Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 43»
Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-360-2
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Bootsmann Sullivan war ein gewissenhafter Mann. Er nahm seine Aufgaben – und das waren zur Zeit nicht wenige – höllisch ernst. Es gab nichts, das ihn von der kompromißlosen Erfüllung seiner Pflicht abhalten konnte. Gut eine Stunde hatte er darauf verwendet, zunächst das Unterdeck und dann das Vorschiff der Kriegskaravelle „War Song“ zu inspizieren. Und er hatte einiges zu beanstanden gefunden!
Einige Kojen in den Mannschaftsräumen waren nicht ordnungsgemäß gerichtet, die Logis bot ein Bild, das ihn schauderhaft fluchen ließ. In der Kombüse hatte er an den Wänden Fettflecke und auf den Vorratsschapps fingerdicken Staub entdeckt.
Sullivan trat durch das Backbordschott des Vordecks auf die Kuhl. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und ließ den Blick wandern. Er war ein stämmiger Mann mit breiten Schultern. Seine blauen Augen hatten Tiefe und Ausdruck und vermittelten etwas von der Härte und Unnachgiebigkeit, aber auch von der Vertrauenswürdigkeit seines Charakters. Seine rotblonden Haare wurden von dem handigen Nordwestwind zerzaust, der an diesem Nachmittag des 10. Februar 1580 über die Mill Bay vor Plymouth blies.
„Harris! Jenkins!“ rief Sullivan.
„Sir?“
„Ab ins Vorschiff mit euch zum Aufklaren! Was ist denn das nur für ein verdammter Saustall?“
Harris und Jenkins, zwei Kerle, so groß wie Schränke, lösten sich vom Backbordschanzkleid und drehten sich zu ihm um. Zuerst sahen sie ihn etwas verdattert an, aber dann setzten sie sich schleunigst in Bewegung. Sie flitzten an ihm vorbei.
„Räumt die Mannschaftsräume auf und schrubbt die Kombüse, bis die Schwarte kracht!“ rief Sullivan ihnen nach. „Ich will alles glänzen sehen. Ich dulde keine Schweinerei und keinen Schlendrian an Bord. So was wollen wir gar nicht erst einreißen lassen.“
Er wandte sich wieder der Kuhl zu. Sie war nicht sehr groß. Gleich hinter dem Großmast begann das höhergelegene Quarterdeck und ganz achtern ragte das Achterdeck mit dem Besanmast auf. Bootsmann Sullivan erfaßte die Situation mit einem Blick. An der Backbordseite der Kuhl, wo auch das Beiboot in seinen Laschings ruhte, drängten sich sämtliche Männer der Deckswache und scherten sich einen Dreck um die Borddisziplin.
Sullivan schritt zu ihnen. Er baute sich mit verschränkten Armen hinter ihnen auf, aber sie schienen ihn nicht zu bemerken. Wie gebannt blickten sie voraus, nach Nordwesten in die Mill Bay.
Sullivan war ein aufrechter, im Grunde seines Herzens ausgesprochen gutmütiger Mensch. Aber, wie gesagt, er duldete keine Trödelei an Bord eines Schiffes, schon gar nicht auf einer Kriegskaravelle vom Format der „War Song“.
Er sprach nicht besonders laut. Dennoch zuckten einige Männer jetzt zusammen.
„Ihr Himmelhunde! Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ihr glaubt wohl, weil der Kapitän nicht an Bord ist, könnt ihr wie die Mäuse auf dem Tisch tanzen, wie? Aber da habt ihr euch verrechnet.“
„Aye, aye, Sir“, antworteten einige Männer. Dennoch hielten sie den Blick unverwandt auf die am nördlichen Ende der Mill Bay gelegenen Hafenanlagen und Piers gerichtet.
Sullivan trat ganz dicht hinter sie. „Was, zum Teufel, gibt es da zu gaffen? Habt ihr Rindviecher etwa einen Weiberrock entdeckt? Ich werde ...“
Einer, der ein Spektiv vor dem Auge hielt, entgegnete: „Nein, Sir, keine Weiber. Wir beobachten nur, was sich da am Ende der langen Pier abspielt.“
Sullivan spähte nun selbst Backbord voraus und sah die große Dreimast-Galeone, die am äußersten Ende der Pier vertäut war. Zwischen ihr und der „War Song“, die an der Pontoon Pier ganz am östlichen Eingang der Mill Bay lag, erstreckte sich etwa eine Viertelmeile Distanz, doch Sullivan sah ohne Schwierigkeiten die Menschenmenge, die sich dort drüben auf der Pier bewegte. Die Galeone hatte er bereits am Vormittag gesehen, als sie unter dem wolkenverhangenen Himmel in den Hafen von Plymouth eingelaufen war.
„Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt“, sagte Sullivan. „Habt ihr Narren noch nie eine Galeone gesehen? Ich streiche euch den Landurlaub, wenn ihr weiter verrückt spielt.“
Der Mann mit dem Spektiv, ein gewisser Feeney, erwiderte: „Sir, das ist keine gewöhnliche Galeone. Ich erkenne an der Bauart, daß es sich um ein spanisches Schiff handelt.“
„Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock.“ Sullivan zeigte eine wegwerfende Geste. „Die Dons haben zwar die geklinkerte Bauweise von uns übernommen, aber zwischen ihren und unseren Schiffen gibt es doch erhebliche Unterschiede. Seht euch bloß mal die Heckgalerie mit den Verzierungen an!“
„Ein schmuckes Schiff“, sagte Feeney.
„Edel“, sagte ein anderer.
Sullivan grinste. „Und die Besatzung besteht aus Engländern. Der Leibhaftige soll mich holen, wenn es nicht so ist. Unsere Leute haben die Galeone irgendwo vor der spanischen Küste, in der Biskaya, vor Frankreich oder sogar vor Irland aufgespürt, gekapert und als Prise mitgebracht. Ich habe heute früh, als sie vorüberzog, die Kampfspuren gesehen, die sie trägt. Da ist kräftig hingelangt worden, kann ich euch sagen. Ich kann mir vorstellen, wie erbittert der Kampf um das Schiff verlief. Wer weiß, was es in seinen Frachträumen birgt.“
„Coleman weiß es“, sagte Feeney. „Coleman war heute morgen an Land.“
Coleman, ein vierschrötiger, etwas einfältiger Seemann und Soldat Ihrer königlichen Majestät Elizabeth I., nickte. „So ist es. Die Galeone hieß früher ‚San Josefe‘, wurde aber in ‚Isabella V.‘ umgetauft – und sie gehört keinem anderen als Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, wie die Leute ihn nennen.“
Sullivan zog die Augenbrauen hoch. „Donnerwetter. Und das erfahre ich erst jetzt, Coleman?“
„Sie – Sie haben mich ja nicht danach gefragt, Sir.“
„Dummkopf. Feeney, gibt mir mal den Kieker.“
Bootsmann Sullivan blickte angestrengt durch das Spektiv. Die Optik fing die Pier ein und brachte sie ihm nahe. Der Pöbel von Plymouth drängte sich dicht vor der Bordwand des großen Schiffes. Da wurden Fäuste gereckt, Rufe ausgestoßen. Die Masse wogte hin und her. Jemand wurde beinahe ins Wasser gedrückt.
Sullivan wußte, was das zu bedeuten hatte.
„Dieser Seewolf“, sagte er. „Er soll ein tollkühner Kerl sein, der weder Tod noch Teufel fürchtet. Ich habe schon die haarsträubendsten Geschichten über ihn vernommen. Wenn die alle wahr sind ...“
Er ließ den Blick über die Decks der „Isabella V.“ wandern. Er sah einen breitschultrigen Mann mit dunkelblondem Haar, einen weißhaarigen Alten, der auf Krücken lief, einen rothaarigen Riesen und einen Koloß von Mann mit grauem Haupthaar und wirrem grauem Bartgestrüpp. Sie schritten ziemlich aufgeregt auf dem Achterdeck auf und ab.
„Jemand hat mir mal erzählt, wie der Seewolf aussieht“, sagte Sullivan. „Er soll ein großer, ziemlich junger Mann mit schwarzen Haaren und blauen Augen sein. Ich kann ihn aber auf der Galeone nicht erkennen.“
Coleman meldete sich wieder zu Wort. „Er wurde noch am Vormittag von Bord gebracht. Er ist verletzt. Ziemlich schwer soll’s ihn erwischt haben, am Kopf, glaube ich. Die Leute von Plymouth munkeln, man habe ihn zu Sir Freemont transportiert.“
„Sir Anthony Abraham Freemont? Kann schon sein“, sagte Sullivan. „Aber die Leute schwätzen viel, wenn der Tag lang ist. Eins steht jedoch fest. Da drüben braut sich was zusammen. Das Volk sieht mir verdammt gierig und angriffslustig aus, und die Männer an Bord der Galeone scheinen auch ziemlich gereizt zu sein.“
„Der weißhaarige Alte“, sagte Feeney. „Ich muß mich schon schwer täuschen, wenn das nicht Donegal Daniel O’Flynn aus Falmouth ist. Ich habe Verwandte in Falmouth und bin oft dortgewesen. Der Seewolf selbst stammt ja auch aus Falmouth, wie alle Killigrews. Der grauhaarige Riese dort, das ist Shane, der Schmied von Arwenack, der Stammfeste der Killigrews. Big Old Shane wird er genannt. Mit dem Seewolf soll er sich immer gut verstanden haben, genau wie Lady Anne Killigrew. Aber Sir John Killigrew und seine anderen drei Söhne, die sind auf den Seewolf nicht gut zu sprechen. Ach, übrigens, wenn ich mich nicht irre, hat Sir John vor kurzem mit einem ganzen Trupp von Männern die ‚Isabella‘ verlassen.“
„Du weißt ja gut Bescheid“, entgegnete der Bootsmann. „Weiß der Henker, was sich so alles um diese Galeone rankt und welches Geheimnis sie birgt. Wenn ich mir die Leute auf der Pier so ansehe, muß schon allerlei hinter der ganzen Sache stekken.“
Coleman sagte: „Der Seewolf soll in der Karibik einen gewaltigen Schatz erbeutet haben. Und der befindet sich im Bauch der ‚Isabella‘, Gold, Silber, Perlen, Juwelen – sagen die Leute.“
„Das würde einiges erklären“, sagte Sullivan. „He, seht mal, was jetzt passiert!“ Er verfolgte durch den Kieker, wie ein Keil von Männern von der Western Road aus bis auf die Pier vordrang und die Menge auseinandertrieb. Plötzlich fielen ein paar Schüsse. Jemand brach zusammen, jemand schrie. Sullivan stieß einen Fluch aus. „Jetzt wird’s spannend. Die Stadtgarde ist erschienen.“
Feeney hatte ein anderes Spektiv zur Hand genommen und es ans Auge gehoben. „Sie baut sich direkt vor der ‚Isabella‘ auf und drängt die Zivilisten ganz fort. Jetzt treten zwei Männer vor. Holla, der fette Kerl mit der Perücke dort, das ist ja Samuel Taylor Burton, der Friedensrichter von Plymouth. Und der Hagere mit dem Ziegenbart neben ihm kann nur Baldwin Keymis sein, der Friedensrichter von Falmouth – ein wahres Schlitzohr!“
„Langsam“, sagte Sullivan. „Mehr Respekt vor der Obrigkeit, wenn ich bitten darf.“ Sein Glaube an die Untadeligkeit aller Autoritätspersonen schien durch nichts zu erschüttern zu sein.
Coleman sagte plötzlich: „Bootsmann Sullivan – Sir, drehen Sie sich malum.“
Sullivan tat dies zögernd, weil auch er durch das Geschehen bei der „Isabella V.“ gefesselt war. Als er jedoch den Kopf wandte und zur Steuerbordseite seines Schiffes blickte, fuhr er unwillkürlich zusammen. Gute zwei Dutzend Männer hatten sich dort auf der Pontoon Pier versammelt. An ihrer Spitze befand sich ein bulliger, grobschlächtig wirkender Mann mit roten Haaren, rötlich gefärbter Gesichtshaut und roter Knollennase. Seine hellblauen Augen glitzerten. Sein Mund war ein dünner Strich.
„Himmel, Arsch“, sagte Bootsmann Sullivan. „Wer in aller Welt sind die Kerle? Was wollen sie, und wer ist der Stier, der sie anführt?“
„Das“, raunte Feeney ihm zu, „ist kein anderer als Sir John Killigrew höchstpersönlich.“
Sir John schritt über die Gangway auf die Kuhl der „War Song“ hinunter, als gehöre das Schiff bereits ihm. Hinter ihm schlossen seine zweiundzwanzig Männer auf. Der hölzerne Laufsteg wippte unter ihren Schritten, ihre Stiefel polterten über das Deck.
Sir John fixierte den Mann, den er an seiner äußeren Aufmachung als den Bootsmann der Dreimast-Karavelle erkannte. Im Augenblick war er der ranghöchste Mann, den er entdecken konnte – an ihn würde er sich also halten.
Sir John spürte Triumphgefühl in sich aufsteigen. Er fühlte sich wieder in seinem Element. Schmähliche Niederlagen hatte er hinnehmen müssen, doch jetzt schien die Pechsträhne ein Ende zu haben. Nachdem ihn Ben Brighton, dieser Bastard von einem Bootsmann, endlich von Bord der „Isabella V.“ gelassen hatte, hatte er, John Killigrew, natürlich bereits einen Plan im Kopf gehabt.
Hätte er etwa Baldwin Keymis, dem Friedensrichter von Falmouth, nacheilen sollen? Schön, Keymis hatte sich an Bord der „Isabella“ gewissermaßen mit ihm gegen den Seewolf und dessen Mannschaft verbündet. Keymis hatte ihm Treue und alles mögliche andere geschworen. Sonst hatte er aber nicht viel ausgerichtet, sondern eher nur Torheiten begangen.
John Malcom Killigrew hatte sein Leben gelassen, als er zusammen mit seinem Vater dem schwerverletzten Seewolf den Rest hatte geben wollen. Oh, wie hatten sie sich verkalkuliert! Sie hatten geglaubt, nur Gwendolyn Bernice Killigrew, geborene O’Flynn, in der Kapitänskammer der „Isabella“ vorzufinden: Sir John, der die junge Frau als Schwiegertochter nicht wollte, hatte sie und den Bastard Hasard umbringen wollen.
Aber da waren Big Old Shane und der Neger Batuti auf der Bildfläche erschienen. Und Shane hatte wahrgemacht, was er schon seinerzeit auf Arwenack geschworen hatte. Er hatte John Malcolm getötet.
Keymis hatte dann während der Bestattung von John Malcolm zur Meuterei aufrufen wollen. Doch die Mannschaft des Seewolfes hätte ihn deswegen beinahe gelyncht. Nur Ben Brighton war es zu verdanken, daß Keymis nicht an der nächsten Rahnock aufgeknüpft worden war. Bei allem Haß mußte Sir John doch zumindest dies Brighton zugestehen.
Fazit: Die Crew der „Isabella“ stand hinter dem Seewolf, diesem Teufel, und es gab nichts, das sie beeinflussen konnte. Sir John hatte, solange er sich an Bord des Schiffes befand, jeden Gedanken aufstecken müssen, den Schatz in den Frachträumen an sich zu reißen.
Doch sie befanden sich jetzt in Plymouth.
Hier dominierte nicht mehr die unendliche Weite der See, dies war keine Umgebung wie die Karibik, in der der Seewolf und alle anderen Korsaren und Piraten nach eigenen Gesetzen lebten. Hier war Cornwall, der unumschränkte Machtbereich von Sir John Killigrew. Oh, er würde es ihnen schon zeigen, diesen tolldreisten Hunden!
Aber Keymis – war er ihm schon von vornherein nicht gerade sympathisch, so hatte Sir John jetzt jede Partnerschaft mit diesem durchtriebenen Burschen abgelehnt. Wohlweislich, denn er hatte sich ja ausrechnen können, daß Baldwin Keymis nichts Eiligeres zu tun haben würde, als zu seinem Amtskollegen Burton zu rennen. Die Tatsachen gaben ihm nun recht. Sir John hatte auch beobachtet, was sich auf der Pier neben der „Isabella“ abspielte.
Seit jeher waren die Killigrews mit der Burton-Sippe verfeindet. Die Fehde ließ keine Art von Übereinkommen zu, nicht einmal vorübergehende Bündnisse – eine Art Burgfrieden, wie er sich doch in diesem Fall bei einem gemeinsamen Ziel angeboten hätte. Schließlich wollten Keymis, Burton und er alle drei das gleiche: den Schatz der „Isabella“!
Aber nein, es gab nur den einen Weg. Sir John mußte sich auf seine Eigeninitiative verlassen. Rasch hatte er gleich nach dem Verlassen der „Isabella“ seine zweiundzwanzig Männer zusammengetrommelt. Auch sie waren von Ben Brighton fortgeschickt worden. Sie stellten den Rest jener Crew dar, mit der Sir John an Bord einer Galeone nach Spanien aufgebrochen war. Wieder einmal hatte er einen seiner Beutezüge geführt – und war gescheitert. Vor der Küste von Portugal hatten die Spanier ihn gestellt und in die Zange genommen. Mit drei Galeeren und zwei Karavellen waren sie ihm auf den Leib gerückt. Seine Galeone hatte bereits mehrere Lecks gehabt und jede Menge Wasser übergenommen, und zweifellos hätten die gottverfluchten Dons ihn und seine Crew endgültig zu den Fischen geschickt, wenn nicht plötzlich ein weiteres Schiff wie ein Gespenst aus dem Regendunst aufgetaucht wäre – die „Isabella“. In einem beispiellosen Gefecht hatte sie die Galeeren und Karavellen versenkt. Die letzte Karavelle war explodiert. Eine durch die Luft wirbelnde halbe Rah hatte den Seewolf am Kopf getroffen und bedenklich verletzt. Dann, nach dem Verklingen des Kanonendonners und Explosionslärms, hatte die „Isabella“ Sir John und seine Männer übernommen.
Gewiß, der Seewolf hatte ihm das Leben gerettet. Doch das zählte bereits nicht mehr für Sir John. In seinen Augen war Hasard nur der Bastard, der ihm wie ein Dorn ins Auge stach. Und Shane hatte nun allem die Krone aufgesetzt, indem er John Malcolm umgebracht hatte. Sir Johns Haß kannte keine Grenzen mehr.
Am Vormittag, beim Einlaufen der „Isabella“ in die Mill Bay, hatte er von seinem Kammerfenster aus die Kriegskaravelle an der Pontoon Pier gesichtet. Sofort hatte er sein Vorhaben entsprechend aufgebaut. Was nun Baldwin Keymis und Samuel Taylor Burton betraf, so hatte er sich wirklich nicht verrechnet. Und Ben Brighton, der sich nicht nur Bootsmann, sondern auch Erster Offizier des Seewolfes nannte? Was würde der tun?
Sir John glaubte es zu wissen.
„Herhören“, sagte er. „Bootsmann, wie heißen Sie?“
Sullivan zog den Kopf ein wenig ein und sah sehr verblüfft aus. Noch konnte er es nicht fassen, wahrhaftig Sir John Killigrew gegenüberzustehen, und glaubte an einen Scherz von Feeney. Noch verschloß sich sein Geist den Tatsachen und wollte den barschen Kommandoton dieses rotgesichtigen, rothaarigen Bullen nicht annehmen.
Aber dann siegte doch die Disziplin in ihm. „Sullivan, Sir.“
„Also schön, Sullivan. Ich bin John Killigrew, der General-Kapitän von Cornwall. Ich verlange, den Kommandanten dieses Schiffes zu sprechen, und zwar ein bißchen dalli.“
„Der – der Kapitän ist in Urlaub, Sir.“
„So?“ In Sir John drohte das Siegesgefühl überzuschäumen. Besser hätte er es nicht treffen können! Er hatte praktisch freie Hand. Diesen Hampelmann von einem Bootsmann stecke ich in die Tasche, dachte er.
Hinter Sir John standen die zweiundzwanzig Männer seiner versenkten Galeone, vor ihm umringte die Crew der Dreimast-Karavelle ihren verdutzten Bootsmann. Sir John warf einen Blick zur „Isabella“ hinüber – noch lag sie an der Pier.
„Ich erkläre die ‚War Song‘ für beschlagnahmt“, sagte er scharf. Er stand mit leicht abgewinkelten Beinen, die Hände auf die Seiten gestützt, ganz Herr seiner Sache. „Sie wird für einen Geheimauftrag benötigt. Das bedeutet, daß ich ab sofort euer Kapitän bin, verstanden?“
Sullivan ging in diesem Moment vor Ehrfurcht fast in die Knie.
„Jawohl!“ brüllte er und straffte sich.
Sullivan hatte Sir John noch nie in seinem Leben gesehen, aber er hatte von dessen Taten als Freibeuter in der Irischen See und dem Nordatlantik vernommen. Sir John war ihm also kein Unbekannter. Er war ein Mann, der alles überrollte und keine Widerworte duldete.
Sir John maß die Crew der Karavelle mit einem geringschätzigen Blick. Ein Mann seines Titels zusammen mit gewöhnlichen Decksleuten und Seesoldaten auf der Kuhl – das ging nicht an.
„Sullivan, folgen Sie mir aufs Achterdeck. Und ihr“, Sir John drehte sich zu seinen Begleitern um, „ordnet euch der Crew zu und paßt mir auf, daß es keinen Zank und keine Unbotmäßigkeiten gibt. Wer gegen die Borddisziplin verstößt, der lernt mich von meiner übelsten Seite kennen, verstanden?“
„Aye, aye, Sir!“
Sir John kletterte vor Sullivan auf das zum Heck hin spitz zulaufende, über der Galerie jedoch abgestumpfte Achterkastell. Er wandte sich um, verschränkte die Arme und ließ seinen Blick über die Takelage wandern. Frechheit siegt! Er hatte wieder ein Schiff. „War Song“, „Schlachtgesang“ – dieser Name erschien ihm beinahe wie ein Omen. Denn er hätte jetzt vor Freude schon ein wüstes Lied schmettern mögen.
„Lateinersegel, Bootsmann Sullivan.“ Er nickte zufrieden. „Das lob ich mir. Mit den langen Rahruten, die weit dichtgeholt werden können, ist das Schiff ein vortrefflicher Am-Wind-Segler und schlägt jede Galeone.“
„So ist es, Sir.“
„Wie ist es um die Armierung bestellt?“ Sir John taxierte mit einem huschenden Blick, was da vor den geschlossenen Stückpforten mit Brooktauen festgezurrt war. „Zehn Stücke auf jeder Schiffsseite.“ Er drehte sich um. Auf dem Schanzkleid des Achterdecks waren zwei in Gabellafetten drehbare Geschütze montiert, desgleichen auf der Back, wie er vorher schon gesehen hatte. „Vier Drehbassen – brauchbare Hinterlader. Ausgezeichnet, Sullivan, wirklich, ganz ausgezeichnet.“
Während Bootsmann Sullivan noch vor Stolz errötete, konzentrierte Sir John Killigrew sich bereits wieder auf die „Isabella“. Plötzlich kniff er die Augen zusammen. Täuschte er sich oder bewegte sich das Schiff von der Pier fort?
Dann sah er es ganz deutlich. Die Entwicklung gab ihm recht. Ben Brighton ließ sich auf Verhandlungen mit Keymis und Burton nicht ein. Er ließ die Festmacher kappen und trieb von der Pier weg. Im Handumdrehen wurden die Segel gesetzt. Wirklich, das mußte auch Sir John anerkennend feststellen: Die Crew verstand ihr Handwerk.
Und Burton und Keymis?
Die wagten nicht, sich zu rühren. Sir John ließ sich von Sullivan einen Kieker reichen, blickte hindurch und konnte nun ganz genau verfolgen, was sich abspielte. Er lachte auf. Burton stand wie eine Salzsäule da, Keymis ballte die Hände und preßte die Lippen zusammen. Natürlich gaben sie keinen Schießbefehl – die Geschütze der „Isabella“ waren auf sie gerichtet. Wahrscheinlich hatte Ben Brighton sie schon lange vorher laden lassen. Jetzt brauchten die Friedensrichter nur eine unbedachte Bewegung zu tun, und sie würden als erste zusammengeschossen werden. Danach kam die Stadtgarde dran.
Es blieb ruhig.
Die „Isabella V.“ rauschte mit praller Bugsee aus der Mill Bay und nahm Kurs auf den Atlantik. Sir John sah Brighton, den alten O’Flynn, Ferris Tucker, den rothaarigen Riesen, und Shane auf dem Achterdeck stehen.
Shane! Er unterdrückte einen Fluch. „Sullivan!“
„Sir?“
„Sofort die Leinen los, Segel setzen und die Verfolgung der Galeone aufnehmen.“
„Ist das der Geheimauftrag, Sir?“
Sir John lief eine Nuance dunkler an. Er ließ das Spektiv sinken und fuhr den Bootsmann an: „Was fragst du so blöd, du Hornochse? Soll ich dich auf der Gräting auspeitschen lassen, oder nimmst du jetzt die Beine in die Hand und bringst deine Männer auf Trab?“
Sullivan hastete aufs Quarterdeck hinunter. Seine Kommandos hallten über Deck. Die Gangway wurde eingeholt, die Festmachertrossen gelöst. Der Rudergänger eilte auf seinen Posten hinter dem Kolderstock. Männer enterten wie die Affen in den Wanten auf. Als die Vorsegel gesetzt waren, wurde das Vorschiff von der Pontoon Pier weggedrückt. Es lag kurz im Wind, die anderen Segel wurden gesetzt, die „War Song“ fiel ab und nahm vor dem Nordwestwind Fahrt auf. Sie segelte über Backbordbug und glitt in den Plymouth Sound hinaus.
Sir John trat an die Balustrade, die das Achterdeck zum Quarterdeck hin abschloß. Daß Burton und Keymis sich hinter seinem Rücken im Hafen von Plymouth wie die Wahnsinnigen aufführten und ihre. Wut nun an der Stadtgarde ausließen, interessierte ihn nicht im geringsten. Er hatte nur noch sein Ziel vor Augen: sich den Schatz der „Isabella“ zu holen.
Die See war frei.
Was sich dort abspielte, ging niemanden etwas an. Er brauchte keinem Menschen darüber Rechenschaft abzulegen. Auch der Königin nicht, für die ja, wenn man dem Bastard Hasard und dessen Kerlen Glauben schenken durfte, drei Viertel der Beute bestimmt waren. Doch diese Tatsache ließ John Killigrew völlig ungerührt.
Noch etwas drängte ihn, die „Isabella“ einzuholen und ihre Besatzung das Fürchten zu lehren. Big Old Shane befand sich an Bord. Er hatte John Malcom ins Jenseits befördert, und Sir John war weit davon entfernt, Recht und Unrecht abzuwägen. Welche Bedeutung hatte es noch, daß er und John Malcolm den Seewolf hatten töten wollen, daß Shane im Affekt – oder wie immer man es nennen wollte – gehandelt hatte?
Für ihn war Shane der Mörder seines Erstgeborenen. Allein das zählte. Es gab nur ein Mittel, die Schandtat zu sühnen und den Haß zu bezwingen, der in ihm gärte: Rache.
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