Kitabı oku: «Theke, Antitheke, Syntheke», sayfa 7

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Freitag, 6. März

im Roten Affen

Fat Lot, Pasak und ihre Pokerbande saßen schon am Tisch, als ich zur Türe hereinkam. Die anderen trudelten nach und nach ein, Hans brachte wieder einmal seinen Hund Shaasdougn mit. Fat Lot und seine Kartenkumpels hatten spontan beschlossen, vom Stiff Bones ins Potex zu wechseln. „Vielleicht kann ich jemanden von euch zum Pokern überreden“, gab Fat Lot freimütig zu.

Charly saß am runden Stammtisch und las die neuesten Dienstanweisungen durch.

„Da kommt was auf uns zu“, murmelte er. Er kam an die Theke und zeigte mir das Rundschreiben des Landesrettungskommandanten:

Mit Stand 5. 3. 2020 18 Uhr sind in Österreich einundvierzig Fälle einer Infektion mit COVID-19 bestätigt. Ein COVID-19-Verdachtsfall ist wie folgt definiert:

Personen mit akuten Symptomen einer respiratorischen Infektion (plötzliches Auftreten von mindestens einem der folgenden Symptome: Husten, Fieber, Kurzatmigkeit) UND in den vierzehn Tagen vor Auftreten der Symptome:

 Enger Kontakt mit einem bestätigten oder wahrscheinlichen COVID-19-FallODER

 Aufenthalt in einer Region, in der von anhaltender Übertragung von COVID-19 ausgegangen werden muss: China, Italien (Regionen: Piemont, Emilia-Romagna, Lombardei und Venetien), Südkorea, Iran, Hongkong, Japan, Singapur (Stand: 26. 2. 2020).

Es wurden mehrere Hygieneteams im Land stationiert. Die Alarmierung erfolgt durch die Rettungs- und Feuerwehrleitstelle.

Charly fragte mich, was ich von der Entwicklung halte, aber ich wusste auch nicht mehr als alle anderen. „Wenn das Virus leichter übertragbar ist als Influenza, und die Viren tödlich sind, dann werden wir ein größeres Problem bekommen. Hoffen wir das Beste.“

Wir konnten uns nicht weiter unterhalten, denn die Pokerbande wurde immer lauter. Für Jane war das Pokern eine schnöde Sache, auch der Dragoner fand, es handle sich um eine ungebührliche Freizeitbeschäftigung. Jane und Dragoner blieben an ihrem Tisch sitzen, der Rest, also wir Machos, drapierten uns rund um den Pokertisch auf und schauten zu.

Fat Lot ließ sofort den Experten raushängen: „Texas Hold’em wird mit einem Paket französischer oder anglo-amerikanischer Karten zu 52 Blatt von zwei bis zehn Personen gespielt.“

Fat Lot redete fast ununterbrochen. „Der Spieler zur Linken des Dealers muss einen vorgeschriebenen Einsatz, wir nennen das small blind, sein linker Nachbar das big blind auf den Tisch legen. Heute gehen wir es gemütlich an, damit wir niemanden von euch erschrecken. Small blind ist 5 Euro, big blind ist 10 Euro. Big blind kann dann schon mal auf 100 Euro raufgehen. Die erste Runde nennen wir Preflop, die zweite heißt Flop, die dritte Turn Card und die letzte Runde River Card. Wer aussteigt, verliert seinen Einsatz.“

Fat Lot war unglaublich. Er konnte gleichzeitig Bier trinken, mehrere Hamburger hintereinander verdrücken, uns die Regeln erklären und gleichzeitig so gekonnt bluffen, dass er bereits nach zwanzig Minuten dreihundert Euros gewonnen hatte. Nach einer mehrfachen Aufforderung, doch ein paar Runden mitzumachen, setzte sich Charly an den Tisch.

Fat Lot machte munter weiter. Während und nach jedem Spiel erklärte er die Kombinationen. „Ein Royal Flush ist 10 bis As in einer Farbe. Wahrscheinlichkeit 0,003 %. Straight Flush ist eine Reihe aufeinander folgender Karten in einer Farbe, Häufigkeit 0,028 %. Ein Poker, das sind vier Karten des gleichen Wertes, ein As-Poker ist natürlich das Größte. Ein Full House ist ein Drilling und ein Paar, die Wahrscheinlichkeit liegt bereits bei 2,6 % …“

Jetzt regten sich die anderen auf: „Halt’s Maul, Lothar, du bringst uns aus dem Konzept. Lass die anderen zusehen. Irgendwann kapieren sie es von selbst.“ Fat Lot gehorchte und konzentrierte sich auf das Spiel, während er das zweite Bier und den dritten Hamburger in Arbeit hatte. Zwischendurch spendierte jemand eine Runde Gin.

Jeder Spieler hatte sein Pokerface aufgesetzt, einer trug Sonnenbrillen, ein anderer einen so dichten Bart, dass seine Mimik kaum zu entschlüsseln war. Am undurchschaubarsten war Fat Lot, der mit seinem Bier, seinen Fressorgien und einem regelmäßig eingestreuten „Hmmmm, was für ein wunderbarer Hamburger, Pavi, was ist denn da drinnen?“ die anderen immer wieder zu verzweifelten Blicken animierte. Eine Zeitlang passierte wenig, weil alle mit ermüdender Regelmäßigkeit ausstiegen und nur die Blinds die Besitzer wechselten. Ein langweiliges Nullsummenspiel.

Nach ungefähr einer halben Stunde passierte etwas Unerwartetes. Die Einsätze gingen in die Höhe, weil auf dem Tisch lauter Pik-Karten lagen. Charly begann nervös zu werden. Die anderen lächelten überlegen, der Bärtige kratzte sich am Kopf. Auf dem Tisch lagen an die dreihundert Euro. „All in!“, rief Fat Lot und schob seine Scheine in die Mitte. Pasak folgte mit „All in!“ Auch der Bärtige verkündete nach einer Nachdenkpause von drei Sekunden: „All in!“ Alle anderen bis auf Charly stiegen aus. „Na, Charly?“, feixte Pasak, „Flatterarsch?“ Charly zögerte mit starrem Blick, doch nach zehn Sekunden, die wie eine Ewigkeit erschienen, schob auch er seine Scheine in die Mitte: „All in!“

Alle legten ihre Karten auf den Tisch. Ich weiß nicht mehr, was die anderen vorzuweisen hatten, aber Charly hatte doch tatsächlich mit einer Pik-Dame und einem Pik-As ein Royal Flush geschafft. Fat Lot und Pasak schrien auf. Sie hatten so etwas unserem Charly, der nun achthundert Euro einsteckte, niemals zugetraut. „Charly, du Sau, wenn du uns keine Chance gibst, das zurückzugewinnen, hast du in unserer Runde nichts mehr verloren“, schnaubte Fat Lot. Charly erklärte ihnen, dass er gar nicht daran denke, aufzuhören.

Pasak stand auf. „Muss zum Bankomat gehen“, zischte er. „In unserer Pokerrunde wird grundsätzlich bar bezahlt“, erklärte Fat Lot wütend, „wenn jemand kein Geld mehr hat und verliert, werden keine Schuldscheine ausgestellt. Trotzdem vergessen wir keine Schuld. Spielschulden sind Ehrenschulden.“

Pasak kam zurück. Er legte ein paar Scheine auf den Tisch. Als das nächste Spiel begann, schauten alle auf Charly. Keiner wusste, ob er ein Naturtalent oder ein eiskalter Profi war oder einfach nur Glück hatte. Misstrauen lag in der Luft. Hans und ich hatten unsere Bücher völlig vergessen und schauten zu. Auch Jane und Dragoner standen jetzt am Pokertisch. Die Spieler hatten Mühe, ihre Karten vor den neugierigen Blicken zu verdecken.

Wieder begann eine langweilige Serie mit Ausstiegen. Einige Spiele später dauerte das Spiel bis zum River. Diesmal lagen nur rote Karten, also Herz und Karo, auf dem Tisch. Alle erhöhten ihre Einsätze, auch Charly, was die anderen misstrauisch machte. Es war ihnen anzusehen, dass die grauen Zellen kochten. Als die Karten aufgedeckt wurden, tauchten da mehrere Zwillinge auf. Pasak hatte einen Königs-Drilling, Fat Lot einen As-Drilling und Charly einen Zehnerpoker.

Charly sackte wieder alles ein, diesmal waren es an die siebenhundert Euro. Pasak fluchte heftig, nahm seinen Mantel und verschwand. Die Pokerrunde löste sich auf. Fat Lot blieb sitzen und verstand die Welt nicht mehr. Hans, Charly und ich gingen an die Theke.

„Klar, dass ich für den Rest des Abends alle freihalte“, posaunte Charly gut gelaunt hinaus, worauf sogar der Dragoner und Jane ihm zuprosteten.

Ich begann das Gespräch mit einer direkten Frage an Charly: „Sag einmal, du Schlitzohr, was sollte denn das soeben? Das war peinigend. Ja, peinigend ist der richtige Ausdruck. Bist du ein Pokerprofi oder hattest du einfach nur Glück?“

Charly erklärte uns seinen Trick: „Beim Texas Hold’em spielst du in Wahrheit nicht mit den Karten. Du spielst mit deinem eigenen Gesicht und mit den Gesichtern der anderen. Man braucht nur etwas Menschenkenntnis. Vor allem aber braucht man Grundkenntnisse in Statistik. Hier gebe ich unserem Lothar recht.“

Jetzt mischte sich Hans ein: „Statistik? Gesichter? Menschenkenntnis? Sag mal, Charly, was verheimlichst du uns? Du liest doch nur deinen Bukowsky und deinen Karl May.“

„Ich verheimliche euch nichts – naja – fast nichts. Erstens verfüge ich in meiner Tätigkeit als Rettungssanitäter über Menschenkenntnis. So etwas bekommt man im Laufe der Jahre zwangsläufig, und zweitens war Mathematik in der Schule mein Lieblingsfach. Ich konnte mit fünfzehn Jahren quadratische Gleichungen im Kopf lösen. Im Übrigen kann man diese unbedarften Typen leicht hinters Licht führen.“

„Wie das?“, wollte ich wissen.

„Ganz einfach. Als ich zum ersten Mal ein As und einen König in die Hand bekam, bin ich bis zum Schluss mitgegangen und habe ein wichtiges Gesicht gemacht.“

„As-König, also Anna Kurnikowa“, sagte ich grinsend.

„Äh, was?“, Hans schaute verwirrt.

Jetzt war wieder Charly an der Reihe:

„Anna Kurnikowa war eine gutaussehende Tennisspielerin, hat aber sportlich nicht viel erreicht. As-König schaut fesch wie Anna Kurnikowa aus, bringt aber nur selten was. Wer sich mit As-König gut fühlt und beim Bieten hoch geht, ist ein Anfänger, und wer das auch noch zeigt, wird schnell aufs Kreuz gelegt. Ich habe den Pokerfuzzies den Anfänger vorgespielt, sie sind drauf reingefallen, und am Schluss habe ich sie abgezockt. So einfach geht Pokern, wenn man cool bleibt und von den anderen unterschätzt wird.“

Ich musste Charly hinsichtlich Menschenkenntnis recht geben. Wer im Rettungsdienst arbeitet, macht gewisse Erfahrungen.

Was seine mathematischen Kenntnisse betraf, war das für mich überraschend: „Du und Mathematik? Das ist was Neues!“

„Ihr habt mich nie gefragt“, sagte Charly und nahm einen Schluck Bier.

Inzwischen hatte Hans in seinen Büchern gekramt. Nach einigen Minuten hatte er gefunden, was er gesucht hatte: „Charly! Das könntest du geschrieben haben! Das darfst jetzt du vorlesen.“

Alle, auch unser Wirt Pavi, waren an die Theke gekommen. Nur Fat Lot saß noch traumatisiert am Pokertisch. Charly ließ sich nicht zweimal bitten und las laut vor:

Das Zitat des englischen Premiers Winston Churchill, wonach er nur den Statistiken traue, die er selbst gefälscht hat, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass die Fälschung nicht darin liegen muss, dass man Zahlen manipuliert oder falsche Formeln verwendet, sondern in der Interpretation.

Ein absurdes Beispiel soll verdeutlichen, was man alles „beweisen“ kann. Das „Prinzip des unzureichenden Grundes“ besagt, dass wir für Annahmen, deren Gewissheit wir nicht beurteilen können, eine „Gleichwahrscheinlichkeit“ von 50:50 annehmen dürfen. So meinte der französische Mathematiker Simeon Denise Poisson, jedem Angeklagten dürfe eine A-priori-Schuld von 50 % unterstellt werden. Wir wenden dieses Prinzip auf die Frage an, ob es im Sternsystem Sirius einen Planeten mit Hunden gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwo im Weltall, und somit im Sirius-System, einen Planeten mit Hunden gibt, ist nach dem Prinzip des unzureichenden Grundes ½ (= 0,5). Die Wahrscheinlichkeit, dass es sie nicht gibt, ist ebenfalls ½. Das Gleiche gilt für Pudel, Dackel, Leonberger, Dalmatiner, Eurasier und alle anderen Rassen. Insgesamt nehmen wir das für mindestens hundert Hunderassen an. Nun berechnet man die Wahrscheinlichkeit, dass keine dieser Hunderassen eine Zweitausgabe auf Sirius aufweist: p(H) = (0,5)100 und diese Zahl ist so nahe bei null, dass sie problemlos null gesetzt werden kann. Diese Hundeunwahrscheinlichkeit p(H) ist also null. Die Wahrscheinlichkeit, dass es diese Hunderassen doch gibt, ist 1 – (H) und damit 1. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, auf Sirius eine Hunderasse zu finden, liegt bei 1, ihre Existenz ist damit statistisch bewiesen.

Mit Statistik kann man, wenn man nur will, alles „beweisen“, indem man Zahlen verwendet, deren Erhebungsmethode nicht nachvollziehbar und somit unbekannt ist. Das Ganze muss nur noch durch einen imposanten mathematischen Fleischwolf gedreht werden. Wer das daraus resultierende Zahlengedröhn für bare Münze nimmt, sollte lieber an des Teufels Großmutter glauben. Das wäre realistischer.

Alle lachten und applaudierten. Auch Charly musste lachen.

„Wahrscheinlich hat Fat Lot die relative Häufigkeit von Charlys Royal Flush falsch berechnet“, ätzte Pumpe. Fat Lot saß immer noch am Tisch und rief herüber: „Deine tausendfünfhundert Euro hole ich mir zurück.“

Jetzt war Charly mit dem Ätzen dran: „Wouw! Ich bekomme nochmals die Chance, so viel Geld zu gewinnen!“

Fat Lot holte seine XXXL-Jacke, zahlte bei Pavi seine Zeche, die wegen seines Appetits und seines Bierkonsums immer beachtlich war, und verließ wortlos das Lokal.

Nach einer halben Stunde, nur Hans, Charly und ich standen noch an der Theke, fragte Hans: „Sag mal, du Zocker, du beobachtest die Leute. Sehr diskret, aber du beobachtest jeden der Spieler sehr genau. Sag nicht, dass du es nicht tust.“

Charly kratzte sich am Kopf, eine klassische Übersprungshandlung, dann wurde er präzise.

„Bei einigen dieser Profis war es schwierig“, gab Charly zu, „echte Profis können die meisten Körpersignale unterdrücken, aber niemals alle. Ich konnte mich auf wenige Signale verlassen, die kein Mensch auf der Welt verbergen kann. Als Rettungssanitäter weiß ich außerdem längst, ob jemand simuliert, oder ob die Situation ernst ist. Der Ausgangspunkt für jedes unbewusste Körpersignal ist das Gefühlszentrum in unserem Gehirn“, erklärte Charly, „hier werden die Gefühle umgewandelt und als Impulse an die Nerven weitergeleitet. Wir können diese Reaktionen unseres Körpers bewusst manipulieren, gänzlich unterdrücken können wir sie nie. Heute Abend waren zwei Signale auffallend, der Atem und die Finger. In dem Moment, als die Karte aufgedeckt wurde, setzte Lothars Atem für den Bruchteil einer Sekunde aus, und seine Finger krümmten sich zwei Zentimeter zum Handinneren“, sagte Charly mit der Mimik eines wahren Experten, „beide Reaktionen stehen für Stress – und befinden sich damit im Gegensatz zu einem scheinbar selbstbewussten Einsatz. Auch die anderen Spieler reagierten ähnlich. Sobald ein Mensch in eine Stresssituation gerät, startet ein physiologisches Notfallprogramm. Die Atmung wird hochgefahren, damit der Körper mehr Sauerstoff aufnehmen kann und der Mensch besser auf einen Kampf oder eine Flucht vorbereitet ist. Pokerprofis spüren es, wenn dieser Mechanismus aktiviert wird, und sie versuchen, die höhere Atemfrequenz zu unterdrücken. Die Folge ist, dass ihr Atem für Sekundenbruchteile stockt. Die gekrümmten Finger sind ein anderes Signal, das durch einen Reflex im Oberkörper entsteht. So ziehen Menschen, die unsicher sind, ihre Schultern hoch. Die Kumpane da drüben sind nicht schlecht. Sie haben gelernt, das zu unterdrücken, aber der Reflex wandert nach unten in die Finger. Diese Bewegung sagt mir das Gleiche wie ein simples Schulterzucken. Die Körpersprache lügt nie. In bestimmten Berufsfeldern werden wichtige Deals nur noch im Beisein von Körpersprache-Experten abgeschlossen“, erklärte Charly, „und das hat seinen Grund.“

Wir waren beeindruckt. Hans nickte anerkennend.

„Wenn ihr mich nicht verratet, dann zocke ich die Bande noch ein paarmal ab, und ihr werdet in Form von Freirunden beteiligt.“ Charly sagte das mit einer erstaunlichen Coolness.

„Warum bist du dann kein Pokerprofi?“, fragte Hans, „du könntest ein Vermögen damit machen.“

„Nein“, Charly winkte ab, „das ist nicht mein Ding. Ich habe andere Interessen. Ich spiele jetzt noch ein paarmal, lasse sie auch gelegentlich gewinnen, aber wenn sie merken, dass ich sie langfristig ausnehme, dann schließen sie mich ohnehin aus.“

Der Rest von uns unterhielt sich noch bis Mitternacht über Statistik. Am Ende schrieb noch jeder etwas ins Thekenbuch. Charly schrieb hinein: „Wenn man kein Glück hat, kommt meistens auch noch Pech dazu.“ Ich schrieb darunter: „Sehr gern würde ich mich mit Lothar geistig duellieren, aber er ist unbewaffnet.“

Ich bekam von Jane dafür eine Rüge.

Freitag, 13. März

in der Sauren Wiese

Nach und nach trudelte die Bande ein. Der Knochenbrecher kam etwas später und teilte uns ungefragt mit, dass seine Henry noch später kommen würde.

Jane ließ gleich zu Beginn des Abends die Welt untergehen und erzählte sofort, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO COVID-19 zur Pandemie erklärt hat.

Hans und ich interessierten uns nicht für Weltuntergangsgeschichten und blätterten schweigend in unseren Büchern, zeigten auf die eine oder andere Stelle und lasen leise Textstellen, von denen wir wussten, dass das die anderen Prolos ohnehin nicht verstehen würden. Jane ließ nicht locker und fragte immer wieder, ob jetzt die Menschheit aussterben würde. Irgendwann stieß irgendwer das Thema Nostradamus, Astrologie usw. an.

Das Thema interessierte mich nicht, doch Hans fischte eine Zeitschrift aus seiner Tasche und las laut vor, obwohl ich deutlich meinen Daumen nach unten gedreht hatte.

Die Seher haben für 2019 keine Katastrophe ausgelassen, das Motto lautete, irgendwas werde schon passieren. Neben den üblichen Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Tsunamis und Waldbränden schrammten auch realitätsnahe Prognosen am tatsächlichen Geschehen vorbei: Wie zum Beispiel ein harter Brexit, das Ende von Facebook oder der Rücktritt der deutschen Bundesregierung im Frühjahr 2019. Beim US-Präsidenten waren die Prognosen der Seher chaotisch: Trump tritt zurück (Rose Smith), Trump bleibt Präsident (Susan Rowlan), Trump wird Opfer eines Anschlags (Nikki Pezaro, Craig Hamilton-Parker und andere). Die originellsten Vorahnungen waren die Entdeckung eines Riesenaffen à la King Kong, ein ins Weiße Haus einbrechender Papagei und der gleichzeitige Bundesligaabstieg von Bayern München und Borussia Dortmund.

Die in den Regenbogenmedien beliebten Promiprognosen produzierten wie immer Wer-mit-wem-Geschichten. Dabei ist ein wiederkehrendes Muster zu erkennen: Promipaare trennen sich, Singles finden einen Partner, bei Älteren werden Gesundheitsprobleme, bei Frischvermählten eine Schwangerschaft vorhergesagt. Es gab auch Mutmaßungen, die kaum überprüfbar sind. Angela Merkel soll im November laut Astrologin Elizabeth Teissier an Rücktritt gedacht haben und Helene Fischer hat sich laut Astrologin Susy Schädler irgendwann wieder für Florian Silbereisen interessiert.

Echte Prognosen sind langfristig unmöglich, und wenn sie zutreffen, so handelt es sich um Zufallstreffer. Die Mehrzahl der Astrologen wagt sich daher seltener an exakte Ankündigungen.

Nicht alle lachten, denn wir hatten in unserer Runde in paar heimliche Hobby-Esoteriker und Nebenberufs-Astrologen.

Pasak setzte eines drauf: „Jede Religion schlägt in ihrer Unbedarftheit Esoterik und Astrologie um Längen.“ Das wiederum machte Jane wütend. Sie war zwar nicht bigott religiös, über ihr Christentum ließ sie jedoch nichts kommen. „Beim Alten Testament der Bibel kenne ich mich zu wenig aus“, sagte sie zu Pasak, „aber ich glaube an jedes Wort, das im Neuen Testament geschrieben steht.“

Mit dieser Aussage lief sie Pasak ins offene Messer.

„Du glaubst jedes Wort? Ehrlich? Ein wesentlicher Teil des Neuen Testaments ist die Geschichte der Auferstehung. Bei Matthäus kommen zwei Frauen zum Grab von Jesus. Daraufhin erscheint ein Engel, wälzt den Stein weg und setzt sich auf den Stein. Bei Markus kommen drei Frauen zum Grab. Der Stein ist bereits weggewälzt, ein Engel sitzt im Grab drinnen und spricht zu den Frauen. Lukas berichtet, dass mehrere Frauen zum Grab gehen, das Grab leer finden, worauf zwei Männer erscheinen und zu ihnen sprechen. Bei Johannes kommt nur eine Frau zum Grab, findet es leer, geht zu den Jüngern, worauf diese kommen und staunen. Engel oder Männer erscheinen bei Johannes keine mehr.“

Jane war verblüfft. „Wieso weißt du solche Details?“, fragte sie mit erstauntem Gesicht, doch Pasak winkte ab: „Ich kann lesen.“ Dann setzte Pasak nach:

„Manche Bücher, darunter die Bibel, wurden rückblickend geschrieben. Im vorliegenden Fall ging es den Verfassern der Evangelien weniger darum, genaue Fakten zu dokumentieren. Die Autoren wollten Glaubensansichten darstellen. Sie glaubten daran, dass Jesus auferstanden war. Da es keine Augenzeugen gegeben hatte, mussten sie die Geschichte nach ihrer Vorstellung nacherzählen. So entstanden verschiedene Berichte. Welcher von ihnen wortgetreu richtig ist, wissen wir nicht.“

Charly erhob seinen Zeigefinger: „Unser Pasak verschweigt uns da was.“ Charly hatte recht. Pasak redete normalerweise ganz anders. Diesmal klang es so, als ob er Philosophie oder Theologie studiert hätte. Damals wusste ich nicht, wie nahe ich der Wahrheit war. Pasak ahnte unsere Gedankengänge, es schien ihm unangenehm zu sein: „Ein Bier für den oder diejenige, die das Thema wechselt.“

Der Dragoner kam mit lautem „Hallooo!“ herein, bestellte einen Cuba Libre und legte mit einem Witz los: „Neulich habe ich den Polizeinotruf gewählt. Ich verlangte einen Sprengmeister, weil im Bett neben mir ein Blindgänger liegt.“

Wir lachten höflich. Pasak klopfte sich auf die Schenkel. Nur der Knochenbrecher konnte nicht lachen. Stattdessen schaltete er schnell und lieferte seinerseits: „Wenn eine Frau mit ihren unteren Lippen eine Walnuss knacken kann, sollte sie mit dem Bodybuilding aufhören.“ Da der Dragoner eine stämmige Figur hatte, wussten wir, wer gemeint war. Der Dragoner lächelte bemüht, ein paar riefen: „Prost!“

Der Dragoner und Jane unterhielten sich für den Rest des Abends angeregt, wobei sie sich brav mit Jeanine und Henriette anredeten. Der Dragoner pumpte einen Cuba Libre nach dem anderen ab, Jane blieb bei ihrem Weißwein.

Es war schon spät, als sich die Runde allmählich auflöste.

Hans und ich kramten noch in unseren Büchern herum, als Blues mit einer Mappe daherkam und fragte, ob das einem von uns gehörte. Ich erklärte ihm, dass er das früher hätte fragen sollen, als noch alle da waren, aber er meinte nur, dass er nicht immer an alles denken könne. „Das liegt seit zwei Wochen hier, irgendjemand muss es vergessen haben.“

„Wer sagt, dass das einem von uns gehört?“

„Keine Ahnung. Ihr seid doch die Bücherwürmer.“

Hans hatte inzwischen die Mappe geöffnet. Darin lagen lose Blätter vergilbtes Büttenpapier, einige Blätter waren verklebt. Es sah aus wie ein Teil eines kaputten Buches, das darauf wartete, neu gebunden zu werden. Der Titel „Teras“ auf dem ersten Blatt hatte Hans neugierig gemacht.

„Teras?“, fragte ich.

„Ja, Teras ist Griechisch und bedeutet Ungeheuer, wie wir inzwischen wissen. Es geht eventuell um einen Seher.“

„Na sowas! Schon wieder Astrologie. Was hat er denn gesehen?“

Hans blätterte herum. „Weiß ich nicht. Es scheint um den baldigen Weltuntergang zu gehen. Klingt cool.“

„Weltuntergang? Wenn’s nicht mehr ist! Respekt! Wer hat denn das Zeug geschrieben?“

„Ein gewisser Zacharias Amesreiter aus Nürnberg, so steht es auf dem Deckblatt, aber die Hauptperson des Buches scheint ein geiler Wandermönch namens Paolo zu sein.“

Jetzt war ich voll dabei. Endlich einmal etwas richtig Abgefahrenes.

Hans blätterte herum. „Besagter Amesreiter war angeblich Mitglied eines Geheimordens namens Mercurius Trismegistus. Keine Ahnung, wer oder was das ist.“

In der Zwischenzeit hatten Hans und ich zu lesen begonnen, was uns einige Mühe bereitete, denn es handelte sich um eine alte Schrift, wie sie im 17. Jahrhundert oder vielleicht auch früher verwendet wurde. Einige Seiten waren in deutscher Kurrentschrift verfasst. Aus purer Neugier fotografierten wir einen Teil des Buches mit meinem Smartphone.

„Ok“, sagte ich zu Blues, „wir kümmern uns darum. Wir fragen einfach unsere Theken-Prolos der Reihe nach. Das Buch dürfte eine Rarität sein. Sowas ist kein Allerwelts-Schinken.“

Hans und ich waren die Letzten im Lokal. Hans begann vorzulesen.

Die Lektüre erschien uns gleichermaßen blöd wie dämonisch. Es gab kein Impressum, und es fehlte auch eine Jahreszahl. Lediglich dieser Amesreiter, ein geheimnisvoller Mercurius, und dieser Mönch namens Paolo Corvo wurden erwähnt. Ich hatte nie von denen gehört.

DIE ROTE MAGIE von Professor Zacharias Johannes Jakobus Amesreiter aus Nürnberg.

LITERA I

Bruder Paolo schreibt über sein Leben.

Meine Brüder!

Wir haben die Bruderschaft des Mercurius Trismegistus gegründet, und Ihr sollt meine Gründe erfahren, warum ich das getan habe.

Mein Name ist Paolo Filippo Corvo. Meine Mutter nannte mich Filippo. Ich bin in der Nähe von Neapel geboren. An meinem vierzehnten Geburtstag bin ich in den Orden der Dominikaner eingetreten, und dort erhielt ich den Klosternamen Paolo. Meine Mitbrüder nannten mich zu Beginn „Bruder Paolo“, später auch Bruder Corvo. Das bedeutet Rabe. Ich habe mich schon früh der Kunst der Alchemie gewidmet und der Rabe gilt als ein besonderes Tier der Alchemisten. Der Rabe ist das Symbol geheimer Kräfte, ein Bild der Veränderung und Umwandlung.

Wenn mein irdisches Leben zu Ende gehen wird, werden mich die Büttel der Inquisition als „Ouroboros draco“ verspotten – als den Weltendrachen, das Zeichen der ewigen Erneuerung. Der Inquisitor – ein geiler Rattenbock und hemmungsloser Knabenschänder – wird mich beschuldigen, ein „Teras“, ein Monstrum, zu sein. Das Heilige Officium wird auf Befehl des Heiligen Vaters Paulus V. – als Kardinal Camillo Borghese selbst ein ehemaliger Inquisitor – von mir ein Geständnis zu erzwingen versuchen. Ich werde nicht gestehen, ich werde kein Urteil unterschreiben, und ich werde keine Abschwörungsformel lesen, weil ich geheime Essenzen besitze, die meine Seele und meinen Willen stärken und mich von allen Schmerzen befreien. Ich werde der Folter, und sei sie noch so grausam, widerstehen.

Im Kloster las ich die Evangelien, die Philosophie des Aristoteles und die Theologie des Thomas von Aquin. Besonders aber widmete ich mich der Alchemie. Da ich auch heimlich die Philosophien des Heraklit, des Epikur und des Demokrit studierte und zu diesem Zweck verbotene Bücher aus der Bibliothek entwendete, bestrafte mich mein Abt – ein einfältiger und ungebildeter Tor – und ließ mich sechs Monate zur Buße in den Kerker stecken. Nach Verbüßung meiner Strafe verließ ich über Nacht das Kloster und ging auf Wanderschaft in Richtung Norden.

Im Kloster St. Medardi zu Soissons, in dem ich mich ein Jahr lang aufhielt und den Mönchen zeigte, wie man Testamente und Schenkungsurkunden brauchbar verfasst, gab es nach meiner Abreise eine große und bedeutende Werkstatt für falsche Dokumente. Viele Pfaffen verschmähen kein Mittel, um reich zu werden, denn sie hatten es längst erkannt, dass Geld Macht bedeutet. Zudem wollten sie gut leben. Ihre Gelübde wussten sie damit trefflich zu vereinigen, und was die Stifter der Klöster gegeben hatten, wurde von ihren Nachfolgern so eingerichtet, dass es ihnen zu einer Quelle des Erwerbes und Wohllebens wurde.

Die Messe war, wie die Mönche lehrten, die einzige Labung für die armen Seelen im Fegefeuer, die mächtigste Schreckgestalt für den Teufel. Sie war für einen bestimmten Geldbetrag zu haben. Die Bettelmönche, wie ich vor wenigen Jahren einer war, taten es noch wohlfeiler. Wir lasen die Messe für die Hälfte.

So gern wir Mönche auch nahmen, so ungern ließen wir uns etwas nehmen. Jeder, der dies versuchte, wurde von uns kurzerhand verflucht. Ich benützte dazu eine von mir erdachte Formel, die von anderen Mönchen begierig kopiert wurde. „Sein Name sei vertilget aus dem Buche des Lebens; und alle Plagen Pharaons sollen ihn treffen – der Herr werfe ihn aus seinem Eigentum, und gebe solches seinen Feinden. Sein Teil sei bei dem Verräter Judas, seine Äcker werden wie Sodom verderben, sein Haus wie Gomorrha. Die Luft schicke Legionen Teufel über ihn. Er sei verflucht vom Fuße bis zum Haupte, dass ihn die Würmer mit Gestank verzehren und seine Eingeweide ausschütten wie Judas. Sein Leichnam werde verzehrt von den Vögeln und wilden Tieren, und sein Gedächtnis von der Erde verzehrt. Verflucht seien alle seine Werke, verflucht sei er, wenn er aus- und eingeht, verflucht sei er im Tode wie ein stinkender Hund, und wer ihn begräbt, sei vertilgt. Verflucht die Erde, wo er begraben wird, und er bleibe bei den Teufeln im höllischen Feuer!“ Bei diesen Worten verging jedem frommen Christen der Appetit, einen Mönch oder ein Kloster zu besteuern!

Nach meinen Wanderjahren als Bettelmönch besann ich mich meiner philosophischen und theologischen Ausbildung und stellte mich in größeren Städten als Lehrer dieser ehrwürdigen Wissenschaften vor. Ich besuchte Wien, Prag, Toulouse, Paris, London und Frankfurt und andere Orte, wo mir gönnerhafte Menschen, Fürsten, Äbte, Gesandte und Professoren ihre Bibliotheken und Räume für meine Studien zur Verfügung stellten und wo ich berühmte Gelehrte traf, mit denen ich oft heftige Disputationen führte. An den Universitäten in Paris und London durfte ich Philosophie und Theologie lehren. In dieser Zeit verfasste ich Texte über das unendliche All, die Entstehung der Welt und die Gesetze der Natur und die neue Lehre von einem „Deus evolutus“.

Während dieser Jahre lernte ich auch schöne und edle Frauen kennen, die ich mit meinen ungewöhnlichen Gedanken für mich gewinnen konnte. Viele von ihnen liebten zuerst meine sinnlichen Worte, und dann meine Philosophie. Ich fand Zugang zu ihrem Geist, zu ihren Herzen und schließlich zu ihren Körpern, und so durfte ich vielen von ihnen beiwohnen, so oft ich Verlangen danach hatte.

Die Tage gehörten den Büchern und den alchemistischen Forschungen, die Nächte den gebildeten und wollüstigen Frauen und Mätressen der Fürsten, Bischöfe und Kaufleute. Die Zeit war gleichermaßen erfüllt mit den Begierden des Geistes und des Leibes. Ich sage, dass es eine unermessliche Schande ist, die Freuden des Leibes als Sünde zu bezeichnen. Ich spreche daher jedes Mitglied unserer Bruderschaft von den vermeintlichen Sünden des Bauches frei, solange kein Gewaltverbrechen damit verbunden ist.

Meine ars amandi gefiel den Frauenzimmern. Es vergingen die Nächte mit geistreichen Gesprächen und dem lustvollen Geschrei meiner Konkubinen. In vielen Fällen musste ich mich der Schweigsamkeit des Küchenpersonals und der Dienerschaft versichern. Die Diener wurden mit Geld, das weibliche Küchenpersonal mit Liebeskünsten zum Schweigen gebracht. Mein Laster blieb nie für länger als einige Monate geheim. Immer dann, wenn die betrogenen Männer meines wollüstigen Tuns gewahr wurden, musste ich die Flucht ergreifen. Ich wurde auch einige Male gefangen und in den Kerker geworfen, aber es fanden sich stets Frauenzimmer, die mich mit Geld heimlich auslösten. Ich musste zuweilen versprechen, bald wieder zu erscheinen, aber das hätte in vielen Fällen meinen Tod am Galgen zur Folge gehabt.

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