Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 55»

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© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-372-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

1.

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6.

7.

8.

9.

10.

11.

1.

Fausto Pereda, ein junger Sargento, schlank, stark, mit hellbraunen Augen und trotzig aufgeworfenen Lippen und voller Ehrgeiz – Pereda war außer sich vor Zorn. Er hielt die Hände geballt und schrie seine Leute an: „Beeilt euch, ihr Schlappschwänze, oder ich mache euch Beine!“

Auf Fort San Sebastian und in ganz Cadiz war der Teufel los. Philip Hasard Killigrew, angeblich ein Spion der Engländer, hatte an diesem frühen Morgen des 29. Mai 1580 füsiliert werden sollen. Aber seine Leute hatten sich als Spanier verkleidet in die Festung geschlichen – wie, das blieb ein Rätsel – und den Todeskandidaten dem Exekutionskommando vor der Nase weggeschnappt. Romeronde Zumarraga, der einzige Hauptbelastungszeuge im Prozeß gegen den zum Tode Verurteilten, hatte bei diesem Vorfall einen Kollaps erlitten. Es war nicht das erstemal gewesen, diesmal jedoch hatte ihn der Schlaganfall das, Leben gekostet. Aber es war noch schlimmer gekommen.

Sie hatten wie die Wilden gewütet, diese Befreier. Sie hatten den Teniente und den Festungskommandanten niedergeschlagen und unter den Soldaten aufgeräumt. Schließlich hatten sie auch noch ein Pulverfaß mit einer brennenden Lunte in den Pulverturm geworfen. Sie waren getürmt, mit einem Beiboot zu ihrer Karavelle hinüber, und Killigrew, dieser schwarzhaarige Himmelhund, hatte Salvador de Coria mit sich fortschleppen können – den Generalleutnant und Beauftragten des Königs für das Festungswesen.

Sargento Pereda hatte im allgemeinen Durcheinander den Befehl erhalten, in der Waffenkammer nach dem Rechten zu sehen und vor allen Dingen den Waffenmeister zu suchen. Der war spurlos verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Dabei mußte gerade er ja wissen, warum bei der Hinrichtung Killigrews mit einem Mal die Musketen nicht mehr funktioniert hatten. Mit anderen Worten: Er war persönlich verantwortlich für diese Riesenschweinerei.

Aber der Schlüssel zur Waffenkammer war nicht aufzutreiben gewesen. Keiner hatte ihn, niemand hatte ihn gesehen. Spurlos verschwunden! Das waren Tatsachen, die Peredas Gemüt erhitzten und zum Überkochen brachten. Er hetzte seine Untergebenen und brüllte sie an. Zwei Soldaten waren im Schweiße ihres Angesichts damit beschäftigt, die Tür zur Waffenkammer aufzubrechen, aber sie schafften es nicht.

„Ihr Kanaillen“, fuhr Pereda sie wieder an. „Strengt euch an, bringt euch meinetwegen um, aber die verdammte Tür muß endlich auf!“

Er trat einem von ihnen kräftig in den Hintern – und da klappte es plötzlich. Unter Schreck und Schock verdoppelten sich die Kräfte des Soldaten. Die Tür flog auf. Die Soldaten stürmten in die Waffenkammer, allen voran natürlich Pereda.

Der Waffenmeister war nirgends zu entdecken. Ein Feldbett, auf dem er geruht haben mußte, war leer. Pereda tigerte gereizt durch den Raum. Wahllos hob er ein paar Schußwaffen auf, Arkebusen, Musketen, Stein- und Schnappschloßpistolen. Sie waren samt und sonders unbrauchbar gemacht worden.

Der Sargento fluchte in allen Tonarten. Er riß Schränke und Truhen auf. Aber jählings verharrte er vor einem Schrank, der sich beim besten Willen nicht aufzerren ließ.

„Den Schlüssel her“, befahl er.

„Sargento“, erwiderte einer der Soldaten zaghaft. „Wir haben keine Ahnung, wo der zu finden ist.“

„Wieder verschwunden“, stieß Pereda wütend hervor. „Das ist ja wie verhext. Los, aufbrechen!“

Selbstverständlich bereitete es weitaus weniger Mühe, den Schrank zu öffnen, als die Tür der Waffenkammer. Ein Ruck mit einem dicken, vorn spitz zugefeilten Eisen, und der Holzschlag sprang auf. Sargento Fausto Pereda stand ganz unverhofft dem Waffenmeister gegenüber.

Es war eine denkwürdige Begegnung. Der Sargento klappte den Mund weit auf. Der Waffenmeister blickte ihn mit hervorquellenden Augen aus dem Schrank heraus an. Er hockte eingepfercht und würgte. Mehr konnte er nicht tun, denn er war gefesselt und geknebelt worden.

Sargento Pereda fand die Sprache wieder. „Madre de Dios. Heilige Mutter im Himmel, ist denn das zu fassen?“ Er lief puterrot an, riß den unglücklichen Mann aus dem Schrank, drängte ihn auf die Soldaten zu und brüllte: „Befreit ihn von den Stricken, Hölle und Teufel. Steht nicht wie die Ölgötzen herum und glotzt.“

Der Waffenmeister wurde in fliegender Hast seiner Fesseln und des Knebels entledigt. Er atmete ein paarmal tief durch, ließ die Arme baumeln, schaute den Sargento ergeben an und sagte: „Herzlichen Dank, ich dachte schon, ihr hättet mich vergessen.“

Pereda stellte sich breitbeinig vor ihn hin und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Fast wäre das passiert. Fast wäre nämlich nicht nur der Pulverturm des Forts, o nein, fast wäre ganz San Sebastian in die Luft geflogen – und mit der Festung wir.“ Er hob die Stimme wieder zu ohrenbetäubendem Geschrei. „Und du, Sohn einer Hure, wirst mir erklären, wie diese ganze Sauerei hat geschehen können. Rede!“

Der Waffenmeister zitterte aus Angst vor dem, was ihm noch blühte. Aber er berichtete. Zunächst sprach er stockend, dann flüssiger. Er schilderte, wie ihn fünf Kerle überwältigt hätten. Zumarraga wäre bei ihnen gewesen, mit einem Knebel im Mund. Ja, sie mußten durch den geheimen Fluchtgang eingedrungen sein.

„Einer von ihnen, ein Dunkelblonder mit breiten Schultern, hat mich mit vorgehaltener Pistole überrumpelt“, sagte der Waffenmeister. „Er sprach ausgezeichnet Spanisch, das muß ich ihm zugestehen.“

Der Sargento beugte sich vor, daß sich ihre Gesichter fast berührten. „Ausgezeichnet Spanisch, nicht wahr? Wie interessant. Damit willst du wohl überspielen, daß du Hund auf dem Feldbett gelegen und geschnarcht hast, wie?“ Seine Stimme wurde leise, gefährlich leise. „Aber damit kannst du bei mir nicht landen.“

„Ja – jawohl, Sargento.“

„Weiter jetzt. Was taten diese Halunken?“

„Sie berieten, ob sie zu dem Gefangenen vordringen sollten. Aber auf dem Weg dorthin standen zu viele Posten, und sie riskierten, überrascht zu werden. Außerdem, so sagten sie, befand sich der Schlüssel zum Kerker in der Tasche des Festungskommandanten.“

„Woher die das wohl wußten?“ sagte einer der Soldaten.

Pereda kanzelte ihn mit einem kalten Blick ab. „Von Zumarraga natürlich, du Idiot.“ Zu dem Waffenmeister gewandt, sagte er: „Also zerstörten sie die Schußwaffen. Auch die acht Musketen, die du heute in aller Frühe dem Füsilierkommando auszuhändigen hattest, ist es so, du Narr?“

„Ja.“

„Du Hasenfuß, warum hast du nicht versucht, sie zu überwältigen?“

„Sie waren zu fünft!“

„Du bist ein Feigling“, sagte Pereda voll Verachtung. „Du hättest um jeden Preis Lärm schlagen und dich opfern müssen. Für das Fort, für die Krone.“

Der Waffenmeister war weit davon entfernt, jemals als Märtyrer für sein Vaterland aufzutreten, aber das äußerte er natürlich nicht. Er fuhr fort: „Sie bewaffneten sich selbst bis an die Zähne, diese Teufel. Dann verkleideten sie sich als Spanier.“

„Ja!“ schrie der Sargento. „Und dann, um fünf? Du gabst die Musketen an das Hinrichtungskommando aus. War das nicht die Gelegenheit, die Sache zum Platzen zu bringen?“

„Nein“, beteuerte der Waffenmeister verzweifelt. „Diese Eindringlinge haben mir zugesetzt, die ganze Nacht über. Sie haben mich so eingeschüchtert, daß ich gar nicht an Widerstand dachte. Außerdem hielt einer von ihnen aus seinem Versteck heraus die Pistole auf meinen Rücken gerichtet, als die Füsiliere eintraten.“

Einer der Soldaten lachte. „Ich weiß, daß die Männer des Kommandos sagten, der Waffenmeister habe gezittert. Er habe wohl Schiß wegen der bevorstehenden Exekution, hieß es.“

Sargento Fausto Pereda nickte grimmig. „Und er hat die Hosen noch voll. Du wirst dich für deine Dämlichkeit rechtfertigen müssen, Freundchen. Es herrscht Alarmzustand in ganz Cadiz. Hier ist die Hölle ausgebrochen. Der Stadtkommandant hat den Ausnahmezustand verhängt, und ich kann bloß hoffen, daß er die Lage in den Griff kriegt.“

Er hatte kaum ausgesprochen, da erschien ein Bote unter dem Türrahmen. „Sargento, Sie werden dringend vom Teniente verlangt.“

Pereda warf dem Waffenmeister noch einen vernichtenden Blick zu, dann marschierte er hinter dem Boten her und meldete sich oben im Hauptgebäude der Festung bei dem Teniente, der hier vorläufig die Einsatzführung übernommen hatte.

„Anordnung vom Stadtkommandanten“, sagte der Teniente. „Sie gelten als der beste Reiter der Garnison Cadiz, Sargento Pereda. Statt hier wertvolle Zeit zu vergeuden, brechen Sie sofort nach Algeciras auf. Lassen Sie sich vom Stallmeister das schnellste Pferd geben. Im übrigen haben Sie Sondervollmacht und können das Reittier wechseln, wo und sooft Sie wollen.“ Er reichte ihm ein zusammengerolltes Dokument.

Pereda nahm es entgegen und steckte es zu sich. Er fühlte sich geehrt. Stolz warf er sich in die Brust und erwiderte: „Gut, Teniente. Und in Algeciras?“

„Dort alarmieren Sie die Marinestation und veranlassen, daß unsere Kriegsschiffe auslaufen und die Meerenge von Gibraltar blockieren.“

Pereda zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Wir haben Grund zu der Annahme, daß die als irisches Handelsschiff getarnte Zweimastkaravelle dieses Spions Killigrew ins Mittelmeer durchbrechen will.“

„Warum das? Für diesen Schurken läge doch weiß Gott nahe, sich sofort auf die Flucht nach England zu begeben“, sagte der Sargento verdutzt.

„Dies ist nicht der Moment, dumme Fragen zu stellen“, erklärte der Teniente ärgerlich. Nach dem tollkühnen Handstreich der Engländer befand auch er sich in einer inneren Verfassung, die durch den kleinsten Funken zur Explosion gebracht werden konnte.

Pereda lief blutrot an, salutierte und antwortete: „Natürlich nicht, Teniente. Zu Befehl, Teniente. Ich reite sofort los.“

Der Teniente bereute seine barsche Entgegnung und bequemte sich nun doch zu einer Erläuterung. „Es wurde beobachtet, wie die Karavelle Kurs nach Süden nahm. Unsere Vorgesetzten wissen, warum sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, Killigrew könne den Durchbruch ins Mittelmeer versuchen. Ich glaube, im Prozeß gegen ihn hat sich herauskristallisiert, daß er irgendwo in Nordafrika noch einen Verwandten hat. Genaues weiß ich aber auch nicht. Der Stadtkommandant hat natürlich bereits drei Kriegsgaleonen von hier auslaufen lassen, um die Karavelle zu verfolgen, aber ...“

„... aber doppelt hält besser“, erwiderte Pereda. Er nahm wieder stramme Haltung ein. „Ich fliege, Teniente. Dieser falsche Ire wird sich noch wundern. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Noch können wir das Urteil – wenn auch mit Verspätung – vollstrecken.“

Er meldete sich ab, lief nach unten in den Hof und schrie innerhalb der nächsten Minuten mit dem Stallmeister und dessen Knechten herum. Reichlich verärgert zäumten und sattelten sie ihm „Aurora“, einen hochbeinigen braunen Andalusier-Hengst. Aurora übertraf an Schnelligkeit alle, auch den schönsten Rappen im Stall von Fort San Sebastian.

Die Zugbrücke senkte sich unter dem Rasseln der Ketten. Sargento Fausto Pereda trieb den Hengst bereits hinüber, als sie noch nicht ganz aufgesetzt hatte. Im Galopp jagte das Tier in östlicher Richtung auf die Stadt zu. Pereda sah nur Soldaten. Die Bürger hatten sich in ihre Häuser verkrochen und drückten sich hinter den Fenstern die Nasen an den Scheiben platt. Pereda sah im Vorbeireiten in den kleinen, ineinander verschachtelt wirkenden weißen und grauen Gebäuden Männer mit verzerrten, schadenfrohen, aber auch angsterfüllten Gesichtern. Er sah Frauen, die ihre Kinder von den Fenstern wegrissen.

Zweimal wurde er von Patrouillen kontrolliert. Jedesmal sorgte er für einen Heidenaufstand und verschaffte sich Respekt. Er war der Sonderbeauftragte des Stadtkommandanten von Cadiz, ein Kurier der Krone mit hochbrisanten Meldungen für Algeciras. Man hatte vor ihm zu kuschen. Er wünschte sich, die ganze Welt möge ihn bei der Ausführung seines Auftrages beobachten.

An der Kathedrale wandte er sich nach Südosten und ritt nun auf der schmalen Landzunge, dem Ausläufer der Insel Leon, auf San Jose und Puntales zu. Er ließ Fort Cortadura hinter sich. In rasendem Galopp jagte er bis nach San Fernando und gönnte sich und dem Pferd keine Unterbrechung, bis sie das Ufer der Insel erreicht hatten.

Pereda ließ sich übersetzen. Danach ging der wilde Ritt weiter. In Ciclana de la Frontera preschte er durch den Ort, ohne abzustoppen. Die Menschen schüttelten die Fäuste und wetterten hinter ihm her. Pereda kümmerte sich nicht darum. Er war bereit, das Äußerste seiner Energien zu liefern, um so schnell wie möglich in Algeciras zu sein. Er wußte, daß nach gelungenem Abschluß dieser Mission die Aussicht auf Beförderung wartete.

Vielleicht würde man ihn sogar zum Teniente ernennen. Der Stadtkommandant von Cadiz war ein umsichtiger Mann voll strategischer Fähigkeiten, und es war bekannt, daß er die Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit seiner Ungergebenen gern großzügig honorierte.

Um die Mittagsstunde hatte er fast Conil erreicht. Grell stach die Sonne auf seinen Kopf und seinen Rücken. Er nahm den Helm ab, ohne das Tempo zu verringern. Aurora hielt sich immer noch gut. Pereda war froh, den Andalusier-Hengst gewählt zu haben. Oft gingen die Meinungen darüber auseinander, welches das wertvollste Pferd im Stall des Forts San Sebastian war, aber ein Mann mußte sich strikt nach seiner Überzeugung richten. Und er, Pereda, war nun einmal felsenfest davon überzeugt, daß es keinen besseren Renner als diesen Braunen gab.

Aurora stand der Schaum vor Maul und Nüstern. Pereda kümmerte sich nicht darum. Er nahm es erst richtig zur Kenntnis, als Aurora einen röchelnden Laut von sich gab, vorn in den Knien einbrach und ihn aus dem Sattel katapultierte.

Der Sargento landete im Straßenstaub. Er überschlug sich zweimal, blieb auf der Seite liegen und krümmte sich. Etwas stach schmerzhaft in seine rechte Körperseite. Es war das Wehrgehänge des Degens. Fluchend brachte er sich in eine günstigere Lage, schüttelte sich und richtete sich wieder auf.

Aurora rappelte sich nicht auf. Er war auch in den Hinterläufen eingeknickt, streckte jetzt alle viere von sich und gab eine Reihe klagender Laute von sich. Ein Mann, der sein Tier liebt, hätte sich besorgt darum bemüht, ja, er hätte es gar nicht erst zum Zusammenbruch getrieben.

Aber für Pereda gab es nur Disziplin und Karriere. Er schrie den Hengst an: „Willst du wohl aufstehen? Soll ich dir Beine machen?“

Das nutzte nichts. Pereda zerrte an dem Hengst, um ihm hochzuhelfen, aber auch das fruchtete nichts. Wütend ließ er die Zügel schließlich sinken. Er war verzweifelt, die Zeit rann ihm zwischen den Fingern davon. Aber er sah ein, daß Aurora keinen Schritt mehr schaffte. Der Hengst war am Ende seiner Kräfte und stöhnte unter der zunehmenden Mittagshitze.

Was sollte Pereda tun? Laufen? Es wäre das letzte gewesen, das er akzeptiert hätte. Erstens, weil es ihn viel zu langsam weiterbrachte. Zweitens, weil das Marschieren eines Sonderkuriers des Stadtkommandanten von Cadiz ganz und gar nicht würdig war.

Die Lösung des Problems ergab sich von selbst.

Aus Richtung Barbáte näherte sich in einer dichten Staubwolke ein einzelner Reiter. Als er den Sargento und den daliegenden Hengst erblickte, verringerte er sein Tempo. Pereda kniff die Augen zusammen. Aus den Lidschlitzen gewahrte er, daß es sich um einen zivil gekleideten, nicht sonderlich großen Mann auf einem Apfelschimmel handelte.

Es bestand die Gefahr, daß der Fremde sich zum Ausweichen entschloß. Man war nie sicher vor unliebsamen Überraschungen. Pereda setzte sich rasch den Helm auf. Er schwitzte darunter, aber er baute darauf, daß der Mann dort vor einem Unteroffizier Seiner Majestät Philipps II. von Spanien keine Furcht empfand.

Pereda winkte ihm zu. Und dann tat er noch etwas. Er zückte die Radschloßpistole und legte auf den Hengst an. Er krümmte den Finger um den Abzug. Das Rad lief surrend ab. Die sprühenden Funken zündeten die Ladung. Krachend brach der Schuß. Pulverqualm stob hoch, die Kugel schlug dem Hengst in den Schädel. Das Tier wieherte und bäumte sich auf, dann lag es still.

„Aus“, sagte Pereda.

Er nahm den kleinen Schlüssel für die Pistole zur Hand und zog den Radmechanismus wieder auf. In aller Ruhe lud er mit Pulver, Verdämmungspfropfen und Bleikugel wieder nach.

Der fremde Reiter zügelte den Schimmel vor ihm. Betroffen schaute er auf den toten Andalusier-Hengst. Er war ein untersetzter, dickleibiger Mensch mit etwas unterlaufenen Augen und Ansatz zu Hängewangen und Doppelkinn. Dabei war er höchstens erst Ende der Zwanzig.

„Gott im Himmel“, sagte er. „War das denn nötig? So ein wunderschöner Hengst ...“

„Er hatte sich den linken Vorderlauf gebrochen“, log der Sargento.

„So? Das sehe ich aber nicht.“

„Wer sind Sie, Mann?“ fragte Pereda arrogant.

Aber noch eine Spur hochnäsiger erwiderte der übergewichtige Mann: „Pedro Ortuno de Alcala y Jimena, ältester Sohn des mächtigsten Adligen in dieser Provinz, Don Arturo Ortuno ...“

„Schon gut“, schnitt Pereda ihm das Wort ab. „Sie stehen einem Spezialbeauftragten der Krone und des Stadtkommandanten von Cadiz gegenüber. Ich habe Meldungen von allergrößter Tragweite für Algeciras.“

Ortuno saß ab und näherte sich mißtrauisch dem Tierkadaver. „Das mag stimmen. Aber zum einen verlangt mir das nicht den geringsten Respekt ab, zum anderen halte ich Sie für einen außerordentlich komischen Vogel, Sargento. Ich verstehe von Pferden ziemlich viel. Sehen wir doch mal, ob Sie diesen herrlichen Braunen zu Recht oder verantwortungslos und kaltherzig abgeknallt haben.“

Er kniete neben dem toten Tier nieder, untersuchte es kurz und richtete sich empört wieder auf. Der Sargento saß auf dem Apfelschimmel.

„Tut mir leid, Hochwohlgeboren“, sagte er. „Aber ich muß Ihr Pferd beschlagnahmen. Sie kriegen es später wieder.“

„Das wagen Sie nicht.“ Ortuno griff zum Degen.

Pereda hob nur die Radschloßpistole, spannte den Hahn und zielte auf ihn. „Ich an Ihrer Stelle würde hübsch vernünftig sein. Ich kenne mein Recht als Soldat. In Ausnahmefällen darf ich durchaus ein Reittier konfiszieren.“

„Ich lege Beschwerde ein ...“

„Tun Sie das. Adios.“

Sargento Fausto Pereda preschte nach Südosten. Er ließ einen mörderisch fluchenden Ortuno zurück, der ihm die Pest an den Hals wünschte und ewige Blutrache schwor.

2.

Die Männer der „Isabella VII.“ hatten ihren Kapitän hochleben lassen, und es hatte eine Extraration Rum gegeben, mit der Hasard das Wiedersehen begossen hatte. Jetzt, nachdem sie Cadiz und damit das unmittelbare Feindgebiet hinter sich gelassen hatten, hatte er es sich und seinen Männern erlauben können, auf den Sieg anzustoßen. Und es war auch Zeit für eine schlichte, jedoch tief empfundene Äußerung gewesen.

„Ich danke euch. Ihr habt mir das Leben gerettet.“

„Jetzt hör aber auf“, sagte Carberry.

„Das war doch nicht der Rede wert“, meinte Ben Brighton. „Wir sind schon durch dickeren Schlamassel gestampft, stimmt’s?“

„Allerdings“, sagte Matt Davies. „Wäre doch ein Witz, wenn wir nach allem, was wir zusammen so durchgestanden haben, mit dem gegenseitigen Dankeschönsagen anfangen würden. Das gäbe ja kein Ende mehr.“

„Ohne unseren Kapitän wären wir alle längst als Haifischfutter geendet“, fügte Gary Andrews hinzu. Er sagte das sehr ernst, und er wußte, daß es nichts gab, mit dem Philip Hasard Killigrews bedingungsloser. Einsatz für sie aufzuwiegen gewesen wäre. Er, Gary, trat geradezu selbstvernichtend für das Leben und Wohlergehen des Seewolfes ein, denn Hasard hatte ihn dem Teufel höchstpersönlich von der Schippe geholt – damals, vor dreieinhalb Jahren, südlich der Azoren.

Hasard war froh und gerührt zugleich. Eine solche Crew gab es kein zweites Mal. Jeder Schiffsführer konnte ihn darum beneiden, selbst Francis Drake. Gleichzeitig wurde Hasard aber auch von Skrupeln geplagt. Seine Männer gingen für ihn durchs Feuer, schön und gut. Aber hatte er das Recht, ihnen in diesem Fall soviel abzuverlangen?

Er hätte sich schwere Vorwürfe gemacht, wenn auch nur einer von ihnen bei dem tollkühnen Befreiungsunternehmen im Fort San Sebastian verletzt worden wäre. Denn solange es darum ging, den Spaniern Gold, Silber und Juwelen zu entreißen und diese Reichtümer der königlichen Lissy daheim in England zur Verfügung zu stellen, war jeder noch so tolldreiste Einsatz gerechtfertigt.

Aber hier? Hatte er es sich letztlich nicht selbst zuzuschreiben, daß er von Zumarraga in die Falle gelockt worden war, daß man Gericht über ihn gehalten, ihn als falschen Iren Philip Drummond entlarvt und ihm den Stempel des Spions und Bastards aufgedrückt hatte? Im Grunde genommen war ihm das alles ganz recht geschehen. Man spürte nicht ungestraft seiner Vergangenheit nach, stöberte Geheimnisse und haarsträubende Ungerechtigkeiten auf, bohrte in längst vernarbten Wunden – alles hatte seinen Preis.

Eben. Dies waren seine persönlichen Belange. Durfte er seine Mannschaft da mit hineinreißen? Benahm er sich ihnen gegenüber nicht unverantwortlich?

Er geriet in einen echten Gewissenskonflikt. Vielleicht hätte er sein ganzes Vorhaben anders aufrollen und anpacken sollen. Allein. Die Crew hätte in England bleiben können, beispielsweise in Sheerness bei der „Isabella V.“, die er, Hasard, der Königin geschenkt hatte.

Gewiß, die Männer hätten das nie und nimmer akzeptiert. Sie folgten ihrem Kapitän, notfalls direkt in den Schlund der Hölle. Aber Hasard empfand dieses Argument sich selbst gegenüber als ziemlich billige Rechtfertigung.

Doch er konnte nicht mehr umkehren. An diesem Punkt seiner Ermittlungen angelangt, mußte er unbedingt weiterforschen und herausfinden, was sich noch alles mit dem Namen Godefroy von Manteuffel verband. Soviel wußte er inzwischen: Er war nicht der Sohn von Lady Anne Killigrew und deren Mann Sir John, diesem alten Schlitzohr und Halunken! Sie hatte ihn nur großgezogen. Lady Anne hatte in jener stürmischen, fatalen Nacht des Novembers 1556 die Hansekogge „Wappen von Wismar“ im Hafen von Falmouth überfallen, die Besatzung umbringen lassen und den schreienden, strampelnden „Bastard“ aus seiner Hängematte geholt und auf die Feste Arwenack gebracht – zusammen mit dem Wein, den sie aus den Frachträumen der Kogge hatte abtransportieren lassen. Lady Anne war sehr gut zu ihm gewesen. Er liebte sie wie eine leibliche Mutter. Aber er war eben doch nur ein „halber“ Killigrew.

Und seine wahre Mutter? Oh, er kannte jetzt ihren Namen, aber er wünschte, niemals von dem Drama erfahren zu haben, das sich mit ihrem Schicksal verband. Sie, Graciela de Coria, hatte beim Auslaufen der „Wappen von Wismar“ aus dem Hafen von Cadiz damals im Oktober 1556 in letzter Minute verhindern wollen, daß man ihren kleinen Sohn entführte. Es war mißlungen. Aus Gram darüber war sie wenig später gestorben.

Die Schuld an dem Geschehen trug nicht etwa Hasards Vater Godefroy von Manteuffel, o nein. Die drei Brüder Gracielas hatten verlangt, daß er, der Mann aus dem Norden, der Fremde, der Unebenbürtige, zunächst fünf Jahre als Malteserritter abdiene, bevor er Graciela ehelichen durfte. Nun, von Manteuffel hatte es getan, wahrscheinlich hätte er jedes Opfer gebracht, denn er liebte – soweit Hasard vernommen hatte – seine Graciela über alles.

Zumarraga hatte Hasard verraten müssen, was weiter mit Godefroy von Manteuffel geschehen war. Er war dem Piraten Uluch Ali in die Hände gefallen. Ali hatte ein Lösegeld gefordert. Graciela hatte es gezahlt, doch ihre Brüder hatten Zumarraga, den Mittelsmann und Unterhändler in diesem verabscheuungswürdigen Geschäft, ersucht, sich das Geld in die eigene Tasche zu stecken. Zumarraga hatte es getan. Hasard hätte ihn deswegen am liebsten umgebracht. Aber jetzt hatte der alte Schurke ja, was ihm zustand: den Tod.

Sie hatten Gracielas Ehe nicht gewollt, die drei Brüder de Coria. Sie hatten den kleinen „Bastard“ mit der Kogge abgeschoben, wie sie auch Godefroy von Manteuffel ins Verderben zu jagen hofften. Die Sache mit den fünf Jahren Dienst als Ritter des Malteserordens war doch nur ein Vorwand gewesen! Selbstverständlich hatten sie darauf gehofft, daß er im Kampf mit Piraten sein Ende finden würde.

Und so schien es ja auch gekommen zu sein. Wie hatte sich Uluch Ali denn wohl verhalten, nachdem er das Lösegeld nicht empfangen hatte? Hasard gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Sein Vater war tot. Bestimmt. Aber er wollte die Bestätigung dafür haben. Und er wollte noch ein Wörtchen mit diesem Uluch Ali reden.

Hasard wurde in seinen Grübeleien unterbrochen, als der Kutscher mit ziemlich mürrischer Miene die Kombüse im Vordeck verließ, über die Kuhl marschierte, zum Hauptdeck aufenterte und sich dem Backbordschott des Achterkastells zuwandte. Er trug einen Kübel mit heißem Wasser, Tücher und einige andere Utensilien seines Metiers als Feldscher bei sich.

Hasard grinste. Er wußte ja, um was es ging. Er selbst hatte die Anweisung erteilt, Salvador de Coria die Gesichtswunde zu verarzten. Der Kutscher führte den Befehl natürlich äußerst ungern aus. Er hätte de Coria viel lieber in dessen eigenem Fett schmoren lassen, so, wie die Crew es mit dem elenden Halsabschneider und Halunken Romeronde Zumarraga getan hatte, nachdem sie ihn gepackt und entführt hatte.

Hasard folgte dem Kutscher. Der Gang im Achterdeck war in diffuses Halbdunkel getaucht. Folgte man seinem geraden Verlauf bis zum Heck, so gelangte man in die Kapitänskammer, Hasards Allerheiligstem. Bog man nach links in einen Nebengang ab, stieß man auf die Kammer, in der der Gefangene untergebracht war.

Salvador de Coria! Generalleutnant und Beauftragter des Königs Philipps II. für das Festungswesen, speziell für Küstenbefestigungen. Es war purer Zufall gewesen, daß er am Vortag von Hasards Exekution im Fort San Sebastian erschienen war. Als er von dem Prozeß und den rätselhaften Begleitumständen erfahren hatte, hatte sich de Coria unbedingt den Verurteilten im Kerker ansehen wollen.

Ja, er hatte Hasard in die eisblauen Augen geschaut, und da hatte es in seinem Gehirnkasten gefunkt. Er hatte begriffen, wen er vor sich hatte – und hatte Hasard mit Beschimpfungen, Schmähungen und Hohn überhäuft. Aber er hatte sich mächtig ins Fleisch geschnitten. Denn es war kein am Boden zerstörter Todeskandidat gewesen, der ihm da aus der Zelle heraus Kontra geboten hatte. Selbstmitleid? Hasard kannte es nicht. Todesangst? Hasard verachtete sie und spuckte seinen Peinigern und Widersachern ins Antlitz.

De Coria hatte ihn zum Duell gefordert. Hasard hatte ihn daraufhin mit dem Degen halb ausgezogen und vor aller Augen gedemütigt.

Die Crew wußte inzwischen auch, was für eine Prachttype dieser Spanier war. Und der Kutscher hätte ihm wohl gern das heiße Wasser ins Gesicht geschüttet, als er die Kammer betrat.

Da saß er nun, bewacht von dem grimmigen Profos Edwin Carberry. Salvador de Coria, Hasards „Onkel“. Es war eine echte Ironie des Schicksals, diesen Schurken als Verwandten erkennen zu müssen.

Der Kutscher wollte die Tür hinter sich zuschieben, aber Hasard drückte sich in den Spalt.

„Entschuldige“, sagte der Kutscher überrascht. „Ich habe dich nicht gehört.“

Carberry grinste wie ein Faun. „Er hat den Gang einer großen Wildkatze. Mir ist das auch schon passiert, Kutscher. Plötzlich hast du den Seewolf im Rücken und merkst es erst, wenn du dich umdrehst. Mann, wer möchte dich zum Feind haben, Hasard?“

Das war ganz klar auf de Coria gemünzt. Carberry schoß einen Blick auf den Mann ab, in. dem sich alles mischte: seine Verachtung, sein Zorn und sein Fluch über alle die, die sich gegen den Seewolf gewandt hatten.

De Coria hockte auf seiner Koje. Er hatte sich mit dem Rücken in die Ecke gelehnt und schien unter Carberrys Worten mehr und mehr zu schrumpfen. Er war bereits über Fünfzig, doch das fortschreitende Alter hatte seiner Arglist und Verschlagenheit keinen Dämpfer aufgesetzt. Sein Gesicht war verlebt, unter den kalten dunklen Augen hoben sich Tränensäcke ab. Da nutzten auch der Knebelbart und die schlank gebliebene Statur nichts: Die Spuren seines unlauteren Lebenswandels waren unverkennbar.

Er war ein Schürzenjäger gewesen, der rund einem Dutzend Mädchen Kinder gemacht hatte, ohne sich im weiteren noch um die „Entehrungen“ der Señoritas und deren Schicksale zu kümmern. Godefroy von Manteuffel, der alles andere als das im Sinn gehabt hatte, war von de Coria verdammt worden, doch Salvador de Coria selbst war das wandelnde Emblem der Unmoral und des Lasters.

Er hatte aus dem Duell mit Hasard eine Degenschnittwunde quer übers Gesicht davongetragen. Sie machte ihm zu schaffen. Der Verband mußte dringend gewechselt werden.

Der Kutscher setzte sich neben ihn auf die Kojenkante und sagte: „Also schön, ich muß dir eine neue Binde verpassen, Don Philipp von der traurigen Gestalt. Halt gefälligst still. Ed, assistierst du mir?“

Carberry trat näher. „Klar tue ich das. Soll ich den Knaben festhalten?“

„Lieber nicht, du brichtst ihm bloß die Knochen.“

De Coria musterte sie aus flackernden Augen. „Ich weiß, was ihr wollt. Aber ich bin bereit. Ich werde euch beweisen, daß auch ein Mann meines Alters körperlichem Schmerz trotzen kann.“

Carberry beherrschte inzwischen wie alle anderen Männer der Crew die spanische Sprache. Er hatte de Corias Äußerung also verstanden. „Du denkst, wir foltern dich? Bloß so, zum Vergnügen? Da irrst du dich aber, du Affenarsch. Ich breche dir nur die Knochen, wenn du irgendwelche Mätzchen versuchst.“

Der Kutscher begann, den Verband abzunehmen und die Degenschnittwunde auszuwaschen. Hasard, der bis dahin lässig am Türrahmen gelehnt hatte, tat drei Schritte auf de Coria zu. Ihre Blicke trafen sich und verfingen sich ineinander.

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