Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 378»

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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-786-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Feind im Visier

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Mitte März 1594 betrat ein finsterer Geselle mit verschlagenem Gesicht und muskelbepacktem Oberkörper die Kaschemme „Yerba Buena“ an der Bucht von Matamano. Er war ein Kreole und hieß Cariba, und er gehörte zu der gefürchteten Crew der Black Queen, aber das wußte keiner der Anwesenden, weder der Schankwirt noch die Männer und Frauen, die sich an den Tischen und in den Nische vergnügten.

Cariba trat an die Theke und sagte zu dem Schankwirt nur ein einziges Wort: „Rum.“

Der Wirt, ein hagerer Mann mit lichtem Haarwuchs und wachen, listigen blauen Augen, füllte wortlos einen Becher. Cariba leerte ihn mit einem Zug und setzte den Becher hart ab.

„Der taugt nicht viel“, sagte er. Sein Gesicht nahm einen drohenden, herausfordernden Ausdruck an. „Hast du keinen besseren Tropfen?“

„Doch. Der kostet aber mehr.“

Cariba schob ihm den Becher hin. „Laß mich probieren. Ich kann bezahlen. Na los, auf was wartest du?“

Der Wirt zuckte mit den Schultern und erfüllte ihm den Wunsch. Selten wurde in dieser Kneipe ein besseres Getränk verlangt. Das Gelichter, das sich hier herumtrieb, wollte billigen Wein und noch billigeren Rum. Das letzte Mal, daß ein Kerl einen „guten Tropfen“ verlangt hatte, lag, wie der Wirt sich entsinnen konnte, zwei Jahre zurück.

Die Kaschemme, ein flacher und langgestreckter Schuppen aus Stein, Holz, Mattengeflecht und Schilfstroh als Dach, stand genau an dem Ort, der an der Südküste von Kuba 1515 von Diego Velasquez ursprünglich als Hafen gegründet worden war. Später, 1519, war dieser Hafen jedoch als „San Cristobal de la Habana“ – Havanna also – fast gegenüber an die Nordküste der Insel verlegt worden. Übriggeblieben waren in Matamano ein Kai und eine Reihe von Piers, die bald dem Zahn der Zeit anheimfielen und schon ziemlich verrottet waren. Die wenigen Steinbauten waren verfallen oder nur noch als Ruinen vorhanden. Das halbe Dutzend erbärmlicher Hütten – von denen die „Yerba Buena“ noch die stabilste war –, das Galgenstricken und Tagedieben Unterschlupf bot, war erst viel später, ab 1575, errichtet worden, als eine Handvoll Kerle auf die Idee verfallen war, hier kurzfristig ihr Lager aufzuschlagen.

Die Hütten hatten seither viele „Besitzer“ gehabt, die immer wieder wechselten. 1588 hatte Alvaro, der Wirt, die Kaschemme gebaut. Seitdem schenkte er den Kerlen, die hier landeten, Wein, Bier und Schnaps aus und besorgte ihnen Frauen, wenn sie welche haben wollten. Diese Art der Vermittlung bedeutete für ihn einen wichtigen Nebenverdienst.

Die „Yerba Buena“ war – wie alle Kneipen und Kaschemmen auf den Inseln der Karibik – ein wichtiger Treffpunkt für Männer, die etwas kaufen oder verkaufen wollten. Oder sie hatten die letzten Neuigkeiten zu verkünden, suchten selbst Informationen oder wollten sich nur mal wieder kräftig „einen antörnen“. Ein Umschlagplatz also. Hier traf man sich und hatte was zu erzählen, heckte derbe Späße aus und feilschte miteinander.

Frauen waren in jeder Nacht die begehrteste Ware, aber das Angebot erfüllte nicht die Nachfrage. Alvaro konnte immer nur drei „Prachtweiber“ weiterempfehlen und „verschaffen“: Die rote Dolores, Teta-Maria mit dem großen Busen und Lilian, genannt „die Krabbe“. Sie waren fast ständig beschäftigt.

Cariba stellte den Becher auf die Theke zurück. „Der schmeckt schon besser. Was verlangst du für ein Faß?“

„Zwei Dublonen.“

„Verrückt. Mehr als eine Dublone gebe ich für zehn Gallonen nicht.“

Alvaro musterte ihn mit wachsendem Interesse. „In meinen Fässern sind fünfzehn Gallonen Rum. Es sind große portugiesische Kastanienholzfässer.“

„Trotzdem zahle ich nicht mehr als eine Dublone pro Faß.“

„Wie viele Fässer würdest du denn kaufen?“ fragte Alvaro lauernd.

„Vielleicht ein halbes Dutzend“, erwiderte Cariba und reichte ihm erneut seinen Becher.

„Zehn Dublonen für sechs Faß“, schlug Alvaro vor.

„Wucher“, sagte Cariba und grinste wild. „Aber wir verhandeln nachher noch weiter. Ich schlage dir ein einmaliges Angebot vor: Sechs harte spanische Dublonen für fünf Fässer von deinem Gesöff. Laß dir das durch den Kopf gehen. Wir reden noch darüber.“ Wieder leerte er seinen Becher, den Alvaro geschickt und schnell aufgefüllt hatte, dann beugte er sich leicht vor und fragte: „Wie sieht es mit einem Weiberrock aus? Ich brauche unbedingt eine Frau.“

„Ich weiß nicht – im Moment scheint keine von ihnen frei zu sein. Du bist zum ersten Male hier, wie?“

„Ja, sonst würden wir uns kennen.“

„Aber neulich traf ein Neger mit einer einmastigen Jolle ein und wollte Wein kaufen – und vor drei Wochen hatten wir Besuch von einem narbigen Mulatten, der auf der Suche nach Dörrfleisch war.“

Cariba grinste nicht mehr. „Na und? Was habe ich damit zu tun?“

„Ich dachte, die beiden seien vielleicht Freunde von dir.“

Cariba griff nach Alvaros Hand und preßte sie auf der rohen Holzplatte des Tresens fest. Er verfügte über immense Kräfte, besonders in den Händen. Alvaro vermochte sich nicht zu befreien. Sein Gesicht war verzerrt, seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen.

„Das Denken solltest du den Walen überlassen“, sagte Cariba mit dunkler Stimme. „Die haben den größeren Schädel. Ich habe keine Freunde. Ich will hier einen saufen, mir ein Weib angeln und vielleicht ein wenig Rum bei dir einkaufen. Das ist alles. Kapiert?“

Alvaro beeilte sich, eifrig zu nicken. „Natürlich. Du scheinst aber keinen Spaß zu verstehen.“

Cariba ließ ihn wieder los, und Alvaro massierte seine schmerzende Hand.

„Doch“, sagte der Kreole. „Aber ich habe was gegen zu neugierige Leute.“

„In Ordnung.“ Alvaro sah ein, daß er einen Fehler begangen hatte. Er fragte seine Gäste sonst auch nicht aus. Nur bei diesem Cariba hatte er es nicht lassen können. Es wurde nämlich gemunkelt, die Black Queen halte sich irgendwo an der Südküste von Kuba auf, und er hätte zu gern gewußt, ob etwas Wahres daran war. Er, Alvaro, hätte diese legendäre Piratenführerin gern einmal aus der Nähe gesehen, es wurden die haarsträubendsten und unglaublichsten Geschichten über sie erzählt.

Cariba jedoch hütete sich, etwas über die Queen verlauten zu lassen. Er hatte klare Anweisungen von ihr erhalten – wie alle Männer, die sie zur Proviantbeschaffung an Land schickte. Der Ankerplatz der „Caribian Queen“ war streng geheim. Nichts durfte darüber bekannt werden. Nach den letzten Erlebnissen waren die Queen und Caligula außerordentlich vorsichtig geworden. Ehe die Queen von ihrer Blessur nicht völlig genesen war, wollte sie sich ohnehin nicht wieder „unter Leute“ begeben.

Der Grund, warum Cariba mit einer Jolle nach Matamano gesegelt war, bestand in der Gier der Crew nach einem ordentlichen Tropfen Rum. Die Kerle lechzten danach, und die Queen und Caligula konnten ihnen den Schnaps nicht länger verweigern. Cariba, der dafür bekannt war, daß er guten von schlechtem Rum unterscheiden konnte, war losgeschickt worden. Matamano war der nächste natürliche Hafen, und in der „Yerba Buena“ konnte man fast alles haben, was man suchte.

Caligula hatte mit dem Zweidecker „Caribian Queen“ und der schwer angeschossenen Black Queen an Bord ein hervorragend geschütztes Versteck gefunden. Es befand sich in einer Bucht der Islas de Mangles, einer Gruppe von Inselchen, die sich von der Ostseite der Isla de Pinos in einem Bogen nach Nordwesten hinzog und sich somit zwischen dem Inselfestland – der Südküste von Kuba – und der Isla de Pinos erstreckte. Diese Inselgruppe lag im Archipel de los Canarreos.

Etwa fünfzig Meilen war das Buchtversteck von Diego Velasquez’ einstigem Hafen entfernt. Acht Stunden hatte Cariba gebraucht, um hierherzugelangen, und er wollte die Fahrt und den Auftrag wenigstens auch zu seinem ganz persönlichen Vergnügen nutzen.

Alvaro deutete auf Lilian, die „Krabbe“, die sich vom Hinterzimmer her zwischen den Tischen hindurch bewegte und offensichtlich nach einem neuen Freier Ausschau hielt.

„Die da“, sagte er. „Du kannst sie für zwei Silberlinge haben.“

Cariba betrachtete die Frau. Sie war blond, hochgewachsen, langbeinig und sehr schlank. Ihre Züge waren herb, das grelle Lippenrot und die bläulichen Schatten, die sie unter ihre Augen gemalt hatte, gaben ihr ein fast leichenhaftes Aussehen.

„Die ist mir zu mager“, sagte Cariba. „Nicht mein Fall.“

„Dann mußt du eben noch warten.“

„Ich warte gern“, sagte Cariba. „Schenk mir noch einen Rum ein. Hast du dir mein Angebot gründlich überlegt?“

„Ja. Acht Dublonen für fünf Fässer.“

„Unsinn. Mehr als sechs kriegst du nicht, sonst kannst du das Zeug behalten.“

„Achtung“, sagte Alvaro. „Da kommt Teta-Maria. Sieh sie dir an! Ist sie nicht ein Prachtstück?“

Caribas Blick richtete sich auf die schwarzhaarige, dunkelhäutige Walküre, die zwischen den Küstenhaien und Strolchen an den Tischen zu schwimmen schien. Sie watschelte und hielt ihre üppigen Lippen zu einem Kußmund gespitzt, wackelte mit ihrem Hinterteil und entlockte den Kerlen, an denen sie ihren wogenden Busen vorbeischob, anerkennende Pfiffe. Einem einäugigen Beachcomber, der zu zudringlich wurde, hieb sie auf die Hand, daß es klatschte und schon grölten die Kerle vor Begeisterung.

Cariba wandte sich wieder dem Schankwirt zu. „Zu fett für meinen Geschmack. Hast du nichts Besseres anzubieten?“

„Du könntest dich höchstens noch an Dolores halten“; erwiderte Alvaro. „Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.“

Etwa eine halbe Stunde später – nach weiteren vier Bechern Rum – erschien die rote Dolores auf der Bildfläche. Lilian und Teta-Maria hatten sich unterdessen auf den Schößen neuer Freier niedergelassen. Auch nach Dolores wurde gegriffen und gerufen, aber Cariba war schneller als alle anderen.

Er schob sich neben sie und sagte: „Ein Goldstückchen für ein paar Stunden Spaß – was hältst du davon?“

Sie stemmte die Hände in die Seiten und musterte ihn ungeniert von oben bis unten. Sie war schlank, aber wohlproportioniert und mußte als junges Mädchen einmal sehr hübsch gewesen sein. Das Metier hatte ihre Züge verhärtet und ihrer Stimme einen rauhen Beiklang gegeben. Dennoch war Cariba von ihr fasziniert. Er griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich heran. Ihre roten Löckchen wippten, ihr rüschenbesetztes, tief ausgeschnittenes Kleid verrutschte ein bißchen.

„He!“ rief sie. „Bist du übergeschnappt? Noch sind wir uns nicht einig, du Grobian!“

Er zeigte ihr das Goldstück. „Sind wir’s jetzt?“

Sie seufzte, sah sich die Münze an und ließ sie in ihrem Ausschnitt verschwinden. Mit dem Daumen wies sie über die Schulter zu den Hinterzimmern. „Na gut, Amigo, laß uns reisen. Und vergiß nicht, was zu trinken mitzunehmen.“

„Rum? Von dem guten?“

„Gegen Rum habe ich nichts einzuwenden“, erwiderte Dolores und gab Alvaro einen Wink. Im stillen aber fragte sie sich, wann sie sich eines Tages endlich zur Ruhe setzen und nach Spanien, in ihre Heimat Andalusien, zurückkehren konnte. Vielleicht nie. Vielleicht war diese Hoffnung nur eine Illusion.

Sie lachte grell und folgte Cariba in das Hinterzimmer.

Später, nach dem Intermezzo mit Dolores, ließ sich Cariba an einem der Tische nieder. Er wollte noch nicht aufbrechen. Die Black Queen und Caligula erwarteten ihn erst im Laufe des nächsten Tages zurück. Er konnte also bedenkenlos weiterzechen.

Er trank den scharfen, brennenden Rum wie Wasser und fühlte sich auch nach dem zwanzigsten Becher noch nicht benebelt. Mit ausdruckslosen Gesicht verfolgte er das Treiben in der Kneipe. Es waren wieder Männer eingetroffen, und einer von ihnen, ein bulliger Mann mit einem winzigen Ring im linken Ohrläppchen, gab damit an, daß er gerade aus Havanna käme.

Die anderen umringten ihn, dann setzten sie sich zu ihm an einen der großen Tische.

„Ja, Havanna“, sagte der Bullige. „Das ist ein Hafen! Dort ist Leben! Man hat das Gefühl, in Cadiz oder Malaga zu sein!“

„Ist denn immer noch Don Antonio da, der fette Gouverneur?“ fragte einer der anderen Kerle. „Ich bin vor ein paar Jahren in Havanna gewesen und habe ihn mal zufällig von weitem gesehen. Er ist die dickste Ratte, der ich je begegnet bin.“

Die Kerle lachten, und der Bullige hieb sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. „Don Antonio? Natürlich! Oder hat sich auf Kuba deiner Meinung nach was geändert? Ho, den Burschen stößt keiner von seinem Thron! Leben und leben lassen, ist sein Grundsatz!“

„Die Hauptsache für ihn ist, daß die Kasse stimmt“, sagte ein dunkelhaariger Mann mit tiefliegenden Augen und einem sichelförmigen Schnauzbart. „Er nimmt, was er kriegen kann, stopft sich die Taschen mit Gold und Silber voll und feiert rauschende Feste.“

„Das stimmt“, bestätigte der Bullige. „Erst kürzlich hat wieder so eine Orgie in der Residenz stattgefunden. Ich habe die tollsten Sachen darüber gehört.“

„Berichte!“ rief Lilian schrill. „Was treiben die feinen Herren denn so mit ihren hochwohlgeborenen Damen?“

Der Bullige – er hieß Atos, wie sich wenig später für Cariba herausstellte – erzählte die wildesten Geschichten, die ihm einfielen, aber natürlich war er ja nicht selbst dabeigewesen und konnte deshalb allenfalls Seemannsgarn spinnen. Dann aber sprach er über etwas, was Cariba unwillkürlich aufhorchen ließ.

„Es könnte jetzt aber doch Ärger für Don Antonio geben“, sagte er. „Da ist nämlich ein ganz neues Gesicht in Havanna aufgetaucht. Ein Don Juan – ja, so heißt er, glaube ich – ist extra aus Spanien nach Kuba gereist, um von hier Piraten zu jagen.“

Unruhe entstand. Die Kerle riefen durcheinander.

„Das bringt uns Ärger!“ schrie der mit dem sichelförmigen Schnauzbart.

„Der Teufel soll diesen Don Juan holen!“

„Was hat denn Don Antonio mit ihm zu tun?“

Atos trank seinen Becher leer, knallte ihn auf den Tisch und hob beide Hände. „Wenn ihr mich ausreden laßt, sage ich es euch!“

Es trat wieder Ruhe ein. Atos blickte sich nach allen Seiten um und genoß die Spannung. Schließlich sagte er: „Don Antonio und dieser Don Juan können sich gegenseitig nicht leiden und sind sich spinnefeind. Don Juan will mit der Bestechung und dem ganzen Kram aufräumen. Don Antonio würde ihm am liebsten den Hals umdrehen, aber Don Juan hat Sondervollmachten. Trotzdem hat er ihn schon einmal festnehmen lassen, hab’ ich gehört. Aber dann hat Catalina mit seiner Bande die Stadt überfallen.“

„Catalina?“ rief Teta-Maria. „Dieser Teufelskerl! Hat er Havanna etwa niedergebrannt?“

„Er ist tot“, entgegnete Atos. „Und mit ihm die meisten seiner Männer. Auch Zapata, der sich mit ihm verbündet hatte, wurde zurückgeschlagen.“

„Und das alles hat dieser Don Juan erreicht?“ wollte der Schnauzbärtige wissen.

„Nein“, entgegnete Atos. „Natürlich nicht. Er wurde unterstützt, unter anderem auch von einem Deutschen, der in Havanna ein Handelshaus gegründet haben soll. Fast ging es dem dicken Don Antonio an den Kragen, aber Don Juan und der Deutsche haben ihn gerettet.“

„Also muß Don Antonio Don Juan sogar noch dankbar sein“, sagte Alvaro, der sich zu den Zechern gesellt hatte. „Das wird ihm schmecken.“

Cariba hörte aufmerksam zu.

„Wenn Don Juan Piraten jagt, haben wir bald nichts mehr zu lachen“, sagte der Schnauzbärtige.

„Du irrst dich“, widersprach ihm Atos. „Don Juan ist nämlich hinter englischen Piraten her, speziell hinter denen, die unter dem Namen ‚Seewölfe‘ bekannt sind.“

„Das hättest du aber auch gleich sagen können!“ rief der einäugige Beachcomber. „Hölle, hast du mir einen Schrecken versetzt!“

„He!“ schrie der Schnauzbärtige und lachte. „Wenn Don Juan derart auf die Seewölfe versessen ist, bedeutet das für uns, daß er uns vorläufig in Ruhe läßt.“

„Jawohl!“ rief Atos. „Und darauf laßt uns einen trinken! Ich gebe eine Runde für euch aus, ihr Hundesöhne!“

„Salud!“ schrien die Huren. „Prost!“

2.

Cariba hatte genug gehört. Er erhob sich, trat an die Theke und zahlte seine Zeche. Dann fragte er: „Das mit dem Rum – hast du es dir gut überlegt, Amigo?“

„Ja. Acht Dublonen.“

„Sechs“, sagte Cariba grinsend.

Sie feilschten noch eine Weile herum, dann einigten sie sich auf sieben Dublonen. Cariba nahm die Fässer in Augenschein, überzeugte sich davon, daß sie randvoll waren, prüfte auch die Qualität und händigte dem Wirt dann die Münzen aus. Alvaro bot ihm seine Hilfe an, aber Cariba trug die Fässer selbst zu seinem Landeplatz, eins nach dem anderen.

Die Jolle lag etwas abseits des ehemaligen Hafens unter Mangroven und Schilf versteckt. Cariba wuchtete die Fässer an Bord, vergewisserte sich, daß sie nicht zu tief im Wasser lag, stieg ein und legte ab. Ehe er den Mast aufrichtete und das Segel setzte, warf er noch einen Blick zu der trübe erleuchteten „Yerba Buena“ zurück. Ein toller Laden, dachte er grinsend, und was für ein Weib!

Dann dachte er auch wieder an das, was Atos aus Havanna berichtet hatte, und er brummte: „Das wird die Queen interessieren. Ich muß es ihr so schnell wie möglich sagen.“

Aber vielleicht – auch das überlegte er – war es besser, zuerst mit Caligula darüber zu sprechen. Allein bei der Nennung des Namens „Seewolf“ wurde die Black Queen verrückt. Vielleicht war es nicht gut für ihren derzeitigen Zustand, wenn sie sich unnötig aufregte.

Cariba segelte die Nacht hindurch. Platt lag die Jolle vor dem Nordostwind, der frisch bis böig einfiel und sie vorantrieb. Sie lief gute Fahrt und durchquerte die Bucht von Matamano, ohne anderen Schiffen zu begegnen. Cariba vermochte auch in einiger Entfernung nicht die funkelnden Hecklaternen von vorbeiziehenden Schiffen zu erkennen. Er war, so schien es, völlig allein in diesem Seegebiet.

Als der junge Tag im Osten mit milchig-trüben Grauschleiern aus der See stieg, hatte Cariba den Canal de los Indios erreicht. Er behielt den südwestlichen Kurs bei und konnte zwei Stunden später die ersten Inselchen erkennen, die als verschwommene Silhouetten an der südlichen Kimm auftauchten.

Wie Perlen auf einer langen Schnur waren sie aneinandergereiht und erstreckten sich von der Küste Kubas über die Pinien-Insel in die Karibische See hinein. Cariba hatte keine Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Seine Sinne waren geschärft, und er verfügte über genug Erfahrung, um auch ohne Kompaß, Jakobsstab, Astrolab und andere Hilfsmittel den richtigen Kurs zu steuern.

Mühelos fand er sich zurecht und segelte die Jolle zwischen den kleinen Inseln hindurch zum Versteck. Wie das Eiland mit der geschützten Ankerbucht eigentlich hieß, wußte niemand an Bord der „Caribian Queen“, auch die Black Queen und Caligula nicht. Aber es interessierte auch keinen. Für sie war es eine Insel wie jede andere, mit Palmen, Mangroven, Lianen, ein bißchen Sandstrand und ein paar bewaldeten Hügeln, mit giftigen Schlangen, keckernden Affen und schimpfenden Vögeln. Wichtig war nur, daß sie nicht bewohnt war und sie hier nicht entdeckt wurden.

Als grauschwarzer Schattenriß schob sich die Insel um die Mittagsstunde in Caribas Blickfeld. Er grinste, braßte das Segel ein wenig an und ging an den Wind, auf Kurs Süden. Er rundete die Insel halb, halste und ging dichter unter Land. Dann – bevor er in die Bucht einlief – stand er von seiner Ducht auf und gab dem auf dem höchsten Hügel postierten Ausguck mit beiden Händen ein vereinbartes Zeichen.

Der Ausguck, der ihn längst entdeckt hatte und seitdem durch den Kieker beobachtete, gab ihm mit einer Bleiglasscherbe ein Blinksignal. Cariba wußte nun, daß alles in Ordnung war und er an Bord der „Caribian Queen“ gehen konnte. Der Ausguck indessen benachrichtigte Caligula und die anderen Kerle, daß es sich bei der einlaufenden Jolle um ihr eigenes Boot handele.

Das sahen die Kerle dann auch mit bloßem Auge. Cariba segelte durch die schmale, halb von Mangroven zugewucherte Einfahrt und stieß einen lauten Pfiff aus.

„Rum!“ brüllte er.

„Ran!“ schrie einer der Kerle, die sich unterdessen allesamt am Schanzkleid des Zweideckers versammelt hatten. Die Landwachen liefen am Strand zusammen, nur der Ausguck verharrte weisungsgemäß auf seinem Hügelposten.

„Das gibt ein feines Besäufnis!“ rief ein anderer Pirat, und seine Kumpane lachten rauh.

Caligula stand breitbeinig und mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck und verfolgte das Einlaufen und Längsseitsgehen der Jolle. Er hütete sich, Einspruch gegen das Vorhaben der Kerle einzulegen. Sollten sie sich nach Herzenslust vollaufen lassen, sie hatten es jetzt nötig. Wenigstens verfiel keiner von ihnen auf dumme Gedanken. Sie lagen schon lange genug hier fest und brüteten finster über ihr Mißgeschick und ihre Pechsträhne, aber noch hatte zum Glück keiner von ihnen gemeutert. Kein Versuch der Rebellion – Caligula konnte froh darüber sein. Wenn ein Aufstand an Bord losbrach, hatte er allein keine Chance, sich gegen die Meute zu behaupten, und die Queen war immer noch nicht wieder einsatzfähig.

Also galt es, die Kerle bei Laune zu halten. Der Rum war gerade recht. Wenn sie ein Faß geleert hatten, würden sie ihren Rausch ausschlafen. Sobald sie nüchtern waren, wurde das nächste Faß angestochen. Caligula war bereit, drei Fässer zu opfern, erst dann würde er dem Treiben einen Riegel vorschieben.

Irgendwann würde auch der Ruf nach Frauen laut werden, aber dann, so hoffte Caligula zumindest, war die Black Queen wieder auf den Beinen und verließ die Inselbucht, um nach neuen Angriffszielen und vielversprechenden Raids Ausschau zu halten.

Cariba legte mit der Jolle an. Die Fässer wurden an Bord des Zweideckers gehievt, Cariba enterte grinsend an der Jakobsleiter auf. Er ging zu Caligula und händigte ihm den Rest der Goldmünzen aus, die er für den Kauf des Rum-Vorrates mitgenommen hatte.

„Gut“, sagte Caligula. „Du hast die Fässer zu einem günstigen Preis erstanden. Aber taugt das Gesöff auch was?“

„Überzeuge dich selbst davon.“

„Später. Berichte mir lieber, was sich auf Kuba so tut. Hast du etwas Besonderes erfahren?“

„Ja.“ Cariba begann zu erzählen – wie er mit dem Schankwirt gefeilscht, sich mit der Hure Dolores vergnügt und dem Gespräch der Zecher gelauscht hatte.

Jetzt wurde Caligula hellhörig.

„Ein neuer Mann in Havanna?“ wiederholte er verblüfft. „Ein Spanier, der die Seewölfe sucht? Das muß die Queen sofort erfahren.“

Die Black Queen war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie hatte sich von Caligula halb in ihrer Koje aufrichten lassen und saß mit dem Rücken gegen einen Berg Kissen gelehnt da, aber selbst das bereitete ihr Schmerzen und Anstrengung. Ihr Gesicht war verkniffen, fast pausenlos stieß sie leise Flüche aus.

Als sie die Schritte zweier Männer durch den Mittelgang des Achterkastells heranpoltern hörte, wandte sie nur langsam den Kopf. Ihre Augen waren schmal, ihr Mund blutleer. Sie war abgemagert. Seit dem Kampf gegen El Tiburon, bei dem dieser sie niedergeschossen hatte, hatte sie sich ihrer Mannschaft nicht mehr gezeigt. Keiner wußte genau, wie es inzwischen um sie bestellt war. Im Grunde verließen sich alle auf Caligulas Hinweise, der ständig hervorhob, daß es mit der Queen „wieder bergauf“ ginge.

Cariba erschrak jedoch, als er hinter Caligula die Kapitänskammer betrat. Wie eine Fremde wirkte die Queen auf ihn. Unwillkürlich blieb er stehen. Seine Betroffenheit entging der Queen nicht. Wütend sah sie ihn an.

„Cariba, du Teufel!“ zischte sie. „Was willst du hier?“

„Ich habe ihn mitgebracht, damit er dir selbst von dem berichten kann, was er in Matamano aufgeschnappt hat“, sagte Caligula. „Ich halte es für richtig, daß du es aus seinem Mund vernimmst.“

„Dann redet nicht lange herum“, sagte sie. „Ich höre.“ Auch ihre Stimme hatte sich verändert, sie war brüchig geworden. Die Blessur hatte ihr schwer zugesetzt und an ihr gezehrt. Der Feldscher der „Caribian Queen“ hatte ihr zwar die Kugel aus der linken Schulter geholt, wo sie dicht über dem Herzen gesessen hatte, aber sie hatte mit Wundfieber und Entzündungen wochenlang auf Leben und Tod gelegen. Der Blutverlust hatte sie geschwächt, Fieberträume hatten sie geplagt. Es hatte eine Stunde gegeben, in der es so ausgesehen hatte, als müsse sie sterben, aber dann hatte der Teufel sie doch nicht gewollt. Sie hatte sich halbwegs wieder erholt, aber die Zeichen der Krankheit und des Kampfes gegen den Tod hatten deutlich ihr Gesicht gezeichnet.

Doch ihr Haß brannte lodernd. Vielleicht war er es sogar, der sie am Leben erhalten hatte. Noch lag sie hilflos in ihrer Koje, zu schwach, um aufzustehen, aber schon hatte sie erste Pläne gefaßt, wie sie gegen ihren Todfeind, den Seewolf, vorgehen würde, wenn sie erst wieder bei Kräften war.

Cariba schilderte, wie sich sein Abstecher zur Kaschemme „Yerba Buena“ im einzelnen abgespielt hatte. Da horchte auch die Queen auf wie zuvor Caligula. Plötzlich sah sie in ihrer fanatischen Rachsucht und in ihrem Haß eine Möglichkeit, den Bund der Korsaren zu vernichten.

„Ausgezeichnet“, sagte sie, als Cariba seinen Bericht abgeschlossen hatte, und mit einemmal klang ihre Stimme gar nicht mehr so schwach und brüchig. „Dieser Spanier, dieser Don Juan, kommt mir wie gerufen. Ich hoffe, es ist euch klar, wie wir ihn für unsere Zwecke ausnutzen können.“

Caligula sah den Zeitpunkt gekommen, seinen Scharfsinn unter Beweis zu stellen. „Natürlich. Wir brauchen diesem Spürhund nur den Bund der Korsaren in die Hände zu spielen. Er ist ja versessen darauf, englische Piraten zu jagen.“

„Ja“, bestätigte Cariba, ohne die Queen aus den Augen zu lassen. Ihm war noch nicht ganz klar, wie sie sich durch den Spanier einen Vorteil verschaffen wollte. Schließlich konnte sie sich aus dem Versteck nicht wegrühren – noch nicht. Was hatte sie also vor?

„Wir liefern den Seewolf und seine Bande von Hurensöhnen ans Messer“, sagte die Queen voll Haß. „Man braucht Don Juan nur die Lage der Schlangen-Insel zu verraten, und die Spanier erledigen die Arbeit.“

„Das habe ich mir auch gedacht“, sagte Caligula. „Nichts einfacher als das.“

Die Black Queen stemmte sich mit verzerrtem Gesicht von ihrem Kissenlager hoch. Ihre Augen hatten einen fiebrigen, erregten Glanz.

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