Kitabı oku: «Zelle 14», sayfa 2

Yazı tipi:

REGELN

Drei Glastüren. Ein Gang. Eine vierte Tür. Dahinter öffnet sich ein heller Raum mit einer Terrasse. Nach drei Seiten Fenster vom Boden bis zur Decke. Ein paar runde Tischchen mit einfachen Stühlen. Eine Küchenzeile, die wenig benützt aussieht. Zimmerpflanzen. Zwei Getränkeautomaten. Ein Pfleger, der mich hergebracht hat, und ich.

Wir bleiben stehen und warten.

Das ist sonst der Besucherraum, sagt der Pfleger.

Nach fünf Minuten ist Weber da.

Frau Carranza.

Händedruck.

Er deutet auf eins der Tischchen.

Ich bin zittrig. Hoffe, dass ich das mit dem Sessel und dem mich Daraufsetzen richtig hinkriege. Es gibt Dinge, die verlernst du. Mit Höflichkeit umzugehen ist eines davon.

Weber spricht über Regeln. Er sagt, dass ich hier Freiheiten haben kann. Bei den Besuchszeiten zum Beispiel. Dass es dafür nur eine Voraussetzung gibt.

Lernen Sie, sich an Regeln zu halten, Frau Carranza, sagt er. Dann ist vieles möglich.

Ich kenne das. Ich kenne es aus den anderen Gefängnissen. Es ist das große Dogma. Damit fängt alles an. Mit dem Einhalten von Regeln.

Sie wissen, was du getan hast. Sie wissen, wozu du fähig bist. Sie wissen, in welchem Ausmaß und mit welchen Folgen du Regeln brechen kannst. Brichst du sie sogar hier im überwachten Raum, denken sie, wirst du es draußen in Freiheit erst recht tun.

Wer sich dagegen an Regeln halten kann, kann sich auch an diese halten.

Du sollst nicht töten.

Hältst du dich an die Regeln, winken dir Haftlockerungen. Im Forensischen Zentrum Asten gibt es dafür drei Stufen.

Stufe eins. Du kannst dich in der Anlage freier bewegen.

Stufe zwei. Du kannst bei begleiteten Freigängen gemeinsam mit einem Beamten einkaufen gehen, ins Kino gehen oder ein Konzert besuchen.

Stufe drei. Deine Freigänge sind unbegleitet. Du kannst sogar draußen arbeiten und musst nur noch zum Schlafen zurück.

Brichst du die Regeln, können sie dich bestrafen. Selbst wenn du wie ich die schwerste aller Strafen schon absitzt. Sie können dich zu einer Ordnungsstrafe in Form einer Geldbuße verurteilen.

Sie können dir den Alltag im Gefängnis erschweren. Dir den Fernseher wegnehmen. In der Justizanstalt Schwarzau haben sie mir

erstens. Die Besuche am Tisch (Tischbesuche) gestrichen und mir nur noch Besuche hinter Glas mit Telefon (Glasbesuche) gestattet.

Zweitens. Langzeitbesuche mit meinem Sohn abgelehnt.

Drittens. Meine Besuchszeit auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von einer halben Stunde wöchentlich reduziert.

Viertens. Mein Fernstudium in Wirtschaftspädagogik an einer Universität in Barcelona gestrichen.

Fünftens. Mir meine Arbeit in der Gefängniswerkstatt weggenommen.

Wenn sie ein Handy bei mir fanden. Wenn eine Zeitung etwas über mich schrieb und sie dachten, ich hätte es veranlasst. So viel Gefängnis nach innen ist das Forensische Zentrum Asten also auch, entnehme ich Webers Worten.

Ich sehe ihn an.

Ich hätte kein Problem damit, mich an Regeln zu halten. Es ist nur so. Manchmal stehen sie mir im Weg. Mein Gehirn findet immer verlockende Argumente und Möglichkeiten, sie zu umgehen.

Weber spricht über Vertrauen. Ich soll ihm vertrauen.

Auch das wäre kein Problem. Weber scheint ein netter Typ zu sein. Bloß muss er sich einen anderen Job suchen, wenn ich ihm vertrauen soll. Es dürfte weder Staatsanwalt noch Polizist sein. Denn ist das Machtgefälle so, dass eine Seite alle Macht hat und die andere gar keine, ist Vertrauen für die Seite mit gar keiner Macht Selbstaufgabe. Das müsste ihm als Psychologen einleuchten.

Weber hat schon eine Hand am Tisch.

Haben Sie alles verstanden, Frau Carranza?

Ich müsste dankbar sein. Für dieses Gespräch und überhaupt. Es gab Zeiten, da haben sie solche wie mich einfach aufgehängt. Diese Gesellschaft hingegen will zwei Dinge von mir.

Erstens. Sie will mich bekehren. Zum Beispiel will sie mir zeigen, was Liebe ist. Ich sehe etwas in Männern, das sie nicht sind, sagen mir Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten. Das Ergebnis sei ein sich wiederholendes Muster. Alles fängt gut an und endet schlecht. Liebe ist, haben sie mir erklärt, eine Projektion meiner Sehnsucht auf einen anderen Menschen.

Zweitens. Sie will herausfinden, wie ich bin. Weber als Leiter des Forensischen Zentrums Asten ist weder Jurist noch Polizist, sondern Psychologe. Der Leiter der Frauenabteilung ist ebenfalls Psychologe. Sie führen hier Gespräche mit uns und dokumentieren sie, um Entwicklungen abzulesen.

Sie hat getötet, weil sie töten wollte. Diesen Befund gibt es nicht in ihrem Katalog. Der Abgrund wäre damit nicht mehr benennbar, vermessbar und schubladisierbar.

Ja, sage ich zu Weber. Ich denke, ich habe alles verstanden.

Er winkt einem Beamten der Torwache, der mich in meine Wohngruppe bringt. Der Fernseher läuft so laut, als wären hier alle schwerhörig.

Meine Großmütter, denke ich, meine baskische und meine mexikanische. Nur wer weiß, was sie ihnen angetan haben, kann mich verstehen.

NARBEN

Klara hatte immer diese zwei Möglichkeiten.

Möglichkeit eins. Ihr Leben genießen. Die Villa am Kahlenberg mit Blick über Wien. Den Jaguar. Die Kreditkarte. Den Neid der anderen. Und den Preis dafür bezahlen. Wegsehen, wenn ihr Mann sie betrügt. Sich klein machen.

Möglichkeit zwei. Alles zerstören und sich selbst dabei wegwerfen.

Ich kann immer die verstehen, die alles zerstören.

Trage ich Klaras Sachen, ist das etwas Besonderes. Sie geben mir Kraft. Sie bringen mir Glück.

Ich bin nach zwei Monaten noch immer nicht richtig im Forensischen Zentrum Asten angekommen. Ich laufe noch wirr durch die Gänge. Dieser moderne Bau mit Fußbodenheizung. Sie sagen, dass an heißen Sommertagen vom Boden auch die Kühle kommt.

Ich will mich noch immer ständig bedanken. Für die Höflichkeit und für vier weitere Dinge, mit denen sie uns hier zu Menschen machen.

Erstens. Für die Schlüssel. Ich hatte siebeneinhalb Jahre lang keine. Jetzt trage ich zwei bei mir. Einen für den Schrank in meiner Zelle. Einen für das Fach mit meiner Zellennummer im Kühlschrank. Ich bin in Zelle 14. Die Beamten und die Pfleger haben Generalschlüssel und benutzen sie auch. Morgens, wenn sie uns das Frühstück in unsere Fächer legen, kontrollieren sie deren Inhalt. Manche Frauen horten, was sie kriegen können und vergessen es. Die Beamten werfen schimmelnden Philadelphia-Käse oder fauliges Obst weg. Bei einer Razzia öffnen sie mit ihren Generalschlüsseln die Schränke. Es macht trotzdem etwas mit dir, wenn du Schlüssel hast.

Zweitens. Für die Fenster. Sie haben Vorhänge und lassen sich kippen. Es sind zwar Gitter davor, aber schöne. Nicht diese Stäbe. Die Gitter sehen aus wie Fliegengitter. Zu grobmaschig für Fliegen, aber nicht für anderes fliegendes Getier. Als wären wir keine Diebe, Stalker, Mörder, Brandstifter und Kinderschänder, sondern große wilde Schmetterlinge.

Drittens. Für mein Bett. Es hat eine normale Matratze. Es ist keine von diesen dünnen schlecht riechenden Matratzen, die ich aus anderen Gefängnissen kenne.

Viertens. Für das Essen. Es ist nicht die übliche fettige Pampe. In der Früh legen sie uns Plastiktassen mit Honig, Marmelade oder Nutella in die Fächer. Dazu Butter und Obst. Ich sammle immer die übrig gebliebenen Honigtassen. Ich brauche sie für etwas.

Zu Mittag gibt es Suppe. Meist klare mit Nudeln oder Backerbsen. Danach klassische österreichische Hausmannskost. Szegediner Gulyas. Gebratener Leberkäse mit Spinat und Kartoffelrösti. Überbackene Krautfleckerl. Manchmal auch Spaghetti Bolognese. Am Wochenende Rindfleisch mit Kartoffeln oder Reis.

Am Abend Wurst, etwa hundert Gramm. Oder Leberkäse und ein gekochtes Ei. Zwei Scheiben Brot.

Fünftens. Für meine Zelle. Sie liegt im ersten Stock und ist eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung. Das Bett. Dusche. Klo. Ein Waschbecken mit Spiegel. Der verschließbare Schrank. Das Regal, auf dem jetzt mein selbst gekaufter Fernseher steht. Ein kleiner Tisch, der wie ein Esstisch aussieht. Ein größerer Tisch mit zwei Laden. Meine Staffelei. Durch das Fenster sehe ich Dächer. In der Ferne ein Feld. Unten den Ausgang eines Männertraktes.

Trotzdem waren die vergangenen zwei Monate schwer. Mich schwindelte oft und mein Stoffwechsel war blockiert. Ich aß Haferbrei. Meine Haare waren strähnig. Jetzt finde ich mich langsam zurecht. Ich weiß langsam, wer meine Freunde sind und wer nicht zu uns gehört. Ich bekomme langsam meine alte Rolle zurück. Die berühmte Doppelmörderin, die in der Häftlingshierarchie ganz oben steht. Zu deren Freunden du besser gehörst.

Heute ziehe ich das rote Dolce & Gabbana-T-Shirt an. Zur Feier meiner langsamen Ankunft.

Esti, ach Esti. Dein T-Shirt gefällt mir.

Ich lächle. Guten Morgen.

Dorothea sitzt mit zwei anderen Frauen vor dem ausgeschalteten Fernseher im Wohnzimmer. Obwohl es drei Sofas gibt, sitzen sie alle auf einem. Dabei ist keine von ihnen schlank. Keine hat weniger als hundert Kilo. Auch nicht die freundliche Dorothea. Sie warten auf die Haustechniker. In der Kammer, die sie Raucherlounge nennen, ist die Lüftung kaputt. Kommen die Haustechniker, versüßt das ihren Alltag.

Sie haben diesen Trakt für uns umgebaut und neu eingerichtet. Manches funktioniert noch nicht. Die Haustechniker haben regelmäßig zu tun. Kabel verlegen. Fliesen tauschen. Den Verputz erneuern. Die Waschmaschine reparieren.

Zwei Männer kommen mit einer Leiter. Einen von ihnen kennen Dorothea und ihre Freundinnen offenbar. Sie deuten mit dem Kopf in seine Richtung, tuscheln, lachen derb, rücken noch enger zusammen.

Ich setze Wasser für grünen Tee auf und betrachte den Mann unauffällig Er ist groß. Schlank. Er ist blond. Blauer Blick. Diese Samurai-Frisur, die jetzt modern ist.

Meine Damen, sagt er. Wie gefällt es Ihnen hier?

Er lächelt.

Sie sind keine Damen. Zwei von ihnen haben keine Zähne mehr und ihre Prothesen tragen sie eher in ihren Hosentaschen als im Mund. Sie haben fettige Haare und ausgefranste Ohrläppchen von Ohrringen, die sie einander im Streit ausgerissen haben. Sie sind übersät mit Tätowierungen und waschen sich kaum.

Die Männer tragen die Leiter in die Raucherlounge und lassen die Tür offen. Der Blonde klettert hinauf und macht sich an den Lüftungsrohren zu schaffen. Seine dünnen Beine stecken in kurzen Arbeitshosen und -schuhen. Über dem rechten Knie hat er eine Tätowierung, sonst überall Narben. Er sieht nicht wie ein Haustechniker aus. Er muss einer von uns sein. Einer von uns mit einem Job.

Die anderen Frauen kennen ihn wahrscheinlich vom Hof. Dort trennt ein Zaun die Männer von den Frauen. Wie zwei Mannschaften auf zwei Seiten eines Spielfeldes. Ich meide den Hof. Ich vertrage Sonne schlecht und mindestens zwei der Männer schreien immer herüber. Eislady! Hallo Eislady! Komm zu uns!

Bist du ganz oben in der Hierarchie, musst du wissen, wann du dich rarmachst.

Frauen und Männer begegnen einander in den meisten Gefängnissen. Auf den Wegen durch die Gänge. Manchmal entsteht etwas dabei. Du bleibst stehen. Holst dir den Namen. Die Adresse weißt du ja. Schreibst Briefe und bekommst welche. Die Beamten lesen sie. Das ist dir egal. In der Gefängnismonotonie brauchst du etwas, das dir den Alltag versüßt.

Hier im Forensischen Zentrum Asten ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern besonders offen. Frauen und Männer begegnen einander nicht nur im Hof, sondern auch an vier weiteren Orten.

Erstens. Im Klienten-Café. Dort gibt es Tischchen wie im Besucherraum und eine Theke, an der du Kaffee und Kuchen bekommst. Sie machen es wöchentlich einmal im Mufu-Raum auf. Mufu-Raum wie Multifunktionsraum. Ich meide es aus den gleichen Gründen wie den Hof.

Zweitens. In der Werkstatt. Was wir dort machen, nennen sie nicht Arbeit, sondern Arbeitstherapie. Sie kriegen Aufträge von Firmen. Genau wie in der Justizanstalt Schwarzau. Vogelhäuschen zimmern, solche Sachen. Mit Werkzeugen. Hammer. Zange. Auch mit elektrischen. Mit Sägen. Ich bin bald zur Probe dort und werde sehen, wie es ist.

Drittens. Bei Anstaltsjobs wie Kochen oder Putzen. Diese Jobs geben sie eher Häftlingen ohne Maßnahmenvollzug, die es hier auch gibt. Von uns können die wenigsten zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein und eine bestimmte Aufgabe erledigen. Sie zahlen dafür 1, 30 Euro die Stunde. Die eine Hälfte davon geben sie dir gleich. Die andere heben sie für den Tag deiner Entlassung auf. Ich habe nie gefragt, wer dein Geld bekommt, wenn sie dich nie entlassen. Wahrscheinlich deine Erben. Ich bin abergläubisch. Es bringt bestimmt Unglück.

Viertens. Im Sportraum. Er dient zum Training an Geräten oder zum Ballspielen. Jede Wohngruppe hat dafür ein Zeitfenster. Überschneidet sich das Zeitfenster einer Männergruppe mit dem einer Frauengruppe, trainieren Männer und Frauen gemeinsam. Ich gehe regelmäßig hin und es war bisher in Ordnung.

Der Häftling auf der Leiter ist anders als die anderen Männer hier. Viele von ihnen sind als Psychopathen eingestuft. Das siehst du ihnen auch an. Doch dieser Typ hat edle Gesichtszüge. Er wirkt intelligent. Ein Traum-Handwerker. Jede Frau hätte ihn gerne, käme er zu ihr nach Hause, um etwas zu reparieren.

Ich ignoriere dich, denke ich. Die anderen sollen dich anhimmeln. Ich tue das nicht. Spielt ihr eure Spielchen. Auf mich müsst ihr verzichten.

Er sieht mich an.

Ich weiß nicht warum. Ich schäme mich.

JAGUAR

Andrea hat um sich geschlagen. Sie hat geschrien und getobt und die Hydrokultur beschädigt. Jetzt sitzt sie allein auf einem Sofa und schnauft. Zwei Pfleger kommen. Sie treten links und rechts neben sie. Andrea muss in die Absonderung. So nennen sie die Einzelhaft hier. Ein Raum mit einer Edelstahltür, in den du nicht willst. Darin ist nichts. Auch nichts, mit dem du dich verletzen könntest.

Die Pfleger könnten Andrea packen und dorthin schleifen. So sind sie hier nicht. Selbst wenn Häftlinge auf sie losgehen, setzen sie Gewalt so schonend wie möglich ein.

Kommen Sie Andrea, sagt einer der Pfleger. Gehen wir. Sie sind bestimmt bald wieder heraußen.

Andrea murrt und bewegt sich nicht.

Rauchen wir noch eine, sagt der andere Pfleger. Dann bringen wir es hinter uns.

Andrea setzt sich murrend in Bewegung.

Ich habe diese Frauen lange merken lassen, dass ich sie verachte. Stefanie, meine Psychotherapeutin hier, erklärte mir, das sei nicht gut für die Meinung der Psychologen und Psychiater über mich. Diese Frauen sind die Menschen, mit denen du auskommen musst, sagte sie.

Fragen mich jetzt Psychologen oder Psychiater nach meinem Verhältnis zu ihnen, antworte ich. Wäre ich so viel besser als sie, wäre ich nicht hier.

Ich sitze jetzt manchmal mit zwei von ihnen auf einem Dreiersofa vor dem Fernseher. Ich mag es sogar. Es kann kuschelig sein und wir naschen dabei. Stinkt eine, sage ich es ihr. Dann geht sie duschen und sich umziehen, kommt zurück, hebt einen Arm und ich nicke.

Trotzdem weiß ich bei den meisten nicht, warum sie sitzen. Hier geht es beim Smalltalk eher um Krankheiten als um Verbrechen. Was bist du? Narzisstin? Ach ja. Ich bin Borderlinerin, auch mit einem narzisstischen Anteil. Der Psychopathen-Test bei dir? Positiv? Negativ?

Haftgründe sind unter uns kaum Thema. Bloß bei mir kennen ihn alle. Alles stand in allen Zeitungen. Sogar die New York Post und die Bild berichteten über mich. Der Boulevard wird nicht müde, über mich zu schreiben. Als ich eine vegane Phase beendete, weil ich zwei Kilo abgenommen hatte und mich zu schlank fand, schrieb ein Blatt auf Seite eins.

Eislady ist magersüchtig.

Als wäre ich Angelina Jolie.

Warum die anderen hier sind, ist mir höchstens so wichtig wie die Zahl der Geschwister, die jemand hat. Was jemand getan hat, muss er sich mit den Gerichten ausmachen. Vielleicht mit sich selbst. Sicher nicht mit mir.

Es ist mir deshalb so egal, weil ich weiß. Jeder hat ein Potenzial für alles. Alle Menschen sind Mörder. Bloß haben manche noch nicht zu morden angefangen und die meisten tun es nie. Es bedeutet nichts, wenn jemand unbescholten ist. Ich war auch einmal unbescholten, dann habe ich zwei Männer umgebracht. Wer sagt, dass jemand, der unbescholten an einer Bushaltestelle sitzt und Zeitung liest, nicht morgen einen Mord begeht?

Jeder hat es in sich, zu töten. Im Krieg zum Beispiel. Im Vietnamkrieg haben amerikanische Soldaten ganze Familien in Erdlöcher geworfen und Granaten hinterher. Wir leben in Frieden, aber in dir kann Krieg herrschen und niemand weiß es. Wenn es um dein Leben oder um das deiner Kinder geht. Wenn du es zumindest glaubst. Tötest du. Es ist nur eine Frage der Angst und des Drucks. Bist du noch unbescholten, bedeutet das nur, deine Angst und der Druck waren noch nie groß genug.

Bei anderen Häftlingen zählt für mich deshalb vor allem, wie sie sich mir gegenüber verhalten. Nur unter guten Freunden reden wir darüber, was wir getan haben. Wenn wir einander so nahekommen, dass wir über alles reden.

Klara und ich lernten einander während meiner Untersuchungshaft kennen. In der Justizanstalt Wien-Josefstadt, die sie das graue Haus nennen. Vor ihr waren die Zigeunerinnen meine Freundinnen.

Die Zigeunerinnen waren wie ich. Familie war für sie ein heiliger Bund. Sie waren abergläubisch wie ich. Sie kochten sogar so ähnlich wie die Mexikaner. Sie brachten mir bei, wie du die Aufmerksamkeit von jemandem ablenkst, um Sachen aus seinen Taschen zu ziehen. Stehlen ist nicht mein Ding, aber an langen Abenden fangen die Diebinnen immer als Erste zu erzählen an.

Klara war noch mehr wie ich. Auf eine andere Art. Wir verstanden uns sofort. Ich erzählte ihr von meinen Großmüttern. Sie erzählte mir davon, wie sie alles zerstörte. Und sich selbst wegwarf.

Vergiss dieses Arschloch, sagte ich zu ihr. Lass ihn ficken, wen er will. Du kannst noch immer ein schönes Leben haben.

Wie ist es, fragte sie mich, so zu sein wie du?

Wut verbindet alles und formt es neu zu einem runden Ganzen, sagte ich. Nur wenn ich müde bin, ist alles manchmal viel zu groß. Dann wäre ich gerne unauffällig für mich selbst.

Bleib wütend, sagte Klara.

Sie ging damals in die Garage. Schloss das Tor. Setzte sich in den Jaguar. Ließ die Wagentür offen. Startete den Motor. Eben war sie noch zerrissen. Jetzt ruhte sie in sich. Sie lehnte sich zurück. Schloss die Augen. Eine Tür ging auf. Oliver kam herein. Ihr kleiner Sohn.

Mami.

Oliver setzte sich auf Klaras Schoß. Sie war zu benommen. Sie konnte nichts mehr tun. Ihre Hände lagen kraftlos da, als Oliver seinen kleinen Körper an ihren schmiegte.

Versuchter Mord an Oliver.

So lautete die Anklage.

Ich stehe in meiner Zelle im Forensischen Zentrum Asten vor dem Spiegel. Zähne geputzt. Im Pyjama. Bin ich noch schön? Habe ich noch diese eisklaren Augen? Dieses Gesicht wie aus Porzellan? Diesen Arsch, an dem sie irgendetwas finden? Ich weiß nicht was?

Ich habe Klara nie gefragt.

Hast du damals gewusst, was Liebe ist?

GELD

Ich schmiere mir mit beiden Händen Honig ins Gesicht. Danach greife ich in eine Schüssel mit Zucker, die am Rand des Waschbeckens steht. Mit meinen Honigzuckerhänden massiere ich Gesicht und Hals. Wasche alles mit lauwarmem Wasser ab und spüle mit eiskaltem nach. Meine Haut ist jetzt weich und rein. Werner soll mich schön finden.

Durch eine Fensterwand im Besucherraum siehst du das Haupttor und die Parkplätze. Besucher denken deshalb, die Welt da draußen wäre nur ein paar Meter entfernt. Ich denke das nicht. Für mich ist die Welt da draußen nicht realer als die Welt, die ich am Bildschirm unseres Fernsehers in der Wohngruppe sehe, wenn wir uns auf RTL oder Sixx romantische Komödien mit Drew Barrymore oder Cameron Diaz ansehen. Jeden Montag spuckt diese Welt einen Menschen aus, der meine betritt, um mich zu sehen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. Werner küsst mich auf den Mund.

Montag ist im Forensischen Zentrum Asten laut Hausordnung besuchsfrei. Sie hatten unsere Treffen anfangs trotzdem auf Montag gelegt, damit andere Besucher keine Informationen über mich hinaustragen können. Irgendwann bekam ich auch Besuche während der normalen Zeiten. Da war der Montag mit Werner für alle schon fix.

An der Torwache kennen sie ihn. Er gibt seinen Führerschein ab und bekommt einen Schlüssel für das Fach, in das er seine Sachen legt. Er tritt durch den Metalldetektor und bringt nur den Schlüssel und die Münzen für den Getränke- und den Kaffeeautomaten mit. Wir haben jeden Montag drei Stunden und setzen uns immer an den gleichen Tisch. In der Ecke, die der Freiheit am nächsten ist. Nicht der Freiheit wegen, sondern weil wir uns dort von den Zimmerpflanzen, den Regalen und den Automaten am besten vor den Kameras geschützt fühlen.

Werner hat die Internetseite eines Schmuckhändlers ausgedruckt.

Schau, sagt er. Welcher gefällt dir?

Werner und ich haben einen Traum, der aus zwei Teilen besteht.

Unser Traum, Teil 1. Nach meiner Scheidung heiraten wir. So bald wie möglich gehe ich nach Spanien und er kommt mit. Er lebt in der Nähe meines Gefängnisses. Wenn ich frei bin, leben wir zusammen.

In den spanischen Psychoknasts sind die Haftbedingungen schlechter. Das ist mir egal. Hast du so wie ich schlechte Karten, willst du sie neu mischen. Du willst, dass etwas passiert.

Spanien gehört zu den Ländern, in denen es die Strafe lebenslänglich plus Maßnahmenvollzug an zurechnungsfähigen geistig abnormen Rechtsbrechern nicht gibt. Sie haben meine Überstellung deshalb bisher abgelehnt. Werner bleibt trotzdem dabei. Er mag unseren Plan. Er hat einer Menschenrechtsorganisation geschrieben. Er denkt, dass die Haftverbüßung im Heimatland ein Menschenrecht ist. Zumal für die Mutter eines dort lebenden Kindes. Spanien müsse sich etwas einfallen lassen, meint er.

Werner kann solche Dinge. Als sie mir in der Justizanstalt Schwarzau den Tischbesuch strichen und nur noch Glasbesuche erlaubten, wandte er sich an die Volksanwaltschaft und andere Instanzen und erzielte kleine Erfolge.

Wir sprechen über Markus Drechsler. Drechsler war selbst Häftling im Maßnahmenvollzug und ist jetzt so etwas wie der einzige Lobbyist für solche wie mich. Werner glaubt, dass Drechsler weiß, wie ich hier herauskomme.

Er weiß vielleicht auch, wie du nach Spanien kommst, sagt Werner.

Ich nicke und zeige auf den Ring, der von allen am wenigsten wie ein Ehering aussieht.

Ich weiß nicht, sagt Werner.

Seine Zärtlichkeit ist rosarot. Kühl. Drängend.

Am Freitag hast du nicht angerufen, sagt er.

Er streichelt meinen Hals.

Er versteht nicht, dass es Tage gibt, an denen ich nicht telefonieren will. Nicht mit ihm. Auch nicht als Frau im Gefängnis, die in Beziehungen mit Menschen in Freiheit immer die schwächere Hälfte ist.

Ich lächle.

Tut mir leid, sage ich.

Ich habe mir Sorgen gemacht.

Werner schrieb mir zum ersten Mal während meiner Untersuchungshaft. Sein Brief fiel mir nicht auf. Es kamen viele. Mörder haben Fans. Sie schicken Fotos und Bastelarbeiten. Sie schwören Dinge. Liebe. Je grausamer seine Tat, desto mehr Fans hat der Täter.

Werner schickte mir Geburtstags- und Weihnachtskarten. Als eine Zeitung schrieb, wie schlecht mich die anderen Frauen im Gefängnis behandelten, schickte er mir eine buddhistische Weisheit. Es ging darum, dass jeder manchmal Menschen trifft, die ihn nicht mögen.

Meine Ehe mit Roland löste sich damals auf und ich wurde offener. Als mich Werner zum ersten Mal besuchte, nannte er es eine Seelenfreundschaft. Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn je zu küssen.

Wie schön, dass wir uns kennengelernt haben, sagte ich zu ihm.

Er fing an, für mich zu kämpfen. Sie bewilligten mir damals keine Langzeitbesuche mit meinem Sohn, obwohl mich die zuständige Gerichtspsychiaterin als ungefährlich für ihn eingestuft hatte.

Dagegen mache ich etwas, sagte er.

Unseren ersten Kuss wünschte er sich als Belohnung dafür.

Wir gehören zusammen, sagte er danach.

Ich dachte daran, wie es früher war, wenn ich Mörder in Zeitungen sah. Sie faszinierten mich. Etwas an ihnen war anders. Sie schienen in einer anderen Welt zu leben. Aber mich in einen verlieben?

Ja, sagte ich. Wir gehören zusammen.

Werner stellt mir gerne Fragen nach meiner Vergangenheit. Sie sind drängend wie seine Zärtlichkeiten. Ich erzähle ihm immer die drei gleichen Geschichten.

Erstens. Die Geschichte vom Heimkommen. Ich habe immer versucht, es meinen Männern recht zu machen. Kamen sie heim, hatte ich bereits für sie gekocht.

Nach dem Essen habe ich ihnen auf dem Sofa die Hose aufgemacht. Danach habe ich ihnen das Bier zum Fernseher gebracht.

Obwohl sie nicht von der Arbeit heimkamen, sondern aus Kneipen oder von anderen Frauen.

Zweitens. Die Geschichte von der Pistole am Kopf. Mein erstes Opfer, ein Waffennarr, setzte mir manchmal eine geladene und entsicherte Pistole an eine Schläfe. Du bist wertlos, sagte er dabei. Es war die gleiche Pistole, mit der ich ihn erschoss. Ihn und den Mann nach ihm. Drei Schüsse für den einen. Vier Schüsse für den anderen. Es war blinde Wut.

Drittens. Die Geschichte von den Butterbroten. Der zweite Mann, den ich umbrachte, demütigte mich, weil ich die Butter auf meinem Brot nicht bis zum Rand strich. Er sagte, ich sei sogar zu dumm, ein Brot zu streichen. Ich versuchte, meine Butterbrote so zu streichen, wie er es wollte. Weil ich dachte. Wenn ich ihn verliere, dann ist das der Untergang der Welt.

Nur wenn mich Werner nach der Säge fragt, weiche ich aus.

Fragt mich meine Psychotherapeutin Stefanie nach meiner Beziehung zu Werner, nenne ich ihr drei Gründe dafür.

Erstens. Werner ist der Mann, der mich berührt. Hier in Asten gibt es Dreier-Sofas und Tier-Therapie. In der Justizanstalt Schwarzau hatte ich nicht einmal Körperkontakt mit einem Hund. Berührungen und Küsse bewirken mit der Zeit etwas. Menschen sind so. Ich bin auch so.

Zweitens. Werner organisiert die Besuche meiner Mutter und meines Sohnes. Will ich meinem Sohn Schokolade oder Plastilin schicken, macht Werner das für mich.

Drittens. Werner zahlt monatlich 150 Euro Telefongeld auf ein Konto der Justizanstalt Linz ein und schreibt unter Zahlungsreferenz HNR 113057. HNR für Haftnummer. 113057 für Estibaliz Carranza.

Auch das Geld ist wichtig für mich, sage ich zu Stefanie, wenn wir über Werner reden. Tut mir leid, wenn das berechnend klingt. Ich muss hier sehen, wo ich bleibe.

Mit den 50 Euro Sitzgeld, die sie uns monatlich geben, kommst du hier nicht weit. 150 Euro klingen noch immer nach wenig, doch hier hast du damit so gut wie ausgesorgt.

Ich brauche das Geld vor allem zum Telefonieren. Niemand kann mich anrufen. Es geht nur umgekehrt und telefonieren ist hier teuer. Ich brauche das Geld auch für anderes. Zum Beispiel müssen wir Häftlinge den Strom selber zahlen. Sie berechnen ihn nach der Anzahl der Geräte in unseren Zellen. Ich habe

erstens. Einen Föhn.

Zweitens. Einen Laptop.

Drittens. Einen Fernseher.

Viertens. Einen Drucker.

Macht 19 Euro Energiepauschale im Quartal. Du musst dir das Sitzen hier erst leisten können.

Häftlinge, die niemanden haben, tun sich schwer. Sie können sich keine Schokolade kaufen und auch sonst nichts, das ihnen Freude macht. Sie schnorren oder behalten ihre Tabletten bei der abendlichen Ausgabe am Gaumen oder unter der Zunge, spucken sie wieder aus und verkaufen sie. Für Tabletten findest du hier immer Abnehmer. Häftlinge, die nichts wissen wollen. Nichts mitkriegen wollen. Die ihre Zeit mit Schlafen und einem guten Gefühl im Bauch hinter sich bringen wollen.

Die Junkies verkaufen die Tabletten, die sie bei ihrem Entzugsprogramm kriegen. Benzos sind auch am Markt. Sie wirken beruhigend, angstlösend, muskelentspannend und helfen beim Schlafen. Es sind Tranquilizer, die süchtig machen und dein Hungergefühl steigern. Nimmst du Benzos, zieht alles an dir vorbei. Dafür wirst du fett.

Dass ich mich auf diese Welt nicht einlassen muss, ist einer der Vorteile, die Werner für mich hat.

Wir küssen uns.

Ich liebe dich, flüstert er.

Ich liebe dich, flüstere ich.

Wir berühren uns überall.

Ich stelle mir vor, wie die Beamten der Torwache nicht auf ihre Bildschirme schauen. Weil auch sie wissen, wie Menschen sind.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺586,81

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
161 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783990013069
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre