Kitabı oku: «Greifen und BeGreifen», sayfa 2
Wie man Kinder an das System anpasst …
Wenn die Kinder in die Schule eintreten (in Großbritannien mit Beginn des fünften Lebensjahres), geht man gewöhnlich davon aus, dass sie in der Lage sind still zu sitzen, aufmerksam zu sein, ein Schreibgerät zu halten, und dass ihre Augen die Bewegungen ausführen können, die notwendig sind, um einer gedruckten Zeile zu folgen. Viele Kinder erwerben diese Fähigkeiten ohne Mühe; andere brauchen länger dafür, da sie mit einem eindeutigen Nachteil, der ihre neurologische Entwicklung betrifft, ihre Schulzeit beginnen. Sie verfügen dann nicht über die notwendigen physischen Fähigkeiten für erfolgreiches Lernen. In höheren Klassenstufen laufen diese Kinder Gefahr so genannte spezifische Lernschwierigkeiten zu entwickeln, nicht etwa deshalb, weil sie zu dumm sind, sondern weil die für das Lernen fundamentalen Basissysteme zur Zeit ihres Schuleintritts nicht vollständig vorhanden waren. Aufmerksamkeit, Balance und K(C)oordination sind das erste ABC, von dem alles weitere schulische Lernen abhängt.
Das Konzept der Schulreife ist nicht neu. Schon 1947 wurde bemerkt, dass die Lesereife mit dem ersten Zahnwechsel einherzugehen scheint und dass die individuelle Abweichung zum Zeitpunkt des Zahnwechsels ein Hinweis auf weitere mit der Lesereife verbundene Aspekte neurologischer Reifung sein kann (Ames 1967). 1999 gingen Bax und Whitmore der Frage nach, ob es sinnvoll sei, in die schulärztliche Schulreifeuntersuchung eine kurze Testbatterie entwicklungsneurologischer Tests einzubeziehen. Sie fanden signifikante Korrelationen zwischen dem Grad neurologischer Ausreifung und den Ergebnissen bei den kognitiven psychologischen Tests. Obwohl eine zunehmende Zahl an Forschungsergebnissen den Wert des Überprüfens von Entwicklungsmeilensteinen zum Zeitpunkt des Schuleintritts unterstreicht, sind derartige Tests immer noch nicht in die Standardprozedur der Schulreifeuntersuchung integriert. Das chronologische Alter ist weiterhin Hauptkriterium für den Schuleintritt.
Solch eine undifferenzierte Vorgehensweise beim Schulstart kann sich auf wenigstens zwei Gruppen sehr ungünstig auswirken: auf jene Kinder, deren Geburtstag in den Sommer fällt und die damit neun bis zwölf Monate jünger sind als ihre Klassenkameraden, und auf jene Kinder, die in bestimmten Aspekten ihrer Entwicklung in Bezug auf die automatische Kontrolle von Gleichgewicht und Koordination verzögert sind und deshalb Schwierigkeiten bei der Fokussierung und Aufrechterhaltung ihrer Aufmerksamkeit haben. Die erste Gruppe könnte ganz einfach von einer Verschiebung des Schuleintritts um einige Monate profitieren, so dass diese Kinder dann als ältere Kinder in die nächste Einschulungsklasse aufgenommen werden. Jene, die bestimmte Entwicklungsmeilensteine noch nicht erreicht haben, würden von einer verlängerten vorschulischen Phase mit einem mehr informellen Curriculum profitieren, das bevorzugt jene Aktivitäten in den Vordergrund stellt, die ihre physische und sensorische Entwicklung fördern.
In der früheren Tschechoslowakei wurden zwei einfache Tests zur Feststellung der Schulreife angewandt: Kann das Kind einen Kreis sowohl im wie gegen den Uhrzeigersinn zeichnen? (Diese grundlegende Bewegung ist beim Schreiben von Buchstaben von Bedeutung.) Kann das Kind mit der Hand das jeweils gegenüberliegende Ohr berühren? (Dies zeigt, ob das Kind die Körpermittellinie überqueren kann – eine für das Lesen notwendige Fähigkeit.)
Unabhängige Forschungen haben ähnliche Zusammenhänge zwischen automatischer Kontrolle des Gleichgewichts und späteren Lernschwierigkeiten ergeben. Eine Reihe von Tests wie der Wobble Test (Nicolson und Fawcett 1994) und der „Einbeinstand“ (Schrager 2001) sind in umfassendere Testbatterien einbezogen worden, um diejenigen Kinder zu identifizieren, die Gefahr laufen Legasthenie oder andere spezifische Lernschwierigkeiten zu entwickeln (oder sie bereits haben).
Während derartige Tests uns Hinweise darüber geben, was verkehrt ist, sagen sie uns nichts darüber, warum das eine Kind die Kontrolle über sein Gleichgewicht und seine Koordination gewonnen hat, das andere aber nicht.
Es ist Absicht dieses Buches nicht nur Antworten auf die Frage nach dem Warum zu geben, sondern auch Wege aufzuzeigen, wie das gefährdete Kind identifiziert werden kann und wie die Hindernisse überwunden werden können, die das Kind daran hindern, in der Schule und im späteren Leben erfolgreich zu sein. (Fachbegriffe werden im Anhang erläutert.)
Kapitel 1
Reflexe und ihre Auswirkungen auf Erfolg oder Versagen in der Erziehung
Wenn ein Kind geboren wird, verlässt es das weiche, schützende Polster der Gebärmutter, um in eine Welt zu kommen, in der es von einer fast überwältigenden Masse an Sinnesreizen bestürmt wird. Es kann diese Gefühlsreize, die es umschließen, nicht interpretieren. Sind sie zu stark oder zu plötzlich, wird es auf sie reagieren, aber es ist nicht in der Lage, die eigene Reaktion zu verstehen. Es hat eine Welt des Gleichgewichts gegen eine Welt des Chaos eingetauscht; es hat die Wärme verlassen und findet Hitze und Kälte vor. Das Neugeborene wird nicht mehr automatisch mit Nahrung versorgt; es muss anfangen, bei der eigenen Nahrungsversorgung mitzuwirken. Es erhält auch nicht länger Sauerstoff aus dem Blut der Mutter, also muss es jetzt selbst atmen. Es muss beginnen, die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse zu suchen und zu finden.
Um zu überleben, ist es mit einer Anzahl frühkindlicher Reflexe ausgestattet, die die unmittelbare Reaktion auf diese neue Umgebung und die sich verändernden Bedürfnisse sicherstellen sollen. Frühkindliche Reflexe sind automatische, stereotype Bewegungen, die vom Gehirnstamm gelenkt und ohne Beteiligung des Kortex ausgeführt werden.
Bewusstsein ist nur möglich, wenn der Kortex am Geschehen beteiligt ist.
Die Reflexe sind grundlegend für das Überleben des Babys in den ersten Lebenswochen und bilden ein rudimentäres Training für viele spätere willensgesteuerte Fertigkeiten. Allerdings sollten die frühkindlichen Reflexe nur eine begrenzte Lebensdauer haben; sobald sie ihre Aufgabe erfüllt haben und dem Baby geholfen haben, die ersten riskanten Lebensmonate zu überleben, sollten sie durch höhere Zentren des Gehirns gehemmt oder kontrolliert werden. Ausdruck dafür ist die Entwicklung höher entwickelter Nervenstrukturen, die dem Kleinkind dann die Kontrolle über willentliche Reaktionen ermöglichen.
Bleiben diese frühkindlichen Reflexe jedoch nach dem sechsten bis zwölften Lebensmonat aktiv, so werden sie als abweichend eingestuft; das Vorhandensein der Reflexe weist dann auf eine strukturelle Schwäche oder Unterentwicklung innerhalb des zentralen Nervensystems (ZNS) hin. Eine anhaltende Aktivität der frühkindlichen Reflexe kann ebenfalls die Entwicklung der nachfolgenden Halte- und Stellreflexe verhindern, die jetzt auftreten sollten, um dem sich entwickelnden Kind die erfolgreiche Interaktion mit seiner Umwelt zu ermöglichen. Frühkindliche Reflexe, die über das Lebensalter von sechs Monaten hinaus noch aktiv sind, können das Beibehalten unreifer Verhaltensmuster verursachen; es ist auch möglich, dass trotz des Erwerbs späterer Fertigkeiten unreife Systeme vorherrschend bleiben. Ein Elternteil beschrieb sein Kind so: „Da ist immer noch ein Kleinkind im Körper eines zehnjährigen Kindes aktiv.“
Je nachdem wie stark die Reflexaktivität von der normalen Entwicklung abweicht, kann diese schlechte Organisation der Nervenzellen eine oder alle Funktionsgebiete betreffen; nicht nur die grob- oder feinmotorische Koordination, sondern auch sensorische Wahrnehmung, Kognition und Ausdrucksvermögen.
Wahrnehmung ist das Registrieren sensorischer Information im Gehirn.
Kognition ist die Interpretation und das Verstehen dieser Information.
Die „Grundausstattung“, die für das Lernen unerlässlich ist, wird trotz adäquater intellektueller Fertigkeiten fehlerhaft oder ineffizient sein. Es ist, als ob spätere Fertigkeiten an eine frühere Entwicklungsstufe gebunden bleiben und, anstatt automatisiert zu werden, nur durch kontinuierliche bewusste Anstrengung ausgeführt werden können.
Die frühkindlichen Reflexe erscheinen bereits im Mutterleib, sind bei der Geburt vorhanden und sollten mit ungefähr 6 Monaten, spätestens aber im Alter von 12 Monaten gehemmt werden.
Die Hemmung eines Reflexes steht oft mit dem Erwerb einer neuen Fertigkeit in Beziehung; das Wissen über die Reflexchronologie und die normale kindliche Entwicklung sollte also kombiniert werden, damit vorausgesagt werden kann, welche spätere Fertigkeit vielleicht als direkte Folge eines beibehaltenen frühkindlichen Reflexes beeinträchtigt worden ist. So wie der oben zitierte Elternteil von dem Kleinkind berichtete, das noch immer im Körper des Schulkindes aktiv ist, können wir sagen, dass die abweichenden Reflexe uns Aufschlüsse über die Faktoren geben können, die spätere Fertigkeiten aktiv behindern.
Hemmung ist die Unterdrückung einer Funktion durch die Entwicklung einer anderen Funktion. Die erste Funktion wird in die zweite integriert.
Enthemmung tritt in der Folge von Traumata auf; auch im Verlauf der Alzheimerschen Krankheit, bei der Reflexe in umgekehrter chronologischer Reihenfolge auftauchen.
Ein Aufdecken abweichender frühkindlicher Reflexe kann so dazu beitragen, die Ursachen für das Problem eines Kindes derart zu isolieren, dass zusätzliche Förderung effektiver und zielgerichtet eingesetzt werden kann. Ist das Reflexprofil nur leicht abweichend, sind Unterrichtsstrategien allein normalerweise ausreichend. Kinder, die nur einen mäßigen Grad an Reflexanomalie zeigen, werden vielleicht von einer Kombination von speziellem Unterricht und Bewegungstraining, ausgerichtet auf Förderung von Gleichgewicht und Koordination, profitieren. Falls allerdings eine Häufung abweichender Reflexe vorliegt, sprechen wir von der Existenz einer neurophysiologischen Entwicklungsverzögerung. In solchen Fällen wird das Kind nur nach einem individuell zugeschnittenen Programm zur Reflexhemmung, mit dem die noch vorhandenen abweichenden Reflexe behandelt werden, in der Lage sein eine dauerhafte Verbesserung zu erzielen.
Ein Programm zur Stimulierung und Hemmung von Reflexen besteht aus spezifischen stereotypen Bewegungen, die über einen Zeitraum von neun bis zwölf Monaten etwa fünf bis zehn Minuten täglich in Form eines Trainingsprogramms durchgeführt werden. Basis dieses Bewegungsprogramms sind die detaillierte Kenntnis der Reflexchronologie und der normalen kindlichen Entwicklung. Thelan (1979) beobachtete, dass alle Babys während ihres ersten Lebensjahres eine Reihe stereotyper Bewegungen ausführen. Das Institute for Neuro-Physiological Psychology (Institut für neurophysiologische Psychologie, INPP) in Großbritannien und Schweden vertritt die Auffassung, dass spezifische Bewegungsmuster, die in den ersten Lebensmonaten auftreten, eine natürliche Reflexhemmung beinhalten; demnach bleiben diese Reflexe bei einem Kind, das diese Bewegungen niemals in der richtigen Abfolge ausgeführt hat, im Erwachsenenalter aktiv. Durch die Anwendung stilisierter, in einer bestimmten Reihenfolge angeordneter und täglich ausgeführter Bewegungen ist es möglich, dem Gehirn eine „zweite Chance“ zu geben, jene Reflex hemmenden Bewegungsmuster zu registrieren, wie es schon zu einem früheren, angemessenen Zeitpunkt in der Entwicklung hätte geschehen sollen. Sobald die abweichende Reflexaktivität korrigiert ist, werden viele der körperlichen, lernspezifischen und emotionalen Probleme des Kindes verschwinden.
Ein Reflex ist eine unwillkürliche Reaktion auf einen Reiz und auf den gesamten physiologischen Prozess, der ihn aktiviert.
Jeder Reflex spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht spätere Funktionen vorzubereiten. Um zu verstehen, was falsch läuft, wenn Reflexe abweichend werden, ist es wichtig zu verstehen, welche Aufgabe die einzelnen Reflexe normalerweise erfüllen. Hierfür müssen wir zu den frühesten Lebenswochen des Embryos zurückkehren – gerade fünf Wochen nach der Empfängnis. Zu diesem Zeitpunkt beginnt der Embryo, Reaktionen auf äußere Reize zu zeigen. Ein sanftes Berühren der Oberlippe wird den Embryo veranlassen, sich in einer amöbenähnlichen Reaktion diesem Reiz sofort zu entziehen. Nur wenige Tage später wird sich diese sensible Zone ausgebreitet haben und wird nun auch die Handflächen und Fußsohlen einschließen, bis schließlich die gesamte Körperoberfläche empfindlich auf Berührungen reagiert. In diesem Stadium besteht die Reaktion jedoch immer in einem Rückzug von der Kontaktquelle; es ist eine Reaktion des ganzen Körpers. Während sich das taktile Bewusstsein entwickelt, nimmt das Sich-Zurückziehen bei Kontakt langsam ab.
Die Entwicklung des Nervensystems – nicht das chronologische Alter – bestimmt, in welchem Alter der jeweilige Reflex entsteht und zu welchem Zeitpunkt er gehemmt wird. Somit können das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Reflexen in Schlüsselstadien der Entwicklung als diagnostische Zeichen der Reife des Zentralen Nervensystems (ZNS) dienen.
Wenn die Rückzugsreflexe langsam nachlassen – vermutlich in der neunten Schwangerschaftswoche – bildet sich der erste frühkindliche Reflex heraus. Der Moro-Reflex erscheint neun bis zwölf Wochen nach der Empfängnis und entwickelt sich kontinuierlich während der Schwangerschaft, so dass er zum Zeitpunkt der Geburt vollständig vorhanden ist. Im Folgenden werden die verschiedenen Reflexe im Überblick dargestellt.
Frühkindliches Reflexprofil
Der Moro-Reflex
Entstehung: 9. Schwangerschaftswoche.
Bei der Geburt: Vollständig vorhanden.
Hemmung: 2.–4. Lebensmonat.
Auslöser des Moro-Reflexes
• Plötzliche, unerwartete Reize jeglicher Art.
• Stimulation des Labyrinthes (Gleichgewichtsorgan im Innenohr) bei Änderung der Kopfhaltung (vestibulär).
• Geräusche (auditiv).
• Plötzliche Bewegung oder plötzlicher Lichtwechsel im Gesichtsfeld (visuell.)
• Schmerz, Temperaturänderungen oder unsanfte Berührung (taktil).
Körperliche Reaktionen auf den Moro-Reflex
1. Unmittelbare Erregung.
2. Schnelles Einatmen, kurzes „Erstarren“ oder „Aufschrecken“, gefolgt von Ausatmen – oft begleitet von einem Schrei.
3. Auslösen der Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die automatisch das sympathische Nervensystem aktiviert und die folgenden Konsequenzen hat:
– Freisetzung der Stresshormone Adrenalin und Cortisol
– Anstieg der Atemfrequenz, besonders in den oberen Lungenflügeln (Hyperventilation).
– Beschleunigung des Herzschlages.
– Anstieg des Blutdrucks.
– Rötung der Haut.
4. Eventuell Gefühlsausbrüche, zum Beispiel Wut oder Tränen.
Langzeitreaktionen: Schwach entwickelter CO2-Reflex
Der CO2-Reflex verursacht die spontane Inhalation durch den oberen und unteren Teil der Lungen. Steigt der CO2-Wert im Blut zu sehr an, finden chemische Veränderungen in der Medulla statt, wodurch dann die Arterien geöffnet werden, um die Blutversorgung des Gehirns zu verstärken und gleichzeitig ein tiefes Atmen zu bewirken.
Der Moro-Reflex umfasst eine Reihe von schnellen Bewegungen in Reaktion auf plötzliche Reize. Er besteht in einer plötzlichen symmetrischen Aufwärtsbewegung der Arme – weg vom Körper – mit einem Öffnen der Hände, kurzem Erstarren und einer schrittweisen Rückkehr zu einer Haltung, in der die Arme in einer Umklammerungshaltung um den Körper gelegt werden. Die Abduktion wird von einem plötzlichen Einatmen begleitet. Die Adduktion erleichtert das Ausatmen dieser Luft. Moro hat 1918 seine Meinung betont, nach der es sich hier im Wesentlichen um einen Greifreflex handelt, analog zu dem Reflex, den wir bei jungen Menschenaffen beobachten können, die sich instinktiv an ihre Mutter klammern. Er bezeichnete ihn als „Umklammerungsreflex“.
Abduktion ist das Öffnen der Arme und Beine nach außen.
Adduktion ist das Schließen der Arme und Beine wie zum Umarmen oder Greifen.
Der Moro-Reflex ist eine unwillkürliche Reaktion auf eine Bedrohung. Das Baby ist noch nicht in der Lage, von außen kommende Sinneseindrücke zu analysieren, um dann feststellen zu können, ob sie wirklich eine Bedrohung darstellen oder nicht. Der Gehirnstamm löst eine unmittelbare Moro-Reaktion aus, so als wenn ein Notschalter automatisch ausgelöst worden wäre. Er fungiert als die früheste Form der Kampf- oder Fluchtreaktion und kann in Situationen extremer Gefahr gelegentlich auch noch später im Leben ausgelöst werden. Grundsätzlich sollte er in seiner Grobform jedoch im Alter von zwei bis vier Monaten gehemmt werden.
Seine Rolle als Überlebensmechanismus in den ersten Lebensmonaten besteht darin, „Alarm zu schlagen“ und Hilfe herbeizuholen. Es wird auch angenommen, dass er einen beträchtlichen Anteil an der Entwicklung des kindlichen Atemmechanismus im Mutterleib hat – dieses trifft mit den frühesten atmungsähnlichen Bewegungen im Mutterleib zusammen, die sich bisher beobachten ließen. Er ermöglicht auch den ersten Atemzug gleich bei der Geburt (häufig ausgelöst vom Klaps der Hebamme auf den Po des Neugeborenen oder dadurch, dass sie das Baby an den Füßen kurz kopfüber hält) und hilft, die Luftröhre zu öffnen, falls Erstickung droht.
Wird der Moro-Reflex nicht im Alter von zwei bis vier Monaten gehemmt, wird sich dies durch Hypersensitivität des Kindes in einem oder in mehreren sensorischen Kanälen auswirken; es wird dann auf bestimmte Reize überreagieren. Plötzliche Geräusche, Licht, Bewegungen oder Veränderungen von Haltung oder Balance – jeder dieser Reize kann den Reflex in unerwarteten Momenten auslösen, so dass sich das Kind ununterbrochen in „Alarmbereitschaft“ und in einem Stadium erhöhter Aufmerksamkeit befindet.
Während des größten Teiles seiner wachen Zeit befindet sich das Morogeleitete Kind immer an der Schwelle der Kampf- oder Fluchtbereitschaft, gefangen in einem Teufelskreis: Die Reflexaktivität regt die Produktion von Adrenalin und Cortisol (Stresshormone) an. Eben diese Hormone erhöhen die Sensibilität und das Reaktionsvermögen, so dass sowohl der Auslöser als auch die Reaktion innerhalb desselben Systems vorhanden sind – sie sind quasi beide „eingebaut“. Ein solches Kind mag uns als ein Paradox erscheinen: einerseits außerordentlich sensibel, aufnahmefähig, fantasievoll und einfallsreich, andererseits unreif und zu Überreaktionen neigend. Diesen Zustand wird es auf eine von zwei Weisen bewältigen: Entweder wird aus ihm ein ängstliches Kind, das oft mit Rückzug reagiert, das Schwierigkeiten hat, Kontakte zu finden, und Zuneigung weder mit Leichtigkeit zeigen noch annehmen kann; oder aus ihm kann auch ein überaktives, aggressives Kind werden, das sich leicht aufregt, unfähig ist, Körpersprache zu verstehen, und Situationen gern dominiert. Jedes der beiden Kindertypen wird dazu neigen Situationen manipulieren zu wollen, da es versucht Strategien zu finden, die ihm ein gewisses Maß an Kontrolle über seine eigenen emotionalen Reaktionen gewähren.
Adrenalin und Cortisol gehören zu den Hauptabwehrstoffen des Körpers gegen Allergien und Infektionen. Wenn beide im Leben des Kindes ständig sozusagen als „Leitmotiv“ aktiv sind, werden sie von ihrer primären Funktion abgelenkt, so dass eventuell unzureichende Vorräte beider Stoffe im Körper vorhanden sind und ausreichende Immunität und eine ausgewogene Reaktion auf mögliche Allergene eventuell nicht mehr gewährleistet ist. Solch ein Kind gehört dann vielleicht zu jenen, die sich jeden Husten und jede Erkältung einfangen, die gerade im Umlauf sind, und die auf bestimmte Medikamente besonders heftig reagieren. Ein solches Kind reagiert vielleicht überempfindlich auf bestimmte Lebensmittel oder Lebensmittelzusätze, was sich wiederum auf sein Verhalten und seine Konzentration auswirken wird. Es wird auch dazu neigen, Blutzucker schneller als andere Kinder zu verbrennen, was Stimmungs- und Leistungsschwankungen weiterhin verstärken wird.
Ein Kind, das nach wie vor über einen Moro-Reflex verfügt, wird die Welt als zu sehr mit hellen, lauten und aggressiven sensorischen Reizen angefüllt erleben. Seine Augen werden von jedem Lichtwechsel und jeder Bewegung innerhalb des Gesichtsfelds angezogen werden. Seine Ohren werden vielleicht eine zu große Masse akustischer Information empfangen. Es kann irrelevante Reize nicht ausfiltern oder „außen vor lassen„und neigt so dazu, sich sehr schnell mit Reizen überladen zu lassen. Als Ergebnis wird es „stimulusgebunden“.
In den ersten zwei bis vier Lebensmonaten, wenn der Moro-Reflex aktiv ist, ist die visuelle Aufmerksamkeit des Kindes auf die äußeren Umrisse von Gegenständen und Personen sowie auf plötzliche Bewegungen und Lichtveränderungen in der Peripherie seiner visuellen Wahrnehmung gerichtet. Wenn dies so bleibt, hat das Kind Schwierigkeiten periphere visuelle Stimuli zu ignorieren und die visuelle Aufmerksamkeit auf das Zentrum gerichtet zu halten. Dies kann dann beim älteren Kind zu leichter Ablenkbarkeit führen.
Arnheim (1969) bemerkte dazu:
„Zu viele Eindrücke aus verschiedenen sensorischen Quellen, die gleichzeitig auf einen Verstand einstürmen, der diese Reize bisher nicht einzeln erlebt hat, verschmelzen für diesen Verstand zu einem einzigen ungeteilten Objekt.“
Welches also sind die Symptome, die Eltern oder Lehrer als Hinweise auf einen deutlich fortbestehenden, nicht kontrollierten Moro-Reflex erkennen können?