Kitabı oku: «Sarah Kern - LEBEN!», sayfa 2
Das zweite Leben der Sarah Kern:
Schicksalhafter Weg in die Modelkarriere
Was meine berufliche Karriere als Model betrifft, so kam ich in etwa dazu, wie die Jungfrau zum Kind. Nach wie vor auf der High School in Daytona Beach, weilte ich gerade bei meinen Eltern in Düsseldorf, wo mein Vater das Haus für einen Freund gebaut hatte. Aus diesem Anlass gab dieser ein Diner. Neben anderen Gästen war auch ein Ehepaar eingeladen, das sich besonders angeregt mit meinen Eltern unterhielt. Der Mann zeigte sich auch sehr begeistert von mir, und wie sich schnell herausstellte, hatte es etwas damit zu tun, dass er seines Zeichens bekannter Fotograf in Düsseldorf war.
Soweit ich mich erinnere, waren seine Worte an meine Eltern diese: »Also hört mal, eure Tochter ist ja der Wahnsinn. Habt Ihr Zeit, morgen um drei?!«
Dann sah er mich an, als wäre seine Idee schon ausgemachte Sache: »Da kommst du zu „Model Pool“, das ist die angesagteste Modelagentur in NRW.«
Gesagt, getan. Weder ich noch meine Eltern sahen einen Grund, es nicht zu tun. Am nächsten Tag gingen mein Fürsprecher und ich gemeinsam ins Büro der Agentur, während meine Mutter unten wartete. Meine Sedcard mit Daten und professionellen Fotos wurde erstellt, und von da an entwickelte ich mich recht schnell zu einem begehrten Model, das am Tag zehntausend Mark verdienen konnte – zu der Zeit ein Topniveau. Ich bekam auch Jobs in Amerika, was für Katalog Shoots eher ungewöhnlich war aber mir bei meinem Zeitmanagement mit der Schule half. Es ging nach Phoenix in Arizona, nach Miami und so weiter, zwischendrin auch mal nach NRW – Essen-Kettwig und so – immerhin saß meine Agentur ja in Düsseldorf. Aber ich hatte Blut geleckt und wollte mehr. In Höhe meines Solarplexus spürte ich es genau, da draußen wartete viel mehr auf mich, und die Routine begann mich zu langweilen.
Mit meinen sechzehn Jahren brach ich abrupt die Schule ab, sehr zum Leidwesen meines Vaters, der das Abitur sehen wollte. Beide begannen wir Standpunkte und Argumente auszutauschen, wie ich es dank seiner Erziehung gelernt hatte. Und einem guten Wortgefecht mit einleuchtender Argumentation hätte er sich nie verschlossen, selbst zähneknirschend nicht.
»Papa, was verdient man denn als Akademiker? Was kriegt denn so ein Rechtsanwalt?«, führte ich die bisherige Berufsgruppe an, mit der ich ursprünglich geliebäugelt hatte, als ein Doppelschütze, der von Natur aus sehr gerechtigkeitsliebend und ehrlich ist. Heute weiß ich, dass Justiz und Gerichtsurteile nicht zwingend etwas mit Recht oder Gerechtigkeit zu tun haben, damals aber noch nicht.
»Na ja, ein guter bestimmt so hunderttausend Mark«, trumpfte er siegesgewiss auf.
»Du, Papa, das reicht mir nicht. Ich mache mehr, vertrau‘ mir. Ich mache jetzt Millionen mit Modeln, don‘t you worry. Da fällt mir schon was ein.«
Er sah mich eindringlich an, um mir letztlich meinen Willen zu lassen: »Ja gut, Kind, wenn du das jetzt sagst, was soll ich machen. Du hast dein Leben lang eh immer gemacht, was du wolltest.«
Ich weiß, ich weiß, meine Argumente waren alles andere als fundiert und vertrauenerweckend. Aber mein Vater kannte jede Schraube in meinem Kopf, wusste aus dem Effeff, wie ich ticke. Und er hatte mir in die Augen geschaut, darin den unbedingten Willen erkannt. Damit hatte ich seinen Segen errungen, nicht mit Argumenten.
Mein Weg führte mich nach Mailand. Nur, Milano fand ich als Model ganz schrecklich. Mit gerade einmal sechzehn Jahren wohnte ich in einer Model-WG und musste erkennen, dass der Weg zur Karriere dort scheinbar nur durch die Betten von Fotografen, Modelscouts und Agenturkunden führte. Dabei gehörte meine Agentur zu den sehr guten, war in meinen Augen aber nichtsdestotrotz auch verdorben und korrupt. So wurde vorausgesetzt, dass Models unter Vertrag auch für „gesellige“ Abendessen mit Klienten bereitstanden. Das mutete schon wie ein schmuddeliger Hostessenservice an. Neue Blondinen unter achtzehn Jahren sorgten äußerst zeitnah dafür, dass die Stretchlimos reicher Säcke vor dem Haus unserer Model-WG vorfuhren, weil die „Herren“ sich von der Agentur offensichtlich über neues „Frischfleisch“ informieren ließen. Bei dem Andrang musste ich keine Hellseherin sein, um zu verstehen, dass lukrative Nebeneinnahmen in Form von Vermittlungsprovisionen flossen. Aus erster Hand erfuhr ich, dass einzelne Mädchen mit den Klienten ins Bett gingen. Eine blutjunge US-Amerikanerin erzählte mir, wie es mit einem alten Mann aus dem Restaurant direkt ins Hotelzimmer gegangen war – für lieblosen schnellen Sex.
»Warum hast du das mitgemacht?«, fragte ich sie verständnislos.
»Von irgendwas muss ich ja leben«, bekam ich zu hören.
Das gab mir in doppelter Hinsicht zu denken. Zunächst einmal, wo war da der Unterschied zwischen Model und Hure? Und eine einträgliche Alternative war der Agentur bei diesem Geschäftsmodell auch sicher. Erhielt ein Model zu wenig Aufträge und war deshalb knapp bei Kasse, hielt man eine vermeintliche Lösung parat.
Auch Drogen gehörten zum „Spiel“, standen auf sogenannten Model-Partys von und für Männer der guten Gesellschaft – mit Geld bis zum Abwinken – auf fetten Tellern bereit. Schampus und Koks waren keine Ausnahme, sondern die Regel.
Selbst die „Bullen“ auf der Straße pfiffen einem hinterher und ließen den Gockel heraushängen: »Ciao bionda«, bla bla bla, rhabarber rhabarber. Ich konnte den Scheiß irgendwann nicht mehr hören.
Schon etwa ein halbes Jahr lebte ich als Model in Mailand und hielt mich so gut es ging von den Untiefen des Geschäftes fern. Es blieb aber nicht aus, hin und wieder auch ins Restaurant eingeladen zu werden und Konversation mit Agenturpartnern zu betreiben. Ein Mann namens Dino, Italiener aus Mailand, saß bei einer Gelegenheit am vollbesetzten Tisch direkt neben mir und war angetan. Sympathisch fand ich ihn durchaus auch. Trotzdem machte ich aus meiner Einstellung keinen Hehl und schlug ihm frech lachend vor, sich für den späteren Abend besser an die anderen Mädchen zu halten.
»Ich will gar nichts von dir, du freche Dänin, du. Ich habe da auch meine klare Einstellung. Aber ich finde dich witzig, du hast Charakter. Ich werde dich beschützen.«
Und mit wohlwollendem Grinsen ergänzte er: »Wenn ich dich nicht haben darf, darf dich auch kein anderer verspeisen. – Komm doch morgen zu mir, ich gebe eine Party. Du wirst es mögen. Was hältst du davon?«
Etwas an seiner offenen Art und dem charmanten Humor sagte mir, ich konnte ihm vertrauen. Auch lud er die übrigen Models am Tisch nicht ein, obwohl er mit denen auf Wunsch leichtes Spiel gehabt hätte. Ja, ich war bereit, den kleinen Italiener am nächsten Tag zu besuchen.
Die Gasse lag in einem alten Teil der Innenstadt. Sie war breit und wirkte mit dem alten Mauerwerk der Fassaden, den gusseisernen Straßenlaternen düster. Auch war die Sonne bereits untergegangen, was zu der Stimmung beitrug. Wo war die gesuchte Hausnummer? Sollte etwa jenes „Scheunentor“ dazugehören? Und wirklich, so war es. Nicht schäbig, aber auch nicht gerade ein herrschaftliches Eingangsportal. Ich hatte etwas anderes erwartet und haderte, zumal die gesamte Häuserfront keinen Glanz verströmte. Anstatt einer Klingel, die ich vergeblich suchte, gab es einen Metallstab, der durch Ziehen einen Mechanismus auslöste. Weil mir das befremdlich vorkam, klopfte ich zur Sicherheit auch gegen das massive Holz.
Kurz darauf wurde das Portal geöffnet, und die noch junge Stéphanie von Monaco stand mir gegenüber. Ein kurzes »Salut!« und »Au revoir!«, und sie spazierte in der Gasse davon. Sieh an, so falsch konnte ich wohl doch nicht sein und trat ein in eine andere Welt, irgendwo zwischen Kitschroman und Walt-Disney-Märchen. Nach links oder rechts? Beide Richtungen bot mir der Kiesweg im üppig begrünten Innenhof an. Ich entschied mich für rechts und passierte einen künstlichen See, den ich über eine verspielt surreale Holzbrücke überquerte. Die Krönung des Absurden waren zwei lebende Schwäne inmitten des Gewässers, die einander zugewandt nun auch noch die Hälse zum Herz formten. Mein lieber Mann, Dino, du trägst aber mächtig dick auf, dachte ich noch und was es wohl kostete, eine ganze Hollywood-Kulisse nach Italien verfrachten zu lassen.
Das Haus stand offen, und ich befand mich auch schon inmitten eines rauschenden Festes mit sexy Schönheiten und auch sonst allem, was gewöhnlich eine Model-Party ausmachte. Was für ein Kontrast, wie in einem Fellini-Film. Die Einrichtung war geschmackvoll und gediegen, überall namhafte Fotokunst. Bei anderen Gästen, die offensichtlich selber fremd waren, aber dennoch zwanglos ihrer Langeweile bekämpften, fragte ich nach dem Gastgeber. Niemand wusste nichts Genaues. Zwei Etagen hatte das Haus außer dem Erdgeschoss, also begann die Suche.
»Dino, Dino!«, rief ich mantraartig.
Wenn ich schon einmal dort war, wollte ich ihn auch sehen, und zu den oberflächlichen Weibern im Erdgeschoss wollte ich mich keinesfalls setzen, da wäre ich lieber wieder gegangen. Verdammt nochmal, wo war er! Wie ich während meiner Entdeckungstour herausfand, gab es noch ein abgedunkeltes Kellergeschoss, was nichts anderes war als eine Schwimmhalle – aber ohne Dino. Am Ende zählte ich im Ganzen vier Kellergeschosse. Kaum zu glauben, wer nannte denn so etwas sein Eigen? Das war ja tiefer als die Moskauer Metro! Monumentale Palastarchitektur und prunkvolle Gewölbe mit Kronleuchtern wie dort fand ich zwar nicht, dafür aber noch eine Tennishalle, in der Dino mit einem Supermodel gerade den Tennisschläger kreisen ließ.
Er freute sich mich zu sehen und unterbrach die Partie für eine eingehende Unterhaltung. Auf der Treppe zur Tennishalle sitzend, erzählten wir uns von unserem Leben, und er bekräftigte sein Versprechen, während meiner Zeit in Italien auf mich aufpassen zu wollen. Dieser Mann begegnete mir ohne Hintergedanken, nur auf Grundlage von Sympathie und Respekt. In Mailand blieb er für mich die einzige Persönlichkeit von Format.
Unverhofft sollte ich wieder vor einer schwerwiegenden Entscheidung stehen, ausgerechnet während des nachmittäglichen Castings in einem Hotel – was sich so Casting nannte. Wie die sprichwörtlichen Hühner saßen richtige Prachtweiber und eben auch ich im improvisierten Vorzimmer und warteten. Eine nach der anderen wurden wir zum Gespräch hereingerufen. Als ich an der Reihe war, erwartete mich der Inhaber einer der namhaftesten Pariser Modelagenturen im Bademantel auf einem Bett liegend, der obligatorische Teller mit Koks zu seiner Linken.
Mit französischem Akzent sprach er lasziv die Worte: »Ah, petit Sarah. I make you a Megastar, if you fly with me tomorrow to Paris …«
Es war ein sehr kurzer Moment der Entscheidung, bevor ich ihm aus voller Überzeugung mitteilte, dass ich ihn weder ficken noch mit ihm nach Paris fliegen würde. Er war nicht eben amüsiert, klagte mich vielmehr entrüstet an, was ich mir wohl einbilden würde, er hätte schließlich schon … – es folgte eine Aufzählung derer, die angeblich schon durch sein Bett gegangen waren, eine zugegeben beeindruckende Namensliste.
»Wie dumm bist du eigentlich, dass du diese Chance nicht nutzt! Ich mache dich zum Megastar!«, legte er nach.
Und er hätte es wirklich getan, mir zu einer Karriere verholfen, das war mir in dem Augenblick klar. Aber wenn nicht in diesem Hotelzimmer, dann hätte ich spätestens in Paris mit ihm schlafen müssen, das war mir genauso klar. So verließ ich dieses Casting der speziellen Art, um stattdessen Kontakt zu einer anderen namhaften Pariser Modelagentur aufzunehmen. Denn nach Paris wollte ich unbedingt, weg aus Mailand. Eine Woche später war klar, ich ziehe nach Paris. Also rief ich meine Agentur in Düsseldorf an, um die aktuelle Planänderung mitzuteilen. Ich war mittlerweile siebzehn Jahre alt.
Auch in Paris lebte ich in einer Model-WG, pendelte aber regelmäßig zwischen Paris, Düsseldorf und Köln. Düsseldorf, weil ich über „Model Pool“ nach wie vor gut gebucht war, Köln, weil ich nach wie vor gerne bei meinen Eltern wohnte, wenn ich zu Besuch war. Mit achtzehn Jahren lag mein Lebensmittelpunkt endgültig in Paris. Dort liebte ich es zu wohnen, zu arbeiten, das Leben zu genießen.
Das Schicksal ließ sich etwas Neues und Tiefgreifendes für mich einfallen, als ich 1988 im Alter von neunzehn Jahren im legendären Pariser Nachtclub „Les Bains Douches“ – kurz das „Les Bains“ – saß, wo ich in mehreren Modenschauen für den renommierten deutschen Modeschöpfer und -designer Otto Kern lief. Die Marke war sehr en vogue. Nachrichtensprecherinnen trugen seine Entwürfe, die Dame von Welt zumindest die Hosen. Sein Gesicht hingegen war weniger präsent, weil er in der Öffentlichkeit selten in Erscheinung trat und die Presse weitgehend mied. Aber das nur zum besseren Verständnis. Nach einer Schau saß ich also in der unteren Etage auf der VIP-Couch, zwischen den französischen Modeschöpfern Claude Montana und Jean Paul Gaultier. Nun hatte man von besagter Couch einen direkten Blick auf die hinauf- beziehungsweise hinabführende legendäre Treppe des „Les Bains“. Unübersehbar stand dort oben, noch an der Eingangstür und sich unentschlossen durchs Haar streichend, ein Bild von einem Mann. Schwarzer Yamamoto Blazer, schwarzes enges T-Shirt und eine ebenso schwarze Lederhose, die stellenweise eng genug war, dass es Appetit auf mehr machte. Ein zweiter Jim Morrison, schoss es mir durch den Kopf.
Und nicht nur ich war entzückt, die beiden homosexuellen Herren an meiner Seite sprangen geradezu hysterisch auf: »Oh, mon dieu, c‘est Ooto!«
Dem Namen „Ooto“ schenkte ich keine besondere Beachtung. Aber wow, was ich wusste war, dass mir noch nie in meinem Leben ein so charismatischer Mann über den Weg gelaufen war, wie dieser. Als nächstes kam er die Treppe hinunter, was wiederum ein atemberaubender Anblick war. Unten angekommen, wurde dieser Ooto überschwänglich begrüßt. Er parlierte in perfektem Französisch.
»And who are you?«, wandte er sich mir zu.
So lupenrein sein Französisch auch war, seinem Englisch entnahm ich, dass es sich vermutlich um einen deutschen Otto handelte.
»Hey, bist du Deutscher?«, wollte ich es in meiner unbändigen Neugier genau wissen.
»Ja, bin ich. – Und, was machst du hier?«
»Ich laufe für so ‘nen deutschen Typen, so ‘ne deutsche Marke, Otto Kern.«
Daraufhin grinste er amüsiert: »Ja geil, dann seh‘n wir uns ja morgen, das bin ja ich.«
Ja genau, verarsch‘ mich, fiel mir dazu nur ein. Dabei war ich ja auch in Deutschland schon für ihn auf Messen gelaufen – aber eben unbekannterweise. Klar, dass der Groschen bei mir recht schnell fiel. Aber wie schicksalhaft, oder? Typisch Sarah.
Der weitere Abend verlief noch lustig, und Otto Kern persönlich fuhr mich anschließend nachhause. Ganz Gentleman, fragte er, ob er mir beim Aufsperren helfen dürfe, worauf ich trotz eines leichten Schwipses erwiderte, dass ich das gerade noch alleine schaffen könne. So trennten sich unsere Wege an diesem Abend, nicht ohne Verabredung für den folgenden Tag auf der Messe.
Zum Abendessen in einem Restaurant wurde ich eigens von seinem Chauffeur abgeholt. Ich erschien am reservierten Tisch, und da saßen sie schon: Otto Kern, acht Leute aus seinem Frankreich-Team und … ja, und eine hochschwangere Frau genau ihm gegenüber. Ein einziger Platz war noch frei – direkt neben ihm. Heilige Guacamole, dachte ich mir schon kurz darauf, weil der weitere Abend unangenehm zu verlaufen versprach. Otto Kern war mir unübersehbar zugetan, und die Dame in anderen Umständen amüsierte das ganz und gar nicht. Und dann kannte ich sie auch noch, aus dem Fernsehen nämlich. Ein Megastar in Frankreich, sie hatte unter anderem mit Louis de Funès in diesen Gendarmen-Filmen mitgespielt. Außerdem strahlte sie überall in Frankreich von den Werbeplakaten einer Zigarettenmarke. Erst später sollte ich erfahren, dass Ottos Begleiterin zwar von ihm schwanger war, eine auf Gegenseitigkeit beruhende Liebesbeziehung aber nicht mehr bestand und beide auch nicht verheiratet waren.
Ein Wiedersehen feierten Otto und ich dann während der nächsten Modemesse in Düsseldorf. Dort klärte er mich auch darüber auf, dass die Begleiterin aus dem Restaurant in Paris von ihm schwanger war, er jedoch nicht den Wunsch gehabt hätte, Vater zu werden. Außerdem hätte er die Beziehung mangels Liebe für beendet erklärt. Er legte mir gegenüber auch großen Wert darauf zu betonen, dass er gut zu dem Kind sein würde und es diesem auch finanziell an nichts fehlen würde. Es sollte kein Lippenbekenntnis sein. Otto und ich kamen zusammen, und als der kleine Otto Amadeus schließlich auf die Welt kam, schloss ich diesen zauberhaften Jungen sofort in mein Herz. Jahre später war Otto Amadeus dann auch bei der Geburt meines ersten Kindes dabei. Er gehörte eben genauso zu uns wie auch Ottos Tochter Candy aus erster Ehe. Wir wurden eine tolle Patchworkfamilie.
Das dritte Leben der Sarah Kern:
In wilder Ehe mit einem Modekönig
Zunächst ging ich weiter meinem Model-Dasein nach, zumindest versuchte ich es. Ich war ja gebunden an Agenturen in Paris, Mailand und Deutschland. Das brachte es mit sich, dass konkrete Angebote für lukrative Jobs hereinflatterten – ich war nach wie vor sehr gefragt. Das Prozedere sah vor, dass man täglich einchecken sollte, sprich die Modelagentur anzurufen hatte, um sich nach neuen Castings zu erkundigen. Nur, es kollidierte zwangsläufig mit meinen gesellschaftlichen und zunehmend auch beruflichen Verpflichtungen an der Seite von Otto Kern. Regelmäßig drei Tage in Hongkong, vier Tage in China und anderswo bedeuteten nun einmal, dass ich nicht mehr auf Abruf bereitstand, geschweige denn, mich tagtäglich mit meinen Agenturen kurzschließen konnte. Otto versuchte mich nach Kräften zu unterstützen, ließ Flüge für mich buchen oder stellte das eine oder andere Mal einen Privatjet zur Verfügung. Gut fühlte ich mich dabei nicht, denn immer wieder überstiegen die verursachten Kosten selbst meine Gagen. Aus dieser Situation heraus überzeugte er mich, die Modelkarriere doch ganz an den Nagel zu hängen. Er tat es aus reinem Pragmatismus, nicht aus egoistischen Erwägungen. Für mich war es ein Opfer, das sich als Geschenk herausstellen sollte, denn es wartete ein intensives Gestalten und Wirken hinter den Kulissen, anstelle des Agierens vor Kameras und auf Catwalks – der nächste große Schritt.
Otto Kern war zwar ein deutscher Modeschöpfer und Designer, aber eben auch ein durch und durch frankophiler Mensch, der seit seinem zwanzigsten Lebensjahr in Frankreich lebte. Zu Deutschland empfand er keine Bindung in Kultur und Mentalität, pflegte auch nur wenig Freundschaften zu Deutschen. Es entsprach ihm ganz einfach nicht. Bezeichnend war, dass auf seiner Visitenkarte folgende Standorte angegeben waren: Chateau de Villers in der Normandie, Paris in Saint-Germain-des-Prés, die Karibikinsel Saint-Barthélemy und schließlich noch Kaiserslautern. Was würdet Ihr sagen, klingt am wenigsten sexy? Ich denke, wir sind uns da einig, und so wird es auch nicht verwundern, dass sich in Kaiserslautern lediglich eine selten genutzte einfache Geschäftswohnung befand, während wir ansonsten überall auch als Familie in großartigen Häusern oder auf Anwesen lebten. Selbst um das deutsche Who‘s Who machte Otto bis auf wenige Ausnahmen soweit möglich einen Bogen. Es bedeutete ihm nichts.
Wie besagte Visitenkarte schon vermuten lässt, über das Wohnen mussten wir uns an sich keine Gedanken machen. Otto als Liebhaber Frankreichs hatte neben einem wunderschönen Landgut bei Deauville in der Normandie, was ein typisches Manoir mit Fachwerk war, eben auch noch ein Wahnsinnshaus im eleganten Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Dort fühlte ich mich von Anfang an wie in dem Märchen „die Schöne und das Biest“, wo die Protagonistin durch enge Gassen über Kopfsteinpflaster wandelt und von den Bewohnern freudig singend mit »Bonjour, Madame!« begrüßt wird. Ich liebte das Café de Flore oder das „Les Deux Magots“ mit den klassisch filigranen Brasserie-Stühlen. Bereits ab den 1920er Jahren hat sich das Viertel und seine einschlägigen Cafés zum Treffpunkt für Philosophen, Künstler, Filmschaffende und Intellektuelle insgesamt entwickelt. Kam ich aus der Haustür, schaute ich direkt auf die prachtvolle romanische Kirche und einstige Abtei Saint-Germain-des-Prés, die älteste in Paris. Unser Stadtpalais, ein vierstöckiges Haus mit Pool im ältesten Keller des Bezirks, lud seinerseits zum Träumen ein und beflügelte meine Fantasie.
Als mein Sohn Olivier in der angesehenen Pariser Clinic Belvedere im Bois de Boulogne zur Welt kam, wäre eine Verwechslung absolut nicht möglich gewesen, denn er war das einzige weißblonde Kind unter dunkelhaarigen Arabern – vermutlich ließen die Petrodollar grüßen. Aber darüber machte ich mir keine Gedanken. Ich war vierundzwanzig und voller Tatendrang. Dass Olivier zwei Wochen zu früh gekommen war, interessierte mich genauso wenig, wie die Existenz von Hebammen, die ich nie in Anspruch genommen habe. Mein Sprössling verschaffte mir beste Hormone und eine Lebensfreude, dass es eine Pracht war. Auch schon vor der Geburt, weshalb ich hochschwanger noch die elegante Tante in Kopenhagen hatte besuchen können. Stundenlanges Flanieren durch den Louvre war auch problemlos möglich gewesen. Im Café flirteten Männer weiterhin gerne mit mir. Erst wenn ich aufstand und die kleine Kugel zur Schau stellte, zogen sich die Herren unter dem Gelächter meiner mich oft begleitenden Mutter peinlich berührt zurück. – Na jedenfalls hielt mich am vierten Tag nichts mehr in der Klinik. Ich nahm meinen Olivier in den Arm – an einen Kinderwagen hatte ich keinen Gedanken verschwendet – und erreichte schließlich mein geliebtes Saint-Germain-des-Prés. Es war Hochsommer und heiß, die kleinen nackten Füßchen meines Sohnes baumelten frei herunter.
Und schon ging es wieder los: »Bonjour, Madame!«
Angesichts des neuen Erdenmenschen mit den blauen Äuglein und ersten Ansätzen eines Lächelns, klang das Ganze nur umso verzückter. An der freundlichen Wesensart unseres kleinen Prinzen sollte sich nichts ändern, er begeisterte Otto und mich immer wird aufs Neue. Und er war ein echter „Kern“, das war schon früh nicht zu leugnen. Mit zwei Jahren bestand er auf schicke Garderobe, saß mit Goldknopf-Blazer am Tisch, beherrschte Messer und Gabel und schlürfte genüsslich Austern. Mit seinen vollen roten Lippen und den weißblonden Haaren hätte man ihn auf Leinwand bannen mögen. Bemerkenswert war auch, dass Olivier die Gesellschaft von Erwachsenen schon als ganz kleiner Junge mehr genoss als die von Kindern. Mit drei Jahren konnte er bereits problemlos mitreden. Wenn wir bei uns waren und ihm das Mehrgängemenü oder die Gespräche mit Gästen doch einmal zu lang wurden, kurvte er mit seinem Dreirad durch Gänge, Küche und sonstige Räume des Schlosses, tauchte aber zwischendurch auf, um auch ja nichts zu verpassen.
Ich hatte immer das Bedürfnis, dieses schöne Kind zu küssen, tat es vermutlich auch recht häufig, jedenfalls stellte Otto eines Tages pikiert fest: »Nun übertreib mal nicht, am Ende wird er noch schwul oder was.«
Aber was sollte ich machen, ich liebte ihn abgöttisch, konnte nicht erwarten, dass er im Vierstundentakt aus dem Schlaf erwacht und mich anlächelt. Im Chateau waren die Wege lang und außerdem hatten wir ein Kindermädchen, aber egal, ich bewachte nachts seinen Schlaf, war bei ihm wenn er Hunger bekam, um ihm selber das Fläschchen zu machen, fuhr ihn später auch selbst zum Kindergarten und holte ihn wieder ab. Das Personal wurde für mich diesbezüglich nur wichtig, wenn Otto und ich gesellschaftliche Verpflichtungen wahrnehmen mussten. Vom ersten Tag an war ich mit Leib und Seele Mutter. Es ging so weit, dass ich mir über Jahre nicht vorstellen konnte, nicht vorstellen wollte, noch ein zweites Kind zu bekommen, denn wie sollte ich dieses je so lieben können wie Olivier?
Mit Geburt unseres Sohnes im Jahr 1993 wurde schnell klar, dass uns in dem ansonsten so großartigen Herrenhaus in der Normandie nunmehr ein Gästezimmer fehlte. Das mag dem Leser vielleicht merkwürdig vorkommen. Man muss aber wissen, dass wir aufgrund unseres gesellschaftlichen Ranges regelmäßig viel Pariser Prominenz zu Gast hatten, zu denen sich noch etliche internationale Gäste gesellten. So kam es, dass Otto mir ein Schloss zeigte, das ebenfalls in der Gemeinde Deauville stand. Nachdem es auch mir gefiel, kaufte er es, und gemeinsam richteten wir es fortan ein. Es wurden Brunnen aus Italien herangeschafft, original venezianische Rubelli Stoffe für das Interieur ausgewählt. Otto ließ mir freie Hand, auch wenn er sich natürlich mit sicherem Gespür einbrachte. Jedes Zimmer gestaltete ich anders, tobte mich nach Herzenslust aus. Ob Antiquitätenläden, einschlägige Messen oder Veranstaltungen, nichts war vor mir sicher. Deauville hatte auch in dieser Hinsicht viel zu bieten: Altes Silber, alte Kristalle, Kunst aller Art. Hier waren es mal zwei korrespondierende Vasen, dort alte antike Globen oder eine Kollektion erlesener Schüsseln. Wo Geld keine Rolle spielt, stößt die Kreativität auf keine nennenswerten Grenzen mehr. Das wusste ich zu nutzen und hatte das nötige Talent es überzeugend zu tun. Selbst die siebzig Hektar Land dienten mir als Fundus für Efeuranken und sonstige Pflanzen, um beispielsweise den Esstisch zu dekorieren. Ich agierte derart überzeugend, dass sogar Redakteure von „Architectural Digest“ aufmerksam wurden, eine namhafte Zeitschrift für Inneneinrichtung und Design. Abschließend kann man festhalten, ich laufe von jeher keinem Trend hinterher, so wie ich tunlichst nicht mit der Herde laufe. Viel lieber setze ich meine eigenen Trends, so wie ich bevorzugt gegen den Strom schwimme. Manche Menschen sind einfach nicht dafür geboren, um in einem Käfig zu sitzen, ob nun aus Gold oder auch nicht.
Natürlich bedeutet das schönste Chateau nichts ohne die Herzenswärme und Fürsorglichkeit liebender Menschen um einen herum. Na klar, es gab Otto und den kleinen Olivier. Aber ein Anwesen wie dieses benötigte auch Bedienstete. Und wir hatten mit unserem Personal das ganz große Los gezogen. Da gab es den Koch Patrick mit eigenem Häuschen auf dem Grundstück, dessen Ehefrau Mira Zahnarzthelferin war und zum Wochenende aus Paris angereist kam. Mira liebte ich heiß und innig, sie war meine engste Vertraute. Auch Patrick war ein herzensguter Mensch mit dem Stellenwert eines Vertrauten, einfach klasse, besonders seine unfassbaren Kochkünste. Nicht ohne Grund hatten wir ihn dem „Fouquet‘s“ an der Pariser Champs Elysees abgeworben.
Unsere Gäste, in der Regel höchst anspruchsvoll, prägten nach und nach den Running Gag: ‚Eigentlich kommen wir ja nur wegen eures Kochs und dem guten Essen.‘
Natürlich war das nur die halbe Wahrheit, denn Otto Kern war ein vollendeter Gastgeber. Aber bezeichnend war es schon, dass Otto, ich, unsere Kinder und selbst die Gäste es liebten, bei Patrick in der ebenso gemütlichen wie riesigen Küche mit stattlichem Kamin zu essen. Da gab es einen rustikalen Holztisch, an dem auf dazu passenden Holzbänkchen problemlos zwölf Leute Platz fanden. Und wenn man sich dazu noch die Düfte von frischen Kräutern, aromatischen Suppen oder herzhaften Fleischgerichten vorstellt, welche den Appetit anregten – und erst das Kosten zwischendurch …
Unter dem Strich ist die Beziehung zu den angestellten Menschen, die so nahe bei dir Leben, die du nahezu rund um die Uhr um dich hast, eine ganz besondere. Diese Menschen müssen unbedingt vertrauenswürdig sein und in ihrem Job funktionieren, darüber hinaus werden sie auch zu Familienmitgliedern, an deren Leben man Anteil nimmt wie auch umgekehrt. Man stelle sich nur vor, es wurde bis sechs Uhr morgens durchgefeiert, und plötzlich taucht der Koch auf dem Weg in die Küche auf, um eine Bouillabaisse-Brühe anzusetzen. In so einem Haushalt schließt das „Private“ zwangsläufig auch den Staff ein, schließlich will man sich in den eigenen vier Wänden nicht verstellen müssen oder permanent auf Hochglanz poliert sein.
Auf dem Anwesen führte ein kleiner Weg bis zu einem zauberhaften kleinen Manoir, welcher früher einmal die Brotbäckerei des Schlosses gewesen war und in dem nun Patrick mit seiner Frau wohnte.
»Ach, das hätte ja auch gereicht als Sommerhaus«, hatte meine Mama einmal schelmisch zum Besten gegeben.
Zu diesem hübschen Haus flanierte ich gerne am Wochenende. Mira hat dann immer kleine Teelichter ins Fenster gestellt, und wir redeten über Gott und die Welt, über Literatur, Filme, Musik.
Überhaupt liebte ich die siebzig Hektar Land mit allem was es bot. Schöne Bäume und Wald wohin das Auge blickte, etwa zwanzig Quellen mit frischem Wasser, ein See – es war ein Hort der Freiheit. Bei jedem Wetter war ich draußen, ob barfuß oder in Gummistiefeln. Natürlich kam der kleine Otto Amadeus häufig zu Besuch, meine Stieftochter Candy, und dann gab es ja noch meinen eigenen Sohn Olivier. Wir tobten herum, gingen auf Entdeckungstour, grillten Marshmallows über Feuer. Auch Tiere fehlten nicht. Es gab Pferde und Ponys, die wir ritten, Hühner, Gänse und Hasen, die wir fütterten. Auf einem nahen Tiermarkt kaufte ich regelmäßig Tiere weg, die ansonsten geschlachtet worden wären. Kurios war nur, dass wir tatsächlich auch Jagden organisieren musste. Ja, ehrlich.
»Madame de châtelaine«, pflegten Nachbarn in regelmäßigen Abständen einzufordern, »könnten Sie wohl Ihre Wildschweine und das Damwild in den Griff bekommen?!«
Berechtigterweise, denn ohne kontrollierten Abschuss richteten diese Tiere beträchtlichen Schaden an Flora und Fauna an. Es lief daraufhin wie folgt ab: Ich informierte Otto, Otto und unser Koch bestellten Jäger, welche wiederum eine Treibjagd organisierten und nebenbei noch für mehrwöchigen Fleischvorrat sorgten. So genügten wir unserer Pflicht als Gutsherren, das Wildfleisch schmeckte nicht zuletzt dank unseres Kochs exquisit, doch ein gesellschaftliches Happening machten wir aus solchen Jagdveranstaltungen nicht. Das Töten von Tieren zu zelebrieren war für uns ein Tabu.
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