Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 556»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-963-5
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Durchbruch zum Schwarzen Meer
Endlich erreichen sie wieder die See – doch eine herbe Überraschung erwartet die Seewölfe
Die Nacht war mondlos – ideal für Boris Knaaks Unternehmen. Er lauerte eine Weile im Uferdickicht und blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um. Schließlich zog er sein Boot ins Wasser, kletterte hinein und begann zu pullen.
Es war warm. Nur eine schwache Brise kräuselte die Fluten. Boris Knaak grinste. Ich kriege dich, dachte er. Heute nacht erwische ich dich. Ich spür’s in allen Knochen. Und wenn ich dich habe, du Satan, dann schlitze ich dich auf!
Gut eine halbe Stunde pullte er in die Finsternis. Dann holte er die Riemen binnenbords. Der Platz ist richtig, dachte er, jetzt kann es losgehen.
Aber plötzlich schob sich ein großer Schatten aus der Dunkelheit auf Boris Knaak zu. Der Mann erschrak. Er versuchte noch, erneut nach den Riemen zu greifen und auszuweichen, doch es war zu spät. Der Schatten war heran. Etwas rammte das Boot. Es kenterte – Boris Knaak stürzte mit einem Aufschrei ins Wasser. Das ist das Ende dachte er voll Panik …
Die Hauptpersonen des Romans:
Boris Knaak – ein Fischer am Schwarzen Meer, der auf den ganz großen Fang hofft und selbst gefangen wird.
Jarowelsky – Seine Wodkaladung wird beschlagnahmt, weil er ein Schmuggler ist, aber die Arwenacks sind die Nutznießer.
Zoltan Delanoff – Der Hafenkapitän und Stadtkommandant von Batumi hat nur ein Ziel: Alles Gesindel um die Hafenstadt am Schwarzen Meer muß ausgerottet werden.
Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf hat ein anderes Ziel – nämlich die Eroberung einer zweimastigen Küsten-Schaluppe.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Die Fluten schlugen über Boris Knaak zusammen. Das Dollbord des Bootes knallte auf seine Schulter. Glühender Schmerz durchfuhr ihn. Der Mann sackte in die Tiefe ab. Alles drehte sich um ihn, ihm schwanden die Sinne. Er schluckte Wasser.
Doch der Selbsterhaltungstrieb und der Wille zu überleben gewannen die Oberhand. Boris Knaak ruderte mit den Armen und trat mit den Beinen. Die Auftriebskraft des Wassers führte ihn zurück nach oben. Er hob den Kopf und tauchte auf. Gierig schnappte er nach Luft.
Lampen verbreiteten gelbes Licht. Boris Knaak blinzelte und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Er spuckte einen Strahl Wasser aus und sah nach oben.
Eine barsche Stimme erklang. „Fischt ihn raus!“
Ein Tau klatschte ins Wasser. Boris, der kein sonderlich guter Schwimmer war, griff nach dem Ende und klammerte sich fest. Am anderen Ende des Taues würde kräftig gezogen. Boris wurde aus dem Wasser gehievt und landete auf harten Planken. Er stöhnte auf. Er wollte sich aufrappeln, doch starke Hände hielten ihn fest.
„Was wollt ihr?“ stieß Boris wütend hervor.
„Steckt ihn in die Piek!“ befahl die barsche Stimme.
„Wer, zur Hölle …“
Boris Knaak brüllte es, doch dann verstummte er sofort wieder. Er hatte erkannt und begriffen, mit wem er es zu tun hatte. Ein Schiff hatte ihn gerammt – ein Zweimaster. Präzise ausgedrückt, handelte es sich um eine Dubas, eine russische Küstenschaluppe aus Eichenholz.
Die Besatzung hatte Öllampen an langen Stangen über das Wasser gehalten, um zu erkennen, ob Boris ertrunken war oder noch lebte. Nun hockte er hilflos auf dem Deck der Dubas und blickte zu dem Kapitän auf.
Ein Mann in schwarzer Uniform – er trug eine topfartige Mütze, hatte eine Augenklappe und einen sichelförmigen Schnauzbart. Als Boris zu ihm aufblickte, wußte er auf Anhieb, wen er vor sich hatte.
Der gefürchtete Zoltan Delanoff – ausgerechnet!
Delanoff war der Hafenkapitän und Stadtkommandant von Batumi. Ein Kerl, der sich wie ein Herrscher aufführte. Ein Tyrann. In seinem Amtsbereich, so verkündete er immer wieder, werde mit dem „eisernen Besen“ gekehrt.
Er duldete keine Schmuggler, keine Fremden, keine irgendwie zwielichtige Gesellen. Ordnung und Sauberkeit, das waren seine Devisen. Und sein Amtsbezirk war nicht gerade klein. Er erstreckte sich über mehr als zwanzig Meilen westlich und östlich von Batumi.
„Abführen, den Kerl!“ ordnete Delanoff mit schnarrender Stimme an.
„Ich habe nichts getan!“ verteidigte sich Boris Knaak.
„Schmuggler“, sagte Delanoff. „Subversiver Dreck. Weg damit!“
„Ich bin kein Schmuggler!“ schrie Boris. „Ich bin Fischer!“
Delanoff stemmte die Fäuste in die Seiten. „Es ist verboten, nachts zu fischen, wie es auch verboten ist, nachts zu jagen! Weißt du das nicht, Kerl? Kennst du die Vorschriften nicht?“
„Ich kenne die Vorschriften.“
„Warum machst du dich dann eines Verstoßes schuldig?“ fragte Delanoff grob. Er wartete nicht auf die Antwort. „Du bist ein dreckiger Halunke. An dir werde ich ein Exempel statuieren.“
Vier Mitglieder der Besatzung führten Boris ab. Boris gab es auf, sich zu rechtfertigen. Es hatte ja doch keinen Sinn. Wie sollte er diesem Satan Delanoff erklären, was er vorgehabt hatte? Der würde es ihm nie glauben.
Einer der Männer marschierte voraus, als sie sich in den düsteren Schiffsbauch hinunterbegaben. Boris fügte sich in sein Schicksal. Was sollte er auch tun? Versuchen, sich zu befreien? Das war reiner Selbstmord. Er konnte sich nicht losreißen und weglaufen.
Selbst wenn es ihm gelungen wäre – sie hätten ihn auf der Flucht erschossen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Delanoff einen „Halunken“ einfach niederschoß.
Es rumpelte und polterte. Das Schott der Vorpiek wurde aufgerissen. Einer der Bewacher hatte ein Talglicht entfacht. Boris sah das finstere Loch, in das sie ihn stoßen wollten, und kriegte nun doch gewaltige Angst. Er setzte sich zur Wehr.
Die Aufpasser fluchten. Sie traten ihn und verpaßten ihm ein paar Hiebe, dann verfrachteten sie ihn in die Vorpiek. Das Schott knallte zu. Einer der Kerle schob den schweren Eisenriegel vor.
Einer der Männer blieb als Wachtposten im engen Gang. Die anderen kehrten an Oberdeck zurück. Delanoff hatte inzwischen den Befehl gegeben, Boris Knaaks Boot zu bergen. Es wurde aus den Fluten gehievt und auf dem Vordeck festgezurrt.
Zoltan Delanoff verfolgte die Bemühungen seiner Männer mit unbewegter Miene. Schließlich gab er das Kommando, wieder die Segel zu setzen. Die Dubas glitt weiter.
Boris Knaak kauerte in der Vorspiele und rieb sich stöhnend den Schädel. Als die Bezwinger ihn unsanft in das winzige Loch befördert hatten, hatte er sich den Kopf am Eingangspfosten gestoßen. Er fluchte vor sich hin und verwünschte Delanoff in die tiefsten Schlünde der Hölle.
Was würde der Despot jetzt mit ihm anstellen? Zweifellos brachte er ihn nach Batumi. Und dort würde er ihn in den Kerker stecken.
Boris hielt plötzlich den Atem an. Was war das? Hatte sich da nicht etwas geregt? Er hatte mit einemmal das Gefühl, nicht allein in der Vorpiek zu sein. Zunächst dachte er an Ratten, dann aber registrierte er, daß es sich um ein größeres Lebewesen handeln mußte, das da neben ihm atmete und schnaufte.
„Wer ist da?“ fragte Boris.
„Ich“, antwortete eine tiefe Stimme. „Und wer bist du?“
„Ich bin Boris Knaak, ein Fischer.“
„Ich bin Jarowelsky.“
„Nie gehört“, erwiderte Boris. „Ich kenne dich nicht.“
„Das ist nicht schlimm“, sagte Jarowelsky. „Jedenfalls sind wir Leidensgenossen. Erst habe ich gedacht, du seist ein Spion. Na ja, dieser Delanoff könnte ja auf die verrücktesten Ideen verfallen. Beispielsweise, hier einen Kerl reinzustecken, der mich ein bißchen aushorchen soll.“
„Ich bin kein Spion.“
„So, wie du Delanoff verflucht hast, kannst du keiner sein.“
„Warum haben sie dich festgenommen?“ wollte Boris von dem anderen wissen.
„Ach, ich komme von der Krim und habe ein bißchen Schmuggelgut abladen wollen, Schnaps. Dabei haben mich diese Bastarde erwischt. Sie haben meine Ladung beschlagnahmt und meinen Kahn versenkt. Und da hocke ich nun. Delanoff wird mir den Hals abschneiden und meinen Schnaps aussaufen.“
„Delanoff ist ein gemeiner Drecksack“, murmelte Boris.
„Hast du auch geschmuggelt?“
„Nein.“
„Das sagen alle.“
„Rede doch keinen Mist“, entgegnete Boris wütend. „Ich bin ein Fischer, das habe ich dir eben schon gesagt.“
„Was gibt es nachts zu fischen?“
„Na, rate mal“, erwiderte Boris spöttisch. „Also, du machst mir Spaß. Es gibt bestimmte Fische, die beißen nur nachts. Die sind viel zu schlau und raffiniert, dir tagsüber ins Netz zu gehen oder an deiner Angel hängenzubleiben, klar?“
„Ja, das leuchtet mir ein.“
„Gut. Und der schlauste und gerissenste Bursche von allen ist Thelonius.“
„Was? So heißt ein Fisch?“
„Jawohl“, antwortete Boris. „Thelonius ist der größte Stör, den es jemals gegeben hat. Er ist siebzehn Fuß lang.“
„Ich höre wohl nicht richtig“, sagte Jarowelsky staunend.
„Es stimmt, es ist keine Übertreibung“, erklärte Boris Knaak. „Schon viele Männer haben versucht, Thelonius zu fangen. Keinem ist es gelungen. Der hustet dir was. Aber ich kenne ihn am besten von allen Fischern. Ich weiß über seine Gewohnheiten Bescheid. Heute nacht habe ich den Burschen fassen wollen. Aber ausgerechnet dieser Mistkerl Delanoff mußte mir mit seiner Bande in die Quere geraten.“
„Das tut mir leid für dich“, brummte Jarowelsky. „Wenn ich dir helfen könnte, würde ich es tun. Aber ich sitze ja selbst in der Klemme, verdammt noch mal.“
„Danke.“ Boris streckte ihm im Dunkeln die Hand entgegen. „Wir sind also Freunde.“
Jarowelsky spürte, wie Boris’ Hand seinen Arm berührte. Er ergriff sie und drückte sie. „Auf unsere Freundschaft. Also, diesen Thelonius würde ich gern mal sehen. Teufel, gibt’s denn keine Möglichkeit, von diesem höllischen Kahn zu verschwinden?“
„Hast du eine Ahnung, wie wir das Schott aufbrechen können?“ zischte Boris Knaak.
„Nein.“
„Dann haben wir keine Chance“, murmelte Boris.
„Wir können nur abwarten“, raunte Jarowelsky. „Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, einfach außenbords zu springen, wenn sie uns hier rausholen und nach oben bringen. Hast du Angehörige?“
„Frau und Kinder, meinst du?“
„Ja“, erwiderte der Schmuggler. „Familie, Leute, die auf dich warten.“
„Nein.“
„Auf der Krim sitzen meine Frau und sechs Kinder“, sagte Jarowelsky. „Die kann ich nicht im Stich lassen. Ich werde alles daransetzen, aus diesem Dreckloch rauszukommen und dem Bastard Delanoff zu entwischen.“
Boris nickte und gab einen grimmigen Laut von sich. „Gemeinsam schaffen wir es vielleicht.“ So ganz mochte er aber nicht daran glauben. Jarowelsky und er saßen dick im Schlamassel, und zwar bis zum Hals.
Zoltan Delanoff stand breitbeinig auf dem Achterdeck der Dubas und hielt die Augen offen. Er hatte zwar einen guten Ausguck, aber es war schon immer seine Devise gewesen, daß man sich im Leben nur auf einen einzigen Menschen verlassen durfte – auf sich selbst.
Darum hatte Delanoff seine Augen überall. Er achtete auf das, was draußen, in der Nacht, vor sich ging, kontrollierte aber auch das Tun seiner Männer.
Disziplin hatte auf einem Küstenwachschiff zu herrschen. Es durfte keinen Schlendrian geben. Schon die kleinsten Ausrutscher seiner Kerle pflegte Delanoff hart zu ahnden. Auf Patrouille kannte er keinen Pardon.
Aber auch in Batumi regierte er mit eiserner Hand. Gesindel jeder Art mußte vernichtet werden. Diebe, Bettler, Galgenstricke und Schnapphähne gehörten zuerst eingesperrt, dann aufgehängt oder geköpft.
Auch die „regulären“ Bürger der Stadt hatten zu kuschen. Rebellen und Chaoten wurden von Delanoff höchstpersönlich ausgepeitscht, wenn sie das Maul zu weit aufrissen. Alkoholexzesse und wildes Herumhuren galten gleichfalls als strafwürdige Vergehen.
Delanoff kniff die Augen zusammen.
„Da“, sagte er zu seinem Ersten Offizier. „An Land. Haben Sie das gesehen?“
„Nein, Kapitän.“
„Schlafen Sie?“
Der Erste gab sich einen Ruck. „Nein, Kapitän.“
„Da ist ein Licht entfacht und wieder gelöscht worden“, sagte Delanoff. „Es könnte ein Zeichen sein. Für Schmuggler, die mit einem Schiff landen wollen. Aber diesen Spitzbuben werden wir einen Strich durch die Rechnung ziehen.“
„Jawohl, Kapitän.“
Der Erste wäre viel lieber in Batumi gewesen, bei seiner Frau im warmen Ehebett. Und er konnte Delanoff auf den Tod nicht ausstehen. Er haßte ihn. Doch er konnte nicht anders, er mußte sich den oft recht unsinnigen Befehlen des Kapitäns beugen.
Nur wenn man alles tat, was Delanoff wollte, konnte man neben ihm existieren. Man mußte ihm immer recht geben und durfte nie eine seiner Entscheidungen auch nur ansatzweise anzweifeln. Bei Delanoff war das Insubordination und Meuterei.
„Kurs auf die Küste“, ordnete Delanoff an.
Die Dubas luvte an und schob sich auf die Küste zu. Kurze Zeit darauf ließ Delanoff die Segel bergen, beidrehen und ankern. Das Beiboot wurde ausgesetzt. Delanoff begab sich mit sechs Mannen an Land, um den Halunken das Handwerk zu legen.
Doch das Ufer war verlassen. Nicht einmal Spuren entdeckten die Männer der Dubas im Sand. Delanoff ließ sich trotzdem nicht beirren.
„Die haben ihre Fährte verwischt und sich irgendwo versteckt“, flüsterte er seinen Begleitern zu. „Aber wir werden sie schon packen.“
Der Trupp suchte alles ab – den Strand, das Dickicht, den nahen Wald. Delanoff ließ nicht locker.
Es war stockdunkel. Einer seiner Männer stolperte und prallte mit dem Kopf gegen den Stamm einer Eiche. Ein anderer lief in ein Dornengestrüpp. Sie fluchten, hüteten sich aber, auch nur ein Wort gegen den Wahnsinn zu äußern, in der Finsternis wie die Narren durch die Gegend gescheucht zu werden.
„Ruhe“, raunte Delanoff. „Der Feind hört mit.“
Weiter ging es. Zoltan Delanoff wollte den Posten finden, der in der Nacht Lichtsignale gab. Er würde den Kerl fassen und auch seine Komplicen verhaften. Sämtliche Schmuggler würden schließlich in seinem Netz landen.
Es war eine fortgesetzte Säuberungsaktion. Bastarde wie diese beiden Kerle, die in der Vorpiek der Dubas schmorten, mußten ausgerottet werden. Auf dem Erdboden war kein Platz für sie.
Unerbittlich trieb Delanoff seine Männer vorwärts. Sie mußten etwas finden. Koste es, was es wolle. Delanoff war überzeugt, es mit einer größeren Schmugglerbande zu tun zu haben, die die Gegend mit ihrer Anwesenheit „verseuchte“.
Die Halunken in der Vorpiek gehörten natürlich auch dazu. Diese Verbrecher steckten ja ohnehin alle unter einer Decke.
Stünden dauerte die Suche. Sie blieb ohne Ergebnis. Nur ein Nest mit Vogeleiern fanden die Dubasmänner. Delanoff betrachtete die Eier und unterzog sie einer kurzen Prüfung. Waren das etwa auch geheime Zeichen der Schmuggler?
Nur zögernd kehrte Delanoff mit den Mannen an Bord des Zweimasters zurück. Hier verharrte er abwartend. Die Dubas blieb vor Anker liegen. Immer wieder spähte der Kommandant durch ein Spektiv zum Ufer. Er würde sie schon erwischen, diese Schmuggler und Piraten.
Wehe euch! dachte er. Er hatte Zeit.
Allmählich wurde es hell. Delanoff ließ meinen Wachwechsel vornehmen. Die Männer, die mit ihm an Land gewesen waren, fielen hundemüde in die Kojen. Und sie verfluchten ihren Kapitän genauso, wie es Boris Knaak und Jarowelsky taten.
Leise plätscherte das Wasser, das um den Rumpf der Dubas spielte. Nichts ereignete sich. An Land blieb alles ruhig. Auf See zeigte sich kein Piraten- oder Schmugglerschiff. Die Sonne ging auf. Es versprach, ein beschaulicher Tag zu werden.
2.
Im Heraufziehen des jungen Tages standen Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, und Dan O’Flynn auf einer bewaldeten Anhöhe und blickten nach Norden. Sie brauchten die Kieker nicht zu Hilfe zu nehmen, sie sahen auch so, was sie interessierte. Lächelnd sahen sie sich an.
„Wir haben es wirklich geschafft“, sagte der Seewolf.
„Ist das eine Überraschung!“ erwiderte Dan.
„Hast du jemals daran gezweifelt, daß wir das Ziel erreichen würden?“ fragte Hasard.
„Ja, ein paarmal schon“, antwortete Dan. „Aber nicht, weil ich an dein Vorhaben nicht geglaubt habe. Ich dachte nur, wir könnten die Orientierung verloren haben.“
„Das kann ich verstehen“, meinte Hasard. „Aber laß uns jetzt den anderen Bescheid sagen. Die werden staunen.“
Sie suchten das Lager auf, das die Mannen für die Nacht aufgeschlagen hatten. Es befand sich in einer geschützten Mulde. Der Kutscher, Mac Pellew, die Zwillinge, Jack Finnegan und Paddy Rogers waren auf den Beinen und versorgten die Kamele und Maultiere. Als sie zu Hasard und Dan schauten, konnten sie schon an deren Mienen ablesen, daß es gute Nachrichten gab.
„Heraus mit der Sprache“, sagte Hasard junior. „Habt ihr das Meer gesehen?“
„So ist es“, entgegnete der Seewolf. Es klang beinah feierlich. „Das Meer ohne Ende.“
Jack Finnegan stieß einen Pfiff aus. „Phantastisch! Wir kriegen wieder Planken unter die Füße! Das Landrattendasein ist zu Ende!“
Er hatte laut genug gesprochen. Einige der Männer fuhren von ihren Lagern hoch.
„Was ist los?“ rief Carberry. „Sind wir da?“
„Wir haben das Meer ohne Ende erreicht“, erklärte Hasard. „Dan hat es als erster gesichtet.“
„Wie es sich für einen O’Flynn gehört“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Na, sehr gut. Meine Vorhersagen haben sich also bewahrheitet.“
„Ich höre wohl nicht richtig?“ protestierte Big Old Shane. „Du hast uns immer nur prophezeit, daß wir alle über den Jordan gehen würden. Daß uns Werwölfe und Hexen verschlingen würden!“
„Du kapierst aber auch gar nichts“, zischte der Alte.
„Streitet jetzt nicht“, griff der Seewolf ein. „Kommt lieber mit und seht euch das Meer an.“
Kurz darauf schritten die Mannen zu dem Aussichtspunkt. Sie johlten und pfiffen und warfen ihre Mützen in die Luft. Jetzt endlich war die Welt für sie wieder in Ordnung.
Ihre Blicke schweiften über die endlos wirkende Wasserfläche. Graublau war die Farbe der Fluten. Die Oberfläche war glatt wie eine polierte Bleiplatte. Das zunehmende Sonnenlicht nahm dem Farbton die graue Nuance, das Wasser wurde tiefblau.
„Ein feines Meer, Freunde“, sagte Ben Brighton. „Es ist ganz nach meinem Geschmack.“
„Ja, mir gefällt’s auch“, sagte Big Old Shane.
„Was uns fehlt, ist ein handiger Wind“, bemerkte Ferris Tucker.
„Noch haben wir kein Schiff“, gab Hasard zu bedenken. „Vergiß das nicht. Wir sind gezwungen, noch eine Weile zu laufen.“
„Klar, aber wir sind Old England schon wieder ein Stückchen näher“, sagte Matt Davies grinsend.
„Wo finden wir Wohl den nächsten Hafen?“ fragte Don Juan de Alcazar. „Dort können wir uns ein Schiff suchen und es kaufen.“
Der Seewolf rollte die Karten auseinander und betrachtete sie eingehend. „Ich glaube, der nächste Ort ist Batumi. Wie groß er ist, geht aus den Karten nicht hervor. So präzise sind die Eintragungen ja nicht.“
„Ein paar Kähne wird es dort schon geben“, sagte der Profos. „Also, auf nach Batumi!“
„Auf nach Batumi“, sagte der Seewolf.
„Moment mal“, meldete sich Dan O’Flynn. Er hatte nun doch den Kieker hochgehoben und spähte aufmerksam hindurch. „Da unten liegt was vor Anker – in einer kleinen Bucht. Ein hübscher Zweimaster.“
„Donnerwetter“, sagte Ferris Tucker. „Ist der nicht was für uns?“ Er ließ sich den Kieker geben und sah selbst hindurch.
„Was versteht ihr Rübenschweine eigentlich unter einem hübschen Zweimaster?“ polterte Carberry. „Ist das eine Karavelle oder eine Pinasse, oder wie sehe ich das?“
„Keins von beiden“, erwiderte Dan. „Auch keine Schaluppe, Sir. So einen Schiffstyp habe ich noch nie gesehen. Ich wüßte nicht, wie ich ihn einstufen soll.“
Einer nach dem anderen schauten sie nun durch die Fernrohre, und alle sahen sie den Zweimaster, der dort halb verdeckt durch ein paar Bäume und Büsche – friedlich vor Anker lag. An Oberdeck waren ein paar Gestalten zu erkennen.
„Ob das ein Piratenschiffchen ist?“ fragte Ben Brighton.
„Das läßt sich auf diese Entfernung nicht erkennen“, erwiderte der Seewolf. „Aber wir werden es bald wissen. Wir nehmen Kurs auf den Zweimaster. Meines Erachtens wäre er groß genug für uns – und für unsere Ladung.“
„Und wenn der Kapitän das Schiffchen nicht verkaufen will, können wir es uns auch auf andere Weise beschaffen“, sagte Carberry mit breitem Grinsen. „Das kostet uns keinen Silberling.“
„Mal sehen“, sagte Hasard. „Das hängt ganz davon ab, was sich für Leute an Bord des Zweimasters befinden. Wenn es keine Piraten sind, dürfen wir sie nicht behelligen.“
„Hoffentlich sind es Piraten“, sagte Smoky.
Die Männer kehrten zu ihrem Lagerplatz zurück. Rasch hatten sie ihre Sachen zusammengepackt. Nun beluden sie die Kamele und Maultiere. Als das geschafft war, setzte sich die Karawane in Bewegung. Hasard, Ben und Don Juan schritten mit Dan und den Zwillingen an der Spitze der langen Kolonne und führten sie die Hänge hinunter zum Ufer des Meeres.
Noch hatte es keinen richtigen Namen, dieses „Meer ohne Ende“. Aber Hasard war sicher, daß er erkunden würde, wie es tatsächlich hieß. Die Einheimischen würden es ihnen sagen. Vielleicht gelangte man schon bald in den Besitz neuer Karten, die das Geheimnis des Meeres entschleierten.
Was am allerwichtigsten war: Hasard und seine Mannen mußten um jeden Preis herausfinden, ob es einen Seeweg nach Westen gab, eine Verbindung zum Mittelmeer.
Doch dies waren Probleme zweitrangiger Art, wenn Hasard es sich richtig überlegte. Wenn sie sich erst ein Schiff besorgt hatten, würden sie sich nahezu von selbst lösen. Das Schiff! Die Mannen konnten es kaum erwarten, endlich wieder an Bord eines richtigen Segelschiffes zu stehen.
Monate waren vergangen, in denen sie zuletzt nicht einmal mehr Kontakt zu einem Wasser gehabt hatten. Jetzt hatten sie wieder Hoffnung und Zuversicht. Sie brauchten nicht mehr länger „Landwölfe“ zu spielen.
Aber der Segler mußte her, und zwar so schnell wie möglich. Deshalb war Hasard froh, daß Dan den Zweimaster gesichtet hatte. Vielleicht hatten sie ja wirklich Glück und konnten dem Kapitän das Schiff abkaufen.
Das Wasser rückte näher. Nur noch etwa eine halbe Meile, und sie hatten die Küste erreicht. Die Mannen fieberten dem Augenblick entgegen, in dem sie das zweimastige Schiff vor sich haben würden.
Aber sie ahnten nicht, was sie erwartete. Sie konnten nicht wissen, daß sie sich geradewegs in die Hölle begaben.
Zoltan Delanoff hatte nur ganz wenig geschlafen. Aber das spielte keine sonderlich große Rolle. Seine Energiereserven waren enorm. Er konnte zwei Nächte verbringen, ohne ein Auge zu schließen, und war auch danach noch putzmunter.
Plötzlich straffte sich die Gestalt des Kapitäns. Unermüdlich hatte er die Umgebung beobachtet. Jetzt schien es sich auszuzahlen. An Land hatte sich etwas geregt – im Wald!
„Erster“, sagte Delanoff. „Haben Sie das gesehen?“
Der Erste stand auf dem Achterdeck, hob den Kopf, kniff die Augen zusammen und gab sich redlich Mühe, etwas zu erkennen. Doch an Land wirkte alles wie ausgestorben, nicht einmal ein paar Vögel stiegen aus den Wäldern auf.
„Nein, Kapitän“, erwiderte der Erste Offizier wahrheitsgemäß.
„Sie sehen nie etwas, wie?“
„Im allgemeinen halte ich meine Augen offen, Kapitän.“
Delanoff musterte den Offizier kalt. „Werden Sie bloß nicht frech.“
„Das – würde ich mir nie erlauben.“
„Ja, schon gut.“ Zoltan Delanoff richtete sein Augenmerk wieder auf das Ufer und den Wald. Er war ganz sicher, keiner Halluzination erlegen zu sein. Da tat sich etwas. Es braute sich was zusammen.
Die Schmugglerbande trat wieder in Aktion. Am hellichten Tag! Das Gesindel wurde immer dreister und unverschämter.
Delanoffs Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze des Hasses. Er konnte es kaum erwarten, zuzuschlagen und diesen Galgenvögeln eine Lektion zu erteilen. Sie würden um Gnade winseln und zitternd vor ihm auf den Knien rutschen.
Er aber würde kein Erbarmen kennen. Wenn man das Höllenpack nicht ausrottete, vermehrte es sich derart stark, daß man seiner nicht mehr Herr werden konnte. Das zeigte sich immer wieder – jetzt auch hier.
Der Kapitän hob das Spektiv ans Auge und peilte zu dem Punkt, wo er die Bewegung wahrgenommen hatte. Eine Weile verharrte er völlig reglos, dann stieß er einen triumphierenden Laut aus.
„Da ist es wieder!“
Der Erste nahm ebenfalls das Rohr zur Hand. Er spähte hindurch, betrachtete die Bäume und dachte: Fahr doch zur Hölle, du blöder Hund.
Die Mannschaft der Dubas war auf den Beinen. Die Kerle blickten sich untereinander an. Hatte der Kapitän jetzt völlig den Verstand verloren? Oder dachte er sich wieder eine neue Schikane aus, um seine Besatzung zu kujonieren?
„Das ist doch der Gipfel der Frechheit“, sagte Delanoff. Er war von Zorn erfüllt und fasziniert zugleich.
Jetzt hatte auch der Erste Offizier mit der Optik etwas eingefangen.
„Das ist ja – kaum zu fassen“, sagte er überrascht.
„Sie sehen also, was auch ich sehe, Erster?“ fragte Delanoff.
„Jawohl, Kapitän.“
„Dann teilen Sie mir mit, was es ist, zum Teufel!“
„Ein Kamel, Kapitän“, entgegnete der Erste. „Genauer ausgedrückt, handelt es sich meiner Ansicht nach um den Kopf eines Kamels, denn mehr kann ich nicht erkennen.“
„Haben Sie schon mal einen Kamelkopf gesehen, der ohne den Rest, ich meine, den zugehörigen Leib, durch die Wälder trabt?“ fragte Delanoff aufgebracht.
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