Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 694»

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-96688-116-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Die Rache des falschen Sultans

Der Alptraum wird brutale Wirklichkeit – der falsche Sultan schlägt zu

Drawida Shastri saß im Prunksaal des Sultans von Golkonda. Seine dunklen Augen schienen Feuer zu sprühen. Er packte den Griff der Pistole und den des Dolches gleichzeitig und fühlte, wie ihn Haß, Enttäuschung und Wut innerlich verbrannten.

„Verdammte Engländer!“ zischte er. „Die Pestgöttin wird mit Pech und Schwefel über euch herfallen und dafür sorgen, daß ihr noch elender verreckt als die räudigste Ratte im Hafen.“

Sie hatten ihn um einen gewaltigen Schatz betrogen, das Schiff der portugiesischen Kumpane vernichtet und seine Männer und ihn in die schmähliche Flucht getrieben. Dafür sollten sie büßen. Alle. Er würde dafür sorgen, denn jetzt war er derjenige, der handeln konnte. Jede einzelne Demütigung würden sie bezahlen müssen …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Die Hauptpersonen des Romans:

Dan O’Flynn – befindet sich zusammen mit Hasard junior auf Landurlaub und entgeht so dem Schicksal der anderen Arwenacks.

Clint Wingfield – der Moses versteckt sich auf der Schebecke, die von den Portugiesen des Luis de Xira übernommen wird.

Drawida Shastri – der falsche Sultan genießt kalt seine Rache und hat Schlimmes mit den Arwenacks vor.

Philip Hasard Killigrew – gerät in eine Falle, wird zusammengeschlagen und landet als Sklave auf einer Ruderbank.

1.

Dan O’Flynn ächzte und stöhnte, aber diesmal aus reinem Vergnügen. Er drehte den Kopf, so langsam wie irgend möglich, und blickte hinüber zu Hasard junior. Obwohl Dan schwitzte, als läge er in der prallen Sonne, fühlte er sich so wohl wie seit langem nicht mehr.

„Geht’s dir auch so gut, Hasard?“ fragte er und fühlte den weichen, vorsichtigen Druck der eisenharten Finger auf den Schulterblättern und den Muskeln darüber. „Ich könnte bis zum Ende des Monats hier liegenbleiben und mich verwöhnen lassen.“

Der junge Seewolf schien schon halb zu schlafen, obwohl sich auch über ihn ein breitschultriger, wohlbeleibter Inder beugte und seine Schenkel knetete, als wären sie nasse Leinwand.

„Noch nie besser gegangen“, erwiderte er knapp. „Seit Wochen, Dan.“

„Und der Abend hat erst angefangen“, murmelte Dan und schloß die Augen.

Er ließ den Kopf zurücksinken auf das weiße Leinentuch, das von seinem Schweiß getränkt war. Es roch nach parfümierten Ölen, nach exotischen Seifen und nach duftenden Tüchern. Die Haut der beiden Männer troff von Öl. Nachdem jeder einzelne Muskel geschmerzt hatte, als stoße man glühende Nadeln hinein, breitete sich überall dort, wo die indischen Muskelmänner zugelangt hatten, eine prickelnde Leichtigkeit im Körper aus.

Trotzdem lief der Schweiß wie Regenwasser. Hin und wieder griff einer der beiden Arwenacks nach dem großen, kühlen Krug, von dem die Wasserperlen hinuntersickerten und nahm einen Schluck. In den Krügen befand sich eine Mischung aus dem Saft unbekannter Früchte, aus frischer Kokosmilch und einem kräftigen Schluck Arrak.

„Ausgang bis zum Wecken“, flüsterte Dan O’Flynn. Er hatte an diesem Abend noch eine Menge vor. Er wußte nicht genau, was es sein würde, aber er freute sich darauf.

„Zuerst wirst du mich wecken müssen“, murmelte, noch schläfriger, Jung Hasard.

Es war der letzte Tag der Arwenacks im Hafen von Madras. Bei Sonnenaufgang oder kurze Zeit später wollten sie ablegen. Irgendwie waren sie alle froh, daß die Goldschatz-Abenteuer ein gutes Ende gefunden hatten.

Bandar hieß das neue Ziel, das Kapitän Philip Hasard Killigrew, ausgestattet mit umfangreichen, gesiegelten Empfehlungsschreiben, ansteuern wollte. Dort sollten sie mit dem Nawab von Bandar sprechen.

„Ist es gut so, Engländer?“ fragte der Inder, der Dans Nacken massierte. „Du fühlst dich wohl?“

Dan verstand genug und entgegnete: „Knete weiter, Meister der Muskeln und des Öls. Ich weiß nicht, wann ich wieder so eine Wohltat empfange.“

„Bald bin ich fertig“, sagte der dunkelhäutige Mann.

Er schien nicht aus Madras zu stammen. Die meisten Eingeborenen hier waren nicht fast schwarzhäutig wie er. Aber Dan vergaß, darüber nachzudenken, zumal es unwichtig war.

Zuerst hatte Hasard junior mit dem Besitzer oder Vorsteher der Badestube den Preis für eine Handvoll verschiedener Leistungen ausgehandelt. Dann hatte man beide Männer halb ausgezogen und in knarzende Riesensessel aus Rohrgeflecht bugsiert.

Jeweils zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere, hatten ihnen das lange Haar gewaschen, gesträhnt und mit Messern, Scheren und Schaum und allen möglichen Pudern und Pasten geschnitten und gekürzt. Mittlerweile klebten die Haare wieder wie regennaß am Kopf.

Nach einer Schale bitterem Tee, der sie erfrischt hatte, badeten die Frauen die Hände und Füße der beiden in heißem, duftenden Wasser, trugen giftgrüne Salben auf, feilten die Nägel, beseitigten mit feinen Bimssteinen die Hornhaut, taten seltsame Dinge an vielen Stellen der Füße und der Waden und scheuerten schließlich die Füße bis hinauf zu den Knien mit schäumender Seife, massierten sie, und als Dan und Hasard in den nächsten Raum geführt wurden, gingen sie wie auf Wolken.

Die Schinderei des unwürdigen Pullens in Ketten auf den Ruderbänken der „Stern von Indien“ war durch das Fest beim Sultan von Golkonda längst vergessen, ebenso die Sorge um die fünf einsamen Wachen auf der Schebecke und die Erleichterung darüber, daß es ihnen mit viel List und zuletzt einem rauchreichen Brandsatz gelungen war, die Hafenratten zu vertreiben. Sie alle waren wieder frei und brauchten nur den Wellen und dem Wind zu gehorchen, niemandem sonst.

Wie dem auch sei, sagte sich Dan O’Flynn, schwitzend, gleichgültig und zufrieden, morgen früh segeln wir aus dem Hafen und in einen neuen Teil Indiens, und das mit dem besten und schönsten Schiff aller sieben Meere.

„Bitte sehr“, sagte jetzt der andere Inder, der nicht viel weniger schweißüberströmt war als die beiden Seewölfe, „umdrehen.“

Hasard junior tauchte aus einem merkwürdigen Traum auf, vergaß ihn augenblicklich und drehte sich auf den Rücken. Er blickte hinüber zu Dan. Dem erging es ebenso. Die Finger, Knöchel und Fäuste der Inder fielen wieder über die Körper her, diesmal vom Kinn über den Hals und die Brust bis hinunter zu den Knien. Es stank nach heißem und noch mehr nach erkaltetem Schweiß, und schließlich wickelten die beiden wuchtigen Inder die triefenden Leinentücher um die Körper der Seewölfe.

Sie blieben ein paar Atemzüge lang erschöpft, aber entspannt liegen.

Dann murmelte Dan O’Flynn: „Was haben die Kerle jetzt mit uns vor?“

„Leinen los“, sagte Hasard, zuckte mit den Schultern und verbesserte sich: „Keine Ahnung. Wahrscheinlich kreuzt gleich einer mit Flöte und Korb auf und läßt irgendwelche blöden Schlangen tanzen.“

„Ach ja“, meinte Dan, „solange sie keinen von uns beißen, sollen sie tanzen und dudeln.“

Es dauerte seine Zeit, bis sie, von den schweißtriefenden Indern halb gestützt, halb getragen, den nächsten Raum erreichten. Dort erwartete sie, durch Löcher in der westlichen Wand erhellt, ein Becken voller Wasser, das in vier Abteilungen abgetrennt war. Als sei es ein Überfall, rissen die muskulösen Inder den Seewölfen die Tücher vom Leib und schoben sie sanft, aber nachdrücklich, in das erste Becken.

Hasard junior kreischte laut, Dan etwas leiser.

Es war, nach aller Hitze, eiskalt. Wie die Brandung vor Cornwall im Dezember.

So schien es ihnen jedenfalls.

Schlagartig wurden sie hellwach. Ihre Sohlen erreichten den Boden des gemauerten Beckens, und sie waren bis zum Hals in dem kalten Wasser versunken.

„Bei der eiskalten Kali“, ächzte Hasard junior. „Das ist böse. Ich bin wieder völlig wach.“

Dans rauhes Gelächter verlor sich zwischen den dicken Wänden aus luftgetrockneten Lehmziegeln und schweren Quadern.

„Ich auch. Leider. Aber es tut gut.“

Die Inder trieben die beiden Badegäste von einem Becken ins andere, von kaltem Wasser ins warme und wieder zurück.

Eine halbe Stunde später, nachdem sie sich abgetrocknet hatten, sagte Hasard junior verblüfft: „Wahrscheinlich fühlt man sich so, wenn man neu geboren wird, eh? Die verstehen etwas von ihrem Handwerk, die Bademeister und Kneter.“

Die Inder schienen sich über die lachenden, frisch rasierten und strahlenden Gesichter der Seewölfe ebenso zu freuen wie über die Rupien, die ihnen Dan in die öligen Hände drückte. Völlig wach und in bester Stimmung verließen Hasard und Dan das Badehaus.

„Madras, wir kommen“, sagte Dan. „Auf zum Basar!“

Clint und Mac Pellew hatten ihnen den Weg beschrieben. Es war bereits dunkel geworden, und die Straßen und Gassen wurden durch Kienspäne, Fackeln und Öllampen nur schwach beleuchtet. Die Seewölfe blieben in der Mitte der Gassen und schauten sich wachsam um. Schattenhafte Gestalten bewegten sich entlang der Mauern und in Hauseingängen. Aus einigen Gärten drang die Musik von Flöten, kleinen Trommeln und Zupfinstrumenten. Die Lieder, fand Hasard junior, klangen nicht gerade fröhlich und ausgelassen.

„Wenn wir die Worte verstehen könnten“, erwiderte Dan, „würden wir vielleicht anders urteilen.“

„Kann schon sein.“

Für Dan und Hasard unterschied sich dieser Teil von Madras nicht von anderen Städten Indiens. Die gleichen Bäume, überall Zäune, Hecken und Mauern, die gewohnten Gerüche von Feuerstellen und scharfen Gewürzen.

Nach hundert Schritten blieb Dan O’Flynn stehen, sah den Fledermäusen zu, die zwischen den Bäumen Insekten jagten, dann sagte er: „Das Kneten und Baden hat mich hungrig werden lassen. Wie geht es dir?“

Hasard junior lachte kurz und erwiderte: „Du hast recht. Ich wollte gerade das gleiche vorschlagen. Suchen wir uns einen Laden, in dem sie Chapattis backen oder sonst etwas.“

„Einverstanden. Da lang. Da geht’s zum Basar.“

Dan zeigte nach links. Sie traten aus einer halbdunklen Gasse auf die breite, teilweise gepflasterte Straße, die ihnen der Koch beschrieben hatte. Hier herrschte sehr viel mehr Leben als in dem dunklen Viertel. Fast alle Fenster sämtlicher Häuser waren erhellt, in einigen Gärten brannten Lämpchen, und viele Passanten hielten Fackeln in den Händen.

Männer unterhielten sich lachend, Kinder rannten herum, Hunde schnüffelten an den Mauerecken, und in den Häusern bewegten sich Frauen in farbenfrohen Saris. In den Bäumen schnatterten kleine Affen. Ein paar Bettler hockten auf dem Boden und hielten ihre Schalen in die Höhe.

„Clint hat recht gehabt“, sagte Hasard junior. „Madras verfügt über eine richtige Prunkstraße.“

Sie gingen langsam auf den Basar zu. Die Inder warfen ihnen zwar neugierige Blicke zu, blieben aber freundlich. Niemand belästigte sie. Sie sahen auch keine zwielichtigen Gestalten, solche, die vielleicht beim Überfall auf die Schebecke dabeigewesen waren. Zwei Doppelposten der Wache gingen, ihre langen Speere geschultert, durch die Menschenmenge. Ein Ochsenkarren fuhr mit knarrenden Feigen in der Mitte der Straße.

„Weit und breit keine Gaststube zu sehen“, sagte Hasard. „Aber überall riecht es nach Essen. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.“

„Und mir knurrt der Magen“, meinte Dan. „Gehen wir einfach der Nase nach.“

Sie sahen die großen und vergleichsweise prächtigen Häuser an, drehten sich nach langhaarigen Frauen um und passierten einen plätschernden Brunnen, von dem Mädchen und Frauen große Wasserkrüge auf dem Kopf oder den Schultern wegtrugen. Die Mädchen kicherten, als die hochgewachsenen Engländer grinsend vorbeigingen und, immer der Nase nach, schließlich vor dem weitgeöffneten Tor des Basars standen.

„Was willst du eigentlich kaufen?“ fragte Hasard. „Hoffentlich nichts zum Essen. Die Köche haben alles schon gebunkert.“

Dan zuckte mit den Schultern und zog Hasard mit sich auf den Eingang eines langgestreckten Gebäudes zu, in dem sie viele Menschen, viele Lampen und eine große Zahl hölzerner Säulen sahen, die das Dach stützten.

„Was ich suche? Weiß ich selbst nicht“, antwortete Dan. „Wenn ich es sehe, fällt es mir ein.“

Inderinnen, die volle Körbe schleppten, kamen ihnen entgegen. Aus dem Inneren drangen Stimmengewirr und unzählige Gerüche. Auf dem Boden lagen Abfälle und zertretene Früchte. Überall summten Fliegen, und die Seewölfe ließen sich von der nachdrängenden Menschenmenge mitziehen.

„Hier gibt’s wirklich alles“, meinte Hasard.

Dan fügte hinzu: „Und von allem ziemlich viel.“

Die Halle, etwa hundert Schritte in der Länge und Breite, war entlang der Wände und in einem großen Viereck in der Mitte jeweils durch breite Gänge in kleinere und größere Verkaufsstände unterteilt. Auf den niedrigen Mauern, auf dem Boden, auf Bambusgestellen und, auf Schnüren und Leinen zwischen den Pfeilern aufgehängt, befanden sich Früchte, Gewürze, alle denkbaren Arten Nüsse, Melonen, Kürbisse und streng riechendes Gemüse.

An jedem Stand verhandelten Inder lautstark über Preise und den Zustand der Waren. Jeder weitere Schritt brachte einen anderen Geruch.

„Hier!“ Hasard deutete auf eine Tischplatte, auf der zwei Dutzend verschiedener Krüge in vielen Farben und unterschiedlichen Größen standen. Umgedrehte Becher waren vor den Krügen aufgereiht. Ein hübsches Mädchen mit einem dicken, langen Zopf lächelte die Fremden zwinkernd an.

„Was verkauft die?“ fragte Dan und ließ sich von Hasard mitziehen.

„Irgend etwas zum Trinken. Aber das erfahre ich gleich“, sagte Hasard junior und grinste das Mädchen an.

„Was ist in den Krügen?“ fragte er in Hindi. „Teuer oder billig?“

Sie war überrascht, daß er in der Sprache des Landes mit ihr redete. Sie deutete nacheinander auf sechs oder sieben Krüge und zählte auf. Abwehrend hob Hasard die Hände. Er hatte nur ein einziges Wort verstanden: Kokosnußsaft.

„Langsam. So gut verstehe ich nicht“, sagte er deutlich. „Noch einmal. Hast du Kokosmilch mit Arrak?“

Sie nickte und fing von neuem an, sehr viel langsamer. In den Krügen waren Milch, verschiedene Säfte, Honig und ein paar Flüssigkeiten, mit deren Namen weder Hasard noch Dan etwas anfangen konnten. Dan verlangte zwei Becher Kokosmilch mit Arrak. Das Mädchen mischte noch ein paar Schluck von einem rötlichen, dicken Saft hinein, rührte um und gab ihnen die großen Becher.

„Danke. Wir suchen eine gute Gaststube“, sagte Dan und verzog anerkennend das Gesicht. „Herrlich schmeckt’s.“

„Ihr habt Hunger? Viel Hunger?“ fragte das Mädchen lachend.

Sie nickten beide.

„Geht zu Rajpal Nath“, sagte das Mädchen. „Dort ist es sauber und gut. Er versteht die Sprache der Portugiesen.“

„Wo finden wir sein Haus?“ fragte Hasard.

Das Mädchen beschrieb ihnen den Weg, aus dem Basar hinaus, nach links und über die breite Straße nach rechts, die dritte Quergasse.

„Ich bin Sambluja“, sagte sie. „Ich helfe in der Küche von Rajpal. Wir kochen gute Dinge. Einverstanden?“

Sie nahmen lange Züge aus den Bechern. Das milchige Getränk schmeckte hervorragend und ließ sie den Hunger vorübergehend vergessen.

„Ihr seid von dem Schiff mit den drei Masten, nicht wahr?“ fragte Sambluja und grüßte mit der linken Hand jemanden, der hinter den Engländern vorbeiging. Das Innere des Basars war von einem lauten Stimmengewirr erfüllt. Am übernächsten Stand hackte ein Händler mit einem Beil einigen Hühnern die Köpfe ab und schilderte laut die Vorzüge seiner Waren, während die Federn flogen.

„Ja. Wir wollen morgen ablegen. Unser letzter Abend in der Stadt“, antwortete Hasard und gab das Lächeln zurück. Sambluja war kaum älter als er, offensichtlich gefiel er ihr. „Schade. Aber wir müssen erst morgen an Bord sein. Die Nacht ist frei.“

Zwei Inder blieben am Stand stehen, sprachen mit Sambluja und stellten leere Krüge auf den Tisch.

Die Engländer leerten die Becher, und Hasard rief: „Wir sehen uns im Basar um! Dann gehen wir zu Rajpal.“

Sambluja nickte und winkte ihnen nach.

Ohne Eile schlenderten die Seewölfe von einem Stand zum anderen, musterten die Fische, die Enten und Hühner und blickten in große Säcke voller Pfeffer und anderer Gewürze. Sie bewunderten einen Märchenerzähler, der am anderen Ende der Halle saß und mit leiernder Stimme etwas vortrug, das Hasard überhaupt nicht mehr verstand, weil es offensichtlich ein Dialekt der Gegend war.

Lebende Schafe und Ziegen standen da, an anderen Stellen zerlegten die Schlachter mit Beilen und Messern ihre geschlachteten Tiere, und große Blutlachen breiteten sich auf dem Boden aus.

Halbnackte Träger rannten schwitzend hin und her und bewegten riesige Ballen. Dunst und Hitze wirbelten mit dem Staub in die Höhe und zogen durch die Öffnungen im geteilten Dach ab. An den Wänden klebten Geckos und fingen Fliegen in großer Menge.

„Die Leute von Madras scheinen ziemlich spät ihr Essen zu kochen“, sagte Dan schließlich. „Sie kaufen jetzt das Zeug, das sie heute abend essen werden. Oder was meinst du?“

„Abgesehen davon, daß ich mir über das Essen der Leute wenig Gedanken mache“, entgegnete Hasard, „scheint das vernünftig zu sein. Sie essen immer frisches Zeug. Und das kriegen sie hier.“

Ein Teil der Händler verkaufte Schmuck, Leder in vielen Mustern, Gürtel und Sandalen, es gab schön gearbeitete Dolche, Körbe und Kessel. Aber nichts von alledem interessierte die Seewölfe. Sie verließen den Basar und gingen nach links. Die Menge der Inder auf der Straße hatte eher noch zugenommen.

Jetzt entdeckten Dan und Hasard sogar drei Portugiesen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße. Sie wollten jeden Ärger vermeiden und blieben in der halben Dunkelheit, bis sie die Quergasse erreicht hatten.

„Dort drüben ist die gastliche Stätte“, sagte Dan.

Sie überquerten die Straße, und als endlich über ihnen die Blätter der Bäume zu rascheln und zu rauschen anfingen und der Wind eine Staubwolke hochwirbelte, spürten sie die kühle Brise aus dem nördlichen Sektor.

„Hoffentlich hält der Wind die nächsten Tage an“, brummte Dan O’Flynn. „Mir liegt die verdammte Pullerei auf der Galeere wie ein Stein auf der Erinnerung.“

„Damit bist du keineswegs allein, Dan.“ Hasard junior lachte und blieb vor Rajpals Eßtempel stehen.

„Sieht recht gemütlich aus, sein Laden“, meinte Dan.

Sie blickten in einen großen Raum im Erdgeschoß eines Hauses mit weißer Decke und ebensolchen Mauern, einigen Gewölbebögen und einem Vorbau aus Stein und Holz, mit einem Dach aus Palmwedeln und Grasmatten. Auf den Tischen lagen helle Tücher.

„Wenn ich mich recht erinnere“, sagte Jung Hasard, „dann ist das eins der Eßgewölbe in Indien, die auf den ersten Blick wie in England aussehen. Sehr gepflegt, sehr sauber. Wenn uns jetzt auch noch dieses hübsche junge Mädchen bedienen würde, dann könnte ich bis morgen früh hier sitzen.“

Dan setzte sich in Bewegung und steuerte auf die rankenden, blütenübersäten Pfosten des Eingangs zu.

„Sie wird schon kommen, wenn wir lange genug hier sitzen bleiben, Hasard“, sagte er beschwichtigend.

„Bis zum Morgengrauen werden wir wohl nicht hier essen.“

Etwa zwei Dutzend Stadtbewohner, meist Männer, befanden sich in der Gaststube. Sie saßen auf gemauerten Bänken und geflochtenen Stühlen und Hockern. In der Mitte des Raumes breitete sich ein offener Herd aus, über dem ein Rauchfang aus verrußten Brettern in der Decke hing. Über der roten Holzkohlenglut standen eiserne Roste mit fingerbreiten Zwischenräumen. Einige Mägde gingen ohne Eile hin und her, ein junger Koch briet Fisch und Fleisch über der Glut.

„Wenn ich dem zusehe“, sagte Dan O’Flynn grinsend und steuerte einen großen Tisch an, dessen Bank leer war, „dann weiß ich, daß ich wirklich Hunger habe.“

„Jetzt geht es mir ebenso“, murmelte Jung Hasard und setzte sich, nachdem er sich mit einer Dienerin durch Handzeichen verständigt hatte, neben Dan.

Sie streckten die Beine lang aus. Die Pistolen hatten sie in die Schäfte der Stiefel geschoben, damit sich niemand an der Bewaffnung störte. Schließlich waren sie in der friedlichsten aller Absichten hier. Der Wirt trat an ihren Tisch und trug Tücher und Becher.

„Bist du Rajpal Nath? Sambluja aus dem Basar hat gesagt, daß du Portugiesisch sprichst und gut kochst“, begann Dan O’Flynn. „Wenn das stimmt, dann sind wir hier richtig.“

Rajpal antwortete in leidlichem Portugiesisch. Er stellte Raitas vor sie hin, kleine Stücke gewürztes Gemüse, die in säuerliche Milch getunkt wurden.

„Ihr könnt alles erhalten, was die Leute hier essen. Was es an Fisch und Fleisch gibt – Lamm, Hammel, Ochse, Ziege –, seht ihr auf den Tellern neben der Glut. Sucht es euch aus. Reiswein?“

Dan entschied sich für ein Hühner-Pakora und Samosas vom Lamm, Byriani aus Reis und Rindfleisch mit vielen Soßen. Sie bestellten Reiswein und Kokosnußmilch.

Am Schluß der langen Aufzählung bemerkte Hasard junior: „Wenn es stimmt, was die Eingeborenen überall dort, wo es Kokosnüsse gibt, von ihrer wundersamen Kraft erzählen …“

„… dann leben wir gesund und werden steinalt“, beendete Dan den alten Aberglauben.

Aber vielleicht war doch etwas dran. Ein kleiner Krug kalter Reiswein, der nach Zitronen roch, und zwei Schalen wurden an den Tisch gebracht. Die Mädchen waren scheu und jung und sagten kein Wort. Sie lächelten die Fremden nur an, und über ihren Nasenwurzeln leuchtete der dunkelrote, kreisrunde Gebetsfleck.

„Wenn Rajpal so gut die Portu-Sprache spricht“, meinte Dan nach einer Weile und zwei Schlucken des dünnen Weines, „dann wundert es mich, daß hier nicht viele Portugiesen essen. Heute abend, meine ich.“

Die „Cabo Mondego“, zum Wrack geschossen und zerstört, war keines der Schiffe, die etwas mit der kleinen Handelsniederlassung der Portugiesen in Madras zu tun hatte. Das war von Rameshand, dem Sultan und Bilalama übereinstimmend festgestellt worden. Aber die Seewölfe, keineswegs grundlos mißtrauisch, glaubten natürlich zwangsläufig an eine Verbindung zwischen diesen Halsabschneidern und den wenigen ortsansässigen Portugiesen.

„Ein paar haben wir sehen können. Vermutlich waren sie zum Hafen unterwegs“, sagte Hasard. „Vielleicht kommen sie noch, und dann kriegen wir wieder Ärger.“

„Ich will keinen Ärger“, sagte Dan und strahlte die beiden Mädchen an, die den ersten Gang brachten.

Bald war die Hälfte der Tischplatte von Schüsseln, Näpfchen, Körbchen, Gewürzbehältern und Löffeln aus Holz und Knochen in allen Größen bedeckt. Die Chapattis, die Roti, Parathal oder Nan hießen, ja nach dem Mehl oder Schrot, aus denen der Teig war, krachten zwischen den Zähnen. Einige waren noch glühend heiß und troffen von Butteröl.

„Das sollten Mac und der Kutscher sehen und riechen“, sagte Hasard junior mit vollen Backen.

Als die erste Reihe Schüsseln leer war, wandte sich Dan an Hasard: „Kannst du verstehen, was sie reden? Über was sie sich unterhalten?“ Er deutete mit dem Kopf zu den besetzten Tischen und Bänken.

„Ab und zu ein Wort. Dialekt, verstehst du? Sie sprechen über die Schebecke, über den Kampf an Bord, das schauerliche Feuer und die ‚Stern von Indien‘. Und darüber, daß die Soldaten des Sultans den König der Halsabschneider, Taschendiebe und Bettler noch immer nicht geschnappt haben. Und daß wir zweifellos zur Schebecke gehören.“

„Sieht ja wohl jeder.“

Sie aßen eine Portion Madras Jheengha-Curry, mit Garnelen zubereitet, dunkelrot und abermals mit exotischen Soßen, schließlich einen Chai-Tee, und dann waren sie tatsächlich satt.

Sie lehnten sich an die kühle Wand und hoben die Schalen. Als die Mädchen die unzähligen Schüsselchen und Schalen wegräumten, erschien Sambluja, winkte den Seewölfen lächelnd zu und verschwand in der Küche, aus der es dampfte und klapperte.

Zwei einfach gekleidete Männer, älter als Dan O’Flynn, in Dhoti und Turbanen, standen im hinteren Teil der Gaststube auf und traten an den Tisch der Seewölfe.

„Ihr seid vom Schiff der Engländer?“ fragte der Ältere. Er sprach eine gerade noch verständliche Mischung zwischen Hindi und Portugiesisch.

Dan und Hasard junior nickten und deuteten auf die Hocker.

„Sind wir“, bestätigte Jung Hasard. „Und morgen früh legen wir ab. Es geht nach Bandar. Der Sultan schickt uns.“

Jetzt mischte sich auch der andere Mann in das Gespräch und schielte auf den Krug und die Schalen. Hasard winkte Sambluja, schäkerte eine Weile mit ihr und bat sie, noch einen Krug und Schalen zu bringen.

„Ihr seid überall bekannt. Ihr wißt, das viele Gold. Habt ihr keine Angst vor den Portugiesen?“

„Wenig Angst“, erwiderte Dan und schüttelte den Kopf. „Es ist kein Schiff dieser Leute im Hafen. Wir haben gegen sie gekämpft, oben, im Norden, und wir haben gewonnen und das Schiff zerstört. Und wenn wir Madras verlassen haben, brauchen wir von ihnen nichts zu befürchten. Auch, wenn es viele Schiffe sein sollten, mit vielen Kanonen.“

Der Krug mit frischem Reiswein wurde gebracht. Die Fischer grinsten und tranken in großen Zügen. Dann beugten sie sich weit über ihre Schalen, stützten die Arme auf den Tisch und sprachen plötzlich leise.

„Wie? Ich verstehe nicht“, sagte Hasard. „Ihr seid Fischer, nicht wahr?“

„Ja. Wir haben Gerüchte gehört. Aber wir haben niemanden gesehen.“

„Geht es etwa gegen uns? Gegen unser Schiff?“ fragte Hasard junior.

Gerüchte gab es immer und überall, in einer Hafenstadt wie Madras noch mehr als an anderen Orten. Balshak, so hieß der ältere Fischer, hob die Schultern.

„Man will den Mann gesehen haben, der die Rolle des richtigen Sultans gespielt hat. Im Norden der Stadt.“

„Dort haben wir ihn auch zum letztenmal gesehen“, meinte Dan. „Habt ihr gehört, was passieren soll?“

„Nein. Ein Portugiese soll gesagt haben, daß er euch allen Schlimmeres als den Tod wünsche.“

Hasard und Dan blickten sich schweigend in die Augen. Dann grinsten sie breit, die Tatsache war ihnen seit langem bekannt.

Hasard sagte zu Balshak: „Bisher haben die Portugiesen allein Handel getrieben und sagenhaften Gewinn angehäuft. Ein paar Niederländer waren auch darunter. Aber jetzt sind wir hier. Freunde des Sultans von Golkonda und von Ischwar Singh, oben in Surat. Das läßt die Portugiesen böse werden. Aber, was viel wichtiger ist: Habt ihr vielleicht gesehen oder gehört, was aus den Elefanten, den Treibern und den überlebenden Portugiesen geworden ist, denen wir das Gold wieder abgenommen haben?“

Stumm schüttelten Balshak und Nanak die Köpfe und drehten verlegen an den Spitzen ihrer Bärte. Als Hasard junior weiterfragen wollte, setzte sich Sambluja zu ihnen und zählte an den Fingern die Preise für das Essen ab. Hasard starrte in ihre großen, dunklen Augen und vergaß, was er hatte fragen wollen. Er bestellte noch einen Krug Reiswein.

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