Kitabı oku: «Handbuch Anti-Aging und Prävention», sayfa 8

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Resveratrol

In epidemiologischen Studien (= Vergleiche zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen) taucht seit Jahrzehnten immer wieder ein ebenso merkwürdiger wie heiß diskutierter Befund auf: Rotweintrinker scheinen älter zu werden und im Alter gesünder zu sein als Menschen mit anderen Trinkgewohnheiten oder Nichtalkoholiker.

Nun ist es mit Vergleichen zu Trink- und Essgewohnheiten so eine Sache. Entsprechende Studien bergen immer das Risiko nicht beachteter Fehlerquellen, worauf auch eiligst alle die hinwiesen, die über die Ergebnisse weniger erfreut waren: Abstinenzler, Regierungen skandinavischer Länder mit ihrer rigiden Drogenpolitik und nicht zuletzt die Bierlobby.

Doch die Diskussion ist entschieden. Zunächst konnte schon vor einigen Jahren die Substanz identifiziert werden, der die beobachteten Effekte zugeordnet werden können: Es ist das in den Schalen roter Trauben enthaltene Resveratrol, ein sogenanntes Stilben, das zur Gruppe der pflanzlichen Polyphenole gehört. (Anmerkung: Resveratrol ist unter anderem auch in Blaubeeren, bestimmten Pinienarten und der asiatischen Heilpflanze Polygonum cuspidatum enthalten; andere gesundheitlich wirksamen Polyphenole finden sich zum Beispiel in grünem Tee, Olivenöl, Orangenschalen oder im Kakao.)

Im nächsten Schritt versuchten Wissenschaftler, den genauen Mechanismus aufzuklären, der für die offensichtlichen Gesundheitswirkungen verantwortlich ist. Und dabei gab es gleich zwei Überraschungen. Resveratrol zeigte nicht nur gesundheitliche Wirkungen, sondern scheint tatsächlich den Ablauf der Alterung beeinflussen zu können. Und: Resveratrol greift über einen chemischen Schlüssel auf Zellebene direkt in die Steuerung eines Alterungsgens ein.

Welche Brisanz in dem letzten Befund steckt, können Sie aus dem Umstand ersehen, dass die an dieser Forschung beteiligten Wissenschaftler nach ihrer Entdeckung ein eigenes Biotech-Unternehmen gründeten, um sich ganz diesem Forschungsbereich und nicht zuletzt der praktischen Nutzung und Vermarktung entsprechender Produkte widmen zu können. Doch zur Vermarktung kam es erst gar nicht. Der Pharmakonzern Glaxo kaufte 2008 kurzerhand das ganze Unternehmen samt seiner Forscher und vor allem sämtlicher Rechte. Und während unsere Gesundheitsbehörden nicht müde wurden, uns Verbrauchern das ewige Lied von der Wirkungslosigkeit von Resveratrol und anderen Nahrungsergänzungen zu singen, waren Glaxo die Rechte rund um einen schlichten Traubenextrakt einiges wert. Sie legten eine dreiviertel Milliarde Dollar auf den Tisch.

Böse Zungen mutmaßten, die Pharmaindustrie wolle eigentlich nur verhindern, dass ihre Kunden durch die freie Verfügbarkeit einer Resveratrol-Pille zu gesund und damit zum Gewinnrisiko würden. Nun, in jedem Fall arbeitet der Konzern an abgewandelten und damit patentierbaren synthetischen Resveratrol-Analogen unter anderem für eine Zulassung als Diabetesmedikament. Hat Glaxo damit Erfolg, wartet ein immer schneller wachsendes Heer von Diabetikern. Die Rechnung dürfte also so oder so aufgehen. (In dem seit den 80er-Jahren drastisch zugunsten der Industrie veränderten Medizinsystem geht die Rechnung für die Pharmaindustrie immer auf. Aber wir schweifen ab.)

Resveratrol wirkt als Aktivator für sogenannte Sirtuine, einer Proteinfamilie mit verschiedenen Aufgaben rund um die genetische Zellsteuerung. Eine entscheidende Auswirkung einer solchen Aktivierung ist eine Verlangsamung der Zellalterung auf genetischer Ebene. Den ersten Praxisstudien mit Hefepilzen (30 Prozent Lebensverlängerung) folgten Untersuchungen bei immer komplexeren Organismen: Würmern, Insekten und Fischen – überall mit ähnlichem Resultat (50 bis 59 Prozent Lebensverlängerung). Studien mit Mäusen laufen bereits und könnten schon sehr bald weitere Bestätigungen liefern.

Interessant ist übrigens, dass der genetische Mechanismus einer Sirtuin-Aktivierung auch bei Nahrungseinschränkung zur Verlangsamung der Alterung beiträgt (s. Kap. II.12). Vermutungen, dass das sogar die alleinige Ursache für den Alternsbeeinflussung bei kalorischer Restriktion sei, konnten allerdings jüngst widerlegt werden.

Praxis und Dosierungen

Spätestens seit verschiedenen 2006 veröffentlichten Untersuchungen zweifelt kaum jemand der mit dem Thema beschäftigten Wissenschaftler ernsthaft daran, dass mit Resveratrol eine Substanz gefunden wurde, die auch beim Menschen die biologische Altersuhr zumindest verlangsamen kann. Noch immer unklar ist aber, welche Dosierung dazu notwendig ist. Die bisherigen Tierstudien lassen in dieser Hinsicht keine seriösen Ableitungen zu.

● Rotwein. Der Resveratrol-Gehalt schwankt je nach Sorte und Jahrgang um das Vierzigfache. Feste Angaben sind deshalb schwierig und wären wenig seriös. Im Schnitt liegt der Gehalt im einstelligen Milligrammbereich pro Liter. Bei dunklen Rebsorten vom Typ Pinot Noir (zum Beispiel Spätburgunder) wurden bisher die höchsten Konzentrationen gemessen. Da die regelmäßige Zufuhr von mehr als 30 bis 50 Millilitern reinen Alkohols mit Gesundheitsrisiken verbunden ist – unter anderem steigt bei Frauen die Brustkrebsgefahr (s. Kap. II.5) – dürfte als Zielgröße der Konsum von 150 bis 300 ml Rotwein eine zumindest tendenziell wirksame Anti-Aging-Strategie zu sein.

Bitte beachten Sie: Resveratrol ist extrem empfindlich gegenüber Wärme- und Lichteinfluss. So wird beim Öffnen einer Weinflasche der Wirkstoff nach 10 bis 20 Stunden schnell um 50 Prozent und mehr inaktiviert. Im Kühlschrank kann Resveratrol einige Tage stabil bleiben.

● Traubensaft. Da erst der lange Fermentierungsprozess bei der Weinherstellung für einen starken Austritt von Resveratrol aus den Schalen sorgt, ist der Gehalt im kurzgepressten Traubensaft 10- bis 30-fach geringer. Safthersteller untersuchen derzeit, ob eine Erhitzung während des Pressvorgangs diesen Nachteil ausgleichen kann.

● Trauben. Frische rote Trauben stellen eine ausgezeichnete Quelle dar. Etwa 100 Gramm dürften im Bereich eines halben bis ganzen Liters Rotwein liegen. Problematisch ist hier die zur optimalen Wirkung notwendige ständige Verfügbarkeit frischer Trauben.

● Rosinen. Aufgrund der leichten Oxidierbarkeit wird Resveratrol beim Trocknungsvorgang weitgehend zerstört.

● Nahrungsergänzungsmittel. Nach Herstellerangaben enthalten entsprechende Produkte 5 bis 100 Milligramm Resveratrol. Anders als bei sonstigen Supplementen besteht hier eine Unsicherheit, da beim Herstellungsprozess die hoch empfindliche Substanz schnell zerstört werden kann. In den Alterungs- oder Gesundheitsstudien wurden überwiegend Dosierungen von 20 bis 200 mg verwendet (direkt beim Menschen oder auf das Gewicht eines Menschen umgerechnet). Schon 20 mg entsprechen je nach Sorte 2 bis 13 Flaschen Rotwein.

● Arzneimittel. Die Entwicklung eines auf Resveratrol basierenden Arzneimittels ist in USA bereits eingeleitet. Das Zulassungsverfahren kann sich allerdings noch Jahre hinziehen. Sicher ist schon jetzt, das Präparat wird teuer werden und nur für eine Krankheit zugelassen sein. Die Zulassung als Mittel gegen das Altern selbst ist in unserem Medizinsystem ausgeschlossen, egal, wie wirksam oder sicher ein Wirkstoff ist.

Auf genetischer Ebene wirkende Alternsinterventionen

● Kalorische Restriktion: s. Kap. II.12

● Hormonelle Optimierung: Schilddrüsenhormone, Steroidhormone (Östradiol, Östron, Östriol, Testosteron, Progesteron, DHEA), Melatonin u. a.

● Biowirkstoffe (s. u.)

● Radikale (bzw. deren Modulation): s. Kap. II.2

Radikale

Hinter dieser vereinfachten Bezeichnung verbirgt sich eine veritable Verschwörung alternsauslösender Prozesse. Und das Verständnis der Radikale lässt uns wie kein anderer Bereich hinter das Wesen der Alterung blicken. Genau das bestätigt auch die aktuelle Genforschung. Radikale bilden die typische Schnittstelle, an der genetische Alterungscodes in reale Alternsprozesse übersetzt werden.

Tatsächlich üben sogar die meisten der am Altern beteiligten Gene ihre Wirkung über Vorgänge um die Radikale aus. Und es existiert eine starke Wechselbeziehung. Beeinflusst man die Radikalbildung insgesamt oder in einem Körperbereich, hat das immer auch Auswirkungen auf Alternsvorgänge. Zusätzlich zu dieser unmittelbaren Wirkung stellen Radikale Schalter dar, die komplette Alternsprogramme auf der Ebene der Gene an- oder eben abschalten können.

(Literatur zum Thema des jeweiligen Kapitels: siehe Anhang)

II. 2
Altersuhr oxidativer Stress und freie Radikale
Handlanger der Alterung
Der erbitterte Kampf um das Jungbleiben

Unser Altern wirkt von außen wie ein gleichmäßiger, ruhig dahinfließender Prozess. Nichts scheint diesen Fortgang aufhalten zu können oder auch nur zu wollen. Weit gefehlt! Die wenigsten Menschen kennen ihre Verbündeten im Vorgehen gegen das Altern. Und doch liefern sie sich in jeder Sekunde einen erbitterten Kampf um unser Jungbleiben. Während Sie diese Zeilen lesen und damit Ihre Gehirnzellen beanspruchen, werden in jeder Körperzelle „Anti-Aging-Schlachten“ geschlagen. Mehr als die meisten von uns erahnen.

In den 60 Sekunden, seitdem Sie dieses Kapitel begonnen haben, wurden in jeder Ihrer Hirnzellen etwa 70 bis 700 Mal Teile des Zellkerns geschädigt – Läsionen an Membranen und anderen Bereichen nicht mitgerechnet. Jede dieser Zerstörungen ist ein Mosaikstein der Alterung. Das ist die eine Seite der Medaille.

Doch die Schäden zeigen nur die verlorenen Schlachten. Die allermeisten Kämpfe sind tatsächlich erfolgreich. Einige dieser im Dauereinsatz befindlichen Helfer werden wir gleich etwas näher kennenlernen. Gelingt es, sie zu unterstützen, bedeutet das nichts anderes, als Altern aufzuhalten. Lassen Sie uns betrachten, wie weit das praktisch umsetzbar ist.

„Wir tun etwas, was funktioniert”

Wer sich beim Ziel, länger jugendlich und gesund zu bleiben, nicht allein auf wohlfeile Ratschläge verlassen will, sondern selbst einen Blick hinter die Kulissen der Alterung werfen möchte, ist bei diesem Thema richtig. Das Phänomen oxidativer Stress gibt uns von allen Altersuhren die meisten Antworten über die Mechanismen der Alterung; darüber jedenfalls sind Biogerontologen heute einig.

Oxidative Prozesse und Radikale spielen darüber hinaus bei praktisch allen anderen Altersuhren eine wichtige Rolle. Das reicht von Schädigungen an Genen und Mitochondrien über Funktionsverluste im alternden Gehirn bis zur Entstehung typischer Alterskrankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Arteriosklerose oder Krebs. Überall ist oxidativer Stress als wichtiges Bindeglied oder sogar als Ursache beteiligt.

Aufregend dabei ist, dass die Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet uns nicht nur direkt ins Gesicht der Alterung sehen lassen, sondern auch praktische Wege aufzeigen, wie viele degenerative Krankheiten und Alterserscheinungen vermieden werden können. Michael Rose, Evolutionsbiologe an der Universität Kalifornien, erforscht oxidativen Stress bei Lebewesen. Über die Chancen, Alternsvorgänge über eine Verminderung der Radikalbildung zu verzögern, sagt er: „Gerade erst in den 80er-Jahren haben wir erfahren, wie leicht es ist, den Prozess zu verzögern. Deshalb ist dieses Gebiet so aufregend: Wir tun etwas, was funktioniert.“

Die zwei Gesichter des Sauerstoffs
Mythos Durchblutung

Ginge es nach den häufigsten Empfehlungen für eine verbesserte Leistungsfähigkeit, dann müsste das Allheilmittel gegen Beschwerden „vermehrte Durchblutung“ und damit „verbessertes Sauerstoffangebot“ lauten – ganz besonders im Gehirn. Es muss uns deshalb nicht wundern, wenn es scheint, als sei ein Mangel an Sauerstoff der wichtigste Faktor für Alterung und Leistungsschwund. Tatsächlich aber ist diese immer noch verbreitete und wegen ihrer Einfachheit beliebte Vorstellung nicht korrekt. In jedem Fall ist sie irreführend. Was unsere Körperzellen zur Funktionsfähigkeit brauchen, ist Energie (in Form des chemischen Energieträgers ATP). Grundsätzlich spielt es dabei keine Rolle, auf welchem Weg diese Energie gewonnen wird (s. Kap. II.10).

Eine der Möglichkeiten, aus Kohlenhydraten oder Fetten nutzbare Energie zu gewinnen, ist die „Verbrennung“ dieser Stoffe unter Beteiligung von Sauerstoff (Oxidation). Weil dieser Produktionsweg sehr effektiv arbeitet, nutzen unsere Zellen diese oxidative beziehungsweise aerobe Variante der Energiegewinnung bevorzugt.

Sauerstoff als Helfer bei der Energiegewinnung einzubinden, trägt dazu bei, möglichst viel Energie aus der Nahrung zu gewinnen, und ist deshalb ein wichtiger Überlebensfaktor in der Evolution. Dem energetischen Vorteil stehen allerdings eine Reihe von schwerwiegenden Nachteilen gegenüber.

Die Nutzung von Sauerstoff erfordert ein kompliziertes Sicherheitssystem

Als die ersten einfachen Pflanzen auf der Erde begannen, Energie aus Wasser und Sonnenlicht zu gewinnen, schieden sie Sauerstoff (O2) aus. Dieses Abfallprodukt erfüllte nach und nach die Atmosphäre und wurde zum ersten gefährlichen Zellgift auf der Erde. (Noch heute bekämpft man Algenplagen an Meeresstränden mit Sauerstoff. Auch anaerobe Bakterien können mit Sauerstoff getötet werden, weil sie bis heute keine antioxidativen Abwehrmechanismen entwickelt haben.)

Irgendwann lernten bestimmte Einzeller, den aggressiven Sauerstoff zur Energiegewinnung zu nutzen. Um aber die Giftigkeit des Sauerstoffs zu reduzieren, mussten die Lebewesen extreme Sicherheitssysteme entwickeln, vergleichbar der Problematik bei der heutigen Nutzung von Kernenergie.

Wahrscheinlich sind die Mitochondrien in unseren Zellen die Nachfolger dieser spezialisierten Einzeller, die sich im Laufe der Zeit in andere Zellen integriert haben. Zum beiderseitigen Vorteil. Mitochondrien sind sozusagen eine Art Unterzelle in unseren Körperzellen. Nur sie haben die Fähigkeit, mit Sauerstoff umzugehen. Nicht umsonst werden Mitochondrien Kraftwerke genannt. Doch der Umgang mit Sauerstoff bleibt auch in den Mitochondrien eine Gratwanderung zwischen lebensspendender Energie und zusätzlicher Zerstörung und Alterung.

„Dank der grünen Pflanzen ist Oxidation das Schicksal, das uns alle erwartet.”

GEORGE HENDRY [britischer Biologe, Old School, Schottland]

Die Entdeckung winziger Killer

Zu Beginn der 50er-Jahre suchte ein junger amerikanischer Wissenschaftler mit Namen Denham Harman nach den Ursachen für Mutationen der DNA. Man verdächtigte diese Veränderungen im genetischen Schaltplan, ein wichtiger Faktor im Alterungsprozess zu sein. Was Harman überraschte, war das gewaltige Zerstörungspotenzial, das dabei von winzigen, reaktionsfreudigen Molekülen und Atomen ausging, den sogenannten Radikalen. Die Tatsache, dass diese äußerst schädlichen Radikale in der Zelle bei der ganz normalen Nutzung von Sauerstoff entstanden, brachte Denham Harman zu einer wirklich revolutionären Überlegung: Bei einer lebenslangen Atmung von Sauerstoff muss es zwangsläufig zu so vielen Zellschädigungen kommen, dass es Auswirkungen auf die gesamte Funktionsfähigkeit des Organismus haben muss; damit auch auf die Krankheitsentstehung und nicht zuletzt das Altern selbst. Die wohl berühmteste Alternstheorie war geboren.

„Die bloße Formulierung eines Problems ist oft wichtiger als dessen Lösung, die vielleicht nur noch eine Frage mathematischer oder experimenteller Fertigkeit ist. Neue Fragen zu stellen, neue Ansätze, um alte Probleme von einer neuen Warte zu betrachten, erfordern Vorstellungskraft und kennzeichnen die wirklichen Fortschritte in der Wissenschaft.“

ALBERT EINSTEIN [deutscher Physiker und Nobelpreisträger, 1879–1955]

Schäden bei Mangeldurchblutung werden durch Radikale verursacht

Heute weiß man, dass praktisch alle klassischen Alterskrankheiten in der Tat mit Radikalen in Verbindung stehen. Es wird auch immer deutlicher, wie stark sie zum Beispiel bei Infarkten und anderen Verschlussproblemen beteiligt sind. Die typischen Zellschäden, die bei Mangeldurchblutung auftreten, zum Beispiel im Herzen oder in durchblutungsgestörten Gliedmaßen, werden direkt durch Radikale verursacht. Werden nach einem Infarkt die Durchblutung und das Sauerstoffangebot mit einem Schlag verbessert, kommt es zu einem Vorgang, den man lange Zeit nicht erklären konnte. Das Absterben des Gewebes hört jetzt nicht auf, sondern wird extrem verstärkt. Ursache ist das plötzlich verbesserte Sauerstoffangebot.

Der bei Durchblutungsstörung veränderte Energiestoffwechsel der Zelle sorgt beim Kontakt mit Sauerstoff über verschiedene biochemische Mechanismen für eine Explosion der Radikalbildung. Gleichzeitig sind die Abwehrmechanismen und Schutzstoffe reduziert. Eine fatale Situation, die heute unter dem Begriff Reperfusionsschaden ein eigener Forschungszweig ist.

Um diese Schädigungen und Zellalterung zu vermeiden, werden in der klinischen Praxis, zum Beispiel bei Transplantationen, gezielt sogenannte Antioxidantien zugeführt, der Sauerstoffgehalt des Blutes durch Verdünnung gesenkt und Medikamente verwendet, welche die Radikalbildung reduzieren helfen.

Mythos Durchblutung

Viele „durchblutungsfördernden” Medikamente entwickeln ihre Wirkung gar nicht durch eine direkte Erhöhung der Blutzufuhr, sondern über eine Verbesserung der Energieproduktion im Zielgebiet. Der entscheidende Mechanismus ist dabei die Reduktion von unerwünschten oxidativen Prozessen, vor allem der Radikalbildung. Dadurch steigt die Effektivität der Energieproduktion. Es wird also bei gleichem Blut- und Sauerstoffangebot mehr verwertbares ATP gebildet (ATP ist eine Phosphatverbindung, aus der Zellen durch chemischen Umbau Energie gewinnen können). Beispiele solcher Medikamente sind Präparate aus dem Extrakt des Ginkgo-Baums, verschreibungspflichtige Medikamente wie Hydergin® oder auch im Körper vorkommende Stoffe wie die Aminosäure Carnitin.

Wenn Präparate wie Hydergin® vor allem in den USA auch von Gesunden als Dauermedikation gegen das Altern eingenommen werden, so liegt das nicht daran, dass diese Personen ihre Durchblutung steigern wollen. Vielmehr wirkt Hydergin direkt der Radikalbildung entgegen und schützt Zellen sowie Organe bei plötzlichem Energiedefizit (wie Infarkt) vor dem Zelltod. Leider ist das Wissen um die gezielte Anwendung solcher Substanzen als Schutztherapie gegen Alternsprozesse in Deutschland noch wenig verbreitet.

Wie Radikale entstehen

Oxidativer Stress ist von allen Altersuhren die mächtigste und von allen Alternsverursachern der umfassendste. Was passiert dabei? Und vor allem, welches sind die besten Wege, diese Uhr anzuhalten? Die Antworten auf diese Fragen liegen in Abläufen verborgen, die sich in der Mikrowelt des Zellstoffwechsels und der komplizierten Biochemie der Radikale abspielen.

Doch keine Sorge. Auch wenn in diesem Kapitel ausnahmsweise einige chemische Begriffe auftauchen: Die wichtigsten Zusammenhänge haben wir so aufbereitet, dass sie auch für den Laien gut nachvollziehbar sind. Es ist auch nicht notwendig, sich alle Arten von Radikalen namentlich zu merken. Es genügt völlig, eine Vorstellung davon zu erhalten, wie Radikale wirken und warum sie Alterskrankheiten verursachen. Und natürlich davon, mit welchen unterstützenden Maßnahmen sie in ihrer zerstörerischen Kraft wirksam gebremst werden können.

„Es gibt keine trockene Wissenschaft. Es gibt nur trockene Gelehrsamkeit und trockene Gelehrte.”

JOSEPH UNGER [österreichischer Jurist und Politiker, 1828–1913]

Am Anfang steht das Sauerstoffradikal

Während des regulären Stoffwechsels entsteht in unseren Zellen an bestimmten Stellen ein geringer Anteil von Sauerstoffmolekülen, denen ein gepaartes Elektron fehlt. Man nennt sie auch Superoxid-Radikale oder chemisch O2. Wegen ihrer Reaktionsfreudigkeit können sie Moleküle oder Zellstrukturen schädigen (s. u.). Je mehr Sauerstoff umgesetzt wird, desto mehr O2-Radikale entstehen ganz zwangsläufig. (Anmerkung: Unter besonderen Bedingungen kann in der Zelle selbst bei reduziertem Sauerstoffumsatz die Entstehung von Wasserstoffperoxid [s. u.] und weiterer reaktiver Komponenten stark ansteigen, sodass mehr Radikale entstehen, als durch die Sauerstoffnutzung zu erwarten wäre.)

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9783954842841
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