Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 576»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-983-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Sean Beaufort
Das Testament
Sie haben keine Skrupel – und erfüllen den Letzten Willen des Kondottiere auf ihre Art …
Geformt wie ein Amboß und ebenso schwarz, von schwefligem Licht umgeben, erhob sich die Gewitterwolke in den Himmel. Noch hörte man an Bord der Schebecke keinen Donner. Aber an den Rändern und im Inneren der Wolke zuckten Blitze.
Eine erste, kalte Bö kräuselte das Wasser, eine zweite folgte, und die dreieckigen Segel füllten sich knallend. Kurz nach Mittag verwöhnte das Mare adriatico die Arwenacks mit einem Wind ans dem nordöstlichen Quadranten.
Philip Hasard Killigrew stand achtern neben dem Rudergänger Pete Ballie. „Ausgezeichnet!“ sagte er. „Wir laufen vor dem Gewitterwind, der aus Trieste bläst.“
„Bis Venezia hätten wir es notfalls auch mit den Riemen geschafft“, erklärte Pete Ballie.
Zugleich mit einem leisen, fernen Donnergrollen frischten die Böen auf und sprangen zu einem gleichmäßigen Wind auf. Die Schebecke legte sich weit nach Backbord, richtete sich wieder auf und lief schnelle Fahrt.
Unter dem Bugspriet rauschten und gurgelten die ersten harten Wellen.
„Die kriegen’s gründlich, dort an Land“, sagte Carberry brummig.
„Abwarten. Von diesem Segen erreicht uns auch noch das eine oder andere“, gab der Seewolf zurück.
Die Hauptpersonen des Romans:
Edwin Carberry – der Profos erklettert reichlich angeduselt ein Reiterstandbild. Zwar fällt er nicht runter, landet aber im Kerker von Venedig – wegen Mordverdachtes.
Miorelli – der Kapitän der Stadtgarde findet, daß es viel Ärger gibt, seit die Engländer mit ihrer Schebecke in Venedig vertäut haben.
Dan O’Flynn – er entdeckt etwas, das eine Kette unerwünschter Folgen auslöst.
Ben Brighton – der Erste der Arwenacks hat Glück, weil ein Heckenschütze, der ihn aufs Korn genommen hat vorbeischießt.
Philip Hasard Killigrew – bei diesem Abenteuer braucht der Seewolf viel Geduld, bis er endlich zuschlagen kann.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1.
Im ersten Monat des neuen Jahres war ein Gewitter in diesem Teil des Mittelmeeres, ob über Wasser oder über Land, eine Seltenheit. Bisher war der Tag windlos gewesen, die Sonne stach viel zu heiß herunter. Ab und zu stellte sich eine ablandige Brise ein und schleppte Kälte und den Geruch nach Schnee und Frost mit sich. Die Crew war warm angezogen, die meisten Männer hielten sich unter Deck auf.
„In reichlich eineinhalb Stunden liegen wir irgendwo mitten in der Stadt“, sagte Hasard.
„Dort hocken die Fischer jetzt bei Nudeln und Wein. Oder siehst du ein einziges Fischerboot?“ fragte Ferris Tucker und zerrte mit der Linken die Mütze über seine Ohren.
Aus dem Wind, der die Lateinersegel füllte, war fast ein Sturm geworden. Er pfiff, winselte und heulte schneidend kalt in den Wanten. Das Schiff setzte hart in die Wellen ein, von deren Kämmen die ersten Schaumkronen weggerissen und davongewirbelt wurden. Bis auf die Wolken, die sich achterlich ausbreiteten und ein Drittel des Horizonts ausfüllten, war der Himmel völlig klar und fahlblau.
Der Seewolf beobachtete sorgfältig seine Umgebung. Einzelne Inselchen tauchten auf, hinter deren Bäumen sich gelbe Hausfronten zu verstecken versuchten. Die Wellenhöhe änderte sich auch im flachen Wasser nicht. Voraus zeichneten sich gegen den Horizont die ersten Türme und Fassaden ab.
„Was sagen wir den Venezianern?“ wollte Pete Ballie wissen. Er ließ den Blick nicht von den Segeln. Sie brauchten nicht zu kreuzen. Mit dem achterlichen Wind und weit ausgestellten Gaffelruten konnten sie die Lagunenstadt bestens anliegen.
„Die Wahrheit, denke ich. Wir sind auf dem Weg nach England.“
„Ist das ein Grund, bei ihnen anzuklopfen?“
„Das nicht. Aber wenn wir mit den Kaufleuten über mögliche Handelsverbindungen sprechen, sind wir Gäste, die sie gern sehen.“
Ferris Tucker spuckte nach Lee und grinste breit.
„Nach sieben Tagen sehen sie uns noch viel lieber – von achtern“, prophezeite er.
„Das liegt an euch, mein Freund.“
„Und an dem guten Wein.“
Mittlerweile war der halbe Himmel hinter ihnen verdunkelt. Unaufhörlich zuckten die Blitze. Der Donner war schärfer zu hören. An seiner Lautstärke konnten sie erkennen, daß sich der Gewittersturm näherte. Breite Bänder aus grauem Regen rauschten dort hinten herunter. Das Sonnenlicht hatte an Kraft und Grelle zugenommen und funkelte auf den unzähligen Fenstern, die wie Augen das heraussegelnde Schiff anstarrten.
An den Ufern lagen leere und zerfallen aussehende Magazine. Boote waren an Land gezogen worden und ruhten kieloben auf Böcken. Netze waren gespannt. Die Lagune verengte sich und teilte sich in eine Reihe Kanäle auf, die von kleineren Häusern gesäumt waren.
„Klar zum Backbrassen!“ schrie der Seewolf.
Ein Teil der Crew polterte über die Niedergänge an Deck. Kommandos ertönten. Das laufende Gut kreischte in den Blöcken. Die schnelle Fahrt des Schiffes nahm ab. Von Steuerbord ertönte, als sich die trichterförmige Mündung eines Kanals verjüngte, ein lauter Ruf.
„Geh in den Wind!“ ordnete der Seewolf an.
„Aye, aye, Sir!“ Pete Ballie grinste breit und bewegte die geschwungene Pinne.
Die Leinen knatterten und schlugen wild. Mindestens die Hälfte der Mannschaft war an Deck.
„Ruderboot an Steuerbord!“ rief Pete Ballie laut.
Zwischen zwei Gebäudefronten aus Sandsteinquadern und Ziegeln, über denen Flagge und Wappen der Republik Venedig zu sehen waren, schoß ein schlankes Boot hervor. Fünf Riemen an beiden Seiten peitschten das Wasser. Im Heck stand ein Uniformierter in schwerer Bewaffnung.
Der Seewolf blickte dem Boot gelassen entgegen. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und ging einige Schritte bis zum Steuerbordschanzkleid.
„Il nome della nave?“ schrie der Mann im Boot. „Wie heißt das Schiff? Woher kommt es?“
Der geflügelte venezianische Löwe auf dem Stander schien mit Pranken und Flügeln zu drohen.
Hasard gab in flüssigem Italienisch zurück: „Das Schiff der Arwenacks. Wir sind auf dem Weg nach England und wollen mit euren Kaufleuten reden.“
Die Mannschaft schaute schweigend und verwundert auf die Venezianer. Die Ruderer hatten die Riemen in einer gleichzeitigen Bewegung senkrecht gestellt und warteten. Alle Männer trugen dicke, farbige Kleidung. Ihre Stiefel glänzten. Das Boot, die Waffen und die Riemen waren in einem hervorragenden Zustand. Selbst die Helme der Bootsbesatzung glänzten und zeigten goldene und silberne Verzierungen.
„Wie heißen Sie, Capitano?“
„Philip Hasard Killigrew. Ich bitte um Gastrecht in eurer Stadt.“
Erst jetzt sah er, daß alle Ruderer und ihr Vorgesetzter schwer bewaffnet waren. Obwohl Venedig seine Besitzungen Nauplia und Monemvasia längst verloren hatte, schien die Lagunenstadt ein Zentrum der Ordnung, des Reichtums und der Macht geblieben zu sein.
Unwillkürlich spürten die Mannen, daß sie sich hier in die Zwänge einer städtischen Ordnung begaben. Venedigs Stadtwachen sahen aus, als würden sie nicht gerne fragen, sondern lieber gleich handeln.
Ben Brighton, der die Stimmung ebenso fühlte, grinste in sich hinein.
„Ihr kennt den Canale di San Marco?“ tönte es aus dem Boot.
„Noch nicht. Welcher ist es?“
Der Vertreter der Republik beschrieb ihnen, wie sie die südliche Seite des Platzes des Heiligen Marcus finden konnten. Er schloß: „Die letzten Schläge müßt ihr rudern. Es liegen andere Schiffe dort, es ist nicht zu verfehlen.“
Hasard bedankte sich.
„Denkt daran, daß sich jedes Schiff unter dem Stadtrecht befindet. Wir wollen Frieden und Ruhe in der Stadt!“ rief der Venezianer.
Der „Capitano“ rief zurück: „Ich lasse jeden kielholen, der sich schlecht benimmt! Meine Männer und ich wehren uns nur, wenn man uns angreift!“
Was häufig passiert ist, dachte er und gab Befehl, zwei Segel zu streichen und die Riemen und Leinen, bereitzuhalten. Die Schebecke drehte langsam wieder aus dem Wind.
Hasard grüßte zu den Venezianern hinunter, die ihre Riemen ausbrachten, das Boot in einem oft geübten Manöver wendeten und ihrem Stützpunkt entgegenpullten.
„Also, Männer!“ sagte der Seewolf grimmig. „Ihr habt’s gehört. Wir werden den Italienern zeigen, wie sich englische Gentlemen benehmen, klar? Als erstes zeigen wir ihnen, wie ein erstklassiges Anlegemanöver gefahren wird!“
Begeistert stimmten die Männer zu. Das Heck des Schiffes schwang herum. Über der Lagune erreichte die riesige dunkelgraue Wolke die rote Sonne. Plötzlich verdunkelte sich die gesamte Umgebung.
Der Wind, der die Schebecke auf den Eingang des breiten Kanals zutrieb, brachte feinen Sprühregen mit. Die Inseln in der Lagune verschwanden hinter einem grauen Regenvorhang. Hasards Söhne, ebenfalls dick vermummt, kletterten zu ihrem Vater zum Achterdeck hinauf.
Blitze und Donner, einzelne wilde Regenschauer und kurze Augenblicke der Windstille begleiteten die Fahrt des Schiffes. Die Fronten der Palazzi troffen vor Nässe. Nur wenige Ruderboote – Gondeln mit hochgezogenen Schnäbeln – kreuzten den Kurs. Das Wasser roch brackig. Die Männer bewunderten den Reichtum und die Schönheit der Häuser, deren Fundamente hoch vom Wasser umspült wurden.
Die Pfähle an den Anlegestellen zeigten spiralige Verzierungen. Nur wenige Leute waren unterwegs und flüchteten vor dem hämmernden Regen unter die Vordächer und Arkaden.
Das Wappen der Stadt, das an vielen Gebäuden glänzte, ließ erkennen, wie mächtig der Stadtstaat einmal gewesen war.
Mit dem Spektiv suchte der Seewolf die Gebäudefronten, den Rand der Kanalteile, die prunkvollen Fassaden und die Hafeneinfahrt ab. Es gab nicht einen Hinweis darauf, daß er seine erste Meinung ändern müsse.
„Klar zum Wenden!“
Der riesige Markusplatz tauchte auf. Auf seinem Pflaster gab es nichts als eine Ansammlung von riesigen Pfützen, in die schwere Regentropfen einschlugen. Das Schiff drehte sich in die Anlegestelle hinein, die Rahrute fiel, das Segel wurde geborgen.
Über Heck, dem Beispiel der anderen Schiffe folgend, legten die Seewölfe längsseits zur kurzen Mole an. Leinen flogen an Land, Luke Morgan und Bob Grey sprangen hinterher und belegten den schlanken Rumpf.
„Klarschiff!“
Hasard wandte sich an Ben Brighton und meinte zufrieden: „Der Regen wird bald nachlassen. Was wir dem Hafenmeister sagen, ist inzwischen allgemein bekannt. Überdies stimmt’s einigermaßen mit der Wahrheit überein.“
Der Erste Offizier spähte zum Himmel. Die Regenwolke zerfaserte. Immer wieder erschien die Sonne in den großen blauen Löchern. Über der Lagune spannte sich ein Regenbogen. Es war lausig kalt geworden.
„Was hast du eigentlich wirklich vor, ich meine, ein reines Handelsschiff sind wir ja nicht gerade.“
„Hör gut zu, was ich dem Hafenmeister erzähle. Unabhängig davon wird man uns schier mit Ehren überhäufen.“
„Wegen Rocca und seinen Plünderern?“
„Genau deswegen. Schließlich liegen hier fünf Frachtsegler. Jeder ist froh, wenn den Wegelagerern des Meeres und anderen Schiffeversenkern das verdammte Handwerk gelegt wird.“
Er schob das Spektiv zusammen und deutete über das nasse Hafenpflaster. „Sie kommen schon. Hier herrschen wirklich Zucht und Ordnung.“
„Wahrscheinlich wollen sie Liegegeld von uns.“
„Sollen sie haben, von mir aus.“
Die Mannschaft nutzte das Regenwasser aus, um den salzigen Belag vom Deck zu waschen. Roger Brighton, der Takelmeister, überprüfte das Rigg und schaffte die Reparaturausrüstung an Deck. Fünf Männer gingen aus der Richtung der Doppelsäulen auf die Schebecke zu. Breite Planken wurden vom Schiff zum Land geschoben.
„Gehen wir, Ben!“ forderte Hasard seinen Ersten auf. „Wir sollten aber tatsächlich mit den Kaufleuten reden. Irgend etwas springt sicher für uns dabei heraus.“
„Einverstanden.“
Über die federnde Planke balancierten sie auf die nassen Quader hinunter. Der Wind brachte einen stechenden Geruch mit sich, der sich wie Giftnebel über den Hafen legte. Vier Bewaffnete mit Hellebarden, zweiläufige Pistolen in den breiten Gürteln, begleiteten den Hafenmeister. Er schlug seinen prächtigen, nassen Mantel zurück und stellte sich mit einer kurzen Verbeugung vor.
„Mario de Biasi, meine Herren, diensttuender Hafenmeister der Stadt. Ihr habt am besten Platz angelegt, wie ich sehe.“
Auch Ben Brighton und Hasard verbeugten sich und nannten ihre Namen.
„Wie lange wollt ihr bleiben?“
„Vielleicht zehn Tage, etwas mehr oder etwas weniger“, erwiderte Hasard. „Wir haben das Schiff auszubessern, denn es hat während der mißlichen Streitigkeiten mit einem der Feinde Venedigs gelitten.“
Der Italiener deutete mit einem ringgeschmückten Zeigefinger auf seinen Schreiber, der sorgfältig jedes Wort auf einer Tafel notierte.
De Biasi war erstaunt und zeigte es deutlich.
„Unsere Feinde? Wie das?“
„Erzähle es ihm!“ forderte Hasard seinen Ersten auf.
Ben Brighton schilderte ihr Abenteuer mit den erfindungsreichen Schiffeversenkern.
Während der stechende Gestank stärker wurde, hörte der Regen endgültig auf. Die strahlende Nachmittagssonne verwandelte die Umgebung des Markusplatzes wieder in eine farbenfrohe Kulisse. Als hätten sie alle nur darauf gewartet, daß der Regen aufhörte, strömten Menschen aus allen Winkeln und Ecken auf den Platz, die gepflasterten Wege und die Gäßchen zwischen den mehrstöckigen Häusern.
„Der Rat der Stadt, Capitano Killigrew, wird diese Nachricht mit gebührender Freude zur Kenntnis nehmen“, versprach der Hafenmeister.
„Was riecht hier eigentlich so mörderisch?“ erkundigte sich der Seewolf und hielt sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu.
„Ach, das sind nur die Bottiche und Gruben der Abdecker. Auf der Insel Giudecca haben wir Gerbereien. Bei östlichen Winden mag es dann und wann ein wenig übel riechen.“
„Ein wenig? Nun gut, der Wind wird drehen.“
„Heute abend schon. Ihr werdet Geldwechsler brauchen, wenn ihr Proviant einkauft.“
„Ich gehe mit einigen meiner Männer später an Land. Sagt uns, wo wir eine gute Schenke finden.“
„Kommt nachher zu mir. Dort hinten findet ihr mich. Ich gebe euch einen Führer mit, der, so Gott will, ein paar Brocken eurer Sprache spricht.“
„Einverstanden.“
Auf den anderen Schiffen knarrten die Ladebäume. Ballen wurden an Land geschwenkt und davongetragen. Es war, als hätte die Sonne halb Venedig aus dem Schlaf geweckt.
„Wir sind gut ausgerüstet, Capo dello porto“, sagte Ben Brighton nach einem weiteren Wortwechsel. „Aber es kann sein, daß wir Handwerker und Werkzeug, vielleicht auch Material fürs Schiff brauchen. Wo finden wir hilfreiche Hände?“
„Auch das zeigt euch ein Führer. Wendet euch an mich.“
„Viele Londoner Kaufleute“, begann Hasard nach einer Weile, „sind mit uns befreundet. Da wir versuchen, auf schnellstem Weg und eigenem Kiel nach Hause zu segeln, ist es wohl an der Zeit, mit euren tüchtigen Kaufleuten zu sprechen. Wir brauchen Warenmuster, Preise und Lieferbedingungen. Für Gewürze aller Art findet sich ein guter Markt in englischen Städten. Da eure Schiffe selten oder nie unsere Häfen anlaufen, sollen wir’s versuchen. Wenn Sie, Signore de Biasi, ehrliche Kaufleute kennen, so schicken Sie diese bitte zu uns.“
„Ist schon notiert.“
Neugierig verfolgten nicht nur die eigenen Leute, sondern auch die Mannschaften der Lastschiffe die Unterhaltung. Der Hafenmeister vergewisserte sich, daß die Seewölfe keinerlei Handelsgut zu verkaufen hatten. Er bat, an Bord gehen zu dürfen und bewunderte, stark beeindruckt, die sauber geputzten und verzurrten Culverinen mit ihren langen Rohren.
„Hier werdet ihr sie nicht brauchen, Capitano“, sagte er. „Venedig ist, alles in allem, eine friedliche Stadt.“
„Hoffen wir das beste“, brummte Ben Brighton.
Der Hafenmeister ging mit seinen Leuten von Bord und schlenderte ohne große Eile zu den anderen Schiffen hinüber. Flache Boote waren aus beiden Richtungen des Kanals herangerudert worden und nahmen Säcke und Kisten auf. Die Sonne sank langsam in den Nachmittag.
Ein arbeitsreicher Mittag näherte sich dem Ende. Aus den Luken und Niedergängen drangen dünner Rauch und Essensgeruch, und das erinnerte mindestens ein Dutzend Männer daran, wie hungrig sie waren.
Carberry, der Profos, tappte über die Planke an Land und deutete eine Ehrenbezeugung an.
„Ist es notwendig, daß wir an Bord bleiben?“
„Wir? Wer ist ‚wir‘?“ fragte der Seewolf.
Edwin Carberry, der Profos mit dem narbigen Gesicht, hob die mächtigen Schultern.
„Ferris Tucker, Dan O’Flynn und ich.“
„Nicht unbedingt“, antwortete Hasard. „Was habt ihr vor?“
„Wir wollen einmal, nach langer Zeit, etwas Vernünftiges zwischen die Zähne kriegen. Wir gehen einfach in irgendeine Schenke, bestellen, essen und bezahlen. Sonst nichts. Landurlaub sozusagen, Sir.“
Der Seewolf starrte in das Gesicht seines Profos’. Dann irrte sein Blick ab und glitt über einen Teil der Hafenanlagen.
„Warum eigentlich nicht? Geht zum Hafenmeister und laßt euch einen Führer mitgeben. Nach Sonnenuntergang seid ihr wieder an Bord. Einverstanden?“
Dan O’Flynn, der Mann mit den schärfsten Augen der Mannschaft, schwang sich über die Planke hinunter und blieb neben Hasard und den anderen stehen.
„An Bord weiß jeder, was zu tun ist. Alles ist klar, denke ich. Es ist nur so, daß wir mal die Küchen Venedigs kennenlernen wollen. Haben wir offiziell Ausgang?“
„Klar! Verhaltet euch ruhig. Ich warte auf die ehrenwerte Kaufmannschaft der Lagunenstadt!“ Hasard lachte. „Vielleicht folgen wir euch in das Ristorante!“
„In welches? Keine Sorge – wir spüren den besten Wein in der Stadt auf und finden auch wieder zurück in unsere Kojen.“
Ferris Tucker, Carberry und Dan O’Flynn waren Männer, die gut für sich selbst sorgen konnten.
Der Seewolf nickte und brummte: „Geht zum Hafenmeister und nehmt einen Führer. Denkt daran: Wir haben harte Tage vor uns.“
„Verstanden, Sir!“ Dan O’Flynn grinste breit.
„Ich bleibe beim Schiff“, setzte Hasard hinzu. „Mir ist dieses Venedig nicht ganz geheuer. Wir liegen in einem fremden Hafen, einer fremden Stadt. Ich bin unruhig.“
„Ist klar, Sir. Wir bleiben in der Nähe. Irgendwo hier am Hafen.“
„Alles klar“, murmelte der Seewolf.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit waren es noch sechs Stunden. Früher oder später würden alle. Mann der Freiwache das Schiff verlassen. Dann gab es Lärm und Räusche in den Tavernen. Bevor er selbst genau wußte, ob Venedig der richtige Ort für die Arwenacks war, würde er seinen Leuten nicht erlauben, sich in Gefahr zu bringen.
Ferris Tucker und die beiden anderen gingen scherzend und lachend entlang der Mole auf die breite Brücke zu, die den Kanal überspannte. Hasard schaute ihnen nach. Er witterte Unheil zwischen den Mauern – eine fremde Stadt, fremde Gerüche und feuchte Kälte über dem schmutzigen Wasser. Es gefiel ihm nicht.
2.
Die drei Männer ließen sich Zeit. Zuerst musterten sie genau die fremden Schiffe, deren Tiefladelinie langsam aus den Wellen auftauchte. Die Lastensegler wurden zügig mit viel Geschrei und Gelächter entladen. Sie stolperten über Holzsplitter, leere Kisten, Brocken von Ziegelsteinen, rutschten über fauliges Gemüse und traten in spritzende Pfützen. Hinter einem zweimal mannshohen Bogen in einer Hausmauer, deren Verputz in großen Fladen abblätterte, erkannten sie die Hafenmeisterei.
Ein frierender Posten drückte sich in einen Winkel.
„Ein paar Brocken von der Sprache hier kennst du doch auch, nicht wahr?“ wandte sich der rothaarige Riese an Dan O’Flynn.
„Na, es reicht.“
Knarrend öffnete sich die rissige Tür. Auch das Holz trug die Spuren von Alter, Salzwasser und dörrender Sonnenhitze.
„Ah, die englischen Signori. Braucht ihr einen Rat?“
„Einen Mann, der uns eine Taverne zeigt. Und das Wichtigste rundum“, erwiderte Dan O’Flynn.
Der Hafenmeister, der seine Aufgabe ernst nahm, starrte die Männer schweigend an und musterte sie, als wären sie entsprungene Sträflinge.
„Cartolino!“ schnarrte er über seine Schulter. Er fuhr fort, vermischte Spanisch, Italienisch und ein paar Worte seltsam betontes Englisch: „Er spricht Inglese. Er wird zeigen, si? Schöne Stadt, nostro Venezia. Habt ihr schon gesehen Piazza di San Marco?“
„Nichts haben wir gesehen.“
Ein zierlicher Italiener erschien aus der Dunkelheit der Amtsstube. Er blinzelte und zuckte mit den Schultern. Seine Kleidung war abgewetzt, aber er schien recht fröhlich zu sein. Der Hafenmeister feuerte eine Serie aufgeregter Worte ab. Ebenso aufgeregt antwortete Cartolino.
Dann holte er tief Luft und stotterte in der Sprache der Seewölfe: „Ich Sie gut führen, Gentlemen. Du mich nur fragen, Sir, ich alles erklären können. Was ihr tut wollen zu sehen, Sirs?“
„Ein paar Händler, einen Geldwechsler, eine gemütliche Taverne. Und du kannst uns zeigen, was du willst, Hauptsache, es ist etwas wert. Wir haben Hunger.“
„Nein, Durst“, setzte der bullige Profos hinzu.
„Ganz verdammten Durst! Hoffentlich habt ihr guten Roten!“ brummte Ferris Tucker.
Wieder sagte der Hafenmeister etwas. Cartolino übersetzte, als ihn Carberry fragend ansah.
„Er sagt, ihr sollt mir einen Becher Wein bezahlen, das sei Lohn genug“, sagte er mürrisch. „Kommt.“
Dan O’Flynn grüßte den Hafenmeister und gesellte sich zu der Gruppe. Die vier schlenderten nach links. Nach einigen hundert Schritten lag die Weite des Marco-Platzes vor ihnen. Cartolino erklärte, so gut er konnte, die prächtigen Bauwerke, den Campanile, den Palast des Dogen. Dann ging es im Zickzack nach Norden, und die Seewölfe hatten ernsthafte Schwierigkeiten, sich den Weg zu merken.
Auf schmalen Brücken überquerten sie die Kanäle, die unterschiedlich breit waren. Die Mauern troffen vor Nässe. Aus den aufgerissenen Mäulern der Wasserspeier lief Regenwasser. Aus zahllosen Fenster ertönten Stimmengewirr und Geschrei.
Treppen und vorspringende Kanzeln, schmale Wege entlang der schmalbrüstigen Häuser, ein düsterer Gang hinter Arkaden, ausgetretene Steinstufen und immer wieder Kanäle, aus denen es übel roch.
Carberry schüttelte den Kopf und sagte rauh: „Eine verdammte Menge von diesen stinkigen Pißrinnen haben sie hier. Ich möchte hier nicht wohnen.“
Aus offenen Türen drangen Essensgerüche. Die Mägen der Seewölfe fingen zu knurren an.
„Mir wär’s auch zu dunkel. Direkt unheimlich, diese nassen Steinhaufen“, sagte Ferris Tucker und setzte zu einem Fluch an.
Cartolino hielt sie auf.
„Hier, Gentlemen, könnt ihr eure Goldstücke in unsere Lire wechseln lassen. Ich passe auf. Bartolomeo wird euch nicht betrügen.“
Je länger er sein Englisch versuchte, desto besser schien er sich zu erinnern. Mittlerweile verstanden sie sogar seine seltsame Betonung.
Bei aller Pracht der großen Gebäude: viele Wohnhäuser sahen abgrundtief grau und streifig aus, heruntergekommen und mit bröckelnden Fassaden, brechenden Fensterstürzen und schadhaftem Mauerwerk. Eine ehemals reichverzierte Tür und ein Fenster aus zahllosen kleinen Glasscheiben, darüber verblichene Schriftzüge und allerlei Zeichen deuteten auf den Geldwechsler hin.
„Ich darf vorausgehen, Gentlemen?“
Cartolino klopfte, öffnete die Tür und rief einige Worte ins Innere. Die Seewölfe folgten, als er winkte. Sie traten in einen dämmerigen Laden, in dem es nach Schimmel, feuchtem Pergament und nassen Kleidern roch. Cartolino erklärte, und jeder der Seewölfe zog aus der Gürteltasche einige Münzen. Silber und Gold, verschiedene Größen, mit unterschiedlichen Schriften und Zahlen klimperten auf das steinerne Zahlbrett.
Der Geldwechsler verstand sein Geschäft.
Er wog die Münzen, rechnete auf einer Tafel, schrieb und addierte, unterhielt sich mit dem Führer, der einige Fragen an die Engländer stellte, und schließlich zählte er auf drei Häufchen Kupfermünzen, silberne und wenige kleine goldene. Wachsam zählten die Seewölfe mit.
Sie erkundigten sich danach, was die kleinste Münze wert war. Wieder erklärte es ihnen der Führer mit dem glattrasierten Kinn.
„Sage ihm unseren Dank.“
Dan O’Flynn war einigermaßen sicher, daß sie nicht übervorteilt worden waren. Er strich das Geld ein und schob es in die Tasche.
„Gehen wir.“
Nur hin und wieder stießen Sonnenlicht und etwas Wärme durch Lücken in den Mauern und zwischen den Hausfronten hindurch. Einmal sahen sie den Canal Grande links von ihrem Weg. Immer wieder hörten sie die Rufe der Gondelruderer. Ab und zu blieb Dan O’Flynn stehen und vergewisserte sich, daß er die einzelnen Punkte nicht vergessen hatte, die er brauchte, um zu den Landeplätzen zwischen den Werften und dem Gebäude der Münze zurückzufinden. In seinem Kopf entwickelte er einen klaren Plan dieses Stadtteils.
Er schrak auf, als Cartolino mit großartiger Gebärde verkündete: „Das ist die Kirche der Heiligen Giovanni und Paolo. Chiesa di Santi Giovanni e Paolo, wie wir sagen.“
„Aha. Und der Kerl da auf dem Pferd?“ wollte der Schiffszimmermann wissen. Er zeigte zu einem Reiterstandbild, das sich auf dem Platz erhob.
Voller Verwunderung fragte Cartolino: „Ihr kennt Bartolomeo Colleoni nicht?“
„Keine Spur. Der Bursche sieht aus, als wüßte er exakt, wie man entschlossen dreinhaut!“
Ferris Tucker fühlte sich unbehaglich und dachte an seine Axt. Er hätte sie nicht im Schiff lassen sollen.
„Es ist der tapfere und großherzige Condottiere Colleoni. Er wurde im Jahre des Herrn vierhundert geboren“, erklärte Cartolino mit schwungvollen Gesten.
Am Rande des Platzes vor der Kirche zog ein Trupp bewaffneter Stadtwachen vorbei. Händler hatten ihre Bretter auf wacklige Böcke gelegt und boten Waren an.
„Sieht aber nicht sehr lebendig aus“, sagte Carberry und versuchte abzuschätzen, wie viele Geschützläufe man aus dem bronzenen Pferd und dessen Reiter gießen konnte.
Colleoni hatte in den Diensten der Stadt Venedig gestanden. Seit die Spanier über das Land herrschten und die Franzosen besiegt hatten, nahmen Macht und Reichtum Venetiens ab. Das selbstbewußte Stadtwappen, der geflügelte Löwe, stand seither auf wackeligen Beinen zugleich auf dem Meer und dem Land. Venedig kämpfte an vielen Fronten.
1475 starb Colleoni und hinterließ sein erkämpftes Vermögen der Stadt. Es waren hunderttausend Golddukaten gewesen. Die Stadtrepublik verwendete sie dazu, wohltätige Einrichtungen zu schaffen: Siechenspitale, Speisung der Armen und der Bau von Wohnungen für die Ärmsten. Zu Colleonis Testament gehörte auch, daß ihm die Stadt ein Reiterstandbild errichten sollte, und zwar auf der Piazza San Marco. Aber man entschied sich dafür, den Reiter in Bronze auf dem Kirchenplatz vor Santi Giovanni e Paolo aufzustellen.
„Ihr müßt wissen, Gentlemen, daß der berühmte Andrea del Verocchio dieses Kunstwerk geschaffen hat. Er, den man ‚das wahre Auge‘ nannte, war der Meister, bei dem Leonardo aus Vinci lernte.“
„Soso“, sagte Carberry und schüttelte sich. „Und wo hat der Rat der Zehn die versprochene Taverne bauen lassen? Mein Magen knurrt wie ein gebrochener Mast.“
Cartolino breitete die Arme aus und deutete auf eine breite Gasse.
„Dort, meine Herren. Ich verstehe, daß ihr mehr von leiblichen denn von Kunstgenüssen haltet.“
„Wenigstens jetzt.“
Bevor sie die Gasse erreichten, zeigte der Führer noch auf eine tiefgehende Schute, die gerade um die Insel San Christofero gerudert wurde.
„Hier kommt grano turco – Mais, wie ihr sagen würdet – aus der Polesina. Viele treffliche Gerichte bereitet der Wirt, bei dem ihr essen werdet, aus dem Mais.“
„Na hoffentlich.“
Der Goldene Löwe, Leone d’oro, hatte viel von seinem früheren Glanz eingebüßt. Rauch und Stimmengewirr schlugen den Männern entgegen. Nur wenig Sonnenlicht drang durch schmutzige Fenster in das Gewölbe. Auf den Tischen brannten Kerzen, ein riesiger Kamin verbreitete rotes Flackerlicht und wohlige Wärme.
Die vier Männer fanden einen leeren Tisch in der Nähe des Feuers. Ungefähr drei Dutzend Leute saßen auf den Bänken und unterhielten sich. Die wuchtigen Holztische waren voller Becher und Schüsseln. Die Seewölfe und Cartolino wurden lange angestarrt, dann kümmerten sich die Gäste wieder um sich, ihre Gespräche und das Essen.
Man war Fremde gewöhnt, schaute sie sich aber recht genau an. Auch zwei Männer der Stadtwache streckten unter dem Tisch die Beine zum Feuer aus.
Der Wirt, angetan mit einer großen, schmuddeligen Schürze, trat an den Tisch. Cartolino erklärte, wer seine Tischgenossen waren und bestellte zuerst den Wein. Dann brach ein gemütlicher Streit aus, ob sie nun Fisch oder Fleisch wollten, Gemüse oder Pasta, Minestrone, und schließlich hatten sie einen Korb mit frischem Brot zwischen sich, einen Laib Käse und die Weingläser.
„Hübsche Becher habt ihr in Venedig“, brummelte Dan O’Flynn nach dem ersten durstigen Schluck.
„Sie stammen aus den Glasfabriken von Murano. Ihr habt vorhin im Norden die Insel gesehen. Ist das nichts für eure englischen Kaufleute?“ fragte Cartolino geschäftstüchtig. Vielleicht witterte er einen Profit.
Dan hob prüfend den Glaspokal mit den eingegossenen und aufgesetzten Verzierungen, hielt den Wein gegen die Kerzen und trank.
„Da müßt ihr unseren Kapitän fragen“, sagte er zufrieden und betäubte das Knurren seines Magens mit einem tiefen Schluck.
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