Kitabı oku: «Eine unglaubliche Welt», sayfa 3

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Er hat Angst, nicht wieder hinaus zu können. Schließlich verdeckt dichtes Laub den Boden und er weiß nicht, was sich darunter befindet. Aber er beschließt, am nächsten Tag wiederzukommen und ein Seil mitzubringen. Damit wird er sich an einem der Bäume sichern und somit kann ihm auch nichts passieren.

Mit diesem Gedanken geht er den Weg zurück, den er gekommen war und freut sich, auch diesmal der Katze nicht zu begegnen. Er fährt erneut über den Schlackeweg nach Hause und hofft, dass die Katze sich nicht unterdes ein neues Opfer gesucht hat. Oder ist sie unschuldig und sucht wirklich nur jemanden, der ihre Katzenkinder aus der Kuhle holen soll? Vielleicht gibt es eine kleine Höhle, in der sie festsitzen, dem verhungern nah!

Dieser Gedanke bestärkt Gerrit darin, am nächsten Tag in die Kuhle hinabzusteigen. Er muss das nachprüfen. Unbedingt.

Am nächsten Morgen wird den Kindern aus Gerrits Klasse mitgeteilt, dass ihre Klassenlehrerin auf der Fahrt zur Schule einen Unfall hatte. Nicht weiter schlimm, aber sie muss für zwei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben.

Durch die Klasse geht ein beglücktes Raunen, denn sie sollten am nächsten Tag einen Aufsatz schreiben. Doch es freut sie weniger, dass sie Frau „Elcharsch“ als Vertretung bekommen. Die Kinder nennen sie so, weil sie ein mächtiges Gesäß besitzt und sich Elcharsch auf ihren wirklichen Namen Melchbarsch reimt.

Planlos und konfus versucht diese Lehrerin nun, den ihr vor wenigen Minuten aufgebürdeten Unterricht zu gestalten. So ist sie dann auch nicht gerade unglücklich, als Gerrit sich meldet und sie nach einer Sage befragt, die sich um den Alkenkrug rankt.

Gerrit weiß gar nicht so recht, was ihn in dem Moment reitet, dass er die Lehrerin danach fragt. Wahrscheinlich ist es das drängende Gefühl, einfach mit irgendjemandem über diese Sache zu sprechen. So läuft er wenigstens nicht Gefahr, zu viel von seinen Vorhaben zu verraten oder auf Gegenwehr zu stoßen.

„Oh, das ist eine ganz besondere Sage“, ruft Frau Melchbarsch in die Klasse und setzt sich auf den ergeben quietschenden Lehrerstuhl. „Weiß denn jemand schon etwas darüber?“

Zu Gerrits Erstaunen zeigen einige Finger nach oben.

Aber Kai scheint es am meisten darauf anzulegen, etwas zu berichten. Er steht sogar auf, um sich besser Gehör zu verschaffen, und erklärt: „Mein Opa hat mir mal erzählt, dass es einen Wirt gab, der die Leute zum Bier saufen, statt zum Kirchengang, nötigte und darum mit Haus und Hof im Erdboden versunken ist.“

Das ist nichts Neues für Gerrit. Doch dass sich nach dessen Bericht immer noch ein Arm hektisch in der Luft bewegt, macht Gerrit stutzig.

Frau „Elcharsch“ nimmt Saskia dran, die mit hochroten Wangen die Geschichte eines Bauern vorträgt, der eines Nachts den Alke herausgefordert haben soll.

„Denn wenn man um Mitternacht dreimal: „Alke kum heruss“ ruft, kommt er in Gestalt eines Feuerreifens aus dem Loch geschossen und verbrennt dich.“ Saskias Augen leuchten ehrfürchtig, doch alle anderen aus der Klasse halten das für Schabernack.

Gerrit sitzt nur da und starrt Saskia an. „Ein Feuerreifen, das aus dem Loch kommt …“, denkt er und ihm läuft ein Schauer den Rücken hinunter.

„Ihr braucht gar nicht zu lachen“, schnauzt Saskia ihre Klassenkameraden in dem Moment auch schon an. „Mein Vater hat mir gezeigt, wo der Feuerreifen einschlug, als dieser Bauer ihn herausforderte“, ruft sie trotzig aus.

Stille bricht über die Klasse herein und Saskia freut sich, nun die ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben.

„Also, dieser Bauer hatte ein sehr schnelles Pferd, mit dem er vor dem Feuerreifen floh. Doch was ihn eigentlich rettet, war …“ Saskia sieht sich um, ob auch wirklich alle vor Spannung erstarren, „… sein Dielentor. Mit letzter Kraft sprang das Tier über die untere Hälfte des Dielentors in die Diele des alten Bauernhofes und das Rad prallte davor ab. Ich selbst habe die Spur des Reifens gesehen“, bringt sie mit stolzgeschwellter Brust ihre Geschichte zu Ende.

Einen Moment herrscht in der Klasse angespanntes Schweigen. Dann klatscht Elcharsch zweimal in die Hände und ruft: „Nah, das war ja eine aufregende Geschichte, der wir aber mal nicht zu viel Gewicht beimessen wollen. Denn ihr solltet niemals vergessen, dass das alles nur eine Sage ist. So, dann holt mal euer Lesebuch heraus und wir schauen, ob sich darin nicht auch etwas Aufregendes finden lässt.“

Die Kinder kramen unter Buhrufen und Stöhnen ihre Lesebücher aus ihren Taschen und der Rest der Stunde wird in Zeitlesen investiert, bei dem jeder mal drankommt und versucht, so viel und so fehlerfrei zu lesen, wie möglich.

Als Gerrit an der Reihe ist, weiß er gar nicht, wo sie in der Geschichte sind, denn ihm spuken immer noch die Bilder des Feuerrades durch den Kopf und der Alke, der vielleicht statt auf ein Feuerrad auf eine Katze umgestiegen ist. Ihm gruselt der Gedanke, obwohl es doch nur eine Sage ist - eine nicht bewiesene Geschichte. Eine äußerst unglaubwürdige noch dazu, denn wohin soll ein ganzes Haus schon verschwinden? Und bedenkt man, was heut zu Tage in der Welt geschieht, dann hätte der liebe Gott mit seinen Bestrafungen alle Hände voll zu tun. Mal ganz davon abgesehen, dass er scheinbar lieber unschuldige Kinder bestraft, denn Nina hatte nie jemandem etwas zuleide getan.

„Also alles Quatsch!“, versucht Gerrit sich zu beruhigen. Doch sein Blick wandert immer wieder zu Saskia hin, die weiterhin mit geröteten Wangen dasitzt. „Ich habe den Abdruck des Feuerreifens selbst gesehen!“, hört er sie in Gedanken immer wieder sagen und jedes Mal läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

Am Nachmittag sitzt Gerrit in seinem Zimmer auf dem Bett, unschlüssig vor sich hin sinnend, was er nun glauben und tun soll. Er ist in seinen Gefühlen immer noch hin und hergerissen. Soll er in die Kuhle klettern und sie näher erforschen, so wie er es noch am Vortag geplant hatte? Wenn wirklich etwas an dieser Legende dran ist, heißt das, dass sich die Erde unter ihm auftun kann?

Ach! Was für ein Blödsinn! Noch nie hatte es jemanden gegeben, der von etwas Derartigem berichtete, außer diesem Bauern, und das ist schon Generationen her. Außerdem, wieso sollten jetzt Kinder in einem solchen Loch verschwinden, wo doch Jahrhunderte nie etwas passiert ist?

Und was könnte dann die Katze damit zu tun haben? Warum verschluckt das Loch sie nicht?

Nein, nein, nein! Gerrit ist sich mittlerweile sicher, dass diese Kuhle keinen verschlucken kann. Dazu der Alke in Gestalt einer Katze? Schwachsinn! Sie hatte ihn zwar zu dieser Kuhle gelockt, aber wenn das nun doch einen ganz anderen Grund hatte? Vielleicht gibt es unten im Laub wirklich eine kleine Höhle, in der kleine Katzen hausen, fast dem Verhungern nah, weil er aus Feigheit geflüchtet war.

Ja, das muss es sein. Die Katze hat mit all dem nichts zu tun und will ihm nur ihre Jungen anvertrauen. Seine Mutter hatte ihm und Nina früher einmal erzählt, dass ihre Katze sie immer zu ihren Kindern geführt hatte, wenn sie sie nicht mehr ernähren konnte.

Plötzlich scheint ihm dies die einzig logische Erklärung zu sein. Fast muss er über sich und seine überdrehte Fantasie lächeln. Katzen lassen keine Kinder verschwinden, Häuser versinken nicht durch Gottes Wille in der Erde und Feuerreifen springen nicht aus Erdmulden und verfolgen Menschen.

Gerrit packt nun auch noch das schlechte Gewissen. Was, wenn die kleinen Kätzchen schon tot sind? Er hatte an der Kuhle nichts gehört und die Katze war nicht da gewesen. Vielleicht hat sie ihr Nest schon aufgegeben?

Dieser Gedanke lässt ihm keine Ruhe mehr. Auch wenn sich von irgendwoher trotzdem noch die angestaute Furcht vor der Katze, und der seltsamen Sage um die Alkenkuhle, in sein Gehirn schleicht, dieser Gedanke von dahinsterbenden kleinen Kätzchen zieht ihn nun vollends in seinen Bann.

„Aber warum verschwanden die Kinder, wenn die Katze in der Nähe war?“, versuchen seine Gedanken sich ein letztes Mal in eine andere Richtung zu orientieren. Doch nun, bei genauerer Betrachtung, wird ihm klar, dass er nur glaubt, dass Nina der Katze gefolgt war. Und Thomas Mehring …, der wünschte sich doch nur eine Katze zu Weihnachten! Sagt das schon etwas darüber aus, dass er wirklich auf diese Katze gestoßen war, ihr folgte und somit in sein Unglück rannte?

Eigentlich nicht.

Und wenn, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, dass die Katze zufällig immer dann eine Ziehmutter für ihre Babys sucht, wenn irgendjemand ebenfalls unterwegs ist, um sich an Kindern zu vergreifen.

Ja, eine plausible Erklärung, aber keineswegs beruhigend. Gerrit hofft inständig, dass dieser Jemand nicht gerade jetzt auf Kindersuche ist.

So packt er sich eine Tüte Milch ein, eine Dose Katzenfutter, die er schon vor Wochen gekauft hatte und ein Stück Fleischwurst für die Mutterkatze. Unschlüssig steht er einige Zeit da und starrt auf den Rucksack.

„Eine Taschenlampe für den Fall, dass die Kleinen tief in einem Loch sitzen“, murmelt er vor sich hin und greift nach der Lampe, die seine Mutter immer in der obersten Küchenschublade aufbewahrt. Schnell nimmt er noch einen Satz Batterien mit, weil er nicht weiß, wie lange die alten Batterien noch halten.

Dann packt er sich sein Taschenmesser dazu, um nicht ganz unbewaffnet in den Wald zu gehen, und holt sich ein Seil aus der Garage seines Vaters. Das muss er allerdings unbedingt noch vor dessen nach Hause kommen wieder zurücklegen. Denn sein Vater merkt immer sofort, wenn etwas nicht an seinem Platz liegt und keiner darf auch nur ahnen, dass er sich in der Gegend herumtreibt, um nach kleinen Katzen zu suchen.

So bepackt schwingt er sich auf sein Fahrrad und fährt eilig durch die Straßen Ankums. Ihn treibt die Angst voran, für die kleinen Katzen schon zu spät zu kommen. Sein Gewissen macht ihm schon jetzt die schlimmsten Vorwürfe und er lässt wegen der Katze gar keinen anderen Gedanken mehr zu. Natürlich kann sie ihn nur wegen ihrer Jungen so in den Wald gelockt haben.

Diesmal nimmt er den direkten Weg über den Fahrradweg nach Westerholte und dann durch Grovern zum Wald. Er hat nun keine Angst mehr, der Katze zu begegnen, doch sie taucht auch nirgendwo auf.

Er stellt sein Fahrrad an den Baum, an dem sie damals das Fahrrad seiner Schwester gefunden hatten und wie immer, wenn er daran denkt, versetzt es ihm einen Stich in die Magengrube. Dann geht er, seinen Rucksack geschultert, in den Wald hinein. Diesmal braucht er sich noch nicht einmal sorgen machen, dass er zu viel Krach macht. Dennoch blickt er sich immer wieder um, damit er sicher sein kann, dass ihm keiner folgt. Denn das scheint ihm die einzige Gefahr zu sein, auf die er achten muss.

Endlich erreicht er die Tannen, unter deren tiefhängenden Ästen er sich hindurchwindet und geht den direkten Weg zur Alkenkuhle.

Langsam wird ihm doch etwas mulmig zumute. Ihm fällt das Feuerrad ein. Aber Saskia hatte ja gesagt, das käme nur um Mitternacht heraus und auch nur dann, wenn man den Alke dreimal ruft.

Auch wenn Gerrit versucht sich einzureden, dass das alles nur Unsinn ist, so spürt er doch eine seltsame Furcht, bei dem Gedanken an die Sage, durch seine Adern kriechen. Aber es ist nicht Mitternacht und er denkt ja gar nicht daran, den Alke zu rufen.

An der Kuhle angekommen, vergewissert er sich, dass er immer noch allein ist, bindet das Seil an einem Baum fest und wirft es in die Tiefe.

Es tut sich kein Schlund auf, der das Seil verschlingen will. Das macht Gerrit etwas Mut und er klettert in die Senke hinab, immer das Seil griffbereit neben sich.

Kurz darauf steht er auf dem tiefsten Grund, mitten in der weichen Einwölbung, die mit Laub bedeckt ist und kaum zwei Meter misst. Er blickt noch einmal verunsichert nach oben, aber es ist alles in bester Ordnung. Nichts geschieht ihm.

Das Laub unter seinen Füßen riecht feucht und muffig.

Gerrit sieht sich nach dem Nest der Katzen um. Doch es gibt keine kleine Ausbuchtung oder Höhle.

Er geht in die Knie, um aus diesem Blickwinkel besser sehen zu können. Doch da ist wirklich nichts.

„Missimissimissi“, ruft er leise und hofft, die Katze kommt zum Vorscheinen und er kann somit sehen, wo ihr Versteck ist.

Doch es erscheint keine Katze.

Gerrit ist ratlos. Er hatte sich so auf die kleinen Katzen gefreut und sich so sehr in den Kopf gesetzt, dass es sie gibt, dass er sich nun nicht damit zufriedengeben will, dass er sich geirrt hat. Er ruft lauter: „Missimissimissi.“

„Miau“, hört er plötzlich über sich und dreht sich um. Vor ihm steht die Katze am Rand der Kuhle und sieht mit glühenden, grünen Augen zu ihm herab.

„Missi, da bist du ja!“, ruft Gerrit und greift nach dem Seil, um sich wieder an den Aufstieg zu machen.

Plötzlich spürt er einen Ruck unter sich. Dann ein Rumoren unter den Füßen, als würde die Erde lebendig. Erschrocken reißt er die Augen auf und ein entsetzter Schrei dringt aus seiner Kehle. Sofort packt ihn die Panik, dass die Erde sich doch unter ihm auftun wird und er seinem sicheren Tod entgegensieht. In dem Moment verliert er auch schon jeglichen Halt und fällt.

Das Seil ruckt schmerzhaft in seinen Händen. Gerrit umklammert es krampfhaft und kann seinen Fall bremsen, was ihm fast die Schultern auszurenken droht. Das Seil schneidet ihm schmerzvoll in die Handflächen. Er schreit voller Panik um Hilfe und versucht mit den Füßen einen Halt zu erfassen.

Aber unter ihm scheint nichts zu sein, außer gähnende Leere.

„Ich muss mich hochziehen“, stammelt er, um sich Mut und Kraft zu geben. „Das habe ich doch in Sportunterricht auch schon geschafft!“ Die Worte immer wieder vor sich hinbrabbelnd, zieht er sich mit aller Kraft Zentimeter für Zentimeter nach oben. Er kann durch die Baumwurzeln und Blätter, die über das Loch ragen, durch das er eingebrochen war, den Himmel sehen. Seine Kräfte wollen ihn langsam immer mehr verlassen, doch er zieht sich weiter voran, fest daran denkend, dass er jetzt hier nicht sterben will. Auch lässt ihn plötzlich der Gedanke erschauern, dass er womöglich dort unten in die Skelette der anderen Kinder fallen wird.

Bald kann er den Rand der Kuhle sehen und sein Blick fällt auf die Katze, deren Schwanz hoch erhoben über den Rand lugt. Was sie dort oben macht, kann er nicht ausmachen. Aber sie würdigt ihm nicht einen Blick.

Gerade, als er sich noch einige Zentimeter mehr hochgeschoben hat und seinen Schweiß bis in die Schuhe laufen spürt, sieht er, worüber die Katze gebeugt steht und sich abmüht. Es ist sein Seil.

„Verdammtes Vieh!“, schreit er noch und dann sieht er ihren Blick und spürt, wie das Seil spannungslos wird.

Er verliert jeglichen Halt und stürzt mit einem gellenden Schrei in die Tiefe.

Eine unglaubliche Welt

Als Gerrit wieder zu sich kommt, glaubt er, dass er tot sein muss. Doch als er sich bewegt, schmerzen ihm sämtliche Knochen und das ist etwas, was doch eigentlich ein Toter nicht mehr fühlen sollte.

Tiefste Schwärze umgibt ihn. Nicht mal ein winziger Lichtstrahl dringt zu ihm hinunter, obwohl über ihm ein Loch sein müsste, durch das er hier hinuntergefallen war. Aber nichts dergleichen kann er erkennen. Vielleicht ist er doch tot?

Langsam setzt er sich auf und ihm wird klar, dass ihm zwar alles wehtut, er aber sonst keinen Schaden genommen hat. Er war tief gefallen, muss also recht weit unter der Erde sein.

Entsetzliches Grauen beschleicht ihn.

„Hilfe!“, ruft er, was allerdings mehr wie ein Krächzen aus seinem Mund dringt. Sein Hals schmerzt, und auch die ihn überkommende Hoffnungslosigkeit lässt seine Stimme schon im Keim ersticken, weiß er doch, dass ihn hier niemand hören wird. Wen soll es schon zu dieser dummen Alkenkuhle verschlagen? Außer …, wo ist die Katze geblieben?

Ihm stockt der Atem bei dem Gedanken, wie grimmig das Vieh sein Seil durchgebissen hatte. Ein Schauer überkommt ihn bei der Erinnerung daran, wie bösartig sie ihn anfunkelte, als sie bemerkte, dass er sich mit einem Seil gesichert hatte. Doch niemals hätte Gerrit gedacht, dass eine Katze so viel Verstand an den Tag legt, ein Seil durchzubeißen, damit ein Mensch abstürzt. So etwas macht doch keine normale Katze!

Das Grauen beschleicht Gerrit nun so sehr, dass er zu zittern beginnt. Schnell greift er hinter sich und bemerkt seinen tief in weiches, trockenes Laub gepressten Rucksack.

Laub! Ein Berg Laub hat seinen Sturz abgefangen. Es gibt immer etwas an den Stellen nach, zu denen er sein Gewicht verlagert. Weich und muffig liegt es unter ihm und er ist dankbar dafür. Damit hatte die Katze wohl nicht gerechnet.

Oder doch? Ist es vielleicht gar kein Zufall, dass so viel Laub hier auf einem Haufen liegt? Ist er vielleicht nicht der Erste, dessen Sturz es abgemildert hat?

Nina und all die anderen verschwundenen Kinder kommen ihm in den Sinn.

Voller Entsetzen daran denkend, das andere vor ihm diesen Sturz vielleicht nicht überlebt haben, reißt er die Schnur seines Rucksacks auf und lässt seine Finger hineingleiten, um nach der Taschenlampe zu suchen.

„Lieber Gott, lass sie nicht kaputt sein“, hofft er und knipst sie an. Ein Lichtschein fällt auf ihn und seinen riesigen Laubhaufen.

Gerrit richtet den Schein der Lampe auf seine Umgebung. Er trifft vermoderte Bretter und alte Dachschindeln in einem Wirrwarr vermoderten Laubs.

Er leuchtet den Haufen aus und sieht erst jetzt, wie groß der ist und dass er mitten darauf sitzt. Aber nichts lässt darauf schließen, dass hier schon jemand anderes hineingestürzt war.

Er leuchtet weiter ins Innere der unendlichen Dunkelheit und sieht … nichts. Die Luft hier unten ist feucht und stickig.

Gerrit steht auf, lässt den Lichtstrahl nach oben gleiten und sucht nach dem Loch, durch das er hinabgestürzt war. Doch auch da scheint das wenige Licht seiner Taschenlampe auf nichts Erreichbares zu stoßen.

Ängstlich und verstört überlegt er, was er tun soll. Um ihn herum ist es bitterkalt. Er fragt sich, ob die vermoderten Bretterreste und Dachschindeln wohl noch Überreste des angeblich früher hier versunkenen Alkenkrugs sind. Alles scheint darauf hin zu deuten. Also so viel zu dem Thema „Sage“ und dass die wohl alle nur erfunden sind.

Wieder überkommt Gerrit ein grauenvoller Schauer bei dem Gedanken.

„Hilfe!“, schreit er nun lauter und dennoch ohne Hoffnung, dass ihn jemand hören wird.

Hilfe … Hilfe … Hilfe, schallt es vielfach von allen Seiten wieder und der Junge sieht sich gehetzt um. Wieder lässt er den Lichtstrahl umherirren und wieder trifft er auf kein Ziel, außer auf tiefste Dunkelheit. Zittrig nimmt er seinen Rucksack und steigt von dem Hügel. Alles ist feucht und glitschig. Er rutscht ein paar Mal fast aus und hält krampfhaft die Lampe fest. Die darf er auf gar keinen Fall verlieren.

Unschlüssig beleuchtet er nochmals die Umgebung und der Schein seiner Lampe stößt an eine Wand. Vorsichtig tritt Gerrit einige Schritte darauf zu und erfühlt die feuchte, schleimige Oberfläche. Er zuckt zurück. Wo ist er hier nur gelandet und wie soll er hier jemals wieder herauskommen? Vielleicht, wenn die Suchtrupps hier in die Nähe kommen?

Sein Fahrrad steht am Waldrand und das Seilende muss noch am Baum hängen. Sie müssen ihn einfach finden!

Wieder lässt er den Lichtstrahl nach oben gleiten und versucht einen Ausweg zu finden. Doch die Decke ist sehr hoch und für ihn unerreichbar.

Er beleuchtet den Boden, weil ihm mit einem mal wieder in den Sinn kommt, dass auch die anderen verschwundenen Kinder hier in dieser Höhle festgesessen haben könnten. Er sieht schon die Skelette vor sich, die zusammengesunken an einer der glitschigen Wände kauern. Vielleicht wird er an den Stofffetzen, die um die bleichen Knochen hängen, erkennen können, welches von ihnen seine Schwester gewesen ist.

Das blanke Entsetzen bei diesem Gedanken krampft seinen Magen zusammen.

„Wieso bin ich nur hinter dieser saublöden Katze hergerannt?“, flucht er mehr zu sich selbst. Jemand anderes ist ja nicht da und er … er ist jetzt auch ein „verschwundenes“ Kind.

Er mag gar nicht daran denken, wie es seinen Eltern heute Abend ergehen wird, wenn er nicht nach Hause kommt. Wieso hat er nur niemandem erzählt, dass er zur Alkenkuhle fahren will?

Er lässt ängstlich das Licht seiner Taschenlampe an der Wand entlanggleiten. Bereit, jeden Moment auf einen Knochenfund zu stoßen, folgt er dem Lichtschein und geht weiter die Wand entlang. Die Höhle erscheint ihm riesengroß.

Plötzlich spürt er eine Bewegung hinter sich und will sich gerade erschrocken umdrehen, als er auch schon ein Fauchen hört. Er spürt, wie ihm die Krallen der Katze durch das Haar reißen, als sie über ihn hinwegspringt. Alles geht so schnell, dass er noch nicht einmal seinen Lichtstrahl auf das Vieh richten kann. Für einen Moment glaubt er noch das grüne Funkeln ihrer Augen auszumachen, dann ist sie verschwunden.

Gerrit leuchtet in die Richtung, in der er die Katzenaugen gesehen hat. Tatsächlich durchbricht an dieser Stelle das Licht die Dunkelheit und richtet sich in die Unendlichkeit. Gerrit sieht, dass sich dort die Wand zu einem Tunnel öffnet.

Vor seinen Füßen kringelt sich etwas, dass die Katze bei dem gewagten Sprung über seinen Kopf hinweg verloren hatte. Er bückt sich und starrt entsetzt auf das kurze Ende des Seiles, dass er oben um den Baum gebunden glaubt. Es ist sogar noch der grüne Kleber dran, damit das Ende nicht aufribbelt.

„Verdammtes Vieh!“, heult er entsetzt auf. Ein Hoffnungsschimmer ist dahin. Nun bleibt ihm nur noch übrig, zu warten und zu hoffen, oder der Katze in die Dunkelheit zu folgen.

Erneut beleuchtet er den Weg vor sich und findet das Loch in der Wand.

„Ein Durchgang!“, schießt es ihm durch den Kopf und Hoffnung durchflutet ihn.

Doch gleichzeitig hat er Angst, diese Höhle zu verlassen. Schließlich ist sie das Einzige, was ihn mit der Außenwelt verbindet. Aber wenn er der Katze nicht sofort folgt, dann wird er vielleicht niemals einen anderen Weg hier herausfinden und das ist dringend nötig. Denn man hatte auch die anderen Kinder hier unten nicht gefunden. Also ahnt wohl keiner, dass es hier tatsächlich eine Höhle gibt.

Noch einmal den Schein der Lampe auf den Laubhaufen zurückwerfend, und seinen Rucksack schulternd, geht er los. Wenn er sich den Weg gut merkt, kann er jederzeit umkehren.

So geht er vorsichtig in den Gang, einen Fuß vor den anderen setzend und leuchtet mit klopfendem Herz die Wände ab.

Doch mit jedem Schritt in die unbekannte Welt vergrößert sich seine Angst und Gerrit versucht sich dagegen zu wehren, indem er leise vor sich hin summt. Ihm fällt nichts Besseres ein als „Hänschen klein, ging allein …“ Außerdem kämpft er verbissen darum, seine Gedanken in den Griff zu bekommen, die ihm immer mehr Schreckensvisionen von aufgespießten Skeletten an den Wänden und monsterartigen Wesen, die ihn verspeisen wollen, vorgaukeln.

Seltsame Geräusche lassen ihn ständig zusammenfahren und treiben ihm den Schweiß auf die Stirn, obwohl es hier unten empfindlich kalt ist.

So schiebt er sich vorsichtig voran, immer darauf bedacht, nicht über irgendetwas Schreckliches zu stolpern oder sich an einem tiefhängenden Stein den Kopf zu stoßen. Die Katze vor ihm bleibt verschwunden. Er hofft so sehr, noch einmal ihre leuchtenden Augen zu sehen, doch vor ihm scheint nichts zu sein.

Langsam schleicht er weiter. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe erhellt die dumpfe Dunkelheit um ihn herum nur unzureichend. Bald weiß er nicht mehr, wie lange und wie weit er schon so dahingeschlichen ist. Aber es müssen Stunden vergangen sein. Die Feuchtigkeit und Kälte lässt ihn trotz seiner Jacke zittern und er fühlt sich müde und erschöpft. Mitunter klappern seine Zähne so laut aufeinander, dass er sie fest zusammenbeißen muss, weil er Angst hat, dass etwas auf ihn aufmerksam wird, was besser nichts von ihm weiß.

So schleppt er sich voran, bald nur noch das Licht der Lampe starr vor sich haltend. Sind die anderen Kinder vor ihm hier auch schon so entlanggeschlichen?

Nein, denn eines ist sicher: Sie hatten keine Taschenlampe wie er. Ein Vorteil, den er nicht missen möchte. Der Gedanke, hier unten ohne Licht zu sein, erschreckt ihn dermaßen, dass seine Finger sich um das Blech der Lampe verkrampfen, wie um eine begehrte Fußballkarte für ein Weltmeisterschaftsspiel mit Deutschland im Finale.

Während er weiterschleicht und den Lichtkegel mal hierhin und mal dorthin wirft, sieht er in Gedanken seine Schwester, wie sie sich weinend auf allen Vieren den Gang entlang geschoben haben mag. Ein schreckliches Bild, das ihm die Tränen in die Augen treibt. Wie weit ist sie gekommen und was ist mit ihr dann geschehen? Oder ist sie nie hier unten gewesen?

So läuft Gerrit gefühlte Stunden weiter, als plötzlich ein entferntes Schnaufen an sein Ohr dringt.

Gerrit bleibt mit ängstlich aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen wie erstarrt stehen.

Bisher hatte sich an dem schmalen Höhlengang nicht viel geändert und nur wenige, undefinierbare Geräusche hatten seine gedanklichen Schreckensvisionen zu verstärken versucht.

Das ständige Tröpfeln und Rauschen von Wasser, das entweder von der Decke trieft, an den Wänden herabfließt oder das als plätschernde, winzige Rinnsale über den Boden läuft, hatte sich im Laufe der Stunden zu einem beruhigenden Freund entwickelt, der ihm keine Angst mehr macht. Aber dieses Geräusch, das sich so unvermutet plötzlich an sein linkes Ohr herangemacht hatte, lässt ihn vor Furcht erzittern.

Da, da ist es wieder! Es scheint in unregelmäßigen Abständen aus der Wand neben ihm zu kommen. Er ist also hier unten nicht allein. Doch dieses Schnaufen klingt so unheimlich, dass er lieber nicht wissen will, was das sein kann. So lässt er auch ganz vorsichtig den Strahl seiner Lampe in die Richtung gleiten, aus der es zu kommen scheint und hält den Atem an. Doch vor ihm tut sich nur ein weiterer dunkler Gang auf und daraus dringt nun ein lautes Schmatzen.

Gerrit beeilte sich, das Licht auszuschalten und steht wie versteinert da. Doch nichts bewegt sich auf ihn zu. Die Geräusche bleiben immer am gleichen Platz.

Unschlüssig steht er da, von seinen Gefühlen hin und hergerissen. Einerseits schreit alles in ihm nach Flucht, aber andererseits hat er Angst, dann etwas zu verpassen, dass ihm hier unten weiterhelfen kann.

Schreckensstarr wartet er ab, die eine zittrige Hand um die Taschenlampe geschlossen und die andere um den Rucksackgriff. Langsam gewöhnen sich seine Augen an die Finsternis und mit Erstaunen bemerkt er, dass es den Gang entlang zu dem schnarchenden Etwas tatsächlich heller wird. Vielleicht ist dort schon ein Ausgang und was er da hört, ist nur ein schlafendes Pferd, dem ein Bauer den Höhleneingang als Pferch hergerichtet hatte.

Doch selbst an diesem Gedanken scheint etwas nicht zu stimmen, und alles in Gerrit mahnt ihn zur Vorsicht.

Vielleicht ist es dieses seltsame Schnaufen und Schnarchen, das irgendwie nicht zu einem Pferd passt. Es ist so schrecklich laut und durchdringend.

Vielleicht ist es aber auch der Gedanke, dass er nie von Höhlen in Ankum und der Umgebung gehört hatte und Nina und die anderen Kinder dann doch wohl gefunden worden wären.

Er blinzelt ein paar Mal. Doch noch immer scheint von dort Licht zu kommen und Gerrit will trotz der Einwände, die in seinem Bauch rumoren, die Hoffnung an einen Ausgang nicht aufgeben. Langsam, ohne sich weitere schreckliche Gedanken zu erlauben, schleicht er dem Licht entgegen.

Der Gang macht nach dreißig Schritten eine Kurve nach rechts. Nun sieht er, dass es dort noch viel heller sein muss, als er anfangs glaubte. Sein Herz macht förmlich einen Luftsprung.

So geht er mit schneller werdenden Schritten und sich dicht an der äußeren Wand haltend, um die Ecke und sieht nun in einiger Entfernung tatsächlich zwei Lichtpunkte. Auch die Schnarch- und Schmatzgeräusche werden lauter.

Gerrit erzittert bei dem Gedanken daran, was ihn dort erwarten könnte. Ein Pferd kann das unmöglich sein. Doch was gibt es hier unter der Erde, von dem man über der Erde nicht die leiseste Ahnung hat, und das solche gewaltigen Geräusche von sich gibt? Um ein Kaninchen handelte es sich dabei bestimmt nicht!

Er kommt dem Licht immer näher und steht bald vor zwei leuchtenden Gefäßen, die an beiden Seiten des Tunnels in etwa zwei Metern Höhe angebracht sind.

Gerrit besieht sich das erstaunt.

Wer hat hier solche Gefäße an dem grauen Gemäuer befestigt? Und was ist darin, was so hell leuchtet? Er sieht keine offene Flamme und keinen Rauch.

Vorsichtig geht er weiter und findet in dem Gang noch ein Dutzend solcher Lichtgefäße. Das Schnarchen und Schmatzen wird immer lauter, und Gerrit kriecht die Angst vor dem vor ihm hausenden Etwas immer quälender durch die Knochen. Er ist kein Held, wollte auch nie einer sein. Er mag noch nicht einmal Filme im Fernsehen, die zu aufregend sind. Und das hier, das übersteigt ganz klar die Grenzen des für ihn Erträglichen. Aber nun kann er nicht, wie beim Fernsehen, so tun, als hätte er Durst und müsse eben etwas trinken gehen oder mal eben aufs Klo oder so etwas. Nein, hier muss er all seinen Mut zusammennehmen, und hier ist er in diesem Albtraum auch noch die Hauptfigur.

Zitternd bleibt er stehen. Nein, er kann nicht weitergehen. Mag da auch ein Ausgang sein, er kann nicht weiter. Dieses Schnaufen und Ächzen lassen ihn dermaßen vor Angst erbeben, dass er glaubt, nie wieder einen Schritt tun zu können.

„Verdammt, ich muss aber!“, schreit er sich in Gedanken zu und gibt sich einen Ruck. Alles in ihm sperrt sich dagegen und doch weiß er, dass er keine Wahl hat. Er sitzt hier schließlich nicht vor seinen Hausarbeiten und kämpft mit dem „Ich muss …“ und „Ich will aber nicht.“ Hier geht es darum, einen Ausgang zu finden, der ihm das Leben retten kann.

Der Gedanke, dass er nun sein eigenes Leben retten muss, vielleicht sogar richtig darum kämpfen muss, trifft ihn wie ein Schlag mit einem Vorschlaghammer. Keiner wird ihm die Arbeit hier abnehmen. Er muss also weiter.

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