Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 509»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-917-8
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Kundschafter
Das war ihr Prinzip – erst ausspähen, dann schlagen
Della Rocca, der Korse, deutete mit ausgestrecktem Finger auf die drei Säcke. Sie lagen auf der Kuhl seiner Galeone, der „Bonifacio“. Prall gefüllt waren sie – mit Schmuck, Münzen und anderen Kostbarkeiten.
„Das Zeug gehört euch!“ rief della Rocca – und schon stürzten sich seine Kerle auf die Beute.
Lachend und johlend rissen die Piraten die Säcke auf und kippten den Inhalt auf die Planken. Es trat genau das ein, womit della Rocca gerechnet hatte. Es gab Streit. Doch der Perlen-Wolf wollte es so haben. Denn die Kerle mußten von dem Mißerfolg, den sie gehabt hatten, abgelenkt werden.
Die Hauptpersonen des Romans:
Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf verfolgt die Piratengaleone „Bonifacio“ und entwickelt einen Plan.
Della Rocca – Auch der Korse entwickelt Pläne, aber es sind keine, über die seine Horde entzückt sein wird.
Ferris Tucker – Der Schiffszimmermann der „Isabella“ muß unter Beweis stellen, ob er eine gute Nase für Geheimverstecke hat.
Edwin Carberry – Der Profos würde sich gern ein bißchen prügeln, aber das ist bei seinem Auftrag nicht vorgesehen.
Zardo – Der Ankerposten auf der „Bonifacio“ klaut eine Flasche Wein, bleibt aber wach genug, um ein Feuer zu entdecken.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
1.
Grölend kramten die Piraten in den Schatzgütern. Plötzlich bückte sich ein Mestize nach einem handgroßen, rechteckigen Relief, das ihm vor die Füße gerutscht war. Er griff danach, hob es auf und betrachtete die kunstvoll getriebene Goldschmiedearbeit. Eine erotische Szene – eine Frau kniete vor einem Mann. Der Mestize blickte verblüfft darauf. Dann begann er wiehernd zu lachen.
„Was ist das?“ brüllte sein Nebenmann. Er riß ihm das Relief aus der Hand, schaute drauf und stimmte ein röhrendes Gelächter an.
„Gib das her!“ fuhr der Mestize ihn an. „Das gehört mir!“ Er wurde tückisch und griff zum Messer. „Her damit!“
Aber der andere Kerl hatte das goldene Bild schon an einen dritten weitergegeben. Jeder der Piraten wollte es haben, und plötzlich war die Kuhl ein Tollhaus. Die Kerle fluchten und brüllten. Sie droschen mit den Fäusten aufeinander ein, die Messer blitzten im Dunkeln. Es war die Hölle.
Gegen neun Uhr am Abend dieses 13. Juli 1595 segelten die „Isabella IX.“ und die „Empress of Sea II.“ westwärts entlang der Nordküste von Kuba. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, und Old O’Flynn hatten mit ihren Crews die Verfolgung von della Rocca aufgenommen.
So hatte sich der bisher aus vier Schiffen bestehende Verband aufgelöst. Die „Golden Hen“ und die „Le Griffon II.“ blieben in der Bucht westlich von Havanna vor Anker liegen. Jean Ribault und Edmond Bayeux, die Kapitäne, hatten den Auftrag, noch in der Nähe der Hauptstadt zu verweilen und die weiteren Entwicklungen abzuwarten.
Im Prinzip war die Aufgabe, die man hatte bewältigen wollen, erledigt. Havanna befand sich wieder fest in der Hand der spanischen Obrigkeit. Die Rädelsführer des Aufstandes – Alonzo de Escobedo und der dicke Kaschemmenwirt Gonzalo Bastida – waren zum Zappeln an der hohen Pinie vor dem Gefängnis aufgehängt worden.
Trupps der Miliz und der Garde kämmten die Stadt nach Plünderern ab. Die Kerkerzellen hatten sich gefüllt. Don Luis Marcelo, der Kommandant der Stadtgarde, nahm kommissarisch die Aufgaben des Gouverneurs wahr.
Er versah seine Sache nicht schlecht, dieser Marcelo, besser jedenfalls, als Zweifler und Spötter ursprünglich angenommen hatten. Und Marcelo hatte sich inzwischen auch bei dem deutschen Handelsherrn Arne von Manteuffel für die Unterstützung bedankt.
Einen Prunkdegen aus Toledo hatte der Señor Kommandant Arne überreicht, und er hatte auch nicht versäumt, den Deutschen entsprechend zu belobigen.
Marcelo konnte ja auch nicht ahnen, daß die „Deutschen“, die da so überraschend in der Stadt gelandet waren, in Wirklichkeit englische Korsaren waren, also Erzfeinde der spanischen Nation.
Des weiteren war ihm nicht bekannt, daß die Faktorei von Manteuffel nur zur Tarnung aufgebaut worden war. Sie diente Arne von Manteuffel, Jörgen Bruhn, Jussuf und Isabella Fuentes, um die Aktivitäten der Spanier unbehelligt und ungestört aus nächster Nähe beobachten zu können.
Das Auslaufen von Schatzkonvois und andere wichtige Neuigkeiten gaben die „Manteuffels“ unverzüglich als Nachricht an den Bund der Korsaren weiter – in deutscher Sprache verfaßt und per Brieftaube. Diese Art der Übermittlung von Informationen hatte sich als zuverlässig, pünktlich und schnell erwiesen.
Der Bund der Korsaren, der seinen Stützpunkt auf der Bahama-Insel Great Abaco an der Cherokee-Bucht eingerichtet hatte, war auf diese Weise in der Lage, jedem Konvoi rechtzeitig genug aufzulauern und ihn aufzubringen. Die Zusammenarbeit mit Arne und dessen treuen Kameraden klappte hervorragend. So sollte es auch in Zukunft sein. Deshalb waren Hasard und seine Freunde mit vier Schiffen ausgerückt, als Arnes Notruf bei ihnen eingetroffen war.
Havanna glich einem Hexenkessel, als die Männer des Bundes eintrafen. Der Mob plünderte, Gewalt regierte die Stunde. Die Bürger hatten sich in die Residenz zurückgezogen.
Eine zweite Bastion im Kampf gegen die Galgenstricke und Schlagetots war das Gefängnis, das dem Direktor José Cámpora unterstand. Ansonsten beherrschte der Pöbel die Häuser und Gassen.
Seit in Havanna kein kommissarischer Gouverneur mehr am Ruder war, hatte sich die Lage zugespitzt. Keine Ordnung und Disziplin mehr, keine führende Hand – das hatten die Ratten ausgenutzt. Sie waren aus allen Löchern gehuscht und hatten ihr Werk begonnen.
Schließlich entwich Alonzo de Escobedo mit Hilfe von Corda, dem füchsischen Sekretär im Gouverneurspalast, aus dem Gefängnis, und somit war das Chaos perfekt.
De Escobedo hatte sich in den Kopf gesetzt, sich wieder in den Sessel des Gouverneurs von Havanna und Kuba zu hieven. Er wollte um jeden Preis die Residenz stürmen, nachdem ein Angriff auf das Gefängnis fehlgeschlagen war. Hilfe erhielt er von Gonzalo Bastida, der wiederum eine hundertköpfige Truppe aus den Reihen seiner Leibwächter, Schläger und Saufbolde rekrutierte und sie gegen den Palast des Gouverneurs vorschickte.
De Escobedo und Bastida wären wohl die neuen Herren der Stadt geworden, wenn die „Deutschen“ nicht plötzlich eingegriffen hätten. Diese Männer hatten den Rädelsführern einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen. Als erstes hatten sie in der Hafenkneipe des Dicken aufgeräumt. Dann hatten sie die Plaza aufgesucht und de Escobedo „abgeholt“. Schließlich hatte Arne von Manteuffel die beiden Oberhalunken dem Gefängnisdirektor Cámpora übergeben.
Cámpora hatte nicht lange gefackelt. Es war seine Entscheidung gewesen, de Escobedo und Bastida sofort zu hängen. Der Tod der beiden Rädelsführer hatte seine nachhaltige Wirkung auf die übrigen Strolche gehabt. Sie hatten das Weite gesucht. Die Belagerung der Residenz war aufgehoben. Die Bürger waren frei und konnten in ihre Häuser zurückkehren.
Don Luis Marcelo schöpfte nicht den geringsten Verdacht, daß mit dem deutschen Handelshaus irgend etwas nicht stimmte. Er war voll des Lobes, bewunderte die Deutschen und sicherte Arne von Manteuffel seine Unterstützung zu.
Cámpora war ebenfalls begeistert von diesen „Teufelskerlen“, ohne deren Hilfe Havanna gewiß gefallen wäre. Besser hätte es für die Faktorei und den Bund der Korsaren nicht enden können. Alles, was der Seewolf und sein Vetter am Tisch im Kontor der Faktorei geplant hatten, war in die Tat umgesetzt worden.
Der Vorsicht halber verließen die vier Schiffe noch in der Dunkelheit den Hafen. Hasard zog es vor, die Bucht westlich der Stadt als Ankerplatz aufzusuchen. Allein der Anblick der „Isabella“, der „Golden Hen“, der „Le Griffon“ und der „Empress“ hätte die Spanier am Morgen argwöhnisch stimmen können. Es war besser, dieses Mißtrauen erst gar nicht zu wecken.
Gewiß, die Schiffe hätten auch sofort zum Stützpunkt an der Cherokee-Bucht zurückkehren können. Aber klüger war es, noch abzuwarten. Erst wenn man ganz sicher war, daß Arne und die anderen in Havanna keiner Gefahr mehr ausgesetzt waren, konnte der Rückzug endgültig erfolgen.
Ausharren also – aber es hatte Zwischenfälle gegeben. Die Männer an Bord der vier Schiffe waren alarmiert worden, als im Dickicht nahe der Bucht die ehemaligen Leibwächter des Gonzalo Bastida, Cuchillo und Gayo, ihren Kumpan Sancho töteten. Carberry, Dan O’Flynn und Gary Andrews setzten mit einer Jolle über und töteten Cuchillo und Gayo im Duell.
Das war an diesem Abend passiert. Doch damit nicht genug. Ein Trupp Soldaten unter dem Kommando des jungen Teniente Denaro war erschienen und hatte den Tod der drei Leibwächter festgestellt. Denaro hatte die Beutesäcke mitnehmen lassen. Weit war der Trupp auf dem Rückweg nach Havanna nicht gelangt. Er war auf della Rocca und dessen Piratenmeute gestoßen, was einen mörderischen Kampf zur Folge hatte.
Hasard, Dan und Batuti wurden Zeugen dieses Handgemenges. Später erfuhren sie von einem der sterbenden Kerle der Della-Rocca-Bande, wen sie vor sich hatten.
Den „Perlen-Wolf“ – aha! Und der Stützpunkt der Piraten befand sich in einer Bucht auf der Nordwestseite der Insel Cozumel. Diese wichtigen Informationen hatten die Männer sich einprägen können – dann war der Pirat gestorben.
Sie hatten den Kerl und die anderen Toten in der Grube, in der sich die von della Rocca geborgene Truhe befunden hatte, begraben. Dann wurde an Bord der „Isabella“ kurz beratschlagt.
Der Seewolf war fest entschlossen, den Hundesöhnen unter dem Kommando des della Rocca auf der Spur zu bleiben. Deshalb ging er mit der „Isabella“ und der „Empress“ unverzüglich ankerauf, um der „Bonifacio“ zu folgen.
Jean Ribault und Edmond Bayeux blieben vereinbarungsgemäß in der Ankerbucht zurück, um in dieser Nacht Arne von Manteuffel über das letzte Ereignis zu berichten. Arne würde seinerseits per Brieftaube wiederum die Freunde im Stützpunkt über Hasards neues Vorhaben unterrichten können. Sollte bei Arne von Manteuffel sonst alles in Ordnung sein, dann konnten die „Golden Hen“ und die „Le Griffon“ zur Cherokee-Bucht zurückkehren. Mit dieser Vereinbarung hatte man sich getrennt.
Dan O’Flynn hatte in dieser Nacht den Posten des Ausgucks im Hauptmars der „Isabella“ übernommen. Immer wieder spähte er mit dem Spektiv voraus. In der Optik herrschte tintenschwarze Finsternis, und doch gab Dan die Hoffnung nicht auf, irgendwann die Hecklaterne des Piratenseglers zu entdecken.
Auf der „Empress“ waren es die Zwillinge, die als Ausguck die Augen offenhielten. Die „Empress“ lag schräg Steuerbord achteraus von der „Isabella“. Die Schiffe segelten über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen fast vorm Wind, der aus Nordosten wehte. Sie liefen beide gute Fahrt. Aber die Männer kannten die „Bonifacio“ als Schiff nicht näher. War die Galeone ein ganz normal beschaffenes Schiff, oder hatte della Rocca sie zu einem Schnelläufer mit langen Rahen und großer Segelfläche umgebaut? Möglich war alles – und man mußte auch mit dem Unmöglichen rechnen.
Bald aber war es Dan, der seinen Kameraden ein Zeichen gab.
„Da ist das Schiff!“ meldete er.
Soeben hatte er die Piratengaleone an der Grenze der nächtlichen Sichtweite entdeckt.
„Sehr gut“, sagte Hasard. „Wir haben sie also eingeholt.“
„Und das ist schon mal sehr beruhigend“, meinte Ben Brighton. „Wir hängen uns in das Kielwasser der Galeone und lassen sie nicht mehr aus den Augen.“
Somit waren alle Zweifel ausgeräumt, die die Bauart und Schnelligkeit der Piratengaleone betrafen. Della Roccas „Bonifacio“ war eine ganz normale Dreimastgaleone. Hasard und seine Mannen waren ziemlich sicher, daß es sich um ein gut armiertes Schiff handelte, wie es bei Freibeuterseglern im allgemeinen der Fall war.
Aber die vielen Kanonen, die der Bande im Gefecht gegen Handelsgaleonen einen unschätzbaren Vorteil sicherten, machten das Schiff nicht gerade leichter. Somit war auch die Geschwindigkeit durch die Last der Stücke beeinträchtigt.
Für Piratenführer wie della Rocca war es besser, ein gut bewaffnetes Schiff zu haben als einen wendigen Schnellsegler. Mit seiner Galeone konnte er es mit jedem Spanier aufnehmen, zumal die Spanier selbst auf schnelle Schiffe ohnehin keinen großen Wert legten. Ihre Galeonen waren plump und behäbig, die Karavellen zwar besser manövrierbar, jedoch nur leicht armiert. Della Rocca brauchte also kaum einen Gegner zu fürchten. Nur vor Kriegsschiffen mußte er Respekt haben, und denen würde er tunlichst ausweichen.
Kleinere Schnapphahnbanden der Karibik bevorzugten zwar immer noch Schaluppen und Pinassen, um Beuteschiffe zu kapern, doch della Rocca hatte eine zu große Meute. Im übrigen wollte er, so hatte es den Anschein, ganz sichergehen.
Die „Bonifacio“ war eine schwimmende Festung und nicht so leicht einzunehmen. Man konnte kleinere spanische Stützpunkte angreifen und war außerordentlich beweglich. Jederzeit konnte della Rocca mit seinem Schiff beispielsweise den Atlantik überqueren und zur Alten Welt übersetzen – wenn es ihm in diesen Gefilden zu heiß wurde. Und er brauchte kaum einen Sturm zu fürchten.
Alle diese Überlegungen beschäftigten Hasards Geist, während er mit der „Isabella“ in das Kielwasser der „Bonifacio“ steuerte. Als Führungshalter hing die „Isabella“ nun hinter der Piratengaleone. Della Rocca konnte sie nicht mehr abschütteln.
Doch vorerst schien er nicht zu registrieren, was hinter seinem Schiff vor sich ging. Und auch seinen Kerlen waren offenbar weder die „Isabella“ noch die „Empress“ aufgefallen. Man hatte die beiden Verfolger noch nicht gesichtet.
An Bord der „Bonifacio“ schien es hoch herzugehen. Johlen und Lachen tönten zu den Schiffen des Bundes der Korsaren. Keiner der Piraten ahnte etwas von den Verfolgern.
„Na, die scheinen sich ja gut zu amüsieren“, meinte Big Old Shane, der sich soeben zu Hasard und Ben gesellt hatte.
„Sie haben zu tun“, sagte Ben.
Ferris Tucker und Roger Brighton traten ebenfalls zu den drei Männern an die Querbalustrade des Achterdecks. Sie spähten voraus und konnten im Dunkeln die „Bonifacio“ wie einen Schemen vor sich erkennen.
„Irgendwie scheinen die Kerle abgelenkt zu sein“, sagte Ferris Tucker. „Na, großartig. Um so größer ist für sie die Überraschung, wenn sie uns sichten.“
Roger Brighton lachte leise. „Klar. Für uns ist es auf jeden Fall gut, schon mal zu wissen, daß wir unserem möglichen Gegner an Geschwindigkeit überlegen sind.“
„Was bei der ‚Isabella‘ und erst recht bei der ‚Empress‘ gegeben ist“, sagte Big Old Shane.
„Und wie werden wir den ‚Perlen-Wolf‘ angehen?“ wollte Ferris wissen.
„Ich nenne ihn eher einen ‚Perlen-Hai‘“, warf Ben ein.
„Ich auch“, pflichtete Hasard ihm bei. „Allerdings bin ich mir selbst noch nicht im klaren, wie wir die Sache am besten anpacken. Ich schätze aber, daß wir noch einige Zeit zum Nachdenken haben.“
Das Grölen und Lachen, Fluchen und Lärmen an Bord der „Bonifacio“ nahm an Lautstärke zu.
Shane schüttelte den Kopf. „Was die da wohl treiben? Da scheint es ja wie in einem Tollhaus zuzugehen.“
„Vielleicht spielen sie mit den Perlen, die sie sich von Kuba geholt haben, Murmeln“, sagte Ferris sarkastisch.
„Das kann ins Auge gehen“, erwiderte Roger. „Wenn die Perlen durch die Speigatten rollen, sind sie sie los.“
„Ihr Problem“, sagte der Seewolf. „Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß della Rocca einen ziemlich großen Schatz zusammengetragen hat. Immerhin hat der sterbende Kerl, der von dem Teniente angeschossen wurde, ja genug darüber ausgesagt.“
„Daß della Rocca genau Buch führt“, entgegnete Ben. „Nicht wahr?“
„So ist es“, sagte Hasard. „Über jene Stellen, wo die Perlen versteckt sind.“
„Beim Donner“, sagte Shane. „Dieser della Rocca scheint seinen eigenen Kerlen nicht zu trauen. Na, ganz unrecht hat er nicht. Aber irgendwann müßte es den Brüdern doch mal aufgehen, daß er sie um ihren Anteil prellt.“
„Wahrscheinlich sind sie so dumm und verblendet, daß es ihnen nicht aufgeht“, meinte der Seewolf. „Aber das mit den Perlen ist schon mal etwas, das mich reizt. Nicht nur wegen der Perlen. Aber daß so ein Kerl seine Beute offenbar verstreut über die Karibik an ihren Küsten vergräbt, ist schon reichlich sonderlich.“
„Ja, das stimmt“, sagte Ben. „Es ist das erste Mal, daß ich so etwas höre.“
„Ganz abgesehen davon, daß dieser della Rocca offenbar total auf Perlen fixiert ist“, meinte Roger.
„Und er muß sehr präzise Buch führen“, brummte Shane. „Sonst findet er seine Schatzverstecke nicht wieder.“
Ferris grinste breit. „Was wiederum ein Grund wäre, sich ganz gehörig in den Hintern zu beißen.“
„Ein Narr ist della Rocca gewiß nicht“, sagte Hasard. „Er muß des Schreibens und des Rechnens kundig sein, um seine Aufzeichnungen richtig zur Niederschrift zu bringen. Meiner Ansicht nach ist es auch Gerissenheit, daß er es ausschließlich auf Perlen abgesehen hat. Perlen sind am besten zu verstauen.“
„Und leicht, das wissen wir ja aus eigener Erfahrung“, fügte Ben hinzu.
„Außerdem haben sie je nach Größe und Güte einen beachtlichen Wert“, fuhr der Seewolf fort. „Gegenüber schweren Gold- oder Silberbarren sind sie allemal vorzuziehen. Vielleicht ist dieser Kerl deshalb zum Perlennarren geworden.“
Shane kratzte sich mit grüblerischer Miene in seinem Bartgestrüpp. „Na, ich weiß nicht. Dann würden ja alle Schnapphähne der Karibik auf Perlen aussein. Ich glaube, da spielen noch andere Gründe eine Rolle.“
„Daß della Rocca beispielsweise eine Menge von Perlen versteht?“ fragte Hasard.
„Ja, so ungefähr.“
„Dem Namen nach könnte er ein Italiener sein“, sagte Ferris.
„Vielleicht ein Perlenfischer von Capri“, sagte Roger lachend.
„Oder von Sizilien“, meinte Hasard. „Genausogut könnte er von Korsika oder aus dem Süden von Frankreich stammen. Na, das ist ja auch nicht so wichtig. Wir wissen, daß della Rocca seine Perlen überall gehortet hat. Er verfügt also über unermeßliche Werte, die gut transportabel sind und wenig Platz einnehmen.“
„Wie die kleine Truhe, die er an der Bucht westlich von Havanna ausgegraben hat“, sagte Ben.
„So ist es“, erwiderte Hasard. „Er konnte sie mit Leichtigkeit handhaben. Nein, dumm ist er ganz gewiß nicht, dieser della Rocca. Mal sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Die nächsten Stunden bringen sicherlich noch einige Neuigkeiten.“
Shane gab einen dumpfen Laut von sich und wies voraus. „Als allererstes kriegen sich die Kerle ganz gewaltig in die Plünnen, schätze ich.“ In der Tat – der Krach, der von der „Bonifacio“ herüberwehte, hatte noch mehr zugenommen.
„Sir“, sagte Carberry, der zu diesem Zeitpunkt auf dem Quarterdeck der „Isabella“ stand. „Da vorn ist der Teufel los. Die Bastarde dreschen sich gegenseitig die Köpfe ein, schätze ich.“
„Nicht schlecht“, entgegnete der Seewolf. „Damit würden sie uns sogar einen Gefallen tun.“ Wieder gingen ihm die Perlen durch den Kopf – und gleichzeitig nahm in seinem Geist ein Plan Gestalt an, wie della Rocca am besten beizukommen war.
Der Krach an Bord der Piratengaleone entwickelte sich zum Tumult. Ein Höllenlärm – allem Anschein nach der Beginn einer Meuterei. Auf der „Isabella“ und auf der „Empress“ hoben die Männer lauschend die Köpfe. Gespannt warteten sie darauf, was weiter geschah.
Der Mestize hätte nicht nötig gehabt, sich mit seinen Kumpanen anzulegen. Er hätte nur nach den anderen Kostbarkeiten des Gonzalo Bastida zu greifen brauchen – nach Goldketten oder Goldbroschen, Diamantschmuck, Silbergeschmeide, Dublonen, Piastern und Dukaten. Die Säcke waren vollständig entleert, die glitzernde Pracht breitete sich auf den Planken der Kuhl aus.
Wie die Besessenen kramten und wühlten die Kerle in den Reichtümern. Der Mestize aber wollte das Goldrelief haben.
Die Gier raubte dem Mestizen fast den Verstand. Er hielt das Messer in der Rechten. Sein Blick war auf das Bild gerichtet. Ein Kerl mit einer schwarzen Augenklappe, Rovigo genannt, hielt es gerade mit beiden Händen hoch und stimmte ein brüllendes Gelächter an.
Die anderen Piraten umringten ihn. Einige standen, andere hockten oder knieten auf den Planken. Lachend und kichernd streckten sie die Hände nach dem Relief aus. Jeder versuchte, es Rovigo zu entreißen.
„Na, was ist?“ schrie Rovigo. „Ihr seid wohl scharf, was?“
Der Mestize arbeitete sich auf die Gruppe zu.
„Gib’s her!“ stieß er wütend aus. „Es gehört mir!“
Rovigo hörte nicht auf ihn. Er sprang auf, bewegte das Bild hin und her und beschrieb eine obszöne Gebärde.
„Wollt ihr’s haben?“ rief er.
„Ja!“ brüllten die Kerle.
„Holt es euch!“
„Du dreckiger Hund!“ keuchte der Mestize. „Gib das Ding raus!“
Er war jetzt nahe genug heran – Rovigo wandte sich zu ihn um und sah ihn halb verächtlich, halb amüsiert an. „Du? Was willst du denn damit, du Halbaffe?“
„Es gehört mir“, sagte der Mestize.
„Du ziehst dich daran hoch, was?“ schrie Rovigo höhnisch. Die anderen lachten und wieherten.
Da riß der Mestize das Messer hoch. Es blitzte in seiner Hand auf. Rovigo stieß eine lästerliche Verwünschung aus und trat mit dem rechten Fuß nach dem Mestizen. Der Mestize hackte mit dem Messer nach dem Fuß. Die Klinge schrammte über Rovigos Ferse, Rovigo heulte auf, als steche man ihn ab. Zornig knallte er dem Mestizen das Relief auf den Schädel.
Der Mestize sank auf die Planken. Der Schmerz dröhnte in seinem Kopf. Er hatte das Gefühl, sein Schädel platze. Stöhnend streckte er sich auf den Planken aus.
„So!“ schrie Rovigo. „Der hat sein Fett!“
Aber er war für einen Moment unaufmerksam. Ein anderer Kerl war hinter ihn getreten – ein Riese an Gestalt. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und griff mit beiden Händen nach dem Relief. Diejenigen, die das Manöver beobachteten, prusteten vor Vergnügen.
Der Riese packte zu und entriß Rovigo das Goldrelief. Rovigo fluchte.
„Du blöder Hund!“ brüllte er und fuhr herum. „Rück das sofort wieder raus!“
„Was willst du damit?“ rief der Riese höhnisch. „Du kannst ja doch nichts damit anfangen!“
„Das mußt du schon mir überlassen!“ schrie Rovigo.
Der Riese hastete zum Backbordschanzkleid der Galeone. Plötzlich tat er so, als wolle er die kostbare Goldschmiedearbeit außenbords befördern.
„Schweinkram!“ schrie er. „So was hat hier nichts verloren! Wir sind anständige Leute! Weg mit dem Dreck!“
Rovigo und zwei, drei andere stürzten sich mit den Messern auf den Riesen. Der setzte sich zur Wehr. Wild hieb er mit dem Goldbild um sich. Zwei Kerle flogen auf die Kuhl. Einer landete direkt neben dem Mestizen, der soeben aus seiner Benommenheit erwachte.
Richtig bewußtlos war der Mestize nicht gewesen. Es waren nur die Schmerzen, die ihm zugesetzt hatten. Voll Haß stand er auf und blickte sich um.
Da – Rovigo setzte dem Riesen zu. Rovigo, dieser Hurensohn!
Der Mestize hatte das Messer verloren. Er suchte es, bückte sich, tastete die Planken ab. Er fand seine Waffe nicht wieder, entriß jedoch dem Kerl, der neben ihm gelandet war, den Dolch. Dann stürmte er zu den Kämpfenden.
Auch die anderen Piraten waren sich gegenseitig an die Kehlen gegangen. Nicht alle stritten um das Relief, einige zankten sich um Schmuck, andere konnten sich nicht über Bastidas Geld einigen. Überhaupt, keiner war gewillt, gerecht mit den anderen zu teilen. Jeder war nur darauf aus, soviel wie möglich zusammenzuraffen.
So war es auch in Bastidas Kaschemme gewesen. Nachdem die Plünderer erfahren hatten, daß der dicke Wirt und de Escobedo aufgehängt worden waren, hatten sie nichts anderes im Sinn gehabt, als soviel Beute wie möglich an sich zu reißen und damit zu türmen, ehe es zu spät war.
Gold und Silber, Juwelen und Perlen säten Haß und Streit, verwandelten die Menschen in Bestien. Wie von Sinnen stachen und prügelten die Schnapphähne aufeinander ein.
Vergessen war die Kumpanei, die sie verband. Plötzlich waren sich alle spinnefeind, und jeder dachte nur noch an seinen persönlichen Anteil, der so groß wie möglich ausfallen sollte.
Rovigo stach dem Riesen das Messer in den Rücken. Der Riese gab einen gurgelnden Laut von sich. Das Goldrelief entglitt seinen schlaff werdenden Fingern. Um ein Haar wäre es außenbords gefallen, wenn einer der Kerle es nicht geistesgegenwärtig aufgefangen hätte.
Der Kerl lachte wie ein Irrer und führte eine Art Tanz auf. Doch seine Freude war von kurzer Dauer. Plötzlich tauchte ein glatzköpfiger Bulle neben ihm auf und entriß ihm das Bild.
Blitzschnell bückte sich Rovigo, um einem letzten Fausthieb des Riesen, der auf seine Schläfe gezielt war, zu entgehen. Er packte die Beine des Riesen und hievte den Mann hoch. Ein anderer eilte Rovigo zu Hilfe, und gemeinsam wuchteten sie den Riesen über das Schanzkleid. Ein Röcheln war das letzte, was die Piraten von ihrem Spießgesellen vernahmen, dann klatschte der Riese auch schon ins Wasser.
Rovigo schaute sich nach dem Relief um und entdeckte es in den Fäusten des Bullen. Ein lüsterner Ausdruck trat in die Züge des Glatzkopfes. Er leckte sich die Lippen.
Mit einem Satz war Rovigo bei dem Kerl. Er wollte das Relief wieder in seinen Besitz bringen, hatte aber nicht mehr auf den Mestizen geachtet, der plötzlich vor ihm auftauchte.
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