Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 269»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-666-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Tief im Süden von Andalusien, etwa auf halber Strecke zwischen Malaga und Gibraltar in der Nähe eines an der Costa del Sol gelegenen Städtchens namens Estepona, bewegten sich an diesem warmen Juniabend des Jahres 1592 zwei bemerkenswerte Gestalten durch die Olivenhaine, die die sanften, flachen Hügel dieser Region bedeckten.

Die eine fiel durch ihre Körperfülle auf, die andere durch ihr mageres, ja, fast skeletthaftes Äußeres. Größer hätte der Unterschied zwischen den Männern kaum sein können. Hinzu kam noch, daß der Beleibte helle Leinenkleidung trug, der Ausgemergelte hingegen dunkles Zeug. Der Dicke schnaufte heftig beim Gehen, sein Begleiter schritt munter aus und zeigte keine Ermüdungserscheinungen. Kurz – sie waren ein einziger lebendiger Kontrast, ein erstaunliches Paar, komisch und tragisch zugleich.

Baltasar Tabaro und Juan Vidal hießen diese beiden, und ausgerechnet der dicke Tabaro war es, der jetzt mit einemmal stehenblieb, den Kopf ein wenig schief legte, als lausche er angestrengt dem Zirpen der Zikaden, dreimal tief durchatmete und dann sagte: „Juan, ich kann nicht mehr. Der Hunger bringt mich um.“

Vidal verharrte ebenfalls und drehte sich zu ihm um. Eine Weile betrachtete er im schalen Mondlicht das fleischige, aufgedunsene Gesicht seines Gefährten, ehe er sich zu einer Erwiderung bequemte.

„Du Narr. Bilde dir bloß nicht ein, daß ich dich jetzt bemitleide.“

„Ich habe seit gestern nichts mehr gegessen.“

„Ich auch nicht. Na und? Der Mensch kann zwei Wochen lang leben, ohne Nahrung aufzunehmen, nur am Wasser darf’s ihm nicht fehlen.“

„Ich halte das nicht durch“, stöhnte Baltasar Tabaro. „Ich breche zusammen, hier, auf der Stelle.“

„Willst du darauf warten, daß die Oliven reifen und dir ins Maul fallen, du Faulpelz?“ fragte Juan Vidal höhnisch. Sein verkniffenes, hohlwangiges Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzogen. „Das dauert aber noch einige Zeit. Bis zum Oktober, erst dann sind sie soweit. Vorher hat es nicht mal Zweck, auf die Bäume hier zu klettern. Die niedlichen kleinen Dinger sind völlig ungenießbar, damit du’s nur weißt.“

Baltasar wischte sich mit der einen Hand den Schweiß vom Gesicht, dann ließ er diese wie auch die andere Hand wieder baumeln, als bereite es ihm ungeheure Schwierigkeiten, überhaupt nur die Arme anzuheben.

„Das ist mir ja bekannt“, sagte er im Tonfall echter Verzweiflung. „Aber wenn ich schlafe, habe ich keinen Hunger.“

„Aber die Hunde der Bauern, die hier in der Gegend ’rumlaufen, werden dich finden und beißen.“

„Ich könnte doch auf einen der Bäume klettern.“

„Dazu bist du viel zu dick.“

„Jetzt fängst du schon wieder an, mich aufzuziehen“, sagte Baltasar weinerlich. „Das ist nicht nett von dir. Ich kann doch nichts dafür, daß ich ein paar Pfund mehr als du auf dem Leibe habe.“

„Na schön, lassen wir das. Komm schon, Compadre, wir müssen weiter“, sagte der andere einlenkend. „Suchen wir uns einen Unterschlupf für die Nacht. Morgen früh sehen wir weiter, vielleicht entdecken wir dann wenigstens irgendwo einen kleinen Gemüsegarten, den wir plündern können.“

Seufzend schleppte sich der Dicke weiter und trottete hinter Vidal her. Der Gedanke an streunende Hunde beunruhigte ihn denn doch.

Sie gingen noch gut zweihundert Schritte weit und entdeckten dann von der Kuppe eines Hügels aus ein kleines, geducktes Gemäuer, das in einer Senke stand und ihrer Aufmerksamkeit sicherlich entgangen wäre, wenn nicht das Licht des Mondes die Umgebung in silberige Helligkeit getaucht hätte.

Sie steuerten auf das Häuschen zu und erkannten, daß es sich um einen sogenannten Metato handelte, um einen Bau also, in dem die Hügelbauern Eßkastanien zu rösten pflegten. Tabaro glaubte den Duft der Kastanien bereits zu wittern, und so beschleunigte er jetzt seine Schritte, überholte Vidal und langte vor diesem an der grob zusammengezimmerten Tür an.

Landstreicher waren sie, heruntergekommene, erbärmliche Vertreter der Spezies Mensch, die von Ort zu Ort vagabundierten, mal hier, mal dort etwas stahlen und einen ehrlichen Broterwerb mehr haßten als die Pest und die Cholera.

Wäre dieser Abscheu vor der Arbeit nicht gewesen, hätten sie sich ihren Lebensunterhalt leicht durch Tätigkeiten wie Tomatenpflücken, das Ausmisten von Ställen oder das Beaufsichtigen weidender Schafe verdienen können. Oder aber sie hätten auf einem der Schiffe anheuern können, die wöchentlich Malaga verließen und in die Neue Welt hinübersegelten, zu den Gestaden jenes geheimnisumwitterten Landes Amerika, über das man sich so viel erzählte.

Doch all das konnte sie nicht reizen, denn ihrer Ansicht nach schädigte die Arbeit Körper und Geist, und außerdem kam man auch so mehr oder weniger problemlos zum Essen, Trinken und Schlafen. Ihre derzeitige Notlage würde sich, so dachte Vidal, innerhalb kurzer Zeit sicherlich überwinden lassen.

Baltasar Tabaro hatte die Tür des Metatos geöffnet und zwängte sich ins Innere. Alles auf der Welt schien nur für schlanke Menschen geschaffen zu sein, selbst die Türen waren dem Dicken manchmal zu eng. Baltasar schimpfte im stillen darüber. Gleich darauf begann er leise zu fluchen, denn er hatte wenigstens ein paar geröstete Kastanien zu finden gehofft, wurde aber enttäuscht. Das Häuschen war leer und schien seit Jahren nicht mehr benutzt worden zu sein.

„Al diablo!“ stieß er hervor. „So ein verdammter Mist!“

„Was ist denn jetzt schon wieder?“ wollte Juan Vidal von der Tür her wissen. Das dauernde Genörgel seines Kumpans ging ihm allmählich auf die Nerven.

Dicht vor Baltasar regte sich plötzlich etwas. Er hielt im Umhertasten inne und setzte eine verblüffte Miene auf. Eine Maus konnte es nicht sein, nicht einmal eine Ratte, nein, es schien sich um ein sehr viel größeres Lebewesen zu handeln. Um einen Hund etwa? Unwillkürlich zuckte der dicke Mann heftig zusammen. Er begann mit den Armen zu rudern und schwankte wie ein Schiff im Sturm.

In diesem Moment huschte etwas an ihm vorbei und wollte ins Freie flüchten. Aber Juan Vidal war auf der Hut. Er tat nur einen Schritt zur Seite, um nicht mit dem Etwas oder dem Jemand zusammenzuprallen, ließ den Schemen halb an sich vorbei und stürzte sich dann auf ihn.

Er hatte mehr Kraft, als man ihm zutrauen mochte. Ein Satz nur, ein harter Griff, und er hatte die Gestalt unter sich begraben und hielt sie an den Armen fest. Dann stieß er einen verdutzten Laut aus und richtete sich halb auf, achtete aber darauf, daß die Beute ihm nicht entwischen konnte.

Baltasar Tabaro hatte doch die Balance halten können und erschien nun in der Türöffnung.

„Wen haben wir denn da?“ fragte er. „Ist das – ein Mensch?“

„Frag doch nicht so blöd“, zischte Juan Vidal. „Siehst du das nicht? Eine Frau – und dazu noch eine junge und hübsche. Ist das vielleicht nichts?“

„Was zu essen, wäre mir lieber gewesen.“

„Sei still, du Narr. Hilf mir lieber. Na los, pack mit an, wir tragen sie zurück in die Hütte.“

„Was hast du mit ihr vor?“ fragte der Dicke verdattert.

„Kannst du dir das nicht denken?“

„Alter Bock“, brummte Baltasar mürrisch. „Aber so ganz auf nüchternen Magen kann das nicht gutgehen. Du bist der Narr von uns beiden, nicht ich.“ Er bückte sich aber doch, um seinem Freund zu helfen und griff nach den zappelnden Beinen der Frau.

Schiffe näherten sich an diesem Abend von Nordafrika her der spanischen Küste und der Meerenge von Gibraltar – kleine, wendige Segler mit einem oder zwei Masten und spitzen Lateinersegeln, die sie an langen Gaffelruten fuhren. Ihre Besatzungen standen mit entschlossenen Mienen an Deck und hielten die Augen nach allen Seiten offen, als könne jeden Moment aus der Dunkelheit ein Gegner auftauchen, auf den sie schon seit einiger Zeit warteten.

Ohne Positionslichter strebten die Schiffe ihrem Ziel entgegen, Schatten in der Nacht, die man nicht einmal auf kürzeste Distanz erspähen konnte.

Bald sollten sie sich zu einem großen Verband zusammenrotten, schon im Morgengrauen wollten sie den „Estrecho“, die Meerenge, bewachen und auf den Feind lauern. Den Tod hatten die Kapitäne der Schiffe jenen Unbekannten geschworen, die sie zwar nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatten, die sie aber doch abgrundtief haßten.

So waren Tod und Vernichtung die Devise der Besatzungen, denn ein mächtiger Mann hatte sie gerufen und ihnen einen Auftrag übermittelt: Uluch Ali, der Beylerbey von Tunis und Bengasi, der Oberschnapphahn aller nordafrikanischen Mittelmeer-Piraten, hatte wutschnaubend seine Reiter losgeschickt, bis nach Ceuta hinauf, um die Männer zu stoppen, die ihm eine schmähliche Niederlage zugefügt hatten. Tag und Nacht waren die Reiter unterwegs gewesen, und Uluch Alis Nachrichtennetz hatte funktioniert: Noch konnten die Giaurs, die „verdammten Christenhunde“, denen er die Pest und den Teufel an den Leib wünschte, Gibraltar nicht erreicht haben. Aber es stand fest, daß sie westlichen Kurs segelten, um in den Atlantik zu gelangen.

Uluch Ali hatte sich selbst jedoch geschworen, daß sie das Mittelmeer niemals verlassen sollten.

Die „Christenhunde“, gegen die sich all sein Haß wandte, trugen Namen wie Philip Hasard Killigrew, Ben Brighton oder Donegal Daniel O’Flynn, und allein bei ihrem Klang erzürnte der alte Piratenknochen und Galgenstrick bis zur Weißglut.

Selbst hatte er nun nicht bis nach Marokko reiten können, die Umstände sprachen dagegen, er hielt sich derzeit viel weiter östlich auf. Doch er hatte seine Verbündeten auf den Plan rufen können, jene Schnapphähne, die in ihren Schlupfwinkeln längs der nordafrikanischen Küste stets zum Auslaufen bereit lagen und nur darauf warteten, Beute reißen zu können.

So segelte der Verband der Sarazenen in dieser Nacht auf nördlichem Kurs, um die Zufahrt zum Atlantik hermetisch abzuriegeln. Doch davon ahnten weder die Seewölfe etwas, noch wußten Baltasar Tabaro und Juan Vidal, daß sie bald auf höchst unangenehme Weise in die Geschehnisse verwickelt werden sollten.

Das Unheil nahm seinen verhängnisvollen Lauf, es ließ sich nicht mehr aufhalten.

Die junge Frau schrie und fluchte abwechselnd, doch aller Protest nutzte ihr nichts – Baltasar und Juan zerrten sie zurück in den Metato, der so verlassen auf sie gewirkt hatte und nun doch eine Überraschung bot.

Die beiden Männer fanden einen kleinen Haufen Stroh, auf dem sie gelegen haben mußte, als sie eingedrungen waren. Genau hier wollte Juan über sie herfallen, als ihre Bewegungen plötzlich nachließen und sie mit erstaunlich kühler Stimme sagte: „Tu, was du nicht lassen kannst, Hombre. Aber ich warne dich. Mir macht es nichts aus, doch du wirst es noch bereuen. Dein ganzer Körper wird sich mit Schwären bedecken, und die Zähne werden dir ausfallen. Es gibt kein Mittel dagegen, wie du auch nicht verhindern kannst, daß sich dein Geist umnachtet und du im Wahnsinn stirbst.“

Baltasar stieß einen Laut aus, der einem Kreischen sehr ähnlich war. „Sie hat die Blattern, Juan! Laß sie los! Por Dios, rühr sie nicht mehr an! Hauen wir ab, Mann, hauen wir ab!“

„Schweig“, sagte Juan ärgerlich. „Merkst du nicht, daß sie uns nur täuschen will, um sich zu retten?“

„Um mich zu retten?“ Die Frau lachte, es klang kalt und höhnisch. „Das ist wirklich ein Witz, Caballero! Nur zu, ich habe nichts zu verlieren. Was du haben willst, gehört bei mir zum Geschäft, nur bin ich gezwungen, es dir umsonst zu geben. Aber ich kann’s verkraften, glaube es mir.“

„Du bist eine Hure?“ fragte Juan.

„Ja, aus Malaga. Mein Name ist Maria Sanciro. Ihr könnt euch dort nach mir erkundigen, wenn ihr wollt, ich gebe euch eine Adresse, wo man genau über mich Bescheid weiß.“ Wieder lachte sie kalt.

„Du nimmst uns doch auf den Arm“, sagte Juan, aber sein Tonfall war jetzt etwas unsicher geworden. „Was hast du hier draußen in der Einöde zu suchen, wenn du aus Malaga bist?“

„Ich bin von dort abgehauen. Einer meiner Freier ist hinter mir her und will mich umbringen.“

„Weswegen denn?“ fragte Baltasar.

„Wegen meines Leidens. Ich habe es ihm angehängt, verstehst du, mein schwergewichtiger Freund?“

„Was für ein teuflisches Leiden ist das?“ keuchte er entsetzt.

„Muß ich es dir erklären?“

Baltasar schwieg und grübelte nach, er war ein wenig schwer von Begriff. Juan aber sagte: „Du lügst ja doch. Ich habe dich draußen genau angeschaut, du hast kein einziges Mal deiner Krankheit auf dem Leib. Wie reimt sich das zusammen?“

„Es ist so, daß ich sie nur an mir habe, selbst aber nicht daran zugrunde gehe. Aber, bitte, wenn du mir nicht glaubst, sollst du deinen Spaß haben.“ In den wenigen Streifen Mondlicht, die durch ein Fenster in die Hütte fielen, konnten sie beide sehen, wie sie an ihrem Kleid zu nesteln begann und sich anschickte, es zu öffnen.

Juan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er hatte sie längst losgelassen und fuhr sich jetzt mit der Hand über den Hals. Als sie ihre ansehnlichen Brüste freilegte, beschrieb er eine abwehrende Geste und sagte gepreßt: „Schon gut, ich glaube dir ja. Wir tun dir nichts an, keine Angst. Wie lange bist du schon unterwegs?“

„Drei Tage und drei Nächte“, antwortete Maria Sanciro und knöpfte ihr schlichtes, leicht angeschmutztes Kleid wieder zu.

„Hast du was zu essen dabei?“ erkundigte sich Baltasar.

„Nein. Ich bin hier untergekrochen, um die Nacht an einem sicheren Platz zu verbringen, aber mir knurrt auch der Magen. Woher kommt ihr eigentlich?“

„Von Norden, aus Richtung Cordoba“, erwiderte Juan.

„Verrückt. Und wohin wollt ihr?“

„Das wissen wir selber nicht“, erwiderte Baltasar traurig.

„Ich will nach Gibraltar, aber ich habe keinen müden Dublonen bei mir, nicht mal ein Kupferstück“, sagte sie. „Ich fürchte, ich breche unterwegs noch zusammen, vor Erschöpfung.“

Juan überlegte, ob er sie durchsuchen sollte, aber er zog es vor, ihr doch lieber alles abzunehmen, was sie ihnen erzählte. Er strich sich mit der Hand übers Kinn, dann sagte er: „Gibt es denn hier in der Nähe keinen Bauernhof?“

„Doch, gar nicht weit entfernt ist einer. Aber allein traue ich mich nicht hin.“ Sie seufzte. „Ich bin dort vorhin vorbeigegangen und habe die Hühner im Stall gackern hören. Es klang wirklich verlockend, aber …“

„Hühner?“ sagte Baltasar ächzend. „O Himmel, das könnte die Erlösung sein. Wenigstens ein paar Eier holen wir uns, damit wir nicht vor Hunger sterben müssen, was, Juan?“

„Ja.“ Juan erhob sich. „Wir gehen gleich los, und du führst uns, Maria. Die Dunkelheit ist unser Schutz. Es ist nicht das erste Mal, daß wir so was tun. Natürlich teilen wir uns die Beute. Einverstanden?“

„In Ordnung“, entgegnete sie. „Von mir aus können wir noch die Nacht über zusammenbleiben, ein kleines Feuer anzünden und die Eier braten. Vielleicht auch ein Hühnchen, wenn wir Glück haben. Ich bin eine ganz gute Köchin.“

Die beiden Männer nickten, aber sie erschauerten doch bei dem Gedanken an die gräßliche Krankheit, von der sie befallen war.

Jedoch war der Hunger schlimmer als die Furcht, und so verließen sie zu dritt den Metato und rückten aus, um sich die ersehnte Nahrung zu verschaffen.

2.

In Damiette an der östlichen Mündung des Nils waren die Seewölfe gezwungen gewesen, sich zu trennen, denn als geschlossene Crew hätten sie die Heimreise nach England nicht antreten können. So hatte Philip Hasard Killigrew drei Gruppen gebildet. Die erste unterstand seinem Kommando, die zweite dem Befehl Ben Brightons, und die dritte wurde von Ferris Tucker angeführt.

Ferris Tucker, Edwin Carberry, Stenmark, der Kutscher, Blacky, Jeff Bowie, Bill und Luke Morgan waren gleich in Damiette an Bord einer französischen Galeone namens „Mercure“ gegangen, die mit Kurs auf ihren Heimathafen Brest ausgelaufen war.

Hasard und Ben waren mit ihren Gruppen an Bord der Beiboote der „Isabella VIII.“ noch bis nach Alexandria gesegelt. Hier hatten auch sie sich getrennt, und Ben Brighton, Pete Ballie, Al Conroy, Smoky, Sam Roskill, Bob Grey, Will Thorne und Old O’Flynn segelten seitdem an Bord einer Sambuke in westlicher Richtung an der nordafrikanischen Küste entlang, während der Seewolf selbst den Weg zur offenen See gewählt hatte.

Hasard, die Zwillinge, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Gary Andrews, Batuti und Matt Davies hatten zunächst eine Feluke gesegelt, später hatten sie Uluch Alis Flaggschiff – ebenfalls eine Feluke – als Prise genommen. Auf Sardinien aber hatten sie die Feluke mit einer Einmast-Tartane vertauscht, und diese diente ihnen jetzt auf dem weiteren Kurs nach Westen als Fahrzeug.

Der Seewolf wußte seit dem Erlebnis auf der kleinen Insel Marittimo bei Sizilien einiges über das Schicksal der Ferris-Tucker-Gruppe, doch er ahnte nicht, daß Ferris und Ben mit den ihnen anvertrauten Männern bereits viel weiter westlich lagen als er selbst. Nur hoffen konnte er, daß sie sich bald wiedertrafen – doch diese Hoffnung sollte enttäuscht werden.

Zwei Gruppen der Seewölfe nahmen inzwischen also direkten Kurs auf Gibraltar – die von Ben Brighton mit der Sambuke und vier geborgenen Schatztruhen von dem Wrack der „San Marco“ an Bord und mit einem neuen Mann, nämlich Bens Bruder Roger Brighton, sowie die von Ferris Tucker auf der französischen Handels-Galeone „Mercure“.

Diese beiden Gruppen hatten ihr letztes zufälliges Zusammentreffen im Seegebiet um Malta gehabt, und zwar am 11. Juni 1592, als Bens Sambuke von den drei Feluken Muley Salahs umstellt worden, im letzten Moment aber von der Tucker-Gruppe mit der „Mercure“ herausgepaukt worden war. Beide Gruppen hatten sich nach kurzem Wiedersehen und einem gegenseitigen Erlebnisbericht wieder getrennt und waren erneut dem nach Westen verlaufenden Zielkurs gefolgt.

Ben Brightons Sambuke war schneller als die französische Galeone unter dem Kommando von Kapitän Delamotte. Infolgedessen stand er mit dem kleinen Schiff in dieser Nacht vom 20. auf den 21. Juni bereits südwestlich von Malaga, nur noch etwa fünfzig Meilen von Gibraltar entfernt. Die „Mercure“ jedoch befand sich zum selben Zeitpunkt erst südlich von Kap Gata, etwa auf der Höhe von Almeria, also ungefähr ein Etmal – eine Tagesreise – hinter der Sambuke.

Ben Brighton hatte sich während der letzten Tage so weit wie möglich an der spanischen Küste „entlanggemogelt“, um den nordafrikanischen Piraten aus dem Weg zu gehen, mit denen seine Männer und er eingehende Erfahrungen gesammelt hatten.

Bislang hatte seine Taktik den gewünschten Erfolg gezeitigt, und sie waren unbehelligt geblieben. Sobald sich voraus oder vom südwestlichen Sektor her etwas näherte oder in Sichtweite geriet, war er unverzüglich nach Norden ausgewichen, denn es war ratsam, sich mit Uluch Alis Galgenstricken nicht mehr anzulegen.

Jetzt aber waren die Männer an der Sambuke erschöpft, denn sie waren Tag und Nacht gesegelt – mit jeweils vierstündiger Wachablösung. Das zehrte auf die Dauer an Energien und Nerven, wenn man nur zwei Wachen zur Verfügung hatte. Und was die Ausgucks betraf: Wer vier Stunden ununterbrochen mit dem Kieker oder mit dem bloßen Auge die Kimm nach etwaigen Verfolgern absuchte und nadelfeine Mastspitzen zu erkennen trachtete, der wußte auch sehr wohl, was er getan hatte.

Doch bisher hatte es dank ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Ausweichtaktik keine Unannehmlichkeiten mehr gegeben, und allein das zählte.

„Ärger kriegen wir im Mitelmeer nicht mehr“, sagte Old O’Flynn in dieser Nacht zu Ben Brighton. „Ich bin ja sonst ein alter Schwarzmaler, aber ich fühl’s in meinem Holzbein – bald sind wir im Atlantik und kriegen die Schatzkisten heil und sicher bis nach Plymouth rauf.“

„Langsam, langsam“, sagte Ben. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“

„Wieso?“ fragte Pete Ballie grinsend. „Es ist doch schon stockdunkel, oder? Was soll uns denn jetzt noch passieren?“

„Ich will euren Optimismus nicht dämpfen“, entgegnete Ben. „Und ich verstehe sehr gut, wie euch zumute ist. Aber wir haben schon die unglaublichsten Sachen erlebt, das wißt ihr selbst. Laßt uns erst mal den morgigen Tag in Angriff nehmen und hinter uns bringen, dann könnten wir immer noch ‚Arwenack‘ schreien.“

„Da hast du wohl recht“, brummte der alte O’Flynn. „Und meistens gehe ich ja auch baden, wenn ich schon mal zuversichtlich bin. Hol’s der Henker, es ist schon ein Dreck, daß man nicht hinter die Kimm blicken kann.“

„Laß man, Donegal“, sagte Will Thorne, der ebenfalls mit zu dieser Wache gehörte. „Bislang ist alles klar gelaufen, und dabei bleibt es auch.“

Doch der vorsichtige, stets besonnene Ben Brighton sollte am Ende recht behalten – bald war es aus mit der Ruhe, schon am Tag, der auf diese Nacht folgte.

Das Gehöft lag nur schätzungsweise eine Meile von dem Metato entfernt, und zwar in östlicher Richtung. Juan und Baltasar gelangten zu der Überzeugung, daß Maria sie wohl doch nicht angelogen hatte. Alles schien zu stimmen.

Zu der Feststellung, daß die Kastanienröststube zu dem Bauernhof gehörte, brauchte man wahrhaftig keinen Scharfsinn. Juan dachte jedoch weiter und gelangte zu dem Schluß, daß es nach der vollzogenen Aktion auf jeden Fall ratsam war, nicht wieder in den Metato zurückzukehren, sondern sich tiefer in die Olivenhügel zurückzuziehen, um woanders unterzukriechen.

Stellte der Bauer nämlich frühzeitig fest, daß zweibeinige Marder in seinen Stallungen gewesen waren, dann suchte er mit Sicherheit zuerst die nähere Umgebung ab und sah garantiert in dem Häuschen nach dem Rechten.

Irgendwo anders würde es auch wieder verlassene Hütten geben, und so beschloß Juan bei sich, seine beiden Begleiter lieber zu einem längeren Marsch zu zwingen, um anschließend dann in Ruhe schmausen zu können, statt mit Angst im Nacken alles hastig herunterzuschlingen, nur um dem ewig mekkernden und jammernden Baltasar einen Gefallen zu tun.

Nachdem sie das Gehöft aus einem sicheren Versteck heraus einige Zeit lang beobachtet hatten, stand Juans simpler Plan fest. Einen Hund schien es nicht zu geben, sonst hätte man ihn hin und wieder bellen hören. Diese Gefahr war also von vornherein gebannt. Im Haus war alles ruhig, nirgends brannte Licht. Der Bauer und seine Familie schliefen mit Sicherheit den gerechten Schlaf der Arbeitsamen.

Die Hühner dösten in einem Verschlag, der an seiner Vorderseite von einem Zaun umgeben war. Von hinten konnte man in den kleinen Stall einsteigen, wenn man die Geschicklichkeit hatte, sich erstens lautlos zu bewegen und zweitens ein paar Latten zu lösen, die dann die erforderliche Lücke freigaben.

Juan verfügte über diese Fähigkeiten, folglich war er es, der sich an den Verschlag heranpirschte und an der Rückwand herumzubosseln begann, während Baltasar und Maria Wache standen.

Bald klaffte in der Holzwand des Stalles die Öffnung, die groß genug war, um Juans magere Gestalt durchzulassen. Der Rest war einfach: Er kroch ins Innere, wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und begann nun mit dem „Einsammeln“, wie er es zu nennen pflegte.

Ganz friedlich hockten die Hühner auf ihren Stangen, Juan brauchte nur zuzugreifen, um sich gleich zwei von ihnen zu holen. In seinem Geist nahm bereits ein Bild Gestalt an: wie Maria die lieben Tierchen rupfte, nachdem Baltasar und er sie geschlachtet hatten, wie sie an einem rasch gebastelten Spieß über einem Feuerchen brieten und …

Der Traum zerplatzte wie eine Seifenblase, denn mit einemmal wurden die Hühner wie auf ein vereinbartes Zeichen hin äußerst lebendig. Etwas mußte sie geweckt haben, vielleicht eine unbedachte Bewegung von ihm, vielleicht aber auch ihr unergründlicher Instinkt.

Jedenfalls schlugen sie jetzt mit ihren Flügeln, gackerten und hüpften von den Stangen, um durch ein Schlupfloch zum Gehöft hin ins Freie zu entfliehen. Juan griff fluchend ins Leere, stürmte ihnen nach, zertrat zwei oder drei Eier und stieß sich dann an dem Gestänge, was ihn zu neuen Flüchen veranlaßte.

Überall, rund um ihn herum, waren Flattern und Gackern, und dann sprang ihm der Hahn ins Gesicht, der seinen Harem verteidigte. Juan fiel, rappelte sich wieder auf, wollte noch schnell ein Huhn packen, hatte aber wieder Pech. Es entwischte ihm durch das Loch. Draußen erklang das Bellen eines Hundes, fragende Stimmen wurden laut, irgendwo wurde ein Licht entfacht.

Juan hätte nun noch rasch ein paar Eier zusammengerafft, wenn nicht folgendes passiert wäre: Durch das Schlupfloch wischte ein Hund, kein sehr großes Tier, aber so wild wie ein Wirbelwind. Er fletschte die Zähne, knurrte und stürzte sich auf Juans Beine.

Juan hatte eben den Hahn abgewimmelt und wollte nach dessen Hals greifen, doch der Hund schnappte bereits nach seinen Waden, so daß sich ein schleuniger Rückzug empfahl. Juan verließ den Verschlag durch die Lücke, die er geschaffen hatte, der Hund folgte ihm, dann der Hahn – und da erschien auch der Bauer, fluchend und brüllend und mit einer doppelläufigen Steinschloßflinte in den Fäusten.

Nicht auf dem Weg durch den Hühnerstall rückte dieser Mann dem Dieb auf den Leib, nein, er tat gleich – wahrscheinlich aus einschlägiger Erfahrung – das einzig Richtige und lief um das selbstgebaute Häuschen herum. Er sah den ausgemergelten Mann, blieb stehen, schrie „Halt“ und „Stehenbleiben“ und legte auf ihn an.

Juan und der Bauer fluchten zusammen, dann krachte die Flinte, und Juan spürte es heiß über sich hinwegsengen. Sein einziges Heil lag nun in kopfloser Flucht, die er auch sofort antrat – zu Baltasar und Maria hinüber, die sich in richtiger Einschätzung der Situation zu den Büschen hin retteten, von denen aus das ungleiche Trio zuvor das Gehöft beobachtet hatte.

Juan rannte um sein Leben, denn der Bauer zielte erneut auf ihn, dieses Mal allerdings tiefer. Schon krachte die Flinte zum zweitenmal, aber Juan hatte die Geistesgegenwart, sich der Länge nach hinzuwerfen. Die Ladung ging wieder über ihn hinweg, sie bestand aus Schrot und war auf die größere Distanz entsprechend weit gestreut. So war es kein Wunder, daß zwei oder drei Bleikörnchen dennoch Juans Sitzfläche und Rücken trafen und kleine, heftig brennende Wunden hinterließen.

Er stöhnte, erhob sich wieder und eilte weiter, seinen Spießgesellen nach, die sich eben in die Büsche schlugen, um nicht mehr gesehen zu werden.

Der Bauer hantierte mit seiner Flinte und schien zu überlegen, ob es sich lohne, den Dieb mit einer ungeladenen Waffe zu verfolgen. Der Hahn flatterte in sinnloser Wut vor dem Verschlag herum und veranstaltete mit den aufgescheuchten Hühnern zusammen einen Heidenspektakel. Irgendwo vor dem Haupthaus schrie eine Frau und weinte ein Kind. Der Hund raste Juan nach und wollte schon wieder nach dessen Wade beißen, doch jetzt wurde es Juan zu bunt.

Er versetzte dem Tier einen Tritt. Der Bauer vernahm das Jaulen seines Hundes und stürmte Juan wutentbrannt nach. Er drehte die Flinte um und wollte den Kolben als Hiebwaffe benutzen.

Juan strebte mit langen Sätzen dem Gebüsch zu, doch er war trotzdem zu langsam. Der Bauer holte ihn ein und wollte gerade den Kolben der Flinte auf ihn niedersausen lassen, da geschah zweierlei. Juan duckte sich, fuhr herum und trat dem Mann mit voller Wucht gegen das Schienbein. Ein Stein flog aus dem Gebüsch und prallte dem Bauern gegen den Kopf, so daß er stöhnend zusammensank und die Waffe aus den Händen verlor.

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