh bis spät arbeiten und durfte nicht einmal seinen Herrn zum Einkaufen ins Dorf begleiten.

Sabr Chamal war ein wohlhabender Mann, der sich nach bestem Können mit den türkischen Machthabern arrangierte, doch mehr als einen Sklaven im Haushalt konnte selbst er sich nicht leisten. So mußte Kabil alle Tätigkeiten verrichten, auch das Kochen und das Waschen zählten dazu. Abends fiel er völlig erschöpft auf sein Lager und schlief sofort ein.

Fausia hingegen, Sabr Chamals Frau, rührte den ganzen Tag über keinen Finger. Sie ruhte sich ständig auf ihrem Kissenlager aus und hing ihren sehr eindeutigen Gedanken nach, die sich alle nur um eine bestimmte Art des Zeitvertreibs drehten.

Hin und wieder, wenn Sabr für einen ganzen Tag fort war, empfing sie einen ihrer Geliebten in ihren Gemächern. Kabil durfte weder sehen noch hören, was vorging, er mußte schweigen, sonst war ihm die Peitsche sicher.

In der jüngsten Zeit hatte Fausia auch versucht, sich an ihn heranzupirschen, doch es war ihm gelungen, ihr immer wieder geschickt auszuweichen. Kabil wollte sich weder mit diesem mannstollen Weibsbild einlassen, noch hatte er vor, Sabr mißtrauisch zu stimmen oder sich gar von diesem ertappen zu lassen. Das hätte ihm mit Sicherheit ebenfalls Hiebe eingetragen, mit dem Stock oder mit der Peitsche, und all seine Pläne vernichtet.

Wieder einmal hatte Kabil vor, zu fliehen. Er wartete nur noch auf eine günstige Gelegenheit.

Er wußte nicht genau, wie weit er überhaupt von El Qâhira, von El Mansûra und der Mündung des Nils entfernt war, keiner hatte es ihm gesagt. Auch hatte er nicht die geringste Ahnung, wo sich die „Isabella“, die er so gern wiedergesehen hätte, jetzt befand. Es war Anfang März im Jahre 1592. Möglicherweise waren der Seewolf und dessen Kameraden inzwischen wieder umgekehrt und befanden sich längst im Mittelmeer.

So wollte er, Kabil, trachten, die Freiheit wiederzuerlangen und das Land Ägypten zu verlassen, wo es nichts anderes als Qualen und Erniedrigungen für ihn gegeben hatte.

Vielleicht, so dachte er, schaffe ich es, vielleicht kehre ich als blinder Passagier an Bord eines Segelschiffes nach Europa zurück und finde sogar Beni, meine geliebte kleine Beni.

Sie hatten sich im Süden Frankreichs aus den Augen verloren. Er hatte ihr zu helfen vermocht, dafür aber teuer bezahlt. Wo mochte sich das Djerba-Mädchen jetzt wohl aufhalten?

An diesem Abend lag Kabil mit geöffneten Augen auf seinem Lager und konnte trotz seiner Müdigkeit nicht einschlafen. Die innere Anspannung hielt ihn wach. Etwas wird geschehen, dachte er, noch heute nacht, ich spüre es.

Sabr Chamal hatte das Haus, das genau in der Mitte des Dorfes stand, vor etwa einer Stunde verlassen. Er war fortgegangen, um sich mit seinen türkischen Freunden zu treffen und Geschäftliches mit ihnen zu besprechen, vielleicht bei einem kräftigen Zug aus der Wasserpfeife, wofür dies die beste Zeit war.

Die Nacht kroch in die engen Gassen zwischen den Häusern. Die Dunkelheit war fast vollkommen, am Himmel stand nur eine schmale Mondsichel.

Kabil ruhte in einem kleinen Raum, der nur ein winziges Fenster hatte, durch das nicht einmal ein Kind hätte entschlüpfen können. Die einzige Tür wurde jeden Abend von Sabr zugeriegelt und am Morgen wieder aufgeschlossen, denn natürlich konnte man einen Sklaven wie diesen kräftigen jungen Shilh nicht frei im Haus herumlaufen lassen, er würde früher oder später ja doch zu fliehen versuchen, wie Sabr Chamal seiner Frau gelegentlich zu erklären pflegte.

Tagsüber war das etwas anderes, da herrschte Betrieb im Ort, und Schreie hätten Chamal alarmiert, ehe Kabil auch nur zehn Schritte in die Freiheit gewagt hätte.

Nur die Nacht blieb also für das, was Kabil vorhatte. Er war zwar eingesperrt, doch es war immerhin ein Vorteil, daß Sabr ihn nicht angekettet hatte, wie es der dicke Rufael getan hatte.

Ein Vorteil? dachte Kabil erbittert. Armer Narr, was bildest du dir nur ein! Dein Schicksal ist von Allah vorgeschrieben, du bist dazu verdammt, immer wieder vom Regen in die Traufe zu geraten, von einem Unglück ins andere.

Dann aber sagte er sich wieder: Heute nacht erhältst du deine große Chance. Paß auf, Kabil!

Plötzlich fuhr er unwillkürlich zusammen. Schritte hatten sich seiner Kammertür genähert, und jetzt wurde von außen der Schlüssel ins Schloß gesteckt.

Sabr! dachte Kabil alarmiert. Er ist zurückgekehrt!

Doch es konnte nicht sein. Wenn Sabr Chamal zu den Türken ging, kam er vor den frühen Morgenstunden nicht zurück.

Die Tür öffnete sich, jemand trat ein und schloß wieder hinter sich ab. Kabil konnte nicht sehen, wer es war, doch er glaubte es zu ahnen. Eine Gestalt schob sich in den schmalen Streifen weißlichen Mondlichtes, der durch das Fenster drang.

„Stell dich nicht schlafend“, flüsterte Fausia. „Ich weiß, daß du wach bist. Jeden Abend wartest du auf mich, nicht wahr, Kabil?“

Er sah ein, daß es keinen Zweck hatte, ihr etwas vorzutäuschen.

„Ich schlafe noch nicht“, gab er zu. „Aber trotzdem irrst du dich. Mir ist an dir nichts gelegen. Außerdem steht es einem Sklaven nicht zu, so etwas zu tun.“

Sie lachte leise. „Ein wenig nett zu deiner Herrin zu sein? Das gehört mit zu deinen Pflichten, mein lieber Junge.“ Sie trat näher an ihn heran und nestelte an ihrer Kleidung. „Willst du den Schlüssel? Ich habe ihn weggesteckt. Wenn du ihn haben willst, mußt du ihn suchen. Komm schon.“

Kabil rührte sich nicht, überlegte aber angestrengt, was er am besten tun solle. Er mußte achtgeben, denn vielleicht neckte sie ihn nur und versuchte, ihn hereinzulegen.

„Ich will den Schlüssel nicht“, sagte er.

„Unsinn. Du würdest nichts lieber tun, als dieses Haus zu verlassen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, gib es ruhig zu.“

„Nein.“

„Sabr ist nicht da, und zu mir kannst du offen sprechen.“

„Der Herr bringt mich um, wenn er uns hier zusammen sieht.“

„Er sieht uns aber nicht!“ zischte sie. „Er sitzt bei seinen Freunden Achmed und Ali und Osman und erzählt sich mit ihnen Witze. Und bestimmt fingert er auch an ihren Weibern herum, wie ich ihn kenne. O nein, er wird nicht erfahren, was hier passiert – zwischen uns beiden, Kabil.“ Sie kniete sich auf die Kante seines Lagers und öffnete die Knöpfe ihres Kleides.

Kabil richtete sich mit einem Ruck auf.

„Das ist unmöglich, Herrin“, raunte er ihr zu. „Wir geraten beide in größte Schwierigkeiten. Ich …“

„Sei still“, sagte sie sanft. „Hol dir den Schlüssel. Oder willst du mich niederschlagen, um ihn zu kriegen? Ich weiß, daß du es nicht tust, Kabil. Du bist nicht der Typ dazu. Außerdem würde ich schreien, verstehst du? Im Nu wäre die gesamte Nachbarschaft auf den Beinen. Willst du, daß ich schreie?“

„Nein.“

„Dann stell dich nicht so an wie ein dummer kleiner Junge. Du weißt doch, wie man eine Frau anfaßt, oder?“

„Ja.“

„Siehst du – und ich brauche ein wenig Zärtlichkeit und ein bißchen Abwechslung. Komm her. Dein Leben wird von jetzt an angenehmer, wenn du mich nicht enttäuschst.“ Mit einer einzigen Bewegung legte sie ihren Oberkörper frei, und ihre großen, festen, leicht bebenden Brüste schienen ihn anspringen zu wollen.

Das war selbst für ihn zuviel. Er kroch über sein Lager auf sie zu und sah, wie sie lächelnd ihre weißen, makellosen Zähne entblößte.

Das Schiff, eine kleine spanische Galeone, ging oberhalb des Dorfes vor Anker, so dicht unter Land, wie es irgend möglich war. Santiago Espronceda, der Kapitän, atmete auf, als der schwere Stockanker endlich an seiner Trosse ausrauschte und klatschend in den Fluten versank.

„Wir haben Glück gehabt“, sagte er zu seinem Ersten Offizier Narciso de Salomon, der neben ihm auf dem Achterdeck stand. „Leicht hätten wir im Dunkeln auf eine der verfluchten Sandbänke laufen können.“

De Salomon, der um zehn Jahre jünger und schlanker an Gestalt als sein Kapitän war, grinste. „Unser Vorhaben scheint also unter einem günstigen Stern zu stehen, Capitán.“

„Vorausgesetzt, wir kriegen keinen Ärger mit den Türken, mit irgendwelchen Strauchdieben oder mit den elenden Krokodilen.“

De Salomon lachte amüsiert auf. „Die Türken gehen um diese Zeit mit ihren Frauen ins Bett. Die Krokodile schlafen. Und um uns gegen ein paar lausige Nilräuber zu sichern, brauchen wir bloß genügend Leute mit an Land zu nehmen.“

„So? Nun, Sie scheinen ja von dem Erfolg der Sache voll überzeugt zu sein.“

„Sie vielleicht nicht?“

Espronceda strich sich mit der Hand über den Bauch und schob die Unterlippe vor. Er sann eine Weile nach, dann erwiderte er: „Ich habe so ein dummes Gefühl. Früher oder später kriegen wir gerade mit den Türken Verdruß.“

„Capitán – bislang hat man uns nicht kontrolliert, und das wird auch weiterhin nicht der Fall sein. Ob Türken oder Ägypter, sie alle haben Angst vor uns, vor unseren Kanonen und Musketen. Ich bitte Sie, nicht zu pessimistisch zu sein.“

Espronceda fixierte sein Gegenüber. „Ich freue mich, daß Sie Ihrer Sache so sicher sind, mein bester de Salomon, das steckt natürlich auch mich an. An Land wartet also reiche Beute auf uns? Ausgerechnet in dem erbärmlichen Fellachendorf da drüben?“ Er wies auf die Lichter, die schwach in der Finsternis funkelten.

„Der Eindruck täuscht. Zumindest dieser Sabr Chamal soll ein reicher Mann sein. Er reißt sich unter den Nagel, was er kriegen kann, und verkauft alles an die Türken, Schmuck, Gold und Silber, kleine Statuen und anderes Zeug, na, Sie wissen schon.“ Der Erste Offizier atmete tief durch. „Die Information ist verläßlich, dafür garantiere ich.“

„So, wie Sie den Burschen behandelt haben, der in Manfalut an Bord kam …“

„Dieser Narr“, sagte de Salomon verächtlich. „Er hielt sich für besonders schlau und glaubte, die Sache gegen klingende Münze an uns verkaufen zu können. Aber keinen Piaster hat er von uns gekriegt.“

„Und jetzt haben die Krokodile ihn und seinen Dolmetscher vertilgt“, sagte Santiago Espronceda. „Hoffen wir, daß auch das keiner herauskriegt.“

„Keiner wird je nach ihnen suchen. Wer kümmert sich schon um zwei so verwahrloste Halsabschneider und Halunken?“

„Es sind nicht nur zwei, sondern viel mehr“, brummte der Kapitän. „Langsam fange ich an, mir Gedanken darüber zu machen.“

„Skrupel? Für die Krone darf uns kein Opfer zu groß sein. Philipp II., Seine Allerkatholischste Majestät, wird uns für unseren Fang reich belohnen.“

„Falls wir jemals in die Heimat zurückkehren.“

„Capitán“, sagte de Salomon mit einem Lächeln. „Es zieht Sie mit aller Macht zurück nach Spanien, deshalb sind Sie heute nacht so niedergeschlagen. Aber wir alle wollen zurück nach Malaga und nach Cadiz, zurück zu unseren Familien. Keiner dieser schmutzigen Heiden wird uns daran hindern können.“

„Nun gut“, sagte Espronceda. „Dann also – auf zur Tat. Lassen Sie das große Beiboot abfieren. Wir zwei, mein Bester, gehen mit einem Dutzend Männern an Land. Wie weit ist es bis zum Dorf?“

„Höchstens noch zwei Meilen.“

„Zwei Meilen Fußmarsch sind schon reichlich. Aber nehmen wir auch das in Kauf.“

Du wirst alt, dachte de Salomon, alt und fett. Nur wenn du genug Wein getrunken hast, bist du noch so aufgekratzt wie in früheren Zeiten. Es wird Zeit, daß jemand anderes an deine Stelle tritt.

Santiago Espronceda hingegen sagte sich im stillen: Ich muß aufpassen, dieser Mann ist zu selbstbewußt und zu überheblich geworden.

Wenig später dümpelte das Beiboot neben der Bordwand der Galeone. Die Spanier enterten an der Jakobsleiter ab, nahmen auf den Duchten Platz und legten ab. Fast lautlos glitt das Boot zum Ufer.

Was die Krokodile betraf, so behielt de Salomon recht. Kein Tier behelligte den vierzehnköpfigen Trupp, nichts regte sich im Ufergestrüpp.

Santiago Espronceda hoffte, daß sein Erster Offizier auch mit seinen übrigen Voraussagen recht behalten würde.

Sie zogen das Boot auf den Ufersand und versteckten es im Dickicht. Dann brachen sie zu dem Dorf auf, wo niemand mit einem Überfall rechnete.

Eine Galeone, die um einiges größer war als das spanische Schiff, bewegte sich um diese Zeit gut zwanzig Meilen weiter nördlich bei günstigem Wind flußaufwärts – die „Isabella VIII.“, das Schiff der Seewölfe.

Nach dem Gefecht mit dem fanatischen Nilräuber Halad Abu Thadi segelte sie nun schon seit zwei Tagen ungehindert stromaufwärts.

Das Navigieren auf dem Nil wurde zwar immer schwieriger, weil ständig tückische Sandbänke auftauchten oder der Wind einschlief, doch bislang hatte es keinen unerwarteten Zwischenfall mehr gegeben, der ihnen zu einem ungewollten Aufenthalt verhalf.

Es war wärmer geworden, der Wind wehte auch jetzt, nach dem Dunkelwerden, fast so heiß wie am Tag.

Big Old Shane stieg zu Hasard, Ben Brighton und Old O’Flynn auf das Achterdeck und sagte: „Wenn die Wärme weiterhin zunimmt, werden morgen die Planken so heiß, daß sie einem die Füße versengen. Sind wir etwa bald schon am Äquator?“

„Langsam, langsam“, sagte der Seewolf lachend. „Übertreib nicht so schamlos, Shane. So schlimm wird es mit der Hitze schon nicht werden. Und, zu deiner Orientierung: Wir befinden uns ungefähr auf dem achtundzwanzigsten Grad nördlicher Breite, also auf der Höhe der Kanarischen Inseln.“

„Erst?“ stieß der graubärtige Riese erstaunt hervor. „Hol’s der Henker, auf den Kanaren ist es um diese Jahreszeit aber nicht so warm, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Auf den Kanaren gibt es auch keine Sahara“, sagte der alte O’Flynn trocken. „Wir segeln hier durch die grünen Niederungen des Nils, Shane, aber rundum ist sonst nur Sand, vergiß das nicht.“

„Ich vergesse es nicht. Ich spüre den verdammten Sand schon wieder auf der Zunge.“

Ben Brighton trat einen Schritt näher auf ihn zu. „Nimm’s nicht so schwer. Bald laufen wir wieder eine Siedlung an, und dort gibt es sicher genug zu trinken, so daß du dem Kutscher nicht das Wasserfaß auszusaufen brauchst.“

Shane setzte eine gallebittere Miene auf. „Genug zu trinken, ja. Tamarindensaft, was? Verdammtes Ägypten. Ich versteh nicht, warum diese traurigen Fellachen und auch die Türken, die sich hier breitgemacht haben, nicht was Vernünftiges gegen ihren Brand haben.“

„Sie haben Wein“, sagte der Seewolf.

Shane sah ihn verständnislos an. „Und warum, zum Teufel, trinken sie den nicht?“

„Darüber haben wir doch nun schon oft gesprochen. So schreibt es ihnen ihre Religion vor, so steht es im Koran.“

„Trotzdem will’s mir nicht in den Kopf“, sagte der ehemalige Schmied von Arwenack. „Allah schaut doch nicht überall hin. Sie könnten sich ab und zu mal einen genehmigen.“

„Mit dem Koran nehmen die Muselmanen es sehr genau“, widersprach Hasard. „Das ist nun mal so. Außerdem halten sie den Wein zum Verkauf bereit, das soll uns nur recht sein.“

„Wirklich?“

„Mal sehen, was sich dort tun läßt, wo ich ankern will. Der Karte nach ist der Ort nicht mehr weit entfernt. Er heißt Beni Hasan el-Bersche, und er ist nicht weit von Achet-Aton entfernt, das auch Tell el Amarna genannt wird. Dort steht der Totentempel des Echnaton, den ich finden will. In Beni Hasan el-Bersche beschaffen wir uns wieder Proviant, damit wir in der nächsten Zeit genug an Bord haben und in dieser Beziehung unabhängig sind“, erklärte der Seewolf.

„Wein“, sagte Big Old Shane. „Das wäre was. Endlich mal eine Abwechslung. Ich kann’s kaum erwarten, dort an Land zu gehen.“

„Mir geht es genauso“, gestand der alte O’Flynn. „Ehrlich gesagt, mir klebt die Zunge bereits am Gaumen fest.“

Al Conroy, der vorn auf der Galionsplattform lag, stieß plötzlich einen warnenden Laut aus.

„Nur noch drei Faden Wassertiefe!“ sang er aus, nachdem er das Senkblei zum wiederholten Mal an der Lotleine in die Tiefe gelassen hatte.

„Nur noch drei Faden!“ rief nun auch Bill, der sich als Ausguck im Großmars befand.

Hasard wandte sich zu Pete Ballie um, seinem Rudergänger, der in diesem Augenblick den Kopf aus dem Ruderhaus reckte.

„Zwei Strich Steuerbord, Pete“, sagte Hasard, und Ballie drehte das Ruderrad mit seinen schwieligen Händen.

Ben Brighton war an die Querbalustrade des Achterdecks getreten und gab den Männern auf der Kuhl ein Zeichen. Sie begannen, die Segel etwas weiter anzubrassen und somit nachzutrimmen. Die „Isabella“ krängte etwas weiter über Steuerbordbug, hielt im spitzen Winkel auf das Westufer zu und drückte ihre Backbordseite schräg gegen die Strömung.

Wieder fierte Al das Lot ab.

„Dreieinhalb Faden!“ gab er erleichtert bekannt.

Kurze Zeit darauf betrug die Wassertiefe mehr als vier Faden, und der Seewolf ließ auf den alten Kurs zurückfallen. Wieder hatten sie eine Untiefe umgangen.

Es war ein mühseliges Werk, auf diese Weise den Nil hinaufzumanövrieren. Immer wieder mußten die Männer an die Brassen und Schoten, mußte der Kurs korrigiert werden. Pausenlos mußte der Lotgast der jeweiligen Deckswache auf der Galion sein und das Senkblei nach unten schicken. Anders aber konnte man dem Strom nicht trotzen und seine Tücken bewältigen. Diese Erfahrung hatten Hasard und seine Männer nun schon oft genug gemacht. Sie durften keinen Augenblick unaufmerksam sein, denn der Fluß war so trügerisch, wie es die See trotz aller Stürme nie sein würde.

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