Kitabı oku: «Stoner McTavish», sayfa 2
»Gütiger Himmel«, sagte Stoner und warf ihn von sich, »müssen wir denn alles aufheben, was über unseren Schreibtisch geht?«
»Ich nicht, Kumpel. Du bist hier diejenige, die alles fürs Archiv aufbewahren will.«
»Na ja, man kann ja nie wissen.«
Vielleicht hat Marylou recht. Vielleicht ist Verliebtsein das, was ich brauche. Gott weiß, wie sehr ich irgendetwas brauche. Ich bin ruhelos, gelangweilt, entscheidungsunfähig und ein Feigling. Gut, ich war schon immer ein Feigling. Und vielleicht hier und da auch mal ein wenig entscheidungsschwach. Aber nicht so. Oder doch? Herrje, nicht einmal darüber bin ich mir im Klaren.
Zwei Jahre. Das ist nicht sehr lange, oder? Es tut nicht mehr weh. Aber wenn es nicht mehr wehtut, warum will ich mich dann auf keine Frau mehr einlassen? Weil ich keine getroffen habe, auf die ich mich hätte einlassen wollen, ganz einfach. Ich beschließ doch nicht einfach, dass ich mich auf etwas einlassen will, und gehe los und such mir eine aus, wie eine frische Zucchini. Man schreibt nicht einfach »Liebe« auf den Einkaufszettel und saust los zum nächsten Flirtkeller, Himmel noch mal! Ich habe kein Interesse, und damit gut. Das ist doch kein Film hier, das ist das Leben. Und im Leben gibt es ja wohl noch andere Dinge als nur Liebe.
Nenne drei. Also gut, es gibt Arbeit. Sogar Freud hat das zugegeben. Liebe und Arbeit. Und es gibt … es gibt … es gibt … die Red Sox. Red Sox! Ich finde Baseball nicht mal amüsant! Der drohende nukleare Holocaust. Na also, das ist doch etwas, worin ich wirklich verstrickt werden könnte. Ha, es macht einen richtig froh, am Leben zu sein, wenn man daran denkt.
Worein ich mich jetzt wirklich verstricken sollte, ist Linda Ronstadt in Tanglewood. Sechsunddreißig Telefonate? So schlimm kann es nicht werden. Nichts könnte so schlimm werden. Oder doch?
***
»Jetzt reicht’s«, sagte Marylou mit Nachdruck. »Wir machen den Laden dicht für heute.«
Stoner sah auf. »Wie spät ist es denn?«
»Viertel nach drei.« Marylou schloss den Wachspapierdeckel der Schachtel ihrer Dreischicht-Biskuittorte mit dem Ausdruck der Endgültigkeit.
»Das können wir nicht machen.«
»Wir sind selbständig.«
»Warum?« Stoner ging zu Marylous Schreibtisch hinüber und pappte den zugeklappten Deckel mit einem Stück Klebeband fest.
»Weil wir mit niemand anders auskommen.« Marylou starrte die Schachtel an. »Herr im Himmel, du hast aber auch einen Perfektionstick.«
»Warum machen wir zu?«
»Du brütest. Das ist schlecht fürs Geschäft. Man erwartet von uns, dass wir hemmungslosen Spaß und die Romantik des Reisens in ferne Länder versprühen.«
»Du kannst mir viel erzählen. Ich weiß nicht mal, wann du zum letzten Mal außerhalb der Stadt warst.«
»1973 war ich oben am Kap.«
»Unter Zwang.«
»Nein, mit dem Bus.«
»Du besuchst nicht mal deine Mutter, dabei sind es nur zwei Stunden bis Wellfleet.«
»Reisen«, sagte Marylou bedeutungsvoll, »ist geschmacklos. Wenn du es schick findest, von Sandflöhen durchgekaut zu werden, besuch du doch meine Mutter.«
»Du siehst deinen Vater von April bis Oktober nicht.«
Marylou fegte die Krümel von ihrem Schreibtisch. Einige davon schafften es, im Papierkorb zu landen. »Max ist vollständig glücklich mit seinen Seealgen und seinen organischen Düngemitteln.«
»Seealgen sind organische Düngemittel.« Stoner warf einen finsteren Blick auf die Krümeln am Boden. »Willst du sie da liegen lassen? Vielleicht locken sie Ratten an.«
»Prima!«, rief Marylou. »Ratten wären angenehmere Gesellschaft als du.« Sie griff nach Stoners Hand. »Meine liebe alte Freundin«, sagte sie sanft, »du weißt, wie gern ich dich hab. Aber deine Launen sind grauenhaft.«
Stoner ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid.«
»Was ist denn los mit dir?« Sie wartete einen Moment. »Los, raus damit, Stoner.«
»Ich … ich hab Angst.«
»Wovor?«
»Was, wenn sie nun hier sind?«
»Deine Eltern?«
Stoner nickte.
»Ach, Liebes, sie können dir doch gar nichts tun. Du bist über einundzwanzig!«
»Und eine missratene Aussteigerin.«
»Du bist keine Aussteigerin«, sagte Marylou bestimmt. »Die Kesselbaums lassen sich nie mit Aussteigerinnen ein.«
Stoner musste lachen. »Ihr Kesselbaums seid doch selber geborene Aussteiger.«
»Genau deswegen lassen wir uns nicht mit Aussteigerinnen ein«, sagte Marylou und schloss ihre Schreibtischschublade ab. »Das wäre zu viel des Guten, man muss irgendwo Grenzen setzen.« Sie ließ den Schlüssel in ihre Brieftasche gleiten. »Kommst du, oder soll ich dich hierlassen, um den Nachtwächter zu erfreuen?«
***
Sie erreichten das alte Haus oberhalb des Parks. Die Luft hing über der Stadt wie regungsloses Wasser. Selbst der Verkehr wirkte beklommen. Ahorn- und Buchenblätter ließen sich erschöpft von den Zweigen fallen. Auch die Tauben regten sich kaum, führten gurrend Selbstgespräche, während sie halbherzig an den Rissen im Pflaster herumkratzten. Am Fuß der Treppe gefror Stoner zur Salzsäule.
»Sie sind hier. Ich weiß es.«
»Tante Hermione würde dir das nicht antun«, sagte Marylou.
»Vielleicht blieb ihr nichts anderes übrig?«
»Wenn das der Fall ist, machen wir vielleicht besser, dass wir reinkommen, denn dann haben sie sie wahrscheinlich gefesselt und geknebelt im Garderobenschrank verstaut.«
Verängstigt, elend und mit dem Gefühl, sich vollends lächerlich zu machen, setzte sich Stoner auf die unterste Treppenstufe. »Ich hasse mich.«
»Warum?«
»In meinem Alter Angst vor meinen Eltern zu haben.«
Marylou glättete ihren Rock, der es fertiggebracht hatte, sich in Wülsten um ihre Taille zu rollen. »Na ja, sie können ziemlich scheußlich sein. Ich persönlich weiß nicht recht, warum du dich jedes Mal dazu überreden lässt, mit ihnen essen zu gehen, wenn sie sich dazu herablassen, einen Abstecher in die Großstadt zu machen.«
Stoner fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Sie würden einen Riesenaufstand machen, wenn ich mich weigern würde.«
»Soweit ich diese Mahlzeiten nach deiner Beschreibung beurteilen kann, verlaufen sie auch nicht gerade idyllisch.«
»Du hältst mich bestimmt für fürchterlich feige?« Stoner wagte nicht aufzusehen.
»Stoner, ich habe eine Mutter, die Gerüchten zufolge eine Psychoanalytikerin von ziemlicher Bedeutung ist. Sie fährt einen weißen Lincoln Continental mit Faltdach, tankt nur an freien Selbstbedienungstankstellen, um Pfennigbeträge zu sparen, und müllt das ganze Haus mit Plastikverpackungen aus Schnellrestaurants voll. Mein Vater ist so sanftmütig, dass er Depressionen bekommt, wenn er Unkraut zupfen muss, obwohl sonst in den Beeten nichts mehr wachsen könnte. Und das einzige Lebensziel meiner Schwester besteht darin, weiterhin friedlich in ihrem Bungalow auf Hawaii vor sich hin zu leben, mit ihren vier Kindern, die nicht wissen, was es bedeutet, wenn man Kleidung tragen muss, und mich mit Kona-Kaffee und Schotternüssen zu versorgen.« Sie zuckte die Achseln. »Was weiß ich denn darüber, wie es ist, vor seiner Familie Angst zu haben?«
Stoner schwieg.
»Als du vorigen April mit ihnen essen warst, kamst du anschließend nach Haus und betrankst dich bis zur Besinnungslosigkeit. Und die folgenden drei Tage hast du dann damit verbracht, wie ein verlorenes Kalb herumzulaufen und dich permanent dafür zu entschuldigen, dass du überhaupt existierst. Davon ausgehend kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass sie keine liebenswerten Leute sind.«
»Sie haben versucht, Tante Hermione ins Gefängnis zu bringen, weil sie mich aufgenommen hat.«
»Ich weiß.«
»Sie hätten es beinahe geschafft, mich in eine Irrenanstalt zu stecken. Wenn deine Mutter nicht gewesen wäre …«
Marylou packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Stoner, jetzt hör mir mal zu. Das ist lange her. Sie haben es damals nicht geschafft und hätten heute nicht die geringste Chance. Sie können dafür sorgen, dass du dich mies fühlst, aber sie können nicht mehr in dein Leben eingreifen.«
Stoner sah zu ihr hoch und seufzte. »Tut mir leid.«
»Los jetzt«, sagte Marylou und zog sie hoch. Sie schob Stoner vor sich her die Stufen hinauf. »Oh, Scheiße«, murmelte sie, »ich hab den Wein vergessen.«
***
Stoner kochte Kaffee, während Marylou den Brotkasten durchstöberte. »Ich fürchte, es ist nicht viel da«, erklärte Stoner. »Mrs. Bakhoven ist im Urlaub.«
»Wie rücksichtslos von ihr«, sagte Marylou und ging zum Kühlschrank über.
»Tante Hermione hat ihr geweissagt, sie werde eine große Reise machen, also macht sie eine.«
»Ach, es kann nur besser werden als das, was ich zu Hause hab. Mutter kam voriges Wochenende runter und bombardierte mich mit all dem Zeug, was sie im Laufe des vorigen Sommers eingekocht hat.« Marylou hatte ein übriggebliebenes Stück Kirschtorte ergattert und trug es triumphierend zum Tisch. »Weißt du, was ich an deiner Tante liebe? Auf sie ist Verlass.«
Stoner goss Kaffee ein und setzte sich hin. »Wenn der Notfall nicht meine Eltern sind, was ist es denn?«
»Hat sie nicht gesagt.«
»Hast du sie nicht gefragt?« Sie begann, eine Art Kälte auf der Innenseite ihrer Gesichtshaut zu verspüren, ein sicheres Zeichen aufkommender Panik.
»Nun, offenbar ist es nicht so ernst, dass es nicht bis zum Abendessen warten könnte.«
»Bis nach dem Abendessen. Wir besprechen nie etwas während des Essens. Sie sagt, das wirft die Elektrolyten aus dem Gleichgewicht.«
»Wahrscheinlich tut es das«, meinte Marylou.
Tante Hermione schoss durch die Schwingtür herein, ihre Perlenketten und Armbänder klingelten. »Rasch«, rief sie laut, »Kaffee!« Sie warf sich auf das Plaudersofa, und Stoner stand auf, um eine Tasse zu holen. »Hast du frischen gemacht, Stoner?«
»Ja.«
»Die Thermoskanne ist noch voll.«
»Oh«, sagte Stoner etwas betreten. »Daran hab ich nicht gedacht.«
Marylou wedelte mit der Gabel durch die Luft. »Tante Hermione, du solltest diese Dinger nicht benutzen. Sie sind barbarisch. So was stellen sie immer in Motelzimmern auf.«
»Woher willst du denn das wissen?«, fragte Stoner.
»Ja, ich weiß«, sagte Tante Hermione. »Aber diese hier kam eines Tages mit der Post. Ich hatte sie natürlich nicht bestellt. Ich würde nie so ein hässliches Ding bestellen, am allerwenigsten in einem Versandhaus. Aber es kam einfach. Also dachte ich, vielleicht ist es ein Zeichen.«
Stoner hielt es nicht länger aus. »Meine Eltern sind hier, ja?«
»Oh, mein Gott«, sagte Tante Hermione, »ich dachte, wir würden sie wenigstens ein halbes Jahr nicht zu Gesicht bekommen, und es ist doch erst« – sie zählte an den Fingern rückwärts bis April – »vier Monate her!«
»Ich dachte, das sei der Notfall«, sagte Stoner. »Ich dachte, sie sind hier.«
Tante Hermione starrte sie ungläubig an. »Hier? In diesem Haus? Also wirklich, Stoner!«
»Sie hat heute einen schlechten Tag«, sagte Marylou.
»Vermutlich prämenstruelle Spannungen. Ich danke den Göttern für die Menopause.«
»Ich glaube, was sie braucht, ist eine Liebesaffäre«, verkündete Marylou.
»Marylou …«, sagte Stoner warnend.
»Aber, Marylou, was für eine absolut entzückende Idee! An wen hast du dabei gedacht?«
Stoner rubbelte sich verzweifelt mit beiden Händen das Gesicht. »Ich brauche keine Liebesaffäre. Ich hatte nur Angst, meine Eltern wären hier. Ich hatte Angst, du hättest sie zum Abendessen eingeladen.«
Tante Hermione wechselte einen Blick mit Marylou. »Weißt du, Marylou, manchmal fürchte ich, Stoner ist ein wenig … angeschlagen. Hat deine Mutter jemals von der Möglichkeit eines Gehirnschadens gesprochen?«
»Tante Hermione«, presste Stoner zwischen den Zähnen hervor, »was ist der Notfall?«
»Du wirst es abwarten müssen.« Ihre Tante hob erzieherisch einen Zeigefinger in Stoners Richtung. »Es hat mit einer Klientin von mir zu tun, Eleanor Burton. Ich finde, sie sollte es selbst vorbringen.«
»Ach«, Stoner fühlte, wie der Druck von ihr wich und sich ihr Körper entspannte. »Ist es die Person, die gerade bei dir war?«
Tante Hermione stieß einen Seufzer des Überdrusses aus. »Nein, das war ein Neuer. Ein junger Mann. Sehr bemüht, sehr offen und sehr, sehr mystisch. Aber die ödesten Handlinien, die ich je gesehen habe. Dieser Junge hat ein Leben vor sich, das selbst einen Buchhalter langweilen würde. Meine Vorstellungskraft ist bei ihm völlig überfordert.«
»Nimm etwas Kirschtorte«, sagte Marylou teilnahmsvoll.
»Nein danke, Liebes, sie ist nicht mehr frisch genug, um daraus zu lesen.«
Marylou ließ ihre Gabel fallen und griff sich an die Kehle. »Ich bin vergiftet!«
Stoner lachte. »Sie ist in Ordnung. Ich hatte etwas davon zum Frühstück.«
»Äääh«, sagte Marylou, »ihr seid widerlich.«
Kapitel 2
Stoner bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Essen, dem Tischgespräch und den kugeligen Wandleuchtern aus Messing zu verteilen, in denen die Bienenwachskerzen tapfer vor sich hin glühten. Das Licht war golden, die Schatten fielen satt sepiabraun, und eine sanfte Süße schwang in der Luft. Von Zeit zu Zeit schaute sie verstohlen zu Mrs. Burton hinüber und fragte sich, was sie bedrücken mochte. Die alte Dame war zierlich, geradezu zerbrechlich, die Linien um ihre Augen herum scharf und tief vor Sorge. Stoner hatte nicht den Eindruck, dass die Hohlwangigkeit des Gesichts von ihrem Alter herrührte, eher von zu wenig Schlaf. Ihre Finger spielten ruhelos mit dem Tafelsilber und umklammerten den Serviettenring. Stoner kämpfte gegen das Verlangen, alle Regeln des guten Anstands über Bord zu werfen und einfach zu fragen, was ihr fehlte.
Sie versuchte, wieder Anschluss an das Gespräch zu finden. »Mein Vater meint«, sagte Marylou gerade, »dass Unkraut jetzt ganz groß im Kommen ist. Es speichert die Feuchtigkeit, spendet zarteren Gewächsen Schatten und lässt sich sogar zur Ablenkung oder als Falle für Schädlinge gebrauchen.«
»Aber es sieht so unordentlich aus«, bemerkte Tante Hermione. »Was meinen Sie, Eleanor?«
Mrs. Burton sah von ihrem Teller auf. »Verzeihung, wie bitte?«
»Was halten Sie von Unkraut?«
»Entzückend«, murmelte Mrs. Burton und pickte höflich an dem Kalbfleisch in Marsalasauce herum.
»Nehmen Sie doch noch etwas Wein, Eleanor. »Tante Hermione füllte ihr Glas nach. »Meine persönliche Vorliebe«, sie wandte sich wieder Marylou zu, »gilt der französischen Aufbaumethode. Besonders für Stadtgärten eignet sie sich sehr.«
»Ja«, sagte Marylou, »aber wir haben gerade erst angefangen, Unkraut überhaupt zu begreifen. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Denkt nur mal an dieses Schuttunkraut, ich meine Amarant.«
Stoner schmunzelte in sich hinein. Denkt nur mal an Schuttunkraut, in der Tat. Marylou würde Amarant, ohne mit den Achseln zu zucken, genauso leidenschaftlich vertilgen wie Eierbiskuits.
»Also«, erklärte Tante Hermione, »ich bin wirklich eine Freundin von Fortschritt und Veränderung, aber du wirst mir nicht weismachen, dass Schweinekohl zu irgendetwas nutze ist.«
»Außer für Schweine«, schlug Stoner vor.
Marylou und Tante Hermione starrten sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte. »Du kannst hier in Boston keine Schweine halten«, sagte Marylou. »Es gibt Bestimmungen dagegen.«
»Ich meinte ja nur …«
»Ich wusste gar nicht, dass du Schweine gern hast«, warf Tante Hermione ein.
»Sie sind in Ordnung.«
Tante Hermione wandte sich an die anderen. »Manchmal wünschte ich, wir würden nicht in der Großstadt leben. Ich weiß, dass Stoner wahnsinnig gern einen Hund hätte, aber hier könnte es nur ein ganz kleiner Hund sein, und kleine Hunde sind so unbefriedigend. Besonders, wenn man so temperamentvoll und unausgeglichen ist wie Stoner.«
»Bin ich nicht«, protestierte Stoner.
»Nur in Bezug auf Hunde, Liebes. Aber Schweine! Ich kann mir nicht vorstellen, dass du die Genehmigung bekommen würdest, eines zu halten, nicht mal, wenn es ein sehr kleines, sehr sauberes Schwein wäre.«
»Ich möchte gar keine Schweine halten«, sagte Stoner.
»Aber wenn du gern mal ein Schwein sehen möchtest, könnten wir zur Drumlin-Farm rausfahren. Ich bin sicher, dass sie da auch Schweine halten, meinen Sie nicht auch, Eleanor?«
»Entzückend«, sagte Mrs. Burton und goss sich ein weiteres Glas Wein ein.
»Vielleicht erlauben sie dir, eins zu streicheln, obwohl ich persönlich die Vorstellung eher abschreckend finde. Aber du wirst schon wissen, was du tust, Stoner. Du weißt es ja immer.«
Oje, Tante Hermione war voll in Fahrt. Hätte sie etwas Zeit und nur den Schimmer der Aussicht auf Erfolg, würde sie versuchen, die Sachlage aufzuklären. Aber Tante Hermione war ihren sprunghaften Abschweifungen verfallen, gelegentlich betrieb sie sie geradezu fanatisch, und es gab nichts, was man dagegen tun konnte, außer abzuwarten, bis sie fertig war.
Nicht, dass Stoner irgendetwas gegen Schweine hatte. Es schienen ganz leutselige Wesen zu sein, obwohl manche Menschen die Ansicht vertraten, sie könnten extrem boshaft sein. Aber was konnten sie einem schon tun, außer mit ihren Schnauzen zu knuffen? Und dem konnte man leicht ausweichen, indem man einen Schritt zur Seite machte. Sie hatte einmal gehört, dass sie es liebten, im Ozean zu schwimmen. Eine Vorstellung, die sie zu eigentümlichen Visionen inspirierte, in denen riesige Scharen – Herden? – Völker? – von ihnen zu den Stränden galoppierten und Richtung Frankreich aufbrachen, um nach Trüffeln zu schnüffeln. Sie fragte sich, wie sie es fertigbrachten, mit diesen winzigen behuften Füßen zu schwimmen. Vielleicht war das Ganze auch bloß ein Gerücht, eine kleine, von der Regierung gezielt unter die Leute gestreute Fehlinformation, um die allgemeine Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass die Wirtschaft gerade mit fliegenden Fahnen den Bach runterging.
Aber jetzt gab es erst einmal diesen Notstand in den eigenen vier Wänden. Nicht, dass irgendjemandes Verhalten darauf hinwies, dass etwas Dringendes anlag, außer dass Mrs. Burton bis zum Dessert vermutlich einer Alkoholvergiftung erliegen würde. Tante Hermione ihrerseits glaubte schließlich an das Schicksal, was sie der Notwendigkeit enthob, in welcher Situation auch immer, zu unmittelbaren Aktionen schreiten zu müssen – ein Standpunkt, den Stoner manchmal auch furchtbar gerne gehabt hätte, und der sie andererseits manchmal so auf die Palme brachte, dass sie am liebsten schreiend in die Nacht hinausgelaufen wäre. Marylou wiederum war stets so leidenschaftlich in was-auch-immer-gerade-geschah vertieft, dass sich alles andere – Zukunft, Vergangenheit oder atomare Aufrüstung – in ungewissem Dunst aufzulösen schien.
Stoner beneidete sie beide, obgleich der Gedanke, so zu leben, sie erschreckte. Wie Tante Hermione gern sagte: »Stoner muss immer genau wissen, wo die Ausgänge sind.«
Sie warf einen verstohlenen Blick auf Mrs. Burton, die jetzt eigentümlich langsam zitterte – oder war es eher ein extrem schnelles Schwanken? Es war schwer zu sagen, welches von beidem zutraf. Was in aller Welt, fragte sie sich erneut, konnte eine süße kleine alte Dame zu solch desperatem Verhalten treiben? Süße kleine alte Dame? Eleanor war klein – so viel war sicher, weil unübersehbar –, aber war sie süß? War sie eine Dame? Ja, war sie überhaupt, genau genommen, wirklich alt? Älter als Tante Hermione, zumindest geistig seniler, wohl schon, aber nicht unbedingt viel älter. Und man hatte schon von alten Leuten gehört, die die erstaunlichsten Dinge anstellten. Sogar süße alte Leute. Sogar süße alte Damen. Man denke nur an die zwei aus ›Arsen und Spitzenhäubchen‹– bei denen stapelten sich die Leichen wie Feuerholz im Keller. Ob es in Mrs. Burtons Keller Leichenstapel gab? Und wenn, wie viele mochten es sein? Nein, nicht mehr als eine Leiche, davon war sie felsenfest überzeugt. Mrs. Burton verfügte ganz offensichtlich nicht über die für mehrfachen Mord nötige Kaltblütigkeit.
Eine Leiche also. Begleitumstände, auslösendes Moment? Ein Kostgänger ihres Vertrauens wird unerwartet plötzlich gewalttätig. Die ältliche Frau schlägt zurück, um sich zu verteidigen, mit der Kraft, die die Todesangst verleiht. Der klassische Kopf-gegen-Kaminsims-Poker – Full House. Ein diskretes Begräbnis unterm Kohlenhaufen. Furcht und Gewissensbisse werden übermächtig. Im Schutz und Halbdunkel des Salons ihrer Handleserin kann sie schließlich die Bürde nicht länger tragen und beichtet ihre heimliche Schuld.
Was nun? Tante Hermione schlägt vor, Stoner und Marylou einzuweihen, die, weil eher weltlich, eine gute Idee haben könnten.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, platzte Stoner heraus. »Ich bin sicher, wir können sie überzeugen, dass es ein Unfall war.«
»Oh, das habe ich doch versucht«, sagte Mrs. Burton. »Nicht ein Unfall, aber ein Fehler. Sie wollte nichts davon hören!«
»Beachten Sie Stoner nicht«, sagte Marylou. »Sie führt Selbstgespräche.«
»Genau wie sie«, wimmerte Mrs. Burton. Ihr Kinn zitterte.
»Ich schlage vor, wir gehen ins Wohnzimmer.« Tante Hermione stand auf und faltete ihre Serviette zusammen. »Wir können die Linzer Torte auch dort zu uns nehmen.«
»Für mich bitte keine, vielen Dank«, sagte Mrs. Burton. »Ich nehme nur noch ein wenig von diesem entzückenden Wein.«
Marylou verdrehte die Augen. »Linzer Torte! Tante Hermione, du alte Füchsin, warum hast du mir das verheimlicht? Jetzt hab ich mich total vollgestopft!«
»Du kannst deine mit nach Hause nehmen, Marylou. Ich habe noch eine ganze, extra für dich.«
»Du müsstest heiliggesprochen werden.«
»Unmöglich«, sagte Tante Hermione. »Ich bin Agnostikerin.«
»Ich würde jeden Abend zu dir beten«, sagte Marylou.
»Nun, das kannst du auch so tun, Liebes. Stoner, könntest du Eleanor einen Arm reichen? Es scheint, dass ihr Gleichgewichtssinn etwas durcheinander ist.«
Die schweren Vorhänge im Wohnzimmer waren geschlossen, aber der Raum war kühl. Über ihren Köpfen spendete eine Tiffany-Deckenlampe ihr weiches, vielfarbiges Licht. Stoner streckte in einem überpolsterten Lawson-Stuhl alle viere von sich, während Tante Hermione sich auf die vorderste Kante eines Schaukelstuhls mit Sprossenlehne setzte und ihr Strickzeug entrollte. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, Eleanor«, sagte sie. »Haben die Hände zu tun, wird der Kopf klar.«
Mrs. Burton zupfte sich ihren Ärmel zurecht. »Natürlich«, murmelte sie gedankenverloren.
Marylou füllte alle Weingläser nach, obwohl Stoner ihres kaum angerührt hatte. »So!« Sie ließ sich neben Mrs. Burton auf das Sofa plumpsen. »Jetzt zum geheimnisvollen Teil.«
»Marylou …«, warnte Stoner.
Mrs. Burton klammerte sich an ihrem Notizbuch fest. »Sie werden sicherlich denken, ich sei eine übergeschnappte alte Närrin, die sich alles Mögliche einbildet.«
Das klang nicht sehr nach Skelett-im-Kohlenkeller. »Aber keineswegs!«, sagte Stoner.
»Meine Enkelin denkt das.« Mrs. Burton klang todtraurig. Sie seufzte. »Und manchmal misstraue ich meinen eigenen Wahrnehmungen.« Sie nahm einen herzhaften Schluck Wein und setzte sich aufrecht. »Aber ich weiß, was ich weiß, und ich verdächtige, wen ich verdächtige. Und ich weiß, dass etwas Schreckliches geschehen wird.«
Dies klang immer weniger nach einem Mord aus Versehen.
Mrs. Burton warf einige wilde Blicke um sich. »Sie war nie so sehr beliebt, wissen Sie. Schüchtern und unsicher. Sie dachte, dass niemand sie mag. Und als er auftauchte, vergaß sie natürlich den Boden unter ihren Füßen. Aber ich bin vollkommen sicher, dass er von dem Geld weiß und sie das Testament geändert hat und …«
Stoner hob die Hand. »Mrs. Burton«, sie beugte sich vor, »bitte versuchen Sie, uns die ganze Geschichte zu erzählen, von Anfang an. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen.«
»Ich danke Ihnen, Liebes.« Mrs. Burton holte tief Luft. Dann wühlte sie in ihrer Handtasche und förderte eine Fotografie zutage. »Dies ist meine Enkelin, Gwen.« Sie reichte das Bild Tante Hermione. »Letzte Woche wurden sie und ein gewisser Bryan Oxnard getraut. Gwen, die Tochter meiner Tochter, ist seit ihrer Kindheit Waise. Ihre Eltern kamen bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Es war ein Charterflug. Nach Venedig.«
»So eins haben wir auch mal verloren«, warf Marylou ein.
»Dieses kann nicht Ihre Schuld gewesen sein«, sagte Mrs. Burton. »Sie waren aus Atlanta.«
Tante Hermione gab ein paar mitfühlende Geräusche von sich.
»Ihr Bruder war in Australien, deshalb kam Gwyneth zu mir. Es war so endlos lange her, dass ich Kinder im Haus hatte … Vielleicht war ich zu nachsichtig. Ich glaubte, ihr alle Liebe zu geben, die sie brauchte, aber …« Mrs. Burton zog ein zerknautschtes Spitzentaschentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich damit die Augen.
»Bitte fahren Sie fort«, sagte Stoner.
»Ihre Eltern hinterließen sie gut versorgt, was das Finanzielle betrifft. Das Geld wurde in einem Genossenschafts-Vermögensfonds angelegt, bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Danach sollte sie damit verfahren dürfen, wie sie es wünschte. Sie entschied sich, es dort zu lassen, damit es sich vermehrt.«
»Wie vernünftig«, bemerkte Tante Hermione mit einem leicht missbilligenden Unterton.
»Wie alt ist sie jetzt?«, fragte Stoner.
»Dreißig. Vor etwa zwei Monaten fing er an, bei uns aufzutauchen.« Sie leerte ihr Glas. Marylou füllte es wieder.
»Er?«, fragte Stoner.
»Bryan Oxnard natürlich«, sagte Marylou. »Du musst schon aufpassen, Stoner!«
Stoner sah sie finster an. »Ich versuche es. Also Gwyneth … Gwen …«
»Das ist ein und dieselbe Person«, erklärte Mrs. Burton. »Gwen ist die Kurzform für Gwyneth.«
»Keltisch«, bemerkte Tante Hermione.
»… heiratete Bryan«, Stoner ließ nicht locker, »nachdem sie ihn erst kurze Zeit kannte, und änderte ihr Testament, um – wie ich annehme – ihm ihr Geld zu hinterlassen.«
»Genau so!«, rief Mrs. Burton. »Kluges Mädchen.«
»Frau«, sagte Stoner.
Tante Hermione nickte stolz. »Nun brauchen Sie alles Weitere nur noch Stoner zu überlassen.«
Marylou lachte.
»Bitte«, sagte Stoner, »erzählen Sie mir mehr.«
»Daphne und Richard, Gwens Eltern, heirateten 1945. Im April. Es war eine aufregende Zeit. Der Krieg neigte sich dem Ende zu, die Jungs kamen zurück. Gwens Vater war im Einsatz verwundet worden. Ich glaube, er ließ sich eine Munitionskiste auf den Fuß fallen, in Brighton. Daphne begegnete ihm in einem Militärhospital. Sie machte dort Freiwilligendienst, verstehen Sie?«
»Ja«, sagte Stoner. »Ich meinte eigentlich, erzählen Sie mir mehr über Bryan …«
Mrs. Burton ignorierte sie. »Das war im Januar. Drei Monate später waren sie verheiratet.« Ein Ausdruck des Entsetzens und der Panik huschte über ihr Gesicht. »Ach, du liebe Güte! Halten Sie es für möglich, dass das mit dem überstürzten Heiraten in der Familie liegt?«
»Ich glaube nicht, dass das erblich ist«, meinte Marylou. »Andererseits, in einer Umgebung, in der solche Dinge als vernünftiges Betragen akzeptiert werden …« Sie hob in einer bedeutungsvollen Geste beide Hände und richtete die Innenflächen zur Zimmerdecke, »… man kann nichts ausschließen.«
»Marylous Mutter ist eine berühmte Psychoanalytikerin«, erklärte Tante Hermione.
»Oh, wie reizend«, sagte Mrs. Burton.
Stoner seufzte. »Sie sagten gerade, dass Gwen …«
»Donald, das andere Kind, wurde genau neun Monate nach der Hochzeit geboren. Ein Flitterwochenkind.«
»Wassermann oder Fische?«, fragte Tante Hermione.
»Wassermann. Gwyneth ist Fische. Aszendent Krebs.«
»Kinder, Kinder«, sagte Tante Hermione. Ihr Wollknäuel kullerte von ihrem Schoß und rollte unter das Sofa. Stoner kroch hinterher und legte es zurück. »Sehr, sehr gefühlsbetont!«
Stoner näherte sich langsam der Hysterie. »Bitte, was ist mit Bryan?«
Mrs. Burton dachte einen Augenblick angestrengt nach. »Ich glaube, er ist … Löwe. Ja, das ist richtig. Löwe.«
Stoner fuhr sich voller Verzweiflung mit den Händen über das Gesicht. »Was wissen Sie sonst noch über ihn?«, fragte sie so gelassen, wie sie konnte.
»Sehr wenig«, sagte Mrs. Burton. »Er sagte, er sei neu in der Stadt und arbeite in der Investmentabteilung einer Bank.«
Oha. »Und, tat er es?«
»Was?«
»In der Investmentabteilung arbeiten?«
»Oh, ja. In dem Fall stimmte es.« Mrs. Burton beugte sich vor und tätschelte Stoners Hand. »Sie müssen verstehen, Gwen hält sich selbst für ein Mädchen von eher durchschnittlichem Aussehen.«
»Frau«, sagte Stoner.
Marylou, die gerade im Begriff war, ihr Glas nachzufüllen, nahm von Tante Hermione das Foto entgegen. Sie stieß einen Pfiff aus.
»Sie war ein allerliebstes Baby«, sagte Mrs. Burton. »Könnte ich nur noch einen Fingerhut voll von diesem entzückenden Wein haben, meine Liebe? Ich danke Ihnen. Ein liebes Baby. Weinte nie, schlief fast von Anfang an die Nacht durch. Sie war seitdem immer so, süß und verträglich, niemals Quengeleien, immer bemüht, Freude zu machen …« Ihre Stimme brach. »Es hat nie ein böses Wort zwischen uns gegeben, bevor er auftauchte.«
Marylou reichte Stoner das Bild. Sie warf einen Blick darauf und verschluckte sich. Gwen war nicht unbedingt eine Schönheit im üblichen Sinn, aber obwohl das Foto aus einiger Entfernung aufgenommen und leicht verwackelt war – Billigkamera, dachte Stoner –, schien das Gesicht dieser Frau Wärme und zugleich Verletzlichkeit auszustrahlen … Aus irgendeinem Grund musste Stoner feststellen, dass sie errötete.
»Sie ist … entzückend«, sagte sie.
»Wie wär’s mit noch etwas Wein?«, fragte Marylou. »Ich hole noch eine Flasche.« Auf dem Weg zur Tür warf sie Stoner einen prüfenden Blick zu.
»Lass das«, raunte Stoner unterdrückt. Sie wandte sich Mrs. Burton zu. »Gehe ich recht in der Annahme«, sie hoffte, dass ihre Stimme nicht schwankte, »dass Sie und – äh – Gwen sich über Bryan uneinig waren?«
»Es war furchtbar.« Mrs. Burton fing wieder an zu weinen.
»Da-da«, murmelte Tante Hermione und fügte ein weiteres Wollknäuel zu ihrem Strickzeug.
Mrs. Burton riss sich zusammen. »Ich denke, eigentlich war es die Schuld meiner Tochter.«
»Bitte?« Stoner sah sie entgeistert an.