Kitabı oku: «Die Rose im Staub», sayfa 6

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Die Gewandungsgestalt schwankte in einem unregelmäßigen Takt.

Nach links. Nach rechts. Nach vorn. Nach hinten.

»Ich hoffe, du weißt, ich würde niemals eine Entscheidung deinerseits erzwingen und dich um nichts bitten, sollte es nicht absolut der Notwendigkeit des Stammes unterliegen …«

Ohne weitere Gedanken auf Respekt und Anstand zu verschwenden, war ich nun diejenige, die ihre Hände in einem Schraubstockgriff um die Arme ihres Gegenübers schlang und die Person somit in der Bewegung fixierte. Ich umklammerte die Arme der Stammesältesten und verankerte sie in der Position, als könnte ich mich selbst auf diese Weise vor den erschütternden Wehen der Auflösung verankern.

So lange verdrängt … und nun halte ich es gar nicht mehr aus.

»Älteste, bitte. Sprich nicht in Rätseln zu mir!«, flehte ich der erschrockenen Frau entgegen.

Sie schluckte ihrerseits sichtlich gegen einen Kloß in der Kehle und hielt den Blickkontakt nur unter Mühen.

»Du weißt, dass die Rituale lange nicht mehr genügend Regen bringen und wir den Göttern mehr opfern müssen als das Wasser der Städter. Wir müssen ihnen bereitwillig unser gesamtes Leben widmen, so steht es in den westländischen Nachrichten geschrieben. Die Jäger haben einen Boten abgefangen. Es heißt, man habe Erfolg mit einem viel älteren Ritual verzeichnet, welches das Leben zweier Menschen auf ewig mit den Göttern verbindet. Während des morgigen Wasserrituals in den ersten Strahlen der Sonne wollen wir ebendieses Ritual nachvollziehen und auf diese Weise für eine längere Regenzeit sorgen. Es ist ein Fruchtbarkeitszauber. Im Zuge dessen müssen sich das Urmännliche und das Urweibliche miteinander vereinen, sodass …«

»JHARRN?!«

Mein Verstand setzte aus. Die Gedanken versiegten.

Ich war in Panik. Im Schock. Kurzzeitig sprachlos geworden.

Gerade noch rechtzeitig konnte ich meine Hände von ihren Impulsen halten, die Älteste mit all meiner Empörung aus ihren Vorstellungen zu schütteln oder gar Schlimmeres mit der gebrechlichen Frau zu versuchen. Denn so gläubig ich mich selbst auch schätzte, so sehr ich mein Leben den Göttern der Weiten auch widmete …

»Versuchst du mir gerade zu erklären, dass ich mich mit Jharrn vereinen soll?!«, brüllte ich ihr in meiner Verzweiflung entgegen.

Die Älteste hingegen verfiel in einen merkwürdigen Kokon der Ruhe, reagierte nicht erst auf die Panik in meiner Stimme, verneinte mich nicht in der Erkenntnis und schien sich wieder allen menschlichen Sphären zu entheben. Ihr Blick driftete zu den entfernten Dünen und verlor sich zwischen der Realität und den Göttern, zwischen der Welt des Greifbaren und der Welt, die jenseits der blauen Schleier des Himmelsbandes war.

Die Züge wurden regelrecht kalt, als sie sprach.

»Ihr müsst euch nicht lieben – aber ja, ein Gottkind sollt ihr zeugen. Einen Regenbringer. Ich kann in meiner Verantwortung als Stimme der Götter niemanden bevorzugt behandeln und sollte es mein eigen weltlich Fleisch sein. Du hast vor zwei Wochen geblutet. Ich weiß es. Ich habe dich gepflegt. Und Jharrn wird aufgrund seiner Entstellung keine Gattin mehr unter den Frauen des Stammes finden, weshalb er sich aus freien Stücken zur Wahl stellen ließ. Er blieb der Einzige, der sich der Aufgabe opfern wollte.«


Kapitel 5

Daegon

Stadt der Legenden

Die Kühle des Wassers an meinen geschundenen Füßen glich an diesem Abend einer Offenbarung, so ich an die letzten Stunden des Wasserwachdienstes dachte und mich gedanklich bereits der freien Zeit zuwandte. Seit einer Weile saß ich vollkommen reglos im Badehof unseres Palasts, ließ die Sohlen im glitzernden Nass des Beckens dahintreiben und blickte gedankenverloren zu den Säulen, die ihre langen Schatten bereits ins Zentrum des Hofes reckten.

Beinahe mochte man meinen, ich wäre in meiner Reglosigkeit zu einer der ihren mutiert.

Zu einer Säule, die seit vielen Jahren jenen Palasthof säumte.

Der Zentralstern sandte in diesen Momenten die letzten Strahlen über das Weiß der Kalkziegeldächer und schien die schrägen Gangdecken noch einmal in Wehmut berühren zu wollen. Obwohl die Hitze in wenigen Stunden ihr Reich mit aller Macht zurückerobern würde, obwohl der Morgen jedweden Abschied des Abends täglich aufs Neue ungeschehen machte, so wirkte es doch wie ein zartes Lebewohl. Als wollte die Sonne noch einmal die Dächer Gwerdhylls mit goldenem Schimmer belegen und der Stadt einen sanften Kuss auf das Haupt hauchen, ehe sie auf immer in die Nacht jenseits des Wüstenhorizonts entschwand.

Selbstverständlich wusste ich um die Idiotie einer solch romantischen Vorstellung.

Es blieb nicht mehr als die Fantasie eines Narren – gar keine Frage.

Doch nachdem ich während meiner Wasserwache auf dem Marktplatz ins Antlitz einer gottgleichen Wilden geblickt hatte … Nachdem ich in jene stahlblauen Augen geblickt und meine Seele scheinbar darin verloren hatte, konnte ich mich einer hoffnungslos poetischen Interpretation nicht mehr erwehren.

Ein unerklärliches Sehnen zog sich als ziehender Schmerz durch meine Brust, ließ meine Gedanken weit in die Ferne schweifen und schien letztlich meinen gesamten Körper zu durchdringen. Als würde mein Geist von einem unsichtbaren Faden gezogen, trieben meine Fantasien hinter den letzten Sonnenstrahlen in die Wüste und suchten dort nach der einen Frau, die einen Funken des Ungreifbaren in mir entzündet hatte.

Ich sah sie mit ihrer Braunkutte auf einem schwarzen Pferd durch die Steppe jagen. Vor ihr bettete sich die Sonne hinter die Dünen und tränkte das Land der Namenlosen in bläulichen Schein. Der Wüstenwind streifte die Kopfbedeckung von ihrem Haupt, entblößte das strohige Haar dem schwindenden Licht des Himmelsbandes und jagte ihren Mantel in tanzenden Bewegungen um den Leib. Wie von Geisterhand lösten sich dann die Fibeln des Stoffes, sodass der Sonnenschutz von ihren Schultern gerissen wurde und die Wilde – frei von jeglichen Banden – als namenlose Silhouette mit dem Horizont verschmelzen ließ. Die wehenden Sandwirbel verschluckten den Schatten und wuschen ihr Bild aus den Wüstenweiten, als wäre sie nun Teil des Himmels geworden.

Schockschwerenot, welch eine Vorstellung!

Die Fantasien wirkten derart bildhaft auf mich, dass ich mich der Figur tatsächlich gegenüber glaubte. Als würde ich auf einem der Hausdächer stehen und über die Mauern der Legendenstand hinaus in die verwilderten Lande blicken, ja, als müsste ich bloß vor die Stadttore treten und wenige Meter über den Wüstensand gehen, um den Sonnenmantel aus dem Staub aufzulesen.

So greifbar. So real. So atemberaubend.

So nahbar, wie es die stahlblauen Augen der Namenlosen auf dem Marktplatz gewesen waren. Nahezu ohne Furcht hatte die Frau den Weg in den sicheren Tod beschritten und mir, dem Henker, noch entschlossen entgegengeblickt, während ich nicht einmal mit dem Gedanken spielte …

»Daegon? Konntest du meinen Worten folgen?«

Unwillkürlich zuckte mein Blick auf das ältliche Gesicht des Lehrmeisters zu meiner Rechten, der mich mit seinen Worten soeben aus den Erinnerungsbildern gerissen hatte. Magister Dharon verknotete seine knochigen Beine zu einer dürren Brezel, platzierte seine Spinnenfinger auf den Knien und durchbohrte mich förmlich mit strafenden Blicken, als wollte er mich mit einer Lanze durchstoßen. Die Faltenmiene verzog sich zu einer Fratze der Empörung, die das spärliche Haar auf der Fast-Glatze des Mannes in eine hügelige Waldlandschaft aus weißen Strähnen auf Hautrunzeln verwandelte.

»Der Tag ist noch nicht zu Ende«, erinnerte Dharon. »Der Unterricht dauert noch eine Stunde.«

»Ich weiß.«

Beinahe wollte ich ihn für diesen Frevel seiner Mahnung verfluchten, wollte schreien, brüllen, toben, ihn darum bitten, er möge mich doch in dieser Welt zurücklassen, in der es ein solch tiefgründiges Geheimnis um eine Wüstenfrau zu lösen galt. Ja, ich wollte meine Gedanken nicht an sinnlose Lehrstunden vergeben – ich wollte um die Identität der Namenlosen unter dieser braunen Kutte wissen und mehr über dieses schmerzliche Gefühl in meiner Brust erfahren, das allein ihr Blick in mir ausgelöst hatte.

Wer sich wohl hinter den Gedankensplittern verbarg? Welch eine Bedeutung diesem Zauberwerk innewohnte?

Doch so sehr sich meine Gedankenwelt auch in ihrer freien Zeit angekommen glaubte, so wenig frei blieb dieser Teil meines Tagesablaufs tatsächlich. Während meine Fantasien sich bereits in Richtung der Wüstenweiten verabschiedet hatten, kämpfte Lehrmeister Dharon nun schon seit zwei Stunden vergeblich um meine Aufmerksamkeit, die ich wohl besser dem Philosophieunterricht hätte widmen sollen … keinem Wüstengeist, der auf immer zwischen den Dünen verschollen galt. Für gewöhnlich fieberte ich der dreistündigen Sitzung nach den Wasserwachdiensten auch entgegen und genoss den Austausch mit einem lebenserfahrenen Mann, doch an diesem Tage …

Bei Geist! Was?! Ja, was nur ist heute so anders?

Was ist an diesem Weibsbild so besonders, dass sie meinen Verstand wie den eines späterwachsenen Jungen verhext?!

»Daegon!«

»Hm? Oh, ja. Entschuldigung.«

Abermals wanderte mein Blick von seinen Irrwegen über das Himmelsband zu der Miene des Alten, der tapfer den Brezelknoten seiner dürren Beine hielt und sich die schmerzenden Glieder nicht anmerken ließ. Dharon verschränkte seine Finger vor der Brust und dehnte die Hände nach außen, sodass die Gelenke darin hörbar ihr Leid an die Umgebung klagten. Nacheinander schienen die Knorpel an ihre angestammten Plätze zu rattern, sich dort neu als Fingergelenke zu sortieren und letztlich wieder mit Bändern und Sehnen zu verankern.

Das Knackgeräusch jagte mir regelrechte Schauer über den Rücken.

Eine derart unangenehme Akustik-Kulisse, als würde man ein verrostetes Türscharnier aus seinen festverwachsenen Angeln drücken und im selben Moment mit den langen Fingernägeln des Lehrers über die Oberfläche eines Schöpfpapiers kratzen. Wohl wusste ich um die zahlreichen Verletzungen, die der Körper des Alten noch als Altlasten mit sich trug, die er seit unzähligen Jahren schon mit sich getragen hatte und vermutlich noch eine Weile weitertragen würde – mich an die Betriebsgeräusche zu gewöhnen, war mir dennoch in all den Jahren unserer Bekanntschaft nicht möglich gewesen.

Im Grunde blieb Dharon nicht ganz unschuldig an derlei Lasten.

Vor vielen Jahren hatte er eine Affäre mit der Frau eines Senators geführt, war noch im Bett der Gattin aufgefunden und daraufhin mit den erbeuteten Namenlosen in der Spielarena der Stadt zu Kämpfen gezwungen worden. Viele Schwerter hatten sich durch seine Muskeln gefressen, viele Dolche sich in seine Innereien gebohrt und etliche Schläge seine Knochen zertrümmert – doch wurde ihm unsägliches Glück durch seine Götter zuteil.

Dharon lebte; er lebte, wie es nur wenigen Arenakämpfern nach der Neunjahresfrist vergönnt war.

Als er dann abermals in das Bett einer Dame stieg, sich mit einer gebundenen Frau verlustierte und obendrein durch deren Gatten vor das Gericht zerren ließ …

Nun, letztlich ereilte ihn dann wohl die Strafe aufgrund des ungezwungenen Umgangs mit seiner neugewonnenen Freiheit, denn er hatte nur mehr als Sklave getaugt.

Und als solcher … blieb er als ehemaliger Philosoph des Tempels mein Lehrer.

»Daegon, ich mag dir durchaus den Respekt erweisen, deine Füße nach der anstrengenden Schicht noch während des Unterrichts im Bad zu kühlen und mich auf diese … unsagbar unkomfortablen Marmorfliesen zu setzen – aber einen gewissen Respekt deinerseits erwarte ich mir. Ich bin ein Sklave. Korrekt. Mit meinen neunzig Sommern erhoffe ich mir dennoch mehr als eine körperliche Hülle, wenn ich mich an dir mühe und dir das Affengleichnis erzähle. Du siehst keine Unterschiede zwischen Sklaven und Männern? Verhalte dich entsprechend. Dein Verstand ist die weit mächtigere Waffe als dein Schwert – das haben wir beide immer geahnt, doch nun auch deinen Verstand vollständig zu tilgen …«

Dharon ließ seinen Satz unausgeführt im Badehof verhallen.

Jeder andere Städter hätte ihn für eine derartige Frechheit mit einem Dolchstoß bedacht, doch wusste er nun einmal um meine Einstellung zur Sklaverei und die wohlwollende Einstellung ihm gegenüber. So saß der Lehrmeister vollkommen sorgenfrei im Schneidersitz neben mir, vollführte weiterhin seine Räkelkunststücke und beäugte mich mit seinen wässrigen Froschglubschern, die in Erwartung einer Antwort höchstwahrscheinlich bald aus ihren Höhlen ploppen würden.

»Ich bin heute nicht auf der Höhe«, gestand ich schließlich ehrlicherweise – wohl auch, um ein derartiges Unglück unter Beteiligung seiner Sehorgane zu verhindern. »Die Wasserwache war anstrengender als gewöhnlich. Ich wurde während der Unruhen mit Fäkalien beworfen, im Anschluss daran von Iuron mit Vorwürfen überschüttet und letzten Endes von der Sonne gebraten, bis mein Verstand vermutlich in sich zusammengeschmort ist. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich mit den Gedanken nicht bei dir war, Dharon. Der Tag kam einer Wanderung durch deine sieben Höllen gleich.«

Ich ließ ein theatralisches Stöhnen verlauten, stützte mich mit den Armen auf meine Oberschenkel und erhoffte mir, irgendwo zwischen Hautrunzelfalten, knackenden Fingergelenken und einer spitzen Zunge auf die Gnade des Sklaven-Magisters zu stoßen. Nicht zuletzt erhoffte ich mir über die Anspielung auf seine allzeit gern zitierte Geschichte der sieben Höllen, ein wenig Honig um das Schleckermäulchen des Geschichtenfressers zu streichen.

Dharon verschlang Bücher wie die hungernde Meute das Brot.

Während sein Körper mehr und mehr zu einem Skelett unter Pergamenthaut verkam, ja, im nächsten Hitzeschub zu Staub zu zerfallen drohte, blieb sein Geist stets auf der Suche nach Nahrung und gierte nach vergangenem Wissen.

»Es ist schön, dass du den Kreis wieder schließen möchtest«, säuselte Dharon nun mit blitzenden Augen, schmunzelte, als hätte er meine Intention trotz der Subtilität durchschaut. »Nur behandeln wir heute das Affengleichnis – nicht die Geschichte der sieben Höllen. Hast du überhaupt schon einmal einen Affen gesehen, Daegon?«

»Ich bin der festen Überzeugung, dass ich von einem gezeugt wurde«, murmelte ich.

Dharon und ich sahen uns an.

Es handelte sich um einen kurzen Moment der Unachtsamkeit, da ich die Kontrolle über meine eigene Zunge vollkommen vergaß. Fürwahr, die Wut auf all die quälenden Jahre meiner Kindheit im Haus eines Irren paarte sich in einem einzigen Ausspruch mit den Ankündigungen aus dem Priestertempel, die meine Zukunft als Soldat wie eine drohende Gewitterwolke am Horizont schweben ließen, die mich in moralische Engen trieben und mit unbeantworteten Fragen konfrontierten. Wie ein lockender Daimon aus den Geschichten verführte die Angst vor dem Ungewissen zur Torheit und ließ mich meinen Frust in Worte fassen, als könnte ich mich auf diese Weise aus dem Gefängnis meines Namens befreien. Tatsächlich stolperte ich nicht einmal über die Bemerkung, wie sie mir da ungehalten über die Lippen schlüpfte.

Ich bin der festen Überzeugung, dass ich von einem gezeugt wurde.

Doch hatte ich verdrängt, an welchem Ort wir uns derzeit befanden.

Und Dharons Züge erinnerten mich.

Kurz wanderten unsere Blicke durch die Säulengänge, die wie stumme Zeugen den Hof umsäumten und schon so manches Mal neugierige Ohren verborgen hatten. Jeder Schatten wurde einer akribischen Kontrolle unterzogen, jedes Geräusch im Hof auf seine Herkunft geprüft und analysiert, jede Pflanze mit einer längeren Aufmerksamkeitsspanne bedacht und jeder noch so entfernte Sklave auf veränderte Verhaltensmuster geprüft.

Dann fingen sich unsere Augen wieder aneinander.

Hast du überhaupt schon einmal einen Affen gesehen, Daegon?

Ich bin der festen Überzeugung, dass ich von einem gezeugt wurde.

Als sich das Faltengesicht des Lehrmeisters endlich zu einem Lachen formte, das sich immer schneller über seine eingefallenen Wangen zu ziehen begann, da schien es mit einem Mal kein Halten mehr für uns zu geben. Dharon rumpelte aus voller Kehle und schüttelte seine Knochenglieder dabei, als wäre das Lachen seit Jahren in seinem Brustkorb gefangen gewesen und müsste nun endlich an die Oberfläche brechen. Die weißen Haarsträhnen hoppelten auf ihren Runzeln, während sich ihr Träger schon unter den Wellen der Belustigung zusammenkrümmte und mit der Hand auf die Knochenschenkel patschte. Ich selbst ließ mich im Strudel der Euphorie derart von den Lachern des Sklaven mitreißen, dass ich jegliche Ohren der Umgebung vergaß und lauthals in das Johlen mit einstimmte.

Für einen kurzen Moment fiel eine unendliche Last von meinen Schultern.

Es war, als habe man mir über die Jahre meines Lebens ganze Steinberge auf den Rücken getürmt, die nun einfach mit den Lachern von mir herunterpurzelten und sich mit einem Plock zu dem gewichtigsten Stein gesellten, der mir soeben von meinem Herzen gefallen schien. Ein Glück, dass ich mit meinem ungezügelten Humor nun doch auf Dharons weichen Kern gestoßen war und nicht mit Disziplinarmaßnahmen durch den Senator höchstselbst zu rechnen hatte; ein Glück, dass niemand die Beleidigung vernommen und sie an die entsprechende Stelle weitergeleitet hatte!

Immerhin blieb es sein Palast, in dem wir saßen.

Und es blieb seine Entscheidung, ob Dharons Kopf statt dem des Senatorsohns rollte.

»Lass ihn das bloß niemals hören, Junge«, rumpelte der Lehrmeister zwischen den Glucksern, als versuchte er auf diese Weise vergebens, den Weg zu den ruhigeren Tonlagen wiederzufinden und sich der Gefahren in der Umgebung bewusst zu werden. »Er wird … Ich kann doch nicht … Ich werde …«

Der blasse Teint des Mannes hatte sich längst in den knallroten Panzer eines Hummers verwandelt, wie er da so um Worte rang und sich derweil bloß an seiner eigenen Atemluft verschluckte. Meine Lungen brannten unter den unregelmäßigen Atemzügen zwischen den Lachern, blähten sich dann unkontrolliert mit heißer Luft und schmerzten schließlich in Ermangelung des Atemguts.

Wir lachten, feixten, johlten und brüllten, denn: Letztlich wussten wir beide um den Wahrheitsgehalt meiner Äußerung und schwelgten in diesen unbeobachteten Momenten, in denen wir hemmungslos unseren Vorstellungen nachhängen und den Hass auf denselben Mann miteinander zu teilen vermochten. Vermutlich mutierten wir in ebendiesen Momenten zu unmündigen Kindern – zu Jungen, die bei waghalsigen Aktionen mehr Glück als Verstand genossen.

Doch wir genossen.

Und wie wir genossen!

So kam es einer schmerzlichen Störung gleich, als mir der kleine Finger eines Sklavenmädchens auf die Schulter tippte.

»Meister Daegon, der Senator wünscht, Euch zu sprechen.«

***

Wie in Trance folgte ich der jungen Sklavin durch die Flure des Senatorenpalastes und wollte mich in jenen Momenten selbst dafür hassen, dass mein Körper nach dem Ausspruch des Mädchens umgehend in den Fluchtmodus wechselte … dass er mich am liebsten aus diesen Räumlichkeiten forttragen und in eine andere Wüstenstadt – wenn nicht gar an den Rand der bekannten Welt oder darüber hinaus befördern wollte. Obwohl ich mir seit frühester Kindheit innere Stärke vor dem Senator geschworen hatte und mich regelmäßig meiner bisherigen Lebenserfahrung erinnerte, schmolz mein inneres Selbstgefühl einfach in sich zusammen, als hätte man es zu lange der Hitze der Stadt ausgesetzt. Mein Herzschlag beschleunigte sich auf ein unerträgliches Maß, schien mir bis in die Kehle hinaufzusteigen und meinen Brustkorb in der Aufregung zum Bersten zu bringen.

All dies, weil mein Vater meine Anwesenheit verlangte.

Ich verabscheute die Reaktion meines Körpers …

Es ist unlogisch. Es ist falsch!

Es sollte Hass sein, nicht Furcht!

… und vermochte ja doch nicht, sie wahrlich zu leugnen.

Während das Sklavenmädchen mit seinen kaum vierzehn Sommern zielsicher durch die Gänge manövrierte und sich keinerlei Anzeichen der Furcht vor dem Senator anmerken ließ, peitschte die Panik regelrecht durch meine Adern – als wäre ich noch immer Junge, nicht ausgebildeter Kämpfer der Stadt. Ja, obwohl der Stadtherr ebendiese Furcht verabscheute und die kleinste Gefühlsregung zu strafen wusste, wurde meine Lunge regelrecht unter der Last meines eigenen Brustkorbes zusammengepresst.

Der Atem beschleunigte sich. Merklich. Hörbar!

Und das Mädchen? Wusste vortrefflich, die eigene Bedrängnis zu verbergen.

Mein gehetzter Blick wanderte durch die zahlreichen Räume des Hauses und suchte unter Einfluss des Adrenalins die Schatten einer unbekannten Bedrohung, fand stattdessen nur Sklaven bei ihrer Arbeit und verlor sich letztlich in den Wirren einer viel zu laut gewordenen Welt.

Unter Bergen weißer Leinenstoffe hetzten die älteren Sklavenfrauen aus den Schlafgemächern, kreuzten sich auf den antiken Fluren und hielten auf die Waschräume hinter den Bädern zu. Die schmutzgrauen Gewandungen schillerten wie von Farben geküsst, als ihre nackten Füße über die Glasmosaike der Prunkböden tapsten und indessen dem Licht aus den Runddachfenstern eine Leinwand zur Verfügung stellten. Bunte Gemälde wurden auf Haut und Stoffe gepinselt.

Die namenlosen Silhouetten schienen förmlich durch die Hallen zu tanzen.

Ihre Schatten warfen sich auf die Säulen am Rande der Gänge, verdeckten die Spiegelungen der bunten Gläser und wanderten durch die Irrgärten zahlreicher Lichtspiele, die sich des Abends auf jene Flure legten. Vor vielen Jahren hatten die Architekten sich an die Perfektion dieser Hallen gemüht, die Abendsonne in den Bau des Palastes gebannt und ein wahres Kunstwerk in diese Räume gezaubert – gänzlich ungeachtet des mangelnden Schönheitssinns des Senators, der lediglich nach antiken Prunkdemonstrationen verlangte.

Es waren bunte Glasmosaike – Splitter im Boden – als hätte man pure Farbe zerbrochen.

Bunte Glasmosaike – Splitter im Boden – und der Senator sagte: als wäre man Zeuge eines Unfalls geworden.

Da waren die Bilder seiner Vorgänger in Marmor gemeißelt, die nur mehr als blicklose Statuen zwischen den Säulen standen und ihre ästhetischen Körper im Tanz der Buntlichter räkelten. Nackte Musen, die sich an deren Beine schmiegten und den Helden der vergangenen Ära Großes flüsterten, die ihnen göttliche Eingebungen in die Ohren sangen und sie zu göttergewollten Herrschern der Stadt erhoben. Skorpione, die sich um die Beine der Musen scharten und ihre Füße umschmeichelten, die sich vor den vergangenen Senatoren verneigten und ihnen kein Leid zuzufügen gedachten.

Durch den Segen der Dreigottheit galten die Senatoren den Naturgesetzen entbunden.

Oh, wie gern ich die Legenden getestet hätte!

Ein Skorpion im Bett des Senators – wie oft ich geliebäugelt hatte!

Ob er denn wahrlich so entbunden war? So unsterblich und göttergesegnet?

Trotz der Anspannung stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich den Test gegen alle Möglichkeiten in meinen Gedankenspielen durchführte und mir die Miene meines leiblichen Vaters ersann – eine Miene, die in Sekundenbruchteilen erstarrte und mit todesfürchtigen Blicken einem Skorpion auf den Seidenkissen entgegenblickte. Nur allzu gern spann ich das Bild in Gedanken weiter, wie sich die Augen des Mannes auf die Größe der Sonne selbst weiteten und dann im Siegeszug, im Einzug des süßen Todes, auf ewig in seinem Schädel erstarrten.

Welch ein symbolhaftes Ende ihn damit ereilte!

Schließlich galten die Skorpione als geheiligte Tiere der Dreigötter unserer Welt, während mein Vater wohl wusste, welch ungeheiligte Ziele er mit seiner Politik verfolgte.

Aber nein … Unmöglich … Es wäre der Tod meiner Mutter.

Man würde von meinen Taten erfahren, mich töten … und sie als Mutter des Mörders gleich mit mir senden.

So zwang ich mich zu einer ruhigeren Atmung und konzentrierte mich auf die Rückenfläche des Sklavenmädchens, das noch immer zielstrebig vor mir durch die Gänge manövrierte. Mochte es sich bei meinen Gedankenspielen auch um Konstrukte des Unmöglichen handeln, so blieb mir dennoch die Wahlmöglichkeit offen, dem so betitelten Affen mit Mut im Herzen entgegenzutreten. Das Glimmen der Furcht in meinen Augen wäre einem Triumph jenes verabscheuenswerten Mannes gleichgekommen, sodass ich jeglichen Fokus auf einen ruhigeren Herzschlag lenkte und mich in den schwarzen Haaren der Sklavin zu verlieren versuchte.

Konzentration und Selbstbeherrschung.

Womöglich auch der Trotz, der mich zwang.

Die Zugluft kräuselte die dunklen Strähnen, die wie schmale Wasserfälle aus dem Flechtwerk lugten und mit ihren sanften Bewegungen an das Wippen von Wüstengras erinnerten. Für einen Moment stahl sich der Anblick stahlblauer Augen auf das Dunkel des Haars, leuchtete durch die Schatten wie ein verheißungsvolles Versprechen und glomm wie ein Stern in sonst schwarzer Nacht. Die Erinnerung an den Duft von Wüstenrosen und Pferden, die Erinnerung an solch intensives Empfinden …

Im Bruchteil eines Herzschlages hatte sie sich durch mein Sichtfeld geschlichen.

Dunkles Haar. Diese Frau. Der namenlose Geist aus der Wüste.

Doch just als sich das Ziehen in meiner Brust wieder entfalten wollte, als ich ungeachtet der Umstände in der Erinnerung an jenen Geist versunken wäre … verlangsamte die Sklavin ihre Schritte und wich in einem geschickten Schlenker beiseite, sodass ich ein paar Meter orientierungslos über den Flur stolperte.

Ich stutzte.

Dann heftete sich mein Blick auf die breite Silhouette eines Mannes, der mit in die Hüfte gestützten Händen durch das Fenster des letzten Zimmers blickte …

»Daegon«, rumpelte die tiefe Stimme des Senators erkennend durch den Raum.

Nun war es mein Herz, das stolperte.

Während sich meine Fersen mit aller macht in den Ornamentboden bohrten und mich an Ort und Stelle fixierten, erstarrte mein Oberkörper in der Bewegung. Die Zehen krallten sich förmlich von oben in das Leder meiner Sandalensohlen, verwurzelten mich mit dem gewählten Platz mitten im Flur und ließen mich keinen Millimeter weichen – nicht nach hinten, jedoch auch nicht nach vorn; nicht in die Richtung, in der ich dem Mann hätte näher treten müssen. Sämtliche Fasern meines Gewebes versteinerten mit dem fliehenden Echo meines Namens, als sich die Stimme des Senators durch meine Adern fraß, sich durch Mark und Bein bohrte, mich erschütterte und gleichzeitig einfrieren ließ. Im Grunde blieb gar keine Bewegung meines Körpers mehr sichtbar, hatte sich doch mein eigener Atem irgendwo zwischen den angespannten Muskeln und dem Bleigefühl meines Brustkorbs verloren.

»Vater«, intonierte ich mit erstickter Stimme.

Ich räusperte mich, wiederholte dann lauter: »Senator Mheron, Ihr habt nach mir verlangt.«

Die Silhouette wandte sich langsam um die eigene Achse, musterte mich über die Dauer unerträglicher Minuten und trat dann einige Schritte nach vorn. Nun schwand die Wirkung des Lichts auf seine Gestalt und enthüllte das kantige Gesicht des Mannes, das dem meinem erschreckend ähnlich erschien … obwohl das Gedankengut hinter der Maske doch ein so verschiedenes war und wir uns innerlich glichen wie der Tag und die Nacht. Selbst die kurzgehaltenen Locken erinnerten mich an das eigene Abbild im Spiegel, wenngleich die Stirn darunter von weit mehr Jahren des Lebens erzählte … und von weit mehr Zorn, der einst jene Falten formte.

Von Jähzorn, der auch den Charakter geformt hatte.

Mein Vater streifte die weiße Gewandung über die Ellenbogen zurück, stützte sich dann auf die Platte des Arbeitstisches vor ihm und lehnte sich gefährlich in meine Richtung. Abermals wanderten seine Pupillen über meinen Körper, glitten von den verkrampften Fußspitzen bis zum Schopf und wanderten zurück über die ausdruckslosen Züge darunter.

Stille.

Schockschwerenot, es blieb tatsächlich so still, dass das Geräusch eines rollenden und herabfallenden Füllfederhalters ein Zucken durch meine Muskeln sandte! So still, dass der Senator das Zucken vernahm und ein geringschätziges Lächeln auf seine Lippen legte.

»Weißt du, weshalb ich nach dir rufen ließ, Daegon?«

Mein Gemüt schwankte wellengleich zwischen den Wogen der Wut ob dieser überheblichen Geste und den fürchterlichen Erinnerungen aus jungen Jahren, in denen ein solches Lächeln meist einer Bestrafung vorausgeeilt war. Auch meine Miene schien einer ganzen Palette verschiedener Emotionen zu folgen, denn ich spürte das Vibrieren meiner Brauen und die bebenden Nasenflügel, fühlte die verschiedenen Formen der Muskeln und Ausdrücke, die meine Muskeln innerhalb eines Herzschlages formten. Ohne den Impuls meiner Hände beeinflussen zu können, ballten sich schon die Fäuste zusammen. Ich wollte brüllen. Ich wollte fluchen.

Doch zwang ich mich zu einer gleichgültigen Stimme.

»Nein«, erwiderte ich die Frage des Mannes kühl. »Sollte ich denn wissen, weshalb man mich rufen ließ?«

Wieder huschte das Schmunzeln auf den Mund des Senators – nur, dass er sich nun mit der Zunge über das rosige Fleisch fuhr und die Machtsituation wie süßen Honig von den eigenen Lippen kostete. Der Speichel benetzte die schmale Form und hob seine Geste der Verachtung geradezu aus dem Gesicht, als hätte ein Bildhauer den Ausdruck seiner Büste mit ein wenig mehr Glanz betonen wollen.

»Iuron hat mir alles erzählt«, grunzte der Senator …

… und beinahe wollte ich über die Worte lachen; wollte darüber lachen, dass Iuron sich tatsächlich über meinen mangelnden Einsatz für ihn beschwerte, dass er sich selbst vor dem Senator ins Lächerliche gezogen und ihm von den Vorfällen in den Straßen berichtet hatte; dass er sich über mich ausgelassen hatte, obwohl mein Vater um die Regeln des Soldatenseins wusste.

Ja, ich wollte lachen.

Dann allerdings wurde ich mir eines Umstands gewahr: Da mein Vater doch eben um jene Regelung wusste und sich ebenfalls nicht um das Leben meines Wachkumpans scherte … Weshalb sollte ob dieses vermeintlichen Verbrechens eine Bestrafung erfolgen? Weshalb zitierte er mich aus banalen Gründen ins Herz des Palastes und konfrontierte mich mit der Lächerlichkeit eines jungen Soldaten?

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