Kitabı oku: «Alzheimer»
Ruth Schäubli-Meyer
Alzheimer
Wie will ich noch leben –
wie sterben?
Sinnsprüche zum Wald
Glaube mir, denn ich habe es erfahren, du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern.
Bäume und Steine werden dich Dinge lehren, die Du von keinem Lehrmeister erfährst.
St. Bernhard von Clairvaux
Bäume sind Heiligtümer, wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiss, der erfährt die Wahrheit.
Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen das Urgesetz des Lebens.
Hermann Hesse
Ist ein Wald etwa nur zehntausend Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude? Weißt Du, was ein Wald ist?
Bertold Brecht
Ruth Schäubli-Meyer
Alzheimer
Wie will ich noch leben –
wie sterben?
Oesch Verlag
Inhalt
Was ein Alzheimer-Kranker denkt, fühlt und entscheidet
Gedichte von Gustav
Nachtrag
Urheberrecht
Was ein Alzheimer-Kranker denkt, fühlt und entscheidet
«Mit mir stimmt etwas nicht», sagt Gustav zu seiner Frau! «Jetzt bin ich 65, pensioniert, ich bin gesund und noch recht fit, ich mache grosse Velofahrten und steige auf manchen Berg.» «Ja», lacht sie: «Ich freue mich auch, dass wir beide noch so sportlich sind. Was stimmt denn nicht?»
Gustav sagt, er habe doch vorgehabt, nach seiner Pensionierung auch beruflich noch etwas aktiv zu bleiben, manchmal einen Vortrag oder eine Aushilfspredigt zu halten. Beides war ihm lieb, die Theologie und die Arbeit als Psychologe. Ein Jahr lang ging das noch ganz gut, aber jetzt passierte es immer wieder, dass er nicht mehr wusste, ob er dies oder jenes schon gesagt hatte. Er wiederholte sich. Er war immer ein gut vorbereiteter freier Redner gewesen. Bei seinem letzten Auftritt hatte er den Faden verloren. Er blätterte in seinem Manuskript, entschuldigte sich und kam irgendwie, er wusste selbst nicht wie, über die Runden. Es war peinlich. Er würde sich nie mehr an ein Vortragspult oder auf eine Kanzel wagen.
Nachts wachte er oft auf, war unruhig und sah sich ausserstande wieder einzuschlafen. Er zog sich an und wanderte eine Stunde im nächtlichen Dorf umher. So ging es nicht weiter.
Was sollte geschehen? Er meldete sich bei seinem Freund, einem allgemein praktischen Arzt. Dieser schickte ihn zu einem Neurologen. Die Abklärungen ergaben die Diagnose epileptische Anfälle. Die entsprechenden Medikamente wurden verordnet. Das dämpfte seine Unruhe, er konnte wieder schlafen.
Er schrieb sich ein zu einem Gedächtnistraining.
Das war katastrophal. Er sagte zu seiner Frau: «Ich wusste schon immer, dass die Frauen vifer sind als wir Männer, wenn ich bei einer Übung von 12 Wörtern noch 5 weiss, wissen die Frauen 10!»
Darauf suchte er Hilfe bei einer Neuropsychologin. Er gab sich grosse Mühe und gewann etwas Zuversicht.
Er las viel und stellte fest, dass er einen Artikel zwei- bis dreimal lesen musste, um ihn einigermassen zu verstehen.
Er begann wie früher als Student, Notizen und Auszüge zu schreiben, um sich den Inhalt des Gelesenen einzuprägen. Wenn er auf dem PC schrieb, machte er orthographische Fehler. Eine gute Bekannte, Nervenärztin, zweifelte an der Diagnose und an der Wirksamkeit der Medikamente. So ging das zwei Jahre.
Dann sah seine Frau, dass im Nachbarort ein Vortrag gehalten wurde über Demenzkrankheiten. Da gingen sie zusammen hin. Er war nun bald 70 Jahre alt.
Der vortragende Arzt sprach Klartext. Er schilderte die Anzeichen beim Beginn von Demenz. Er sprach von Alzheimer und betonte, wie wichtig die Früherkennung dieser noch immer unheilbaren Krankheit sei. Mit Medikamenten sei es jedoch möglich, den Verlauf zu verzögern. Der Fall war klar. Am nächsten Tag meldete Gustav sich an in einer Memory Klinik zu einer dreitägigen Untersuchung mit seiner Frau Anna. Sie hatten Gespräche mit Psychologinnen, die wissen wollten, was beiden unabhängig voneinander an ungewohnten Verhaltensweisen aufgefallen war.
Es folgten neurologische Untersuchungen in der Nuklear-Abteilung des Universitätsspitals.
Die Diagnose und das erste Jahr der Krankheit
Gustav und Anna hatten einen Termin beim Arzt, der die Tests und Untersuche zusammen mit seinen Mitarbeitern veranlasst und vorgenommen hatte. Er zeigte den beiden die Aufnahmen aus der «Röhre». Dann schaute der Arzt Gustav an und sagte: «Sie haben mich gebeten, Ihnen in jedem Fall die Wahrheit zu sagen. Die Diagnose lautet mit grosser Wahrscheinlichkeit Alzheimer.» Gustav und Anna blieben stumm und hielten sich unter dem Tisch an den Händen. Während Anna mit den Tränen kämpfte, sagte Gustav: «Zum Glück habe ich eine liebe Frau.»
«Ja», sagte der Arzt: «Sie bekommen jetzt ein Medikament, das die Krankheit verzögert, und können es hoffentlich noch eine längere Zeit gut haben zusammen.»
Gustav wusste sehr wohl, was Alzheimer bedeutet. Er hat drei Verwandte, die seit fünf und mehr Jahren in Pflegeheimen sind und die er oft besucht hatte, schon als sie noch zu Hause waren in ihren Familien. Dort wurde aber kaum etwas unternommen und nicht über diese Krankheit gesprochen.
Er war entschlossen, sie weder sich selbst noch andern gegenüber zu verleugnen. Wenn ihn nun Freunde fragten, ob man herausgefunden habe, woran er leide, dann sagte er ohne Umschweife: «Ja, an Alzheimer.» Sie glaubten es nicht. Das waren doch kranke Menschen, die man beaufsichtigen musste, damit sie in ihrer Verwirrung nicht davonliefen, und die die eigenen Angehörigen nicht mehr kannten.
Das sei bei Beginn der Krankheit noch nicht der Fall, erklärte Gustav. Das komme erst mit der Zeit, schneller, langsamer, das wisse man nicht, und er sagte: Ich muss mich wohl mit diesem ungebetenen Gast anfreunden, auch wenn er mir gar nicht passt.
Von nun an schrieb Gustav seine Gedanken und Gefühle auf, die ihn bewegten. Er ging in die Buchhandlung und wählte das Fachbuch aus: «Alzheimer-Krankheit» von Dr. G. Krämer. Er las es aufmerksam.
Er sass wie immer gerne an seinem Schreibtisch und machte sich während der Lektüre Notizen. Er sprach auch darüber mit seiner Frau. Nach seinem Tod fand sie jedoch da und dort auf seinem Büchergestell Notizzettel, die sie zum ersten Mal las und die ihr zeigten, wie früh er seine Defizite schon erkannt hatte.
(Die authentischen Zitate von Gustav erscheinen hier eingerückt und zwischen Anführungszeichen.)
«Wenn man mit offenen Karten spielt und den Leuten sagt, ich habe Alzheimer, dann kann es passieren, dass sie dich anstarren und beobachten, ob die Diagnose stimmt, ob der Zustand verändert ist oder wie und wo und was.
Und mit der Zeit kommen sie in solche Verwirrung, kommt es so weit, dass der Alzheimer-Kranke auch mit der Stimmung ausserhalb abfährt und sich auch fragt, wie weit es mit ihm ist. Dankeschön!»
(Zitat von Gustav ein halbes Jahr nach der Diagnose)
Eine gute Freundin sagte, er kokettiere mit seinem Alzheimer und erschrecke damit seine Umgebung. Das könne doch wohl nicht sein bei einem so intelligenten Menschen. Er solle doch bitte das Wort nicht mehr in den Mund nehmen.
Manchmal überkam Gustav eine Wut, und er lehnte sich auf gegen seinen ungebetenen Gast und wollte ihn fortjagen. Doch der blieb und er lernte langsam mit ihm zu leben.
Eines Tages sah Anna auf seinem Schreibtisch zwei Zettel in zügiger Handschrift von ihm geschrieben:
«Meine Frau redet und redet und glänzt, um zu übertönen, dass ihr Mann Alzheimer hat. Ich schweige dann, damit niemand merkt, dass ich Alzheimer habe. Meine Umgebung hilft mir so nicht aus dem Schweigen herauszukommen, sie lässt mich lieber mit dem Makel ‹Schweigen› hocken, als mir einen Anstoss zu geben. Meine Frau muss so glänzen, damit Glanz auf mich fällt.
Dafür danke ich gar nicht, es zeigt nur die Hilflosigkeit meiner Krankheit gegenüber. Ich will, dass ihr mein Schweigen hört und nicht übertönt, ihr Peiniger! Ihr habt nichts anderes zu tun, als mich zu fördern, mir das Wort, das ich beim Sprechen nicht mehr finde, suchen zu helfen, die Namen. Die Abmachungen klaglos zehnmal hintereinander. Die Langweiligkeit, die ihr deshalb ausstehen müsst, ist leichter zu ertragen als das Vergessen, das ich ertragen muss. Euer Überdecken ist viel blöder als mein Vergessen. Zum Schluss ist niemand blöd, wenn jeder zum Wort kommt.»
Anna war sehr betroffen. Sie hörte und verstand seinen Hilfeschrei und sie akzeptierte die Lektion, die er ihr mit diesem Schreiben erteilte. Sie führten lange Gespräche, wie es ihm und ihr zumute war. Sie lernte schnell, und auch die erwachsenen Kinder machten mit. Der Satz: «Ihr habt nichts anderes zu tun, als mich zu fördern», der sass.
Zum Glück hatten er und seine Frau gleiche Interessen. Sie lebten intensiv und bewusst, wie nie zuvor. Sie machten Reisen zu zweit mit dem Auto durch Europa. Nur, dass jetzt sie am Steuer sass, dass sie organisierte und für zwei dachte. Aber noch hielt er den Kunstführer in der Hand und zeigte ihr, was sie am nächsten Tag sehen würden. Noch immer wusste er, wann die Schlacht von Pavia stattgefunden hatte, oder erzählte ihr die griechischen Sagen. Er kannte die Römer, las Plato und Macchiavelli und versuchte sich an Petrarcas Verse an Laura zu erinnern. Nur, was gerade gestern war, das erzählte sie ihm und er war glücklich, wenn er sich anhand von Begebenheiten, die sie beide berührt hatten, wieder erinnerte. (Zum Beispiel, wenn Anna sagte: «Bei der Kirche, die wir bewunderten, stand doch die alte Frau, mit der wir gesprochen hatten.»)
Noch im zweiten Jahr der Krankheit fuhr Gustav mit der Bahn allein an bekannte Orte, ins Museum in eine andere Stadt. Er schreibt:
«Es ist immer beschwerlich und immer voller Tücken. Ich lasse mich überraschen, wenn der Zug anhält, vorher bereit zu sein, dann zur Zeit auszusteigen.
Grosse Freude, die Bilder der Biennale Venedig von 1997 hier wieder zu sehen. Wenn ich weggehe, folgt eine dumpfe Stimmung, weil ich vergesse. Dann tröste ich mich, dass ich zu Hause den Katalog von damals aufschlagen könne.
Vergessen heisst, langsam zu Tode gequält werden. Granit zerbricht in Staub, was fest war, wird zur Wüste.»
Anna wurde wütend, wenn jemand zu ihr sagte, sie habe es sicher schwer mit einem an Alzheimer erkrankten Mann. Das müsse ja für die Angehörigen schwieriger sein als für den Betroffenen selber, der bekomme ja nicht mehr viel mit. Sie erlebte täglich, dass diese Ansicht falsch war. Eine Ansicht, die in vielen Alzheimer-Publikationen vertreten wird. Sie las die Zettel ihres Mannes, die ihr auf ergreifende Weise zeigten, wie er kämpfte und litt.
Sie erkannte, wie wichtig es war, ihn zu motivieren, an allem, was um ihn geschah, Anteil zu nehmen, ihn nicht zu übergehen mit dem Gedanken, er verstehe es doch nicht mehr.
Gustav freute sich, wenn sie zusammen in eine Ausstellung gingen oder einen Ort besuchten, der ihm vertraut war.
Sie luden Freunde ein oder gingen zu Besuch. Es durften aber höchstens zwei Personen sein, damit er in Gesprächen folgen und mitreden konnte. Es war auch wichtig, die Freunde zu bitten, langsam und deutlich zu sprechen und etwas zu wiederholen, wenn er es nicht verstanden hatte. Das mussten auch die Kinder und Enkelkinder lernen. Sie bemühten sich und taten es gerne.
So stimmte Gustavs Satz, den er einmal geschrieben hatte: «Zum Schluss ist niemand blöd, wenn jeder zu Worte kommt.»
Ein gutes Jahr nach seiner Diagnose dachte seine Frau oft, es sei alles gar nicht so schlimm, sie konnten Gespräche führen, nach der Tagesschau über Politik diskutieren, ausser dass alles langsamer ging und sie oft etwas, was sie am Fernsehen gesehen und gehört hatten, wiederholen musste. Ihr Mann war der fröhliche, aufgeschlossene Mensch, der er immer gewesen war.
Und sie liebten sich. Er klagte selten, und sie dachte, er sei zufrieden. Dass er oft im Alltäglichen einige Male das Gleiche fragte, daran hatte sie sich gewöhnt und gab meistens ruhig Antwort. Doch da sie neben aller Geduld auch rasch und impulsiv war, geschah es auch, dass sie unwillig reagierte. Später tat ihr das leid, weil sie wohl wusste, dass ihm das seinen veränderten Zustand bewusst machte, und sie sagte: «Ach, das war doch blöd, es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe.» Er erwiderte darauf: «Es ist schon gut, du wärst ja nicht normal, wenn du immer ruhig bliebest!»
Sie fand einen Zettel, auf den er geschrieben hatte:
«Einst lebte ich auf einem Erdteil, jetzt auf einem Archipel. Die Inseln sind Teil eines einst untergegangenen, zusammenhängenden grossen Gebildes.
Die grosse Insel löst sich auf. Manchmal ist noch eine Erinnerung, was dort war, oder alte Bilder werden gezeigt. Aber für mich ist es anders. Ich beginne zu raten. Es kann vorkommen, dass ich richtig rate, dann meine ich einen Moment, es sei nicht so schlimm.»
Da wusste sie, wie er seine Gedanken zusammensuchen musste, damit sie einen Satz ergaben. Wie er über jeden Erfolg, wenn es ihm gelang sich klar auszudrücken, glücklich war und wie er seine Mängel und Misserfolge bewusst registrierte.
Zwei Jahre nach der Diagnose: Im dritten Krankheitsjahr Gustav und Anna waren schon seit der Gründung von Exit vor über 20 Jahren Mitglieder. Sie hatten ihren Kindern die Kopien ihrer Verfügung übergeben, die sie unterschrieben hatten. Darin verlangten sie, dass man sie im Fall einer schweren Krankheit oder eines Unfalls sterben liesse und dass sie keine lebensverlängernden Massnahmen wünschten.
Gustav wusste um den Verlauf seiner Erkrankung. Man hatte ihm auch gesagt, die Medikamente, die er einnahm, würden 3 bis 4 Jahre helfen. Inzwischen hatte man neue gefunden und bei ihm ausprobiert. Die Experimente mit Impfungen am Unispital waren wieder eingestellt worden. Er hatte es abgelehnt, bei dem Versuch mitzumachen.
Nun sagte Gustav zu Anna, er wolle nicht jahrelang in einem Pflegeheim liegen, sie nicht mehr kennen und völlig verblöden, er wolle nun seinen Tod vorbereiten. Das Ehepaar vereinbarte einen Termin mit einem Verantwortlichen von Exit zu einem Gespräch. Sie wurden darauf hingewiesen, bei Demenzkranken sei die Entscheidung zum Freitod eine grosse Hürde. Der Betroffene müsse sich zu diesem Schritt entscheiden, solange der Verstand noch intakt sei, solange er noch für sich selbst urteilsfähig sei. Wenn er über diese Grenze gehe und nicht mehr wisse, was er tue, dürfe kein Sterbehelfer ihm das todbringende Mittel geben.
Das kann also heissen, ein Stück Leben, das noch schön und lebenswert wäre, nicht mehr zu leben.
Der Sterbebegleiter von Exit, ein Pfarrer, der Gustav diese Schwierigkeiten eines Freitodes bei einer Demenz eindringlich schilderte, gewann Gustavs Vertrauen. Er wurde im Verlauf der Krankheit zum mitfühlenden Freund. Was war nun zu tun?
Sie vereinbarten, dass sie in Kontakt bleiben und dass Anna den Sterbebegleiter alle drei bis vier Monate anrufen würde, um ihm mitzuteilen, wie es gehe. Dieser betonte, er wolle nicht von sich aus anrufen, um nicht den Eindruck zu erwecken, als ob er drängen würde. Im weiteren war es wichtig, nun einen Arzt aufzusuchen, der die Urteilsfähigkeit von Gustav zum jetzigen Zeitpunkt bestätigen und das Rezept für das Barbiturat verschreiben würde. Der Hausarzt, der Gustav betreute, war aus persönlichen Gründen nicht dazu bereit. Das wussten sie, denn sie hatten das schon mit ihm besprochen. Also gingen sie zu einem Arzt/Psychiater, einem Vertrauensarzt von Exit. Das Rezept würde bei Exit verwahrt werden, um bei Bedarf für Gustav bereit zu sein.
Gustav war erleichtert, eine Last war weg. Nun konnte er wieder ruhig schlafen. Er hatte früh genug vorgesorgt und alles in die Wege geleitet, wie er es wollte. Das gab ihm neue Lebensqualität.
Und Anna? Sie hinderte ihn nicht daran, diese für ihn wichtige Vorsorge zu treffen. Im hintersten Winkel ihres Herzens dachte sie, jetzt leben wir noch und kosten das Leben aus. Es kann noch vieles passieren und vielleicht wird es doch nicht so schlimm … Gustav bat Anna ihn zu unterstützen, sie war immer mit ihm zusammen, sie konnte am besten feststellen, wenn sein Gedächtnis-Zustand sich verschlechterte. So wie er es vor zwei Jahren dem Arzt gesagt hatte, bat er auch sie, ihm die Wahrheit zu sagen, wie es um ihn stünde, damit er den möglichen Zeitpunkt nicht verpasse.
Er sprach nun auch mit seinen Kindern und Schwiegerkindern über sein Vorhaben. Sie alle akzeptierten den Willen ihres Vaters. Seine Frau wurde mehr und mehr zu seiner Sekretärin, denn beim Schreiben wurde er nervös, weil er seine vielen Fehler feststellte. So diktierte er ihr einige Gedanken über das Sterben und wie er seine Beerdigung haben wolle.
In seinem Beruf als Pfarrer hatte er in den letzten Jahren vor allem Altersarbeit übernommen. Er besuchte die Patienten in den Pflegeheimen und ihn beschäftigte bis heute der Tod einer Frau. Sie litt furchtbar unter einer unheilbaren Krankheit und hatte ihn angefleht, ihr zu helfen. Sie wollte mit Hilfe von Exit sterben. Ihre Angehörigen und eine sehr «fromme» Umgebung verwehrten ihr das und seine Interventionen, der leidenden Frau ihren Sterbewunsch zu erfüllen, fruchteten nicht. In ihrer Verzweiflung warf sich die Frau unter den Zug.
Er wusste auch, wie die Alzheimer-Krankheit als tragisches Schicksal angesehen wird, das wahllos den einen oder andern trifft. Er vertrat schon immer die Ansicht, dass «Gott» damit nichts zu tun hat, auch nicht mit dem Zeitpunkt des Todes jedes einzelnen Menschen. Er sagte, da hätten wir diesem Gott mit unseren Fortschritten in der Medizin schon lange ins Handwerk gepfuscht!
Schicksal? Jeder Mensch kann bestimmen, wie er sich einem solchen unabänderlichen Schicksal gegenüber verhalten soll.
Er war entschlossen, er würde nie in einem Pflegeheim noch jahrelang mit erloschenem Geist dahinvegetieren, gepflegt, gefüttert und gewickelt werden, wie er es tröstend und hilflos hatte mitansehen müssen.
Anna erinnerte sich sehr wohl daran, wie er damals oft traurig nach Hause gekommen war und gesagt hatte: «Sollte die Alzheimer-Krankheit mich treffen, ich würde gehen und Abschied nehmen, solange ich noch denken kann.»
Gustav legte auch fest, dass, wenn er körperlich erkranken sollte, er weder eine Operation noch andere medizinische Interventionen erdulden wolle. Man solle ihm in diesem Fall passive Sterbehilfe leisten.
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