Kitabı oku: «Lehren kompakt II (E-Book)»

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Ruth Meyer

Lehren kompakt II

Jugendliche zwischen Erziehung und Erwachsenenbildung

ISBN Print: 978-3-0355-1652-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1653-1

3., überarbeitete und erweiterte Auflage

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com


Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:http://mehr.hep-verlag.com/lehren-kompakt-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zur dritten Auflage

TEIL 1: ERZIEHUNGSAUFGABEN IM UNTERRICHT

Kapitel 1: Was ist mit den Jugendlichen los?

Kapitel 2: Womit Jugendliche beschäftigt sind

Entwicklungsaufgaben

Lernen

Mit der Schule kooperieren

Kapitel 3: Pädagogische Leitlinien für den Unterricht

Schulisches Umfeld

Lernklima und Disziplin

Zum Umgang mit Gewalt

Unterstützung der Individualität

Weiterführende Materialien

TEIL 2: UNTERRICHTSGESTALTUNG

Kapitel 4: Selbstgesteuertes Lernen

Merkpunkte: Wie Jugendliche beim selbstgesteuerten Lernen unterstützt werden können

Grundlagen

Wissen aufbauen

Lernumgebungen gestalten

Selbstmanagement für Jugendliche

Weiterführende Materialien

Kapitel 5: Methodik für Jugendliche

Grundsätzliches zu Methoden

Anfangen: Kennenlernen

Anfangen: Informierender Beginn

Interesse wecken: Ins Thema einsteigen

Theorie darbieten

Theorie erarbeiten

Üben, Umsetzen

Lernzielkontrollen, Zusammenfassungen, Repetition

Sich selber besser kennenlernen

Auflockerungen zwischendurch

Merkpunkte: Methodik für Jugendliche

Weiterführende Materialien

Kapitel 6: Beurteilen und Feedback geben

Zwischentests

Prüfen

Soft Skills beurteilen

Rückmeldungen geben

Motivieren

Merkpunkte für das Beurteilen und Feedbackgeben

Weiterführende Materialien

TEIL 3: JUGENDLICHE ZUR LERNLEISTUNG ANSPORNEN

Kapitel 7: Woraus Leistungsbereitschaft entsteht

Hirnbiologische Grundlagen

Die vier Dimensionen des Lernens

Die Entstehung von Leistungsmotivation

Kapitel 8: Spezifische Lernpotenziale Jugendlicher

Aufgaben der Lehrperson

Thesen und didaktische Schlussfolgerungen

Tabellarischer Überblick: Entwicklungspsychologie

Kapitel 9: Was Lehrpersonen können sollten

Kompetenzenkatalog für Lehrpersonen von Jugendlichen

Fazit

Quellenverzeichnis

Vorwort

Die Schul- und Unterrichtsforschung hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von Erkenntnissen zu Bedingungen und Merkmalen eines guten Unterrichts hervorgebracht. Unterdessen liegt eine kaum mehr überblickbare Fülle von empirisch gestützten Erkenntnissen vor, die aufzeigen, welche Unterrichtsmerkmale einen positiven Effekt auf die fachlichen und überfachlichen Leistungen von Schülerinnen und Schülern ausüben. Als unbestritten gilt dabei, dass sich ein guter, lernwirksamer Unterricht durch einen hohen Anteil von Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler auszeichnet und dass die Lehrperson diese Prozesse fachkundig begleiten muss.

Was mitunter zu wenig bedacht wird: Wenn diese Erkenntnisse die Unterrichtsgestaltung positiv beeinflussen sollen, müssen sie zunächst Eingang in das individuelle Denken und Handeln von Lehrpersonen finden. Dabei müssen mindestens zwei Anforderungen beachtet werden:

•Es braucht ein ganzheitliches und praktikables Unterrichtskonzept, das der Komplexität der Praxis gerecht wird. Dieses muss den aktuellen Stand des didaktischen und pädagogischen Wissens aufnehmen und verfügbar machen, gleichzeitig aber auch dort reflektierte Hilfestellungen anbieten, wo noch keine gesicherten Forschungsergebnisse vorliegen.

•Das neue Wissen zum Lehren und Lernen muss in das Erfahrungswissen der Lehrpersonen integriert werden können – andernfalls wird es in aktuellen Handlungssituationen nicht verfügbar sein. Mit anderen Worten: Das neue Wissen muss «anschlussfähig» sein; vor allem muss es auf den speziellen beruflichen Kontext und auf praxisorientierte Fragestellungen ausgerichtet sein.

Das vorliegende Buch von Ruth Meyer erfüllt diese Ansprüche in einer vorbildlichen Art und Weise: Es basiert auf einem Unterrichtsverständnis, das die Lernaktivitäten der Lernenden und die Lernbegleitung durch die Lehrpersonen ins Zentrum rückt. Dabei liegt eine umfassende Sichtweise zugrunde, die auch pädagogische Aspekte (Erziehungsaufgaben des Unterrichts) sowie die Voraussetzungen des Lehrens und Lernens in die Reflexion einbezieht. Gleichzeitig ist das Bemühen um Anschlussfähigkeit des pädagogischen und didaktischen Wissens durchwegs spürbar: Dies zeigt sich einerseits in einer gut verständlichen Sprache, anderseits aber auch in den vielen praxisbezogenen Beispielen sowie in der starken Akzentuierung auf die Praxisfrage «Wie macht man das?» (Methodenwissen, praxisbezogenes Know-how). Und was das besondere Verdienst dieses Werks ist: Die Überlegungen sind ausgerichtet auf das anspruchsvolle Praxisfeld der Lehr- und Lernarbeit mit Jugendlichen.

Ein Buch, das Mut macht, die eigene Praxis zu überdenken, und das dazu anregen kann, neue Formen des Lehrens und Lernens in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen anzupacken und zu erproben.

Aarau, Januar 2011

Prof. Dr. Norbert Landwehr, Pädagogische Hochschule FHNW

Zur dritten Auflage

«Wer Kindern Liebe predigt, lehrt sie nicht lieben, sondern predigen.»

Alice Miller

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Müssen junge Menschen durch ihre Lehrpersonen noch erzogen werden, oder dürfen Lehrpersonen ihnen gegenüber keinesfalls erzieherisch wirken? Wie viel Disziplin braucht es, um Jugendliche optimal fördern zu können? Welche Krisen in der Jugendzeit wirken sich auf den Unterricht aus, und wie können Lehrpersonen damit umgehen? Welche Methoden sind für Jugendliche speziell geeignet? Können Jugendliche von ihrem Entwicklungsstand her überhaupt wie Erwachsene lernen? Auf solche Fragen versucht dieses Buch Antworten zu geben.

Es richtet sich also an Berufsfachschullehrerinnen und -lehrer und alle diejenigen, die mit Jugendlichen arbeiten und sie anleiten (Anbieter von 10. Schuljahren, Brückenangeboten, Übergangslösungen zwischen Schule und Beruf), Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der Praxis sowie an Gymnasiallehrerinnen und -lehrer.

Sie finden in diesem Buch Impulse, wenn Sie

•es überfliegen,

•von hinten nach vorne lesen,

•sich vom Index ausgehend in ein Thema vertiefen,

•das Inhaltsverzeichnis nach möglichen Hinweisen für Ihre Fragestellung absuchen,

•Zusatzmaterial auf der Webseite www.hep-verlag.ch betrachten.

Zu dieser Fundgrube haben für die erste und die zweite Auflage beigetragen: Karin Anand (Kantonsspital St. Gallen), Monika Gugger (Axa Winterthur Versicherung, Berufsbildung), Christa Heimgartner (Schweizerische Post, Berufsbildung), Rolf Huwyler (Bühler AG Uzwil, Berufsbildung), Irene Lehmann-Fäh (Schweizerische Post, Berufsbildung), Daniela Lüchinger (Klinik Stephanshorn St. Gallen), Claudia Räber (Räber Treuhand GmbH, Leiterin überbetriebliche Kurse) und Benno Schwizer (Stadt Zürich, Berufsbildung).

Seit der zweiten Auflage ist viel Zeit vergangen. In dieser dritten, vollständig überarbeiteten Auflage war es mir deshalb ein Anliegen, aktuellere Zahlen zur Situation der Jugendlichen zu liefern sowie die veränderte Medienwelt einzubeziehen. Auch das Thema «Lebenskompetenzen» hat sich inzwischen den längst notwendigen Raum in der Bildung verschafft.

Große Teile dieses Buches wurden aus der ersten Auflage übernommen, zu der Daniela Meyer, Flavia Stocker und Werner Henggeler mit ihren kritischen Anmerkungen und ständigen Diskussionsbereitschaft Wesentliches beigetragen haben. Der dritte Teil, den Irene Lehmann-Fäh und Heidi Ehrensperger für die zweite Auflage kritisch gegengelesen haben, blieb im Wesentlichen unverändert.

Für die dritte Auflage stand mir wiederum Irene Lehmann-Fäh (schoenerschulen.ch) mit vielen Ideen zur Methodik und zur Visualisierung bei. Ich bedanke mich herzlich für diese Unterstützung.

Ergänzend dazu kamen viele Einblicke in das aktuelle Leben von Jugendlichen in der Schweiz durch meine jugendlichen Enkel. Mit ihnen kann ich lustvoll und hautnah erleben, wie Jugendliche mit dem Internet und den Social-Media umgehen.

Juni 2019Ruth Meyer


Teil 1

Erziehungsaufgaben im Unterricht


Kapitel 1

Was ist mit den Jugendlichen los?

«Sagst du es mir, so vergesse ich es. Zeigst du es mir, so merke ich es mir vielleicht. Lässt du mich teilhaben, so verstehe ich es.»

Chinesisches Sprichwort

Ausgangslage

72 964 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren haben im Sommer 2018 die obligatorische Schulzeit abgeschlossen. 87 Prozent von ihnen haben eine Ausbildung auf Sekundarstufe II begonnen.

53 Prozent haben sich für eine berufliche Grundbildung (39 184) entschieden, ein Drittel besucht ein Gymnasium oder eine Fachmittelschule (24 217). Mit 87 Prozent konnte der Großteil der Jugendlichen direkt mit der Ausbildung starten. Nur 13 Prozent wichen auf eine Zwischenlösung aus: 10 Prozent nehmen ein Brückenangebot wahr (7 413) und 3 Prozent (2 150) machen ein Zwischenjahr. (1) Lehrpersonen, die in Zwischenlösung, Brückenprojekt, beruflicher Grundbildung oder Mittelschulen ausbilden, können nicht davon ausgehen, dass in ihren Klassenzimmern ausschliesslich Lernende sitzen, die hoch motiviert sind, genau wissen, was sie wollen, und zielgerichtet aus dem Bildungsangebot herausholen, was sie brauchen. Denn diese 16- bis 18-Jährigen sind zwar keine Kinder mehr, aber auch noch keine Erwachsene. Um erwachsen zu werden, müssen sie noch ihre Selbst- und Sozialkompetenzen erweitern und ihre eigene Identität entwickeln.

16-Jährigen begegnen wir als Ausbildende im Wesentlichen in drei Umfeldern: in Maturitätsschulen denjenigen, die sich auf die Universität vorbereiten; in Berufsfachschulen und innerbetrieblichen oder überbetrieblichen Ausbildungsstätten denjenigen, die eine Lehrstelle gefunden haben bzw. ein Fähigkeitszeugnis oder ein Berufsattest anstreben. In Brückenangeboten schliesslich begegnen wir denjenigen Jugendlichen, die weder eine Lehrstelle noch sonst einen Ausbildungsplatz gefunden haben.

Mit «Lernenden» und «Jugendlichen» meine ich in diesem Buch alle 16- bis 18-Jährigen, egal ob sie sich in einem Übergangsjahr, im Gymnasium oder in der beruflichen Grundbildung befinden.

Wie erleben nun Lehrpersonen diese Jugendlichen zwischen 16 und 18? In meiner eigenen Lehrtätigkeit, in der ich Lehrpersonen in der Erwachsenenbildung methodisch-didaktisch weiterbilde, fallen mir immer wieder die Berufsbildungsverantwortlichen auf. Sie haben ganz andere Fragestellungen als Lehrpersonen von Erwachsenen, sie wirken jugendlicher und sind kreativer. Und bei meinen Beobachtungen in verschiedensten Unterrichtssituationen habe ich bei Jugendlichen den lebendigsten, aber auch den mit am meisten Störungen durchsetzten Unterricht erlebt und immer wieder gestaunt, mit wie viel Humor, Schlauheit und Empathie die Lehrpersonen agieren, um die Jugendlichen, die oft schwerer zu hüten sind als ein Sack Flöhe, zu Lernleistungen zu motivieren und bei der Stange zu halten. Oft handelt es sich um Lehrpersonen, die lange Erfahrung mit Jugendlichen mitbringen, selbst erwachsene Kinder haben oder dem Jugendalter noch nahe stehen und deshalb die Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Jugendlichen mehr oder weniger intuitiv begreifen.

Jugendliche machen in diesem Alter unterschiedliche Erfahrungen mit der Ausbildung. Im schlechteren Falle werden sie weiterhin wie Kinder behandelt, obwohl sie längst keine mehr sind. Im besseren Falle begegnet man ihnen wie «kleinen» Grossen, obwohl sie das erwachsene Lernverhalten noch nicht beherrschen. Im besten Falle finden sie warme, begeisterte und empathische Berufsbilder*innen und Lehrer*innen, die ganz genau unterscheiden zwischen Schule und Erwachsenenbildung und die Jugendlichen sorgfältig durch das Niemandsland dazwischen führen.

Jugendliche machen Schlagzeilen

Betrunkene Jugendliche randalieren

Jugendliche Intensivkiffer verlieren IQ-Punkte

Depressionen werden zunehmend auch bei Jugendlichen diagnostiziert

Suizid wegen Mobbing: Zwei Jugendliche verurteilt

Psychiatrische Notfälle nehmen bei Teenagern zu

Jugendliche verprügeln Frau

Noch nie wurden so viele Jugendliche wegen Sexualdelikten angezeigt

Teenager überfallen Jugendliche auf Schulhof

Zehntausende Jugendliche demonstrieren

Dies sind Schlagzeilen, die so oder ähnlich in den Tageszeitungen zu finden waren. Lehrpersonen von Jugendlichen könnten die Liste beliebig ergänzen:

Schlägerei in Berufsfachschule: Ein Lehrer verletzt

Tumult bei der Rückgabe der Prüfungen

Selbstmord eines Schülers

Prüfungen aus Lehrerzimmer geklaut

Schon wieder ein Schulverweis

Was ist mit den Jugendlichen los?

Jugendliche spielten früher in Gemeinschaften und Kulturen eine wichtige Rolle. Sie galten lange Zeit als unverbrauchte Kräfte, die als Arbeitskräfte die alternden Eltern und die verlorenen Soldaten ersetzten oder selbst als Kanonenfutter in den Krieg zogen. Wenn sie heutzutage in den Medien auftauchen, dann im Zusammenhang mit Gewalt, ungesetzlichem Verhalten, als Störer der öffentlichen Ordnung oder Kostenfaktor in der Berufswelt. Für die Werbung dagegen sind Jugendliche als Zielgruppe interessant. Als zahlende Konsumenten werden sie umworben und beworben in einer Art und Weise, die sich für die Jugendlichen selbst kaum durchschauen lässt. Dass Jugendliche exzessiv Computerspiele machen, über ihr Budget hinaus konsumieren und den Versuchungen der Massenmedien und Werbung erliegen, ist daher absolut kein Wunder. Gerade im Zusammenhang mit den boomenden Videospielen werden Jugendliche dazu veranlasst, mehr Geld als gewollt auszugeben und gleichzeitig ihre persönlichen Daten in ungeahntem Ausmaß freizugeben. (2)

Der Berufseinstieg gestaltet sich für viele Jugendliche schwierig, obwohl sich die Lehrstellensuche stark entspannt hat. Aktuell besteht ein deutlicher Lehrstellenüberschuss. (32b) So gibt es 2019 ein Angebot für Firmen mit dem Titel «Lernende finden mit Lehrstellenmarketing 4.0». Die Berufsfindung ist ein langer Weg, der über Umwege, Denkpausen, Abbrüche und Standortbestimmungen sehr individuell verläuft. Jugendliche zwischen 16 und 18 sind unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt, mit denen sie nicht immer umzugehen wissen. Getrieben von kurzfristigen Interessen und Neigungen, finden sie sich behindert oder gefördert von der sozialen und ökonomischen Stellung ihrer Eltern und den Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.

Gemäß Nahtstellenbarometer des SBFI/SECO besuchen Ausländerinnen und Ausländer häufiger Brückenangebote als Schweizer Jugendliche. Anbieter von Brückenangeboten berichten von einem zunehmenden Anteil von Jugendlichen, die einen erhöhten Betreuungsaufwand haben. Psychosoziale Belastungen haben deutlich zugenommen.

Als häufigster Grund, ein Brückenangebot zu besuchen, geben 60 Prozent der Jugendlichen an, dass sie keine Lehrstelle gefunden haben. (1b)

In der Grundbildung befinden sich wesentlich mehr junge Männer als Frauen, während junge Frauen bei den Maturitätsschulen häufiger vertreten sind. (1c)

79 Prozent der befragten Jugendlichen sind mit der Wahl ihres Ausbildungsweg sehr zufrieden. Nur 13 Prozent mussten auf etwas anderes als das, was sie am liebsten gemacht hätten, ausweichen. (1d)

Die meisten Jugendlichen beginnen über ein Jahr vor Lehrantritt mit der Lehrstellensuche und Bewerbungen. Von den durchschnittlich 8,2 Bewerbungen führten im Schnitt 2 zum Erfolg. Es scheint, dass die Lehrstellensuche für die Jugendlichen in den vergangenen Jahren einfacher geworden ist. Aus Sicht der Betriebe blieben im August 2018 gut 14 Prozent der Lehrstellen unbesetzt, da keine geeigneten Bewerber/-innen gefunden werden konnten. (1e)

Gut 20 Prozent der Lernenden im 1. Lehrjahr beabsichtigen, eine Berufsmaturität zu absolvieren.

Wenn die Jugendlichen weiter zur Schule gehen, besuchen sie grossmehrheitlich ein Gymnasium oder eine Kantonsschule, etwa ein Drittel besucht eine Fachmittelschule. Die Mehrheit dieser Gymnasiast/-innen besucht eine öffentliche Schule. Zwischen 1988 und 2013 nahm in der gesamten Schweiz die absolute Anzahl der Berufslernenden ab; es entstand ein Lehrstellenüberschuss. Die Zahl der Schüler und Schülerinnen in Gymnasien blieb gleich. (32c)

Abgesehen von Schule und Beruf finden nur wenige Jugendliche eine «sinnvolle» Stellung in der Gesellschaft. Über das Engagement in einer Jugendorganisation oder einem Verein, über Musik, Kultur oder Sport gelingt das einigen wenigen. Überhaupt nicht mehr gebraucht wird im Allgemeinen die Mithilfe im elterlichen Betrieb oder Haushalt, viele Jugendliche fühlen sich eher im Weg als nützlich. Dass Jugendliche kleine Arbeiten übernehmen (Ferienjobs, Zeitungenaustragen usw.), ist immer weniger möglich. Die Durchmischung in Vereinen ist stark zurückgegangen, die Jugendlichen bewegen sich in ihren eigenen Peergruppen und besuchen eher ein Fitness-Center als einen Sportverein. Dadurch entfallen viele Interaktionen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen in der Freizeit, und die Jugendlichen decken ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit ab, indem sie sich zufälligen Gruppen Gleichaltriger anschliessen. Hier erproben sie ihre Stärke und finden Möglichkeiten zur Einflussnahme in gefährlichen und/oder herausfordernden Aktionen, um der Langeweile und der Sinn- bzw. Nutzlosigkeit zu entgehen. Dabei sind Jugendliche durchaus an der Teilhabe an der Erwachsenenwelt interessiert – mehr denn je, wie die neueste SINUS-Studie (3) aus Deutschland belegt.

Jugendkultur ist heute nicht mehr von grosser Bedeutung, Jugendliche grenzen sich kaum mehr aus Prinzip von der Erwachsenenwelt ab. Vielmehr wollen sie sein wie alle, nämlich Mainstream. «Im Vergleich zur Studie 2012 ist dabei wirklich neu, dass der Begriff ‹Mainstream› heute kein Schimpfwort mehr ist. Im Gegenteil – er ist ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung.» (3a)

Besonders akzentuiert stellen sich die geschilderten Probleme für ausländische Jugendliche. Ihnen wird jegliche Hoffnung auf Mitbestimmung und Verantwortungsübernahme schon früh genommen, indem ihnen klar gemacht wird, dass sie nicht zu unserer Gemeinschaft gehören und auch nie an Abstimmungen teilnehmen können, auch wenn sie kein anderes Zuhause kennen als ihre Wohngemeinde. Wenn Jugendliche einen Ort suchen, wo sie gehört werden, dazugehören und etwas bewirken können, werden sie häufig fündig in rassistischen, fundamentalistischen oder religiösen Gruppierungen. Denn solche Gemeinschaften ziehen heimatlose oder nicht integrierte Jugendliche an. Jede Gemeinde sollte deshalb für Jugendliche ein niederschwelliges, breites und gut begleitetes soziokulturelles Angebot bereitstellen.

Zahlen und Fakten zur Situation der Jugendlichen in der Schweiz

•50 Prozent der 17-Jährigen interessieren sich für Politik. (4a)

•Für 74 Prozent gehören Diskussionen zu aktuellen politischen Themen in den Schulunterricht. (4b)

•Jugendliche erkennen die Risiken der Konsum- und Mediengesellschaft, in der sie aufwachsen. Sie beurteilen Kompetenzen im Umgang mit Konsum und Medien als relevant. (4c)

•Jugendliche möchten ernst genommen werden und ihre Meinung in die Politik einbringen können. (4d)

•«(Erstens ist) die Wahrscheinlichkeit, in ein Gymnasium einzutreten, für sehr talentierte Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien nur etwa halb so gross wie die entsprechende Wahrscheinlichkeit von vergleichbaren Jugendlichen aus sozioökonomisch privilegierten Familien.» (32f)

•41 Prozent der Jugendlichen haben Ohrfeigen, hartes Anpacken oder Stossen erlebt, 22 Prozent schwere Gewalt. (5a)

•Gemäss Erhebungen aus den Jahren 2014/15 sind in der Schweiz 19 Prozent der jungen Frauen und etwa 4 Prozent der jungen Männer zwischen 15 und 24 Jahren untergewichtig. (7)

In der Sekundarschule sind 26 Prozent der Schüler/-innen übergewichtig. (7)

•4 Prozent der 15-jährigen Frauen konsumierten 2018 mindestens wöchentlich Alkohol, bei den gleichaltrigen Männern waren es 11 Prozent. (8a)

•Um die 30 Prozent aller 15-Jährigen hat schon mal geraucht, um die 5 Prozent rauchen täglich. (8b)

•Das Einstiegsalter für Cannabis liegt durchschnittlich bei circa 16 Jahren. 2018 hatten unter den 15-Jährigen 17 Prozent (Frauen) bzw. 27 Prozent (Männer) bereits Cannabis probiert. Rund 3 Prozent konsumieren regelmässig, 0,8 Prozent fast täglich. (8c)

•Rund ein Drittel der Jugendlichen verfügt über ein Video- und Musik-Streaming-Abo. (4e)

•Fast alle Jugendlichen nutzen einen Messenger wie Instagram, WhatsApp, TikTok oder Snapchat, die meisten mehrmals pro Tag. (4f)

•Die Nutzung von Facebook ist gegenüber 2014 deutlich zurückgegangen, aktuell ist noch ein Fünftel der Jugendlichen mehrmals pro Woche auf Facebook. (4g)

•Schweizer Jugendliche sind im Schnitt täglich rund zweieinhalb Stunden, am Wochenende zwischen drei und vier Stunden täglich online. (4h)

•Die nonmedialen Freizeitbeschäftigungen haben einen zentralen Stellenwert; sowohl sich mit Freunden oder Freundinnen zu treffen wie auch Sport zu treiben, ist nach wie vor beliebt. (4i)

Verurteilungen von 14- bis 18-Jährigen in der Schweiz für eine Übertretung, ein Vergehen oder ein Verbrechen sind zwischen 2010 und 2017 um 3 Prozent gestiegen. 2017 wurden gesamtschweizerisch 8920 männliche und 2176 weibliche Jugendliche verurteilt, davon rund 2800 Personen ohne Schweizerpass. (9)

Täglich rufen zwei bis drei Jugendliche bei der Notrufnummer 147 der Pro Juventute an. Etwa die Hälfte der Jugendlichen, die sich selbst töten, leidet an einer depressiven Erkrankung. Bis zu 90 Prozent der Jugendlichen, die einen Suizidversuch machen, leiden an einer psychischen Störung. (10)

«Bei Jugendlichen (ab 16) und jungen Erwachsenen sind bei beiden Geschlechtern Unfälle und Suizid die häufigsten Todesursachen.» (11)

Aktuelle aussagekräftige gesamtschweizerische Erhebung zur finanziellen Situation Jugendlicher konnten nicht gefunden werden. Die vielen sehr gut gemachten Internet-Seiten und die vielen Unterrichtsmaterialien zum Thema Jugendliche und Geld zeigen aber, dass dies ein vieldiskutiertes Thema ist. Eine der ansprechendsten Webseiten mit Budgetplanung für Jugendliche ist www.heschnocash.ch; sie enthält auch Unterrichtsmaterialien für Lehrpersonen. (12)

Fazit

Die Situation der Jugendlichen ist komplex. Die hohen Leistungsansprüche seitens der Berufswelt und Schule, verbunden mit der dauerhaft präsenten Beeinflussung durch die Medien, zusammen mit sich stark verändernden Familienstrukturen, führen häufig zu persönlichen Krisen, die sich in auffälligem Verhalten in Schule und Öffentlichkeit äussern. Statt Jugendliche an der Erwachsenenwelt teilhaben zu lassen, werden sie oft ausgegrenzt und ausgenutzt. Lehrpersonen von Jugendlichen sind besonders herausgefordert, weil sie den Jugendlichen in einer Altersphase begegnen, da diese sich in ihrer Abgrenzung von den Erwachsenen oft provokativ benehmen und trotzdem viel Unterstützung und Gesprächsbereitschaft brauchen.

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